Als Farrell ein paar Minuten später zu ihnen trat, saßen sie an einem Lagerfeuer, das einer seiner jungen Männer für sie angezündet hatte. Er ließ sich mit gekreuzten Beinen nieder: »So, Geschäfte erledigt«. Er betrachtete Cyrus und dann Mrs. Pollifax und grinste: »Finde, daß Sie nie besser ausgesehen haben, Herzogin, bis auf die Prellung auf Ihrer Wange, die sich immer dunkler färbt...«
»Eine Erinnerung an Simon«, erwiderte sie. »Hab' ich richtig gehört, daß Sie Mulika genannt werden?«
»Den Namen haben sie mir gegeben.« Sein Lächeln war atemberaubend in seinem sonnenverbrannten Gesicht. Sie hatte vergessen, wie schön er war. Er sah frisch und gesund aus, und sein Schnurrbart wirkte viel verwegener, als in ihrer Erinnerung. »Und übrigens: Jonesi bittet mich, ihn bei Ihnen zu entschuldigen. Sie möchten doch bitte bedenken, daß Sie in schlechter Gesellschaft gereist sind und wenn Ihre Hände gefesselt waren, so doch auch die der anderen Dame.«
»Durchaus verständlich«, räumte Cyrus ein.
»Er fand die ganze Situation sehr verwirrend. Übrigens, es tut uns leid, daß wir das Abendessen verschieben mußten... «
»Abendessen?« hauchte Mrs. Pollifax.
»Wir erwarten Sikota, wissen Sie, und das ist der Grund, warum wir Sie in Sicherheit gebracht haben. Jetzt erzählen Sie aber um Himmelswillen, Herzogin, wie Sie und Cyrus hierhergekommen sind, und warum.«
Mrs. Pollifax berichtete gern. Sie beschrieb kurz ihre Ankunft in Lusaka und konzentrierte dann ihren Bericht auf die letzten vierundzwanzig Stunden. Als sie geschlossen hatte, sah Farrell sie verblüfft an.
»Das darf nicht wahr sein«, sagte er. »Sie haben eine Suchanzeige nach mir aufgegeben?«
»Ich fand das ganz logisch«, erklärte sie ihm.
Er schüttelte den Kopf. »Diese Direktheit, Herzogin, wird Sie eines Tages noch das Leben kosten.«
»Hat es beinah«, sagte Cyrus. »Sieht jedenfalls so aus.«
»Und Sie haben die Anzeige nicht einmal zu Gesicht bekommen«, jammerte Mrs. Pollifax. »Ich dachte - jedenfalls einen
Augenblick lang -, Sie wären gekommen, um uns zu retten! Was hat Sie denn hierhergeführt, und warum heißen Sie Mulika?«
Er zögerte. »Ob Sie's glauben oder nicht, mulika bedeutet Lichtbringer auf nyanja. Das überrascht Sie?« Er sah sie an und fuhr fort: »Sie wissen, was man unter der Leidenschaft der besten Jahre versteht? Na ja, mich hat die Leidenschaft für Afrika im allgemeinen - dem reinen, unverdorbenen -und für Sambia im besonderen erfaßt. Eigentlich wollte ich hier Farmer werden -« »Keine Kunstgalerie?« fragte Mrs. Pollifax. »- Und ich besitze achtzig Hektar Land in der Südprovinz, aber ich komme nicht oft hin. Ich habe Freiheitskämpfer ausgebildet.«
»Freiheitskämpfer!« rief Mrs. Pollifax. »Das ist es also.« Dann runzelte sie die Stirn. »Aber das kann doch nicht der Grund sein, warum Simon und Amy zu einem Mord bereit waren, nur um herauszufinden, wie Sie aussehen. Es muß doch noch mehr Männer geben, die das tun und... «
»... und auf deren Kopf ein Preis ausgesetzt ist?« Er grinste: »Es ist ein Jammer, Herzogin, Sie sehen es. Ja, natürlich steckt mehr dahinter, weil Leidenschaften einen immer ins Gedränge bringen. Sehen Sie, es ist begeisternd, Sambias wirtschaftlichen Aufschwung zu erleben, aber nebenan liegt Simbabwe - oder Rhodesien, unter diesem Namen kennen Sie es -, und die Leute kommen von drüben über unsere Grenze. Manche sind sehr schlecht behandelt worden, die meisten kommen unmittelbar aus dem Gefängnis oder stehen vor der Verhaftung oder Einkerkerung. Diese Menschen wollen nämlich auch Selbstbestimmung. Sie leiden unter der Rassentrennung.
