Frühlingsfieber

Die Zeitschrift Women’s Own bat mich überraschend um eine Erzählung. (Fünftausend Worte, bitte.)

Der Inhalt solle mir überlassen bleiben, hieß es, aber man ziehe doch eine Erzählung vor, die auf die Bedürfnisse der weiblichen Leserschaft zugeschnitten sei.

>Frühlingsfieber<, das ich sehr gern geschrieben habe, war das Ergebnis.

Rückblickend konnte Mrs. Angela Hart genau sagen, wann sie sich gegen alle Vernunft in ihren Jockey verliebt hatte.

Angela Hart, dicklich, mütterlich und zweiundfünfzig, sah zu, wie der Vierundzwanzigjährige zu den Rennen von Cheltenham in den Führring marschierte. Er trug ihre leuchtenden Farben, rosa und weiß, und sie dachte:»Wie jung er ist, wie fit, wie schlank… wie kühn!«

Er kam über den hellen Rasen auf das übliche, kurze Geplauder zu ihr herüber, bevor er ihr Pferd über die zwei Kilometer Hürden jagte. Während sie versonnen betrachtete, wie sich seine wettergegerbte Haut über die Wangenknochen spannte, pflichtete sie ihm automatisch bei, ja, die Frühlingssonne sei herrlich und ja, das trockene Geläuf würde ihrem Billyboy wohl besser gefallen als der Regen der vergangenen Wochen.

Es war ein Tag wie so viele andere. Zwei Rennpferde hatten in Angelas Herz befriedigenden Ersatz für den verstorbenen und moderat beweinten Edward Hart geschaffen. Sie verbrachte ihre Zeit damit, Hindernisrennen zu besuchen, um ihre Lieblinge laufen zu sehen, schnitt die Artikel aus den Rennseiten der Zeitungen aus, in denen sie erwähnt waren, und rief ihren Trainer, Clement Scott, regelmäßig an, um sich nach der Gesundheit ihrer Pferde zu erkundigen.

Sie war eine liebenswürdige und gutmütige Frau, hing aber dem gefährlichen Glauben an, daß alle anderen im Grunde ebenso wohlmeinend waren wie sie selbst. Wie ein Kind, das einen Tiger streichelte, erwartete sie ein dankbares Schnurren als Gegenleistung für ihre freundliche Geste. Der Gedanke, daß ihr statt dessen der Arm abgebissen werden könnte, kam ihr nicht.

Der Jockey, Derek Roberts, sah in Mrs. Angela Hart prosaisch die Frau mittleren Alters und Eigentümerin von Billyboy und Hamlet. Er begegnete ihr gewohnheitsmäßig mit einer Höflichkeit, die daher rührte, daß er auf die Reitgelder von ihr angewiesen war. Die Zufriedenstellung der Kundschaft vor und nach dem Rennen gehörte für ihn genauso zu seinem Job wie die Notwendigkeit, während des Rennens selbst sein Bestes zu geben. Und da er schon vor langen Jahren entdeckt hatte, daß die meisten Besitzer geradezu mitleiderregend beglückt waren, wenn ein Jockey ihre Pferde pries, hatte er beinahe ohne Zynismus die Gewohnheit kultiviert, Optimismus zu versprühen, auch wenn er nicht ein einziges Wort davon glaubte.

Als er in den Führring von Cheltenham marschierte und Mrs. Hart in ihrem grünen Tweedmantel und der braunen Fellmütze auf der anderen Seite des Rasens entdeckte, dachte er, da Billyboy in der heutigen Konkurrenz keine große Chance hatte, die alte Henne wohl besser auf die bevorstehende Enttäuschung vorzubereiten, um sich gleichzeitig dagegen abzusichern, daß man ihm die Schuld zuschob.

«Schöner Tag heute«, sagte er und schüttelte ihr die Hand.»Richtiges Frühlingswetter.«

«Wirklich schön. «Da sie nichts hinzufügte, versuchte er es nach einem kurzen Schweigen noch einmal.

«Viel besser für Billyboy, daß jetzt dieser Regen wegtrocknet.«

«Ja, da haben Sie bestimmt recht.«

Sie war nicht so redselig wie sonst, dachte er. Das gewohnte erregte Geplapper blieb heute aus. Er beobachtete Billyboy, der sich durch den Ring quälte, und sagte ermutigend:»Er müßte heute eigentlich gut laufen… Obwohl die Konkurrenz natürlich ziemlich heiß ist.«

Mrs. Hart, die ein wenig geistesabwesend wirkte, nickte lediglich. Derek Roberts tat die Sache mit einem inneren Achselzucken ab, schenkte ihr ein routiniertes, halbechtes Lächeln und rechnete sich (fälschlicherweise) aus, daß das, was sie möglicherweise beschäftigte und worüber sie nicht reden wollte, schon nichts mit ihm zu tun haben würde.

Einen Schritt von ihnen entfernt stand Billyboys Trainer, Clement Scott, der sich ebenfalls auf das Pferd konzentrierte. Er war kräftig, ging auf die Sechzig zu und hatte — ein Leben lang ein Charmeur — seinen Erfolg eher seiner Persönlichkeit zu verdanken als irgendwelchen besonderen Fähigkeiten im Umgang mit Pferden. Er kleidete sich gut. Und er konnte reden.

