VII MOHARRAM

Für Z. C. B.

1. Der Derwisch

Vor dem Tor, wo die staubige Straße vorbeiführt, unter Platanen hinauf in die Berge, sitzt ein weißgewandeter alter Mann mit blauem Turban. Sein Bart ist so dicht, als wäre er aus Silber gewirkt. Bewegungslos hockt er da und schaut aus ernsten Adleraugen vor sich hin. In der einen Hand hält er einen aufrechten Krummsäbel, in der anderen, die auf seinem Schoß ruht, hält er ein Buch. Schwert oder Koran. Die Spitzen des zunehmenden Halbmonds greifen nach der Welt. Passanten werfen Kupfermünzen auf die Ecken seines Gebetsteppichs. Der alte Mann sitzt bewegungslos da, achtet nicht auf den aufwirbelnden Staub, hockt am Straßenrand auf einem Baumwollteppich mit dem Gesicht eines Emirs, der die Gläubigen in den heiligen Krieg führt.

In Persien werden Bettler fast als Heilige angesehen. Bettler geben dem Gläubigen die Möglichkeit, für ein angenehmes Leben im Himmel vorzusorgen. Im Chan von Mianeh war ein Kaufmann, dessen Karawane von Banditen überfallen worden war. Er hatte eine Bestätigung eines Mudschtahid, wonach er durch Allahs Willen alle irdischen Güter verloren habe, und nun wartete er in seiner Kammer geduldig auf Spenden von Reisenden, die es ihm ermöglichen würden, sein Geschäft wiederaufzunehmen. Er sah sehr glücklich aus, wie jemand, der nicht mehr gegen die Widrigkeiten des Lebens ankämpft. Islam bedeutet nicht umsonst Unterwerfung, Selbstaufgabe.

Und in jedem Teehaus an der Straße findet man fröhliche Gestalten, zerlumpt und abgerissen, Männer jeden Alters und aus allen Schichten, die nicht mehr arbeiten, sondern durchs Land ziehen und so gut es geht aus der Heiligkeit der Armut Kapital schlagen. Sie sind gewiss die glücklichsten Menschen in Persien. Sie denken nicht an Steuern oder Überfälle von Bergstämmen oder Banditen im Gebirge. Sie wandern umher, Sonne und Wind ausgesetzt, hungern und singen Gebete und tragen Epidemien und das Wort Gottes von der Wüste Gobi bis zum Euphrat. Landstreicher gibt es überall, aber im Orient ist diese Lebensform ein religiöser Akt. Alle Tollheit, alle Rastlosigkeit kommt von Gott. Verliert ein Mann sein einziges Kind oder seine geliebte Frau oder geschieht ihm ein anderes unbeschreibliches Unglück, legt er seine Kleider ab und läuft hinaus ins Freie und lässt das Haar wachsen und zieht bettelnd und Gott preisend durch die Welt. Er wird ein Derwisch, so wie er im mittelalterlichen Europa in ein Kloster gegangen wäre.

Diese Dinge gingen mir durch den Kopf, als ich in Teheran unterwegs zum Telegraphenamt war, da nur noch eine Handvoll Silbermünzen in meinem Geldbeutel war und meine Hotelrechnung immer weiter anstieg und jedes Telegramm mit der Bitte um Geld mich eine Woche Kost und Logis kostete. Es war in den ersten Tagen des Moharram, des Monats der Trauer, wenn keine Musik gespielt und nicht getanzt wird, der Monat der Trauer um Hossein, den Sohn Fatimas, der Tochter des Propheten. Jeder Tag erfüllte Teheran mit noch mehr Bettlern und Frömmigkeit und Fremdenfeindlichkeit. Ich habe mich gefragt, wie es sein mag, am Straßenrand unter einer Platane zu sitzen und einer Schar von Bauern die Geschichte der schiitischen Märtyrer zu erzählen, während einem Tee und eine Schale Reis gebracht werden und den Leuten die Tränen über das Gesicht laufen, wenn sie vom Leiden des großen Imam hören, des Sohnes Alis, der erfüllt war vom Geist Gottes und durch die Falschheit der Männer von Kufa den Tod fand, Hunde und Hundesöhne, und durch die Ränke von Scheitan, dem Bekifften.

