7

»Den mwamfuli... könnte ich tragen«, sagte Chanda, als Mrs. Pollifax sich nach dem Mittagessen anschickte, das Pontonboot zu besteigen. Sie hatte gerade antworten wollen, daß ein buntfarbiger Schirm für sie durchaus keine Last bedeute, als sie aber Chandas Gesichtsausdruck bemerkte, reichte sie ihn bereitwillig dem Jungen und zeigte ihm, wie er sich aufspannen ließ. Das Boot legte ab, sie saßen wiederum auf Holzkisten, nur der glücklich lächelnde Chanda machte die Überfahrt unter dem aufgespannten Sonnenschirm stehend am Bug.

Am anderen Ufer wurden sie von drei Landrovern erwartet. Mrs. Pollifax, die sich über das Verpflegungswesen einer Safari noch keine Gedanken gemacht hatte, sah zu, wie das ganze Gepäck in einen der Landrover verladen wurde. Dann folgten ein Sack Kartoffeln, ein dicker Sack voll grüner Bohnen, zwei Kästen Bier, und eine Kühlbox, die bis an den Rand mit gefrorenen Hühnchen und Steaks vollgestopft war.

»Sieht aus, als ob wir genug zu essen bekämen«, sagte Mr. Kleiber erfreut.

»Ja, nicht wahr?« meinte Mrs. Pollifax und nahm die besonders günstige Gelegenheit wahr, um von Mr. Kleiber eine Nahaufnahme zu machen.

»Meine Yoghurt-Mahlzeiten daheim kommen mir hier armselig vor«, meinte Lisa zu Dr. Henry, und Mrs. Pollifax schoß ein Foto von den beiden, wie sie in der Sonne saßen und einander anlächelten. Nicht zum erstenmal war Mrs. Pollifax dieses Lächeln aufgefallen, aber soviel sie wußte, hatten Lisa und Dr. Henry höchstens ein paar höfliche Floskeln gewechselt, und Lisa befand sich fast immer in der Gesellschaft von John Steeves, den sie offenbar völlig bezaubert hatte. Jetzt erwartete Mrs. Pollifax Tom Henrys Antwort auf Lisas Bemerkung. »Ja«, erwiderte er und sah sie an. Lisa lächelte, dann wandte sie sich ab.

»Hoffentlich knipsen Sie mich auch«, sagte Steeves.

»Oh, Sie vor allem«, antwortete Mrs. Pollifax und schämte sich gleichzeitig wegen der falschen Überschwenglichkeit, »weil meine Kinder hingerissen sein werden, daß ich mit einem berühmten Autor gereist bin.« Sie wußte, daß Cyrus Reed sie bei den Worten erstaunt beobachtete. Wirklich, dachte sie, Mr. Reeds Aufmerksamkeit ihr gegenüber konnte auf dieser Reise außerordentlich beschwerlich werden. In einer trotzigen Anwandlung richtete sie die Kamera auf ihn und knipste ihn auch. Sie vervollständigte ihre Sammlung mit einem Schnappschuß von Julian, der neben einem der Landrover stand. »Sie fahren mit mir«, sagte er und half ihr auf den Vordersitz. Ihr folgte sofort ein Wächter mit einem langen Gewehr. Es war derselbe Wächter, der ihnen gestern das Tor geöffnet hatte. Dann kamen John Steeves mit Lisa angeschlendert. Es folgten Mclntosh und Amy Lovecraft. Der Landrover, der ihr Gepäck transportierte, war schon losgefahren. Julian rief Crispin etwas zu, stieg dann ein und winkte. Kurz darauf waren sie unterwegs und überließen es den anderen, es sich im dritten Wagen bequem zu machen.

»Bekommen die auch einen Wachposten?« erkundigte sich Mrs. Pollifax.

»Ja natürlich.« Julian sah sie amüsiert an. »Sie glauben es immer noch nicht?«

Lisa beugte sich vor und sagte: »Na ja, es ist doch schließlich ein Park.«

»Ich habe gehört«, sagte Mrs. Lovecraft, »die Amerikaner sind daran gewöhnt, die Tiere zu füttern.«

Lachend schüttelte Julian den Kopf. »In der Regel ist es ungefährlich, solange man auf den Wegen bleibt und bei Tageslicht unterwegs ist. Vor drei Jahren jedoch ist ein Führer im Luangwa-Nationalpark genauso dahingefahren wie wir, als er von einem verwundeten Büffel angefallen wurde. Von dem Landrover ist nicht viel übriggeblieben, das kann ich Ihnen sagen, und wenn der Posten den Büffel nicht erschossen hätte, dann wäre von meinem Freund auch nicht viel übriggeblieben.«

»Ich verstehe«, sagte Mrs. Pollifax und blinzelte. »Was -hm - was machen Sie denn, wenn Sie hier draußen im Busch einen Unfall haben?«

»Oh, wir haben Marconis«, erklärte er, während er gewandt um ein Loch herumkurvte. »Und in Chunga gibt es eine Erste-Hilfe-Station.«

»Marconis?«

»Funk. Erst heute morgen haben Gäste ihn benutzt. Sie haben doch eine Nachricht nach Lusaka geschickt, nicht wahr, Mrs. Lovecraft?«

»Ja«, sagte sie kurz.

»Ich auch«, teilte Mr. Mclntosh freiwillig mit.

»Und bei einem ernsten Unfall kommt ein >Fliegender Doktor<, aber da wir ja Dr. Henry bei uns haben...«

»Nyalugwe«, sagte der Wachposten scharf, und Julian bremste.

»Er sagt Leopard.« Julian brachte den Landrover zum Stehen. Nichts war zu hören, außer den Geräuschen, die Mr. Mclntosh und Amy Lovecraft verursachten, als sie ihre Kameras herausholten und schußbereit machten. Mrs. Pollifax hielt ihren Apparat schon auf dem Schoß.

»Dort«, sagte er und deutete auf einen kleinen Hügel. Sie sahen den Leoparden vor dem Dickicht stehen, der mit seinem gefleckten Fell vor dem Buschwerk kaum zu erkennen war. Eine Sekunde lang sah er die Gruppe an, dann hob er den prächtigen Kopf und schritt davon.

