8

Als Mrs. Pollifax am nächsten Morgen um halb sieben aufwachte, war es bitter kalt. Ein junger Kellner brachte ihr auf einem Tablett Kaffee. Mrs. Pollifax streckte einen Fuß aus dem Bett, goß Kaffee in die Tasse und nahm sie mit unter die Decke. Ob sie je wieder warm werden konnte?

»Ich dachte, Afrika liegt in den Tropen«, protestierte sie beim Frühstück, das unten am Fluß im Morgennebel serviert wurde.

»Wir befinden uns zwölfhundert Meter über dem Meeresspiegel«, gab Julian zu bedenken. »Vielleicht erwärmt es Sie, wenn Sie hören, daß Crispin in der Morgendämmerung mit einem Landrover draußen war und zehn Kilometer nördlich vom Dorf Löwenspuren entdeckt hat.«

»Oh, wie wunderbar!« seufzte Mrs. Pollifax.

Fast ebenso begeisternd war die Nachricht, daß über Nacht die Dächer von zwei Landrovern entfernt worden waren, so daß sie stehend fahren und die Savanne nach Tieren absuchen konnten wie Profis. Mrs. Pollifax konnte es kaum erwarten.

Trotz ihrer Begeisterung hatte sie aber ihren Entschluß vom vergangenen Abend nicht vergessen, und zwischen Frühstück und Aufbruch zog sie sich in ihr Zimmer zurück, um sich einen Merkzettel für den Tag zu machen. >Herausfinden<, schrieb sie, >wer in den letzten acht Monaten weit gereist ist (Frankreich, Costa Rica).< Dann: >McIntosh noch einmal ansprechen, könnte aus sich herausgehen. Mr. Kleiber: Da er sich auf Maschinen versteht, nach Gewehren fragen, John Steeves: Welche Verkleidung er bevorzugt.< Sie lernte den Text auswendig und verbrannte den Zettel dann.

Bald danach brachen sie in zwei Landrovern auf. Die Sonne stand jetzt höher, bald würde es wärmer werden. Mrs. Pollifax hatte für diesen Ausflug ihre Kleidung so gewählt, daß sie sich nach und nach ausziehen konnte: erst ihre Buschjacke, dann ihren dicken Pullover, dann ihre blassblaue Strickjacke, bis sie schließlich in gestreifter Hemdbluse und einem passenden Halstuch glänzen würde. Sie nahm auch ihren bunten Schirm sowie zwei Filmrollen für die Kamera mit und steckte ihre Brosche an.

Als sie das Safaridorf Kafwala hinter sich gelassen hatten und auf die offene Savanne zufuhren, empfand sie wie Lisa diese Reise durch Afrika als Geschenk. Sie war bezaubert von der Landschaft, durch die sie fuhr. Und als Mrs. Pollifax sich nach den Zementbauten am Straßenrand erkundigte, sagte Julian lachend: »Kein Zement - Termitenhügel.« Er hielt an, sprang aus dem Wagen und trat dagegen, so daß eine bienenwabenartige Struktur sichtbar wurde.

Mrs. Pollifax erblickte die Elefanten als erste. »Oh, seht«, rief sie, und alle schauten nach links. In einiger Entfernung wanderte eine Elefantenherde durch die Savanne, eine Familie mit drei Jungen.

»Baby snofu«, sagte Chanda.

»Ich zähle neun«, meldete sich Cyrus, der neben ihr stand.

Mrs. Pollifax stellte sich auf ihren Sitz und knipste dreimal rasch hintereinander, rutschte dann nach unten und machte eine Nahaufnahme von John Steeves, der ebenfalls die Prozession beobachtete.

»Können wir aussteigen«? fragte Amy Lovecraft, heute ganz in Weiß und Beige gekleidet. Um ihr Haar hatte sie einen grünen Schal gebunden.

»Wir fahren besser weiter«, meinte Julian. »Die Tiere sind auf dem Weg zum Wasser, später sehen wir sie mehr aus der Nähe.«

Die beiden Landrover fuhren ganz langsam ein paar Kilometer weiter, ehe sie hielten. Alle stiegen aus und warteten mit schußbereiter Kamera.

