6. Kapitel

Cha Thrat und der Chefarzt trafen ein paar Minuten vor O'Mara und Oberschwester Hredlichli auf der AUGL-Station ein und begaben sich sofort zu den drei diensthabenden Schwestern — zwei kelgianischen DBLFs und einer melfanischen ELNT —, die ihre Patienten im Stich gelassen und im Personalraum Zuflucht gesucht hatten.

Nach Aussage des Ausbilders konnte dieses normalerweise tadelnswerte Verhalten aber nicht als schuldhaftes Versäumnis der medizinischen Pflicht betrachtet werden, da es in der weit zurückreichenden Geschichte des Hospitals bezüglich des Verhältnisses zwischen Patienten und dem medizinischen Personal noch nie vorgekommen war, daß ein Chalder in fremder Gesellschaft plötzlich gewalttätig geworden war.

Im grünen Halbdunkel am anderen Ende der Station trieb ein langer, dunkler Schatten langsam von einer Seitenwand zur anderen, wie es Cha Thrat während ihrer Arbeitszeit schon bei vielen der wendigen, häufig apathischen und dennoch rastlosen Chaldern beobachtet hatte. Bis auf ein paar abgelöste und zwischen den Streben durcheinandertreibende Teile der Dekorationspflanzen wirkte die Station ganz friedlich und normal.

„Was ist mit den anderen Patienten, Oberschwester?“ erkundigte sich Cresk-Sar ohne Umschweife; als anwesender Chefarzt trug er die alleinige medizinische Verantwortung. „Ist jemand verletzt?“

Hredlichli schwamm die Reihe der Überwachungsmonitore entlang und meldete: „Die Patienten sind zwar alle aufgeregt und verängstigt, haben aber keine Verletzungen davongetragen, und das Versorgungssystem für die Nahrung und Medikamente ist ebenfalls nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Die haben großes Glück gehabt.“

„Oder der Patient ist bei seinen Gewalttätigkeiten wählerisch, weil…“, setzte O'Mara an, verstummte aber gleich wieder.

Der lange Schatten am anderen Ende der Station hatte sich perspektivisch verkürzt und wurde jetzt rasch größer, während er auf sie zugeschossen kam. Cha Thrat konnte kurz die vom schnellen Schlagen verwischten Flossenumrisse erkennen sowie die nach hinten flatternden, streifenförmigen Tentakel und die dicht geschlossenen, glänzenden Zahnreihen, die das riesige, gähnende Maul umsäumten, bevor der Chalder gegen die durchsichtige Wand des Personalraums krachte. Die Wand bog sich zwar beängstigend weit nach innen, hielt dem Druck aber stand.

Wie Cha Thrat erkennen konnte, war der Chalder für den türlosen Eingang zu groß, doch er wechselte die Stellung und streckte drei seiner Tentakel in den Raum. Zum Glück waren sie nicht lang oder stark genug, als daß er damit jemanden nach draußen ziehen und sich womöglich ins Maul stopfen konnte, trotzdem mußte eine der kelgianischen Schwestern einige Angstmomente durchstehen. Schließlich wandte sich der Chalder enttäuscht ab und schwamm davon. Im Sog hinter ihm wirbelten einige abgetrennte Dekorationspflanzen herum.

O'Mara stieß einen Laut aus, den der Translator nicht übersetzte, und fragte dann: „Wer ist dieser Patient, und warum wurde Schwesternschülerin Cha Thrat herbeizitiert?“

„Das ist unser Dauerpatient AUGL-Eins-Sechzehn“, antwortete die melfanische Schwester. „Kurz bevor er gewalttätig geworden ist, hat er nach der neuen Schwesternschülerin Cha Thrat verlangt. Als ich dem Patienten mitgeteilt habe, daß die Sommaradvanerin einige Tage lang abwesend sei, schweigt er und hat seither kein Wort mehr mit uns gesprochen, obwohl sein Translator immer noch richtig sitzt und funktioniert. Deshalb habe ich auch Cha Thrats Namen ausrufen lassen, als ich Alarmstufe Blau gegeben habe.“

„Interessant“, entgegnete der Terrestrier und wandte sich Cha Thrat zu. „Wieso hat er gerade nach Ihnen verlangt, und warum soll er ausgerechnet in dem Augenblick damit angefangen haben, die Station auseinanderzunehmen, als Sie gerade mal nicht zur Verfügung standen? Haben Sie zu AUGL-Eins-Sechzehn eine besondere Beziehung aufgebaut?“

Bevor Cha Thrat antworten konnte, warf Cresk-Sar empört ein: „Können diese umfangreichen psychologischen Nachforschungen nicht warten, Major? Meine unmittelbare Sorge gilt im Moment ausschließlich den übrigen Patienten und dem Stationspersonal. Die Pathologie kann uns umgehend ein rasch wirkendes Narkotikum und ein Gewehr zum Abschießen von Betäubungspfeilen liefern, um den Patienten ruhigzustellen, und dann können Sie gern.“

„Ein Betäubungsgewehr!“ rief eine der Kelgianerinnen mit sich verächtlich kräuselndem Fell. „Lieber Doktor, Sie scheinen völlig zu vergessen, daß der Pfeil erst das Wasser durchdringen muß, wodurch er bereits gewaltig abgebremst wird, und dann noch die Körperpanzerung von Eins-Sechzehn! Der einzig sichere Weg, den Pfeil wirkungsvoll zu plazieren, ist, ihn in das weiche Zellgewebe im Innern des Mauls zu schießen. Um genau die richtige Stelle zu treffen, müßte sich derjenige, der das Gewehr abfeuert, sehr nah an den Chalder heranwagen und könnte bei einem mißglückten Versuch dem Pfeil auf dem Weg ins offene Maul direkt hinterherfolgen, was natürlich den sofortigen Tod zur Folge hätte. Ich melde mich dafür jedenfalls nicht freiwillig!“

Bevor Cresk-Sar antworten konnte, sagte Cha Thrat zu ihrem Ausbilder: „Wenn Sie mir genau erklären, was ich tun muß, stelle ich mich gern freiwillig für diese Aufgabe zur Verfügung.“

„Aber Ihnen fehlt doch jede Erfahrung in solchen Dingen, und Sie wären völlig überfordert, wenn.“, setzte der Nidianer an, verstummte aber, als O'Mara mit erhobener Hand um Ruhe bat.

„Natürlich wollen Sie sich freiwillig melden, Cha Thrat“, sagte O'Mara leise. „Aber warum? Sind Sie besonders mutig? Sind Sie von Natur aus dumm? Haben Sie den Drang, sich umzubringen? Empfinden Sie vielleicht ein gewisses Maß an Verantwortung, oder fühlen Sie sich einfach nur schuldig?“

„Major O'Mara“, mischte sich Hredlichli energisch ein, „jetzt ist bestimmt nicht die Zeit, jemandem die Verantwortung zuzuschieben, und erst recht nicht, um eingehende Analysen durchzuführen! Welche Maßnahmen sind im Fall des Patienten Eins-Sechzehn — und meiner übrigen Patienten — zu ergreifen?“

„Sie haben ja recht, Oberschwester“, räumte O'Mara mürrisch ein. „Ich werde es auf meine Art erledigen und versuchen, Eins-Sechzehn zu beruhigen und vernünftig mit ihm zu reden. Ich habe mich schon oft mit ihm unterhalten, jedenfalls häufig genug, daß er mich in diesem leichten Anzug von anderen Terrestriern unterscheiden kann. Während ich mit Eins-Sechzehn beschäftigt bin, muß ich vielleicht hin und wieder auch mit Ihnen sprechen, Cha Thrat. Bleiben Sie deshalb bitte immer am Kommunikator. Verstanden?“

„Nicht nötig, ich begleite Sie“, entgegnete Cha Thrat in bestimmtem Ton, wobei sie bereits in aller Stille mit geistig-seelischen Übungen begann, die ihr dabei helfen sollten, sich mit dem Gedanken an eine vorzeitige Beendigung ihres Lebens anzufreunden.

