13. Kapitel

„Ich spüre Sie!“ rief Prilicla, dessen Schwebefug über dem Haus durch die eigene Aufregung völlig unruhig wurde. „Freundin Naydrad, schicken Sie die Sonde herein. Die Patientin befindet sich direkt unter mir, ich will es aber nicht riskieren, sie durch eine plötzliche, unmittelbare Annäherung zu erschrecken. Schnell! Sie ist sehr schwach und hat Schmerzen.“

Jetzt, wo sie Khones Aufenthaltsort genau bestimmen konnte, lenkte Naydrad die Sonde flink bis zu dem Raum, in dem sich die Gogleskanerin befand. Prilicla gesellte sich zu dem Kreis der anderen, die sich um den Repeaterschirm des Krankentransporters versammelt hatten, auf dem bereits die Sensordaten zu sehen waren.

Die Bilder zeigten das Innere eines der kleinen Untersuchungszimmer des Krankenhauses sowie die Gestalt Khones, die an der niedrigen Wand lag, die Arzt und Patient während der Behandlung voneinander trennte. Auf einem kleinen Tisch befand sich eine Anzahl verschiedenster, auf Hochglanz polierter Holzinstrumente mit sehr langen Griffen, bei denen es sich offenbar um Sonden, Dehnsonden und Spatel zur nichtoperativen Untersuchung von Körperöffnungen handelte, einige Gefäße mit einheimischen Medikamenten und — überhaupt nicht dazu passend — der leere Röntgenscanner, den Conway zurückgelassen hatte. Einige der Instrumente waren auf den Boden gefallen, und es hatte den Anschein, daß Khone gerade einen Patienten auf der anderen Seite der Wand untersucht hatte, als sie zusammengebrochen war. Zudem war es wahrscheinlich, daß die letzte Nachricht, die Wainright erhalten hatte, von diesem Patienten stammte.

„Freundin Khone, mein Name ist Prilicla“, sagte der Empath über den Kommunikator der Sonde. „Sie brauchen keine Angst zu haben.“

Wainright stieß einen unübersetzbaren Laut aus, um Prilicla daran zu erinnern, daß sich Gogleskaner bis auf die gegenseitige Vorstellung am Anfang eines Gesprächs nie direkt als Personen ansprachen und schon bei dem Versuch in seelische Bedrängnis gerieten.

„Dieses Gerät wird niemandem Schmerzen oder Schaden zufügen“, fuhr Prilicla unpersönlicher fort. „Sein Zweck ist es, die Patientin ganz sanft hochzuheben und an einen Ort zu transportieren, an dem sachkundige Hilfe geleistet werden kann. Das Gerät wird jetzt damit beginnen.“

Auf dem Repeaterschirm sah Cha Thrat, wie die Sonde zwei breite, flache Leisten ausfuhr und zwischen Khones liegenden Körper und den Boden schob.

„Stopp!“

Die beiden Stimmen — Khones, die über den Translator kam, und Priliclas, die als Reaktion auf den explosionsartigen Anstieg der emotionalen Ausstrahlung der Gogleskanerin ertönte — erschallten gemeinsam. Der zerbrechlich wirkende Körper des Empathen wurde gebeutelt, als wäre er von einem heftigen Wind erfaßt.

„Entschuldigen Sie, Freundin Khone.“, begann der Cinrussker. Dann besann er sich und fuhr fort: „Das schwere Unbehagen, das der Patientin verursacht worden ist, sei aufrichtig entschuldigt. In Zukunft wird man sich um noch größere Sanftheit bemühen. Aber ist die zu behandelnde Ärztin vielleicht imstande, Angaben über die genaue Stelle und die möglichen Ursachen der Schmerzen zu machen?“

„Ja und nein“, antwortete Khone mit schwacher Stimme. Da Prilicla nicht mehr zitterte, mußten ihre Beschwerden nachgelassen haben. „Die Schmerzen sitzen im Bereich des Gebärmutterhalses“, fuhr sie fort. „Die unteren Gliedmaßen haben den Dienst versagt und leiden unter eingeschränktem Gefühlsvermögen, und die oberen Glieder und der mittlere Körperbereich sind in gleicher Weise, aber nicht so deutlich betroffen. Die Herztätigkeit ist beschleunigt und die Atmung schwierig. Es wird angenommen, daß der Geburtsvorgang begonnen hatte und unterbrochen worden ist, aber der Grund dafür ist unbekannt, da der Scanner seit einiger Zeit nicht mehr funktioniert und Zweifel bestehen, ob die Finger der Patientin zum Austausch der Energiezelle noch geschickt genug sind.“

„Die Sonde enthält einen eigenen Scanner und sendet die optischen und klinischen Befunde zu den Ärzten draußen vor dem Haus“, beruhigte Prilicla sie. „Sie wird außerdem die Energiezelle in dem anderen Scanner austauschen, damit die Patientin den Ärzten draußen mit den eigenen gogleskanischen Beobachtungen und Fachkenntnissen helfen kann.“

Der Empath begann wieder zu zittern, aber Cha Thrat hatte den Eindruck, das Zittern entsprang eher seiner Sorge um die Patientin, als daß es durch die zurückkehrenden Schmerzen Khones hervorgerufen wurde.

„Jetzt wird der Scanner aktiviert“, fuhr Prilicla fort. „Er wird ganz dicht an die Patientin herankommen, sie aber nicht berühren.“

„Danke“, entgegnete Khone.

