Offiziell begann die Safari am kommenden Morgen. Vor der Abfahrt zum Safaridorf Kafwala sollte eine Fahrt stromaufwärts stattfinden. Dort würde man wilde Tiere beobachten können. Mrs. Pollifax kam rechtzeitig zum Frühstück, war aber nicht recht ausgeruht; denn es war kaum sieben Uhr, und sie hatte nicht ungestört schlafen können. Die Wände ihrer Hütte raschelten die ganze Nacht, sicherlich verursacht durch ein kleines Tier. Dann hatten sie laute Tierschreie, Pfeifen und tapsende Schritte geweckt. Es waren Früchte vom Baum neben ihrer Hütte gefallen, und die Schilfwände hatten wieder zu rascheln begonnen.
Beim Frühstück erklärte ihr Julian, die Tiere liefen nachts frei durchs Gelände. Man habe ein Flußpferd gehört, und die Riedantilopen, die die Sicherheit des Lagers liebten, gäben leise Pfeiftöne von sich. Dann war es ganz gut, fand sie, daß sie das nicht gewußt hatte, sonst hätte sie vielleicht überhaupt nicht einschlafen können.
»Jetzt möchte ich Ihnen Crispin vorstellen«, sagte Julian, als sie vom Frühstück aufstanden. »Ich bleibe im Lager, um die letzten Vorbereitungen für Ihren Ausflug heute nachmittag zu treffen, und Crispin bringt Sie zu den wilden Tieren. Er ist der stellvertretende Safarileiter.«
Crispin trug keine Uniform und sah in seinem geblümten Hemd, dunkler Hose und Turnschuhen einem eifrigen Schulbuben ähnlich. Er hatte ein schmales Gesicht und helle, aufmerksam blickende Augen. Er schien stolz darauf zu sein, sie führen zu dürfen. Mrs. Pollifax fand das reizend.
John Steeves sagte: »Crispin klingt englischer als Julian. Wie sind Ihre sambischen Namen?«
»Meiner?« Julian lachte. »Sie wollen sie alle auf einmal erfahren? Milimo Simoko Chikwanda.«
Steeves grinste: »Ich bleibe bei Julian. Und Crispin?«
»Wamufu Chinyanta Muchona.«
Steeves nickte: »Also endgültig Julian und Crispin.«
»Meine ich auch«, sagte Julian amüsiert.
Als sie das Motorboot für die Flußfahrt bestiegen, herrschte Picknickstimmung. Die Sonne schien mild und strahlend, der Fluß hallte wider von Morgengeräuschen. Und als sie aufbrachen, hatten sie ein üppiges Frühstück mit Rührei und Schinken, Würstchen, Toast und Kaffee hinter sich. Mr. Kleiber, der neben Mrs. Pollifax saß, ging so weit einzugestehen, daß er gern ein Krokodil sähe. Amy Lovecraft hatte sich mit einer zünftig aussehenden, alle Raffinessen versehenen Kamera ausgerüstert, die sie John Steeves zu erklären versuchte. Die Reeds saßen in Fahrtrichtung, beide wirkten unausgeschlafen. Tom Henry und Chanda standen am Heck, und Mr. Mclntosh saß allein am Bug. Auch er war mit Fotoapparaten und Belichtungsmessern behängt.
Plötzlich rief Crispin dem Jungen am Steuer einen kurzen Befehl zu, woraufhin das Boot auf das gegenüberliegende Ufer zuhielt. In diesem Augenblick hob Mrs. Pollifax ihre Kamera und fotografierte den Flußlauf, wobei es ihr gelang, gleichzeitig mehrere Gesichter ihrer Mitreisenden einzufangen. Schon beim Einsteigen hatte sie jeden geknipst, was außer Cyrus Reed, der sie vorwurfsvoll ansah, so als hätte er das nicht von ihr erwartet, niemand zu beanstanden schien.
»Flußpferd«, sagte Crispin leise und zeigte mit dem Finger darauf.
Das Motorboot steuerte auf einen Landeplatz am Flußufer zu. Als sie in Höhe einer geheimnisvoll aussehenden Bucht stoppten, sah Mrs. Pollifax zwischen den Bäumen mächtige Gestalten. Plötzlich ertönte ein donnerndes Gebrüll. Das erste Flußpferd plumpste in den Strom. Sonnenflecken glitzerten auf riesigen schwarzen Köpfen, als die Flußpferde, immer wieder untertauchend, in den Fluß hinausschwammen. Sie zählte fünf, sechs, sieben, bei elf hörte sie auf. Es kamen immer neue Familien, die unbeholfen herumtollten. Ein besonders kühnes Tier schwamm auf das Motorboot zu und starrte die Insassen neugierig an.