„Na gut. Wahrscheinlich werde ich mit Ihrem durchgedrehten Freund sowieso viel zu beschäftigt sein, als daß ich Sie daran hindern könnte“, willigte O'Mara ein und gab danach erneut einen merkwürdigen Laut von sich, den der Translator nicht übersetzte. „Dann kommen Sie jetzt mit!“

„Aber sie ist doch nur eine Schwesternschülerin, O'Mara!“ protestierte Cresk-Sar. „Außerdem sollten Sie bedenken, daß Eins-Sechzehn Sie in Ihrem leichten Anzug vielleicht lediglich als ein hübsch ordentlich in Plastikfolie gewickeltes Stück Fleisch ansieht. Diese Lebensform gehört zu den Allesfressern und hat sich noch bis vor kurzem von.“

„Ach, Cresk-Sar“, unterbrach ihn der Chefpsychologe, während er bereits auf den Eingang zur Station zuschwamm. „Versuchen Sie etwa, mir Angst einzujagen?“

„Na gut“, lenkte der Nidianer ein. „Aber falls Sie dieses Problem nicht allein durch Ihre Redekunst in den Griff bekommen, werde ich diese Angelegenheit ebenfalls auf meine Art in die Hand nehmen. Oberschwester, fordern Sie sofort einen vierköpfigen Transporttrupp an, mit schweren Anzügen sowie Betäubungsgewehren und Mitteln zur körperlichen Ruhigstellung für einen AUGL, der bei vollem Bewußtsein und alles andere als kooperativ ist.“

Der Chefarzt sprach immer noch, als Cha Thrat bereits hinter O'Mara in die Station hineinschwamm.

Scheinbar eine Ewigkeit lang schwebten sie reglos und schweigend in der Mitte des riesigen Bassins und wurden dabei von einem sich genauso verhaltenden Patienten aus seiner Deckung heraus beobachtet, die er hinter zerfetzten künstlichen Grünpflanzen gesucht hatte. O'Mara hatte Cha Thrat zuvor angewiesen, bloß nichts zu unternehmen, was Eins-Sechzehn als Bedrohung auffassen könnte. Deshalb müßten sie sich ihm ohne Waffen zeigen, und der erste Schritt sollte vom Patienten ausgehen. Zwar glaubte Cha Thrat, daß der Terrestrier damit wahrscheinlich recht hatte, aber trotzdem schwitzte sie so gewaltig, daß ihr Körper ganz glitschig und sehr viel wärmer war, als es sich allein durch die Temperatur des lauwarmen, grünen Wassers, das ihren Schutzanzug umgab, erklären ließ. Offensichtlich hatte sie sich bis jetzt noch nicht ganz mit dem Gedanken angefreundet, das ihrem Leben demnächst ein Ende gesetzt werden könnte.

Die Stimme des Chefarztes, die Cha Thrat über den Kopfhörer in ihrem Anzug hörte, ließ sie an allen Gliedern erzittern.

„Das Transportteam ist eben eingetroffen“, berichtete Cresk-Sar leise. „Bei Ihnen passiert ja gerade nichts. Kann ich das Team jetzt reinschicken, um die anderen Patienten in den OP bringen zu lassen? Es wird zwar furchtbar eng darin werden, aber immerhin kann man dort die Patienten behandeln, und gemütlicher als es derzeit auf der Station ist, ist es dort auch. Außerdem sind Sie dann mit Eins-Sechzehn ganz allein.“

„Ist die Behandlung der Patienten denn dringend?“ erkundigte sich O'Mara im Flüsterton.

„Nein“, antwortete Cha Thrat, bevor Cresk-Sar die Frage an die Oberschwester weiterleiten konnte. „Hauptsächlich geht es um routinemäßige Beobachtungen und Aufzeichnungen der wichtigsten Lebensfunktionen, außerdem müssen ein paar Verbände gewechselt und heilungsfördernde Medikamente verabreicht werden. Eigentlich nichts wirklich Dringendes.“

„Herzlichen Dank auch, Schwesternschülerin Cha Thrat“, warf Oberschwester Hredlichli in einem Ton ein, der so ätzend war wie die Atmosphäre, die sie einatmete. „Ich bin hier erst seit kurzem Oberschwester, Major O'Mara“, fuhr sie fort, „aber ich glaube, daß ich ebenfalls das Vertrauen des Patienten genieße, und würde gerne zu Ihnen kommen.“

„Nein, Sie werden nicht kommen und das Transportteam auch nicht!“ widersprach O'Mara entschieden. „Ich möchte unseren Freund nicht durch zu viel Hin und Her auf der Station verängstigen oder verunsichern. Und noch was, Hredlichli. Ihr Schutzanzug könnte einen Riß bekommen, und Sie wissen sehr gut, daß die Berührung mit Wasser bei Chloratmern auf der Stelle zum Tod führt. Wir Sauerstoffatmer können schlimmstenfalls ertrinken, wenn uns nicht rechtzeitig geholfen wird, aber Wasser ist für uns wenigstens nicht giftig oder sogar. Ojemine!“

Der Patient AUGL-Eins-Sechzehn gab zwar immer noch keinen Laut von sich, dafür hatte er sich aber in Bewegung gesetzt. Wie ein organischer Riesentorpedo schoß er auf O'Mara und Cha Thrat zu, wobei er sich von echten Torpedos lediglich dadurch unterschied, daß diese keine Mäuler haben, die sich plötzlich aufsperren.

Verzweifelt schwammen die beiden Sauerstoffatmer in entgegengesetzte Richtungen, um dem angreifenden Chalder zwei Ziele statt eines zu bieten. Während der Patient den einen erledigte, so lautete die Theorie, hätte der andere vielleicht genügend Zeit, es bis zum sicheren Personalraum zu schaffen. Wie O'Mara zuvor beteuert hatte, sei das allerdings nur der Plan für das Eintreten einer kaum vorstellbaren Eventualität. Er hatte einfach nicht glauben wollen, daß der normalerweise so schüchterne, zurückhaltende und zugängliche AUGL-Eins-Sechzehn fähig sein könnte, gegen irgend jemanden einen tödlichen Angriff zu führen.

Diesbezüglich sollte er recht behalten.

Das gewaltige Maul klappte zu, kurz bevor der Chalder durch die Lücke schoß, die sich zwischen dem Chefpsychologen und der Sommaradvanerin geöffnet hatte. Der große Körper schwenkte nach oben, bis er über ihnen war, tauchte auf der anderen Seite wieder nach unten und umschwamm sie in engen Kreisen. Die gewaltige Strömung wirbelte und drehte die beiden Sauerstoffatmer wie Treibholz in der Mitte eines Strudels herum. Cha Thrat hatte keine Ahnung, ob der Chalder sie in der vertikalen oder horizontalen Ebene umkreiste; sie wußte nur, daß er so nah war, daß sie jedesmal die Druckwellen des Wassers spürte, wenn das Maul zuklappte, was nur zu häufig der Fall war. In ihrem ganzen Leben war sie sich noch nie so hilflos, verwirrt und verängstigt vorgekommen.