Unter seinem einnehmenden Äußeren verbarg sich eine Kälte, um die neben seiner zurückhaltenden Frau und seinen erwachsenen und verheirateten Kindern letzten Endes alle wußten, die ihn gut kannten. Er war eine angenehme Gesellschaft, aber es fehlte ihm an Mitgefühl. Die Gutmütigkeit war nur aufgesetzt: Darunter verbarg sich skrupellose Selbstsucht.

Clement Scott verstand sich auf Jockeys und Besitzer, und in beruflicher Hinsicht hielt er eine Menge von dem Paar, das da vor ihm stand: von Derek, weil er die Besitzer zufrieden machte und außerdem noch recht gut ritt, und von Angela, weil ihr Hauptinteresse den Pferden selbst galt und nicht den Preisgeldern.

Mütterliche Damen mit sentimentalen Neigungen waren seiner Meinung nach die unkritischsten und nachsichtigsten Besitzer, und er fand sich gerne mit ihren überschwenglichen Telefonanrufen ab, weil sie außerdem dazu neigten, seine Rechnungen prompt zu bezahlen. Angela gegenüber — einer wohlhabenden Dame mit einem Haus am Rand des Golfplatzes von Wentworth — gab er sich mit jener onkelhaften Schalkhaftigkeit, deretwegen so manche Witwe seinem Stall treu geblieben war, und das trotz der beharrlichen Gerüchte, daß er sie wahrscheinlich bei der erstbesten Gelegenheit übers Ohr hauen würde.

Angela war wie so manche andere Dame nicht geneigt, diesen Gerüchten Glauben zu schenken. Clement, der gute, schlimme Clement, unter dessen Obhut der Besitz eines Rennpferdes zu einer so rundum erfreulichen Sache wurde, würde sie auf keinen Fall betrügen.

Angela stand neben Clement auf der Tribüne, um das Rennen zu beobachten, und verspürte eine ganz neue Dimension der Sorge: Nicht nur um die unbeschadete Rückkehr ihres Lieblings Billyboy, sondern auch und ganz besonders um die des Mannes auf seinem Rücken. Was für Risiken er eingeht, dachte sie, während sie ihn durch das Fernglas beobachtete. Bis zu diesem Tag hatte sie nur darauf geachtet, ob er das Tempo richtig einschätzte, eine sich bietende Lücke nutzte oder ein entschlossenes Finish hinlegte. Bei diesem Rennen aber beurteilte sie ihn nicht mehr objektiv, sondern emotional — ein Wechsel, den sie selbst zu diesem Zeitpunkt nur vage wahrnahm.

Derek Roberts gönnte dem Pferd, obwohl es schon geschlagen war, keine Ruhe und zwang Billyboy auf diese Weise kurz vor dem Ziel auf die vierte Position, denn er wußte, daß Angela ein vierter Platz besser gefallen würde als ein fünfter oder sechster oder siebter. Clement Scott lächelte bei sich. Ob vierter oder siebter Platz, das Pferd hatte kein Preisgeld gewonnen; aber dieser gutaussehende, mit allen Wassern gewaschene Junge wußte jedenfalls, wie man sich die Besitzer warmhielt.

Ihr Fernglas fest auf die Brust gepreßt atmete Angela Hart nach dieser pulstreibenden Anspannung erleichtert auf. Dankbar überlegte sie, daß der vierte Platz angesichts der starken Konkurrenz gar nicht schlecht und es ein gutes Zeichen sei, daß Billyboy bis zum Ende durchgelaufen war… und Derek Roberts hatte das Rennen ohne Schaden überstanden.

Zusammen mit dem Trainer eilte sie dem von der Bahn kommenden Paar entgegen, sah, daß Billyboy wie gewöhnlich, wenn er nach einem Rennen verschwitzt war, durch die Nüstern ausatmete, und hörte Derek zu, der über die Schulter mit ihr sprach, während er die Schnallen am Sattel löste.

«… ist nicht ganz fehlerfrei aufgesprungen nach der drittletzten, aber das hat ihn nicht aufgehalten… Er sollte eigentlich recht bald mal ein Rennen gewinnen, würde ich sagen.«

Er lächelte sie auf seine spezielle Weise an, grüßte knapp und enteilte dann zum Zurückwiegen und Umziehen fürs nächste Rennen; unterwegs wickelte er die Gurte um den Sattel. Angela sah ihm nach, bis er verschwunden war, und fragte Clement, wann ihre Pferde die nächsten Rennen hatten.

«Hamlet hatte heute morgen eine leichte Entzündung in einem Bein«, sagte er,»und Billyboy braucht zwischen zwei Rennen mindestens zwei Wochen Pause. «Er blickte sie mit neckisch verdrehten Augen an.»Wenn Sie es bis dahin nicht ohne sie aushalten können, warum kommen Sie dann nicht einfach einmal morgens herüber und sehen sie sich beim Trainingsgalopp an?«

Der Gedanke gefiel ihr.»Reitet Derek den Galopp?«

«Manchmal«, erwiderte er.