Während sie die immer ausführlicheren Ergebnisse der Abtastung von Khones Beckenbereich verfolgte, nahm Cha Thrats Verärgerung über ihre mangelnden physiologischen Kenntnisse von der gogleskanischen Spezies immer mehr zu. Da machte es nur wenig Unterschied, daß auch Prilicla, Murchison und Naydrad auf diesem Gebiet nur wenig beschlagener waren als sie. Das einzige Lebewesen, das jetzt noch imstande war, Khone zu helfen, befand sich viele Lichtjahre entfernt im Orbit Hospital, aber höchstwahrscheinlich hätte nicht einmal die Anwesenheit von Diagnostiker Conway dieses Problem aus der Welt geschafft.

„Die Patientin kann selbst sehen, daß der Fötus groß ist und nicht richtig zum Gebärmutterhals liegt“, sagte Prilicla freundlich. „Zudem drückt er gegen die Hauptnervenstränge und hemmt die Blutzufuhr zu den Muskeln in diesem Bereich und macht es dadurch unmöglich, in seiner gegenwärtigen Lage herausgepreßt zu werden. Würde sich die Patientin der Meinung anschließen, daß die Geburt nicht ohne einen sofortigen operativen Eingriff vonstatten gehen kann?“

„Nein! Sie dürfen mich nicht berühren!“ wehrte Khone vehement ab und vergaß dabei ganz, unpersönlich zu bleiben.

„Aber wir sind doch Ihre.“, begann Prilicla, zögerte einen Augenblick lang und fuhr dann korrekt fort: „Hier sind nur Freunde, die der Patientin helfen wollen und die die damit zusammenhängenden psychologischen Probleme verstehen. Falls nötig, kann die Sonde angewiesen werden, Betäubungsmittel zu verabreichen, damit die Patientin das Bewußtsein verliert und nicht merkt, daß sie während der Operation berührt wird.“

„Nein!“ widersprach Khone erneut. „Bei der Geburt und eine kurze Zeit danach muß die Patientin bei Bewußtsein sein. Es gibt gewisse Dinge, die Eltern für ihre Neugeborenen zu tun haben. Kann nicht die Maschine instruiert werden, die Operation vorzunehmen? Vor der Berührung durch die Maschine würde sich die Patientin sehr viel weniger fürchten als vor der Berührung durch einen Außerplanetarier.“

Prilicla zitterte durch die emotionale Anspannung, die für eine abschlägige Antwort erforderlich war, erneut. „Das geht leider nicht. Die ferngesteuerten Greifer arbeiten für solch ein heikles Verfahren zu ungenau, beziehungsweise sprechen sie nicht leicht genug an. Falls die Bemerkung erlaubt ist, die Patientin befindet sich in stark geschwächtem Zustand und wird in Kürze vielleicht auch ohne die Hilfe von Medikamenten das Bewußtsein verlieren.“

Khone schwieg einen Moment lang und erwiderte dann mit verzweifeltem Unterton in der Stimme: „Dem Bewußtsein der Patientin ist klar, daß die außerplanetarischen Ärzte ihr mit Freundschaft und Besorgnis begegnen. Aber unterbewußt, in den dunkleren, nicht denkenden Winkeln ihres Verstands, würde die unmittelbare Nähe einer dieser optisch grauenhaften Kreaturen eine direkte und tödliche Bedrohung darstellen, die zwangsläufig zu einem Ruf nach Zusammenschluß führen würde.“

„Diesen Ruf würde aber niemand hören“, entgegnete Prilicla und erläuterte die Wirkung der Klangverfälscher. Doch Khones Antwort brachte den Empathen erneut zum Zittern.

„Der Ruf nach Zusammenschluß setzt einen Zustand äußerster seelischer Bedrängnis voraus, dem eine starke, unkontrollierte körperliche Verausgabung folgt“, erklärte sie. „Die Auswirkungen auf die Patientin und den Fötus könnten zum Tod führen.“

„Die Zeit drängt und der Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide“, sagte Prilicla schnell. „Man muß Risiken eingehen. Die Sonde kann nicht nur Bilder übermitteln, sondern auch empfangen und wird gleich die außerplanetarischen Freunde zeigen. Kann sich die Patientin bitte daraus das für sie am wenigsten schreckliche Wesen aussuchen, das dann versuchen wird, ihr zu helfen?“

Während die Kamera des Krankentransporters einen Schwenk machte, um alle Anwesenden der Reihe nach vor die Linse zu bekommen, meldete sich erneut Khone: „Die Terrestrier sind vertraute und treue Freunde, genau wie der Cinrussker und die Kelgianerin, die bei dem früheren Besuch auf Goglesk gesehen worden sind, aber sie alle würden blinde, instinktive Angst hervorrufen, wenn sie zu nahe kämen. Die übrigen zwei Wesen lassen sich weder im Gedächtnis der Patientin noch in den Erinnerungen des Terrestriers Conway aufspüren. Sind die beiden Ärzte?“

Bei der Antwort schwang eine Spur Erleichterung in der Stimme des Empathen mit. „Beide sind erst vor kurzem im Hospital eingetroffen und waren Conway zur Zeit seines ersten Besuchs noch nicht bekannt. Das kleine, kugelförmige Wesen ist Danalta, der die Fähigkeit besitzt, jede gewünschte körperliche Gestalt anzunehmen; auf Wunsch auch die einer Gogleskanerin, und alle Gliedmaßen oder Sinnesorgane auszustülpen, die für die Behebung oder Linderung einer organischen Funktionsstörung" nötig sind. Er wird unter der Leitung des Chefarztes operieren und ist die ideale Wahl für.“

„Ein Gestaltwandler!“ fiel ihm Khone ins Wort. „Dieses Wesen, dessen nichtkörperliche Fähigkeiten zweifellos bewundernswert sind, möge entschuldigen, aber allein der Gedanke an eine solche Lebensform ist erschreckend, und ihre unmittelbare Annäherung in Gestalt einer Gogleskanerin wäre unerträglich widerwärtig. Nein!