„Hören Sie mit diesem Unsinn auf, Muromeshomon!“ rief Cha Thrat laut. „Wir sind hier, um Ihnen zu helfen. Warum machen Sie das?“

Zwar wurde der Chalder langsamer, doch zog er weiter seine engen Kreise um die beiden herum. Schließlich riß er das Maul auf und antwortete: „Sie können mir nicht helfen, Cha Thrat. Sie haben selbst gesagt, daß Sie dazu nicht qualifiziert sind. Hier kann mir niemand helfen. Ich möchte weder Ihnen noch sonst jemandem etwas antun, aber ich fürchte mich. Ich habe große Schmerzen. Manchmal möchte ich allen anderen auch Schmerzen zufügen. Halten Sie sich lieber von mir fern, sonst verletzte ich Sie noch.“

Als der Schwanz des Chalders ruckartig ausschlug, Cha Thrats Sauerstoffflaschen streifte und sie dadurch erneut herumgewirbelt wurde, breitete sich ein gedämpfter Knall im Wasser aus. Eine terrestrische Hand ergriff die Sommaradvanerin an einer der Hüftgliedmaßen und stoppte so ihre kreiselnden Bewegungen. Cha Thrat sah, daß der Patient sich wieder in seine dunkle Ecke zurückgezogen hatte und sie nun beobachtete.

„Sind Sie verletzt?“ fragte O'Mara und ließ sie vorsichtig los. „Ist mit Ihren Anzug noch alles Ordnung?“

„Ja“, antwortete Cha Thrat und fügte hinzu: „Er ist fluchtartig weggeschwommen. Ich bin mir sicher, daß er mich nur aus Versehen mit dem Schwanz geschlagen hat.“

Der Terrestrier schwieg einen Augenblick lang und entgegnete dann: „Sie haben den Patienten Eins-Sechzehn vorhin beim Namen genannt. Natürlich kenne ich seinen Namen ebenfalls, weil das Hospital ihn für eine mögliche Benachrichtigung der nächsten Angehörigen benötigt, aber ich würde niemals daran denken, ihn auszusprechen, es sei denn unter ganz besonderen Umständen, und auch dann nur mit der Erlaubnis des AUGL. Aber irgendwie haben Sie seinen Namen erfahren und sprechen ihn nun ebenso selbstverständlich und beiläufig aus wie den von Cresk-Sar, Hredlichli oder mir. Cha Thrat, Sie dürfen einen Chalder niemals.“

„Er hat mir seinen Namen selbst gesagt“, unterbrach ihn Cha Thrat. „Wir haben uns unsere Namen verraten, während wir uns über meine Beobachtungen bezüglich seiner unzulänglichen Behandlung unterhalten haben.“

„Sie haben seine Behandlung als unzulänglich bezeichnet?“ fragte O'Mara ungläubig. Er stieß einen unübersetzbaren Laut aus und fuhr dann fort: „Erzählen Sie mir ganz genau, was Sie ihm gesagt haben.“

Cha Thrat zögerte. Der AUGL hatte inzwischen die dunkle Ecke verlassen und bewegte sich wieder auf sie zu, diesmal aber langsamer. Er hielt auf halbem Wege an, schwebte mit reglosen Flossen und starrem Schwanz auf der Stelle, wobei er die streifenförmigen Tentakel wie einen wallenden, kreisförmigen Fächer um sich herumgeschlagen hatte. Er beobachtete die beiden und lauschte wahrscheinlich aufjedes Wort, das sie miteinander sprachen.

„Wenn ich es mir recht überlege, erzählen Sie es mir lieber nicht“, korrigierte sich O'Mara verärgert. „Zuerst sage ich Ihnen, was ich über den Patienten weiß, und dann können Sie versuchen, meine lückenhaften Kenntnisse aufzubessern. Auf diese Weise vermeiden wir Wiederholungen und sparen Zeit. Ich weiß nämlich nicht, wieviel Zeit er uns fürs Gespräch zugestehen wird, bevor er uns wieder unterbricht. Vermutlich nicht besonders viel, deshalb muß ich schnell reden.“

Bei dem Patienten AUGL-Eins-Sechzehn handelte sich um einen Dauerpatienten, dessen Aufenthaltszeit im Orbit Hospital die der meisten medizinischen Mitarbeiter längst übertroffen hatte. Das Krankheitsbild war und blieb unklar. Mehrere der besten Diagnostiker des Hospitals hatten Eins-Sechzehn untersucht und an bestimmten Stellen der Körperpanzerung Anzeichen für Verformungen gefunden, die zum Teil die körperlichen Beschwerden erklärten: Ein Lebewesen, das fast vollständig in einem Ektoskelett steckte, sich kaum bewegte und eine Art Vielfraß war, konnte unter dem Panzer schließlich nur zunehmen. Die allgemein anerkannte Diagnose lautete Hypochondrie, und dieses Leiden galt als unheilbar.

Der Chalder wurde immer nur dann ernsthaft krank, sobald die Rede davon war, ihn nach Hause zu schicken, und so war das Hospital zu einem Dauerpatienten gekommen. Den Chalder störte das nicht weiter. Ärzte und Psychologen des Hospitals untersuchten ihn damals wie heute in regelmäßigen Abständen, und Assistenzärzte und Schwestern aller im Personal vertretenen Spezies folgten ihrem Beispiel. Zudem wurde Eins-Sechzehn fortwährend von unterschiedlich sanft vorgehenden Studenten gründlich untersucht, von innen nach außen gekehrt und erbarmungslos abgeklopft — und er genoß jede Minute davon. Der Lehrkörper des Hospitals war mit dieser Regelung zufrieden und der Chalder ebenfalls.

„Inzwischen spricht ihm gegenüber niemand mehr von seiner Entlassung“, schloß O'Mara. „Haben Sie mit ihm darüber geredet?“

„Ja“, antwortete Cha Thrat.

O'Mara gab einen weiteren unübersetzbaren Laut von sich, und sie fuhr schnell fort: „Das erklärt auch, warum ihn die übrigen Schwestern nicht beachtet haben, wenn andere Patienten behandelt werden mußten, und der von mir gestellten Diagnose einer unbekannten Herrscherkrankheit zugestimmt haben, die.“

„Sie sollen zuhören, nicht reden!“ unterbrach sie der Terrestrier in scharfem Ton, während der Patient immer näher an sie heranzutreiben schien. „Meine Abteilung hat zwar versucht, die eigentlichen Gründe für Eins-Sechzehns Hypochondrie herauszufinden, aber ich sah mich nicht genötigt, seine Probleme zu lösen, und deshalb bestehen sie immer noch. Das klingt wie eine Entschuldigung, und das ist es auch. Aber Sie müssen verstehen, daß das Orbit Hospital keine psychiatrische Klinik ist und auch nie sein kann. Können Sie sich ein Krankenhaus wie dieses vorstellen, in dem der Großteil der Patienten so vieler verschiedener Spezies, deren bloßer Anblick geistig gesunden Lebewesen Alpträume bereitet, womöglich in guter körperlicher Verfassung, aber ansonsten geistesgestört ist? Es ist für mich so schon schwer genug, die Verantwortung für das geistig-seelische Wohlbefinden des Personals zu tragen, und ich kann gut darauf verzichten, zusätzlich umnachtete Patienten am Hals zu haben, und sei es auch nur ein harmloser Irrer wie Eins-Sechzehn. Wenn ein vom medizinischen Standpunkt kranker Patient Anzeichen geistiger Instabilität aufweist, wird er unter strenger Beobachtung gehalten, falls nötig ruhiggestellt und zur angemessenen Behandlung auf seinen Heimatplaneten zurückgebracht, sobald seine körperliche Verfassung einen solchen Transport zuläßt.“

„Ich verstehe. Das entschuldigt natürlich auch Ihr Verhalten“, bemerkte Cha Thrat.