»Wie schön«, flüsterte Lisa. »Wie kann nur ein Mensch diese herrliche Kreatur in einen Pelzmantel verwandeln?«

»Dem Himmel sei Dank, daß es Reservate gibt«, sagte Mrs. Pollifax. »Haben Sie seine Augen gesehen, haben Sie die Muskeln gesehen, als er sich bewegte?«

»Prächtiges Exemplar«, meinte Steeves. »Panther hab ich schon gesehen, aber einen Leoparden in Freiheit noch nicht.«

»Ich glaub', ich hab' ihn auf meinem Film«, berichtete Mr. Mclntosh mit hörbarer Befriedigung.

»Ich auch«, sagte Amy Lovecraft. »Wie aufregend.«

»Ich hab' ihn leider verpaßt«, sagte Mrs. Pollifax betrübt. »Ich hab' ihn zu lange betrachtet.«

Die staubige, schattenlose Straße zwang sie zum Langsamfahren. Vor ihnen setzte sich eine Schar schwarzer Hühner in Trab. »Perlhühner«, sagte Julian und hupte. Dies veranlaßte die Tiere lediglich, ihre Gangart etwas mehr zu beschleunigen. Doch erst ein zweites Hupen scheuchte sie vom Wege. Der Landrover hielt nicht mehr, und je unebener der Weg wurde, um so wärmer wurde es im Innern des Wagens. Der Wachmann auf dem Rücksitz schlug unentwegt nach den Tse-Tse-Fliegen, niemand sprach. Sie kamen an einem Wegweiser vorbei, auf dem >Kafwala, 11 km< stand und bogen dann in einen weiteren Feldweg ein. Er war mit Elefantenkot bedeckt, und der Landrover ratterte bedenklich, denn der Weg war voller Löcher, die die Elefanten bei ihrem Durchzug während der Regenzeit hinterlassen hatten. Die Gegend war jetzt dicht bewaldet. Es standen Bäume zu beiden Seiten des Weges.

Es war fast drei Uhr, als sie Kafwala erreichten. Sie fuhren an einigen Männern vorbei, die um ein Feuer lagen. Sie sahen einem Mann zu, der mit einem uralten Bügeleisen auf einem Holzbrett Wäsche bügelte. Der Landrover hielt auf einem grasbewachsenen, von Zelten und strohgedeckten Zementhütten umstandenen Grundstück. Unmittelbar vor ihnen befand sich ein langgestrecktes -weißes Gebäude mit einem Bogengang in der Mitte. Dahinter fiel das Gelände steil zum Fluß ab. Sobald Julian den Motor abgestellt hatte, vernahm Mrs. Pollifax das Geräusch des Kafwala, der ein starkes Gefälle und eine reißende Strömung hatte.

»Wir sind in Kafwala«, verkündete Julian und sprang aus dem Landrover. »Hier bleiben wir zwei Tage und beobachten Tiere, ehe wir zum nördlich gelegenen Dorf Moshi fahren.«

»Es sieht hier richtig wie in einem Feldlager aus«, stellte Lisa zufrieden fest. Sie drehte sich nach Mrs. Pollifax um und reichte ihr die Hand. »Können Sie noch gehen? Ich fühle mich an allen Gliedern wie zerschlagen. Julian sagt, hier gäbe es eine Badewanne, können Sie sich das vorstellen? Wie in aller Welt mögen sie im Busch ein Bad installiert haben?«

»Sie erhitzen das Wasser in einem sogenannten rhodesischen Ofen«, sagte Mrs. Lovecraft und kletterte aus dem Wagen. »In dem riesigen quadratischen Block da drüben befindet sich ein Behälter mit Wasser. Darunter wird ein Feuer angemacht, und durch die Röhren fließt das Wasser in die Badewanne.«

»Verdammt erfinderisch«, murmelte Mclntosh. »Das muß ich mir ansehen.«

»Aber woher wissen Sie so etwas?« fragte Lisa.

»Meine Liebe«, sagte Amy mit ihrer leicht affektierten Stimme. »Ich bin das, was man eine Kolonistin nennt. Ich habe mein ganzes Leben in Afrika verbracht. Im Sudan, in Südafrika, in Sambia und Kenia.«

Interessiert sah Mrs. Pollifax sie an. Das erklärte, warum sie wie eine Britin wirkte, ohne tatsächlich Engländerin zu sein. »Militär?«

»Mein Vater, ja. Mein Mann nicht. Wir hatten eine Tabakfarm. Er ist tot.«

»Das tut mir leid.«

»Leid, ja nun«, sagte Mrs. Lovecraft, und ein bitterer Zug überflog ihr Gesicht. »Aber Sie sind ja auch Witwe, nicht wahr?« Sie wandte sich ab und lächelte Mr. Mclntosh zu. »Ich hätte nichts gegen einen Drink, Kinderchen, wie war's?«

Der Landrover mit ihrem Gepäck kam ins Lager gerumpelt, und die Sambier versammelten sich lachend um ihn herum. Julian winkte und wandte sich dann an Mrs. Pollifax. »Ich möchte Ihnen Ihr Zimmer zeigen«, sagte er und führte sie zu einem Arkadenhof innerhalb des langgestreckten Gebäudes. »Hier«, sagte er, und deutete auf ihre Tür. Dann öffnete er die Tür gegenüber und machte Lisa ein Zeichen. »Sie und Ihr Vater wohnen hier, Mrs. Pollifax gegenüber. Tee um vier Uhr, meine Damen.« Damit eilte er davon, um die anderen einzuteilen.

Mrs. Pollifax hatte ihre Zimmertür geöffnet, an der sich weder Schloß noch Riegel befand. Drinnen bemerkte sie die üblichen mit Netz überspannten Betten mit jeweils einem Nachttopf darunter, einen Nachttisch mit einer Kerze und - herrlicher als alles andere -Milchglasfenster und dicke, weiße Wände. Hier würde es nachts nicht rascheln.

»Ein bißchen dunkel, aber gemütlich«, meinte Lisa und sah ihr über die Schulter. »Ob Sie wohl eine Zimmergenossin kriegen?«

»Da käme allerdings nur Mrs. Lovecraft in Frage«, erklärte Mrs. Polüfax.

Die beiden wechselten einen Blick, und Lisa lachte. »Sie ist ziemlich schrecklich, nicht wahr? All der Schmuck und die Pseudo-Weiblichkeit, aber unter dem ganzen Gepluster beginne ich die eiserne Hand im Samthandschuh zu spüren. Mein Vater hatte die Unverfrorenheit, mir zu sagen, ich würde so wie sie, wenn ich mich nicht vorsähe.«

»Das ist ganz und gar unmöglich«, sagte Mrs. Pollifax.