»Dieses Licht hier«, sagte Mrs. Pollifax und deutete ins Weite, »es erinnert mich an das Licht in Südfrankreich. War jemand von Ihnen in letzter Zeit in Frankreich?«

Niemand schien ihr die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.

John Steeves starrte tiefsinnig in die Ferne; Mclntosh war mit seinem Lichtmesser beschäftigt; Mr. Kleiber murrte Unverständliches vor sich hin, und Amy Lovecraft überhörte ihre Frage. Nur Cyrus sah sie an und sagte: »Nein. Sie?«

Da sie noch nie in Frankreich gewesen war, fühlte sich Mrs. Pollifax in die Enge getrieben und war froh, als sie die Elefanten sah. »Da kommen sie!« rief sie aus.

Die Tiere tauchten aus dem Buschwald auf und schritten mit schwingenden Rüsseln auf sie zu. Nur ein paar Meter von ihnen entfernt überquerten sie den Weg, ohne ihren Zuschauern auch nur einen Blick zu gönnen. Die Elefantenbabys brachten Lisa zum Lachen. »Die sind ja süß!«

Befriedigt kletterten alle wieder in ihre Landrover und fuhren weiter. Die Wagen rollten einen Hang hinunter bis zu einem ausgetrockneten Bachbett. Sie hielten, und Julian stieg aus. »Hier!« rief er und deutete auf den Boden. Sie sahen den Abdruck einer Löwenpfote.

Ganz langsam rollten die Landrover weiter. Niemand sprach ein Wort. Und dann sahen sie vor sich zwei schlafende Löwen ausgestreckt in der Sonne liegen. Die Landrover rollten aus und hielten ca. zwei Meter von den Löwen entfernt. Der Wächter neben Mrs. Pollifax beugte sich vor und brachte sein Gewehr in Anschlag. Seine Augen blickten wachsam.

»Eine Löwin und ein Löwe«, flüsterte Julian.

Als der zweite Landrover hielt, hob die Löwin ihr herrliches Haupt, gähnte und stand auf. Sie streckte sich, betrachtete die Gesellschaft ohne Interesse und schnupperte. Nun regte sich der Löwe. Er stand ebenfalls auf. Ein mächtiges Tier, fast drei Meter groß, und Mrs. Pollifax atmete kaum, als er die Gruppe musterte, ohne zu blinzeln. Im allerletzten Augenblick, ehe die beiden schönen, gelbbraunen Geschöpfe im Gras verschwanden, machte sie eine Aufnahme.

Um die Mittagszeit erreichten sie Lufupa, ein kleines Safaridorf, das nur für Wochenendgäste bestimmt und noch nicht für die Saison geöffnet war. Das Dorf lag auf einer Landzunge, dort, wo der Kafue eine Biegung machte und breiter wurde. Er lag glatt wie ein Mühlenteich in der Mittagsonne. Hier sollten sie essen, wie Julian sagte. Er deutete auf einen gedeckten Picknicktisch unter den Akazien.

Inzwischen hatte sich Mrs. Pollifax aus drei Lagen Kleidung geschält und war glücklich, im Schatten der Akazien an einem Picknicktisch essen zu können. Eine friedliche Szene. In der Nähe waren zwei Männer damit beschäftigt, Stühle leuchtend blau anzustreichen, und auf dem Dach der größten Hütte legte ein alter Mann Stroh aus, das er mit Draht wie Schindeln befestigte. Da Mr. Kleiber neben ihr saß, wandte Mrs. Pollifax sich mit einem Lächeln an ihn. »Verstehen Sie etwas von Gewehren, Mr. Kleiber? Ich wüßte gern, was für eins unser Wächter hat.«

Da in diesem Augenblick Mr. Kleiber einen Teller mit Huhn und Gemüse serviert bekam, antwortete statt seiner Mclntosh, der ihr gegenübersaß. »Eine 30-06, möchte ich meinen.«

»Oh, Sie verstehen etwas von Gewehren?« sagte sie strahlend.

»Oder vielleicht eine 30-04«, meinte jetzt Kleiber.

»Es ist eine 30-04«, bestätigte Crispin vom Tischende her.