Die rosa Gesichtsfarbe des Terrestriers wurde dunkler, und er fuhr fort: „Hören Sie genau zu, Cha Thrat, das ist jetzt sehr wichtig. Die Chalder sind eine der wenigen intelligenten Spezies, bei denen die Eigennamen nur zwischen Lebensgefährten, direkten Familienangehörigen oder ganz besonderen Freunden benutzt werden. Jetzt haben Sie, eine Fremde von einer anderen Spezies, den Namen von Eins-Sechzehn aus seinem eigenen Mund erfahren und sogar laut ausgesprochen. Haben Sie das aus Versehen getan? Ist Ihnen bewußt, was dieser Namensaustausch bedeutet? Er bedeutet, daß alles, was Sie dem Chalder gesagt und jede zukünftige Maßnahme, die Sie ihm versprochen haben, genauso bindend ist, wie das feierlichste Versprechen gegenüber der höchsten physischen oder metaphysischen Macht, die man sich vorstellen kann? Begreifen Sie jetzt den Ernst der Lage?“ wollte O'Mara wissen, wobei er einen ruhigen, aber eindringlichen Ton anschlug. „Warum hat er Ihnen seinen Namen verraten? Und worüber haben Sie sich mit ihm genau unterhalten?“

Einen Moment lang konnte Cha Thrat nichts sagen, weil der Patient sehr nah herangekommen war, und zwar so nah, daß sie jede einzelne Zacke der sechs Zahnreihen erkennen konnte. Ein seltsam distanzierter und unbeeindruckter Teil ihres Verstands warf die Frage auf, durch welche evolutionäre Notwendigkeit die oberen drei Reihen länger als die unteren waren. Da klappte das Maul mit einem knöchernen, vom Wasser gedämpften Krachen zu, und der beeindrucktere Teil ihres Gehirns machte sich darüber Gedanken, wie es wohl geklungen hätte, wenn eine Gliedmaße oder gleich der ganze Körper zwischen diese Zähne geraten wäre.

„Sind Sie eingeschlafen?“ raunzte O'Mara sie an.

„Nein“, antwortete Cha Thrat und fragte sich, wie ein intelligentes Wesen eine derart dumme Frage stellen konnte. „Der Chalder und ich haben uns unterhalten, weil er einsam und unglücklich ist. Im Gegensatz zu mir haben die Schwestern für ihn sowieso keine Zeit, da sie ständig mit der prä- oder postoperativen Behandlung anderer Patienten beschäftigt sind. Ich habe dem Chalder von Sommaradva und den Umständen erzählt, die zu meinem Herkommen geführt haben, und auch davon, was ich alles machen könnte, falls ich mich fürs Orbit Hospital als geeignet erweisen sollte. Er sagte mir, ich sei zwar mutig und einfallsreich und vor allem nicht alt und krank, aber zunehmend ängstlich wie er selbst.

Er hat mir erzählt, daß er oft davon geträumt habe, frei im warmen Ozean von Chalderescol II umherzuschwimmen, anstatt in dieser keimfreien, wassergefüllten Kiste mit seinen ungenießbaren Plastikpflanzen“, fuhr sie fort. „Er könne zwar mit den anderen AUGL-Patienten über seinen Heimatplaneten sprechen, aber die stünden während der postoperativen Erholung oft unter Beruhigungsmitteln. Das medizinische Personal sei freundlich und spreche auch in den seltenen Momenten, in denen es dafür Zeit habe, mit ihm. Außerdem hat er mir versichert, er werde niemals aus dem Hospital fliehen, weil er zu alt, ängstlich und krank sei.“

„Aus dem Hospital fliehen?“ staunte O'Mara. „Wenn unser Patient das Orbit Hospital allmählich als Gefängnis betrachtet, ist das, von der psychologischen Seite her gesehen, durchaus als Zeichen der Besserung seines Zustands zu werten. Aber fahren Sie fort. Was haben Sie ihm gesagt?“

„Wir haben in erster Linie über ganz allgemeine Themen gesprochen“, antwortete Cha Thrat. „Über unsere Planeten, unsere Arbeit, unsere Erlebnisse in der Vergangenheit, unsere Freunde und Familien, unsere Weltanschauungen.“

„Ja, ja“, unterbrach sie der Terrestrier ungeduldig mit Blick auf Eins-Sechzehn, der sich langsam immer näher heranschob. „Diese oberflächlichen Plaudereien interessieren mich nicht. Ich will nur wissen, ob Sie möglicherweise etwas gesagt haben, das bei ihm diese Reaktionen hervorgerufen haben könnte.“

Cha Thrat bemühte sich redlich, die Sachlage in knappen, präzisen und unmißverständlichen Worten auszudrücken. „Er hat mir von dem Raumunfall und seinen Verletzungen berichtet, wegen denen er ursprünglich hier eingeliefert worden war, von den ständigen, aber unregelmäßigen Schmerzphasen, wegen denen er hierbleibt, und von seiner tiefen Unzufriedenheit mit seinem Leben im allgemeinen.

Ich war mir seiner genauen Stellung auf Chalderescol nicht sicher, aber so, wie er seine Arbeit beschrieben hat, habe ich ihn wenigstens für einen Krieger der oberen Klasse gehalten, wenn nicht sogar für einen Herrscher“, fuhr sie fort. „Zu der Zeit hatten wir uns schon unsere Namen gesagt, und deshalb entschied ich mich, ihm mitzuteilen, daß die vom Hospital durchgeführte Behandlung eher die Symptome als die Ursachen bekämpfe und sich zudem gegen die falsche Krankheit richte. Weiter habe ich ihm erklärt, daß mir sein Leiden nicht unbekannt sei, und obwohl ich nicht die Qualifikation zu seiner Behandlung besäße, gäbe es auf Sommaradva Zauberer, die dazu befähigt seien. Mehrmals habe ich ihn darauf hingewiesen, daß er hier im Hospital langsam zu einer Art Institution geworden sei und er vielleicht glücklicher wäre, wenn er nach Hause zurückkehren würde.“

Mittlerweile trieb der Patient sehr nahe vor ihnen.

Sein gewaltiges Maul war zwar geschlossen, aber nicht reglos, denn es vollführte eine gleichmäßige Kaubewegung, die darauf hindeutete, daß er mit den Zähnen knirschte. Untermalt wurde diese Kieferaktivität von einem hohen, gurgelnden Stöhnen, das gleichermaßen gräßlich und seltsam mitleiderregend klang.

„Fahren Sie fort, Cha Thrat“, bat O'Mara sie mit leiser Stimme. „Aber passen Sie bloß auf, was Sie sagen.“

„Viel gibt es eigentlich nicht mehr zu berichten“, kam Cha Thrat allmählich zum Ende. „Bei unserer letzten Begegnung habe ich ihm mitgeteilt, daß ich zwei Tage frei hätte. Er wollte sich aber unbedingt mit mir über die Zauberer auf Sommaradva unterhalten und fragte mich, ob sie nicht nur seine Schmerzen, sondern auch seine Angst heilen könnten. Er hat mich als mein Freund gebeten, ihn zu behandeln oder einen unserer sommaradvanischen Brüder zu rufen, der ihn heilen könnte. Ich habe ihm erklärt, daß ich zwar einiges Wissen über die Beschwörungen der Zauberer besäße, aber nicht genug, um eine Behandlung zu wagen. Außerdem erlaube mir das nicht meine Position hier im Hospital, und ich hätte auch nicht die Befugnis, einen Zauberer kommen zu lassen.“

„Und was hat er ihnen darauf geantwortet?“ fragte O'Mara.