Nur mit dem Namen Allahs als Gepäck konnte man von der Großen Chinesischen Mauer bis an den Niger reisen und ziemlich sicher sein, dass man Essen bekam und oft auch Geld, solange man nur bereit war, sich fünfmal am Tag in den Staub zu werfen und das Ich und den glamourösen Westen aufzugeben.

Aber der Westen ist auf dem Vormarsch. Henry Fords Evangelium von Arbeitsteilung und Standardisierung wird Herzen gewinnen, die Thales und Demokrit, Galileo und Faraday standhielten. Kein Gott ist stark genug, der Universal Suburb zu widerstehen.

In unserer Zeit wird der Derwisch, Symbol des Mysteriums in der Welt, ein schlichter Vagabund werden, wie man ihn in zivilisierten Ländern kennt.

2. Das Teehaus

An heißen Nachmittagen saß der a. O. in einem überdachten Hof neben einem Springbrunnen, in dem Goldfische schwammen, trank ein Glas Tee nach dem anderen und aß einen wunderbar kühlen rosenparfümierten Gelee. Nur wenige Menschen waren im Teehaus, ein europäisch gekleideter Armenier, ein Türke mit Fes und Gehrock. Im Trauermonat bleiben die Leute zu Hause. Die Knaben, die hier bedienten, sprachen in der Ecke im Flüsterton miteinander. Das Wasser plätscherte hell, gelegentlich brummte eine Fliege. Die wenigen Geräusche störten die kristallklare Stille.

In der intensiven Ruhe von Herbstnachmittagen ging dem a. O. immer wieder ein Gedanke durch den Kopf. Aus dem tiefen Grund einer großen stillen Zufriedenheit stieg regelmäßig eine winzige Frage auf: Wie kommt man nach Isfahan, wie nach Chorasan weiter östlich, wie nach Kabul, in die afghanischen Berge, nach Kanton, nach Frisco. Er zog Ring um Ring, aber nie den entscheidenden Messingring.

Was will ich überhaupt im Orient? Was gehen mich diese welken Fragmente alter Ordnungen an, diese toten Religionen, diese Ruinen, gespickt mit den Larven der Geschichte? Alte Männer, zahnlose Eunuchen, die in der Sonne schlafen. Im Westen vernichtet das Leben, was auf den schäbigen russischen Güterbahnhöfen an Neuem hervorsprießt, abseits des Benzingeruchs Detroiter Garagen. Samarkand wird der kleinen Polin von der Seilbahn in Tiflis auf einem Tablett präsentiert.

Als Randepisode ist dieser verblassende Orient noch immer sehr schön. Der unbeschreiblich weiche, federnde Gang eines zweihöckerigen Kamels, die alten Männer mit karminroten Bärten, die mächtigen Turbane, weiß, blau, schwarz, grün auf rasierten Schädeln, Knaben mit Käppchen, unter denen das lockige Haar nach Troubadourart hervorquillt, die gespenstisch verhüllten Frauen, die turmhohen Filzhüte, die bunten Teppiche, die Gewänder aus papageiengrüner Seide, die Bäume von grellem Mangangrün auf gelben Hügeln, dahinwirbelnde Wasserläufe, weiße Esel, die türkisfarbenen Kuppeln, die weißen Mohnfelder.

Wäre man alt genug und das Blut kühl genug, genösse man die Schönheit dieser stillen Pappelgärten, das diensteifrige Heranschaffen der Samoware, das feine, angedeutete Lächeln über kleinen Teegläsern, das glitzernde Wasser, das in einer schmalen Rinne mitten durch den Raum rauscht, die helle Ruhe sonniger, unveränderlicher Innenhöfe, die mühelose Unterwerfung unter die Schrift.

Doch es lohnt sich, zuvor das eine oder andere auszuprobieren.

