Eine Möhre für den Fuchs

1970 bat mich die angesehene amerikanische Zeitschrift Sports Illustrated völlig unerwartet um eine Kurzgeschichte — Länge und Thema waren mir freigestellt. Ich hatte bis dahin noch nie versucht, eine Kurzgeschichte zu schreiben, aber >Eine Möhre für den Fuchs< muß den Herausgebern wohl gefallen haben, denn sie luden mich nach Lexington ein, wo das gesamte Team von Sports Illustrated versammelt war, um über das Kentucky Derby von 1972 zu berichten.

Ich wurde beauftragt, für die Ausgabe der Sports Illustrated zum Kentucky Derby des nächsten Jahres eine Derby-Story zu schreiben.

Chick stand mit der Möhre in der Hand da und schwitzte. Sein Kopf war schwummrig, seine Füße auf dem Boden konnte er nicht spüren, und in seinen Ohren hämmerte der Puls. Ein klebrig-grüner Schmerz zitterte in seinem Gedärm.

Diese Geschichte machte ihn krank.

Die Uhrzeit: fünfzig Minuten vor Sonnenaufgang. Die Temperatur: kalt. Der rauhe, wirbelnde Wind räusperte sich gerade, um dann um so grimmiger zu blasen, und eine schwere Decke von Nimbostratus-Wolken machte der ersten Andeutung von Licht jeden Zoll des Himmels streitig. In den sauberen Boxen um den Stallhof herum trat eines der dösenden Pferde gelegentlich mit einem Huf gegen eine Holzwand, klirrte an einer Kette, nieste aus einer feuchten schwarzen Nüster den Heustaub.

Chick war spät dran. Zwei Stunden zu spät. Man hatte ihm aufgetragen, dem schlaksigen Fuchs seine Möhre um vier Uhr morgens zu geben, aber um vier Uhr morgens hatte es draußen nur so geschüttet — ein harter, schräg fallender Regen, der einen binnen einer Minute bis auf die Haut durchnäßte, und Chick war der Meinung, es würde zu schwierig werden zu erklären, warum man um vier Uhr morgens patschnaß war. Chick war der Meinung gewesen, besser abzuwarten, bis der Regen aufhörte, es würde ja doch keine Rolle spielen. Vier Uhr, sechs Uhr, war doch egal, Chick wußte es immer besser als alle anderen.

Er war ein dünner, mürrischer Neunzehnjähriger, der immer das Gefühl hatte, die Welt schulde ihm mehr, als er bekam. Er war ein übellauniges, streitsüchtiges Kind gewesen und ein aggressiv-rebellischer Jugendlicher. Die verstockte Geisteshaltung, die daraus resultierte, war genau das, was ihm nun, wo er erwachsen war, jede Aussicht auf Erfolg nahm. Nicht daß Chick dem zugestimmt hätte, natürlich. Chick stimmte niemals etwas zu, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Immer wußte er alles besser, der Chick.

Auf die Schärfe der körperlichen Symptome der Angst war er nicht gefaßt gewesen. Seine übliche Einstellung gegenüber jeder Form von Autorität war Verachtung (und die Autorität war ihm bisher noch kein einziges Mal über sein verdrossenes Maul gefahren). Pferde hatten ihm nie angst gemacht, weil er quasi im Sattel geboren war und in jungen Jahren gelernt hatte, mit herablassender Leichtigkeit alles auf vier Beinen zu beherrschen. Im Herzen glaubte er, daß eigentlich niemand besser ritt als er. Er irrte sich.

Er blickte sich ängstlich über die Schulter, und der wühlende Schmerz in seinem Bauch verschlimmerte sich jäh. Er verspürte den heftigen Drang, sich in die Hose zu ma-chen. So etwas darf einfach nicht passieren, dachte er verzweifelt. Er hatte davon gehört, daß Angst bei manchen Leuten auf den Darm drückte. Er hatte es nicht geglaubt. So etwas konnte einfach nicht passieren. Aber jetzt fürchtete er ganz plötzlich, daß es doch passieren konnte. Er spannte verzweifelt all seine Muskeln an, und der Krampf ging langsam vorüber. Als es vorbei war, war er von Kopf bis Fuß in Schweiß gebadet, und er hatte keinen Tropfen Speichel mehr im Mund.