»Nicht gerade erfolgreich«, dachte Mrs. Pollifax und kam zu dem Schluß, Fragen dieser Art lieber am abendlichen Lagerfeuer zu stellen und nicht beim Picknick.

Nach dem Mittagessen schlenderten sie ein kurzes Stück stromaufwärts, um Flußpferde beim Baden an seichten Stellen zu beobachten. Das machte besonders Cyrus Spaß, weil er auf dem Rücken der Nashörner, die sie in Chunga beobachtet hatten, keine Gelbschnabelmadenhacker gesehen hatte.

»Gelbschnabelmadenhacker?« erkundigte sich Mrs. Pollifax.

»Zeckenvögel«, erklärte er und fuhr fort: »Findet man auch auf den Rücken von Nashörnern. Nähren sich von deren Zecken und warnen sie - als Gegengabe - vor Gefahr.« Sein Blick fiel auf John Steeves, der Lisa aus ihrer Jacke half. »Bursche scheint tatsächlich Lisa ins Visier zu nehmen. Und ganz zuversichtlich offenbar.«

Mrs. Pollifax lächelte. »Wenn John Steeves etwas besitzt, dann ist es Selbstvertrauen.«

Scheint ein recht anständiger Bursche zu sein«, meinte Reed. »Nur schwer, ihn sich als Schwiegersohn vorzustellen. Ich meine -übernachten in Jurten und so?«

»Oh, ich glaube, darüber brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen.«

»Nicht? Sind doch immerfort zusammen.«

»Es gibt«, sagte Mrs. Pollifax, »Unterströmungen.«

»Übersehe ich etwas?«

»Sie beobachten Steeves, aber nicht Ihre Tochter. Er ist mit ihr zusammen, aber sie nicht mit ihm, wenn Sie wissen, was ich meine. Es ist eine Sache der Betrachtungsweise.«

»Sie setzen mich in Erstaunen.« Er wandte sich ihr zu und sagte vorwurfsvoll: »Tatsächlich, Sie setzen mich ständig in Erstaunen, seit wir uns kennengelernt haben.«

Sie spürte, wie sie abermals errötete - es war wirklich lästig, so etwas war ihr seit Jahren nicht passiert. Sie lenkte ab, indem sie Mr. Kleiber fragte, den die Flußpferde offensichtlich zu langweilen schienen. »Immer noch keine Krokodile, Mr. Kleiber?«

Er schien verdutzt. »Nein, noch nicht. Nun ja, ich hoffe bald. Wie heiß die Sonne ist, ich habe genug vom Laufen.«

Sie fand, Mr. Kleiber begann ein wenig aufzutauen. Der verkniffene Gesichtsausdruck war nicht mehr so stark, und ab und an lächelte er sogar über irgend etwas, was in der Gruppe gesagt wurde. Er schien Mclntosh zu mögen, dessen Zurückhaltung seinem eigenen Wesen entsprach. Wenn etwas Ungewöhnliches vorfiel, schaute er immer zuerst zu Mclntosh, wippte ein bißchen auf den Hacken, bis er dessen Blick auf sich gezogen hatte, um dann mit seiner trockenen, sarkastischen Stimme einen seiner kernigen Kommentare zu geben. Er schien auch Amy Lovecraft zu tolerieren und sah nicht mehr so frostig aus, wenn sie seinen Arm nahm und fragte, ob er etwas dagegen hätte, wenn sie mit ihm ginge.

»Krokodile bekommen Sie morgen zu sehen, in Moshe«, erklärte Julian, der zugehört hatte. »Das Lager ist ganz offen. Es liegt unmittelbar am Fluß, und die Krokodile sonnen sich am Ufer.«

Die Gruppe machte sich auf den Rückweg, und Mrs. Pollifax ging neben Cyrus. Vor sich sah sie Mr. Kleiber, und sie stellte amüsiert fest, was für einen absonderlichen Gang er hatte. Er hielt sich sehr aufrecht - steife Schultern, gerader Rücken, erhobener Kopf-, aber der rechte Fuß war leicht einwärts gekehrt, was den Rhythmus der Schritte ein klein wenig störte.

»Sieht da vorn nach weiterem Zuwachs aus«, meinte auf einmal Cyrus.