Lisa lachte. »Das sagen Sie, weil Sie mich früher nicht gekannt haben. Ich bin für Dad eine ganz schöne Heimsuchung gewesen, muß ich gestehen. Er ist ein Schatz, und er sorgt sich sehr. Der Himmel weiß, daß ich ihm Anlaß genug dazu gegeben habe. Ich kannte einmal einen Mann, wissen Sie, und ehe er sich aus dem Staube machte, dachte ich, er könnte alle meine Probleme lösen.«

»Was natürlich kein Mann kann«, bemerkte Mrs. Pollifax.

Lisa nickte. »Ja, jetzt sehe ich das ein, aber lange Zeit habe ich mir selbst die Schuld dafür gegeben. Ich fühlte mich so, so wenig liebenswert, verstehen Sie? So verfiel ich ins andere Extrem und unterdrückte jedes Gefühl. Aber das war natürlich auch lächerlich. Ich habe daraus gelernt, mich anzunehmen und zu mögen. Jetzt freue ich mich darüber.« Sie hielt inne und lächelte Mrs. Pollifax an. »Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle. Vermutlich, weil ich platze, wenn ich es nicht jemandem sage, und Sie wirken so... so menschlich - Afrika übt eine höchst bestürzende Wirkung auf mich aus. Seit wir hier sind, habe ich nachts die seltsamsten Träume, und ich sehe das Leben und mich selbst unter völlig neuen Gesichtspunkten. Dies Land führt mich zu etwas zurück, was ich verloren hatte. Es löst meine Fesseln. Finden Sie das beängstigend?«

»Nein«, sagte Mrs. Pollifax und lächelte nachdenklich. »Nein, weil ich gerade lange genug hier bin, um zu verstehen, was Sie meinen. Man lebt hier wie in einer andern Zeit. Alles ist neu. Und doch ist es zugleich sehr alt.« Lachend hielt sie inne. »Ich kann's offenbar nicht richtig ausdrücken.«

»Kann man auch nicht«, stimmte Lisa eifrig zu, und sie begannen unter den mächtigen alten Bäumen zum Fluß hinunterzugehen. »Keine wichtigen Bewegungen. Und doch, wissen Sie, unter der Oberfläche scheint eine Menge vor sich zu gehen«, fuhr Lisa fort. »Gestern, als ich nach Lusaka zurückfuhr, habe ich etwas richtig Unheimliches erlebt. Ich brachte eine Frau und ihr Kind zu ihrem Dorf, etwa eineinhalb Kilometer abseits der Fahrstraße, aber hinterher muß ich die falsche Abbiegung genommen haben, denn ich hatte mich total verfahren. Ich fuhr und fuhr«, sagte sie mit einem Schauder, »bis ich an eine Straßensperre kam, und - es war erschreckend - ich war plötzlich von Soldaten umgeben oder Polizisten, alle mit Gewehren.«

»Gütiger Himmel«, sagte Mrs. Pollifax verblüfft.

Lisa nickte. »Es waren ungefähr zwanzig Mann. Sie waren schrecklich nett, aber sie kontrollierten alles, meinen Paß, mein Gepäck. Sie verhörten mich fast eine Stunde lang, warum ich diesen Weg genommen hätte, wie lange ich in Sambia bliebe, wo ich hin wolle, und vor allem, warum ich nach Sambia gekommen sei.«

»Wo ist das passiert?« fragte Mrs. Pollifax.

Lisa dachte nach: »Irgendwo unten in der Kafue-Ebene. Jedenfalls sagt das die Karte.«

»Der Fahrer, der uns nach Chunga brachte«, bemerkte Mrs. Pollifax, »sprach von rhodesischen Spionen, die nach Sambia eingeschleust werden.«

»Kann sein«, meinte Lisa. »Es gab Guerilla-Überfälle die ganze rhodesische Grenze entlang - daß die Afrikaner das Land Simbabwe nennen, wissen Sie - und tief im Innern des Landes auch. Das waren keine Sambier, sondern Partisanen, die Sambia durchzogen, und vermutlich senden auch die Rhodesier Leute in dieses Land. Wenn ich an der Grenze eines Landes mit Rassentrennung leben würde, dann würde ich vermutlich auch nicht ruhig zusehen. Ich finde es einfach entsetzlich ungerecht, daß eine Minderheit von 250.000 Weißen die absolute Macht über sechs Millionen Eingeborene besitzen und sie ausbeutet. Schließlich ist es ja ihr Land.«

»Im allgemeinen«, sagte Mrs. Pollifax milde, »scheint heutzutage die Goldene Regel die letzte zu sein, an die man sich erinnert.« Sie hatten das Ufer erreicht, und Mrs. Pollifax dachte, wie unangemessen es doch war, bei einem solchen Anblick von Gewalt zu sprechen. Zu ihrer Linken schoß das Wasser über riesige, urzeitliche Felsblöcke hinab, sprühte Schaum und klang in seinem stürmischen Fall einfach atemberaubend. Jenseits der Felsen floß es ruhig um eine Insel herum. Dann setzte es seinen Weg fort nach Chunga und noch weiter. Mehrere Stühle waren nah am Ufer aufgestellt, andere standen in einem Kreis um die leere Feuerstelle herum. »Rhodesien ist sehr nah«, sagte Mrs. Pollifax, und ließ sich auf einem der Stühle nieder, »und Sambia war doch Nord-Rhodesien, nicht wahr?«

»O ja«, antwortete Lisa, »aber wenn Sie nicht in Livingstone waren, wissen Sie nicht, wie nah. Die Victoriafälle liegen zur Hälfte in Rhodesien. Ich hab' von Livingstone aus eine Bootsfahrt gemacht, und da war das eine Ufer des Sambesi sambisch und das andere rhodesisch. Der Führer erzählte uns, wir würden die ganze Zeit beobachtet, weil der Fluß die einzige Grenze ist, und die Leute ihn bei Nacht überqueren. Tatsächlich... « Sie hielt inne, weil oben vom Hang her eine Stimme nach ihnen rief. Der dritte Landrover war angekommen, und John Steeves kam heruntergestiegen, ihm folgten Amy Lovecraft, Dr. Henry und, sehr zimperlich, Willem

Kleiber. Dann erschien unter einem regenbogenfarbenen Schirm Chanda. Einen Augenblick später stiegen Cyrus Reed und Mclntosh herunter, und mit ihnen ein junger Mann in einem weißen Leinenjackett, der ein Tablett mit Gläsern trug.