Und so bin ich da hineingeraten. Mit meiner Vergangenheit und meiner weißen Haut bin ich so etwas wie ein Spion geworden. Schon mal was von Spionen gehört?« fragte er boshaft. »Ich gab mich als Tourist aus, begann hin und her über die Grenze zu reisen, staunte über Simbabwes Naturwunder - sie sind beträchtlich - und half Jonesi, einen sicheren, geheimen Fluchtweg zu finden. Ich habe sogar eine Weile in Salisbury gelebt. Unglücklicherweise sprach es sich herum, daß ein Weißer namens Mulika Männer aus Rhodesien herausbringt, und schließlich erfuhr man auch meinen richtigen Namen. Als dann Ihre Anzeige erschien, schlugen die Wellen natürlich hoch.«
»Nicht zuletzt bei der sambischen Polizei«, berichtete sie ihm. »Ich wurde verhört von einem - Oh«, - sie schnappte förmlich nach Luft - »jetzt begreife ich erst, was nicht stimmte! Er wollte gar nichts über Sie wissen, sondern nur erfahren, woher ich wußte, daß Sie in Sambia sind.«
»Wer?«
»Ein Leutnant Dunduzu Bwanausi«, sagte sie.
Farrell brach in Gelächter aus. »Dundu? Himmel, müssen Sie den aufgeregt haben. Ich wette, er hielt Sie für eine rhodesische Agentin. Muß ihm über Funk sagen, daß alles in Ordnung ist.«
»Sie kennen ihn?«
»Ein sehr guter Freund von mir. Sein Bruder Qabaniso ist Mitbesitzer meiner Farm.«
Ihr kleines Lagerfeuer lag an einem Hang weit vom Friedhofsgelände entfernt. Von dort aus konnten sie ein größeres, ein paar hundert Meter entferntes Lagerfeuer sehen, an dem Amy Lovecraft und ihre Verbündeten saßen, die Hände noch gefesselt. Und Mrs. Pollifax sah, daß Jonesi sie alle mit Knebeln versah.
Farrell war ihrem Blick gefolgt: »Die Ziegen werden festgebunden, um den Löwen anzulocken. Der Löwe ist Sikota. Dürfte ein ziemlich großer Löwe sein, den es zu fangen lohnt.«
»Recht hart für Mrs. Lovecraft, wie?« fragte Cyrus.
»Nicht härter als für Simon, Reuben und Mainza«, erklärte Farrell, »aber natürlich glauben Sie immer noch, sie sei Amy Lovecraft, nicht wahr? Das ist sie nicht.« Seine Stimme war härter geworden.
»Und wer ist sie?« wollte Mrs. Pollifax wissen.
»Eine Rhodesierin namens Betty Thwaite. Sie hat uns tüchtig zu schaffen gemacht, bis wir ihr auf der Spur waren. Denn unseren Informationen nach ist sie nicht nach Sambia gekommen, um jemanden zu entführen. Und der Busch war der letzte Ort, wo wir nach ihr Ausschau gehalten hätten.«
»Dann sind Sie also hinter Amy hergewesen?«
»Und wie! Rund um die Uhr während der letzten sechs Tage.«
»Wieso?« fragte Cyrus.