Das große Wesen daneben wäre weniger beunruhigend“, fügte sie hinzu.

„Das große Wesen ist eine Wartungstechnikerin des Hospitals“, sagte Prilicla in entschuldigendem Ton.

„Und war vorher eine Chirurgin für Krieger auf Sommaradva, die zudem Erfahrungen mit fremden Spezies gesammelt hat“, fügte Cha Thrat leise hinzu.

Der Empath zitterte schon wieder, diesmal wegen der Flut gemischter Gefühle, die die übrigen Mitglieder des medizinischen Teams ausstrahlten.

„Entschuldigung“, bat Prilicla hastig. „Es ist leider ein kurze Zeitverzögerung erforderlich. Diese Angelegenheit muß erst besprochen werden.“

„Aus medizinischen Gründen hofft die Patientin, daß die Verzögerung sehr kurz ausfallen wird“, mahnte Khone zur Eile.

Pathologin Murchison meldete sich als erste zu Wort. „Cha Thrat, Ihre Erfahrung mit fremden Spezies beschränkt sich auf einen terrestrischen DBDG und einen hudlarischen FROB, und in beiden Fällen hat es sich um einen einfachen äußerlichen operativen Eingriff an Gliedmaßen gehandelt. Keine dieser Spezies und, was das betrifft, auch nicht Ihre eigene Klassifikation als DCNF weist irgendeine Ähnlichkeit mit einer gogleskanischen FOKT auf. Nach dieser Glied-um-Glied-Geschichte im Hudlarer-OP bin ich überrascht, daß Sie die Verantwortung übernehmen wollen.“

„Wenn die Sache schiefgeht“, mischte sich Naydrad mit besorgt zuckendem Fell ein, „und die Patientin oder das Neugeborene stirbt, möchte ich nicht wissen, was für ein medizinisches Rührstück Sie diesmal als Buße dafür abziehen werden. Lassen Sie lieber die Finger davon.“

„Ich habe keine Ahnung, warum Khone eine solch unbeholfene und ungelenkige Lebensform wie Cha Thrat mir vorzieht“, sagte Danalta in einem Ton, der verriet, daß seine Gefühle verletzt waren.

„Der Grund ist für den Betreffenden erniedrigend und wahrscheinlich beleidigend“, meldete sich Khone und rief allen damit in Erinnerung, daß sie vergessen hatten, den Sondenkommunikator abzuschalten, „sollte aber nicht unerwähnt bleiben, falls es die Sommaradvanerin für notwendig hält, ihr Angebot zurückzuziehen.

Es gibt physische, psychologische und vielleicht absurde Gründe, warum sich dieses Lebewesen der Patientin bis auf kurze Distanz nähern kann, sie aber außer mit langstieligen Instrumenten nicht berühren darf“, fuhr Khone fort.

Wie Khone erklärte, gab es zwischen den FOKT- und DCNF-Klassiffkationen nur wenige äußerliche Gemeinsamkeiten, allenfalls in den Augen sehr junger Gogleskaner, die versuchten, kleine Nachbildungen ihrer Eltern anzufertigen. Doch die dichte Behaarung des eiförmigen Körpers, die vier kurzen, nach außen gebogenen Beine, die Fingerbüschel und die vier langen Fühler auf dem Kopf überstiegen ihr bildhauerisches Geschick. Statt dessen brachten sie plumpe kegelförmige Figuren aus Schlamm und Gras zustande, in die sie Zweige steckten, die nicht immer gerade oder gleichmäßig dick waren. Die Endprodukte wiesen, bis auf ihre Größe, eine deutliche Ähnlichkeit mit dem Körperbau der Sommaradvanerin auf.

Diese primitiv geformten Modelle wurden in den Jahren, die auf den Eintritt von der Kindheit ins Erwachsenenalter folgten, angefertigt, wenn die Stacheln des jungen Erwachsenen für sein Elternteil lebensgefährlich wurden. Sowohl das Elternteil als auch dessen Kind bewahrten die Nachbildungen als Andenken an die einzige Zeit in ihrem Leben auf, in der sie ohne Gefahr die Wärme und Nähe eines ausgedehnten Kontakts zu einem anderen Vertreter der eigenen Spezies gespürt hatten.

Das war ein Erinnerungsstück, das ihnen in ihrem späteren, unglaublich einsamen Leben als Erwachsene half, bei Verstand zu bleiben.

Als Khone ihre Ausführungen beendet hatte, reagierte Murchison als erste. Die Pathologin musterte Cha Thrat und sagte ungläubig: „Ich denke, Khone will uns sagen, daß Sie wie das gogleskanische Gegenstück eines übergroßen terrestrischen Teddybären aussehen.“

Wainright stieß ein nervöses Lachen aus, und die übrigen reagierten gar nicht. Wahrscheinlich konnten sie sich wie Cha Thrat weder unter einem terrestrischen Teddybären noch unter dessen gogleskanischem Gegenstück etwas vorstellen. Aber wenn diese Nachbildungen ihr in vieler Hinsicht ähnelten, konnten sie nicht ganz und gar unvorteilhaft aussehen.

„Die Sommaradvanerin ist bereit zu helfen und hat an dem Vergleich mit den Nachbildungen keinerlei Anstoß genommen“, sagte Cha Thrat unaufgefordert.

„Und wird trotzdem keine Verantwortung übernehmen“, fügte Prilicla mit einem Blick auf die Sommaradvanerin rasch hinzu.

