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Punkt zwei Uhr erschien Bishop, und obwohl er gehetzt wirkte, hatte er nichts von seiner unbekümmerten Art verloren, was - wenn man bedachte, daß er seit Jahren Carstairs Assistent war - Mrs. Pollifax immer in Erstaunen setzte.

»Warum werden Sie eigentlich nicht älter?« fragte sie vorwurfsvoll, als sie ihm den Mantel abnahm. »Sie sehen immer gleich aus, das beunruhigt mich geradezu.«

»Sie auch«, versicherte er ihr galant und küßte sie auf die Wange, »aber was mich angeht, so weiß ich, daß ich älter werde, weil mein Schwung nachläßt, und wenn Carstairs wütend auf mich ist, dann spüre ich manchmal einen unwiderstehlichen Drang zu weinen. Gilt das mir?« fragte er und blickte fasziniert auf den Wohnzimmertisch, der mit einem Damasttischtuch, Teekanne mit Tassen aus geblümtem Haviland und Gebäck gedeckt war.

»Eigens für Sie. Nehmen Sie bitte Platz. Fünf Eclairs sind da."

»Ich zähle sechs.«

»Eins ist für mich«, erklärte sie vorwurfsvoll.

»Vermutlich haben Sie zu wenig Personal und sind wegen der Untersuchungen, die der Kongreß vergangenes Jahr angestellt hat, so überarbeitet? Erschreckend waren sie, das muß ich sagen. Selbst Sie brauchen Kontrollen und Überwachung, das wissen Sie.«

»Wir werden und wurden nicht untersucht«, sagte er, setzte sich und nahm ein Eclair. »Carstairs hat mich beauftragt, Ihnen mit aller Deutlichkeit zu sagen, daß seine Abteilung in all ihren Unternehmungen gewissenhaft bis zum Tz geblieben ist.« Er zögerte und sagte dann trocken: »Wenigstens so gewissenhaft, wie man es von uns erwarten kann, da unser Geschäft darin besteht, mit ruchlosen Mitteln Erkundigungen zu beschaffen, lästigen Personen eins auf den Deckel zu geben und uns anderen interessanten Gaunereien zu widmen.«

Da Mrs. Pollifax sich gewisser Personen erinnerte, denen sie ihrerseits eins auf den Deckel gegeben hatte, enthielt sie sich jeden Kommentars. Es war nur eine ganz bescheidene Zahl gewesen, natürlich, aber sie war sicher, daß weder ihr Gartenklub noch ihr

Pfarrer ihr Verhalten gebilligt hätten. Sie goß Tee ein und bemerkte, daß Bishop schon sein zweites Eclair verschlang. »Sie haben nicht zu Mittag gegessen?«

»Ihnen kann nichts verborgen bleiben«, sagte er und schluckte. »Carstairs hat mich um dreiviertel neun mit tausend Aufträgen losgeschickt, und jetzt müssen Sie Ihren Teil tun. Er hat Ihnen wohl noch nichts gesagt?«

»Nichts, außer daß es Afrika ist.«

»Er will Sie auf Safari schicken.«

»Auf Safari!« Völlig perplex starrte Mrs. Pollifax ihn an. »Safari?« wiederholte sie ungläubig.

Bishop beobachtete, wie ihre Augen fast unmerklich abschweiften, als starrte sie auf etwas Unsichtbares, das sehr weit weg lag. In der Tat sah sie aus, als werde sie von einer beseligenden Vision heimgesucht, und da er verstand, was in ihr vorging, schüttelte er den Kopf. »Nein, Mrs. Pollifax«, sagte er bestimmt, »in Afrika werden keine Tropenhelme mehr getragen.«

Sie verzieh ihm die hinterhältige Bemerkung, wenn auch nicht ohne einen empörten Blick, und sagte mit Würde: »Ich gehe mit Begeisterung auf Safari, mit und ohne Tropenhelm. Aber warum? Es muß doch etwas dahinterstecken?«

»Natürlich. Es ist eine ganz besondere Safari, die am kommenden Montag zum Kafue-Nationalpark in Sambia aufbricht. Sambia liegt, wie Sie vielleicht wissen, im südlichen Zentralafrika und hieß, ehe es 1964 unabhängig wurde, Nordrhodesien. Sie können alles darüber lesen, denn ich habe Ihnen einen Haufen Broschüren mitgebracht. Es ist für Safaris wie geschaffen, vielleicht nicht so bekannt wie Kenia oder Tansania, wird aber zur Zeit entdeckt. Es ist von Touristen nicht so überlaufen, ist natürlicher und unverdorbener geblieben. Tatsächlich ist der Kafue-Nationalpark einer der größten Wildparks der Welt - halb so groß wie die Schweiz -, und natürlich liegen auch die Victoria-Fälle in Sambia.«

»Natürlich«, sagte sie, »und der Präsident von Sambia, Kenneth Kaunda, war kürzlich in Washington.«

Das beeindruckte ihn sichtlich. »War mir entfallen«, sagte er. »Nun ja, wir möchten, daß sie sich dieser Safari anschließen,

Bekanntschaften machen und jeden Ihrer Reisegefährten knipsen, entweder offen oder heimlich.«

»Und das ist alles?« fragte Mrs. Pollifax verdutzt.