»Nun ja, um Ihnen ein Bild von ihr zu geben: Sie ist der Kopf einer fanatischen, rechtsgerichteten rhodesischen Gruppe, eine jener Gruppen, die eine extremere Haltung einnimmt als die Regierung selbst und sich dann, wie die Herstigte Nasionale Party, von ihrer eigenen Partei löst, um eine eigene zu gründen. Und nun sind
Sie mitten drin in der fanatischen Szene. Sie finden Betty Thwaites Gruppe, bei der es einfach heißt: Nieder mit jedem, der kompromißbereit und einsichtig ist. Selbst die rhodesische Regierung ist gegen Betty. Wir wissen von ihr nur, daß sie vergangene Woche über die Grenze nach Sambia eingeschmuggelt worden ist, entweder bei Nacht in einem Boot über den Sambesi bei Livingstone oder durch die Sümpfe nach Botswana und von dort nach Sambia. Wir wußten auch, daß sie Rhodesien mit einem falschen Paß verlassen und ihren Namen und ihre Haarfarbe verändert hatte. Was sie aber veranlaßt haben mag, Sie zu entführen, Herzogin, das weiß ich nicht. Es war bestimmt nicht der Grund, nach Sambia zu kommen.«
»Aber sie hat mich entführt!«
»Ja, und das verblüfft mich«, sagte er stirnrunzelnd. »Nein, immerhin muß ich zugeben, daß ihr Wahnsinn nicht ganz ohne Methode war, denn wenn Sie ihnen gesagt hätten, was sie wissen wollten, dann wären Sie ein großer Fang für sie gewesen. Sie ist eine sehr ehrgeizige Frau. Wenn ich das nächstemal die rhodesische Grenze überschritten hätte...« Er fuhr sich mit der Hand über die Kehle: »Vorhang!«
»Aber sie ist nicht mit diesem Plan hierhergekommen?« fragte Cyrus.
Farrell schüttelte den Kopf. »Nein. Und das ist ja das Rätselhafte. Nach Aussage unseres Informanten - und er hat sich bisher noch nie geirrt - ist sie nach Sambia gekommen, um Präsident Kaunda zu ermorden.«
»Ermorden?« fragte Mrs. Pollifax plötzlich alarmiert.
»Gütiger Himmel«, meinte Cyrus. »Warum denn?«
»Warum Kenneth Kaunda ermorden? Weil KK, wie er liebevoll genannt wird, eine sanfte, aber beharrliche Macht gegen die Rassentrennung darstellt. Er hat sich inoffiziell sowohl an Rhodesien wie an Südafrika gewandt, um diplomatische Gespräche wegen dieser Sache zu führen. Und sie beginnen auf ihn zu hören.«
»Ermorden«, wiederholte Mrs. Pollifax nachdenklich.
Er nickte: »Unsere Panik können Sie sich vorstellen. Wir hatten nur ein altes Foto von ihr, und die Zeit arbeitete gegen uns. Wir hatten das Gefühl, eine Nadel im Heuhaufen zu suchen, bis wir im Flughafenrestaurant von Livingstone einen Kellner fanden, der sich an sie erinnerte. Bei der Gelegenheit erfuhren wir, daß sie nun eine Blondine war, und dann haben wir herausgefunden, daß sie als Mrs. Amy Lovecraft reiste. Sie übernachtete ein paarmal in Ngomo Lodge und flog dann nach Lusaka. Wir entdeckten, daß sie gerade rechtzeitig angekommen war, um sich - ausgerechnet! - einer Safari anzuschließen.« Er schüttelte den Kopf. »Es ergibt einfach keinen Sinn«, sagte er. »Daß sie auf Safari gegangen ist, ergibt einfach keinen Sinn.«
»Vielleicht doch«, sagte Mrs. Pollifax leise und versuchte ihrer steigenden Erregung Herr zu werden. »Vielleicht doch, Farrell. Es ist möglich, daß Mrs. Lovecraft zu dieser Safari gestoßen ist, um den wirklichen Mörder zu treffen.«
»Um wen zu treffen?« fragte Farrell.
»Weil ich deswegen nämlich hier bin«, sagte sie zu ihm. »Von Ihrer Betty Thwaite weiß ich gar nichts, aber ich weiß von Mordabsichten. Deswegen habe ich mich der Safari angeschlossen.« Nach einem Seitenblick auf Cyrus sah sie Farrell wieder an. »Ein gemeinsamer Freund von uns hat mich geschickt. Carstairs.«
»Gütiger Himmel«, sagte Farrell, und nun blickten sie beide auf Cyrus, der sie freundlich ansah, jedoch eine Augenbraue fragend hochgezogen hatte.
»Sagen Sie es ihm oder ich?« fragte Farrell.
»Mir was sagen?« fragte Cyrus. »Daß Sie nicht Tür an Tür mit Emily in New Brunswick, New Jersey, gewohnt haben oder daß Sie Seifenkistenautos für ihren Sohn gebaut haben? Das hab' ich mir schon gedacht, junger Mann. Aber wie haben Sie sich kennengelernt?«
Farrell grinste. »Würden Sie es glauben? Rücken an Rücken gefesselt in Mexiko, nachdem wir betäubt und entführt worden waren von... «
»Farrell!« sagte sie. »Sie gehen zu weit.«
»Unsinn. Reed, wenn Sie glauben, daß diese reizende listige Dame nichts anderes tut, als Blumen zu ziehen, dann sind Sie nicht der richtige Mann für sie, und aus der Art, wie Sie sie ansehen, glaube ich zu verstehen... «
»Farrell!« platzte Mrs. Pollifax los.