Am folgenden Tag überlegte Angela, während sie verträumt durch ihr Haus streifte, ob sie nicht ein weiteres Pferd kaufen solle.

Sie suchte sich Derek Roberts’ Nummer heraus und rief ihn an.

«Noch ein Pferd für Sie finden?«fragte er.»Jaa… Klar… Ich finde, ein weiteres Pferd ist eine großartige Idee, aber Sie sollten Mr. Scott fragen…«

«Wenn Clement ein Pferd für mich findet«, sagte Angela,»würden Sie mich dann begleiten, wenn ich es mir ansehe? Ich würde wirklich gern Ihre Meinung hören, bevor ich es kaufe.«

«Tja…«Er zögerte, denn eine solche Nutzung seiner Freizeit erschien ihm wenig ersprießlich. Aber ihm war auch klar, daß ein weiteres Pferd für Angela mehr Reitgelder für ihn bedeutete.»Ja gut, ich komme natürlich mit, Mrs. Hart, wenn ich Ihnen behilflich sein kann.«

«Das ist nett«, sagte sie.»Ich werde gleich Clement anrufen.«

«Noch ein Pferd?«fragte Clement überrascht.»Ja, wenn Sie wollen, obwohl es ein bißchen spät in der Saison ist. Warum warten Sie nicht…?«:

«Nein«, fiel Angela ihm ins Wort,»lieber Clement, ich will es jetzt.«

Clement Scott hörte den drängenden Unterton in ihrer Stimme durchaus, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Vier Tage später jedoch, als sie kam, um ihre beiden Pferde bei der Arbeit zu sehen — nachdem sie sich vorweg versichert hatte, daß Derek sie reiten würde —, verstand er sofort.

Die matronenhafte, nicht mehr ganz taufrische Angela hatte nur noch Augen für Derek Roberts. Sie beobachtete ihn aufmerksam, wenn er kam und ging — ganz gleich, ob hoch zu Roß oder zu Fuß —, und erforschte, während er sprach, unablässig sein Gesicht. Sie stellte ihm Fragen, um ihn in ihrer Nähe zu halten; ihr Interesse erlahmte merklich, wenn er nach Hause ging.

Clement Scott, der dergleichen oft genug mit angesehen hatte, gab sich ihr gegenüber noch galanter und verkniff sich jedes spöttische Lächeln. Er habe erfreulicherweise von einem Pferd gehört, das für sie in Frage käme, sagte er, und werde sie mitnehmen, damit sie es sich ansehen könnte.

«Eigentlich«, wandte Angela vorsichtig ein,»habe ich bereits Derek gebeten, mich zu begleiten. und er hat zugesagt.«

An diesem Abend rief Clement Derek an.

«In mich vernarrt?«fragte Derek erstaunt.»Das ist absoluter Blödsinn. Ich reite jetzt schon mehr als ein Jahr für sie. Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, daß ich so etwas nicht gemerkt hätte.«

«Machen Sie doch mal die Augen auf, Junge«, sagte Clement.»Ich schätze, sie will dieses Pferd jetzt nur als Vorwand, um Sie öfter zu sehen; und deshalb, mein Junge, habe ich Ihnen einen kleinen Vorschlag zu machen.«

Er umriß den kleinen Vorschlag ziemlich ausführlich, und Derek mußte feststellen, daß dabei hinter der Aussicht auf einen schnellen, steuerfreien Profit Mrs. Harts Interessen weit abgeschlagen auf Platz zwei rangierten.

Einige Tage später fuhr er zu ihrem Haus in Wentworth; von dort aus ging es in ihrem Wagen, einem Rover, mit ihm am Steuer weiter. Das Pferd gehörte einem Mann in Yorkshire, so daß der Ausflug, wie Angela mit großer Zufriedenheit überlegte, den ganzen Tag dauern würde.

Sie hatte sich ihren Wunsch nach einem weiteren Pferd damit erklärt, daß ihr Interesse am Rennsport einfach zugenommen habe, und ihre Begeisterung für die Fahrt nach Yorkshire führte sie auf bloße Ungeduld zurück, sofort zu sehen, was Clement ihr als» tolle Gelegenheit für zwanzigtausend, genau das Richtige für Sie, meine liebe Angela «beschrieben hatte.

Sie konnte es sich gerade eben erlauben, dachte sie, wenn sie diesen Sommer nicht auf Kreuzfahrt ging und weniger Geld für Kleidung ausgab. Sie gestand sich aber keine Sekunde lang ein, daß es ein paar Stunden hier und da von Derek Roberts Leben waren, die sie sich für diesen Preis kaufte.

