«Was, Sie haben noch nie eine Prärieauster gegessen?», rief der Major. – «Nein.» – «Na, das holen wir sofort nach, gleich heute Abend!» Und so geschah es auch, nachdem wir allen einen Rundflug mit verbundenen Augen angeboten hatten, selbst dem Koch und den Lastenträgern und einem kleinen Mann, der von der Straße weg hereingezerrt wurde, und während wir unsere Prärieaustern[27] verspeisten und einen letzten Schluck Scotch tranken, fielen irgendwo am Stadtrand Gewehrschüsse. Jemand schaute hinaus auf den regnerischen Platz vor dem Fenster und sagte: «Oha, klingt nach einer Schießerei.» Nachdem ich zu Bett gegangen war, konnte ich durch das Regenlispeln an Lehmmauern hin und wieder einen Schuss hören, der wie splitterndes Glas durch den Rhythmus des Regens fuhr.
Morgens bei Eiern und Speck stellte sich heraus, dass es ein Überfall auf den Serai, den Regierungssitz, gewesen war und dass der Tresor erbeutet worden war. «Macht nichts», sagte der Berater, «ich weiß, wer es war, ein guter Freund von mir. Ich werde ihn einsperren lassen. Diese verdammten einheimischen Soldaten stecken wahrscheinlich unter eine Decke mit ihm. Ich werde ihn mir vorknöpfen.» Kaum hatten wir die letzte Tasse Tee getrunken, als mit großem Tamtam ein junger Mann hereingerauscht kam, der eine elegante persischen Abaya aus Kamelhaar und einen kostbaren rosa Agal trug, der so schwer mit Goldfäden durchwirkt war, dass er ihm grotesk schief auf dem Kopf saß. Er sagte, er sei der Sohn des Naqib von Medina und ein Verwandter von König Faisal, und gab, wie ich später erfuhr, eine lebhafte Beschreibung des heldenhaften Widerstandes, den das Karawanenlager im Kampf gegen die Angreifer geleistet hatte. Er sagte auch, dass es für die Kamele zu nass sei und dass wir uns noch einen Tag die verfallenen Mauern und Dattelgärten von Ramadi angucken sollten. Morgen, so Gott will ... Bukra inschallah.
Dann wurden der Pilot und der Geheimdienstmann und ich eingeladen, den jungen Mann mit dem rosagoldenen Agal in seinem Zelt zu besuchen. Ich musste auf einem Pferd mit roten Troddeln am Zaumzeug reiten. In dem Zelt, einem in Bagdad gekauften englischen Zelt, saßen wir auf Schaffellen und tranken Tee und aßen türkische Süßigkeiten, und ich blätterte in meiner Liste mit arabischen Ausdrücken wie in einem Brevier. Bronzegesichtige Leute traten ein, grüßten höflich und schwiegen. Talgiger Schaffellgeruch. Blitzende Augen und Zähne, braune Zehen auf einem persischen Teppich, schlanke Hände bewegungslos unter Gewandfalten, und ein verwegen aussehender Mann mit schwarzem Bart reichte kleine bauchige Teegläser herum, in die der junge Mann mit dem rosagoldenen Agal, der, wie sich herausstellte, Sajjid Mohammed hieß, als besondere Aufmerksamkeit eigenhändig Kondensmilch gab. Schließlich entkamen wir nach vielen beiderseitigen Verbeugungen und Höflichkeiten an die frische Luft und kehrten zurück zu Stühlen, Whisky-Soda und Lunch. Am Nachmittag tauchte der unermüdliche Sajjid Mohammed wieder auf und schleppte mich zu den Kaffeehäusern und Zigarettenhändlern im kleinen Basar nahe dem Euphrat. Wir hockten auf Korbbänken, grinsten einander zu, sprachlos wie Affen, und beobachteten die schimmernden Fliegen draußen in der Sonne und tranken aus winzigen Tassen Kaffee, nachtschwarz und mit einem Gewürz versetzt, dem Kraut des Aufschubs vielleicht, das jene bittersüße Schläfrigkeit herbeiführt, die einen überkommt, während man auf Dampfer wartet, die Kohle bunkern, und darauf, dass Straßen wieder trocknen und Flüsse wieder passierbar werden und Karawanen aufbrechen. Morgen, inschallah, so Gott will, werden wir die Reise durch die Wüste nach Damaskus antreten.
Und in dem Moment kämpfte sich ebenjener rostige Ford ächzend durch die Morastfurchen und Pfützen, der mich von Bagdad über das Steppenland zwischen den beiden Strömen transportiert hatte. Der Sajjid war sofort Feuer und Flamme, und nach langen Diskussionen fuhren wir durch den Nieselregen, schaukelten durch Tümpel, knatterten durch schmale Gassen, verscheuchten alte Frauen und Hühner und erschreckten Pferde, die sich aufbäumten und losrissen. Das halbe Kaffeehaus war herbeigeeilt, ernste, braungewandete Männer mit Bärten wie Micha und Hesekiel standen auf den Trittbrettern, kleine Buben zogen sich das Gewand über die Schulter und rannten hinter uns her, und bei jeder Fehlzündung rollten alle mit den Augen und riefen Hamdulillah, gelobt sei Gott. Nachdem wir die Mauern und Dattelgärten und die Friedhöfe von Ramadi zweimal umkurvt hatten, knallte der Motor noch einmal laut, das Getriebe rumorte entsetzlich, und dann blieb der Wagen schließlich stehen. Der Fahrer riss sich den Tarbusch vom Kopf und brach in Wehklagen aus, und alles brüllte vor Lachen. Nutzte die Gelegenheit, durch einen Mauerspalt nach Europa, in das britische Offizierskasino zu schlüpfen, wo ich den Strand las, bis es wieder Zeit war für Whiskys mit Soda.
Nach dem Dinner und Diskussionen über Bewässerungsprojekte und Aufstände machte ich mich, begleitet von zwei Männern mit Laterne, auf den Weg zum Karawanenlager. Ein regnerischer Wind blies uns ins Gesicht, ständig gingen die Laternen aus, und wir rechneten damit, in jedem grauen Fleck in der undurchdringlichen Schwärze der Nacht einem Kameldieb zu begegnen. Schließlich hörten wir jemanden singen, und im Wind lag das Blöken und der scharfe Geruch von Kamelen. Die Bediensteten der Engländer überließen mich in meinem Zelt der Obhut eines diensteifrigen und verdreckten Mannes namens Fahd, der mit geübten Handgriffen mein Bett herrichtete und sich entfernte. Daraufhin erschien ein gewisser Saleh, ein hakennasiger Bursche im englischen Armeemantel, und sagte mit leichter Cockney-Färbung: «Ich spreche Englisch, Mann. Boy gewesen in englisch Armeecamp, Mann. Ich zuständig für Kamele.» Dann hielt er inne und begann, einfühlsam und gutgelaunt, noch einmal von vorne. «Geht es morgen los?», unterbrach ich ihn. Er verdrehte die Augen, gurgelte ein Inschallah und verschwand. Ich saß auf meinem Feldbett und sah mich um. Das Zelt war innen karminrot, kleine Herzen und Karos zierten die Türklappen. Es war oben rund, lief spitz auf eine einzige Stange zu, der Boden war achteckig. Ich fühlte mich wie ein Wurm in einer Fuchsie. Regen war aufgekommen, der leise auf das Dach trommelte. Ich zog mich langsam aus und lauschte dabei dem ungewöhnlichen Knurren und Stöhnen der Kamele. Hier war endlich Schluss mit den Kolonien und Whisky-Soda und dem Strand und Konservendosen und der American Bar am Tigris und den soldatenübersäten, schienenzerfurchten Müllkippen des Westens. Ich wickelte mich in meine Täbris-Decke und blies die Kerze aus. Der Regen trommelte jetzt lauter auf das Zeltdach über mir. Männer, die das Camp bewachten, riefen sich in Abständen einen langen rauhen Ruf zu. Einmal fielen Schüsse irgendwo in der Ferne. Und vor meinem Zelt sang jemand eine leise Melodie, immer wieder dasselbe. Etwas von Ali Asgar, Ali Afgar, tot in Kerbela. Das Wort mayyit, tot, erkannte ich wieder, weil wir, auf dem Weg von Bagdad, an einem kleinen Hindujungen vorbeigekommen waren, der mit steinernem Lächeln am Straßenrand lag, Jassem hatte ihn sich angesehen und war zum Auto zurückgekommen, hatte das bärtige Gesicht geschüttelt und mayyit gesagt, und dann waren wir weitergefahren. Ich lauschte dem Lied und dem Grummeln der Kamele und dem Regen und schlief ein.
Erster Tag. Kroch frühmorgens aus meinem Zelt und sah, dass alle anderen schon abgebaut waren und jedermann geschäftig und laut rufend umherlief. Das Dromedar, dem ich tags zuvor vorgestellt worden war und das, wenn ich richtig verstanden hatte, auf den Namen Malek hörte, wartete bereits, und oh, die quastenverzierten Satteltaschen schleiften auf der Erde! Die Dattelpalmen von Ramadi standen knietief im Dunst, der sich in Erwartung des Sonnenaufgangs golden zu verfärben begann. Während ich nach dem silberverzierten Sattelknauf griff, kamen alle neugierig herbeigelaufen, um zu sehen, ob ich herunterfallen würde, wenn Malek sich schaukelnd erhob. Die Fußfessel wurde gelöst. Malek grunzte und klappte sich auf wie ein Taschenmesser. Mein Kopf ragte nun über den Dunst in das Sonnenlicht, das mir rot in die Augen stach. Dann machten wir kehrt und folgten der langen Reihe von Lastkamelen, die rötliche Piste entlang, die in nordwestlicher Richtung nach Kubaisa führte, und zum ersten Mal bemerkte ich um die Schatten, die mein Kopf und Maleks nickender Kopf und Fahds Kopf warfen, den Halo, der Cellini in solches Entzücken versetzt hat.