Mit seiner freundlichen Stimme sagte Cyrus: »Gewisse -hm -Kniffe sind mir schon aufgefallen. Ein - sagen wir - Beugen der Wahrheit und das Karate..,«
»Karate!« Jetzt war Farrell überrascht. »Herzogin, Sie setzen mich in Erstaunen. Sie werden ein Profi.«
»Was für ein Profi?« fragte Cyrus gelassen.
»Sie hat ein kleines Steckenpferd«, sagte Farrell vergnügt. »Geheimkurier zwischen Gartenklub und Umweltschutz. So hab' ich sie kennengelernt, nur habe ich mich vor drei Jahren vom CIA zurückgezogen. Aber wenn es Ihnen recht ist, möchte ich gerade jetzt von dieser Safari hören. Setzen Sie mich ins Bild, Herzogin, und zwar schnell.«
Sie berichtete ihm alles, was sie wußte.
»Carstairs schien überzeugt davon, daß Aristoteles auf dieser Safari anwesend ist, um jemanden zu treffen und den nächsten Auftrag zu besprechen. Wenn Amy Lovecraft aber die ganze Zeit mit ihren Unternehmungen in Rhodesien beschäftigt ist, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß sie um die Welt reist und Leute erschießt. Es ist nur eine Vermutung natürlich, aber...«
»Ich unterbreche die Funkstille«, sagte Farrell unvermittelt, »und rufe Dundu. Ihre Geschichte erklärt, warum Betty Thwaite ausgerechnet auf eine Safari ging, und wenn sie ihr Geschäft mit Aristoteles schon abgeschlossen hatte, dann erklärt das auch, warum sie eine Entführung unternehmen konnte. Sie hat Sie bei Ihrem Gespräch mit Dundu belauscht, und ihr ist klargeworden, daß eine ihrer Reisegefährtinnen tatsächlich in der Lage war, mich zu identifizieren. Da konnte sie nicht widerstehen. Die Entführung muß kurz entschlossen improvisiert worden sein, und das war sehr unklug von ihr. Doch sie meinte, sie könnte beides tun. Ja, Betty Thwaite ist eine sehr ehrgeizige Frau. Aber ich hab' immer noch Hemmungen, das Funkgerät zu benutzen, verflixt.«
»Warum denn?« fragte Cyrus.
»Weil wir dadurch Ihre Gesellschaft entdeckt haben«, erklärte Farrell. »Wir waren von Chunga nach Kafwala aufgebrochen und hatten haltgemacht, um über Funk dem Hauptquartier unsern Standort mitzuteilen. Dabei hörten wir Simon Grünen Vogel rufen. Der Deckname Grüner Vogel war uns bekannt, und deshalb heftete sich, während wir in Kafwala weiter nach Mrs. Lovecraft suchten, Jonesi an Ihre Fersen. Wir brachten in seiner Kappe einen Sender an, damit wir ihn orten konnten.«
»Als Idiot war Jonesi sehr überzeugend«, bestätigte Mrs. Pollifax.