Ein Stück nördlich von Watford sagte Derek:»Mrs. Hart, hat Mr. Scott Ihnen schon viel von diesem Pferd erzählt?«

«Er sagte, Sie würden das übernehmen. Und nennen Sie mich doch Angela.«

«Ehm…«Er räusperte sich.»Angela…«Er sah sie an, wie sie da neben ihm saß, rundlich, entspannt und glücklich. Das konnte doch nicht wahr sein, dachte er. Leute wie Mrs. Hart unterlagen doch keinen Schwärmereien. Sie war viel zu alt: fünfzig… Ein unvorstellbares Alter für einen Vierundzwanzigjährigen. Er rutschte unbehaglich in seinem Sitz hin und her und empfand Scham (aber nur leichte) für das, was er im Begriff stand zu tun.

«Mr. Scott meint, das Pferd hätte ein unglaubliches Potential. Erst sechs Jahre alt. Hat letztes Jahr ein Hürdenrennen gewonnen…«Er redete weiter wie ein Verkäufer, flocht geschickt die wenigen Tatsachen ein, die sie anhand der Rennberichte überprüfen konnte, falls sie das wollte, und überzog alles andere mit einem zartrosa Hauch.»Im Winter ist er natürlich keine Rennen gelaufen, aber ganz unter uns gesagt… äh, Angela… Mr. Scott glaubt, er könne den Hengst sogar für das Whitbread melden. Und möglicherweise ist das genau seine Liga.«

Angela lauschte verzückt. Der Whitbread Gold Cup in sechs Wochen war das letzte große Rennen der Saison. Ein Pferd zu besitzen, das sie in dieses Rennen schicken konnte, noch dazu mit Derek Roberts als Jockey, das erschien ihr als ein solcher Gipfelpunkt in ihrem Rennleben, wie er bisher unvorstellbar gewesen war.

«Nein, wie wunderbar«, sagte sie begeistert. Derek Roberts wäre beinahe zusammengezuckt.

«Mr. Scott meinte, es wäre Ihnen vielleicht recht, wenn ich ein wenig für Sie feilsche«, sagte er.»Um den Preis etwas zu drücken.«

«Der liebe Clement denkt auch an alles. «Sie warf Derek ein leicht ängstliches Lächeln zu.»Aber feilschen Sie nicht so gründlich, daß ich das Pferd verliere, ja?«

Er versprach es ihr.

«Wie heißt es denn?«fragte sie, und er sagte es ihr:

«Magic.«

Magic stand in einem Hof, der Angela eigentlich hätte argwöhnisch machen müssen, aber sie hatte oft genug gehört, daß in Irland schon Meisterpferde in Schweineställen entdeckt worden waren, und den letzten Funken Vorsicht hatte sie bereits fallenlassen. Der gute Clement würde niemals ein schlechtes Pferd für sie kaufen, und mit Derek persönlich als ihrem Berater… Sie betrachtete den nichtssagenden braunen Wallach, den man ihr vorführte, voller Vertrauen und sah nur ihre Träume — nicht den schlammigen Boden, nicht das verrottete Holz an den Stalltüren, nicht das brüchige Leder des Sattelzeugs.

Sie sah, wie Magic in dem unkrautüberwucherten Hof hin- und hergeführt wurde, und sie sah, wie man ihn in einem kleinen, ampferüberwachsenen Gehege am Führzügel etwas traben ließ; sie sah aber nicht den Ausdruck von Bestürzung auf Dereks Zügen, den er nicht hatte unterdrük-ken können.

«Was meinen Sie?«fragte sie Derek. Ihre Augen strahlten — ungeachtet all dessen, was sie sahen.

«Gute, starke Schulter«, sagte er abwägend.»Muß vielleicht ein bißchen aufgepäppelt werden, damit er mehr Kondition kriegt.«

«Aber er gefällt Ihnen?«

Derek nickte entschieden.»Genau das Richtige.«

«Dann nehme ich ihn. «Das sagte sie ohne jedes Zögern, und er unterdrückte die Übelkeit, die sich wie mit Zähnen in sein Inneres bohrte.

Während Derek mit Magics Besitzer feilschte, saß sie im Wagen und beobachtete die beiden Männer, die zusammen auf dem Stallhof standen, die Köpfe schüttelten, die Arme ausbreiteten, die Achseln zuckten und das Ganze wieder von vorn begannen. Endlich schüttelten sie sich zu Angelas Erleichterung die Hände, und Derek kam zu ihr rüber, um ihr zu sagen, daß sie das Pferd für neunzehntausend haben konnte, wenn sie wollte.

«Überlegen Sie es sich noch einmal«, sagte er in einem Tonfall, als sei dies dringend geboten.

Sie schüttelte den Kopf.»Ich habe mich entschieden. Wirklich. Soll ich dem Mann einen Scheck geben?«

«Nein«, sagte er.»Mr. Scott wird noch eine tierärztliche Untersuchung veranlassen und sich dann um Transport, Versicherung und so weiter kümmern. Er wird den ganzen Papierkram erledigen und die Rechnung für das Pferd begleichen; Sie können ihm dann alles zusammen bezahlen. Das ist einfacher.«

«Der liebe gute Clement«, sagte sie herzlich.»Immer so nett und aufmerksam.«

Der liebe gute Clement meldete Magic für den Whitbread Gold Cup in Sandown Park und außerdem für ein» Aufwärm«:-Rennen, wie er es ausdrückte, drei Wochen vor dem großen Ereignis.