Die melodischen Triller und Schnalzlaute seiner cinrusskischen Sprache wechselten die Tonlage, und nach Cha Thrats Erfahrungen klang in den vom Translator übersetzten Worten des kleinen Empathen zum erstenmal die Entschlossenheit und der Nachdruck eines Herrschers an. „Solange die Sommaradvanerin nicht vorbehaltlos versprechen kann, daß eine Wiederholung des Vorfalls wie bei der Hudlarer-Amputation unmöglich ist, wird sie nicht die Erlaubnis erhalten zu assistieren.

Die Wartungstechnikerin und Heilerin wird nur aus einem einzigen Grund gebraucht“, fuhr er fort, „weil die unmittelbare Nähe der erfahreneren medizinischen Kräfte für die Patientin schädlich erscheint. Die Sommaradvanerin wird sich selbst einfach als organische Sonde betrachten, deren Verstand, Sinnesorgane und Finger der Leitung des Chefarztes unterstehen, der die alleinige Verantwortung für die Behandlung und das spätere Schicksal der Patientin trägt. Ist das deutlich verstanden worden?“

Die Vorstellung, die Verantwortung für ihr Handeln mit jemandem zu teilen oder sogar — wie in diesem Fall — ganz zu übertragen, war einer Chirurgin für Krieger zutiefst zuwider, auch wenn sie Priliclas Gründe gut nachvollziehen konnte. Doch noch stärker als die Schmach, die sie dabei empfand, war das plötzlich aufwallende Gefühl der Dankbarkeit und des Stolzes, wieder einmal als Heilerin an die Arbeit gerufen zu werden.

„Es ist verstanden worden“, bestätigte Cha Thrat.

Schweigend gab der Empath zu verstehen, daß er von der Frequenz des Sondenkommunikators auf die des internen Anzugfanks wechselte, damit ihm der Zwang, sich der unpersönlichen Ausdrucksweise der zuhörenden Gogleskanerin zu bedienen, nicht mehr das Formulieren erschwerte.

„Danke, Cha Thrat“, sagte er schnell. „Benutzen Sie meine cinrusskischen Instrumente, die sind für die Finger an Ihren oberen Gliedmaßen am besten geeignet, und außerdem würde ich mich wohler fühlen, wenn ich Sie bei der Operation mit diesen Instrumenten in der Hand anleitete. Legen Sie die Schutzkleidung an, denn falls Sie von den Stacheln der Patientin gelähmt werden, können Sie ihr nicht mehr helfen. Wenn Sie bei Khone sind, machen Sie keine plötzlichen Bewegungen, die die Patientin erschrecken könnten, ohne zuerst den Grund dafür zu nennen. Ich werde die emotionale Ausstrahlung von Khone von hier aus überwachen und Sie sofort warnen, wenn irgendeine Handlung eine plötzlich gesteigerte Angst bei ihr hervorruft. Aber Ihnen ist die Sachlage ja selbst durchaus bekannt, Cha Thrat. Beeilen Sie sich bitte.“

Naydrad erwartete sie bereits mit dem fertig gepackten Instrumentenkoffer. Cha Thrat steckte noch die frische Energiezelle für Khones Scanner mit hinein, stieg auf den Krankentransporter und kletterte von dort aus auf das Krankenhausdach.

„Viel Glück“, rief Murchison ihr hinterher. Naydrad kräuselte das Fell, und die übrigen gaben unübersetzbare Laute von sich.

Das Dach bog sich unter Cha Thrats Gewicht beängstigend nach unten, und einer ihrer Vorderfüße brach glatt in die dünne Konstruktion ein, aber übers Dach ging es viel schneller, als durch das darunter befindliche Labyrinth von Gängen mit seiner niedrigen Decke zu kriechen. Cha Thrat ließ sich in den unüberdachten Korridor fallen, der zu Khones Zimmer führte, hockte sich etwas unbeholfen auf zwei Knie und drei der mittleren Gliedmaßen und steckte, nachdem Prilicla die Patientin vor ihrer Ankunft gewarnt hatte, nur den Kopf und die Schultern durch die Tür in Khones Zimmer hinein. Zum erstenmal war sie in der Lage, eine gogleskanische FOKT ganz aus der Nähe zu betrachten.

„Es ist nicht beabsichtigt, die Patientin direkt zu berühren“, sagte Cha Thrat vorsichtig.

„Danke“, erwiderte Krume mit einer Stimme, die durch den unaufhörlichen Lärm der Klangverfälscher kaum wahrzunehmen war.

Die dichte, widerspenstige Behaarung und die Borsten, die den ausgestreckten, eiförmigen Körper bedeckten, waren von der Farbe und dem Wuchs her weniger unregelmäßig, als es nach den von der Sonde übertragenen Bildern den Anschein gehabt hatte. Die Körperbehaarung war beweglich, wenn auch nicht im gleichen Maß wie bei den Kelgianern, und unter dem Kopfpelz war eine Anzahl regloser, langer, blasser Fühler, die nur bei einem Zusammenschluß gebraucht wurden, um die Gehirne der einzelnen Gruppenmitglieder miteinander zu verbinden. Rings um die Hüfte befanden sich vier schmale, senkrechte Öffnungen, zwei zum Atmen und Sprechen und zwei zur Nahrungsaufnahme.

Die über den Körper verteilten Borsten waren zu Fingerbüscheln gruppiert, äußerst biegsam und zu den subtilsten Handgriffen fähig, und den Unterleib umgab ein dickes Muskelband, unter das die vier kurzen Beine eingezogen werden konnten, wenn sich die FOKT ausruhen wollte.

Jetzt lag die Patientin auf der Seite, eine Lage, aus der sich selbst eine vollkommen gesunde und agile Gogleskanerin nur mit großen Schwierigkeiten wieder aufgerichtet hätte.