Dr. Henry setzte sich neben Lisa und lächelte sie an. »Wir haben einen Wasserbüffel gesehen, eine Anzahl Pukus und eine paar Impalas.«

»Und wir haben einen Leoparden gesehen«, berichtete sie.

»Und wenn Sie ganz schnell in die Palmen da links von Ihnen schauen, dann können Sie Ihrer Liste einen Affen hinzufügen«, sagte John Steeves und setzte sich auf ihre andere Seite.

»Kümmern Sie sich nicht um den Affen«, sagte Mrs. Lovecraft geringschätzig. »Mrs. Pollifax, Julian hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, daß es heißes Wasser gibt, und Sie dürfen es als erste genießen.«

»Ich soll die erste sein?« fragte Mrs. Pollifax. »Ich weiß nur nicht, wo das Bad ist.«

»Ich weiß, wo bafa ist«, sagte Chanda eifrig. »Ich zeigen Ihnen.«

»Gut, dann nichts wie los.« Chanda beachtete den Pfad nicht und sprang von Fels zu Fels. Zum erstenmal bemerkte Mrs. Pollifax die lange Narbe, die sich vom Knöchel bis zur Hüfte zog. Sie erinnerte sich, daß Dr. Henry gesagt hatte, er sei beinah tot gewesen, als man ihn ins Krankenhaus gebracht habe, und sie fragte sich, wie viele Narben er sonst noch haben mochte. Oben auf dem Hügel erwartete er sie mit strahlenden Augen.

»Ich laufen schnell wie Affe«, sagte er grinsend.

»Wahrhaftig.« Während sie versuchte, wieder zu Atem zu kommen, bemerkte sie einen kleinen, gelbbraunen Beutel, der an einer Schnur um seinen Hals hing. »Was ist das, Chanda?« fragte sie und deutete darauf.

Er schaute herab, stopfte den Beutel unter sein Hemd und sah sie nachdenklich an. »Cuma«, sagte er vorsichtig. Dann lachte er plötzlich wieder über das ganze Gesicht. »Möchten Sie sehen? Es ist mein Schatz.«

»Sehr gern, ist es geheim?«

»Sehr geheim«, antwortete er und war offensichtlich dankbar, daß sie die Tür zu ihrem Zimmer öffnete und ihm bedeutete einzutreten. Er nahm den Beutel vom Hals und leerte den Inhalt auf dem Bett aus.

Über das, was zum Vorschein kam, war Mrs. Pollifax ebenso gerührt wie amüsiert, weil ihr ähnliche Sammlungen ihres Sohnes Roger einfielen, als er im selben Alter war. Nur daß Rogers Schätze nicht den Wert hatten wie Chandas Sammlung hier im Busch. Die Gesellschaft war eine andere.

»Aus Cifulo«, erklärte Chanda und deutete auf einen Ort außerhalb ihrer Hütte. »Mushi, meine Heimat.«

»Meinst du, ehe du zu Dr. Henry kamst?«

»Davor«, erklärte er und deutete sachlich auf sein vernarbtes Bein. Er nahm die Gegenstände seiner Sammlung in die Hand und erklärte sie ihr. »Munga - Dorn.«

»Munga«, wiederholte sie und nickte.

»Bulobo - Fischhaken. Mwele - Messer.« Mwando war ein Knäuel Bindfaden, lino war ein Zahn. »Und cibiliti«, schloß er und hielt zwei Zündhölzer hoch.

»Und eine Schlange«, sagte sie und deutete auf ein Streifchen getrockneter Haut.

Er nickte. »Nsoka. Hat mein Vater mir gegeben. Er war Jäger, sehr großer Mann. Er spürte Wild auf. Er mich lehrt. Ich bin auch Jäger.«

»Dann willst du auch Jäger werden?«

»Ich schon Jäger.« Er lachte sie an. »Sehr guter.« Sie sah schweigend zu, wie er seine Schätze wieder im Beutel verstaute, jedes Stück liebevoll berührend.

Als er aufstand, sagte sie ruhig: »Ich danke dir, Chanda.«

»Sie jetzt Nunandi«, sagte er. »Freund. Sie und Dr. Henry. Und jetzt Sie haben Bad. Ich zeige Ihnen.«

Zehn Minuten später saß Mrs. Pollifax in einer kleinen, strohgedeckten Hütte in einem Zuber mit warmem Wasser, summte zufrieden vor sich hin und fand, daß es ihr auf dieser Safari sehr gut ging und daß sie ein paar gute Fotos gemacht hatte. Zwanzig Minuten später kehrte sie in ihr Zimmer zurück und setzte sich aufs Bett, um weitere Pläne zu machen. Gestern hatte sie ihren ersten Film abgeknipst. Er lag jetzt wohlverwahrt in ihrem Koffer. Heute morgen hatte sie den zweiten angefangen. Blieben noch vier neue Filme, was - sie rechnete kurz nach - dreiundneunzig weitere Schnappschüsse bedeutete, die sie z. T. für Tier- und Landschaftsaufnahmen verwenden würde. Sie hatte von jedem ihrer

Reisegefährten mindestens schon ein Foto gemacht, und das gefiel ihr sehr. Einige der Bilder mochten nichts geworden sein, natürlich, aber es war ein guter Anfang, und von morgen ab konnte sie sich etwas entspannen und mehr Gelegenheitsaufnahmen machen. Zufrieden berührte sie die vier Schachteln mit den noch unbenutzten Filmen in ihrem Koffer. Ihre Hand glitt in die Tasche ihrer zusammengelegten Buschjacke, um nach dem Film zu spüren, den sie dorthin gesteckt hatte. Der Film war nicht da.