«Und zwar in Stratford-upon-Avon«, sagte er zu Angela.

«Im Pragnell Cup, erste Aprilwoche.«

«Ach, wie wunderbar«, sagte Angela enthusiastisch.

Sie telefonierte mehrmals mit Derek — es waren lange, vertrauliche Unterredungen über Magics Aussichten — und sog seinen unbefangenen Optimismus auf wie das Wort Gottes. Derek erfüllte ihre Gedanken von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang: der liebe Derek, der so kräftig und charmant und freundlich war.

Clement und Derek nahmen Magic zu Hause mit zum Trainingsgalopp und stellten fest, daß die» tolle Gelegenheit «nicht bereit war, mit irgendeinem anderen Pferd des Stalls Schritt zu halten. Magic schlug mit dem Schweif, trat mit den Hinterbeinen aus und stellte alle Anzeichen von Bösartigkeit zur Schau. Sowohl Clement als auch Derek berichteten der hocherfreuten Angela jedoch, daß Magic ein vollendeter Gentleman sei und gut lief.

Als Angela eines Morgens — angemeldet — gegen zehn herauskam, um Magic bei der Arbeit zuzusehen, war er versehentlich mit dem ersten Lot schon um sieben Uhr draußen gewesen und ruhte sich infolgedessen gerade aus. Ihre Enttäuschung hielt sich dennoch in Grenzen, da Derek zur Stelle war, nicht hoch zu Roß, sondern als ihr Begleiter zu Fuß, stets lächelnd, fröhlich und freundschaftlich. Sie genoß es. Sie vertraute ihm völlig und zeigte das auch.

«Gut gemacht, Junge«, sagte Clement dankbar, als sie später davonfuhr.»Wenn Sie dabei sind, würde unsere Angela nicht einmal ein Erdbeben bemerken.«

Derek sah ihr mit Gewissensbissen und Bedauern nach. Es war wirklich nicht fair, dachte er. Sie war wirklich eine nette alte Henne. Sie hatte niemandem etwas zuleide getan. Mit einiger Verspätung begann er, sich selbst nicht mehr leiden zu mögen.

Sie fuhren mit den unterschiedlichsten Hoffnungen nach Stratford: Derek hoffte, daß Magic zumindest über die Runden kam, Angela, daß ihr Pferd gewann, und Clement, daß es nicht auf den ersten zweihundert Metern einfach stehenblieb.

Drei Kilometer. Schnelle Bahn. Fester Boden. Achtzehn Hindernisse.

Angela schlug das Herz bis zum Hals, als Magic sich zur Erleichterung beider Männer dazu herabließ, in normaler Manier vom Start zu gehen, und sich dann sogar bereitfand, im hinteren Teil des Feldes zügig mitzugaloppieren.

Nach fast zwei Kilometern dieser mittelmäßigen Vorführung entspannten sich beide Männer; sie wußten, daß sie Angela, wenn Magic die Puste ausgehen und er stehenbleiben würde — was bald der Fall sein mußte —, glaubhaft erklären konnten, er habe» das Rennen benötigt «und werde» für das Whitbread fit sein«.

Einen Kilometer vor dem Ziel gab Derek, einer unbewußten Gewohnheit folgend, Magic das Zeichen, Tempo zuzulegen, indem er die Beine in seine Flanken drückte, mit der Zunge schnalzte und die Zügel knallen ließ. Unerwarteterweise stürmte Magic auf das nächste Hindernis zu, schätzte die Entfernung falsch ein, sprang zu früh ab, schlug gegen die Birkenholzstange und ging zu Boden.

Das Pferd rappelte sich auf und galoppierte unbekümmert davon. Der Jockey lag bewegungslos am Boden.

«Derek«, rief Angela entsetzt.

«Verdammter Narr«, sagte Clement zornig und eilte von der Tribüne.»Hat ihn aus dem Gleichgewicht gebracht.«

Von schlimmsten Befürchtungen gequält beobachtete Angela durch ihr Fernglas, wie der reglose Derek langsam auf eine Bahre gehoben und zu einem Krankenwagen getragen wurde; dann ging sie unter Krämpfen zum ErsteHilfe-Raum, um auf ihn zu warten.

Ich hätte das Pferd niemals kaufen sollen, dachte sie in ihrer Angst. Wenn ich das Pferd nicht gekauft hätte, würde Derek nicht… könnte Derek jetzt nicht…

Er lebte. Sie sah, daß seine Hände sich bewegten, sobald die blau uniformierten Männer die Krankenwagentüren öffneten. Ihre Erleichterung war beinahe ebenso gewaltig wie ihre Angst. Sie war einer Ohnmacht nahe.