„Nichts“, entgegnete Cha Thrat. „Und danach wollte er auch nicht mehr mit mir sprechen.“

Plötzlich blickten sie in das weit aufgerissene Maul des AUGL, der aber immerhin seinen Abstand beibehalten hatte, auch wenn dieser noch immer unangenehm nah war. „Sie sind nicht so wie die anderen, die nichts für mich getan und mir aber auch nie etwas versprochen haben, Cha Thrat“, beklagte er sich. „Mit Ihren Zauberern haben Sie bei mir die Hoffnung geweckt, eines Tages geheilt zu werden, und im selben Augenblick einen Rückzieher gemacht. Die Schmerzen, die Sie mir zugefügt haben, sind sehr viel schlimmer als die, wegen denen ich hier im Hospital bleiben muß. Und jetzt verschwinden Sie endlich, Cha Thrat! Zu Ihrer eigenen Sicherheit, gehen Sie mir aus den Augen!“

Das Maul klappte krachend zu. Der Chalder fegte um sie herum und steuerte auf das andere Ende der Station zu. Sie konnten zwar nichts Genaues sehen, aber den Stimmen nach zu urteilen, die aus dem Personalraum herüberdrangen, schien der AUGL vorzuhaben, dort Unheil anzurichten.

„Meine Patienten!“ schrie Oberschwester Hredlichli verzweifelt. „Meine neuen Regale und Arzneischränke.“

„Den Bildschirmen zufolge ist den Patienten nichts passiert“, fiel ihr Cresk-Sar ins Wort. „Das war allerdings nur Glück. Ich schicke jetzt den Transporttrupp rein, um Eins-Sechzehn aus dem Verkehr zu ziehen. Aber das wird ein bißchen kitzlig werden. Sie beide kommen jetzt schnell hierher zurück.“

„Nein, warten Sie“, widersprach O'Mara. „Wir versuchen noch einmal, mit ihm zu sprechen. Schließlich ist er kein gewalttätiger Patient, und ich glaube nicht, daß wir uns wirklich in Gefahr befinden.“ Auf Cha Thrats Frequenz fügte er hinzu: „Aber irgendwann irrt man sich immer zum erstenmal.“

Aus irgendeinem Grund tauchte plötzlich vor Cha Thrats geistigem Auge ein Bild aus ihrer Kindheit auf. Sie erinnerte sich an ihr Lieblingstier, den kleinen, bunten Fisch, der immer im Kreis herumschwamm und hoffnungslos und verzweifelt gegen die durchsichtigen Wände seiner Glaskugel stieß. Hinter diesen Wänden, wie hinter denen des Hospitals, herrschten äußere Bedingungen, unter denen er rasch erstickt und gestorben wäre. Aber daran hatte dieser kleine Fisch genausowenig wie jetzt dieses riesengroße Wesen auf der AUGL-Station gedacht.

„Als Eins-Sechzehn Ihnen seinen Namen verraten hat, hat er Ihnen und sich selbst die bindende Verpflichtung auferlegt, einander in jeder erdenklichen Weise zu helfen, so, wie Sie sich gegenüber einem Lebensgefährten oder einem Mitglied Ihrer Familie verhalten würden“, belehrte O'Mara sie im ruhigen, aber bestimmten Ton. „Nachdem Sie die Möglichkeit einer Heilung durch einen sommaradvanischen Zauberer erwähnt hatten, wobei die tatsächliche Wirksamkeit solch einer Behandlung jetzt überhaupt keine Rolle spielt, hat der Chalder von Ihnen erwartet, daß Sie weder Kosten noch Mühen oder Gefahren scheuen, um den Zauberer herbeizuschaffen.“

Durch das grüne Wasser breiteten sich jetzt die Geräusche berstenden Metalls und das Jammern der übrigen AUGLs aus, und Hredlichlis Stimme klang sehr aufgeregt.

O'Mara überhörte den Lärm und fuhr eindringlich fort: „Sie müssen ihm gegenüber ihr Wort halten, Cha Thrat, auch wenn Ihre Zauberer Eins-Sechzehn möglicherweise nicht mehr helfen können als wir. Mir ist klar, daß Sie nicht die Befugnis haben, einen Ihrer Zauberer hierherzubestellen. Aber wenn das Orbit Hospital und das Monitorkorps ihren Einfluß geltend machen und gemeinsam Ihrem Wunsch Nachdruck verleihen.“

„Es würde trotzdem niemand hierherkommen“, unterbrach ihn Cha Thrat. „Zauberer sind zwar für ihre Beeinflußbarkeit bekannt, aber dumm sind deswegen noch lange nicht. Vorsicht! Er kommt zurück!“

Diesmal näherte sich ihnen Eins-Sechzehn langsamer und bedächtiger, doch immer noch zu schnell, um sich schwimmend in Sicherheit bringen zu können. Auch der mit den Betäubungsgewehren ausgerüstete Transporttrupp konnte sie nicht mehr rechtzeitig erreichen, um ihnen beizustehen. Die Patienten auf der Station und die ängstlich zusehenden Wesen im Personalraum gaben keinen Laut von sich. Während der AUGL bedrohlich anrückte, glaubte Cha Thrat, in seinen Augen den wilden, wahnsinnigen Blick eines verwundeten Raubtiers zu erkennen. Langsam öffnete der Chalder das Maul.

„Sprechen Sie ihn mit seinem Namen an, verdammt noch mal!“ brüllte O'Mara aufgeregt.

„Mu. Mu. Muromeshomon, mein. mein Freund“, stammelte Cha Thrat. „Wir sind hier, um Ihnen zu helfen.“

Das zornige Funkeln in den Augen des Chalders schien sich ein wenig zu legen, so daß sich in ihnen nunmehr das eigentliche Leiden des AUGL widerspiegelte. Das Maul öffnete und schloß sich langsam, aber nur zum Sprechen.

„Meine Freundin, Sie befinden sich in großer Gefahr“, warnte sie der AUGL. „Sie haben mich mit meinem Namen angesprochen und mir erzählt,

daß mich das Hospital mit seinen Ärzten und Geräten sowieso nicht heilen kann und mich längst aufgegeben hat. Und Sie selbst wollen mir auch nicht helfen, obwohl meine Heilung nach Ihren eigenen Worten möglich ist. Wenn unsere Rollen vertauscht wären, würde ich mich nicht so verhalten wie Sie, mich sogar strikt weigern, so vorzugehen. Sie sind keine ebenbürtige Freundin, Sie besitzen überhaupt kein Ehrgefühl. Ich bin von Ihnen schwer enttäuscht und verachte Sie. Verschwinden Sie sofort! Retten Sie Ihr Leben! Mir ist nicht mehr zu helfen.“