»Glauben Sie mir, es ist schrecklich wichtig«, erklärte ihr Bishop. »Wir brauchen über jeden Teilnehmer Beobachtungen und schriftliche Berichte, und dazu ist jemand nötig, der immer schon von einer Safari geträumt hat und dessen höchstes Entzücken eine Löwin im Busch ist; der Vögel und Blumen liebt und der- natürlich-das Knipsen einfach nicht lassen kann. Im Ernst«, sagte er lächelnd, »ich möchte Ihnen zureden, eine Unmenge Schnappschüsse von Ihren Enkelkindern mit sich zu führen, und falls Sie keine haben, leihen Sie sich welche. Mit einer Kamera können Sie umgehen?«

Sie nickte, und er schnitt das geheimnisvolle Paket auf, das er mitgebracht hatte. »Hier ist ein sehr guter, ganz normaler Fotoapparat«, sagte er und reichte ihn ihr. »Nichts Besonderes, man kann ihn überall kaufen, leicht zu handhaben und klein genug, um ihn in die Tasche zu stecken. Und hier«, fuhr er fort und brachte ein Schmuckkästchen zum Vorschein, »ist eine andere Art Kamera, falls in der Gruppe jemand kamerascheu sein sollte.«

»Das ist eine Kamera?« Mrs. Pollifax hatte das Kästchen geöffnet und starrte auf die darinliegende Brosche. »Das kann doch nicht wahr sein.«

»Bißchen unfein, nicht?« meinte er vergnügt. »Aber Sie müssen zugeben, daß sie nicht wie eine Kamera aussieht.«

»Ganz sicher nicht.« Mrs. Pollifax nahm die Brosche heraus. Sie hatte die Form einer kleinen Uhr und war einschließlich eines Pendels ungefähr sieben Zentimeter lang. An dem Pendel hingen zwei kleine Goldkugeln. Das Zifferblatt bestand aus einer Sonnenblume mit goldenen Blütenblättern, zwei blitzenden Augen, zwei Zeigern in der Mitte und darunter die Andeutung eines lächelnden Mundes.

»Fehlt bloß noch ein Kuckuck«, erklärte Bishop. »Um einen Schnappschuß zu machen, ziehen Sje an dem Kettchen; ein ganz leichter Zug genügt, berühren dann die Zeiger und transportieren damit den Film weiter für den nächsten Schnappschuß. Das Objektiv befindet sich in den Augen. Reicht für vierzig Schnappschüsse. Die

Brosche bringen Sie .uns zurück, wir brechen sie auf und nehmen den Film heraus.«

»Genial«, murmelte Mrs. Pollifax und fragte dann mit einem nachdenklichen Blick: »Aber wer wird denn diese Safari mitmachen, Bishop?«

»Es handelt sich um reine Informationsbeschaffung«, versicherte er ihr vergnügt. »Jemand, der uns interessiert, könnte dort auftauchen. Sie wissen ja, wie das ist, ein Gerücht, ein Geflüster... alles im Namen des Spiels.«

Mrs. Pollifax lächelte milde. »Bisher habe ich noch nicht erlebt, daß Sie sich so vage geäußert haben, Bishop. Im Namen des Spiels?«

»Nun ja, viel mehr kann ich Ihnen nicht sagen«, erwiderte er aufrichtig, »weil Carstairs es nicht erlaubt. Aber es schadet nichts, wenn ich Ihnen erkläre, daß in den vergangenen sieben Monaten eine Reihe politischer Morde nicht aufgeklärt werden konnte. Am meisten Aufsehen haben die an Malaga in Costa Rica und an Messague in Frankreich erregt.«

Sie nickte.

»Nach Informationen aus der speziellen Unterwelt, zu der wir Beziehungen unterhalten - sie setzt sich aus Kriminellen, Spionen, Informanten usw. zusammen - wurden sie von einem einzelnen Mann mit dem Decknamen Aristoteles begangen. Das ist alles, was wir über ihn wissen, aber uns wurde eine Nachricht zugespielt, aus der wir entnehmen können, daß er ab kommenden Montag an dieser Safari teilnehmen wird und das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.» Sein Gesicht erhellte sich. »Aber etwas anderes kann ich Ihnen mitteilen, was der Computer uns verraten hat, als wir ihm eine Liste mit Leuten für den Auftrag eingegeben haben. Allem Anschein nach befindet sich ein alter Freund von Ihnen in Sambia. Sie kennen ihn sehr gut.«

»Wirklich?«

Bishop grinste. »Möchte ich annehmen, wenn man vierzehn Tage lang in Albanien eine Zelle geteilt hat.«

»Farrell!« sagte Mrs. Pollifax atemlos. »John Sebastian Farrell! «

»Eben der.«

»Aber was macht er in Sambia, und warum arbeitet er nicht mehr für Sie?«

»Wir haben nicht die blasseste Ahnung, was er in Sambia macht«, sagte Bishop, »und er arbeitet nicht mehr für uns, weil er vor drei Jahren in den Ruhestand getreten ist. Alles, wir wissen, ist, daß seine Pension... «