Der a. O. steht auf, wie benommen von einem plötzlichen Gefühl unterdrückter Passivität, und tritt hinaus auf die breite Straße, wo das Dämmerlicht wie bunte Papierschnipsel durch die breiten Platanenblätter rieselt. Hassan, Hossein, Hassan, Hossein ... Begleitet von Trommelschlägen, kommt ein Prozessionszug vorbei, rauhe Stimmen, die kriegerischen Banner und Standarten des Islam, die Hand Fatimas, der Federbusch, der Halbmond. Das ist die Karawane Hosseins, des leichtbärtigen, vertrauensvollen alten Mannes, der von Medina zu seiner letzten Reise nach Kufa aufbricht. Noch wird nicht geklagt, aber man spürt, es liegt etwas in der Luft, Schwingen des Unheils, die über dem schwindenden Dämmerlicht kreisen, durch die Straßen der Klang der Trommeln und das Stampfen der Füße und der rauhe Triumphschrei «Hassan, Hossein».

Sind diese Götter denn so tot?

3. Malaria

Der russische Ingenieur, der sich als Besitzer eines Fords bezeichnet hatte, schaute auf das Thermometer und schüttelte den Kopf. Dann holte er seine Frau, die auf das Thermometer schaute und den Kopf schüttelte. Das Zimmer war voller Menschen, die auf Thermometer schauten und die Köpfe schüttelten. Eine Stimme von sehr weit her sagte: Unsinn, mir geht es bestens. Das Bett war eigentümlich weich, wogend, segelte hoch über dem Kopf des russischen Ingenieurs, der sich als Besitzer eines Fords bezeichnet hatte, und seiner Frau und dem Hôtel de France und den Rufen «Hossein, Hassan» aus metallischen Kehlen.

Es gab einen Abgrund. Die Stadt ohne Wanzen stand am Rand des Abgrunds. «Inschallah»[19], sagte der russische Ingenieur, «die Stadt wird nicht in den Abgrund fallen, der fast einundvierzig Grad tief ist.» Dann erhob sich ein großer Prophet und sagte: «Ah, mon ami, j’ai trouvé un poux. Avec le typhus qu’il a c’est très dangereux.» – «Bismillah»[20], riefen die Dorfbewohner. «Die Stadt wird in den Abgrund fallen.» Da sprach der Prophet: «Die Stadt ohne Wanzen muss in die Schlucht stürzen.» – «Bismillah», riefen die Dorfbewohner. «Wir müssen den Abgrund oder die Schlucht auffüllen.» Woraufhin sie ihre Möbel und ihr Hab und Gut und ihre Häuser und ihre Frauen und Kinder und zuletzt sich selbst in den Abgrund stürzten. «Intravenös», sagte der Sajjid, rollte mit den Augen und spritzte mir ein Glasvoll Chinin.

Dann lag ich sehr lange frierend und dünnhäutig auf der steinernen Tundra meines Bettes, und der russische Ingenieur, der sich als Besitzer eines Fords bezeichnet hatte, erklärte mir in sorgfältigem Französisch seine Pläne. In ein, zwei Tagen wird die Straße nach Rascht am Kaspischen Meer wieder geöffnet sein. Reza Khan war gerade im Begriff, die Überreste der Republik Ghilan[21] zu beseitigen. Dann würden wir in dem Ford nach Rascht fahren, ihn mit Kaviar beladen, den man dort am Kaspischen Meer quasi umsonst bekommt, und zurückfahren nach Kazvin, Hamadan, Kermanschah und Bagdad, wo die Engländer einen Haufen Geld bezahlen für ein Gramm der Ware, die wir kiloweise eingekauft hatten. Zwischen uns und dem Reichtum standen nur ein paar hundert Pfund für Benzin. Also, wenn ich die Summe, die ich am Ende für die Fahrt nach Bagdad bezahlen werde, für Benzin und Kaviar ausgäbe, würden wir alle umsonst nach Bagdad kommen und dort einen hübschen Gewinn machen.