„Die Sonde soll den Scanner herbringen“, sagte Cha Thrat leise. „Wenn die Energiezelle ausgetauscht worden ist, soll sie den Scanner zurückbringen, für die Patientin leicht erreichbar ablegen und Platz machen.“

An Khone gewandt fuhr sie fort: „Anders als die zu Besuch gekommenen Heiler war sich die Patientin des eigenen Gesundheitszustands nicht bewußt und wird höflich gebeten, sich sofort selbst zu untersuchen. Da die Patientin ebenfalls Heilerin mit umfassenden Kenntnissen der eigenen Lebensvorgänge ist, wären alle Bemerkungen oder Vorschläge, die sie machen möchte, für die außerplanetarischen Kollegen äußerst hilfreich.“

„Das haben Sie gut gesagt, Cha Thrat“, wurde sie von Priliclas Stimme gelobt, die nur aus ihrem Kopfhörer, nicht aber aus dem Lautsprecher der Sonde kam. Der Empath wollte also mit ihr alleine sprechen. „Kein Patient, egal wie krank oder verletzt er ist, möchte sich vollkommen überflüssig oder ausgeliefert vorkommen. Das vergessen Ärzte oft, auch wenn sie ansonsten die besten Absichten hegen.“

Genau so hatte einer der ersten Lehrsätze gelautet, die Cha Thrat in der medizinischen Schule auf Sommaradva gelernt hatte. Ein zweiter, der offensichtlich von Prilicla höchstpersönlich stammte, schien zu besagen, daß man jüngeren Ärzten, die vor einer neuen und schwierigen Aufgabe stehen, am besten durch Aufmunterung weiterhilft.

„Die Patientin ist nicht in der Lage, den Scanner zu führen“, sagte Khone plötzlich.

In der Instrumententasche konnte Cha Thrat nichts entdecken, das lang genug gewesen wäre, um Khone damit von ihrem gegenwärtigen Standort aus zu erreichen. „Ist es gestattet, die gogleskanischen Instrumente zu benutzen?“ fragte sie, obwohl sie sich an die unpersönliche Ausdrucksweise einfach nicht gewöhnen wollte.

„Selbstverständlich“, antwortete Khone.

Auf dem Tisch an der Trennwand lag eine lange Zange, die sich weit öffnen ließ. Sie bestand aus auf Hochglanz poliertem Holz mit Gelenken aus einem weichen, rötlichen Metall und wurde dazu benutzt, die gogleskanischen Patienten mit Instrumenten zu behandeln oder ihnen Kleidungsstücke anzulegen, da sie auf andere Weise auf keinen Fall berührt werden durften. Neben der Zange befand sich ein schmaler, spitz zulaufender Gegenstand, der unförmig aus getrocknetem Lehm modelliert war und in dem überall kurze Zweige und Strohhalme steckten. Zuerst hatte ihn Cha Thrat mit einer Zier- oder Duftpflanze verwechselt. Jetzt, wo sie wußte, was er in Wirklichkeit darstellte, dachte sie, daß er mit dem ästhetischen Körper einer Sommaradvanerin nur in den Augen einer schwerkranken Gogleskanerin große Ähnlichkeit aufweisen konnte.

Mit anfänglichen Schwierigkeiten zog sie schließlich den Scanner mit der Zange aus Khones kraftlosen Fingern und führte ihn über den Unterleibsbereich. Während sich die Patientin auf das Scannerdisplay konzentrierte, drängte sich Cha Thrat weiter in den Raum hinein und näher an die Patientin heran. Die unnatürliche Haltung ihrer gebeugten Vorderbeine und des Rückgrats sowie die Tatsache, daß praktisch das gesamte Körpergewicht auf den mittleren Gliedmaßen lastete, die normalerweise nur Handgriffe ausführten, drohte zu einem Krampf der betreffenden Muskeln zu führen. Um sie zu lockern, wiegte sie sich ganz langsam hin und her und rückte Khone dabei jedesmal ein Stückchen näher.

Plötzlich blickte Khone vom Scanner auf. „Die sommaradvanische Ärztin ist größer als erwartet“, stellte sie fest, und Prilicla brauchte Cha Thrat nicht erst zu sagen, daß die Gogleskanerin nun große Angst hatte.

Cha Thrat verharrte einen Moment lang in der Vorwärtsbewegung und sagte dann: „Die sommaradvanische Heilerin wird der Patientin trotz ihrer Größe nicht mehr antun als das modellierte Ebenbild auf dem Tisch. Das muß die Patientin unbedingt wissen.“

„Die Patientin weiß das“, bestätigte Khone mit einem deutlichen Anflug von Angst in der Stimme. „Aber hat die sommaradvanische Heilerin schon einmal Alpträume gehabt, in denen sie von bösen und schrecklichen Kreaturen aus dem Unterbewußtsein verfolgt und gejagt wird, die sie umbringen wollen? Und hat sie je versucht, anstatt in blinder Angst davonzulaufen, mitten in einem solchen Alptraum stehenzubleiben, gründlich über ihr panisches Entsetzen nachzudenken und sich umzudrehen, um diesen furchtbaren Hirngespinsten ins Gesicht zu sehen und sich zu bemühen, diese Monster als Freunde zu betrachten?“

Beschämt antwortete Cha Thrat: „Entschuldigung. Das Verhalten der Patientin, die etwas zu tun versucht, nein, die wirklich etwas schafft, das für die dumme und rücksichtslose Heilerin von Sommaradva ein Ding der Unmöglichkeit wäre, ist wirklich bewundernswert.“

In ihrem Kopfhörer ertönte Priliclas Stimme. „Sie haben Freundin Khone zwar ein ganzes Stück verunsichert, Cha Thrat, aber ihre Angst hat sich jetzt wieder ein bißchen gelegt.“