Sprachlos nahm Mrs. Pollifax die Jacke heraus, drehte sämtliche Taschen nach außen, warf sie auf das Bett und wühlte ihren Koffer durch. Sie kroch unter das Bett. Dann durchsuchte sie ihre Handtasche. Völlig außer sich, kippte sie den Inhalt ihres Koffers auf das Bett und begann eine wilde Suchaktion. Kein Film. Ruhe bewahren, ermahnte sie sich und setzte sich aufs Bett mitten zwischen helle Pullover, Gesichtscremes, Hosen und Pantoffeln. Heute mittag hatte sie den Film in Chunga eingepackt und den Koffer abgeschlossen. Ein paar Minuten später, als der Junge gekommen war, um den Koffer abzuholen, hatte sie ihn noch einmal aufgeschlossen, um ihre Zahnbürste hineinzulegen. Doch da war der Film noch vorhanden gewesen. Sie sah ihn vor sich, wie er sich in der Tasche ihrer zusammengefalteten Buschjacke abgezeichnet hatte. Der Film war in ihrem Koffer eingeschlossen gewesen, als der Koffer Chunga verließ, und ihr Koffer war verschlossen gewesen, als sie ihn vor einer halben Stunde geöffnet hatte, um ein Stück Seife herauszunehmen. Sie hatte blindlings hineingegriffen, weil sie wußte, wo die Seife lag. Aber dazu hatte sie den Koffer aufschließen müssen, und das Schloß war nicht beschädigt gewesen. Verloren hatte sie den Film also nicht, dachte sie grimmig. Jemand mußte ihn gestohlen haben, während sie gebadet hatte.

Sie saß reglos da, bis sie den Schock überwunden hatte. Die weiteren Überlegungen verursachten ihr einen leichten Schwindel. Wie schrecklich arrogant sie gewesen war, einfach herumzugehen und ganz öffentlich ihre Schnappschüsse zu machen, während die ganze Zeit über irgend jemand auf dieser Safari nicht fotografiert werden wollte. Diese Person hatte sie so viele Schnappschüsse machen lassen, wie sie wollte, und ihr dann heimlich den Film weggenommen. Sie war auf ihren Platz verwiesen worden.

Ein Punkt für Aristoteles.

Unverschämt natürlich, aber auch einfach... ein leerer Raum, der sich nur durch einen Riegel von innen verschließen ließ, ihr geöffneter Koffer und sie in der Badewanne.

Zorn stieg in ihr hoch und besiegte ihren Schrecken. Nun hatte sich ihr unbekannter Gegner gezeigt. Er war auf der Hut. Sie durfte annehmen, daß ihr Einbrecher nichts über sie wußte, außer daß sie gern Personen mit entsprechender Kulisse aufnahm. Aber sie wußte jetzt, daß ihr Gegner auf Draht war. Er hatte gleich zugeschlagen, weil er damit rechnete, daß sie eine ängstliche, törichte Frau war. Er täte gut daran, beim nächsten Mal einen Ersatzfilm zurückzulassen, weil es selbst törichten Frauen auffiel, wenn allzu viele Filme verschwanden.

Nun hatte sie zwanzig Bilder verloren, und wenn es ihr nicht gelang, ihren Dieb zu überlisten, dann konnte es geschehen, daß sie alle Filme verlieren würde. Im Augenblick hatte sie nur die sechs oder sieben Aufnahmen, die sich noch in der Kamera befanden... oder hatte man sich mit denen auch beschäftigt? Der Apparat zeigte noch sieben Aufnahmen an. Um aber sicherzugehen, nahm sie den Film heraus, legte einen neuen ein und steckte die nicht abgeknipste Rolle in ihre Handtasche. Die noch nicht benutzten Packungen verbarg sie: eine in ihrer Einkaufstasche, eine in einem Turnschuh, die letzte in ihrer Handtasche.

Trotzig beschloß sie, ihre Knipserei mit einer Begeisterung fortzusetzen, die ihren Gegner bestimmt ärgern würde. Aber es war auch an der Zeit, sich mit ihrer Ansteckkamera zu beschäftigen. Sie hatte sie an ihrer Kleidung getragen, seitdem sie im Safaridorf war, und inzwischen mußten sich ihre Reisegefährten daran gewöhnt haben, sie an ihr zu sehen. Auch wenn sie zu sportlichen Kleidern nicht gut paßte. Sie würde sie stur weitertragen.

Noch erschüttert von ihrer Entdeckung, packte sie ihren Koffer von neuem und schloß ihn ab. Als sie ihr Zimmer verließ, öffnete gerade Cyrus Reed seine Tür. Er schien ehrlich erstaunt. »Hier wohnen Sie?« fragte er. »Gut, dann sind wir Nachbarn.«

Selbst für den Fall, daß er den Film gestohlen hatte, hielt sie es für klug, ihre Entdeckung zu erwähnen. »Falls Sie unten am Fluß waren, könnten Sie mir vielleicht sagen, wer die Gruppe verlassen hat, um hier herauf- und an meinem Zimmer vorbeizugehen?«

Reed hob die Augenbrauen. »Etwas abhanden gekommen?«

»Während ich gebadet habe. Aber ich möchte keine Aufregung verursachen.«

»Sehr vernünftig. Und Sie möchten wissen, wer die Gesellschaft verlassen hat... So ziemlich jeder, muß ich sagen. Sogar ich. Hab' mir Bier über meine Hose geschüttet und ging rauf, um mich umzuziehen. Begegnete Steeves, der heraufkam, als ich nach unten ging. Mclntosh verließ uns, um ein Schläfchen zu machen. Kleiber kam herauf, um eine Karte zu holen und irgendeinen Punkt zu klären, Lisa holte sich einen Pullover. Die beiden einzigen, die am Fluß blieben, waren Mrs. Lovecraft und Dr. Henry. Nichts allzu Wertvolles, hoffe ich?«

»Doch, für mich schon.«

»Das hör' ich nicht gern. Sie haben gründlich gesucht? Aber natürlich haben Sie das.« Er legte die Betonung schmeichelnd auf Sie.

Sie ging ein paar Schritte auf den Pfad zu. »Eine sehr brauchbare Liste, Mr. Reed. Ich danke Ihnen.«

»Nicht Mr. Reed«, sagte er bestimmt. »Nennen Sie mich Cyrus.«

»Oh.« Nach kurzem Zögern nickte sie. »Und ich heiße Emily.« Als sie zum Ufer hinunterstieg, merkte sie, daß sie sich wohler fühlte und sogar lächelte. Ein einfältiges Lächeln vermutlich, aber immerhin ein Lächeln.