«Aber gehört Ihnen der Ford wirklich?» – «Gewissermaßen. So gut wie.»

Draußen heulte und pfiff der Wind um das Haus. Vor lauter Staub konnte man den Innenhof nicht sehen. Durch jede Ritze drang Staub in das Zimmer. Eine zentimeterhohe Schicht von feinem weißen Staub bedeckte mein Kissen. Das baufällige Hôtel de France wackelte und rumpelte, als wollte es gleich neben unseren Ohren einstürzen. Schließlich wurde der Lärm so laut, dass ich die sanfte Stimme des russischen Ingenieurs, der sich als Besitzer eines Ford bezeichnet hatte, nicht mehr hören konnte.

Irgendwo im Hotel gab es einen ohrenbetäubenden Krach und einen Schrei. Der russische Ingenieur lief hinaus und kam im nächsten Moment mit seiner Frau am Arm wieder zurück. Das Haar hing ihr wirr ins Gesicht, und erregt zirpte sie auf Russisch. Das Dach über ihrem Zimmer war weggeweht worden. Es war ein Wellblechdach, das mit einem Geräusch wie Theaterdonner durch die Luft segelte. Vor Mitternacht würde das ganze Haus bestimmt einstürzen. Ich lag frierend im Bett, die Decke über der Nase wegen des Staubs und über den Ohren wegen des Lärms, fühlte mich ganz lang und schwach und müde und sank mühelos in den Schlaf wie ein Baumstamm, der in eine Schlucht fällt.

4. Bahai

Die drei Amerikanerinnen waren Bahai-Missionarinnen, eine aus New York, eine aus Chicago, und die jüngste vielleicht aus einem Städtchen in den Dakotas. Alle hatten die gleichen Augen, weit auseinanderstehend, starr, mit geweiteten Pupillen. Wir saßen in einem langen, dunklen, europäisch eingerichteten Zimmer und sahen einander steif an. Die Älteste berichtete von der Verfolgung ihrer Glaubensgenossen in Persien seit El Babs[22] Märtyrertod in Täbris. Dass sie nicht begraben werden und nicht zusammenkommen dürften und dass viele ihren Glauben verheimlichten. Sie hatte müdes graues Haar, das ihr in die Stirn hing, graue welke Lippen und ein Gesicht voller müder Fältchen. Die Presbyterianer in dem großen Missionsgebäude am anderen Ende der Stadt sprächen nicht mit ihnen, weil sie keine Christen seien. «Sie wissen nicht, dass die Verehrung unseres Herrn Baha’ullah auch die Verehrung Christi einschließt, der ebenfalls ein großer Prophet und die Emanation Gottes war.»

Die zweite Frau war Ärztin. Ihr Gesicht war fest und schmal, und sie war adrett gekleidet. Sie sprach von dem Leid der Frauen, von ihrer Unwissenheit, ihrem Dahinwelken in der überzuckerten Abgeschiedenheit des Andarun[23], ihren Krankheiten und den Problemen der Gebärenden.

Die jüngste war erst seit kurzem in Teheran. Ihr Bericht war voller Wunder. Sie war im Winter von der Küste her gekommen. Man hatte ihr gesagt, dass eine solche Reise den sicheren Tod bedeute. Aber der Tod hat keine Macht über die Diener des immerwährenden Lichts. Sie war ganz allein über einen hohen verschneiten Pass gekommen, über den sich im Winter nicht einmal die Kurden wagen; als sie zu einem Fluss kam, ging das Hochwasser zurück; alle anderen Reisenden, die auf diesem Weg unterwegs waren, wurden von Banditen getötet, nur sie nicht: bei jedem Schritt habe sie die Hand Gottes gespürt, der ihr Maultier sicher führte und sie vor den Absichten böser Männer schützte.