Das Haus war dunkel. Oben hinter dem schwarzen, geöffneten Fenster, wo der helle Vorhang im Luftzug wehte, schlief Arthur Morrison, der Trainer der dreiundvierzig Rennpferde des Stalls. Morrison hatte einen notorisch leichten Schlaf. Seine Ohren waren hellhöriger als die eines halben Dutzends Wachhunde, sagten seine Stallburschen.

Chick zwang sich, in den von diesem Fenster aus einsehbaren Bereich vorzutreten, um die zehn ungeschützten Schritte zu dem Stall des Fuchses zu machen.

Wenn der Chef aufwachte und ihn sah… o Gott, dachte er wütend, so hatte er sich die Sache nicht vorgestellt. Bloß ein lausiger Gang den Hof runter, um dem schlaksigen Fuchs eine Möhre zu geben. Schuldgefühle und Angst und Verrat. Sie schlichen sich an seinem höhnischen Geist vorbei und brachen sich durch seine Nerven Bahn.

Er konnte nichts Ungewöhnliches an der Möhre entdek-ken. Sie war nicht in zwei Hälften geschnitten und auch nicht ausgehöhlt worden, um sie mit Drogen vollzupacken und wieder zusammenzubinden. Er hatte versucht, das dicke Ende wie einen Stöpsel rauszuziehen, und auch das hatte nicht funktioniert. Die Möhre sah aus wie jede andere blöde Möhre auch, wie die Möhren, die unter dem Küchenmesser seiner Mutter zu Eintopf verarbeitet wurden. Eine blöde Möhre, die man jedem blöden Pferd geben konnte. Keine sehr frische, saftige Möhre und auch keine besonders alte Möhre, die schon knotig und holzig war. Bloß irgendeine blöde, ganz normale Möhre.

Aber Fremde schlugen einem für gewöhnlich nicht vor, einem ganz bestimmten Pferd mitten in der Nacht irgendeine blöde Möhre zu geben. Sie gaben einem nicht mehr Geld, als man in einem halben Jahr verdiente, wenn man sagte, man würde es machen. Nicht jede blöde Möhre kam sorgfältig in Zellophan verpackt in einem leeren Käsecrackerpaket daher, das einem ein Fremder auf einem Parkplatz nach Einbruch der Dunkelheit in einer Stadt zehn Kilometer von den Ställen entfernt in die Hand drückte. Man gab nicht mitten in der Nacht einem Fuchs, der elf Stunden später in einem hochklassigen Jagdrennen als Favorit an den Start gehen sollte, irgendeine blöde Möhre.

Chick war schwindlig, weil er zu lange den Atem angehalten hatte, als er endlich die zehn auf Zehenspitzen zurückgelegten Schritte zum Stall des Fuchses hinter sich hatte. Er versuchte, nicht zu husten, nicht zu stöhnen und der würgenden Anspannung auch nicht mit einem Schluchzen Luft zu machen, schloß seine verschwitzten Finger um den Riegel und begann, diesen vorsichtig und ängstlich Zentimeter um Zentimeter zurückzuschieben.

Tagsüber warf er die Bolzen mit einem gekonnten, smarten Klacken auf und zu. Sein Körper zitterte in der Dunkelheit, solche Anstrengung kostete es ihn, denselben Bolzen nun millimeterweise zu bewegen.

Mit einem kaum wahrnehmbaren Knirschen löste sich der Riegel, und die obere Hälfte der geteilten Tür schwang langsam nach außen. Kein Quietschen von den Angeln, nur das Wispern von Metall auf Metall. Chick holte tief Luft — eher ein qualvolles, in der Kehle kitzelndes, unterdrücktes Ächzen —, bevor er zwischen zusammengebissenen Zähnen ausatmete. Sein Magen begann abermals bedrohlich zu schlingern. Angewidert versuchte er abermals hastig, sich unter Kontrolle zu bringen, und stieß in Panik einen Arm durch den dunklen, offenen Raum.

Der Fuchs in der Box döste im Stehen. Der veränderte Luftzug, der durch die geöffnete Tür kam, bewegte die empfindsamen Härchen um sein Maul herum, und sein Geisteszustand wechselte von Halbbewußtsein zur Neugier. Er konnte die Möhre riechen. Er konnte auch den Mann riechen, konnte die Furcht im Schweiß des Mannes riechen.