Gegen halb sieben saßen alle unten am Fluß um ein prasselndes Feuer. Es war die einzige Beleuchtung außer einer an einem Pfahl aufgehängten Laterne. Sie saßen im Kreis, und die Dunkelheit ringsum hatte sie enger zusammenrücken lassen oder auch das Gefühl ihrer Winzigkeit angesichts der mächtigen Bäume und des rauschenden Flusses. Sie saßen, plauderten und tranken Bier. Nur zwei Menschen waren beschäftigt: zum einen der ernste junge Mann im weißen Jackett. Er kam mit Besteck, Tischtüchern und Tellern den Berg hinunter, ging dann wieder nach oben, um mit Tassen, Untertassen, weiterem Bier und Gläsern zurückzukehren. Zum anderen Mrs. Pollifax, die ein Blitzlicht an ihrer Kamera befestigt hatte, kniete, hockte, stand, saß und eine Aufnahme nach der anderen machte.

»Warum machen Sie sich die Mühe«, fragte Mr. Kleiber neugierig, »wenn Sie nicht einmal eine gute deutsche Kamera haben wie Mr. Mclntosh oder Mrs. Lovecraft?«

»Oh, diese Kamera ist für einen Amateur gerade richtig. Ich mache ja bloß Aufnahmen für meine Kinder«, sagte sie. »Die werden begeistert sein, und natürlich wollen meine Enkelkinder die Tiere sehen. Ich versuche immer, einen richtigen Hintergrund drauf zu bekommen, damit sie es auch miterleben können.«

»Und zeigen Sie auch Dias?« fragte Cyrus Reed trocken.

Sie warf ihm einen Blick zu und sagte, ohne mit der Wimper zu zucken: »Natürlich.« Dabei haßte sie Dias.

»Unglaublich«, sagte er und starrte sie an.

Und voller Begeisterung fuhr sie fort: »Nach dem Abendessen bringe ich Bilder von meinen Enkelkindern mit. Es sind ganz reizende Kinder.«

»Wirklich?« fragte Amy Lovecraft kalt.

Der junge Kellner war soeben mit einem großen Tablett erschienen. Ihn begleiteten zwei junge Männer, die dampfende Schüsseln trugen. Er verkündete, daß das Abendessen aufgetragen sei. Sofort sprang Mrs. Pollifax auf und trat als erste an den Tisch. Sie war nicht überrascht, feststellen zu müssen, daß sie nach ihrer Ankündigung von Enkelfotos eine >Art Ausgestoßene< geworden war. Mr. Kleiber wählte einen Platz, der von ihrem weit entfernt war, und Mrs. Lovecraft, die bisher kein wirkliches Interesse an Mr. Kleiber gezeigt hatte, setzte sich neben ihn. Lisa wählte einen neutraleren Platz, und Steeves begleitete sie wie gewöhnlich. Tom Henry saß nicht weit von Lisa entfernt, und Mclntosh, rätselhaft lächelnd, setzte sich neben Julian.

Nur Chanda und Cyrus Reed schien es nicht zu stören. Chanda hockte sich mit gekreuzten Beinen neben Mrs. Pollifax auf den Boden und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Ich sitze hier. Sie nunandi.«

»Verdammt unpraktisch, auf den Knien zu essen«, meuterte Reed.

»Versuchen Sie's auf einer Ecke dieses kleinen Tisches«, riet Mrs. Pollifax. »Schließlich bedeutet Safari kampieren.«

»Touche«, sagte er lachend. »Danke. Unglaublich gutes Essen. Weiß gar nicht, wie sie hier draußen ohne jede Elektrizität so erstklassig kochen können.«

»Es gibt großen Holzofen«, erklärte Chanda eifrig, »und sehr feiner Koch. Julian nennt ihn einen Chef.«

»Darum also«, sagte Reed. »Hab' dich da oben rumschnüffeln sehen. Spricht hier noch jemand Bemba?«

»Cimo«, sagte Chanda und streckte einen Finger. »Gutes Leben hier im Park. Ich vielleicht nicht Jäger.«

»Tom sagt, daß du ein verdammt guter Jäger bist und ein Spurensucher, obwohl du erst zwölf Jahre alt bist«, erklärte Reed, indem er geschickt ein Stück Steak aufspießte. »Sagte, du seist weggegangen, um zu sehen, was von deinem alten Dorf an der angolanischen Grenze noch übriggeblieben ist, und daß du fünfzig Meilen allein durch den Busch gewandert seist.«

Chandas Lächeln vertiefte sich. »Ja, das. Er erzählt Ihnen von den Löwen?«

»Löwen!« rief Mrs. Pollifax aus.

»Drei«, sagte Reed und nickte. »Aber woher hast du gewußt, daß sie dir folgen, Chanda?«

»Weil...« Chanda zögerte. »Ich weiß nicht Wort für cula.«

»Frösche, Chanda«, rief Julian, der ein paar Stühle entfernt saß.

»Ach ja. Ich sie hören, wissen Sie. Sie machen Froschlärm, und dann kreuze ich kamana... «

»Bach«, rief Tom Henry.

»Ja, Bach. Und Frösche reden sehr laut miteinander. Ich gehe weiter, und dann -«er hob die Hand und machte eine dramatische Geste »- kula sind still. So ich schaue nach hohem Baum hinaufzuklettern, weil es dunkel wird, wie jetzt, und ich weiß, daß jemand mir folgt, sonst würden Frösche weiter Lärm machen.«

»Gütiger Himmel«, sagte Lisa. Alle hörten jetzt zu.

»Drei Löwen wollen auf Baum klettern, mir nach, aber ich bin zu hoch. Ich sitze ganze Nacht, daß sie weggehn sollen.«

»Und das taten sie wohl schließlich«, sagte Steeves.

»Aber erst am Morgen«, warf Tom Henry ein.

»Ja, ich vom Baum klettern, aber nicht kann gehen. Mwendo geworden wie Baum.«

»Er meint, seine Beine waren gefühllos geworden, weil das Blut nicht mehr zirkulierte«, erklärte Tom. »Seine Beine waren geworden wie ein Baum.«

Chanda nickte. »So ich suche Zweige und trockenes Gras, und nach langem Reiben von Zweigen mache Feuer. Ist sehr schwer. Viele Stunden ich sitze am Feuer, um warm zu werden, und dann gehe ich.«

»Kann mir nicht vorstellen, daß ein amerikanischer Zwölfjähriger so etwas schafft«, sagte Reed.