Ein funkelnder, beigefarbener Landrover parkte neben den Safari-Landrovern, und drei Männer, Schwarze, sprachen mit den Arbeitern. Als sie näher kamen, kletterte einer von ihnen in den Wagen und machte den andern Zeichen, sich zu beeilen.

Unvermittelt sagte Reed: »Bursche im grünen Hemd war der Mann, der in Lusaka im Hotel nach Ihnen gefragt hat.«

»Sind Sie sicher?« fragte Mrs. Pollifax erschrocken.

»Vergesse nie ein Gesicht. Soll ich ihn rufen?«

»Oh ja, bitte«, bat sie eindringlich.

Reed begann zu rufen, und Mrs. Pollifax winkte aufgeregt, doch die beiden Männer streiften sie nur mit einem Blick, und sprangen in den Wagen, der eilig anfuhr. Einen Moment später war er zwischen den Bäumen verschwunden.

»Kann ihm nicht helfen«, sagte Cyrus. »Hat seine Chance verpaßt.«

»Aber Sie müssen sie gehört haben«, protestierte Mrs. Pollifax, »und falls Sie taub sind, so haben Sie mich doch winken sehen; denn Sie haben sich nach uns umgedreht.«

Als sie bei den Arbeitern ankamen, fragte Cyrus: »Waren aus der Stadt, nicht wahr?«

»O ja, Sir«, antwortete der Ältere strahlend. »Aus Lusaka. Sie wußten nicht, daß das Dorf geschlossen ist.«

»Wollten sie nicht wissen, was wir hier machen?«

»Oh doch. Ich hab ihnen gesagt, daß Sie auf einer organisierten Safari sind.«

Sonderbar, dachte Mrs. Pollifax stirnrunzelnd, sehr sonderbar, und sie konnte das Gefühl nicht loswerden, daß - wenn Cyrus recht hatte - etwas nicht stimmte. Sie wandte sich ihm zu und sagte eigensinnig: »Ich verstehe nicht, ich verstehe wirklich nicht, wie in aller Welt Sie so sicher sein können, daß es derselbe Mann war.«

»Könnte mich irren«, sagte er fair.

Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. »Irren Sie sich sehr oft?«

»Nein. Habe bei Gericht zuviele Gesichter studiert. Gewohnheit von mir.«

Sie nickte. Immerhin hatte er zugegeben, daß er sich irren konnte, und daran klammerte sie sich, weil sie sich sonst mit der unbehaglichen Tatsache hätte abfinden müssen, daß ein Mann, der sie in Lusaka hatte besuchen wollen, nun in einen Wagen sprang, um das Treffen zu vermeiden.

Einige Stunden später, nach der Rückkehr ins Safaridorf Kafwala, stand Mrs. Pollifax selig unter der Dusche und war versucht, ein Liedchen anzustimmen. Das Leben im Busch, dachte sie, macht einen unabhängiger von Belanglosigkeiten: stundenlang hatten Hitze und Staub sie geplagt, und jetzt bereitete ihr das kalte Wasser ein prickelndes Vergnügen. Seit der Morgendämmerung war sie draußen gewesen, und nun spürte sie einen wahren Heißhunger auf die Mahlzeit, die bald am Lagerfeuer serviert würde. Wann hatte sie sich wohl so frei gefühlt... vielleicht noch nie... und vor ihrem inneren Auge lief noch einmal die mittägliche Fahrt ab: die heiße

Sonne, Staub, der braunrote Stamm eines Dornbusches, der Baum mit den langen, torpedoförmigen, grauen Früchten, den Julian einen Wurstbaum genannt hatte. Auch hatte sie heute auf nyanja >Danke< sagen gelernt - zikomo kwambeiri - und im Safaridorf Lufupa...