«Na, komm schon«, flüsterte Chick verzweifelt.»Komm endlich, mein Junge.«

Das Pferd bewegte erst seine Nase auf die Möhre zu, dann endlich und widerstrebend auch seine Füße. Gleichgültig nahm es die Möhre aus der zitternden Hand des Mannes, saugte sie mit seinen schwarzen beweglichen Lippen ein und zerbiß sie mit einem lustlosen Schmatzen und ausholenden Kieferbewegungen. Als es alle zermalmten Stücke der Möhre hinuntergeschluckt hatte, streckte es auf der Suche nach mehr den Kopf vor. Aber es gab nicht mehr, nur das hellere Quadrat des Himmels, das sich wieder verdunkelte, als die Tür zuschwang, nur die leisen Geräusche des Riegels, der wieder vorgelegt wurde, nur den dahinschwindenden Geruch des Mannes und den sich verflüchtigenden Geschmack der Möhre. Das Pferd vergaß die Sache sofort und drehte sich langsam um, so daß es mit der Hinterhand zur Tür stand, weil das seine gewohnte Position war, und nach ein oder zwei Minuten blinzelte es langsam, entlastete das rechte Hinterbein und verfiel wieder in seinen vorherigen Dämmerzustand.

Unten in seinem Magen sickerte das flüssige Betäubungsmittel, das man bis zum Sättigungspunkt in die Möhre injiziert hatte, aus den verdauten Möhrenzellen heraus und wurde von seinem Blut absorbiert. Der Prozeß ging langsam und stetig vor sich. Und man hatte ihn zwei Stunden zu spät in Gang gesetzt.

Arthur Morrison stand in seinem Stallhof und sah zu, wie seine Männer den Fuchs in den Pferdetransporter luden, der ihn zum Rennen bringen sollte. Er verfolgte die Vorgänge mit gewohnheitsmäßig kritischer Miene, die in keinem Verhältnis zu seiner inneren Befriedigung stand. Der Fuchs war das beste Pferd in seinem Stall: ein regelmäßiger Gewinner, beliebt beim Publikum, eine Quelle des Ansehens wie der Einkünfte. Das große Jagdrennen in Cheltenham war ihm wie auf den Leib geschnitten, und Morrison war ein Meister seines Fachs, wenn es darum ging, ein Pferd für ein ganz bestimmtes Rennen in Hochform zu bringen. Niemand zog es ernsthaft in Betracht, daß der Fuchs geschlagen werden könnte. Alle Zeitungen hatten ihn durch die Bank zum Favoriten gekürt, und die Buchmacher boten zaghaft eine Quote von sechs zu vier. Morrison gestattete sich einen warmen Schimmer in den Augen und den Hauch eines Lächelns auf den Lippen, als die Männer die schweren Türen des Pferdewagens zuwarfen und ihn aus dem Hof steuerten.

Diese Geste war ungewöhnlich. Normalerweise zeigte seine Miene eine Mischung aus Konzentration und Mißbilligung zu etwa gleichen Teilen. Beide Eigenschaften trugen beträchtlich zu seinem Erfolg als Rennpferdtrainer sowie zu seiner Unbeliebtheit als Mensch bei, eine Tatsache, der sich Morrison durchaus bewußt war. Es scherte ihn nicht im mindesten, daß ihn so gut wie niemand leiden konnte. Erfolg und Respekt galten ihm viel mehr als Liebe, und alle, die das anders sahen, betrachtete er mit ungläubiger Verachtung.

Auf der anderen Seite des Hofs sah Chick mit seiner gewohnt finsteren Miene dem Pferdetransporter nach. Morri-son runzelte verärgert die Stirn. Der Junge war eine Nervensäge, dachte er. Immer nörgelnd, immer unverschämt, immer darauf bedacht, mehr Geld herauszuholen. Morrison hielt es für ungesund, einem Jungen das Leben zu leicht zu machen: Ein bißchen Härte war gut für die Seele. Wo allerdings die Härte begann, darüber gingen Morrisons und Chicks Meinungen weit auseinander.

Chick sah das Stirnrunzeln seines Chefs und beobachtete Morrison voller Angst; seine Schuldgefühle lasteten auf ihm wie ein Felsblock. Er konnte es nicht wissen, dachte er verzweifelt. Er konnte nicht einmal vermuten, daß irgend etwas mit dem Pferd nicht stimmte, sonst hätte er es nicht zum Rennen fahren lassen. Außerdem hatte das Pferd auch ganz gut ausgesehen. Absolut wie immer. Vielleicht war gar nichts dran gewesen an der Möhre… vielleicht war es sogar die falsche Möhre gewesen… Chick sah sich beklommen um und wußte sehr gut, daß er sich etwas vormachte. Das Pferd mochte zwar ausgesehen haben, als sei alles in Ordnung mit ihm, aber das war es nicht.