Derek Roberts hatte sich das Bein gebrochen und war nicht in Stimmung, sich über Angelas Gefühle Gedanken zu machen. Er wußte, daß sie da war, weil sie in ihrer Aufregung ständig irgendwie versuchte, an seine Seite zu gelangen — vergebens, da die Sanitäter, die ihn auf der Bahre hinausbrachten, sie immer wieder daran hinderten —, und ihm immer wieder sagte:»Derek, oh, Derek, ist mit Ihnen alles in Ordnung?«

Derek antwortete ihr nicht. Seine Aufmerksamkeit galt seinem Bein, das schmerzte, und dem Problem, in den Sanitätsraum zu kommen, ohne dabei gegen irgendeine Tür oder Wand gestoßen zu werden. Am Eingang drängte sich immer eine teuflisch neugierige Menge. Er starrte in die ihm zugewandten Gesichter hinauf und haßte deren bohrendes Interesse an seinem Unglück. Es war für ihn — wie immer in solchen Fällen — eine Erleichterung, als er endlich durch die Tür getragen und diese vor den glotzenden Blicken geschlossen wurde. Während er auf den Arzt wartete und reglos auf der Bahre lag, überlegte er düster, daß er seine gegenwärtige mißliche Lage wahrlich verdient hatte.

Draußen lief Angela ziellos umher. Sie wußte, daß sie sich eigentlich um ihr Pferd sorgen sollte, brachte es aber nicht fertig; in ihren Gedanken war nur Platz für Derek.

«Keine Bange«, sagte eine aufmunternde Stimme.»Ihrem Magic geht’s gut. Galoppiert da durch die Mitte und bringt alle, die ihn einfangen sollen, so richtig schön auf Trab. Machen Sie sich keine Sorgen.«

Erschrocken sah sie zu dem stämmigen Mann mit dem breiten Yorkshire-Akzent auf, der ihr selbstsicher im Weg stand.

«Gehörte nämlich meinem Bruder, dieses Pferd da«, sagte er.»Ich bin extra hergekommen, um ihn laufen zu sehen.«

«Oh«, sagte Angela vage.

«Ist mit dem Jungen alles in Ordnung? Ich meine den, der ihn geritten hat?«

«Ich glaube, er hat sich das Bein gebrochen.«

«O Jammer. Na, das ist wirklich Pech. Hat ganz schön mit meinem Bruder gefeilscht, dieser Junge.«

«Ach ja?«

«Und ob. Mein Bruder meinte, Magic sei ein Flieger, aber Ihr Junge da wollte ihn gar nicht haben, sagte, das Pferd tauge seiner Meinung nach für so ziemlich gar nichts. Mein Bruder wollte siebentausend, aber Ihr Junge hat ihn auf fünf runtergehandelt. Verstehen Sie, ich bin hergekommen, um rauszufinden, wer recht hatte. «Er strahlte förmlich vor Wohlwollen.»Ich sag Ihnen die Wahrheit, das Pferd hat nicht viel gebracht, wie? Schätze, Ihr Junge da hatte recht. Aber ärgern Sie sich nicht, noch ist nicht aller Tage Abend.«

Er nickte ihr zu, schenkte ihr ein letztes Strahlen und ging seines Weges. Angela rang um Luft, als habe er ihr einen Boxhieb versetzt.

Angela ging blindlings durch den Ausgang. Ihre Beine trugen sie automatisch zu ihrem Wagen. Zitternd setzte sie sich auf den Fahrersitz und fuhr mit einem Gefühl der Unwirklichkeit die ganzen hundertfünfzig Kilometer nach Hause.

«Der Mann muß da was falsch verstanden haben«, dachte sie.»Nicht sieben- und fünftausend, sondern siebzehn-und fünfzehntausend. «Als sie zu Hause ankam, schlug sie die Adresse von Magics früherem Besitzer nach und rief ihn an.

«So ist es«, sagte er.»Fünftausend, genau. «Die breite Yorkshire-Stimme schwappte fröhlich über viele Grafschaften hinweg zu ihr herüber.»Haben Ihnen wohl ein bißchen mehr in Rechnung gestellt, wie?«Er kicherte.»Ein paar Hundert vielleicht? Das können Sie ihnen nicht verübeln. Die müssen ja auch ihre Provision haben, sozusagen. So läuft das eben.«

Sie legte auf, setzte sich auf ihr einsames Sofa und starrte ins Leere. Zum erstenmal begriff sie, daß das, was sie für Derek empfunden hatte, Liebe war. Sie begriff auch, daß Clement und Derek das schon vor Wochen bemerkt haben mußten und daß sie sie deswegen auf eine Art und Weise ausgebeutet und manipuliert hatten, die fast genauso roh war wie eine Vergewaltigung.

All die Zuneigung, mit der sie sie überschüttet hatte, all die Freude und die liebevollen Gedanken und das Glück… die beiden hatten all das gesehen und es ausgenutzt und sich keinen Deut um sie geschert.»Sie mögen mich nicht einmal«, dachte sie.»Derek mag mich nicht einmal.«

Der Schmerz dieser Zurückweisung erfüllte sie mit Elend von einer Tiefe, wie sie es nie zuvor kennengelernt hatte. Wie konnte sie nur, dachte sie in ihrem Unglück, so dumm, so blind, so armselig unreif gewesen sein!

Für eine Weile streifte sie durch das große Haus. Seit Edward nicht mehr für Unruhe sorgen konnte, war es still geworden. Schließlich ging sie in die Küche. Sie machte sich eine Tasse Tee und weinte.