Es war dunkel geworden, als ich mich von ihnen verabschiedete. Draußen kam ein Prozessionszug vorbei, erst ein paar Männer, die als berittene Araber verkleidet waren, dann Reisende auf buntgeschmückten Kamelen, dann Männer mit schweren vielarmigen Messingleuchtern und einer Metallstandarte, die wie ein großer Krummsäbel aussah, oben an der Spitze eine Messingquaste, die im Licht aufblitzte, und schließlich Büßer in Viererreihen, die sich rhythmisch an die Brust schlugen, hochgewachsene dunkelhäutige Männer mit geröteten Augen, die sich zu dem verzweifelten erregten Ruf «Hossein, Hassan» rhythmisch an die Brust schlugen.

Dies war das dumpfe Geräusch gewesen, das ich in der Ferne gehört hatte, das mich unruhig gemacht hatte während des Gesprächs mit den Missionarinnen, die von der Sanftheit und Toleranz der Bahais erzählten und von brüderlicher Liebe. In meinem Hotelzimmer, wo ich Euripides in einer alten und schlechten französischen Übersetzung las, konnte ich immer noch das Stampfen hören, das, bald aus der einen, bald aus der anderen Richtung, durch den stauberfüllten Herbstabend drang, den Zug der Trauernden, die Hosseins Karawane folgten und sich an die Brust schlugen.

5. Hossein

Hossein, Sohn von Fatima und Ali und Enkel des Propheten, begab sich von Medina nach Kufa, der Stadt der ersten Ärzte des Islam, wo sein Vater Ali, Herr über alle Welt, ermordet worden war. Yazid, Kalif in Damaskus, wollte Hossein vergiften, so wie er dessen nichtsnutzigen Bruder Hassan vergiftet hatte. Die Leute von Kufa hatten dem einzigen noch lebenden Enkel von Mohammed angetragen, ihr Kalif zu sein. Am ersten Tag des Moharram kam der Karawane von Imam Hossein aus Kufa ein gewisser Hurr entgegen, der im Auftrag des Kalifen verkünden sollte, dass Yazid der Herrscher von Kufa sei und dass Hosseins Anhänger getötet worden seien. Hossein hatte sich mit einigen Sklaven, seiner Schwester, seinen Frauen und Kindern auf die Reise begeben. Eine seiner Frauen war eine Perserin, die Tochter des letzten Sassanidenkönigs. Hurr, der sich seines Auftrags bereits schämte, kehrte nach Kufa zurück und bat darum, dem Imam die Rückkehr nach Medina zu erlauben. Hosseins Gruppe reiste bei Nacht, denn es war sehr heiß. Hossein sagte: «Ein Mann reist bei Nacht, und seine Bestimmung reist ihm entgegen. Ich bin sicher, es war eine Todesahnung.»

Die Verhandlungen gingen in arabischer Manier hin und her, bis Hosseins Karawane am neunten Tag schließlich bei Kerbela, einer Ortschaft am Euphrat, ihre Zelte aufschlug. Die Armee von Amr ibn Saad kreiste sie ein, denn Yazid hatte Befehl gegeben, die Männer zu töten und die Frauen nach Damaskus zu schaffen. Im letzten Moment kamen Hurr und seine Männer in das Lager, um mit dem Imam zu sterben. In dieser Nacht befestigten sie ihre Zelte und zogen einen Graben mit Reisigbündeln, so dass ein Angriff nur von vorn möglich war. Hossein bereute bitterlich, dass er die Kinder und Frauen mitgenommen hatte, denn es gab kein Wasser.

Am Morgen griff Amr ibn Saad an. Hossein und seine Leute waren hoffnungslos in der Minderzahl. Gegen Mittag setzte sich Hossein, vom Kampf erschöpft, einen Moment neben sein Zelt und nahm seinen jüngsten Sohn Abdullah auf den Schoß. Ein Pfeil tötete das Kind. Der Durst wurde immer unerträglicher. Ali Afgar und Ali Asgar, die beiden halbwüchsigen Söhne Hosseins, liefen zum Fluss, um Wasser zu holen. Auch sie wurden von Pfeilen getroffen. Schließlich ging Hossein selbst zum Fluss. Die Soldaten des Kalifen wagten es zunächst nicht, ihn anzugreifen, doch als er sich herabbeugte, um zu trinken, traf ihn ein Pfeil im Mund. Daraufhin stürzten die Soldaten des Kalifen von allen Seiten hinzu. Dreißig Speere durchbohrten Hossein, und Amr ließ seine Kavallerie so lange über den Toten hin und her reiten, bis der Leichnam zerstampft am Ufer lag. Der Kopf Hosseins wurde nach Damaskus geschickt.