Schon jetzt reden alle von Schutzgeld. Man rechnet damit, dass gewisse Toman-Badawi uns angreifen werden, wenn wir nicht fünf türkische Pfund pro Tier bezahlen. Wir werden von einigen prächtigen kampferprobten Männern auf Ponys begleitet, Gefolgsleuten eines gewissen Abdul Aziz, wenn ich den Namen richtig verstanden habe, Oberscheich der Delaim. Kaum waren wir außer Reichweite des Serais von Ramadi, waren wir auf uns allein gestellt. Am Nachmittag ließ ich mich hinter den Hauptteil der Karawane zurückfallen und war gerade dabei, mit dem Sajjd Mohammed, seinem Koch Hadschi Mohammed und einem rehäugigen braunen Jungen aus Damaskus namens Saleh über einem Feuer aus Bitterkrautzweigen Tee zu machen, als plötzlich auf einer steinigen Anhöhe im Westen dahinpreschende Kamelreiter auftauchten. Als sie uns sahen, hielten sie an und saßen ab, im Wind war das Stöhnen und Knurren der Tiere zu hören, der Sajjid griff nach seinem Gewehr und spuckte große Töne, der Koch packte rasch das Teezeug zusammen, und dann ritten wir so eilig der Karawane hinterher, dass die Satteltaschen flogen und klapperten und die Dromedare geiferten und schnaubten. Wunderbar, wie alle Verantwortung von einem genommen wird, wenn man die Sprache nicht versteht. Ich folgte den anderen, ohne die leiseste Vorstellung, wer Freund oder Feind war, und da ich meine Uhr per Luftpost geschickt hatte, war ich ganz unbesorgt. Natürlich war es ein falscher Alarm, aber der Schreck fuhr einem trotzdem in die Glieder. Fast wie bei den Lerchen, die vor den Kamelen singend aufflatterten, und bei dem Karnickel, das in den Dornbusch davonhoppelte.
Zweiter Tag. Wir kampierten an einem Ort namens Sheib Mohammedi in der Nähe einer Wasserstelle. Am nördlichen Horizont sind schwarze Rauchtupfer von den Asphaltgruben von Kubaisa. Heute Morgen musste ich Abaya und Kefiya anlegen, da Saleh mir im Auftrag von Jassem mitteilte, dass eine europäische Kopfbedeckung dem Ansehen der Karawane schade – «Englisch Hut nix gut, Mann. Arabisch Hut gut.» Also liege ich in der ganzen Pracht einer neuen Bagdader Abaya auf einem Teppich vor meinem Zelt, über mir ein leuchtender Himmel, gestreift wie eine türkisblaue Gesteinsschicht. Neben meinem Zelt werden die großen Ballen, die auf Jassem er-Rawwafs Kamelen transportiert werden, im Halbkreis um ein Feuer gestapelt, an dem die würdevollsten Leute der Karawane sitzen und Kaffee trinken. Gegenüber ist das englische Zelt von Sajjd Mohammed, offenbar Treffpunkt der Jeunesse dorée. Komplettiert wird der Kreis durch die Ballen der sechs, sieben anderen Gruppen, die noch zur Karawane gehören, aufgebaut in einem Halbmond windwärts zum Feuer, wie die von Jassem. Außer dem Sajjid und mir und den Tanzmädchen mit Ziel Aleppo ist nur ein Kaufmann aus Damaskus so erschöpft, dass er sein Zelt aufbaut. Alle anderen sitzen im Freien auf Teppichen um die Feuer. Die Kamele weiden auf den Hügeln an der Wasserstelle, zeichnen sich dunkel in eigentümlichen Silhouetten gegen den Himmel ab. Gelegentlich sieht man einen Wächter mit einem Gewehr über dem Rücken bewegungslos auf einem der gelbbraunen und stahlvioletten Hügel stehen, die sich wie ein Durcheinander von Meereswellen in alle Richtungen entfernen.
An der Wasserstelle, wo ich gebadet habe, hatte ich eine lange Unterhaltung, bestehend aus sieben Worten und vielen Gesten, mit einem von Sajjid Mohammeds Leuten, einem hochgewachsenen Mann namens Suleiman, der sehr schlanke Füße und Hände hatte. Er fragte nach einem Engländer namens «Hilleby», unter dessen Kommando er im Nedschd Kamelführer gewesen sei. Meine Antwort, dass ich von Hilleby wüsste, fand er hochinteressant. Auch er habe sich wie ein Araber gekleidet und sei ein Freund der süßen Wüstenluft gewesen. «Luft in Wüste wie Honig. Luft in Bagdad schlecht.» Suleiman pflückte einen Zweig von einer aromatischen Pflanze und ließ mich daran riechen, eine Art Rosmarin vielleicht. «Wüste so», sagte er und verzog dann das Gesicht zu einer Grimasse größter Abscheu, «Ingliz von Bagdad so. ‹Hilleby› Freund von Araber, keine Angst vor Wüste, sehr gut.» Dann nahm er mich bei der Hand und führte mich zum Zelt des Sajjid, wies mir den Ehrenplatz zu und brachte Kaffee und Datteln. Nachdem ich lange dort gesessen und versucht hatte, das eine oder andere Wort der Unterhaltung aufzuschnappen, in der es offenbar um den Nedschd ging und dass dort nicht geraucht werden dürfe und was für ein großer und edler Mensch Ibn Saud sei, den selbst die Engländer als Sultan anerkennen, tauchte Fahd auf, mein Kamelführer, und berichtete, dass das Abendessen fertig sei. Er und Bagdad-Saleh vermittelten mir den Eindruck, dass ich mich nach Ansicht von Jassem und seinen Leuten in schlechter Gesellschaft bewege, wenn ich so oft im Zelt des Sajjid Mohammed sei. Saleh sagte jedenfalls etwas in der Art, als er bei Sonnenuntergang die Kamele zurückholte: «Sajjid nix gut, Mann.» In der Wüste ist das gesellschaftliche Leben offenbar genauso kompliziert wie anderswo auch.
Und so saß ich allein in meinem Zelt und aß Reis und Dosenwürstchen, noch dazu koschere. Ich spähte durch den Türschlitz – Fahd fand, dass ich im Verborgenen essen solle, und schloss mich jedes Mal sorgfältig ein, wenn er hinausging – und versuchte, mir ein Bild von den anderen Teilnehmern der Karawane zu machen. Um Jassem er-Rawwafs Lagerfeuer waren mein Zelt und das der Tanzmädchen, aus dem leises Babygeschrei erklang, und die kleineren Lagerfeuer von Leuten mit nur wenigen Kamelen, die sich Jassem offenbar angeschlossen hatten. Gegenüber das khakifarbene Zelt des Sajjid und das große Zelt des Kaufmanns aus Damaskus und die beiden Sänften, in denen ein kleiner türkischer Händler und seine Frau unbeweglich saßen. Am einen Ende des Ovals war das Lager der Männer, die die jungen Kamele nach Syrien überführen, wo sie verkauft werden sollen, und am anderen Ende die Gruppe, in der besonders ein würdiger alter Herr mit grünem Turban und einem Bart wie Schnee und einem dunkelblauen Regenschirm auffiel.
Blaue Rauchspiralen ziehen von den Lagerfeuern durch das amethystfarbene Dämmerlicht. Kamele nähern sich in dichter Schar dem Lager, schnuppern die Luft, knabbern hier und da an Zweigen, werden von dem langgezogenen labialen Kommando des Treibers weitergedrängt. Der Mollah singt das Abendgebet. Die Männer stehen barfuß in einer langen Reihe, das Gesicht nach Südwesten, und werfen sich wie im Gleichklang langsam zu Boden. Allmählich füllen die Kamele das weite ovale Areal zwischen den Lagerfeuern, bekommen ihre Fußfesseln angelegt und falten sich kauend und stöhnend der Reihe nach zusammen. Die Sterne zeichnen sich wie deutliche Flecken am leuchtend kristalldunklen Himmel ab. Meine Decken riechen nach Kamel und Qualm. Zwei Schüsse reißen mich aus dem Schlaf, als hätte jemand mitten in der Nacht geklingelt. Stimmen sind zu hören und das Knirschen von Kieselsteinen unter nackten Füßen. Saleh schaut zum Zelt herein und sagt stolz: «Harami, peng peng, imschi, gehen fort.» Und dann wiegt mich das leise, undeutliche Grummeln von fünfhundert Kamelen wie auf Wellen wieder in den Schlaf.
Dritter Tag. Nach mehreren Stunden Ritt sahen wir Palmen in einer flachen Senke und erreichten den kleinen Wüstenhafen Kubaisa, zusammengekauert in Lehmmauern zwischen Felswänden und Sandhügeln. Stattete dem Mudir einen Besuch ab und vertrödelte den halben Tag mit Ergebenheitsadressen, Kaffee und Nettigkeiten. Vor dem Stadttor spielten Kinder mit einer zahmen Gazelle. Wurde von einem angenehmen dicken Scheich zu sich nach Hause abgeschleppt, wo es ein wundervolles Essen gab, Eier und Reis und gebratene Datteln und Huhn. Der dicke Scheich wird uns begleiten, um durch die Majestät seiner Erscheinung die Badawi abzuschrecken. «Alles Freunde», sagte er und schlug sich an die Brust. Musste neun oder zehn verschiedene Dattelsorten probieren und durfte nicht auf den Basar gehen, stattdessen wurden alle möglichen Bediensteten entsandt, die mir das Gewünschte besorgen mussten. Diese ganze vornehme Gesellschaft ist ziemlich anstrengend. Flüchtete schließlich mit einem Buch durch eine lange Felsschlucht zu einer tiefen Bergsenke voller mineralischer Quellen, die in gelbem Gestein dampften und brodelten. Ganz wie auf dem Sinai. Jehova war oft hier damals.
Vierter Tag. Heillose Komplikationen. Der Mudir kam, um Jassem und dem Amerikai seine Aufwartung zu machen, ließ sich aber in das Zelt von Sajjid Mohammed locken, der ein ziemlicher Wichtigtuer ist. Erregung und finstere Blicke. Dann Entschuldigungen. Abermaliger Besuch, endloser Austausch von Höflichkeiten. Ich hockte da und grinste und nickte wie eine blöde Porzellanfigur. Aber der Sajjid zog seine Infamie in großem Stil durch, breitete Teppiche und Abayas auf der Erde aus und präsentierte mit grandioser Geste einen Korb mit Datteln und eine Tüte mit türkischen Süßigkeiten, die der Mudir unter seinen Dienern und den Krüppeln und Lahmen und Blinden in seiner Umgebung verteilte. Ein prächtiger Tag für den Sayyid. Bukra inschallah brechen wir auf.
Fünfter Tag. Malek, mein Kamel, hat lange Wimpern und buschige Augenbrauen, die es hochziehen kann. Bemerkenswert, wie wählerisch Kamele in puncto Essen sind. Manche saftig aussehende Büsche werden ignoriert, aber hin und wieder gibt es kleine Rosetten mit distelartigen Blättern, die sie gierig anstieren, und wie sehr man das Tier auch antreiben mag, man bekommt es nicht von der Stelle.