Nach einigen Tagen besuchte sie Derek im Krankenhaus. Er lag in der Mitte einer langen Reihe von Betten und hatte das Bein in einem Streckverband. Für einen Augenblick wirkte er wie ein Fremder: ein dünner junger Mann, den Kopf aufs Kissen gebettet, die Augen geschlossen. Nicht mehr wie ein starker junger Mann, dachte sie. Eher schon wie ein krankes Kind.

Aber auch das war eine Illusion.

Er hörte sie an sein Bett treten und öffnete die Augen, und da er ganz und gar nicht auf ihre Anwesenheit vorbereitet war, sah sie ganz deutlich die Verlegenheit, die ihn überfiel. Er schluckte und biß sich auf die Lippen; und dann lächelte er. Es war dasselbe Lächeln wie zuvor, das vordergründige Gesicht des Verrats. Angela verspürte leichte Übelkeit.

Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich an sein Bett.»Derek«, sagte sie,»ich bin hier, um Ihnen zu gratulieren.«

Er war verwirrt.»Wozu?«

«Zu Ihrem großen Gewinn: der Differenz zwischen fünftausend Pfund und fünfzehntausend.«

Sein Lächeln verschwand, und er wandte den Blick ab. Er war also ertappt. Ärger und Scham überkamen ihn, und vor allem wünschte er sich, daß sie fortginge.

«Wieviel davon«, fragte Angela langsam,»haben Sie bekommen und wieviel Clement?«

Nach einem zähen Schweigen von mehr als einer Minute sagte er:»Halbe-halbe.«

«Vielen Dank«, sagte Angela. Sie erhob sich und schob den Stuhl zurück.»Das war dann alles. Ich wollte nur hören, wie Sie es zugeben. «Und um ganz sicherzugehen, dachte sie, daß sie geheilt war, daß ihr das Fieber nicht länger im Blut lag, daß sie ihn ansehen konnte, ohne etwas zu empfinden — und sie konnte es.

«War das alles?«fragte er.

Sie nickte.»Was Sie getan haben, war nicht illegal, nur… ekelhaft. Ich hätte geschäftsmäßiger sein müssen. «Sie entfernte sich einen Schritt.»Leben Sie wohl, Derek.«

Sie war noch ein paar Schritte weitergekommen, bevor er plötzlich hinter ihr her rief:»Angela… Mrs. Hart.«

Sie blieb stehen und kam ein Stück zurück.

«Bitte«, sagte er,»bitte hören Sie mich an. Nur einen Augenblick.«

Angela kehrte langsam zu seinem Bett zurück.

«Ich nehme nicht an, daß Sie mir glauben werden«, sagte er,»aber ich habe über dieses Rennen in Stratford nachgedacht… und ich habe so das Gefühl, daß Magic vielleicht doch noch zu etwas taugen könnte.«

«Nein«, sagte Angela.»Keine Lügen mehr.«

«Ich… Das ist keine Lüge. Das nicht.«

Sie schüttelte den Kopf.

«Hören Sie«, sagte er.»Magic hat in Stratford keine Show abgezogen, weil ihn niemand gefordert hat — außer ganz zum Schluß, als ich ihn wachgerüttelt habe. Und dann ist er gestürzt, weil ich es so dicht vor dem Hindernis getan habe… und weil er, als ich ihm das Signal gab, einfach wie elektrisiert losgeprescht ist.«

Angela hörte ungläubig zu.

«Einige Pferde«, sagte er,»wollen zu Hause einfach nicht galoppieren. Magic zum Beispiel. Also dachten wir, er könne auch nicht rennen. Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.«

Angela zuckte die Achseln.»Das ändert gar nichts. Aber wie dem auch sei, ich werde es rausfmden, wenn er im Whitbread läuft.«

«Nein. «Er wand sich unbehaglich.»Wir wollten ihn nie das Whitbread laufen lassen.«

«Aber er ist gemeldet«, sagte sie.

«Ja, aber… also, Mr. Scott wird Ihnen ein oder zwei Tage vor dem Rennen sagen, daß Magic Temperatur hat oder daß er sich den Fuß verstaucht hat oder sonst etwas in der Art und daß er nicht laufen kann. Er… wir… haben es so geplant. Wir dachten, Sie würden keine Schwierigkeiten wegen des Preises machen, wenn Sie glaubten, Magic sei Whitbread-Klasse… das ist alles.«

Angela stieß ein» Oh «aus wie einen tiefen Seufzer. Sie blickte auf den jungen Mann hinunter, der seine Decke ziellos mit den Fingern glattstrich und ihrem Blick auswich. Sie sah die Scham und die Müdigkeit und den Widerhall des Schmerzes in seinem Bein, und sie dachte, daß das, was sie für ihn empfunden hatte, für ihn genauso zerstörerisch gewesen war wie für sie selbst.