»Lieber Himmel, ja, mit der Nummer kann er überall auftreten, sie hat ihm schon mehr als einmal das Leben gerettet. Aber Herzogin, fangen wir nochmal von vorne an: Wen von den Leuten bei Ihrer Safari haben Sie im Verdacht, Aristoteles zu sein?«
»Ich habe keinen Schimmer«, sagte sie aufrichtig. »Niemanden, hätte ich am Anfang der Safari gesagt, wenn nicht aus meinem Zimmer in Kafwala ein Film gestohlen worden wäre, was beweist, daß meine Knipserei jemanden gestört haben muß. Es muß Aristoteles gewesen sein, der den Film gestohlen hat, denn Cyrus hat mir erzählt, daß Amy Lovecraft und Dr. Henry unten beim Lagerfeuer geblieben sind, nachdem ich gegangen war. Amy könnte Ihnen natürlich sagen, wer Aristoteles ist.«
»Darauf möchte ich keine Wette abschließen«, sagte er trocken. »Wir können also annehmen, daß Aristoteles noch bei der Safari ist und seinen Mordplan fertig hat?« Er schauderte. »Ich weiß nicht, wie Sambia ohne Präsident Kaunda überleben sollte. Er regiert das Land mit fester Hand und wird als Präsident vom Volk geliebt. Jedes Staatsoberhaupt, das ein Land, bestehend aus ca. siebzig verschiedenen Ländern und mindestens sechzehn verschiedenen Sprachen, regieren kann, ist ein Genie.« Er blickte auf und sagte kurz: »Also, heute ist Donnerstag. Wo befindet sich die Safari jetzt?«
»Heute abend wird sie in Moshi eintreffen«, sagte Cyrus. »Morgen kehrt sie nach Chunga zurück, bleibt dort über Nacht und erreicht am Samstag ihre Endstation Lusaka.«
»Dann muß ich unbedingt Dundu benachrichtigen«, beschloß Farrell, »damit er alle Teilnehmer der Safari überwachen läßt. Geben Sie mir die Namen.« Er holte einen Notizblock und einen Stift aus der Tasche.
»Da ist Cyrus' Tochter Lisa Reed«, begann Mrs. Pollifax.
»Und Dr. Tom Henry«, fuhr Cyrus fort.
Farrell schaute auf: »Doch nicht der Bursche vom Missionskrankenhaus drüben an der angolanischen Grenze?« Als Mrs. Pollifax nickte, sagte er, »Klein ist die Welt. Aber jetzt bitte weiter.«
»John Steeves, Reiseschriftsteller, sehr charmant. Willem Kleiber, Holländer, sehr zimperlich und auf Sauberkeit bedacht und in der Baumaschinenbranche tätig, was immer das sein mag. Und dann ist da - na ja, Mclntosh.«
Farrell sah auf. »Ja?«
»Laut Amy Lovecraft ist das nur sein halber Name. Sie hat einen Blick in seinen Paß geworfen. Natürlich ist jetzt alles verdächtig, was sie gesagt hat, aber ich sehe keinen Grund, warum sie das erfunden haben sollte.«
Farrell legte den Stift nieder. »Was für ein Mensch ist er?«
»Verschlossen«, meinte Mrs. Pollifax.
Cyrus räusperte sich und sagte vorsichtig, »Reserviert, meiner Meinung nach. Geschäftsmann, Amerikaner.«
»Aber immer auf Reisen«, ergänzte Mrs. Pollifax.
»Nun ja. Wer noch?«
»Chanda«, sagte Cyrus. »Dr. Henrys Schützling. Ich möchte hinzufügen, daß er mich auf die Spur von Emilys Entführern gebracht hat und dann zu Fuß zum Lager zurückgegangen ist, um die Suchmannschaften zu führen. Zwölf Jahre alt.«
»Ja, und wo bleiben diese Suchmannschaften?« fragte Mrs. Pollifax.