Aufbruch am frühen Morgen mit beträchtlichem Tamtam, die Sonne steht uns im Rücken, die Schatten sind unglaublich lang und enden in hellen Lichtkronen. Ritt gemeinsam mit dem dicken Scheich, der aus seinen Satteltaschen immer neue Hühnchenkeulen hervorholte. In unserer Karawane besteht folgende Ordnung: Die einzelnen Gruppen reiten separat los, Jassems Trupp gewöhnlich zuerst, und bilden allmählich eine Linie, und sobald die Granden sich den Schlaf aus den Augen gerieben haben und die Sonne ihre Dromedare zum Leben erweckt hat, reiten sie voran. Ein, zwei Agail kann man immer bei ihren Erkundungen auf den steinigen Hügeln am Horizont sehen. Mittags versammeln sich die Granden um Kochtöpfe mit Reis und trinken Kaffee, während die Karawane weiterzieht, die sie im Laufe des Nachmittags wieder einholen.
Heute Abend kampieren wir in einer flachen Senke, bedeckt mit kleinen aromatischen Pflanzen, Schih und Ruetha. Ruetha, wahrscheinlich das wohlriechende Kraut, von dem Xenophon in seiner Anabasis wiederholt berichtet, scheint den Kamelen ganz besonders zu schmecken. In der Regenzeit muss es hier viel Wasser geben. Übrigens scheint die Regenzeit bevorzustehen, da sich im Norden mächtige Regenwolken auftürmen, worüber alle hocherfreut sind, denn hier sagt man, dass ein Tag Regen reichlich Nahrung für die Kamele bedeutet. Und außerdem bleiben die Badawi dann in ihren Zelten.
Saß im Zelt des Sajjid, ungeachtet der Vorwürfe von Bagdad-Saleh – «Sajjid verdammter Lockervogel», was immer das heißen mochte –, und trank Tee mit Kondensmilch, die ich dem Sajjid in einem Moment von Überschwang geschenkt hatte, und hörte Suleiman zu, dem Mann, der mit «Hilleby» im Nedschd gewesen war und nun auf einer winzig kleinen Laute klagende Melodien spielte.
Sechster Tag. Enteuthen exelaunei[28] etliche Parasang[29], wie es aussieht, in eine Hochebene hinauf. Der Trampelpfad, über Jahrhunderte von Kamelfüßen ausgetreten, wand sich um rosafarbene, gelegentlich mit Trockenpflanzen gesprenkelte Felssimse. Einmal kamen wir an den üblichen Skeletten vorbei. In einer Schlucht fanden wir die Spuren eines Ford, Leachmans Auto, wie mir erklärt wurde. Leachman wurde während des Aufstands vom Sohn eines alten Mannes erschossen, den er beleidigt hatte. Schließlich ein schöner Lagerplatz am Rand einer Senke, wo das trockene Schih hüfthoch stand. Als wir unsere Kamele festbanden, stürzten drei Karnickel aus ihrer Deckung, großes Hallo, und jeder knallte munter darauflos.
Nachmittags vorbei an einem kleinen eckigen steinernen Turm.
Ging nach dem Abendessen, in der Zeit, in der die Kamele heimgebracht werden, nach draußen. Ein Bedawi, den ich schon zuvor auf einem weißen Dromedar gesehen hatte, kam auf mich zu und sagte, er sei ein Freund von Malik Faisal. Wir gingen in die Wüste hinaus, er schnupperte die Luft und sagte, die Wüstenluft sei süß. Sein Name war Nawwaf. Seine Zelte sind in El Gharra, auf halber Strecke nach Damaskus. Ich brachte ihm die Wörter Norden, Süden, Osten und Westen bei, die er sofort perfekt aussprach. Meine Aussprache der arabischen Wörter war dagegen so komisch, dass er lachte, bis ihm die Tränen in die kajalumrandeten Augen traten. Wir tranken dann Kaffee bei den Leuten, die die jungen Kamele nach Syrien bringen, wo sie verkauft werden sollen. Der Hadschi, der alte Herr mit dem Regenschirm, saß am Lagerfeuer und ließ sich über irgendetwas aus.
Bei der Rückkehr in mein Zelt fand ich Bagdad-Saleh und Jassems Jungen vor, die Zigaretten für mich drehten. Sie berichteten von irgendeiner schlimmen Sache, die die Kamele beinahe erwischt hätte, aber so richtig habe ich sie nicht verstanden, außer dass Bagdad-Saleh die Katastrophe mutig abgewendet hat. Wenn Saleh Englisch spricht, ist kaum zu verstehen, was er sagen will, weil er, als ehemaliger Boy im anglo-indischen Militärcamp in Bagdad, die beklagenswerte Vorstellung hat, dass Hindustani und Englisch ein und dieselbe Sprache sind.
Es gibt nichts Schöneres auf der Welt, als keine Uhr und kein Geld zu haben und für nichts verantwortlich zu sein. Wie ein Derwisch oder ein kleines Kind.
Siebter Tag. Das Postflugzeug flog in großer Höhe über uns hinweg. Alle beobachteten es verächtlich und kommentarlos. Furchtbar kalt, Regenschauer klatschen uns ins Gesicht. Alles mehr oder weniger nass. Habe noch nie ein Tier gesehen, das sein Missfallen so deutlich zeigen kann wie Malek im Regen. Bei Sonnenuntergang wird sich inschallah auch der Wind legen. Sitze in kalter Pracht in meiner goldbestickten Abaya in meinem Herz- und Karozelt, das trotz des karminroten Futters auf ganz abscheuliche Weise den Wind hereinlässt. Aber wer hat je in stärkerem Wind gefroren?
Mit dem Ansehen des Sajjid in der Karawane scheint es nicht zum Besten zu stehen. Bagdad-Saleh berichtet jedenfalls, dass Suleiman Streit mit ihm hatte, ihm ins Gesicht schlug und auf seinem Kamel in Richtung Bagdad davonritt. Ich werde das leise Klagen seiner Laute vermissen, das sich neben dem Brummen und Grummeln der Kamele durch das nächtliche Camp zog.
Achter Tag. Es gibt keine entspanntere, gemächlichere Form des Reisens. Das Kamel schaukelt gerade so sehr, dass man allmählich in eine leise Schläfrigkeit sinkt. Man treibt es gerade so sehr an, dass die Gedanken in einem leichten Dämmerzustand verharren. Man reitet erst mit diesem, dann mit jenem und blickt zurück auf die Karawane, die sich wie ein Drachenschwanz hinter einem herzieht. Manchmal verschwindet ein Teil in einer Senke oder hinter einem Hügel. So treiben Wolken dahin, fließen Ströme. Niemand erteilt Befehle. Jeder weiß, was zu tun ist, wie bei den Zugvögeln.
Der Himmel ist eine riesige Sphäre aus mattem Glas, die auf der Teigkruste namens Erde ruht, heute hier und da mit rötlichen Tupfern der Wintersonne versehen.
Gegen Abend, in der Stunde, wenn die Beine schmerzen und der Magen vor Hunger wie ein Hund knurrt, kamen wir zu einem weiten Tal, das in nordsüdlicher Richtung verläuft. Gegenüber auf der anderen Seite zeichnete sich eine Reihe schwarzer käferartiger Objekte ab, die Zelte der Delaim.
Neunter Tag. Angenehmer Wind, klarer Himmel. Einige Agail mit einem Dutzend Lastkamele zogen, von Aleppo kommend, an uns vorbei. Es war wie die Begegnung zweier Schiffe auf See.
Wir saßen den ganzen Tag in unseren Zelten, o Israel.
Streifte rastlos umher, versuchte, mit Nawwaf ein Gespräch auf Arabisch zu führen, und las Molière. Es scheint ein Problem zu geben. Der dicke Scheich aus Kubaisa wirkt ziemlich bedrückt. Alle reden von einem Scheich Mohammed Turki von den Kubain, der eine unglaubliche Summe Schutzgeld verlangt.
Zehnter Tag. Noch immer am selben Ort. Ständig tauchen merkwürdige Leute im Lager auf, weißgekleidete Delaim, hochgewachsene, weiße Männer mit gewachsten Schnurrbärten, die Haare in Zöpfen über den Ohren. Sie sind mit den Agail befreundet, die Karawane steht mehr oder weniger unter ihrem Schutz.
Schon in aller Frühe begann am Lagerfeuer von Jassem er-Rawwaf ein lautstarkes Hin und Her, das den ganzen Tag andauerte; Männer springen hoch und brüllen und gestikulieren. Der dicke Scheich fungiert offenbar als Vermittler. Jassem er-Rawwaf ist groß, mit markanten Zähnen und einem ungleichmäßigen Bart wie der von Moses; er trägt zwei Kopftücher, die ihm weit über die Schulter fallen, das eine weiß, das andere purpurrot, und meistens sitzt er schweigend da, dirigiert mit knappen Bewegungen seiner langen Hände die Zubereitung von Kaffee oder lässt eine bernsteinfarbene Gebetskette durch die Finger gleiten. Einmal beugte er sich zornerfüllt über das Feuer und sprach so langsam und bedächtig, dass alle verstummten und nickten. Später fragte ich ihn, worum es bei dem Streit gegangen war. Er lächelte, zog die Schultern hoch und rieb dabei Daumen und Zeigefinger in dieser unglaublich semitischen Geste und sagte leise «Fluus», Geld.
Die ganze Wüste scheint gierig herumzustreichen und einen günstigen Moment abzuwarten, um sich auf die Ballen persischen Tabak und die verlockende Herde junger Kamele zu stürzen.
Nawwaf kam in mein Zelt und sprach lange darüber, dass die Ingliz sich vertragen und ihre Gewehre nur im Kampf gegen Fremde einsetzen, während die Araber immer streiten, zu Fremden aber sehr höflich sind. So zumindest verstand ich ihn. Ich stimmte ihm ausdrücklich zu.
Überall werden Gewehre gereinigt.
Elfter Tag. Gestern Abend war der erste große Tumult.
Ich war in mein Zelt gegangen, um bei Kerzenschein zu lesen, als sich im Lager großer Lärm erhob. Alle lief hin und her und stolperte über meine Zeltschnüre. Bagdad-Saleh kam hereingestürmt, um das Gewehr zu holen, das er sicherheitshalber bei mir deponiert hatte. Fahd schien ungeheuer erregt, er rief etwas, das sich wie «Alle Mann in die Boote» anhörte. Ich stand in der Zelttür, konnte aber nichts sehen, weil es stockdunkel war, doch Fahd schickte mich wieder hinein und schüttelte sorgenvoll den Kopf. Unterdessen war die Kerze umgefallen, so dass ich zunächst im Dunkeln auf meinem Feldbett saß und dem zunehmenden Lärm draußen lauschte. Dank der Horrorgeschichten, die mir in Bagdad reichlich vorgesetzt worden waren, stellte ich mir die Wachsfigur von Gordon Pascha[30] im Kabinett von Madame Tussaud vor. Ich erinnerte mich aus meiner Kindheit an Lithographien von Entdeckern mit Tropenhelm, die von Assegais durchbohrt werden. Der unglückliche Tod des Prinzen Napoleon. Gut, dass ich keinen Tropenhelm trug.