Arthur Morrison sattelte sein Pferd zum Rennen auf, und Chick stand nervös zehn Schritte entfernt dabei, beobachtete ihn und versuchte sich in der aufgeregten Menge zu verstecken, die herbei drängte, um den Favoriten näher in Augenschein nehmen zu können. Vor der Sattelbox des Fuchses hatte sich eine größere Schar von Bewunderern zusammengefunden als vor jeder anderen der sieben Läufer, und die Buchmacher hatten ihre Quoten verringert. Hinter Morrisons konzentrierter Miene wollte ein Fünkchen Sorge immer beharrlicher ans Tageslicht drängen. Er zog den Gurt stramm und justierte automatisch die Schnallen, während er sich eingestehen mußte, daß seine Befriedigung sich in Angst verwandelt hatte. Das Pferd war nicht es selbst. Kein lebhaftes Stampfen der Füße, kein spielerisches Knabbern mit den Zähnen, keine Reaktion auf die Menschenmenge; dabei führte sich dieses Pferd in der Öffentlichkeit für gewöhnlich wie ein Filmstar auf. Es konnte ihm nicht gut gehen, und wenn es ihm nicht gut ging, würde es nicht gewinnen. Morrison preßte die Lippen aufeinander. Wenn es dem Pferd nicht gut genug ging, um zu gewinnen, war es ihm lieber, es lief überhaupt nicht. Bei solchen Wettquoten geschlagen zu werden wäre eine Schande. Eine Niederlage von zu großen Ausmaßen. Ein Gesichtsverlust. Vor allem, weil Morrisons ältester Sohn Toddy der Jockey sein sollte. Die Zeitungen würden sie beide in Stücke reißen.

Morrison kam zu einer Entscheidung und schickte nach dem Tierarzt. Die Regeln des Jagdrennens in England besagten ziemlich deutlich, daß ein Pferd, das als Starter für ein bestimmtes Rennen gemeldet worden war, in der letzten Dreiviertelstunde vor dem Start nur aufgrund der Diagnose eines Tierarztes zurückgezogen werden durfte. Der Tierarzt der Cheltenham-Rennbahn kam und sah sich den Fuchs an und führte ihn nach kurzer Beratung mit Morrison zu einer abgeschirmteren Box, wo er seine Temperatur maß.

«Seine Temperatur ist normal«, versicherte der Tierarzt Morrison.

«Es gefällt mir nicht, wie er aussieht.«

«Ich kann nichts finden.«

«Es geht ihm nicht gut«, beharrte Morrison.

Der Tierarzt schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. Das Pferd zeigte keine sichtbaren Symptome für irgend etwas, und er wußte, daß er selbst in Schwierigkeiten kam, wenn er Morrison erlaubte, einen so heißen Favoriten aus so dürftigen Gründen zurückzuziehen. Nicht nur das — das war jetzt das dritte Pferd, um dessen Zurückzie-hung man ihn heute nachmittag gebeten hatte. Er hatte die beiden anderen Gesuche abgelehnt, und der Fuchs befand sich keineswegs in einem schlechteren Zustand.

«Er wird laufen müssen«, sagte der Tierarzt kategorisch, nachdem er seine Entscheidung getroffen hatte.

Morrison war außer sich vor Zorn und stürmte davon, um einen Steward zu suchen, der mit ihm zurückkehrte, sich den Fuchs ansah, dem Tierarzt zuhörte und bestätigte, daß das Pferd laufen mußte, ob es Morrison gefiel oder nicht. Es sei denn natürlich, Morrison wolle den abwesenden Besitzer des Pferdes mit hineinziehen, indem er ihm eine schwere Geldstrafe eintrug?

Mit einem Gesicht aus Granit sattelte Morrison den Fuchs abermals, und ein Stallbursche führte ihn hinaus in den Führring, wo der größte Teil der wartenden Öffentlichkeit in Beifall ausbrach und ein paar klügere Leute näher hinsahen und davoneilten, um ihre Wetten abzuwerfen.

Mit einem Schauder des Unwillens sah Chick, wie das Pferd wieder auftauchte, und bedauerte zum ersten Mal, was er getan hatte. Dieser blöde Tierarzt, dachte er hitzig. Der sieht nicht, was unter seiner dämlichen Nase vorgeht, der sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Alles, was von jetzt an passierte, war die Schuld des Tierarztes, dachte Chick. Der Tierarzt trug die Verantwortung, absolut. Der Mann war eine kriminelle Bedrohung, ein Pferd, dem das Doping aus den Augen blickte, in einem Jagdrennen starten zu lassen.