»Immerhin ist Afrika eine Spur gastlicher als die Mongolei«, warf Steeves ein. »Da gibt es Panther und Tiger und, obwohl die Sonne an dreihundert Tagen im Jahr scheint, schreckliche Winde und furchtbare Abkühlung durch den Wind.«

»Tiger haben wir nicht«, sagte Julian, »aber morgen suchen wir nach Löwen für Sie.«

»Oh, hoffentlich bekommen wir einen zu sehen«, rief Lisa eifrig.

»Um wieviel Uhr brechen wir auf?« erkundigte sich Mrs. Pollifax.

»Gleich nach dem Frühstück, gegen halb acht.«

»Früh«, sagte Amy Lovecraft und zog ein Gesicht.

Der Kellner hatte ein neues Tablett gebracht und setzte es auf den Tisch. Er verbeugte sich mit ernstem Gesicht und erklärte: »Der Pudding ist serviert, meine Damen und Herren.«

Nach dem Essen erinnerte Tom Henry Chanda daran, ans Schlafengehen zu denken. Als der Junge aufstand, hatte Mrs. Pollifax plötzlich einen tollen Einfall. Auch sie erhob sich. »Ich gehe mit Chanda nach oben«, sagte sie. »Es ist so dunkel, daß ich es nicht über mich bringe, allein zu gehen, und weil wir doch schon um sieben frühstücken... «

»Wie, keine Fotos von den Enkelkindern?« fragte Reed boshaft.

»Ich hab' noch Schlaf nachzuholen«, sagte sie, ohne ihn zu beachten, und ergriff ihre Handtasche. »Gute Nacht!«

Ein Chor von Gutenachtwünschen begleitete sie, als sie die Kunde am Feuer verließ. Außerhalb des Lichtscheins war es stockdunkel; Chanda nahm sie bei der Hand und führte sie. Kiesel knirschten unter ihren Schritten, und das Geräusch des rauschenden Flusses schläferte ein. Vom Haus aus schaute Mrs. Pollifax zur Feuerstelle zurück und zählte die Gruppe. Alle waren da. »Chanda«, fragte sie, »ob du mir wohl etwas in deinem Geheimbeutel aufbewahren würdest?« Er starrte sie an.

»Es ist etwas Wichtiges und ganz klein. Nur bis zum Ende der Safari«, fügte sie schnell hinzu. Sie öffnete ihre Kamera und nahm den Film heraus. Als sie ihn Chanda hinhielt, bewegte er sich nicht. Er blickte durch sie hindurch, und es schien, als sähe er etwas, was sie nicht sehen konnte. Dann lächelte er sie plötzlich an.

»Ja, Geheimnis«, sagte er und steckte den Film in seinen Beutel.

Sie merkte, daß sie den Atem angehalten hatte. Jetzt war sie erleichtert. »Du bist ein richtiger Freund, Chanda.«

»Aber natürlich - nunandi«, sagte er lachend und rannte davon.

Nachdenklich schaute sie ihm nach. Hoffentlich verstand er sie. Zumindest hatte sie diesen Film gerettet. Sie wandte sich um und wollte in ihr Zimmer gehen, da sah sie im Bogengang Cyrus Reed stehen, der sie beobachtet hatte.

»Oh, haben Sie mich erschreckt.« Sie fragte sich, wie lange er wohl dagestanden hatte und was er gesehen haben könnte.

Er reichte ihr ihre Sonnenbrille und den Schirm. »Das haben Sie liegengelassen. Haben Sie etwas gegen einen Spaziergang um das Lager, ehe wir hineingehen?«

Sie zögerte. »Ein bißchen Bewegung könnte nicht schaden«, gab sie zu.

»Gut. Prächtiger Anblick des Orion und der Plejaden, wenn wir aus der Reichweite des Lagerfeuers herauskommen. Langweilig da unten, nachdem Sie gegangen waren. Muß immer wieder feststellen, daß Mrs. Lovecraft durch die Nase spricht und Mr. Kleiber schnaubt, Steeves redet unentwegt über die Mongolei. Wir sind doch schließlich hier in Afrika.«

Sie lachte. »Sie Ärmster.«

»Durchaus nicht«, sagte er liebenswürdig und nahm ihren Arm. »Hab' nur beschlossen, mir bessere Gesellschaft zu suchen.«

»Übrigens finde ich, daß Ihre Tochter Lisa ein Schatz ist.«

»Finden Sie auch? Scheint jetzt aufzutauen.«

»Und Sie, sind Sie wirklich Richter?«

Er holte seine Taschenlampe heraus, knipste sie an und nickte. »Ein phungu, wie Julian mich nennt. Das Nyanja-Wort für Richter.«

»Phungu«, wiederholte sie. »Welche Art phungu waren Sie? Hatten Sie Hunderte von aufregenden Fällen?«

»Nur Routine, außer dem Fall Rambeau gegen Jenkins.«

Mrs. Pollifax blieb wie angewurzelt stehen. »Oh, glauben Sie, daß sie ihn umgebracht hat?«

Er hatte zum Himmel geschaut. Jetzt wandte er sich ihr zu und lächelte. »Das weiß Gott allein, meine Liebe.«

»Aber Sie waren dabei. Sie führten den Vorsitz.«

»Na ja - das ist der übliche Trugschluß«, sagte er. »Wir Phungus richten nie über Schuld oder Unschuld, wir richten über Tatsachen. Das Gesetz ist kalt und unpersönlich. Muß so sein.«

»Aber Sie sind es nicht«, sagte sie empört.

Beim Schein des Lagerfeuers konnte sie erkennen, daß er lächelte. »Erzählen Sie das niemandem, meine Liebe.« Er blieb stehen: »Sie >meine Liebe< zu nennen, fällt mir nicht schwer.«

»Na ja, ich jedenfalls halte Nina Rambeau für unschuldig«, sagte sie und hoffte, er würde nicht bemerken, daß sie errötete. Es lag schon weit zurück, daß sie jemand meine Liebe genannnnt hatte. »Haben Sie den Orion schon gefunden?«

Er schüttelte den Kopf. »Es ist nicht dunkel genug. Ich denke, wir sollten den Weg ein wenig weiter hinaufgehen, dann können wir besser sehen.«

»Tun wir das doch«, sagte sie.