»Keine Ahnung, Herzogin. Tut mir leid, aber der Park ist verdammt groß.« Er lächelte wehmütig: »Als Sie nach Westen gebracht wurden, sind sie zweifellos nach Osten gegangen, und jetzt, wo Sie nach Süden gegangen sind, durchkämmen sie wahrscheinlich den Nordteil. So geht das meistens, nicht wahr? Okay, also wir haben Lisa Reed, Dr. Tom Henry, John Steeves, Willem Kleiber, den mysteriösen Mclntosh und den Jungen Chanda. Sonst noch jemand?«
»Amy Lovecraft, Emily und ich«, sagte Cyrus. »Neun im ganzen.«
»Recht.« Farrell steckte die Notizen ein und erhob sich. »Ich gehe jetzt, um mit Dundu zu sprechen. Bleiben Sie ruhig sitzen, ich schicke einen Mann herüber, der Sie beschützt, während ich weg bin, weil dieses Lagerfeuer in wenigen Minuten ausgelöscht werden muß.«
Mrs. Pollifax sah ihn erstaunt an. »Uns schützen? Ruhig sitzenbleiben? Aber Sie brauchen mich doch bestimmt unten am Lagerfeuer. Sikota erwartet doch, mich dort zu finden. Er wird die Köpfe zählen.«
Farrell schüttelte den Kopf. »Viel zu gefährlich für Sie, Herzogin.«
»Gefährlich!« Sie war entrüstet. »Farrell, es handelt sich um einen Mord, den wir verhindern wollen. Natürlich gehe ich hinunter.«
Farrell seufzte. »Sehen Sie, Herzogin«, sagte er geduldig, »Sie sind erschöpft und brauchen Ruhe. Wir sind nur sieben Mann, und drei davon sind auf der Suche nach Sikota. In der nächsten Stunde kann da unten alles passieren.«
»Sehr richtig«, pflichtete Cyrus bei. »Setzen Sie sich wieder, Emily.«
»Ich weigere mich«, antwortete sie ihm, griff Farrell am Arm und zeigte auf das andere Lagerfeuer. »Sehen Sie sie an - vier Schaufensterpuppen in einem Schaufenster. Keine regt sich oder spricht. Sikota ist kein Löwe, er ist ein Mann, der denken kann. Er wird sich fragen, warum sich niemand bewegt, aber wenn Cyrus und ich dort bei ihnen sitzen, können wir reden und so tun, als ob wir essen, und der Himmel weiß, wie gern ich das wirklich täte.«
Farrell wandte sich an Cyrus. »Also Cyrus?«
»Beides vollkommen richtige Ansichten«, sagte Cyrus weise. »Gefährlicher Platz dort unten. Kreuzfeuer und so weiter, wenn er Ihren Männern entschlüpft.« Seufzend erhob er sich. »Muß aber zugeben, daß Emily auch recht hat«, fügte er hinzu, »und wenn das alles helfen sollte - Sie haben nicht zufällig eine Pistole?«
»Nehmen Sie sie mit meinem Segen«, sagte Farrell. Er öffnete den Pistolenhalfter an seinem Gürtel und übergab ihm die Waffe. »Nehmen Sie auch das hier«, sagte er, griff in seine Tasche und reichte ihm eine Tafel Schokolade.
»Essen!« ächzte Mrs. Pollifax.
»Essen«, sagte Cyrus. »Gehen Sie jetzt und senden Sie Ihre Nachricht, Farrell. Wir gehen nach unten.«
»Ja«, sagte auch Mrs. Pollifax. »Ist es einfache oder mit Mandeln?«
Ihre Anwesenheit am Lagerfeuer entbehrte nicht einer gewissen Komik. Mrs. Pollifax saß zwischen Amy Lovecraft und Cyrus. Amy gab gurgelnde Protestlaute von sich. Jenseits des Lagerfeuers starrte Simon sie mit blutunterlaufenen, empört aufgerissenen Augen an. Glücklicherweise, stellte Mrs. Pollifax fest, war bei der schwachen Beleuchtung selbst aus dieser Nähe sein Knebel unsichtbar. Aus fünfhundert Meter Entfernung hatte das Feuer groß und hell ausgesehen. Nun aber kam es ihr erstaunlich klein vor. Die Dunkelheit ringsum erschien ihr bedrohlich. Sie fühlte sich schrecklich schutzlos.
»Ich dachte, wir wären hier, um für Leben zu sorgen«, erinnert Cyrus sie. »Was ist los? Haben Sie Ihre Meinung geändert, meine Liebe?«
»Bitte, behaupten Sie nicht, Sie hätten's mir ja gesagt«, meinte Mrs. Pollifax kleinlaut.
»Emily«, sagte er mit einem Seufzer, »ich bin heute fünfunddreißig Kilometer durch den Busch gelaufen, ich habe Ihnen geholfen, diese miesen Kreaturen zu überlisten; ich bin von Guerillas gefangengenommen worden, und jetzt sitze ich hier als Zielscheibe für jeden Schützen, der vorbeikommt, und Sie haben wirklich die Stirn zu glauben, ich würde auf meiner Meinung bestehen.«
»Sie sind ein wirklicher Engel, Cyrus«, sagte sie lächelnd.
»Danke. Essen Sie Ihre Schokolade.«
Die Minuten schlichen endlos dahin. Sie und Cyrus reichten einander Zweige und Steine und mimten Konversation in Gegenwart einer schweigenden Amy, eines schweigenden Simon, Reuben und Mainza. Eigentlich benahmen sie sich wie Idioten, meinte Mrs. Pollifax, worauf Cyrus erwiderte, er habe Pantomimen immer gern gehabt, und er rede immer gern mit Menschen, die nicht antworten könnten.