Ich stellte fest, dass ich zitterte und fror, ging wieder zur Zelttür und zündete mir eine Zigarette an. Sofort kam ein Unbekannter herbeigelaufen und rief mir etwas zu. Ich gab ihm die Zigarette. Er verschwand mit ihr, schien sehr ermutigt. Dann kam der Sajjid an, barhäuptig und erregt und atemlos und sagte etwas von einem Gewehr. Nein, ich hatte kein Gewehr, aber ich gab ihm eine Zigarette. Nachdem ich eine Handvoll Zigaretten verschenkt hatte, legte sich das Gebrüll in der Ferne. Ich fragte mich, wann die Schießerei beginnen würde, denn mir war nicht klar, dass die Araber im Umgang mit Feuerwaffen äußerst umsichtig sind. Dann kamen viele Leute und erklärten, was vorgefallen war, alles mehr oder weniger unverständlich. Gewann jedoch den Eindruck, dass der Streit angefangen hatte, weil einer von Ibn Kubains Männern das Gewehr des Sajjid hatte stehlen wollen. Das Gewehr war wieder da, aber es hatte einen Kampf gegeben, und der eine oder andere Schädel war eingeschlagen worden.
Doppelposten wurden aufgestellt, und jedermann legte sich heldenhaft schlafen.
Am Morgen zogen wir nordwärts über einen Hang voller Dornsträucher, in denen Lerchen großen Lärm veranstalteten, zu einem Lagerplatz in der Nähe einer Wasserstelle vor den Zelten der Delaim.
Ging mit dem dicken Scheich hinüber, um den Delaim einen Besuch abzustatten. Ihre Zelte sind sehr groß, offen an der windgeschützten Seite, in der Mitte ein Vorhang, hinter dem das Quartier der Frauen liegt. Für jeden, der in einer Kultur aufgewachsen ist, die den Besitz anbetet, sind diese Zelte unglaublich leer. Ein paar Teppiche, einige Sättel und Gewehre, Schaffelle, Kochtöpfe und die schwarzen schmucklosen Wände ihre Zelte – das ist alles, was die Delaim zwischen der nackten Erde und dem unvorstellbar weiten Himmel für sich haben. Wir saßen auf Teppichen, die für uns ausgebreitet worden waren, Kaffee wurde gebracht, ich blickte über die Ebene, die sich endlos weit nach Süden erstreckte, auf der große Schafherden weideten, dazwischen Männer in braunen Gewändern wie Figuren aus dem Alten Testament, während der dicke Scheich würdevoll mit den Leuten sprach, deren Gäste wir waren. Dann brachte eine Frau eine flache Holzschale mit einem ungesäuerten, noch warmen Fladenbrot, das in Schafsbutter schwamm. Muss die Art Butter gewesen sein, die Jael in einer herrlichen Schale auftrug. Ein kleiner Junge goss uns Wasser aus einem Kupferkrug über die Hände, und das Familienoberhaupt brach mit einem lauten Hamdulillah ein Stück Brot aus der Mitte des Tellers. Daraufhin streckten wir alle die rechte Hand aus und begannen zu essen.
Am Nachmittag ging ich umher, saß an verschiedenen Lagerfeuern und trank Kaffee und versuchte herauszufinden, wie lange wir in den Zelten der Delaim bleiben würden. Alle sagten, dass es bukra inschallah weitergeht, aber sie sagten so oft inschallah und rollten dabei so fürchterlich mit den Augen, dass sie die Entscheidung offenbar an Allah abgegeben haben und wir wohl noch eine Weile bleiben werden.
Zwölfter Tag. Eiskalter Wind. Es ist so kalt, dass man nur am Feuer sitzen kann und einem der Rauch in die Augen steigt.
Besuchte die Damaszener Kaufleute, die mir neulich das Gebäck geschenkt hatten. Der kleine Junge produzierte zum Stolz und Entzücken aller Anwesenden zwei, drei Sätze in exzellentem Englisch. Sein älterer Bruder kennt ungefähr fünf Wörter Französisch, so dass wir eine lebhafte Konversation führten. Der Vater schien unsere Chancen ausgesprochen düster zu beurteilen, er meinte, dass wir vermutlich nach Bagdad zurückkehren. Aber der Kleine, der nicht älter als zehn sein kann, ermutigte alle Anwesenden mit den Worten: «Wir werden Bedawi mit unseren Gewehren erschießen.»
Der Enthusiasmus, mit der die Delaim meine Sachen mustern, gefällt mir nicht unbedingt. Drei prächtige Halunken haben gerade mein Zelt verlassen. Lange saßen sie da, das Wort Bakschisch auf der Zungenspitze, fuhren mit den Fingern über die Leinwand und meine Abaya und meinen Koffer und fragten, was darin sei, und beim Anblick des silberbeschlagenen Sattels, den El-Suadi mir geliehen hat, funkelten ihre Augen vor Gier. Ich versuchte, sie mit Zigaretten abzuspeisen.
Schlecht. Ungefähr Mittag. Der Wind gleicht einer Rasierklinge, und das Lager ist in heller Aufregung. Die lustigen Männer von Ibn Kubain haben uns provoziert und unsere Kamele vom Weidegrund getrieben. Von der kleinen Anhöhe mit dem Steinhaufen habe ich sie hinter dem Horizont verschwinden sehen. Leute aus dem Camp liefen herbei und schossen ihnen hinterher, aber die Kubain sind stärker als wir oder zumindest unverfrorener.
Bagdad-Saleh kam gerade hereingeschlurft, ohne seinen englischen Militärmantel und ohne sein neues rotes Shemagh, sehr niedergeschlagen. «Verfluchte Bedawi haben unsere Kamele gestohlen, Mistbande, verdammte.» Er erklärte, er habe geschlafen, sonst wäre das nie passiert. Sie hätten ihn verprügelt, sein Gewehr, seinen Mantel und sein neues Kopftuch gestohlen. «Bedawi nix gut.»
Ich machte mich auf die Suche nach Jassem, den ich hinter einigen Ballen Tabak neben einem erloschenen Feuer entdeckte. Er lächelte düster, nickte zum Horizont, machte eine Geldzählgeste und sagte mit Nachdruck fluus, fluus ketir, Geld, viel Geld. Missmutig kehrte ich in mein Zelt zurück. Nun ja, mein Spaziergang war vermutlich ganz gut. Ich würde mich von meinem Koffer und seinem nutzlosen Inhalt trennen müssen. Vielleicht würden wir alle als Sklaven in einer gottverlassenen Oase enden. Solange sie mir meine Brille lassen, dachte ich. Eingewickelt in die Bagdader Decke, lag ich auf dem Feldbett und fror vor mich hin. Molière reizte mich nicht mehr, und Zeichnen erschien mir sinnlos. Sämtliche Himmelswinde pfiffen mir um die Beine. Das Zelt bot so viel Schutz wie ein Sieb. Der bleierne Tag löste sich schon in tumultuarischer Dämmerung auf, als ich von fern ein vertrautes schönes kappaluuup und das Knurren von Kamelen hörte. Sie wurden ins Lager gebracht. Sie kamen eines nach dem anderen in das Lager, reckten zerstreut die Hälse hierhin und dorthin, bis der Raum zwischen den Feuern erfüllt war von ihrem Blöken und Grummeln.
Dreizehnter Tag. Das Ganze ist eine Farce, die nach bestimmten Spielregeln abläuft. Die Delaim knöpften sich Ibn Kubains Leute vor und brachten die Kamele zurück, und alles ist, wie es vorher war. Wir werden das Schutzgeld bezahlen, und die Delaim werden für ihre Unannehmlichkeiten einen Teil abbekommen. Die Inschallahs, dass wir morgen abreisen, sind ziemlich dünn, weshalb wir vermutlich noch den Rest der Woche an diesem vermaledeiten Ort zubringen werden. Mein einziges Vergnügen ist es, auf dem Steinhaufen zu sitzen und den Herden der Delaim zuzusehen, die langsam durch die gestrüppreichen Täler rings um die Wasserstellen ziehen. Von Molière habe ich genug. Vom Himmel her kämpften die Sterne, von ihren Bahnen stritten sie wider Sisera.
Gestern Nachmittag, nachdem die Krise beigelegt war, wurde es sehr gesellig im Lager. Grüppchen von Delaim und Fede’an zogen von Lagerfeuer zu Lagerfeuer. Ich saß majestätisch auf meinem Feldbett, und jeder kam in mein Zelt und saß schweigend auf dem Boden. Ich freundete mich mit einem von Ibn Kubains Leuten an, einem jungen Mann, der zwei kleine Zöpfe um die Ohren gewunden hatte. Er zeigte mir sein türkisches Gewehr und sagte, er sei hier der Mann der Osmanen. Aus dem Gefühl heraus, etwas weihnachtliche Stimmung verbreiten zu müssen, verschenkte ich reihum Zigaretten und Tabak. Dem Mann mit den Zöpfchen, der mir so sympathisch war, schenkte ich eine Schachtel Streichhölzer. Woraufhin er sich erbot, mit mir nach Esch-Scham[31] zu gehen oder über das Meer zu fahren oder überallhin. Dann würde ich ihm viele goldene Türkenpfunde schenken. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich ein Fakir sei, ein armer Mann, und kein fluus irgendeiner Art besitze, was er mir aber nicht abnahm. In diesem Moment kam Nawwaf herein. Nun ist Nawwaf ein Freund von Faisal und ein Todfeind der Fede’an, weshalb er sehr verärgert war, mich in freundlichem Gespräch mit einem einfachen Banditen vorzufinden. Ich konnte nicht genug Arabisch, um ihm zu erklären, dass mir diese kleinen, braunen hartgesottenen Männer besser gefielen als die großen, weißen Delaim mit ihren gewachsten Schnurrbärten, obwohl sie Schutzgeld von uns verlangten. Nawwaf ging zutiefst gekränkt davon.