»Seine was?«

»Wir zahlen Pensionen«, sagte Bishop, über ihren Gesichtsausdruck belustigt, «und die Zahlungen werden ihm auf Barclays Bank in Lusaka überwiesen. Am besten schreite sich das auf. Carstairs schlägt vor, daß Sie ihn besuchen, wenn Sie in Lusaka sind, und feststellen, ob wir ihm ebenso fehlen wie er uns. Sicher steht er im Telefonbuch, falls er sich dort niedergelassen hat.«

»Farrell!«, sagte Mrs. Pollifax mit leuchtenden Augen. »So ein guter Mensch. Ein Schurke natürlich, aber ich würde ihm mein Leben anvertrauen, wissen Sie. Allerdings«, fuhr sie nachdenklich fort, »nicht das Leben meiner Tochter. Nein, das meiner Tochter entschieden nicht.«

»Mir vertrauen alle Mütter ihre Töchter an«, bemerkte Bishop wehmütig, riß sich dann aber zusammen und öffnete seinen Aktenkoffer. »Es gibt noch eine Menge zu tun. Glücklicherweise hat die Sambische Fremdenverkehrszentrale noch einen Platz für die Safari am nächsten Montag reservieren können. Kafue-Park eröffnet erst diese Woche, die Regenzeit ist gerade zu Ende. Wir hatten somit Glück. Was Ihr Visum angeht, so bedarf es aller Überredungskunst, aber wenn Sie mir Ihren Paß heute nachmittag nach New York mitgeben, wird die sambische Botschaft sofort eins ausstellen und Ihnen per Eilboten zuschicken. Bleibt noch Ihre Impfung gegen Gelbfieber. Ihrem Arzt wird das Serum zugestellt. Sie müssen ihn morgen nachmittag um vier Uhr aufsuchen. Samstagabend fliegen Sie nach London und am Sonntagabend nach Lusaka. Hier sind Ihre Flugtickets. Und hier noch ein paar Schriften und Broschüren über Sambia.« Er legte sie vor sich auf den anwachsenden Stapel und schaute zu ihr auf. »Können Sie mir folgen? Habe ich etwas vergessen?«

»Kleidung«, erklärte Mrs. Pollifax.

Bishop verstand sofort; das war der Grund, warum Mütter ihm vertrauten. »Fahren Sie am Samstag vor dem Abflug zeitig nach New York, wenn es vorher nicht geht. Lange Hosen, eine Buschjacke, einen Pullover, gute Laufschuhe... Bei Abercrombie, dem Geschäft für Sportmoden, sind Sie an der richtigen Adresse. Und, ach ja, hier sind Ihre Malariatabletten, lieber Himmel, die hätte ich fast vergessen. Beginnen Sie sofort mit dem Einnehmen.« Er schaute auf seine Uhr und seufzte. »Hoffentlich ist das alles, ich bin nämlich schon spät dran und muß laufen.«

»O Bishop, schon?«

Er nickte. »Das gehört auch zu den Schattenseiten meines Daseins mit Carstairs, daß ich mich niemals länger als eine halbe Stunde mit jemandem unterhalten kann. Köstliche Schokoladeneclairs«, sagte er inbrünstig, ergriff seinen Aktenkoffer und stand auf. »Jetzt brauche ich Ihren Paß.«

Sie fand ihn in der Schreibtischschublade und gab ihn Bishop. »Ich schicke Ihnen eine Ansichtskarte aus Sambia.«

»Lieber nicht«, sagte er bedauernd. »Machen Sie nur eine Menge Schnappschüsse für uns - von allen Teilnehmern der Safari ohne Ausnahme -, und treffen Sie Farrell und erkunden Sie, ob er sich langweilt. Er hat Sie Herzogin genannt, nicht wahr?«

»Das muß hundert Jahre her sein«, meinte Mrs. Pollifax und folgte ihm zur Tür. »Erinnern Sie sich noch, wie naiv ich war? «

»Nein, wirklich?« meinte Bishop amüsiert. »Na, abgebrüht finde ich Sie auch jetzt nicht gerade, aber man soll die Hoffnung nie aufgeben, nicht wahr? Vergessen Sie die Gelbfieberspritze morgen nicht, und geraten Sie bloß nicht unter die Räder, hören Sie?«

»Natürlich nicht«, versicherte sie ihm und sah zu, wie er den Flur entlang zum Aufzug eilte. Als er verschwunden war, ging sie ins Wohnzimmer zurück, und beim Gedanken n Beginn dieses Tages nahm sie schwermütig die Karate-Grundposition wieder ein. Inzwischen war so vieles anders geworden, daß sie, als sie die Luft mit einem horizontalen Hieb durchschnitt, ein leises Ki-ay versuchte. Aber das erwies sich als unbefriedigend. So schöpfte sie tief Atem, raffte sich auf und rief triumphierend: »Ki-ay!«

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