Etwa zwanzig Minuten später merkte Mrs. Pollifax, daß Amy neben ihr plötzlich erstarrte, Entsetzen in den weit aufgerissenen Augen. Mrs. Pollifax folgte ihrem Blick, und sie sah, daß sich etwas bewegte - ein Schatten, heller als das Dunkel der Bäume. »Cyrus, da drüben«, sagte sie mit verhaltener Stimme. Der Schrecken verschlug ihr die Sprache, denn wenn das Sikota war, bedeutete es, daß Farrell, Jonesi und die andern ihn verfehlt hatten. Der Schatten hielt inne, kam dann aus einer anderen Richtung wieder auf sie zu... wie ein Löwe - ihre Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet -, der sich an die angebundene Ziege heranschlich.
Jetzt war Sikota am Rande des Lagerfeuers zu sehen, ein kleiner Mann von grotesker Leibesfülle in einem hellen Straßenanzug. Er trug ein langes Gewehr. Als er näher kam, sah sie, daß sein schmallippiger Mund in den Fettpolstern des schmutzigbleichen Gesichtes beinah verschwand.
Er blieb stehen, seine Hand strich über den Abzug der Waffe. Er spürt, daß etwas nicht in Ordnung ist, dachte sie und fühlte, wie ihr Herz rascher schlug. Und dann tat er etwas, was niemand vorausgesehen hatte. Er rief in scharfem, gebieterischem Ton: »Simon!« Und dann noch einmal ärgerlich: »Simon?«
Aber der gefesselte und geknebelte Simon konnte weder antworten noch sich umwenden, und einen Augenblick lang herrschte unbehagliche Stille, nur in der Ferne heulte eine Hyäne. Dann trat plötzlich Jonesi aus dem Busch zur Rechten und schrie: »Werfen Sie das Gewehr weg!«
Von der entgegengesetzten Seite her rief Farrell: »Werfen Sie es weg, Sikota, Sie sind umstellt!«
Der Mann wandte sich erst Jonesi, dann Farrell zu. Er tat dies mit einer unglaublichen Behendigkeit. Dann riß er sein Gewehr hoch, zielte und feuerte.
»Runter!« schrie Farrell seinen Leuten zu.
Das tat Mrs. Pollifax nur zu gern. Sie rollte zur Seite. Zwei weitere Schüsse folgten dem ersten, aber als sie den Kopf wieder hob, sah sie, daß nicht Sikota geschossen hatte. Er lag zusammengesunken am Boden wie ein Riesenbündel schmutziger Wäsche.
»Sind Sie in Ordnung, Herzogin?« rief Farrell, und sie hörte Schritte, die sich näherten.
Sie schaute Cyrus an. Und er sagte mit unsicherer Stimme: »Nun ja.«
»Ja«, sagte auch sie, und dann rief sie Farrell zu: »Er hat nicht getroffen«, stand auf und klopfte sich den Staub von den Kleidern.
Aber Cyrus schüttelte den Kopf. »Er hat getroffen«, sagte er.
Einen Augenblick lang verstand sie nicht, dann aber folgte sie seinem ausgestreckten Finger. »O nein! Farrell, Jonesi!« ächzte sie.
Jonesi erreichte das Lagerfeuer vor Farrell. Vorsichtig stieg er über Simons Füße und kniete neben Amy nieder, die aussah, als wäre sie des Sitzens müde geworden und hätte sich zum Schlafen niedergelegt. Aber als Jonesi sie aufrichtete, bemerkte er mitten in ihrer Stirn ein Loch, ihre Augen waren blicklos.
»Verflucht!« explodierte Farrell, der als nächster herankam, und dann fluchte er noch eine Weile leise vor sich hin.
»Unglaublicher Schuß«, sagte Cyrus, der etwas elend aussah.
»Er hatte ein Zielfernrohr«, sagte Farrell. »Er hat uns irgendwie umgangen, wissen Sie. Verflucht - jetzt sind sie beide tot.«
»Er dachte, sie würde reden, Mulika.«
»Dann kannte er unsere Amy schlecht«, schnaubte Cyrus verächtlich.