Ein wolkenschwerer, ereignisloser Tag. Die Ältesten von Israel sitzen um Jassems Feuer, wo ein mürrischer Fahd Unmengen Reis für die Menge kocht. Hin und wieder erhebt sich ein Streit, der von anderen Gruppen an anderen rauchenden Feuern aufgegriffen wird, oder es wird eindrucksvoll mit Geld geklimpert.
Vierzehnter Tag. Nachts goss es in Strömen, so dass wir noch einen weiteren Tag warten müssen, denn Kamele sind im Schlamm so hilflos wie Giraffen auf Schlittschuhen. Fünf von vierzehn Tagen verloren. Verdammte Warterei. Ich habe keine Lust mehr, in dieser tristen Gegend festzusitzen, wo die Schafe wie langweilige Maden weiden und die Zelte der Delaim wie tote Käfer am Horizont liegen. Wurde heute nach dem Haferflocken-mit-Kondensmilch-Mittagessen von meinem kleinen Osmanenfreund aufgesucht und dem kleinen schielenden Burschen, dem Anführer der Leute von Ibn Kubain, und einem großen Trupp unserer gestrigen Feinde. Der kleine Scheich zeigte mir voller Stolz sein deutsches Scherenfernrohr. Einige seiner Männer hatten Ferngläser. Alle unterhielten sich prächtig, als der dicke Scheich und Jassem er-Rawwaf hereinkamen und alle davonjagten. Die Karawane missbilligt offenbar meinen Umgang mit unseren Feinden. Das ist der Nachteil, ein Hakim zu sein und in einem karminroten Zelt zu sitzen. Was immer man tut, bekommt eine politische Bedeutung. Nawwaf erschien später noch einmal, guckte sehr gekränkt und machte unfreundliche Bemerkungen über die Fede’an. Um ihn aufzuheitern, ließ ich uns von Jassems Jungen Kaffee bringen, und dann gingen wir hinauf zu dem Steinhügel, von wo er nach Westen auf den markierten Trampelpfad zeigte. Fünf Tage in dieser Richtung nach El Gharra, wo seine Herden seien. Wenn ich bei ihm bliebe, würde er ein Schaf für mich schlachten. Viele Tage solle ich bei ihm bleiben, viele, viele Tage, für immer. Und in dem kräftigen Wind, der dort oben unablässig heulte und in den Steinhaufen fuhr, dachte ich für einen Moment, ja, das ist es. Fortan in einem schwarzen Filzzelt wohnen, ungesäuertes Fladenbrot und Schafsbutter essen, immer den Wind in den Nasenlöchern haben, im Winter nach Süden ziehen, im Sommer nach Norden, zu den Weideplätzen der Kamele und Schafe. Eine schrillstimmige Beduinin zur Frau nehmen, durch eine Gewehrkugel während eines Überfalls sterben und unter einem Steinhaufen neben dem erloschenen Feuer und den runden Dunghaufen des letzten Lagers begraben werden. Wird die Welt irgendetwas bereithalten, was dafür entschädigt, dieses Leben nicht gelebt zu haben?
Ich kehrte hungrig zu meinem Zelt zurück und bat Fahd, mir die letzte Dose koschere Würstchen zuzubereiten. Der Wind bläst das Zelt auf wie einen Luftballon.
Fünfzehnter Tag. Die Sterne knisterten vor Kälte, als ich Stunden vor Tagesanbruch aus meinem Kokon kroch. Alles war abgebaut, das Lager ein einziges Durcheinander von Treibern und Kamelen, deren Hälse am Boden gehalten wurden, während die Männer ihnen die Lasten aufluden. Die Kamele sträubten sich, stöhnten und knurrten, die Kameltreiber fluchten und traten. Jassem, die Ruhe in Person, beugte sich über das letzte bisschen Feuer und wärmte sich die Hände. Er lachte still in sich hinein, als ich mich neben ihn setzte. Er gab mir einen letzten Schluck Kaffee in einer seiner winzigen Tassen und verstaute dann drei Kannen und die Tassen sowie Mörser und Stößel in seinen roten Satteltaschen. Malek wurde von Fahd herbeigebracht, kniete nieder und stand so ruckartig auf, dass sich mein Kopf fast im Orion verhedderte. Langsam setzte sich die Karawane in Bewegung, immer in Richtung Großer Bär. Wunderbarer Ritt durch die Morgendämmerung, über grasschimmerndes Hochland bis zur großen Schlucht des Sheib Hauran, vorbei an roten Sandsteinfelsen. Malek sprang wie eine Bergziege von Fels zu Fels, hinunter zum Wasserlauf, wo sich von letzter Woche noch ein paar braune Tümpel gehalten hatten. Dort wurden die Kamele rasch getränkt, und gleich ging es weiter, den steilen Hang an der Nordseite hinauf. Ich ritt neben dem alten Hadschi mit dem Regenschirm, der mit den Augen rollte und jedes Mal, wenn sein Kamel einen Satz machte, laut aufstöhnend «Hamdulillah» rief. Und nachdem wir das letzte Stück der Schlucht hinaufgeklettert waren, ging es los, unter Funkelschauern über das weiteste und flachste Stück Wüste, durch das wir bislang gekommen sind. Elf Stunden in höchstem Tempo geritten und im Dunkeln das Lager aufgeschlagen, bärenhungrig und hundemüde. Toll!
Sechzehnter Tag. Liege nach Art der alten Römer auf meiner Couch und schaue hinaus durch die hochgeschlagene Zelttür, sehe Fahd müde und mürrisch mit seinen Kochtöpfen hantieren, aus denen silbriger Dampf vor einem pistaziengrünen Dämmerlicht aufsteigt. Am Himmel über uns verlieren sich platinfarbene und zartviolette Wolkenschnörkel. Der barfüßige Ali geht langsam hinter dem Feuer vorbei, führt ein verirrtes Kamel heim. Er, der beste unserer Kameltreiber, ist wie eine Buche gebaut, sagt nie ein Wort und bewegt sich unglaublich majestätisch.
Es war eine lange, wunderbare Tagesreise. Gazellen wurden gesichtet. Wir kamen an Dornbüschen voller Lerchen vorbei, manchmal schreckte ein Karnickel vor einem Kamel auf, blieb eine Sekunde mit bebender Nase sitzen, bevor es wieder im blauen Ruetha-Kraut verschwand. Weißes Tafelland im Norden, das am Nachmittag einen rosa-amethystfarbenen Ton annahm. Und nun das abendliche kapalluaaap-kapalluaaap der Treiber, die die Kamele von der Weide zurückrufen.
Nach acht Stunden im Sattel schliefen mir langsam die Beine ein.
Im Nedschd wird anscheinend nicht mehr gekämpft. Ibn Saud hat Ha’il und Ibn Raschid mit all seinen Frauen und Anhängern eingenommen und ist nun oberster Herrscher von Zentralarabien. In unserer Karawane ist ein Schammar, ein schlanker Mann mit irren Augen, der sich jeden Abend nach dem Gebet neben seinem Lagerfeuer hinstellt und alle Männer, die Feinde seines Stammes sind, zum Kampf herausfordert. Jeden Abend erhebt sich seine Stimme zu einem Ruf, der sich wie ein Spruchband über der Geschäftigkeit und dem Kamellärm des Lagers entfaltet.
Siebzehnter Tag. Noch immer in nordwestlicher Richtung, durch Schluchten und kahles Tafelland. Nachmittags in der Nähe einer Wasserstelle in einem trockenen Bett eines Shaib das Lager aufgeschlagen. Südlich von uns liegen hohe Mesetas wie die zwischen Madrid und Toledo. Warmer, sonniger Nachmittag. Die Leute ziehen sich zum Waschen und Umkleiden schamhaft hinter Felsen zurück. Wanderte über eine Anhöhe und lag auf einem breiten Stein in der Sonne und las Martial. Ich bin noch nie so glücklich gewesen. Saß abends an Jassems Lagerfeuer lange Zeit neben Hassun, sah das brennende Ruetha, lauschte den Gesprächen, die ich nicht verstand, und schaute durch den aromatischen dunkelgrünen Rauch zum Mond. Trank endlose Tässchen Kaffee, den schwarzen ungesüßten Kaffee der Wüste, dreimal aufgekocht, mit einem Gewürz versetzt, das ihm einen chininbitteren Geschmack gibt, so kraftvoll wie ein mächtiger Wagnerscher Akkord, so beruhigend für den windgepeinigten Körper wie morgendlicher Schlaf. Diese Männer aus dem Nedschd, Jassem und Hassun und Ali und die beiden kleinen schwarzen Männer mit den Kameljungen sind die feinsten Leute der Welt. Später lag ich wach da und schaute hinaus in das Mondlicht, hörte das Mahlen der wiederkäuenden Kamele und das leise Blubbern von Fahds Wasserpfeife. Wenn ich halbwegs bei Verstand wäre, würde ich bei Nawwaf in El Gharra bleiben. Es ist mir egal, wenn es bis nach Damaskus tausend Jahre dauert.
Achtzehnter Tag. Heute sind Nawwaf und sein Freund auf ihren großen weißen Dromedaren losgeritten. Tagelang war darüber debattiert worden, ob die Karawane den Weg über El Gharra nehmen sollte. Ich nehme an, Nawwaf wollte ein fettes Schutzgeld kassieren. Jedenfalls geht es weiter in Richtung Norden, wahrscheinlich nach Aleppo statt nach Damaskus. Die beiden zogen wütend los, ohne etwas gegessen zu haben. Ich hätte mit ihnen gehen können. Ich sah die beiden weißen Punkte in der zerklüfteten Hügellandschaft sich immer weiter entfernen und bedauerte meine Entscheidung außerordentlich. Es war während der Mittagsrast. Ich saß mit dem Sajjid und Saleh inmitten von Schih-Büschen und aß Reis aus der Schüssel des Sajjid. Unsere drei angebundenen Kamele standen über uns, grüner Geifer tropfte ihnen von den Lippen, während sie die saftigen Schih-Triebe kauten.
Am Nachmittag hielten wir mehr nach Westen, einem Wind entgegen, der kalt wie eisige Rasierklingen war. Wir durchqueren eine flache rostrote, feuersteinübersäte Ebene, auf der sich die Trampelpfade schnurgerade dahinziehen wie ein Schiff auf dem Meer. Am Abend vergnügte ich mich mit einem Anflug dieses verdammten Teheraner Fiebers. Zum Abendessen gab es Chinin in rauhen Mengen.