Und am Jüngsten Tag wird Allah, der im Begriff ist, die ganze Menschheit trotz der Fürsprache von Mohammed und Isa ben Mariam[24] und Moses und den zweihundertsiebzigtausend Propheten in die Hölle zu werfen, sich Hosseins erinnern, des Wehklagens der Frauen und des Todes der Söhne und des Durstes in den Zelten von Kerbela, und Tränen werden ihm in die Augen steigen, und all jene, die um Hossein geweint, die sich für ihn geopfert, für ihn gelitten haben, sie alle werden verschont und in das Paradies aufgenommen, den Garten mit den ewig grünen Bäumen, unter denen die ewig jungfräulichen Huris warten.

In Teheran dämmert der schreckliche, der entsetzliche 10. Moharram heran. Die nächtlichen Straßen waren erfüllt von Fackelschein und Gesang und dem dumpfen rhythmischen Schlagen an die entblößte Brust. Im Morgengrauen sind nun überall Wasserträger unterwegs, die den Passanten Wasser anbieten zur Erinnerung an den schrecklichen Durst, der in den Zelten vor Kerbela herrschte. Jetzt greifen Amrs Reiter an, die ersten Pfeile fliegen.

Auf einem Platz im Basar hat sich eine große Menschenmenge versammelt. Auf einem Dach sind Stühle für das diplomatische Corps bereitgestellt worden. Europäer in Gehrock und Uniform, in weißen Leinenanzügen wie für eine Gartenparty, Damen in pastellfarbenen Kleidern sowie als Eskorte einige Gendarmen. Aus allen Gassen des gedeckten Basars ertönt dumpfes Getrommel und der rauhe atemlose Ruf «Hassan, Hossein, Hassan, Hossein».

Kosaken und Gendarmen kommen vorbei, sehr langsam, mit gesenktem Kopf, gefolgt von geführten Pferden. Hier und da sieht man Tränen über eine tabakbraune Wange laufen. Rasselndes Pferdegeschirr, glitzernde Standarten in der Sonne, die Hand Fatimas, der Halbmond mit dem Federbusch, grüne Fahnen und orangefarbene Fahnen, schwarzgewandete Büßer, die sich an die entblößte Brust schlagen, erfüllen den Platz mit ihren dumpfen, rauhen Klagerufen. Dann, hinter der messingverzierten Konstruktion aus schweren Metallblättern, kommen Männer im Lendenschurz, Spieße und Dolche im Fleisch, Dornenschmuck hängt von den nackten Schultern, Männer wie von Lanzen und Pfeilen getroffen, schweißüberströmt und staubbedeckt in der Sonne. Es folgen zwei lange Kolonnen von Männern und Jungen in weiten weißen Gewändern, mit Ketten gegürtet, jeder hält sich mit der Linken am Gürtel des Vordermanns fest und schlägt sein Schwert mit der Rechten flach auf den kahlgeschorenen Schädel. Langsam bewegen sie sich, wiegend, stöhnend, sich rhythmisch geißelnd. Das Blut läuft ihnen über Gesicht und Hals und gerinnt auf den weißen Gewändern zu Staubklumpen. Es riecht nach Blut und Schmerzensschweiß. Von überall her der erstickte Klageruf «Hossein, Hassan, Hassan, Hossein», unablässig, rauh. Die Sonne funkelt auf den Säbeln, auf den metallischen Standarten, gärt in dem schwärzlichen Blut. Hassan, Hossein. Wer um Hossein weint, wer für Hossein blutet, wer für Hossein stirbt ...

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