„Nein!“ widersprach Cha Thrat heftig. Das Maul des Chalders öffnete sich weiter, in die Augen trat erneut dieses wahnsinnige Funkeln, und Cha Thrat war klar, daß sie bei einem Angriff des AUGL dessen erstes Opfer sein würde. Verzweifelt fuhr sie fort: „Es stimmt, ich kann Ihnen nicht helfen. Ihre Krankheit ist weder durch die Kräuter eines Heilers noch durch das Messer eines Chirurgen zu heilen, weil es sich um das Leiden eines Herrschers handelt, das die Beschwörungen eines Zauberers erfordert. Vielleicht könnte Sie ein sommaradvanischer Zauberer heilen, aber da Sie selbst kein Sommaradvaner sind, ist das keineswegs sicher. Allerdings ist dieser Terrestrier hier ein Zauberer. Er hat in der Heilung von Herrschern, die den verschiedensten Lebensformen angehörten, bereits sehr viel Erfahrung gesammelt. Ich hätte ihn auch sofort auf Ihren Fall angesprochen, aber da ich mich noch in der Ausbildung befinde und mir unsicher war, wie ich vorgehen sollte, hatte ich vorgehabt, ihn aus irgendeinem vorgeschobenen Grund um ein Gespräch zu bitten, um ihm dann ausführlich von Ihnen zu berichten.“

Der AUGL hatte das Maul wieder geschlossen, bewegte die Kiefer aber auf eine Weise, die sowohl Wut als auch Ungeduld bedeuten konnte, und Cha Thrat beeilte sich zu sagen: „Ich habe hier im Hospital immer wieder von allen Seiten gehört, daß O'Mara große Zauberkräfte besitzt.“

„Verdammt, ich bin hier der Chefpsychologe und kein Zauberer!“ fuhr O'Mara dazwischen. „Wir sollten lieber versuchen, bei den Tatsachen zu bleiben, und nicht mehr Versprechungen machen, als wir auch halten können!“

„In meinen Augen sind Sie kein Psychologe, sondern ein Zauberer!“ widersprach Cha Thrat heftig. Sie war auf diesen Terrestrier, der das Nächstliegende nicht sehen wollte, so zornig, daß sie für einen Augenblick fast die durch Eins-Sechzehn drohende Gefahr vergaß. Nicht zum erstenmal fragte sie sich, was für eine obskure und unbekannte Herrscherkrankheit dafür verantwortlich war, daß sich Lebewesen von hoher Intelligenz und großer Macht zuweilen so dumm verhielten. Weniger heftig fuhr sie fort: „Nach sommaradvanischer Auffassung ist ein Psychologe weder ein Heiler für Sklaven noch ein Chirurg für Krieger, sondern ein Wesen, das sich um wissenschaftliche Erkenntnisse bemüht, indem es durch körperliche und seelische Anspannung hervorgerufene Gehirnströme oder Veränderungen im Körper mißt oder eingehende Beobachtungen bezüglich des Verhaltens anstellt. Ein Psychologe versucht, auf dem Gebiet der Zaubersprüche, Alpträume und wechselnden Realitäten unumstößliche Gesetze aufzustellen und aus dem eine Wissenschaft zu machen, was schon immer eine Kunst gewesen ist, und zwar eine ausschließlich von Zauberern ausgeübte Kunst.“

Beide, der AUGL und O'Mara, glotzten Cha Thrat mit starren, unbeweglichen Augen an. Die Miene des Patienten hatte sich zwar nicht verändert, aber das rosa Gesicht des Terrestriers war viel dunkler geworden.

„Ein Zauberer hingegen kann sich für seine Beschwörungen die Hilfsmittel und tabellarischen Aufstellungen des Psychologen zunutze machen, um die komplizierten, unstofflichen Strukturen des Bewußtseins zu beeinflussen, muß es aber nicht unbedingt“, fuhr Cha Thrat unbeirrt fort. „Ein Zauberer wendet Worte, Schweigen, sehr genaue Beobachtungen und die eigene Intuition an, um die anormale subjektive Wirklichkeit des Patienten mit der objektiven Wirklichkeit zu vergleichen und sie ihr schrittweise anzupassen. Das ist der Unterschied zwischen einem Zauberer und einem Psychologen.“

Das Gesicht des Terrestriers war immer noch unnatürlich dunkel. Mit einer Stimme, die zugleich ruhig und barsch war, entgegnete er: „Danke,

daß Sie mich daran erinnert haben.“

„Für das, was getan werden muß, ist kein Dank nötig“, erwiderte Cha Thrat förmlich. „Darf ich bitte hierbleiben und Ihnen zugucken? Bisher hatte ich noch nie Gelegenheit, einem Zauberer bei der Arbeit zuzusehen.“

„Was hat der Zauberer denn mit mir vor?“ wollte der AUGL plötzlich wissen.

Er klang eher neugierig und gespannt als verärgert, und zum erstenmal seit Betreten der Station fühlte sich Cha Thrat allmählich wieder etwas wohler in ihrer Haut.

„Nichts“, antwortete O'Mara überraschend. „Ich werde überhaupt nichts tun.“

Selbst auf Sommaradva steckten die Zauberer voller Überraschungen. Ihr Verhalten war unberechenbar und oft gaben sie Äußerungen von sich, die zunächst belanglos, merkwürdig formuliert oder gar dumm klangen. Die geringe Auswahl an Fachliteratur, die jemandem, der zur Klasse der Chirurgen für Krieger gehörte, zur Verfügung stand, hatte Cha Thrat immer wieder genauestens studiert. Deshalb mischte sie sich jetzt nicht mehr ein und sah und hörte mit großer Erwartung zu, während der Terrestrier zunächst tatsächlich keinerlei Anstalten machte, etwas zu unternehmen.

Sehr zurückhaltend begann O'Mara schließlich mit der Beschwörung, wobei die von ihm gewählten Worte allerdings alles andere als zurückhaltend waren, und er schilderte, wie AUGL-Eins-Sechzehn als befehlshabender Offizier und einziger Überlebender seines Schiffs im Hospital eingeliefert worden war. Die Raumfahrzeuge der Wasserarmer, insbesondere die der riesigen Bewohner von Chalderescol II, waren für ihre Schwerfälligkeit und Unsicherheit berüchtigt, und Eins-Sechzehn war zwar sowohl von den Ermittlern des Monitorkorps als auch von den Behörden auf Chalderescol II von jeglicher Verantwortung für den Unfall freigesprochen worden, er selbst hatte die Folgen dieses tragischen Ereignisses aber nie richtig überwunden. Das stellte sich damals heraus, als die körperlichen Wunden des Patienten zwar verheilt waren, er aber nicht aufhören wollte, über ernsthafte, psychosomatisch bedingte Beschwerden zu klagen, wann immer das Thema seiner Heimkehr angeschnitten wurde.

Man hatte viele Versuche unternommen, um dem Patienten klarzumachen, daß er sich durch die Trennung von seinem Zuhause und seinen Freunden selbst für ein Verbrechen bestrafe, das er sich höchstwahrscheinlich nur einbilde, aber ohne Erfolg: Eins-Sechzehn wollte nicht bewußt zugeben, ein Verbrechen begangen zu haben, und deshalb erreichte man durch die Beteuerung seiner Unschuld nichts bei ihm. Für einen Chalder bestand das wertvollste Gut in seiner persönlichen Unbescholtenheit, die moralisch niemals angefochten werden durfte. AUGL-Eins-Sechzehn war ein sensibles, intelligentes Wesen mit großen Fähigkeiten und äußerlich ein folgsamer und hilfsbereiter Patient. Doch wenn es um die eigene Selbsttäuschung ging, reagierte er gegen Beeinflussungen von außen genauso empfindlich wie die Umlaufbahn eines großen Planeten.

Da sich der Chalder letztendlich nur im Hospital relativ schmerzfrei und glücklich fühlte, war das Orbit Hospital zu einem Dauerpatienten, einen kerngesunden AUGL, gekommen, und die psychologische Abteilung, die sich eigentlich ausschließlich um die Belange des Personals kümmern sollte, hatte es seither mit einer ständigen, strikt inoffiziellen Herausforderung zu tun.