Neunzehnter Tag. Kühler Morgen. Rauhreif auf den Feuersteinen, aber dann ein angenehm warmer Tag, ritt träge durch Schluchten und trockene Wasserläufe und über sanfte Geröllhügel. Haufenweise Karnickel, sobald es ein bisschen Vegetation gibt, und pingelig aussehende graubrüstige Vögel. Ob das Wiedehopfe sind? Heute Nachmittag erwischte es den Hadschi. Eines von Abdullahs Maultieren, die andauernd Ärger machen, biss dem Kamel in den Schwanz, das daraufhin einen großen Satz machte und sich in dreizehn Richtungen drehte, dass der Hadschi mitsamt Regenschirm und diversen kleinen Päckchen und Kochtöpfen in hohem Bogen aus dem Sattel flog. Der alte Herr stöhnte und rief «Hamdulillah», bis alle herbeikamen und ihm hochhalfen und Abdullah und seine Maultiere verfluchten und den verbogenen Regenschirm richteten. Dann rappelte er sich auf und stieg wieder auf sein Tier, als wäre nichts passiert.
Während wir das Lager errichteten, wurde ein hoffnungslos lahmendes Kamel getötet. Es schien zu wissen, was ihm drohte, stand torkelnd in der Mitte des Lagerplatzes und sah sich glubschäugig um. Einer der kleinen schwarzen Männer aus dem Nedschd, mit hochgekrempelten Ärmeln und straffgegürtetem Gewand, riss das Tier von den Beinen und schnitt ihm blitzschnell die Kehle durch. Noch ehe alles Leben aus dem Leib gewichen war, wurde das Tier gehäutet und mit viel Begeisterung und Gebrüll zerteilt. Fahd, blutig bis zu den Ellbogen, schleppte die Leber und mehrere Rippen an. Die Leber wurde sofort in der glühenden Asche gegrillt, das übrige Fleisch wurde gekocht. Ich las derweil von den grandiosen Idiotien des Amant Magnifique und nahm bei Sonnenuntergang ein exzellentes Dinner aus Porridge und Kamelfleischstücken mit gebratenen Zwiebeln ein. Die Zwiebeln sind tatsächlich aus meinen eigenen Beständen. Ging schlafen und träumte vom Sonnenkönig und von roten Absätzen, die sich zu langsamen Sarabanden bewegen.
Zwanzigster Tag. Als wir heute Morgen aufbrachen, ging hinter uns die Sonne auf, ein unglaubliches Feuerwerk aus Grau und Gummiguttagelb und Lachsrosa. Schläfrig schaukelte ich auf Malek dahin, Stunde um Stunde, unter einem so intensiven Himmel, dass es schien, als könne man durch das blaue Licht der Welt bis in das Schwarz des unendlichen Raums sehen. Abends kampierten wir in einer flachen Ebene voll Ruetha. Entfernte mich weit von der Karawane mit ihren lauten Geräuschen des Kochens und des Zeltaufschlagens, bis sogar die weidenden Kamele hinter den Hügeln verschwanden. Kein Wind wehte. Nur das gelegentliche Knirschen eines Steins unter meinen Füßen war zu hören. Plötzlich dachte ich an die Wüstendämonen, von denen Marco Polo erzählt, die dem Reisenden ins Ohr flüstern, ihn von den Zelten und der Karawane weglocken, über immer neue Hügel, bis er die Orientierung verliert und in der Leere umherirrt und schließlich stirbt. Es war fast dunkel. Dicke Kondorwolken türmten sich über dem blutenden Westen. Ein schwacher Wind kam auf und pfiff, wisperte leise zwischen den Flintsteinen. Fast war es, als flüsterte er meinen Namen. Ich raffte den Saum meiner Abaya und lief und lief, bis ich im letzten Dämmerlicht die Zelte sehen konnte und die Ballenstapel und den Kreis der Lagerfeuer und die vielen unruhigen langhalsigen Kamele, die für die Nacht angebunden wurden.
Manche Leute sprechen von acht, andere von fünfzehn Tagen bis Esch-Scham.
Einundzwanzigster Tag. Im Westen zwei kleine kegelförmige Berge. Ich glaube, der eine heißt Dschebel Suab. Die Gruppe der Granden, die weit vor der Karawane ritt, kam plötzlich über dem Kamm einer niedrigen Anhöhe in Sichtweite einer großen Herde von Gazellen. Eine ganze Weile sahen sie uns nicht. Jeder hatte sein Gewehr bereit. Doch dann sprangen die vordersten Gazellen hoch in die Luft wie Brecher an einem Meeresfelsen und stürmten davon. Im Nu war die ganze Herde verschwunden. Zu schade, denn meine Vorräte sind aufgebraucht, ich lebe von Reis und frittierten Datteln, die ich von Jassem bekomme. Auch mein Zigarettenvorrat ist aufgebraucht, was sich in der Karawane anscheinend herumgesprochen hat, denn diese feinen Leute sorgen dafür, dass ich immer etwas zu rauchen habe. Dauernd kommen Männer, denen ich nie freundschaftlich verbunden war, und bringen etwas, so dass ich, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen, mehr rauchen muss, als mir lieb ist. Hassun beispielsweise will, dass ich zwei auf einmal rauche. Komisches Gefühl, die ganze Zeit hungrig zu sein. Habe stundenlang Visionen von Gänsebraten und Vallisneria-Ente und Horsd’œuvre im Bristol. Wenn ich aufwache, sehe ich lauter Mais-Muffins und Waffeln rings um mein Feldbett. Die Essensbeschreibungen in Martials Epigrammen treiben mir Tränen in die Augen.
Zweiundzwanzigster Tag. Prächtiger Morgen in einer wunderschönen Steppenlandschaft mit aromatischen Sträuchern voll von Karnickeln und eigentümlichen weißen Vögeln, die ganz sanft fliegen. Umgehen die beiden kleinen Berge, Suab und Damlough, unter einem Himmel, an dem sich rosa und bernsteinfunkelnde Kumuluswolken auftürmen. Ich ritt mit den Granden voraus. Jeder schien ein wenig nervös, da einer der Agail einen Reiter ausgemacht hatte, der von einem Bergkamm aus die Karawane beobachtete. Plötzlich erscholl überall der Ruf «Harami», Banditen, und mit klappernden Satteltaschen und hochgehaltenen Gewehren ritten wir sofort zurück zur Karawane. In der Ferne sausten Männer auf Ponys wie Karnickel die Hügel hinunter. Jassem ritt zu seinen Leuten und ließ sie in einer kleinen Schlucht halten. Die Kamele knieten unter lautem Gestöhne nieder und wurden eiligst festgebunden. Die Tanzmädchen sprangen kreischend aus ihren Sänften. Die übrigen Teile der Karawane hielten ebenfalls an, bis schließlich alle Kamele dicht an dicht in einem unruhigen Karree am Boden lagen. Das Geröllbett der Schlucht hallte wider von den Rufen und dem Klagen der Frauen. Die beiden Pferde wurden bestiegen, eines von dem Sajjid, über den sich alle aufregten, weil er extra seine beste Abaya anlegte, und das andere von Abdullah. Und die Agail und all die anderen Kämpfer unter den Karawanenteilnehmern bezogen Stellung auf den Anhöhen ringsum. Der Kaufmann aus Damaskus und sein Sohn nahmen mich fest in ihre Mitte und steuerten den tiefsten Teil des Flussbetts an, ob zu ihrem Schutz oder meinem, war mir nicht ganz klar. Die dicke Frau des kleinen Türken lag in einem Haufen dreckiger Kleider zu Füßen ihres Mannes und stieß hin und wieder einen langen schrillen Schrei aus. Fahd lief mürrisch umher, straffte die Fußfesseln der Kamele, las auf, was aus den Satteltaschen gefallen war, und fluchte leise vor sich hin, als wäre das Ganze nur eine von Jassems Launen. Alle hockten geduckt da, in der Erwartung, dass es eine ganze Weile dauern würde, und ich musste wieder an den unseligen Tod von Prinz Napoleon denken, doch es geschah nichts. Ich löste mich also von meinen Damaszener Freunden und kletterte auf die Anhöhe über der Schlucht. Dort fand ich den Sajjid, der wie verrückt herumritt, seine langen Ärmel wehten im Wind, und sein silberbeschlagenes Gewehr funkelte in der Sonne. «Baruda ketir ketir. Gewehre viele viele, Banditen viele viele, Bedawi-Reiter viele viele», rief er, als er mich sah. Ich erwiderte, ich hätte in Frangistan Gewehre gesehen, die so groß seien, dass die ganze Karawane durch eines hindurchreiten könne. Das beschäftigte ihn eine Weile. Die Agail kehrten von ihrem Erkundungsritt zurück. Sie waren wunderbar anzusehen, kämpferisch, die langen Ärmel auf dem Rücken miteinander verbunden. Jassem lächelte still, wie immer. Mit einer Hand hielt er sein Gewehr, mit der anderen strich er sich über den Bart. Seine beiden Kopftücher flatterten rot und weiß. Ein großer Trupp von Berittenen näherte sich. Niemand wusste, wer sie waren. Die Agail mit ihren zusätzlichen Patronengurten verstreuten sich wieder über die Hügel, während ich mich den weniger ängstlichen Nichtkämpfern anschloss, die im Kreis auf einer kleinen Erhebung saßen, angeführt von dem Hadschi, der seinen kostbaren Regenschirm auf dem Schoß hielt und alle Augenblicke Allah beschwor. Eine Stunde müssen wir so gesessen haben, als plötzlich in einer Senke ein Schuss fiel und dann noch ein zweiter. Zwei Männer auf weißen Ponys erschienen auf dem Hang gegenüber, galoppierend und gelegentlich schießend. Ein paar Kugeln pfiffen über uns hinweg. Die Gruppe der weniger Ängstlichen löste sich in heillosem Durcheinander auf. Ich habe deutlich vor Augen, dass der Hadschi seinen Regenschirm hochhielt. Auf einmal befand ich mich in einem langen Gespräch mit einem türkischen Kameltreiber. In welcher Sprache wir uns unterhielten, weiß ich nicht, denn er sprach genauso wenig Arabisch wie ich, aber wir konnten uns über die kompliziertesten Dinge austauschen, während die Agail sich zu den Kamelen zurückzogen und auf den Hügeln aus allen Richtungen immer mehr Männer auf weißen Ponys auftauchten, die um uns herumritten und dabei schossen wie die Indianer in Custers letzter Schlacht, der letzten Nummer in Buffalo Bills berühmter Show.