Sie wagten einige Schritte in die Dunkelheit. Dann schaute Mrs. Pollifax zurück: »Der Wächter folgt uns. Ist das nicht lächerlich?«

»Durchaus nicht. Wenn man wilde Tiere ohne jedes Risiko beobachten will, dann fängt man sie und betrachtet sie in einem Zoo. Hier im Reservat laufen sie frei herum, wild und geschützt. Das sind wir aber nicht.«

»Natürlich haben Sie recht«, gab sie zögernd zu. »Aber ich fühle mich wie eine Gefangene, wenn ich bewacht werde.«

»Bezweifle, daß irgend etwas Sie beengen könnte, meine Liebe. Mir sollte seine Gegenwart viel lästiger sein, weil ich die Absicht habe, Sie zu küssen.«

Sie schaute verblüfft zu ihm auf und kam ihm somit sehr entgegen. Sie protestierte leise, als er sie in die Arme nahm, entdeckte dann aber, daß ihr das Geküßtwerden recht gut gefiel. Als er sie losließ, fielen prompt die Sonnenbrille, ihr Taschentuch und der Schirm zu Boden.

Geduldig sammelte er alles wieder auf und reichte es ihr. »Und dort«, sagte er, nahm ihre Hand und hielt sie fest, »steht Orion.«

»Ja«, sagte sie, verwirrt und außer Atem. Sie begriff, daß sie gegen große und charmante phungus keineswegs immun war. Höchst beunruhigend fand sie das in ihrem Alter. Dann sah sie zu den Sternen auf, die zu Tausenden am Himmel standen.

Ein Husten des Wächters unterbrach die Stille. »Ich finde, er hat lange genug Geduld mit uns gehabt«, sagte Cyrus trocken.

Schweigend kehrten sie um und gingen ins Dorf zurück.

Als Mrs. Pollifax wieder in ihr Zimmer kam, war es schon sehr kalt geworden. Sie legte nur eben einen neuen Film in ihre Kamera ein und verbarg den Apparat für die Nacht unter ihrem Kopfkissen. Nachdem sie die Kerze ausgeblasen hatte, kletterte sie ins Bett.

Sie lag da und dachte an die Ereignisse des vergangenen Tages: an den gestohlenen Film und an Cyrus Reed, der recht störend werden konnte. Sie mußte sich zusammennehmen, um ihre Aufgabe zu lösen. Für sie war es nicht einfach eine Safari. Sie mußte wachsam und geschickt sein, damit Aristoteles nicht weitere Menschen niederschießen konnte.

Sie schloß die Augen, als sie draußen auf dem Pfad Stimmen und Schritte vernahm. Einen Augenblick später erkannte sie Amy Lovecrafts hohes Kichern.

»Ich wäre gefallen, Mr. Kleiber, wenn Sie mich nicht gerettet hätten wie der Ritter in schimmernder Rüstung, Sie lieber Mann. Dieser Pfad...«

Amy Lovecraft, dachte Mrs. Pollifax, jagte entschieden nicht nur mit der Kamera.

»Mir unbegreiflich«, sagte Mr. Kleiber in seiner pedantischen, humorlosen Art, »warum nicht Bulldozer auf diesem Hügel eingesetzt werden. Sie haben welche, ich weiß es, sie benutzen sie überall. Und in einer einzigen Arbeitsstunde wäre.«

»Sind Sie in der Baubranche, Mr. Kleiber? Sie scheinen so viel von Maschinen zu verstehen.«

»Schwere Baumaschinen, ja. Ich liefere in die ganze Welt. Es ist.«

Die Stimmen wurden undeutlich, und es herrschte Stille. Mrs. Pollifax hatte abermals die Augen geschlossen, als sie auf dem Kies Schritte knirschen hörte. »Mir gefällt es sehr, Ihnen nicht?« Lisas Stimme.

Tom Henry antwortete: »Durchaus.« Eine Pause folgte, und dann wieder Tom: »John Steeves ist wohl sehr berühmt?«

»O ja, sehr berühmt«, sagte Lisa leichthin. »Wir haben tatsächlich eins von diesen Taschenbüchern im Krankenhaus, Hundert Nächte in einer Mongolenjurte, oder so. Der Bursche, der es gelesen hat -«

»Tom?«

»Hmmm?«

»Seien Sie kein Esel.«

Tom Henry lachte. »Schlafen Sie gut, meine Liebe.« Mrs. Pollifax hörte ihn weggehen, und Lisa öffnete die gegenüberliegende Tür. Ein interessanter Wortwechsel. Lächelnd fragte sie sich, wen sie wohl als nächsten belauschen würde.

Sie mußte nicht lange warten. Mclntosh kam durch den Gang im Gespräch mit Cyrus, und für einen immer nur schweigend lächelnden Mann war Mclntosh plötzlich sehr redselig.

»Inflationen kann man nicht heilen, solange die Länder nicht aufhören, die Druckerpresse zu bemühen. Die Welt ertrinkt in wertlosem Papier. Natürlich spotten die Regierungen über die Goldwährung, weil sie sie zur Disziplin zwingt. Aber denken Sie an meine Worte, Reed, ganze Zivilisationen sind durch den Verfall ihrer Währungen zu Friedhöfen geworden.«

»Schließen Sie große Geschäfte im Ausland ab?«

»O ja, in aller Welt. Aber ich will Sie nicht aufhalten, wir können ein andermal weiter darüber reden. Gute Nacht, Reed.«

»Ja... Also Löwen morgen. Gute Nacht.«

Zuletzt kamen Julian und John Steeves an ihrer Tür vorbei. »... oh, hier ist es viel besser«, sagte Julian. »Zu viele junge Menschen meines Landes gehen in die Städte, und das ist schlecht. Das richtige Leben ist hier im Busch. Billiger, einfacher. Lusaka ist voll von Dieben und Spionen.«

»Ausgezeichnete Anschauung«, meinte Steeves. »Ich selbst halte auch nicht viel vom Leben in Städten. Ich liebe Ihren Busch, er hat ein Geheimnis... «

Den Rest konnte Mrs. Pollifax nicht verstehen, weil die Stimmen in der Ferne verklangen. Jedenfalls war ihr jetzt wärmer, und damit kam eine ungeheure Schläfrigkeit über sie. Sie schloß die Augen und schlief ein. Im Traum saß sie in einem Theater. Alle Teilnehmer der Safari standen auf der Bühne und trugen Masken. Nicht nur eine, sondern zahlreiche. Eine über der anderen.

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