Zu Hause rief Angela Clement an.»Lieber Clement, wie geht es Magic?«

«Unverändert, Angela, wie ich zu meiner Freude sagen kann.«

«Das ist ja prachtvoll«, sagte sie herzlich.»Und jetzt können wir uns auf Whitbread freuen, nicht wahr?«

«Ja, tatsächlich. «Er kicherte.»Besser, Sie kaufen sich einen neuen Hut, meine Liebe.«

«Clement«, sagte Angela zuckersüß,»ich verlasse mich darauf, daß Sie Magic in jeder Hinsicht fit und wohlgenährt und unverletzt halten. Ich verlasse mich darauf, daß er in Whitbread an den Start geht und uns zeigt, wie schlecht er ist.«

«Was?«

«Denn wenn er nicht startet, lieber Clement, könnte es sein, daß ich mit ein oder zwei Leuten plaudere. Sie wissen schon, mit jemandem von der Presse oder sogar einem von der Steuer… darüber, wie Sie Magic an einem Tag für fünftausend gekauft und ihn mir am nächsten für neunzehntausend verkauft haben.«

Angela horchte auf das Schweigen, das aus dem Hörer dröhnte, und lächelte voll gesunder Schadenfreude.»Und, lieber Clement, wir beide werden den neuen Jockey instruieren zu gewinnen, wenn er kann, nicht wahr? Denn es muß ein fairer Test werden, meinen Sie nicht auch? Und nur um Sie zu ermutigen, verspreche ich Ihnen, daß ich niemandem gegenüber werde verlauten lassen, was ich für Magic bezahlt habe, wenn ich zufrieden bin und er sein Bestes gegeben hat, ganz gleich, ob er gewinnt oder nicht. Und das ist ein Handel, lieber Clement, auf den Sie sich verlassen können.«

Clement warf den Hörer krachend auf die Gabel und fluchte laut.»Verdammte alte Hexe. Sie muß es überprüft haben. «Er rief in Yorkshire an und bekam bestätigt, daß sie genau das getan hatte. Zur Hölle mit ihr, dachte er. Er würde sich in den Augen der ganzen Rennwelt zum Narren machen, wenn er Ausschuß wie Magic in einem der wichtigsten Rennen starten ließ. Das würde seinem Ruf weiß Gott nicht guttun.

Clement Scott verspürte nicht den geringsten Stich der Reue. Er hatte schließlich eine ganze Reihe dummer Ladys auf gleiche Weise betrogen. Aber wenn Angela redete

— und wenn es ihr gefiel, konnte sie stundenlang reden —, würde er bald erleben, daß die naiven verwitweten Schätzchen plötzlich alle argwöhnisch wurden und ihre Pferde von jemandem anderen kauften. Magic würde, wie er voller Zorn begriff, so gründlich wie nur möglich trainiert werden müssen, und er mußte den besten Jockey für das Pferd bekommen, der zu haben war.

Im Führring vor dem Whitbread war Angela dann wieder ganz die alte: vor Freundlichkeit überströmend und strahlend.

Sie sprach mit ihrem neuen Jockey, der sich angenehm von Derek Roberts unterschied.»Ich nehme an, Sie haben die Sache mit dem lieben Clement besprochen«, sagte sie fröhlich.»Wie auch immer, ich finde, es wäre das beste, nicht wahr, wenn Sie Magic nachher für den größten Teil der Strecke im Feld etwas zurückhalten würden und ihm dann, ungefähr einen Kilometer vor dem Ziel, sagen, es wäre an der Zeit zu gewinnen, wenn Sie verstehen, was ich meine? Und von da an liegt es natürlich an Ihnen beiden, alles zu geben. Ich habe mein Geld auf Sie gesetzt, wissen Sie.«

Der Jockey blickte verunsichert in das steinerne Gesicht von Clement Scott.

«Tun Sie, was die Dame wünscht«, sagte Clement.

Der Jockey, der sich auf sein Geschäft verstand, führte die Anweisungen buchstabengetreu aus. Einen Kilometer vor dem Ziel grub er Magic seine Fersen scharf in die Rippen und staunte über die Reaktion. Magic — jung und nur mit Mindestgewicht belastet — schnellte an mehreren älteren, müderen Mitstreitern vorbei und lag am letzten Hindernis an fünfter Stelle.

Clement traute seinen Augen kaum. Angela bekam kaum noch Luft. Magic flog über das letzte Hindernis, stürmte die Gerade entlang und ging als dritter ins Ziel.

«Na also«, sagte sie,»ist das nicht wundervoll?«

Da so gut wie niemand auf ihr Pferd gesetzt hatte, konnte Angela sich am Toto ein Vermögen an Platzgeld abholen; und ein paar Tage später verkaufte sie Magic genau zu dem Preis, den sie bezahlt hatte, an einen Schrotthändler aus Kent.

Angela schickte Derek eine Postkarte mit den besten Wünschen für eine baldige Genesung. Eine Woche später sandte sie ihm eine Kiste Champagner und die schlichte Botschaft:»Danke.«

«Ich habe eine Menge gelernt«, dachte sie,»und das habe ich ihm zu verdanken. Eine Menge über Gier und Leichtgläubigkeit, über Fassaden und Konsequenzen und

die Vergänglichkeit der Liebe. Und über den Rennsport. zu viel.«

Sie verkaufte Billyboy und Hamlet und lernte töpfern.

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