Der Türke ließ kein gutes Haar an den Arabern, bezeichnete sie als niederträchtig und verschlagen. Auch an der Geschichte ließ er kein gutes Haar, ebenso wenig an den Deutschen oder Bagdad oder den Briten. Er war während des Krieges in der türkischen Armee gewesen, war desertiert und von den Bedawi dreimal bis auf die Haut ausgeraubt und, vermeintlich tot, zurückgelassen worden. Er hatte sich auf den Heimweg in sein Dorf in der Nähe von Bursa gemacht und war dabei durch die unglaublichsten Orte gekommen. Überall hatten die Leute zu viele Waffen, und es herrschte Gesetzlosigkeit.
Das alles ging eine ganze Weile so weiter, ohne dass irgendetwas Ernsthaftes passierte, bis Jassem sich schließlich auf den Steinhügel stellte und den Angreifern mit einem langen weißen Ärmel zuwinkte und jeder nunmehr sagte, dass es Freunde seien.
Die Angreifer kamen auf ihren trappelnden Ponys ins Lager, hagere, wettergegerbte Männer, die paarweise ritten und dabei sangen, mit zerschlissenen und dreckigen Sachen, Patronengürtel um den Leib geschlungen. Ibn Haremi ist ihr Name oder der ihres Scheichs, und sie gehören zu den Fede’an.
Ich sitze frierend inmitten meines Gepäcks in einem kalten Wind, der gerade aufgekommen ist, uns zu piesacken. Mir gegenüber bauen die Damaszener Kaufleute niedergeschlagen ihr Zelt auf. Großgewachsene Wüstenmänner stolzieren hochmütig durch das Lager. Sie entfernen sich mit einen Teppich, der den Damaszenern gehört und die jetzt lautes Protestgeschrei erheben. Fahd macht Abendessen für mich, flucht dabei leise vor sich hin. Jassem und Hassun sitzen ungerührt am Feuer und mahlen Kaffee, verfolgen mit funkelnden Augen unter den Kopftüchern jeden Schritt ihrer Freunde, der Ibn Haremi, so wie eine in die Enge getriebene Katze einen Hund beobachtet.
Dreiundzwanzigster Tag. Es ist wirklich zu dumm. Wieder hocken wir herum und verhandeln über Schutzgeld. Diese Ibn Haremi sind ein bemerkenswerter Haufen. Saßen in meinem Zelt und musterten mich und meine Decken und den Koffer und zahllose Dinge, die mir andere Leute zur sicheren Verwahrung anvertraut haben. Eine solche Ansammlung von schielenden, krummnasigen, finsteren, einäugigen, pockengesichtigen Gaunern und Spitzbuben habe ich noch nie gesehen. Sie untersuchen alle meine Sachen mit stechenden Augen, und ihre Hände kleben gierig an jeder einzelnen Faser meiner Decken. Ich habe einen fatalen Fehler gemacht: sie haben mich eingeladen, ihren Scheich zu besuchen, und aus irgendeinem Grund war ich sauer und habe abgelehnt. Ich weiß nicht warum, denn ich könnte mir vorstellen, dass es ganz anständige Burschen sind, wenn man sie erst einmal kennengelernt hat. Könnte aber unangenehme Folgen haben. Also sitze ich missmutig in meinem Zelt, eingewickelt in sämtliche Decken, und verfluche den Wind und dieses gottverdammte Plateau und denke an heiße Bäder und Steaks mit viel Zwiebeln. Aber ihren fröhlichen Gesang zu hören, als sie paarweise auf weißen trappelnden Ponys in das eroberte Zeltlager geritten kamen, das war schon etwas.
Vierundzwanzigster Tag. Fünf Kamele und fünf türkische Pfund wurden als Lösegeld für den Koffer festgesetzt, und nun sind die Ibn Haremi unsere Freunde und Brüder. Gestern Abend erschienen mehrere alte Frauen, saßen um das Feuer und schalteten sich laut in die Diskussion der Männer ein. Heute Morgen wurden wir von den fröhlichen Männern verabschiedet. Allseits große Erleichterung, dass unsere Freunde und Brüder zu ihren Zelten zurückkehren und uns nicht mehr beschützen. Im Laufe des Tages kamen wir über felsige, windzerklüftete Anhöhen zwischen flacher Sandwüste. Bei Sonnenuntergang schien mir, als lägen die syrischen Berge purpurrot vor der Sonne, aber bei Tagesanbruch war von ihnen nichts zu sehen.
Fünfundzwanzigster Tag. Heute Morgen kamen wir gut voran, dem ewigen Westwind entgegen, als ein paar von Abdullahs lächerlichen Maultieren sich unbedingt in einem Labyrinth von trockenen Flussbetten verirren mussten. Also ließen wir uns an einer Wasserstelle nieder, in einem angenehm windgeschützten Tal, dem Sheib War, obwohl wir erst einen halben Tag geritten waren. Wusch mich zum ersten Mal seit einer Woche in einer schicken sonnenerfüllten Felshöhle, lag lange auf den warmen Steinen, während meine Sachen auslüfteten, las Juvenal, mit dem ich nicht recht warm werde, trotz seiner wunderbar empörungsschwülstig dahinfließenden Bilderwelt. Es ist mir zu gewollt. Hoffe, dass ich ein paar Flöhe in der Höhle zurückgelassen habe. Frieren und gleichzeitig von Flöhen gebissen zu werden, ist wirklich blöd. Die Maultiere sind wieder eingefangen worden und kommen die Schlucht heraufgetrappelt. Bukra inschallah werden wir die syrischen Berge und den Dschebel Druze sehen.
Sechsundzwanzigster Tag. Fühle mich wie der namenlose Weise, der mit Weihrauch und Myrrhe zu spät kam. Gottverdammt kalt, es können ruhig alle wissen. Habe noch nie in meinem Leben dermaßen gefroren. Den ganzen Tag in einem scharfen Wind geritten, unter klarem Himmel über eine atemberaubende Ebene, übersät mit scharfen, glitzernden Feuersteinen. Eigentlich zum ersten Mal richtige Wüste. Keinerlei Vegetation. Unsere Lagerfeuer sind aus Jelle, getrocknetem Kameldung, aufgelesen auf einem alten Rastplatz, an dem wir vorbeikamen. Wir sind hier unter einer Anhöhe am Eingang des Wadi Mia, bis Damaskus sollen es noch vier, nach anderen Angaben acht Tage sein. Frösteln und Beten zum Abendessen. Flöhe.
Siebenundzwanzigster Tag. Habe den Verdacht, dass heute Weihnachten ist, da ich aber nicht sicher bin, an welchem Tag ich aus Bagdad abgereist bin, habe ich mich vielleicht verrechnet. Zum Mittagessen gab es Kastowi, zum Abendessen Reis mit meinen letzten Zwiebeln. Höllisch kalt. Langer, trostloser Ritt über purpurrote Hügel, übersät mit scharfen Feuersteinen, in einem Wind, kälter und schärfer als alle Feuersteine von hier bis Jericho. Dies muss der höchste Teil des Bergkamms sein, denn manchmal geht der Regen in Schneeregen über. Bin heute Abend furchtbar ins Fettnäpfchen getreten. Vor dem Abendessen machte ich meinen üblichen kleinen Spaziergang, hinauf zur höchsten Erhebung in der Umgebung des Lagers, stand auf dem Gipfel und schaute durch graue Dunstfetzen in die weite gipsgraue Ödnis. Vor mir zwei kopulierende Kamele, die sich im letzten silbrigen Licht wie Monster aus einer Eozän-Welt abzeichneten, die geschmeidigen Hälse aneinandergelegt, mit sabbernden aufgeplusterten Lippen und durch gelbe Zähne stöhnend. Schwerfällig, vorsichtig wurde der Akt im aluminiumschimmernden Dämmerlicht vollendet. Ich war auf einen Felsen gestiegen, um noch weiter sehen zu können, als ich Jassem mit dem Fernglas in der Hand heranstürmen und heftig winken sah. Ich ging ihm entgegen und stellte fest, dass er fuchsteufelswild war. Den ganzen Tag hatte sich die Karawane außer Sichtweite der schwarzen Zelte bewegt, die im benachbarten Tal waren, und da stand ich wie ein Denkmal auf der Anhöhe, weithin in alle Richtungen sichtbar. Jassem zeigte seinen Ärger, und ich meine Zerknirschtheit, indem wir mit Steinen auf die Kamele warfen und sie zurück ins Lager trieben.
Achtundzwanzigster Tag. Heftige Regenschauer aus grauen Wolken. Ein Nordseetag ohne ein bisschen Sonne. Ritt von frühmorgens bis spätabends durch eine heulende Steinwüste. Die Agail lachen über mich, wenn wir abends am Feuer sitzen, denn der beißende Jelle-Rauch treibt mir die Tränen in die Augen. Hassun kann, ohne mit der Wimper zu zucken, das Gesicht in den stärksten Qualm halten, fast bis in die Flammen. Hielt einen Vortrag über Amerika. Einige Agail waren anscheinend schon einmal in Amerika und haben bei ihrer Rückkehr erzählt, dass es ein Land voll fluus sei. Der Kaffee, den wir tranken, kam aus Santos, also glaubten sie, dass ich dort lebe. Alle wunderten sich über die großen eisernen Schiffe, die über das Meer fahren, und hier, in der Wüste, am Kameldungfeuer in unergründlich dunstschwarzer Nacht, spürten wir den Sog der großen Maschine, das Funkeln von Nickelmünzen, das Schimmern von Zelluloid und Emaille, das Knistern von Geldscheinen in Banken, das Rattern und Stampfen geölter Räder. Ich hielt eine große Ansprache und sagte, dass ich, wenn ich bei Verstand wäre, in der Wüste bei den Agail leben und nie mehr zurückkehren würde; das nahmen sie als Kompliment, sie verstanden es nicht. Jassem fragte dann, was für eine Art Hakim ich in meinem Land sei, ein bedeutender Mann wie Cokus? Nein, nicht ganz.
Der Hadschi hat kein Glück. Gestern schlief er in meinem Zelt, da es draußen ganz nass war, und natürlich wurde das Zelt umgeweht, und die Hälfte der Kamele brach in eine Stampede aus, niemand dachte mehr an den armen alten Herrn, alles trampelte auf ihm herum, bis er schließlich, auf dem Bauch liegend und stöhnend, unter dem umgekippten Bett hervorgezogen wurde. Und wieder war der Regenschirm beschädigt.
Meine Schuhe sind hinüber, und ich habe Frostbeulen.