Mrs. Pollifax lachte, und nachdem das Boot sich stromauf- wärts wieder in Bewegung gesetzt hatte, begannen alle zu reden und im Boot umherzugehen. Mr. Mclntosh stellte sich mit schußbereiter Kamera neben Mrs. Pollifax. Er hat eine schlechte Haltung, stellte sie fest, aber, dachte sie nachsichtig, kein Mensch konnte aufrecht stehen, wenn er die Welt unbedingt mit gesenktem Kopf betrachten mußte. Ihr fiel auf, daß sein ziemlich langes, schwarzes Haar dringend gewaschen werden mußte. Die weißen Fäden darin wirkten interessant zu seinem gebräunten Gesicht.
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen«, sagte er mit seinem milden Lächeln, und setzte sich auf die Kante der Bank neben sie.
»Überhaupt nicht. Sie haben da eine schöne Kamera. Ich bewundere sie schon die ganze Zeit.«
Er sah sie an, und sein Lächeln wurde intensiver. Er erklärte ihr die näheren Einzelheiten.
»Schön«, bemerkte sie mit einem strahlenden Lächeln, obwohl sie kein Wort verstanden hatte, und fragte: »Wo sind Sie zu Hause, Mr. Mclntosh?«
»Hauptsächlich in der Nähe meines Koffers«, bekam sie zur Antwort.
»Aber Sie sind Amerikaner, nicht wahr?«
»Amerikanischer Staatsbürger, ja.«
»Dann leben Sie«, schloß sie folgerichtig, »in den Staaten?«
»Nicht wirklich«, sagte er, »ich komme und gehe.« Er hob die Kamera und knipste das Flußufer, und als Crispin dann »Silberreiher!« rief, begab er sich zum Heck des Bootes.
Amy Lovecraft, die hinter ihr gestanden hatte, beugte sich vor und meinte: »Es ist unmöglich, mit ihm ins Gespräch zu kommen, nicht wahr? Ich habe noch kein klares Ja oder Nein aus ihm herausgebracht, auch nicht, ob er verheiratet ist! Ich meine, das ist doch eine Frage, die man mit Ja oder Nein beantworten kann. Entweder hat ein Mann eine Frau oder er hat keine.«
Mrs. Pollifax wandte sich um und lächelte in Amys lebhafte saphirblaue Augen. »Da dürften Sie recht haben, obwohl heutzutage solche Dinge manchmal... «
»Was noch wichtiger ist«, fuhr Mrs. Lovecraft fort und senkte die Stimme, »ich glaube gar nicht, daß Mclntosh überhaupt sein Nachname ist.«
Daraufhin drehte Mrs. Pollifax sich rasch zu ihr um und murmelte:
»Gütiger Himmel, wirklich?«
Mrs. Lovecraft nickte. »Als wir uns in Chunga eingetragen haben«, sagte sie jetzt mit Verschwörermiene, »habe ich neben ihm gestanden und einen Blick in seinen Paß tun können. Mclntosh ist sein Vorname. Dahinter stand noch ein Name, der auch mit M anfängt, den ich aber nicht lesen konnte. Und«, fuhr sie ärgerlich fort, »ich habe noch nie einen amerikanischen Paß gesehen, in dem der Familienname an erster Stelle stand. Julian mag ihn als Mr. Mclntosh empfangen haben, weil er das nicht weiß, aber sehen Sie gelegentlich in Ihrem eigenen Paß nach, der Nachname steht nicht an erster Stelle.«
»Amy«, rief John Steeves von der anderen Bootsseite, »Sie wollten doch eine Schwarzfersenantilope sehen. Kommen Sie hier herüber.«
Mrs. Lovecraft sprang auf und überließ es Mrs. Pollifax, die interessante Mitteilung zu verdauen. Keine sehr vernünftige Frau, dachte sie. Wenn sie solche Sachen über Mclntosh verbreitete, verrät sie doch nur ihren Ärger, weil er sie übersah. Ob Amy Lovecraft wohl ein schwieriges Leben hinter sich hatte? Sie war eine sehr attraktive Frau und mußte einmal schön gewesen sein, aber schöne Frauen entwickelten sich oft nur einseitig oder gar nicht. Mrs. Lovecraft wirkte hart, ihre Schönheit wie eine trügerische üppige Erdschicht, die nur dünn einen Felsboden bedeckte— Niemand sah in ihre Richtung, so griff Mrs. Pollifax nach ihrer Handtasche und betrachtete verstohlen ihren Paß. Mrs. Lovecraft hatte recht: keine Umstellung der Namen. Der Taufname stand an erster Stelle.