Im stillen entschuldigte sich Cha Thrat bei dem Terrestrier dafür, daß sie ihm Gleichgültigkeit unterstellt hatte, und hörte voller Bewunderung zu, während die Beschwörung konkretere Formen annahm.

„Und jetzt ist durch eine unglückliche Verkettung von Umständen eine wesentliche Veränderung eingetreten“, fuhr O'Mara fort. „Durch Ihre Gespräche mit anderen Patienten von Chalderescol II, die in der Regel nur für kurze Zeit hier sind, haben Sie immer stärkeres Heimweh bekommen. Ihr Zorn über die Vernachlässigung durch das medizinische Personal ist ständig größer geworden, weil Sie selbst — wenn auch nur unterbewußt — daran zweifelten, ob Sie überhaupt krank sind und die Aufmerksamkeit des Personals benötigen. Und dann kam es zu der ungerechtfertigten, für Sie jedoch glücklichen Einmischung der Schwesternschülerin Cha Thrat, die Ihren Verdacht, nicht wie ein Patient behandelt zu werden, bestätigte.

Mit unserer offenherzigen Schülerin haben Sie viele Gemeinsamkeiten. Sie beide haben wirkliche oder eingebildete Gründe, nicht nach Hause zurückkehren zu wollen. Auf Sommaradva wie auf Chalderescol II stehen persönliche Unbescholtenheit und öffentliches Ansehen sehr hoch im Kurs. Doch hat Ihre sommaradvanische Freundin von den Sitten und Bräuchen fremder Spezies keinerlei Ahnung, und als Sie den beispiellosen Schritt unternommen haben, einem Nicht-Chalder Ihren Namen zu verraten, sind Sie von Cha Thrat in Ihren Augen enttäuscht und schwer verletzt worden, weil sie sich Ihnen gegenüber im nachhinein wie die übrigen Personalangehörigen verhalten hat. Dadurch waren Sie gezwungen, mit Gewalt zu reagieren, doch aufgrund Ihrer charakterlich bedingten Selbstbeherrschung richtete sich diese Gewalt nur gegen leblose Gegenstände.

Aber der simple Akt, dieser verständnisvollen und am Anfang ihrer Ausbildung stehenden Sommaradvanerin Ihren Namen zu verraten, ist das allerdeutlichste Zeichen dafür, wie dringend Sie sich dabei helfen lassen wollen, aus dem Hospital herauszukommen. Sie wollen doch noch immer nach Hause, oder?“

AUGL-Eins-Sechzehn antwortete mit einem weiteren hohen, gurgelnden Laut, der vom Translator nicht übersetzt wurde. Seine Augen beobachteten nur den Terrestrier, und die Muskeln um das geschlossene Maul herum waren nicht mehr hart wie Eisen angespannt.

„Das war natürlich eine dumme Frage“, räumte O'Mara selbstkritisch ein. „Natürlich wollen Sie nach Hause. Das Problem ist nur, daß Sie Angst davor haben und genauso gerne hierbleiben möchten. Also stecken Sie in einem Dilemma. Aber lassen Sie mich versuchen, es dadurch zu lösen, indem ich Ihnen hiermit offiziell mitteile, daß Sie ab sofort wieder ein Patient wie jeder andere sind und sich an die Anweisungen des Hospitalpersonals zu halten haben. Deshalb werde ich Sie höchstpersönlich mit einer speziellen, längerfristigen Therapie behandeln und Sie nicht nach Hause zurückkehren lassen, bevor ich Sie nicht für geheilt erklärt habe.“

Vordergründig hatte sich die Situation nicht geändert, dachte Cha Thrat voll Bewunderung: Das Hospital behielt seinen Dauerpatienten AUGL-Eins-Sechzehn, über die Dauer dieser Regelung bestanden nun allerdings keine Zweifel mehr. Der Chalder hatte seine Lage jetzt völlig begriffen und stand vor der Wahl, entweder zu bleiben oder heimzukehren, wobei der Tag seiner Entlassung offengeblieben war, um seine natürliche Angst vor der Abreise zu verringern. Da er aber mit dem Leben im Krankenhaus nicht mehr ganz zufrieden war und der terrestrische Zauberer die Rehabilitierungsmaßnahmen der Therapie vorsichtig angesprochen hatte, war die subjektive Wirklichkeit des Chalders bereits jetzt verändert worden.

Wie O'Mara weiter ausführte, könne dem AUGL vom Monitorkorps jederzeit Material über die seit seiner Abwesenheit eingetretenen Veränderungen auf seinem Heimatplaneten bereitgestellt werden. Sollte er sich zur Abreise entschließen, wäre das für ihn sehr nützlich, falls er aber lieber bleiben wollte, immerhin informativ. O'Mara selbst und andere Wesen, die der Chalder selbst benennen könne, würden ihm regelmäßige und häufige Besuche abstatten.

O ja, dachte Cha Thrat, während O'Mara fortfuhr, dieser Terrestrier ist wirklich ein guter Zauberer.

Der Transporttrupp hatte mitsamt den Betäubungsgewehren längst den Personalraum verlassen; Cresk-Sar und Hredlichli mußten also zu dem Schluß gelangt sein, daß die von AUGL-Eins-Sechzehn ausgehende Gefahr bereits gebannt war. Bei einem Blick auf den ruhig im Wasser schwebenden, schmerzfreien Patienten, der an O'Maras Lippen hing, mußte Cha Thrat den beiden voll und ganz zustimmen.

„Über eins sollten Sie sich jetzt im klaren sein: Wenn Sie aus dem Hospital entlassen werden wollen und mich davon überzeugen können, daß Sie in der Lage sind, sich wieder in das Leben auf Ihrem Heimatplaneten einzufügen, werde ich Sie sowohl mit großem Vergnügen als auch mit äußerstem Bedauern hier hinauswerfen“, sagte der Terrestrier gerade. „Sie sind sehr lange Patient gewesen,und bei vielen dienstälteren Angehörigen des Personals hat sich das berufliche Interesse an Ihnen längst in ein persönliches gewandelt. Aber das Beste, was ein Krankenhaus für einen Freund tun kann, ist, ihn so schnell wie möglich zu entlassen, und zwar als geheilt.

Verstehen Sie das?“ wollte O'Mara wissen.

Zum erstenmal, seit der Terrestrier mit ihm zu sprechen begonnen hatte, wandte sich AUGL-Eins-Sechzehn wieder an Cha Thrat. „Ich glaube, ich fühle mich jetzt schon sehr viel besser. Trotzdem bin ich verunsichert und kriege Angst, wenn ich daran denke, was auf mich alles zukommt. War das eben so eine Beschwörung wie auf Sommaradva? Ich meine, ist O'Mara ein guter Zauberer?“

Cha Thrat bemühte sich, ihre Begeisterung zu zügeln. „Das war der Anfang einer ganz hervorragenden Beschwörung, und es heißt bei uns, daß ein wirklich guter Zauberer die mühsame Arbeit seinem Patienten überläßt.“

O'Mara stieß erneut einen seiner unübersetzbaren Laute aus und gab Hredlichli durch ein Zeichen zu verstehen, daß sich die Schwestern jetzt ohne Gefahr den anderen Patienten widmen könnten. Als O'Mara und Cha Thrat sich abwandten, um AUGL-Eins-Sechzehn zu verlassen, der wieder so freundlich und sanftmütig wie immer war, meldete sich dieser noch einmal zu Wort.

„O'Mara, Sie können mich ruhig mit meinem Namen anreden“, sagte er förmlich.