Neunundzwanzigster Tag. Sitzen wieder fest. Fünfzehn Kamele humpeln nach den Anstrengungen der letzten Tage. Den ganzen Tag in nassen Zelten gefroren. Den ganzen Nachmittag im Zelt des Sajjid gesessen, während sein Koch Hadschi Mohammed Geschichten erzählte. Ich habe nicht alles mitbekommen, aber jede begann mit der geschmeidigen Verbindlichkeit des Es war einmal ... und entwickelte dann eine solche Spannung, dass alle Eywallah und Allah riefen und dreckig gackerten und unruhig hin und her rutschten und sich dermaßen amüsierten, dass mir fast war, als hätte ich die Worte verstanden. Dann sang der kleine Sohn des Damaszener Kaufmanns, und alle aßen Datteln und tranken Tee. Zwischen den Strophen romantischer Lieder ruft jeder Allah und seufzt überaus melancholisch.
Dreißigster Tag. Begann dunstverhangen und deprimierend. Dann Phantomberge im Westen, die Syrien und seine Fleischtöpfe zu versprechen schienen, die Sonne kam heraus, und die unendliche purpurrote Flintsteinebene leuchtete wie ein zersprungener Spiegel.
Einunddreißigster Tag. Herrlicher eiskalter Morgen. Immer weiter westwärts durch dieses Flintsteinmeer. Unentwegt hungrig. Stunden vor Mittag denke ich an den Geschmack von Kastowi, eine köstliche melassebraune Pampe aus Schafsbutter und gebratenen Datteln, und abends falle ich über Reis und Brot her, ohne viel zu schmecken. Letzte Nacht habe ich von einem Dinner im Bristol in Marseille geträumt, von dem Geschmack einer knusprig gebratenen Gans. Ich komme mir dann furchtbar verweichlicht vor. Entbehrungen scheinen den anderen nichts auszumachen. Die Araber sind die genügsamsten Leute, denen ich je begegnet bin.
Zweiunddreißigster Tag. Einen halben Tag weiter. Kamele schlecht gelaunt, da sie seit Tagen nichts zu fressen haben. Und wenn sie tausend Jahre bis Damaskus brauchen. Mir ist es egal. Nie wieder werde ich an so aromatischen Lagerfeuern sitzen, mit so feinen Leuten zusammen sein. Mein Gott, ich fühle mich gut, bärtig, vollblütig, die Wüste, dieses kalte purpurrote feuersteinerne Plätteisen, hat alles Gallige aus meinem Bauch, alles Runzelige aus meinen Gedanken weggebügelt.
Der Sajjid und Damaskus-Saleh hatten einen Streit, ich weiß nicht, worüber.
Dreiunddreißigster Tag. Ein neuer Wind ist aufgekommen, hawa esch-Scham, so heißt er, der Wind von Damaskus. Alles ist rosa und von warmer Farbe wie die Ohren eines Eselhasen, die man für einen kurzen Moment gegen die Sonne sieht. Wir haben auf einem schihbedeckten Hang unser Lager errichtet. Am Ende einer nach Nordwesten verlaufenden Rinne ragt ein Gebirgszug in die Wüste hinein, die Berge von Syrien. Dahinter liegt Palmyra, dessen Anblick mir nicht vergönnt sein wird – ach, Zenobia. Schuhe zerrissen, die Füße voller Frostbeulen, die Hände steif vor Kälte, aber ich bin munter wie eine Lerche. Hätte jetzt gern ein heißes Glas Punsch mit einer Zitronenscheibe und zwei Nelken.
Vierunddreißigster Tag. Durch steinige Schluchten und über Sandwüste, und im Westen die syrischen Berge, zusammengedrängt wie eine Viehherde. Heute Nachmittag wären wir fast wieder überfallen worden. Zwei Agail bemerkten Gewehre und Kopftücher am Eingang einer tiefen Schlucht, durch die die Piste führt, woraufhin die Karawane sofort umdrehte und nach Süden verschwand, während die Granden auf ihren Dromedaren mit schussbereitem Gewehr auf die Schlucht zuritten. Die Männer trugen verschiedenfarbige Kopftücher und waren vom Dschebel Druse. Ich glaube nicht, dass es Drusen waren, sondern Leute aus der Umgebung, halb Bedawi, halb Drusen. Sie sagten, sie wollten den verrückten Farangi sehen, der sich in der Wüste herumtreibt, und nachdem ich herbeigerufen worden war, musterten sie mich kritisch, aber freundlich. Anschließend wurden große Reden geschwungen. Und mit fünfzehn türkischen Pfund und einem Sack Datteln gaben sie sich schließlich zufrieden. Ohnehin hätten sie uns keine nennenswerten Schwierigkeiten machen können, da nur einige von ihnen beritten waren.
Fünfunddreißigster Tag. Wir reiten zwischen zwei kahlen Gebirgszügen, rosa und ocker und purpurrot, im Schatten indigofarben, die sich in stehenden Wasserlachen spiegeln. Dort, wo das Wasser ausgetrocknet ist, ist der Boden rissig und fleckig wie eine Alligatorhaut. Nachdem uns von den Bedawi keine Gefahr mehr droht, denken alle voller Sorge an das Kamelreiterkorps der Franzosen, denn Tabak und Kamele sind zollpflichtig, und das Entscheidende ist jetzt, nicht aufzufallen. Wie eine Karawane aus fünfhundert Kamelen unbemerkt nach Damaskus gelangen soll, ist mir schleierhaft, aber Wunder sind ja nie auszuschließen. Alle sind unruhig und aufgeregt wie beim letzten Tag auf einem Ozeandampfer.
Sechsunddreißigster Tag. Alles kommt, wie es kommen muss. Wir haben unser Lager in einer kleinen geschützten Mulde bei Dmair aufgeschlagen. Wir sind in Syrien. Blauer Rauch steigt über dem Dorf auf und verliert sich in dem Blau der Berge, hinter denen Libanon liegt. Weiter südlich der Dschebel Scheich, gebeugt und ehrwürdig. Ringsum weiden Ziegen und Schafe. Ich würde gern nach Dmair gehen, aber Jassem ist dagegen, er befürchtet, ich könne die verschlafenen Zollbeamten aufscheuchen. Es kommen aber einige Bewohner von Dmair auf Kamelen und Eseln angeritten. Fast wünschte ich, wir wären noch immer in der Wüste, würden aufbrechen statt ankommen, bestünde nicht die Aussicht auf ein warmes Bad und Essen, Essen, Essen.
Siebenunddreißigster Tag. O diese Sajjids. Der unvergessliche Einzug in Damaskus.
Gestern Abend war ein einziges Kommen und Gehen im Karawanenlager, an Jassems Feuer wurde lange diskutiert, und die Kamele stöhnten und brabbelten. Das Letzte, was ich beim Einschlafen hörte, war das Klingeln von Münzen, türkische Goldpfunde, die einzeln in jede Hand gezählt wurden. Als ich morgens aufwachte, sah das Lager aus wie von einem Wirbelsturm verwüstet. Die Hälfte der Kamele, das meiste der Tabakballen und Teppiche und wohl auch des Opiums war verschwunden. Jassem saß seelenruhig da und mahlte Kaffee und strich sich manchmal über den Bart. Während wir gemeinsam Kaffee tranken, gab er mir freundlich zu verstehen, dass ich, wenn ich in Damaskus mit den Franzosen spreche, nicht wissen solle, wie viele Kamele es gewesen seien oder auf welchem Weg wir gekommen seien. Ich sagte ihm, dass ich ein schlechtes Zahlengedächtnis habe.
Dann wurde Abdullahs weißer Hengst gebracht, ich klemmte meinen wundgeriebenen Hintern auf einen scheußlichen Sattel, und dann ging es los in Richtung Damaskus, ich auf dem Hengst, der Sajjid auf seinem Dromedar, der Koch des Sajjid auf einem kapriziösen weißen Kamel und ein Agail zu Fuß, der uns bis zur Straße bringen sollte. Es war ein schier endloser Morgen. Immer wieder kamen wir vom Weg ab, erst über ein struppiges Plateau, dann durch ein fruchtbares Tal mit Weideland, Feldern mit grünem Sesam und Luzerne, Apfelbäumen, rosafarbenen Lehmziegelhäusern. Schließlich erbarmte sich der Sajjid meiner, der ich auf dem steigbügellosen Pferd durchgeschüttelt wurde, und ließ mich auf seinem Dromedar reiten. Dem weißen Kamel behagte der Geruch der Zivilisation nicht, unentwegt versuchte es, in die Wüste zurückzupreschen. Schließlich kamen wir, fast verrückt vor Hunger, wundgerieben, humpelnd und hundemüde, zu einem Dorf, wo wir die Tiere vor dem Kaffeehaus ließen, überaus frugal Bohnen und Käse und Kebab aßen und dann, hingegossen wie Zeus in seinem Adlerwagen, in einem Landauer nach Damaskus fuhren. Doch noch bevor ich etwas in den Mund und Wasser an meine Haut bekam, musste ich sämtliche Verwandten des Sajjid besuchen, bärtige alte Männer im Basar der Schreiber, Leute in geheimnisvollen Höfen, die Anhänger von Faisal waren und gegen die Franzosen konspirierten, einen Schneider in einer Schneiderei, den Inhaber eines Kaffeehauses, das von den Agail frequentiert wurde. Jedes Mal nicht enden wollende Höflichkeiten und Freundlichkeiten, bis wir uns schließlich mit den Mächten der Zivilisation konfrontiert sahen. Wir hatten die Droschke vor einem Kaffeehaus abgestellt, in dem wir eifrig palaverten, und ich war vor lauter Hunger und Ungewaschensein viel zu benommen, als dass ich etwas mitbekommen hätte. Als wir nach draußen traten, sahen wir einen betrunkenen französischen Offizier in der Droschke sitzen. Der Sajjid protestierte, es sei unser Wagen, worauf der Franzose üble Beleidigungen ausstieß und der Sajjid seinen kleinen Dolch zückte, und die Hölle wäre los gewesen, wenn der Franzose nicht vage mitbekommen hätte, dass ich Französisch mit ihm redete. Sofort entschuldigte er sich wortreich, umarmte den Sajjid im Namen der Alliierten, und gemeinsam fuhren wir, «La Madelon de la Victoire» singend, zu einer vollkommen pariserischen Bar im Stadtzentrum. Der Sajjid saß draußen, während wir Okzidentalen hineingingen und im Namen von Liberté, Fraternité und Egalité ich weiß nicht wie viele Gläser Absinth tranken. In einer unendlich rosafarbenen Wolke sauste ich zum Hotel, wo ich den Franzosen und den Sajjid irgendwie abschütteln konnte, und war schließlich allein, räkelte mich wohlig in einem heißen Bad, das nach Absinth schmeckte, nach Absinth roch, angenehm dampfte und rauschte und absinthrosa prickelte.