Sie nutzte die Gelegenheit, sich ein wenig zu nähern und fuhr fort: „Es ist klar, daß die Patientin gegenüber der Sommaradvanerin freundliche Absichten hegt, und jede mögliche Verletzung der Heilerin Folge einer rein instinktiven Reaktion oder eines Unfalls wäre. Beide Möglichkeiten können vermieden werden, indem man die Stacheln unschädlich macht.“

Khones Reaktion auf diesen Vorschlag hatten sowohl Prilicla als auch Cha Thrat schwere Sorgen bereitet, aber für die Patientin lief die Zeit langsam ab, und wenn wirklich etwas für sie getan werden sollte, gab es zu dem Bedecken der Stacheln mit Schutzkappen keine wirkliche Alternative, und das wußte die kleine Gogleskanerin so gut wie alle anderen. Praktisch wurde sie darum gebeten, ihre einzige verbliebene Waffe zu übergeben.

Cha Thrat traute sich nicht, auch nur einen anderen Muskel als die Stimmbänder zu rühren, und die waren bereits schwer überanstrengt. Sie versuchte, gleichzeitig Khones Unterbewußtsein und deren bereits halb umgestimmtes Bewußtsein davon zu überzeugen, daß Waffen in einer wirklich zivilisierten Gesellschaft überflüssig seien. Sie sagte ihr, daß weibliche Wesen gerade beim Kinderkriegen zusammenhalten müßten, und sprach von ihren persönlichsten Gefühlen, die größtenteils eher belanglos als löblich seien, von ihrem bisherigen Leben und beruflichen Werdegang auf Sommaradva und am Orbit Hospital und von den Dingen, die sie an beiden Orten falsch gemacht hatte.

Die ungeduldig beim Krankentransporter wartenden Teammitglieder dürften sich nach Cha Thrats Befürchtungen allmählich fragen, ob sie sich eine Herrscherkrankheit zugezogen und jeden realen Bezug zur gegenwärtigen Lage längst verloren hatte, aber für eine Unterbrechung und lange Erklärungen war jetzt keine Zeit. Irgendwie mußte sie tief bis ins verborgenste Unterbewußtsein der Gogleskanerin vordringen, um die FOKT zu der Einsicht zu bringen, daß sie, eine sommaradvanische Chirurgin für Krieger, durch ihre vorbehaltlosen Offenbarungen psychologisch ebenso schütz- und wehrlos war wie umgekehrt Khone durch die Preisgabe ihrer einzigen natürlichen Waffe.

Cha Thrat konnte Naydrads Stimme hören, die vom Mikrofon des Cinrusskers aufgefangen wurde und gerade zu wissen verlangte, ob Khone nicht nur Ärztin, sondern auch Psychologin sei. Wenn ja, habe sich diese dämliche Sommaradvanerin auf jeden Fall den falschen Zeitpunkt ausgesucht, um sich bei ihr auf die Couch zu legen! Prilicla gab darauf keine Antwort, und Cha Thrat fuhr fort, in aller Ruhe auf die Patientin einzureden, deren Stimme, wie auch alles andere an ihr, vor Angst wie gelähmt zu sein schien. Zu guter Letzt riefen die Bemühungen der Sommaradvanerin plötzlich doch noch eine Reaktion hervor.

„Die Sommaradvanerin hat Probleme“, sagte Khone. „Aber wenn intelligente Wesen nicht hin und wieder Dummheiten machen würden, gäbe es überhaupt keinen Fortschritt.“

Cha Thrat war sich nicht sicher, ob diese Äußerung der Gogleskanerin irgendeine tiefe philosophische Wahrheit darstellte oder lediglich das Produkt eines von Schmerzen und Verwirrung getrübten Verstandes war, und antwortete nur: „Die Probleme der Patientin scheinen mir weitaus dringlicher.“

„Diesbezüglich gibt es keinerlei Einwand“, stimmte Khone ihr umständlich zu. „Also gut, die Stacheln dürfen mit Kappen abgedeckt werden. Aber die Patientin darf nur von der Maschine berührt werden.“

Cha Thrat seufzte; die Hoffnung, ein paar ganz persönliche Enthüllungen könnten die geistig-seelische Ausrichtung von Jahrtausenden durchbrechen, war sehr vermessen gewesen. Ohne sich weiter zu nähern, hielt sie den Scanner mit der langen Zange in Position und öffnete mit der hinteren Mittelgliedmaße ihre Tasche, damit die Greifer der Sonde, die von Naydrad mit großer Genauigkeit gesteuert wurden, die Schutzkappen für die Stacheln herausholen konnten.

Diese Kappen waren dafür vorgesehen, die nadelspitzen Stacheln zu bedecken und gleichzeitig das Gift herauszusaugen. Waren sie erst einmal übergestülpt, setzten sie ein Haftmittel frei, das einen festen Sitz garantierte, bis sich Khone im Orbit Hospital befand. Natürlich war diese Eigenschaft der Kappen der Patientin gegenüber nicht erwähnt worden. Aber mit den Klangverfälschern, die jeden Ruf nach Zusammenschluß für die übrigen Stadtbewohner unhörbar machten, und den entschärften Stacheln würde die Gogleskanerin nicht mehr in der Lage sein, den direkten Körperkontakt mit einem dieser entsetzlichen Außerplanetarier selbständig zu verhindern.

Angesichts des sich rapide verschlechternden Krankheitsbilds war es um so besser, je früher das geschah.