»Mag sein«, sagte Mrs. Pollifax, und mit Tränen in den Augen wandte sie sich ab. »Sikota ist ein Weißer, Farrel, ich habe ihn gesehen.«
»Wir wollen uns diesen Sikota einmal genauer ansehen«, sagte Farrell schroff, und sie folgten ihm zu dem zusammengesunkenen Körper. Einer von Farrells Männern hatte ihn umgedreht und starrte ihm ins Gesicht. »Du kennst ihn, Patu?« fragte Farrell.
Patu nickte. »Ich kenne ihn. Es ist der Portugiese, der den Antiquitätenladen an der Cairostraße hat. Wer hätte gedacht, daß dieser Mann ein Spion war? Er kam in einem Lastwagen, Mulika. Jeshua ist jetzt dort. Er sagt, der Wagen habe einen doppelten Boden. Es ist so viel Platz, daß man Leute darin verbergen kann.«
»Das hatte er also vor... Nicht gerade Betty Thwaites Typ«, sagte Farrell und starrte auf den Mann hinunter. »Aber die Politik schafft seltsame Freundschaften.« Mit grimmiger Miene richtete er sich wieder auf. »Keine Zeit für Nachrufe. Ich bin mit meinem Funkspruch durchgekommen. Sie schicken einen Hubschrauber für Sie beide. Ich erfuhr auch, daß Präsident Kaunda am Sonntagnachmittag in Lusaka eine neue Schule einweihen wird, am Tage nach dem Ende der Safari. Es wird bis August sein einziger öffentlicher Auftritt sein, und die Zeitungen sind voll davon.
»Wenn also Ihr Aristoteles wirklich existiert, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß er später nach Lusaka zurückkehren wird, wenn er schon einmal hier ist. Sonntag wäre somit sein großer Tag.«
»Sonntag?« Mrs. Pollifax war entsetzt. »So bald?«
»Bleiben uns etwas mehr als zwei Tage.« Farrell schaute auf Amys Leiche und sagte seufzend: »Deck sie mit einem von unseren Schlafsäcken zu, Patu. Auch wenn ich's ungern zugebe, auf ihre Weise war sie eine echte Kämpferin. Zumindest keine bezahlte Mörderin wie Sikota und der ganze Rest dieser gräßlichen Gesellschaft.«
»Hat Leutnant Bwanausi jetzt die Liste?« fragte Cyrus.
Farrell nickte. »Er hat die Liste, kreist im Augenblick wahrscheinlich über Kafwala und wartet darauf, von mir zu hören. Chanda war ihnen eine enorme Hilfe, aber unglücklicherweise haben sie erst heute morgen mit Chanda Kontakt bekommen, und da war seine Information überholt, weil sie in dieser Richtung unterwegs waren. Übrigens, Herzogin«, fügte er hinzu, und ein feines Lächeln erhellte sein finsteres Gesicht: »Dundu berichtet, daß für Sie ein Lösegeld von fünfzigtausend Kwacha gefordert worden ist... «
»Na, das ist ja geradezu beleidigend«, sagte Cyrus. »Wären dreißigtausend amerikanische Dollar, nicht wahr?«
»Machen Sie sich nichts draus, ich lebe«, sagte Mrs. Pollifax und riß ihren Blick von Amys zusammengesunkener Gestalt los. Sie blickte zum Himmel hinauf, zum Friedhofsgelände hinüber und dann wieder zu dem Mann zu ihren Füßen. Bedrückt sagte sie: »Der Hubschrauber wird uns also holen, aber was dann, Farrell?«
»Sie gehen nach Lusaka zurück und warten ab«, sagte er. »Ruhen Sie sich morgen und am Samstag aus. Machen Sie einen Stadtbummel. Eines verspreche ich Ihnen«, sagte er mit harter Stimme, »einen Mord wird es nicht geben, Herzogin, und KK wird am Sonntagnachmittag ungefährdet seine Schule eröffnen. Und noch etwas verspreche ich Ihnen. Am Sonntag esse ich mit Ihnen und Cyrus in Ihrem Hotel zu Mittag, und dann verrate ich Ihnen, wer Aristoteles ist.«
»Einfach so?« fragte Cyrus.
»Einfach so«, versprach Farrell. Dann wandte er sich an Patu: »Gebt mir jetzt den Funkapparat, Patu. Wir haben eine arbeitsreiche Nacht vor uns.«