Lieber nicht an Lufupa denken. Die Erinnerung weckte Zweifel, die letztlich, auch wenn sie sie mit Vernunftgründen zu vertreiben versuchte, immer wieder zu Cyrus zurückkehrten. Immerhin war es ja Cyrus gewesen, der ihr erzählt hatte, daß im Hotel ein Mann nach ihr gefragt hatte, und es war Cyrus, der darauf bestanden hatte, daß sie denselben Mann in Lufupa gesehen hätten. Sie besaß lediglich sein Wort, daß es einen solchen Mann gab. Was sollte sie davon halten? Wenn Cyrus Aristoteles war - sie fröstelte bei dieser Vorstellung, drehte das Wasser ab und griff nach einem Handtuch. Aber wenn Cyrus Aristoteles war, dann ergab es doch keinen Sinn, daß er einen Mr. X. erfand, der nach ihr gesucht hatte. Und wenn er diesen Fremden nicht erfunden hatte... wenn es diesen Mann wirklich gab... »Da sind Sie ja!« sagte plötzlich eine Männerstimme und Mrs. Pollifax fuhr zusammen.

Draußen vor der Duschkabine erwiderte Lisas Stimme: »Hallo, John, ich halte gerade Ausschau nach einem sonnigen Platz, um mein Haar zu trocknen.«

»Wo sind die anderen?«

»Oh, irgendwo. Mrs. Pollifax wollte gerade duschen, als ich aus der Kabine kam, aber sie ist jetzt gegangen. Dad und Chanda sind drüben in der Küche und sehen dem Chef beim Kochen auf dem ulkigen Ofen zu, den sie hier haben. Mr. Kleiber hat sich in den Finger gestochen, und Tom versichert ihm, daß er keine seltene afrikanische Krankheit bekommt. Mclntosh macht ein Schläfchen und...«

»Genug, genug!« sagte er mit gespielter Verzweiflung. »Was ich wirklich wissen wollte, ist, warum Sie mich seit dem Lunch gemieden haben. Ich suche nach dem Grund. Hat es Ihnen wirklich einen Schock versetzt, als ich Ihnen sagte, daß ich einmal - nur kurze Zeit - verheiratet war, vor vielen Jahren?«

»Einen Schock? Lieber Himmel, John, nein.«

»Was haben Sie gedacht?«

Mrs. Pollifax, hin und hergerissen zwischen dem Wunsch, sich bemerkbar zu machen oder zu lauschen, entschied sich für das letztere und fuhr fort, sich anzuziehen.

»Ich dachte«, sagte Lisa langsam, »wenn ich mich genau erinnere, daß ich nicht überrascht war, daß es nur sechs Monate gedauert hat. Ich dachte, es müßte ziemlich schwierig sein, mit Ihnen verheiratet zu sein.«

»Ziemlich schwierig... Und ich habe gehofft - was in aller Welt hat Sie auf den Gedanken gebracht?«

»Nun ja, es ist etwas Geheimnisvolles um Sie, stimmt das nicht, John? Etwas signalisiert mir: >Bitte draußen bleiben<.«

Nach einem langen Schweigen sagte Steeves leichthin: »Das ist ein Rückschlag für mich, Lisa. Ich dachte, ich könnte Sie am Ende der Safari bitten, mich zu heiraten.«

»Mich?«

»Haben Sie wirklich gedacht, daß ich mich jeden Tag so intensiv um hübsche junge Mädchen kümmere?«

»Nein - das heißt, sicherlich waren Sie sehr freundlich, John, ich fühle mich auch geschmeichelt, aber lassen Sie uns nicht mehr darüber reden. Das sollten wir wirklich nicht.«

»Warum sollten wir das nicht, wie Sie es ausdrücken?«

»Weil... nun ja, weil in Wirklichkeit in Ihrem Leben gar kein Platz für eine Ehe ist, nicht wahr?«

»Ich könnte mich ändern«, sagte er. »Ich muß nicht immer in der Welt herumflitzen.«

»In welcher Weise ändern?« fragte sie und fuhr ungehalten fort, »und warum sollten Sie auch? Sie sind ein prächtiger Mensch, John. Sie erfreuen viele Menschen, weil Sie alle die großartigen, verwegenen Dinge tun, von denen Ihre Leser nur tagträumen. Das ist herrlich.«

»Und macht sehr einsam«, erklärte er.