»Macht es Ihnen Spaß?« Cyrus Reed unterbrach ihre Gedanken.
»O ja!« Sie strahlte ihn an. Und während sie an die Worte von Mrs. Lovecraft dachte, fügte sie hinzu: »Und ich lerne so viel, es ist wirklich lehrreich.«
Während des Vormittags hielten sie kurz an einer verlassenen Anlegestelle, wo einmal ein Fährschiff für den Transport gesorgt hatte. Jetzt wuchs hier Gras. Crispin ließ sie aussteigen und ein paar Schritte den Weg hinuntergehen. »Aber nicht weit«, sagte er bestimmt. »Nicht ohne Wache.«
»Wozu brauchen wir eine Wache?« protestierte laut Mrs. Pollifax.
»Es ist gefährlich.«
Sie schaute auf die friedliche Szenerie, auf die blühenden bunten Blumen am Wegrand, die an Petunien erinnerten. Eine Landschaft, die ungefährlich aussah. »Es sieht so sicher aus«, äußerte sie ungläubig.
»Ja, nichtwahr?« stimmte Tom Henry zu. »Aber Sie könnten über ein Krokodil stolpern, das sich sonnt, und wenn das nicht der Fall ist, dann gibt es Puffottern, Pythons und Schwarze Mambas, ganz abgesehen von einem Nashorn oder einem Flußpferd, das übler Laune sein könnte.«
Mrs. Pollifax war bestürzt. Crispin fragte: »Sie behandeln häufig Schlangenbisse in Ihrem Krankenhaus, Doktor?«
»Vielleicht nicht so erfolgreich wie die Medizinmänner in eurem Dorf, Crispin«, sagte Tom, »aber ein paar retten wir. Was die Medizinmänner angeht, so bewahrt es einen vor Überheblichkeit, wenn man merkt, daß die Menschen hier ihr eigenes Serum entwickelt hatten, ehe wir Jahrhunderte später in unseren Laboratorien darauf kamen.«
»Wir sind in der Lage zu lernen«, sagte Crispin bescheiden. »Wir sehen den Ichneumon im Kampf mit einer Giftschlange, er wird gebissen, er läuft zu einem bestimmten Baum, frißt die Blätter und bleibt am Leben. Der Medizinmann erforscht diese Zeichen.«
»Zu wem gehen Sie, Crispin, wenn Sie krank sind?« fragte Steeves.
Crispin grinste. »Ich würde zuerst zum Arzt gehen und danach zum Medizinmann, bloß zur Bestätigung.«
»Um auf jeden Fall sicherzugehen«, sagte Dr. Henry, als sie wieder ins Boot stiegen.
Lisa, die neben Mrs. Pollifax am Ufer stand, fragte leise: »Wollen wir wetten, in wessen Arme Mrs. Lovecraft fallen wird?«
Sie hatte sich jedoch geirrt. Amy Lovecraft nahm anmutig Crispins Hand, trat auf den Bug des Bootes und verharrte dort einen langen Augenblick, ehe sie John Steeves erlaubte, ihr hineinzuhelfen.
»Welche ist Ihre gefährlichste Giftschlange«? fragte Reed Crispin, was Lisa zum Lachen brachte.
»Die Viper. Ihr Gift zersetzt das Blut, deshalb sind Sie innerhalb von zehn Minuten tot.«
»Lieber Himmel!«
»Die zweitgefährlichste ist die Schwarze Mamba, deren Gift tötet in zehn bis fünfzehn Minuten. Wenn Sie in Lusaka in den Zoo gehen, kann Ihnen der Schlangenwärter alles darüber erzählen. Er wird Ihnen auch sagen, daß Schlangen weder sehen noch hören können, sie spüren nur Erschütterungen.« Er grinste. »Wenn Sie also einer Schlange begegnen und vollkommen regungslos stehenbleiben, dann kann sie Sie nicht finden.«
»Ich könnte vermutlich nicht stehenbleiben«, sagte Lisa erschauernd. »Ich würde rennen wie die Feuerwehr.«
Mrs. Pollifax wandte ihren Blick von Crispin dem Flußufer zu, das voller Wurzeln war. Sie sah die tiefen Schatten, das dichte Buschwerk und das weiße Gewirr toter Wurzeln. Sie überlegte, was man in diesem Lande alles wissen mußte, um einem plötzlichen, schmerzhaften Tod zu entgehen, und ihr wurde klar, daß das Überleben hier ein bißchen schwieriger war als dort, wo man nur bei Grün über die Kreuzung gehen mußte.