Doch Khone war nicht dumm und hatte wahrscheinlich schon begriffen, was passieren würde. Das wäre zumindest eine Erklärung für ihre zunehmende Unruhe, als erst zwei, und schließlich drei der vier Kappen auf ihren Stacheln angebracht waren. Mit letzter Kraft warf sie jetzt den Kopf von einer Seite zur anderen und verhinderte dadurch absichtlich das Überstülpen der letzten Kappe, und Cha Thrat gab sich alle Mühe, Khones Gedanken schnell auf etwas anderes zu lenken.

„Wie man deutlich auf den Displays des Scanners und der Biosensoren sehen kann, liegt der Fötus quer zum Gebärmutterhals und kann sich nicht aus dieser Lage befreien“, sagte Cha Thrat, wiederum ohne jemanden direkt anzusprechen. „Dabei drückt er auf wichtige Blutgefäße und Nervenverbindungen, die zum mittleren und unteren Teil des Körpers der Mutter führen, was dort den Verlust der Muskelfunktionen und eine Beeinträchtigung des Gefühls verursacht und zum Absterben der betreffenden Bereiche führen wird, wenn man keine Abhilfe schafft. Darüber hinaus wird auch die Nabelschnur immer mehr zusammengeschnürt, da die unwillkürlichen Muskeln weiterhin versuchen, den Fötus herauszudrücken. Der Herzschlag des Fötus ist schwach, schnell und unregelmäßig, und die Lebensfunktionen der Mutter sind ebenfalls stark beeinträchtigt. Kann die Patientin irgendeinen Vorschlag oder eine Anmerkung zu diesem Fall machen?“

Khone antwortete nicht.

Einzig Prilicla mußte wissen, wie sehr Cha Thrats kühler, unpersönlicher Ton ihren wahren Gefühlen für das unglaublich tapfere kleine Geschöpf widersprach, das wie ein umgefallenes Heumandl so dicht vor ihr lag, ihr aber gleichzeitig zu weit in die unstofflichen Tiefen des Bewußtseins entrückt war, um ihr helfen zu können. Dennoch ähnelten sie sich jetzt in vielerlei Hinsicht, wie Cha Thrat meinte. Beide waren sie Risiken eingegangen, zu denen kein anderes Mitglied ihrer Spezies bereit gewesen wäre: Sie selbst hatte eine außerplanetarische Lebensform behandelt, der sie nie zuvor begegnet war, und Khone hatte sich freiwillig für eine Behandlung durch Außerplanetarier angeboten. Doch Khone war von ihnen beiden die tapferere und trug das größere Risiko.

„Ist dieser Zustand bei schwangeren Gogleskanerinnen selten oder normal?“ fragte sie ruhig. „Und wie wird in solchen Fällen gewöhnlich vorgegangen?“

Als Khone antwortete, war ihre Stimme so schwach, daß man sie kaum hören konnte. „Dieser Zustand tritt nicht selten auf Die normale Vorgehensweise besteht in solchen Fällen darin, starke Dosen Medikamente zu verabreichen, die es der Patientin und dem Fötus ermöglichen, unter geringstmöglichen Schmerzen zu sterben.“

Cha Thrat wußte nicht, was sie sagen oder tun sollte.

In der Stille, die in Khones Zimmer herrschte, wurde ihr der Lärm von außen immer stärker bewußt: das ununterbrochene Pfeifen und Zischen der Klangverfälscher; Naydrads Stimme, die sie über Priliclas Anzugfank hörte und die gerade über das Problem lamentierte, wie schwierig es sei, die letzte Kappe über die Stachel einer sich wehrenden Patientin zu stülpen; und leiser Murchison, Danalta und Prilicla selbst, die völlig unterschiedliche Maßnahmen vorschlugen und im selben Augenblick wieder verwarfen.

„Die Stimmen des medizinischen Teams sind nur sehr schwer zu verstehen“, meldete sich Cha Thrat besorgt. „Ist schon eine Entscheidung gefallen? Wie lauten jetzt die Anweisungen?“

Plötzlich waren die Stimmen lauter und überaus deutlicher zu hören, weil sie sowohl aus dem Lautsprecher der Sonde als auch aus Cha Thrats Kopfhörer kamen. Naydrad, die sich ganz auf die ferngesteuerten Greifer der Sonde konzentrierte, während sie die letzte Schutzkappe überzustülpen versuchte, mußte zu dem Schluß gekommen sein, daß die Sommaradvanerin die anderen lauter hören wollte, und hatte auf ihre Äußerung ohne nachzudenken reagiert.

Man unterhielt sich vollkommen sorglos.

Prilicla sprach in gefaßtem und beruhigendem Ton und war sich, wie Cha Thrat feststellte, offensichtlich nicht bewußt, daß nicht nur sie selbst ihn hörte, sondern auch Khone. Zudem hinderte die starke und gegensätzliche emotionale Ausstrahlung der Teammitglieder, von denen er dicht umgeben war, den Empathen daran, die plötzlich bei Cha Thrat ausbrechende Angst und Verwirrung wahrzunehmen.

„Cha Thrat, es hat eine längere Auseinandersetzung über die Frage, wer die Operation durchführen soll, gegeben, die jetzt zu Ihren Gunsten entschieden worden ist“, sagte Prilicla. „Freundin Khone muß dringend operiert werden, aber ihr Zustand hat sich so weit verschlechtert, daß man nicht mehr das Risiko eingehen kann, sie zur Operation aus dem Haus zu schaffen. Sie haben keine andere Wahl, als.“

„Nein!“ protestierte Cha Thrat in eindringlichem Ton. „Hören Sie bitte auf zu reden!“

„Keine Sorge, Cha Thrat“, fuhr der Empath fort, der den wahren Grund für den Einwand nicht kannte. „Über Ihre Fachkompetenz besteht kein Zweifel, und Pathologin Murchison und ich haben uns Conways Aufzeichnungen zur FOKT-Lebensform, wie Sie selbst ja auch, genau angesehen. Sie werden von uns zu jeder neuen Phase des Verfahrens die nötigen Anleitungen erhalten, und wir übernehmen durchweg die volle Verantwortung.