In diesem Augenblick beschloß Mrs. Pollifax, sich bemerkbar zu machen. Sie ließ einen Schuh auf den Zementboden fallen und sagte: »Liebe Zeit!« sie ließ weitere Dinge fallen, um Lisa und Steeves genügend Zeit zu geben, sich auf ihre Anwesenheit einzustellen. Als sie aus der Kabine herauskam, war John verschwunden und Lisa dabei, ihren Liegestuhl zusammenzuklappen. Sie drehte sich um und lächelte matt. »Vermutlich haben Sie alles mitangehört?«

»Es ließ sich leider nicht umgehen«, gab Mrs. Pollifax zu. »Ich habe so lange gewartet, wie es ging, aber langsam wurde es da drinnen sehr kalt. Die Sonne wird gleich untergehen, nehme ich an.«

»Ja, wieder Zeit für die Strickjacken. Ich danke Ihnen. Nun ja, dafür, daß Sie mich gerettet haben.« Sie ging neben Mrs. Pollifax her und nahm geistesabwesend den Liegestuhl mit. »Ist das Leben nicht sonderbar?« fuhr sie fort. »In diesem Winter habe ich Johns letztes Buch gelesen. Sein Bild füllte die ganze Rückseite des Schutzumschlages. Ich habe es betrachtet und diese traurigen Augen haben mich berührt. Ich wünschte mir damals, so einem Mann einmal begegnen zu können.«

»Und jetzt sind Sie ihm begegnet.« Mrs. Pollifax sah sie interessiert an, »und Sie spüren etwas in ihm, das sagt: >Bitte draußen bleiben?<«

»Sie haben wirklich alles gehört.« Lisa seufzte. »Ich frage mich, warum ich das gesagt habe. Nun ja, jetzt, wo ich ihn kenne, erscheint mir John wie ein Mann aus einem modernen Roman, der damit beginnt und endet, daß der Held in seinen Scotch mit Soda starrt, weil er wieder eine Frau verlassen will, um zu einem neuen Abenteuer aufzubrechen. Er scheint von irgend etwas besessen. Und schrecklich traurig darüber zu sein.«

»Besessen?« wiederholte Mrs. Pollifax. »Ein sonderbares Wort.«

»Es gibt Menschen, die sich von bestimmten Vorstellungen nicht lösen können. Aber er ist ein liebenswerter Mensch, nicht wahr?«

Mrs. Pollifax nickte. »John ist ein ungewöhnlicher Mann. Sehr anziehend, aber, wie Sie schon vermuteten, ein ausgesprochener Einzelgänger. Ich glaube, daß Sie nach jemandem Aueschau halten, der etwas gemütlicher ist, nicht wahr?«

Lisa brach in Gelächter aus. »Gemütlicher?«

»Jemand, der warmherzig ist und fürsorglich und weniger kompliziert.« Sie war vor ihrer Tür angelangt und öffnete sie. »Manchmal ist es wirklich sehr schwierig, sich selbst treu zu bleiben.«

»Oh, ich hoffe so sehr, daß Sie Vater ebenso gern mögen wie er Sie«, platzte Lisa heraus und hielt dann verwirrt inne. »Oh liebe Zeit, ich wollte gar nicht - warum in aller Welt schleppe ich diesen Stuhl herum?« fragte sie und bemerkte ihn erst jetzt. »Ich muß mich zum Abendessen umziehen.

Die Sonne war schon untergegangen, als Mrs. Pollifax den Hügel hinunter zu der Gruppe am Lagerfeuer ging. Die Flammen des Lagerfeuers schimmerten heute blau, und das Holz krachte lustig.

»Sie haben einen Silberreiher verpaßt«, verkündete ihr Cyrus mit einem Willkommenslächeln. »Unglaublicher Anblick.«

»Und eine Affenfamilie, die uns von ihrem Baum herunter beschimpft hat«, warf Tom Henry ein. »Bestimmt waren die ärgerlich, uns wieder hier vorzufinden; das muß wohl ihr Spielplatz sein.«

»Mindestens ein Dutzend«, ergänzte Lisa.

»Liebe Güte, bin ich hungrig«, sagte Amy Lovecraft. Sie trug an diesem Abend wieder einen schicken Anzug: blauer Rollkragenpullover zu dunkelblauen Hosen, eine flauschige, rote Wolljacke. Mrs. Pollifax fragte sich, wie viele Koffer sie wohl für diese Reise benötigt hatte.