Etwa eine dreiviertel Stunde später waren sie wieder im Safaridorf Chunga. Julian wartete an der Anlegestelle, um Mrs. Pollifax mitzuteilen, daß ein Polizist aus Lusaka angekommen sei, um ihr ein paar Fragen zu stellen.
»Er ist seit einer Viertelstunde da«, berichtete Julian, »und ich habe ihm gesagt, daß ich Sie zu ihm bringen werde. Er sitzt da drüben hinter den Bäumen auf einem Stuhl, ganz versteckt.«
In Julians offenem Blick lag keinerlei Neugierde, während Mrs. Pollifax überaus neugierig, ja sogar etwas bestürzt war. »Sind Sie ganz sicher, daß er mich sprechen will?«
»O ja«, erwiderte Julian einfach, »er ist ja den ganzen weiten Weg von Lusaka hergekommen, um Sie zu treffen.«
»Das ist eine weite Fahrt.«
»Was nicht in Ordnung?« fragte Cyrus Reed.
Mrs. Pollifax, die als erste ausgestiegen war, bemerkte jetzt, daß die anderen herankamen und zuhörten. Sie schüttelte lächelnd den Kopf und folgte Julian zu dem angegebenen Platz, der zwischen Palmen tatsächlich versteckt lag. Ein schlanker junger Mann in dunkelblauer Uniform erhob sich. Er wirkte zurückhaltend und sehr höflich, sein mageres, dunkles Gesicht verriet Intelligenz.»Mrs. Pollifax?«
Sie bejahte seine Frage.
Vor ihm stand ein kleiner Tisch, auf dem neben einem Notizbuch eine halbgeleerte Colaflasche stand. Jetzt legte er sich das Notizbuch auf die Knie und zog einen Bleistift heraus.
»Ich komme, Madam (er sprach das Wort M'domm aus), um Sie nach der Anzeige in der heutigen Morgenausgabe der Times of Sambia zu fragen. Eine sehr merkwürdige Anzeige, nicht wahr?«
»Meine Anzei - Oh«, sagte sie, als sie die Frage begriff, »sie ist also heute erschienen. Das freut mich. Man hat es mir zwar gesagt, aber natürlich -«, sie hielt inne, weil sie merkte, daß er darauf wartete, zu Wort zu kommen. »Ich habe doch hoffentlich kein Gesetz gebrochen?«
Er sah aus, als säße er auf einer Gartengesellschaft und balancierte eine Tasse Tee anstatt eines Notizbuches auf den Knien. Seine Augen waren sehr wachsam.
»Dieser John Sebastian Farrell«, er sprach den Namen korrekt aus, »Sie kennen ihn?«
»Ja, natürlich, oder vielmehr, ich habe ihn gekannt. Sie sind wohl nicht gekommen, um mir mitzuteilen, wo er ist, nicht wahr?«
»Nein, Madam.«
»Übrigens«, fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu, »mein Name ist doch in der Anzeige gar nicht erwähnt.«
»Das Büro der Times gab mir Ihren Namen, Madam. Ich habe mich dann mit dem Reisebüro in Verbindung gesetzt, um Ihre Reiseroute zu erfahren. Zurück zu diesem Mann«, fuhr er fort, »was veranlaßt Sie anzunehmen, daß er in Sambia ist?«
Mrs. Pollifax setzte zu einer Antwort an, hielt dann aber, plötzlich ängstlich geworden, inne. »Ist etwas nicht in Ordnung? Ich verstehe nicht... «
»Würden Sie bitte antworten...«
»Ja, natürlich«, sagte sie. »Ein gemeinsamer Freund hat mir erzählt, er lebe in Sambia und er bekomme seine Post durch Barcleys Bank in Lusaka. Da sein Name nicht im Telefonbuch stand, bin ich zur Bank gegangen. Dort sagten sie mir, sie hätten keine Nachsendeadresse. So kam ich auf den Gedanken zu inserieren.« Sie schwieg und sah ihm zu, während er ihre Angaben in ein Notizbuch schrieb. »Wieso?« fragte sie. »Sie sind doch sicher nicht den ganzen Weg von Lusaka hergekommen, um...«
»Darf ich Sie nach dem Namen Ihres Freundes fragen?«
»Freundes?« wiederholte sie verwirrt.