Als sich O'Mara, Cresk-Sar und Cha Thrat wieder in der Luft der Schleusenvorkammer befanden und alle außer Hredlichli das Visier geöffnet hatten, schimpfte die Oberschwester verärgert: „Ich will diese. diese lästige Sitsachi nicht mehr länger in meiner Nähe haben! Ich weiß, daß es Eins-Sechzehn allmählich bessergehen und er uns eines Tages verlassen wird, und darüber bin ich heilfroh. Aber sehen Sie sich doch mal die Station an! Alles kurz und klein geschlagen! Ich weigere mich, Cha Thrat noch mal auf die Station zu lassen, und dieser Entschluß ist endgültig!“

O'Mara blickte die Chloratmerin einen Augenblick lang an und entgegnete dann im ruhigen, sachlichen Ton eines Herrschers: „Selbstverständlich haben Sie das Recht, eine Auszubildende anzunehmen oder abzulehnen. Aber Cha Thrat wird volle Besuchsfreiheit erhalten, ob mit oder ohne meine Begleitung, wann immer und sooft der Patient oder ich selbst dies für nötig erachten. Mit einer besonders langwierigen Behandlung rechne ich allerdings nicht. Wir sind Ihnen für Ihre Mitarbeit dankbar, Oberschwester, und jetzt möchten Sie bestimmt wieder an Ihre Arbeit gehen.“

Als sich Hredlichli mürrisch entfernt hatte, sagte Cha Thrat: „Bis jetzt hatte sich keine Gelegenheit geboten, mit Ihnen zu sprechen, und ich bin mir nicht sicher, wie Sie meine Äußerungen aufnehmen werden. Jedenfalls wird auf Sommaradva von einem Zauberer oder hohen Herrscher gute Arbeit erwartet, und deshalb ist für einen Höherstehenden das Lob eines Untergebenen überflüssig und sogar beleidigend. Aber in diesem Fall.“

O'Mara bat mit erhobener Hand um Ruhe und entgegnete: „Nichts von dem, was Sie sagen, ob nun schmeichelhaft oder nicht, wird sich auf das auswirken, was auf Sie sowieso noch zukommt. Also sparen Sie sich lieber Ihre Worte.“ Grimmig fuhr er fort: „Sie stecken in ernsthaften Schwierigkeiten, Cha Thrat. Die Nachricht von dem, was hier geschehen ist, wird sich bald im ganzen Hospital verbreitet haben. Sie müssen verstehen, daß eine Oberschwester ihre Station als ihr Reich und die Schwestern als ihre Untertanen betrachtet. Unruhestifterinnen, zu denen auch Schwesternschülerinnen gehören, die zu früh zu viel Eigeninitiative an den Tag legen, werden in die Verbannung geschickt. Praktisch kann das bedeuten, entweder müssen Sie nach Hause oder an ein anderes Krankenhaus gehen. Ich wäre überrascht, wenn es hier auch nur noch eine einzige Oberschwester gibt, die Sie zur praktischen Ausbildung auf ihrer Station aufnimmt.“

Der Terrestrier hielt kurz inne, um Cha Thrat für einen Moment Zeit zu geben, seine Worte zu verarbeiten, und fuhr dann fort: „Sie haben zwei Möglichkeiten: Fliegen Sie wieder nach Hause, oder nehmen Sie einen nichtmedizinischen Sklavenjob beim Wartungsdienst an.“

In verständnisvollerem Ton, als er ihn je zuvor gegenüber Cha Thrat angeschlagen hatte, ergriff jetzt Cresk-Sar das Wort: „Sie sind eine äußerst fleißige und vielversprechende Schwesternschülerin, Cha Thrat. Wenn Sie eine solche Stelle annehmen würden, könnten Sie trotzdem noch Eins-Sechzehn besuchen und mit ihm sprechen, an meinem Unterricht teilnehmen und sich in Ihrer Freizeit das Programm auf den Schulungskanälen ansehen. Doch ohne praktische Stationserfahrung brauchen Sie sich keine Hoffnung zu machen, sich für eine medizinische Tätigkeit am Orbit Hospital qualifizieren zu können.

Wenn Sie nicht aufgeben“, fuhr der Chefarzt fort, „kann es gut sein, daß Sie die Antwort auf die Frage, die Sie mir heute morgen im Freizeitbereich gestellt haben, selbst finden.“

Cha Thrat erinnerte sich sehr gut an die Frage und auch an die Belustigung, die sie unter den Freunden des Ausbilders hervorgerufen hatte. Sie erinnerte sich ebenfalls an den anfänglichen Schock und vor allem an das Gefühl der Schande, als man ihr damals die Aufgaben einer Schwesternschülerin erklärt hatte. Einer sommaradvanischen Chirurgin für Krieger konnte man keine erniedrigendere Tätigkeit zumuten, hatte sie damals gedacht, was sich aber im nachhinein als Irrtum herausgestellt hatte.

„Ich kenne zwar die im Hospital geltenden Grundsätze immer noch nicht genau“, antwortete sie, „aber mir ist bewußt, daß ich sie in irgendeiner Weise verletzt habe und deshalb die Konsequenzen tragen muß. Für den einfachen Weg werde ich mich jedenfalls nicht entscheiden.“

O'Mara murmelte seufzend: „Das ist allein Ihre Entscheidung, Cha Thrat.“

Bevor sie antworten konnte, mischte sich erneut der nidianische Chefarzt ein. „Wenn Cha Thrat in den Wartungsdienst gesteckt wird, wäre das eine fast kriminelle Vergeudung ihrer Fähigkeiten“, protestierte Cresk-Sar. „Sie ist die vielversprechendste Schülerin der ganzen Klasse. Wenn wir warten würden, bis Hredlichlis Aufschrei der Empörung verklungen ist oder sich das Gerede auf einen neuen Skandal konzentriert, könnte man vielleicht eine Station finden, die Cha Thrat zumindest probehalber aufnehmen würde und.“

„Schluß jetzt“, unterbrach ihn O'Mara, der sich zusehends erweichen ließ. „Ich halte eigentlich nichts davon, sich etwas zweimal zu überlegen, weil der erste Gedanke gewöhnlich der richtigere ist. Zunächst habe ich auch die Nase voll von Ihrer Schülerin gehabt, außerdem bin ich müde und habe Hunger.

… es gibt solch eine Station“, fuhr er fort. „Die Lage der Geriatrie für FROBs, die an chronischem Personalmangel leidet, ist möglicherweise verzweifelt genug, um Cha Thrat aufzunehmen. Das ist zwar keine Station, der ich unter normalen Umständen eine Schwesternschülerin zuteilen würde, die nicht zur Spezies der dort behandelten Patienten gehört, aber trotzdem werde ich bei der erstbesten Gelegenheit Diagnostiker Conway darauf ansprechen.

Und jetzt verschwinden Sie endlich“, schloß er mürrisch, „bevor ich Sie beide mit einem Zauberspruch ins Zentrum des nächsten weißen Zwergs schleudere!“

Auf dem Weg zur Kantine sagte Cresk-Sar: „Das ist eine unangenehme Station, und die Arbeit ist, wenn überhaupt, noch anstrengender als die Tätigkeit beim Wartungsdienst. Aber dafür können Sie diesen Patienten sagen, was Sie wollen, das macht da niemandem etwas aus. Was auch immer dort passiert, Probleme können Sie auf dieser Station jedenfalls nicht bekommen.“

Die Worte des Nidianers klangen zwar zuversichtlich und beruhigend, aber in seiner Stimme schwang ein zweifelnder Unterton mit.

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