Julian verkündete: »Ich habe angeordnet, das Abendessen heute zeitig zu servieren, nämlich vor sieben, weil alle so hungrig sind.«

»Wunderbar«, sagte Amy und sprach es >Wuhnderbar< aus.

»Und wieviel Uhr ist es jetzt?«

Julian sah nach der Zeit und sagte stirnrunzelnd: »Die Männer verspäten sich, sie sollten jetzt schon den Tisch gedeckt haben. Am besten gehe ich nach oben.

»Ja, tun Sie das. Offengestanden sterben wir alle fast vor Hunger.«

Er erhob sich halb von seinem Sitz - und erstarrte. Mrs. Pollifax, die seinem Blick gefolgt war, sah drei schwarze Männer lautlos aus dem Dunkel treten. Zuerst hielt Mrs. Pollifax sie für Arbeiter aus Kafwala, die sie noch nicht kannte, aber dann sah sie im Schein des Lagerfeuers einen langen Gewehrlauf. Und als die drei Männer die Gruppe umzingelten, spürte sie, wie ihre Kehle vor Angst trocken wurde.

»Was ist denn das?« fragte Steeves schwer atmend.

Sie waren so leise gekommen - das Rauschen der Wasserfälle hatte ihre Schritte übertönt -, daß es Mrs. Pollifax schwerfiel, an ihre Existenz zu glauben. Dann sagte Julian mit grimmiger Miene »Nguti?« und nun wußte sie, daß diese Männer wirklich und gefährlich waren.

In ausgezeichnetem Englisch sagte der Anführer: »Wenn Sie eine Bewegung machen, schießen wir. Wir wollen nur Geiseln. Sie« - er deutete auf Mrs. Pollifax -, »Sie gehen dort drüben hin.«

»Augenblick mal«, sagte Cyrus und wollte sich von seinem Stuhl erheben, aber einer der Männer stieß ihn zurück.

»Und Sie«, sagte der Sprecher und deutete auf Amy Lovecraft.

Als Mrs. Pollifax sich erhob und zögernd den Kreis durchschritt, registrierte sie, wie gemütlich die Gruppe um das Lagerfeuer doch war. Außerdem prägte sie sich den Gesichtsausdruck von jedem, an dem sie vorbeikam, scharf ein: John Steeves sah wütend aus, Willem Kleiber war in seinem Stuhl zusammengesunken, als wollte er sich unsichtbar machen; Lisa war einfach erschrocken, und Tom Henry studierte die Gesichter der bewaffneten Männer. Cyrus sah so empört aus, daß sie gelächelt hätte, wenn ihr nicht mehr nach Weinen zumute gewesen wäre. Schließlich war es Abendbrotzeit, und sie war hungrig. Sie ahnte, daß sie nichts zu essen bekäme.

Als Amy Lovecraft ihr folgte, sprach der Anführer zu Julian: »Verhalten Sie sich bitte ruhig. Ihre Männer sind in der Küche eingesperrt, Ihr Funkgerät ist kaputt, und Ihre Landrover haben wir außer Gefecht gesetzt. Ich halte mein Gewehr weiter auf Sie gerichtet. Versuchen Sie nicht, uns zu folgen.«

»Ihr seid keine Sambier«, sagte Julian kurz. »Wie seid ihr in den Park gekommen?«

»Das ist unsere Sache.«

Was sonst noch gesprochen wurde, sollte Mrs. Pollifax nicht erfahren. Einer der Männer zerrte sie hinter sich her, am Flußufer entlang und eine steile Anhöhe hinauf. Die Hände wurden ihr auf dem Rücken fest zusammengebunden, und dann stieß man sie in einen im Dunkeln geparkten Landrover. Auch Amy Lovecraft wurde hereingeschubst und landete neben ihr. Der Mann kletterte auf den Fahrersitz und ließ den Motor an. Bald hörte Mrs. Pollifax Schritte, unterdrücktes Lachen, und die beiden anderen Männer stiegen ebenfalls ein. »Schnell weg von hier«, sagte einer von ihnen. »Wir können Sikota nicht warten lassen.«

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