»Des Freundes, der Ihnen gesagt hat, daß der Mann hier lebt.«
Das klang nun tatsächlich ernst. Nach ganz kurzem Zögern sagte sie: »Bishop. William Bishop.«
»Seine Adresse bitte?«
»Bishops Adresse?« Sie war perplex, kramte aber bereitwillig in ihrem Gedächtnis nach Bishops Privatadresse, an die sie ihre Weihnachtskarten richtete. »Georgetown, Washington D.C.«, sagte sie. »Seine Wohnung hat den schönen Namen Lorbeer-Apartment, glaube ich.«
»Danke«, sagte er.
»Nachdem ich Ihnen jetzt alles erzählt habe«, sagte sie bestimmt, »werden Sie mir wohl erzählen, warum das so wichtig ist.«
»Sie haben bemerkt, Madam, daß Sie überall Ihren Paß vorzeigen müssen, damit niemand in dieses Land illegal einreisen kann.«
»Aber das habe ich doch...« Sie unterbrach sich entsetzt. »Sie meinen, Mrs. Farrell könnte sich illegal in diesem Land aufhalten?«
»Das habe ich nicht gesagt, Madam«, antwortete er höflich. »Ich überprüfe diese Angelegenheit.«
»Ich verstehe«, sagte sie und fügte vorwurfsvoll hinzu: »Farrell ist ein sehr ordentlicher Mann, Leutnant...«
»Leutnant Bwanausi. Dunduzu Bwanausi.«
»Leutnant Bwanausi«, wiederholte sie tapfer und gewann ihm ein leises Lächeln ab, während er sich von seinem Stuhl erhob. Tatsächlich sah er jetzt viel freundlicher aus.
»Das ist gut möglich. Wir werden weitersehen. Ich hoffe, daß Sie Freude an Ihrer Safari haben. Guten Tag, Madam.«
Sie sah ihm nach, als er sich entfernte, und dachte teilnahmsvoll an den weiten, staubigen Weg von Lusaka hierher und den weiten, staubigen Weg zurück. Seinem Kommen lag bestimmt ein großes Interesse an Farrell zugrunde. Sie wußte auch, daß sie bei dem ganzen Verhör etwas versäumt hatte. Sie wußte aber nicht, was es gewesen war.
Ein Schwarm winziger, leuchtendbunter Vögel pickte Körner vom Boden vor ihren Füßen auf. Etwas bewegte sich in den Palmen hinter ihr, unüberhörbar, dann vernahm sie das regelmäßige Tuckern des Motorbootes, das den jungen Polizisten ans andere Ufer übersetzte. Die Sonne brannte vom Himmel, kein Lüftchen regte sich.
Aber hatte es nicht gerade bei den Palmen geraschelt, obwohl es doch völlig windstill war? Sehr sonderbar, fand sie und erhob sich lautlos von ihrem Stuhl. Die Palmen regten sich nicht mehr, auch war niemand zu sehen. Sie ging zwischen den Bäumen umher, stieß mit dem Finger einen Zweig an, um festzustellen, ob ein kleines Tier das Rascheln verursacht haben könnte, fand das aber ganz unmöglich. Ein menschliches Wesen mußte sich zwischen den Palmen aufgehalten haben, ein Lauscher.
Sie drängte sich durchs Gebüsch und maß die Entfernung bis zum Speisesaal. Groß war sie nicht, in wenigen Sekunden konnte man das Restaurant erreicht haben. Niemand war zu sehen. Als Mrs. Pollifax rasch am Büro vorbeiging, sah sie Amy Lovecraft an der Rezeption angeregt mit Julian plaudern. Mrs. Pollifax ging weiter durch die Bar in den Speisesaal und zählte die Köpfe. Hier war der Rest der Gesellschaft versammelt; alle lachten gerade über einen Ausspruch von Chanda.
Jeder von ihnen konnte zwischen den Palmen gestanden und sie belauscht haben. Cyrus Reed ließ sie offenbar nie aus den Augen. Und Amy Lovecraft hatte schon Klatsch über Mclntosh aufgespürt. Da aber Amy Männer ausgesprochen bevorzugte, konnte man sich schwer vorstellen, daß ihre Neugier sich auf ein weibliches Mitglied dieser Gesellschaft erstreckte.
Oder es konnte die einzige Person unter ihnen gewesen sein, die sich durch die Ankunft eines Polizisten gestört gefühlt hätte: Aristoteles.
Dieser Gedanke gefiel Mrs. Pollifax gar nicht. Aber da sie ja schon bald nach Kafwala aufbrechen mußten, eilte sie den Pfad zur Leopardenhütte hinauf, um fertigzupacken.