Um die Beschwerden der Patientin zu lindern, ist ein sofortiger operativer Eingriff vonnöten. Sobald die Schutzkappe auf dem letzten Stachel sitzt, werden Sie den Gebärmutterhals vergrößern, indem Sie mit dem Skalpell Nummer acht einen Schnitt vom Becken hinauf bis zum. Was ist jetzt los?“

Eine Erklärung erübrigte sich, da Prilicla in der Zeit, die er zum Stellen seiner Frage benötigte, bereits die Antwort kannte. Khone, die einer umfangreichen, überfallartigen Operation entgegensah, hatte instinktiv mit dem Ausstoß des Rufs nach Zusammenschluß reagiert und versuchte nun, das einzige fremde, und dadurch bedrohliche Wesen in ihrer Reichweite mit dem noch nicht entschärften Stachel zu erstechen. Da ihre Beine vollständig gelähmt waren, warf sie sich wild von einer Seite auf die andere und zog sich mit den Fingerbüscheln auf Cha Thrat zu.

Der lange gelbe Stachel, auf dem keine Kappe saß und dessen Spitze bereits winzige Gifttropfen absonderte, schwang hin und her und kam ruckweise immer näher. Verzweifelt schob sich Cha Thrat mit den Vorderfüßen und den Mittelgliedmaßen zurück, sprang auf die Gogleskanerin zu und ergriff den Stachel mit dreien ihrer oberen Hände am unteren Teil.

„Hören Sie auf!“ brüllte sie über die immense Lautstärke des Rufs hinweg. „Hören Sie sofort auf, sich zu bewegen, sonst verletzen Sie sich selbst und Ihr Kind!“ rief sie und vergaß dabei völlig, sich unpersönlich auszudrücken. „Ich bin Ihre Freundin, ich will Ihnen helfen. Naydrad, stecken Sie die Kappe drauf! Schnell!“

„Dann halten Sie doch den Stachel still!“ raunzte die Kelgianerin sie an, während sie den Greifarm der Sonde über Khones zuckenden Kopf schwenkte. „Halten Sie ihn ganz still!“

Aber das war leichter gesagt als getan. Cha Thrats obere, auf Halshöhe sitzende Arme hatten sich mit ihren Händen und Fingern für feinere Tätigkeiten entwickelt, bei denen es auf Genauigkeit ankam, und verfügten deshalb nicht über die kräftige Muskulatur der mittleren Gliedmaßen. Um dennoch den Stachel einigermaßen festzuhalten, hatte sie sich der Gogleskanerin so weit nähern müssen, daß sich ihre Köpfe beinahe berührten. Verzweifelt nahm Cha Thrat all ihre Kräfte zusammen, um den Druck des lachhaft schwachen Griffs um den Stachel zu verstärken, und ein pochender Schmerz zog bis in den Nacken und die obere Brust. Sie wußte, wenn ihre Finger abrutschten, würde sich der Stachel sofort in ihre Schädeldecke bohren.

Das medizinische Team würde wahrscheinlich schnell genug zu ihr vordringen, um ihr Leben zu retten, aber nicht das von Khone und dem Fötus, wegen denen man letztendlich hierhergekommen war. Sie fragte sich, wie Murchison, die Lebensgefährtin des Diagnostikers, Prilicla, der seit langem sein Freund war, und sie selbst Conway mit der Nachricht von Khones Tod ins Auge sehen könnten, als Naydrad plötzlich „Geschafft!“ schrie.

Der letzte Stachel war abgedeckt. Cha Thrat konnte sich zwar einen Augenblick lang entspannen, nicht aber Khone, die sich nach wie vor auf dem Boden wand und sich hin- und herrollte und erfolglos mit allen vier von Kappen überzogenen Stacheln auf Cha Thrat einstach. In unmittelbarer Nähe klang ihr Notruf wie ein Sturm, der durch ein verfallenes Haus heulte und pfiff.

„Wenigstens funktionieren die Klangverfälscher“, bemerkte Wainright und fügte warnend hinzu: „Aber beeilen Sie sich, die halten nicht mehr lange durch!“

Cha Thrat beachtete den Terrestrier nicht, packte mit den mittleren und oberen Händen ganze Haarbüschel der Gogleskanerin und versuchte vergeblich, sie festzuhalten. „Hören Sie auf, sich zu wehren“, bat sie flehentlich. „Sie vergeuden nur das bißchen Kraft, das Sie noch haben. Sie werden sterben und Ihr Kind auch. Bitte, liegen Sie still! Ich bin doch keine Feindin, ich bin Ihre Freundin!“

Der Ruf nach Zusammenschluß heulte zwar mit unverminderter Lautstärke weiter, so daß sich Cha Thrat fragte, wie solch ein kleines Geschöpf einen derartigen Lärm veranstalten konnte, aber Khones Bewegungen wurden schon deutlich weniger heftig. War das bloß ein Zeichen für körperliche Erschöpfung, oder drang sie allmählich zu der Gogleskanerin durch? Dann sah sie, wie sich die langen, blassen Fühler aus dem Schutz unter dem Haupthaar entrollten und sich schnurgerade aufrichteten. Zwei von ihnen sanken langsam nach unten und legten sich über Cha Thrats Scheitel, und auf einmal hätte sie am liebsten laut geschrien.

Khones Freundin zu sein war unendlich viel schlimmer als ihre Feindin.

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