Toddy Morrison trat zu seinem Vater in den Führring, und gemeinsam sahen sie mit besorgter Miene zu, wie der Fuchs lethargisch über die ovale Bahn zockelte. Toddy war ein kräftiger, durch und durch professioneller Jockey von Ende Zwanzig mit einem ansteckenden Lächeln und einer offenen Lebenseinstellung, die das direkte Gegenteil derjenigen seines Vaters darstellte. Er hatte den starken Willen seines Vaters geerbt, ihn aber dazu benutzt, mit achtzehn Jahren sein Elternhaus zu verlassen und für andere Trainer zu reiten, und er hatte sich erst bereitgefunden, für seinen Vater zu reiten, als er seine eigenen Bedingungen stellen konnte. Daher kam es, daß Arthur Morrison ihn zutiefst respektierte. Gemeinsam hatten sie eine Menge Rennen gewonnen.

Chick hatte nicht direkt etwas gegen Toddy Morrison, obwohl Toddy ihm, wie er es sah, im Weg stand. Gelegentlich ließ Arthur Chick ein Rennen reiten, wenn Toddy etwas Besseres hatte oder das Gewicht nicht schaffte. Chick mußte diese Brosamen von Toddys Tisch mit zwei oder drei anderen Stallburschen im Hof teilen, die, obwohl er es nicht glaubte, genausogut im Sattel waren wie er. Aber auch wenn der Neid in ihm gärte und die abfälligen Bemerkungen scharf und sauer wie Essig aus seinem Mund kamen, konnte man nicht sagen, daß er Toddy tatsächlich haßte. Toddy hatte einfach etwas an sich, das man nicht hassen konnte, auch wenn man einen noch so guten Grund hatte. Chick hatte keinen Gedanken auf die Tatsache verwandt, daß es Toddy sein würde, der mit den Nachwirkungen der Möhre fertig werden mußte. Er hatte nicht weiter gedacht als bis zu seiner eigenen Tasche. Jetzt wünschte er, es wäre ein anderer Jockey gewesen. Irgend jemand, nur nicht Toddy.

Als er Toddy und Morrison besorgt im Führring stehen sah, wurde Chick schlagartig klar, daß er keinen Augenblick lang damit gerechnet hatte, der Braune würde in dem Rennen tatsächlich starten. Der Fremde, sagte sich Chick, hatte ihm ausdrücklich erklärt, daß das Pferd zu krank sein würde, um zu starten. Sonst hätte ich es nicht getan, dachte Chick tugendhaft. Ich hätte es nie getan. Es ist ver-dammt gefährlich, ein gedoptes Jagdpferd zu reiten. Das hätte ich Toddy niemals angetan. Es ist nicht meine Schuld, wenn er jetzt ein gedoptes Jagdpferd reiten muß, es ist die Schuld dieses Tierarztes, der nichts gemerkt hat. Es ist die Schuld dieses Fremden, der mir deutlich gesagt hat, das Pferd würde nicht in der Lage sein zu starten…

Ein unangenehmer Gedanke flackerte plötzlich in Chicks Gedächtnis auf — er war zwei Stunden zu spät mit der Möhre gewesen. Wenn der Fuchs die Droge pünktlich bekommen hätte, wäre ihre Wirkung inzwischen deutlicher zu Tage getreten, und der Tierarzt hätte bemerkt…

Chick verwarf diese unerträgliche Theorie augenblicklich und mit der Begründung, daß niemand genau sagen könne, wie ein bestimmtes Pferd auf eine Droge reagierte oder wie schnell sie wirken würde, und er wiederholte in Gedanken die tröstliche Selbsttäuschung, daß der Fremde ihm versprochen hatte, das Pferd würde überhaupt nicht an den Start gehen — obwohl der Fremde tatsächlich nichts Derartiges gesagt hatte. Der Fremde, der bei den Rennen zugegen war, war absolut zufrieden mit der Art, wie die Dinge sich entwickelten, und stand kurz davor, eine gehörige Menge Geld zu machen.

Die Glocke rief die Jockeys zum Aufsteigen. Chick ballte die Fäuste in den Taschen und versuchte, sich nicht vorzustellen, was einem Reiter passieren konnte, der mit fast fünfzig Kilometern die Stunde auf einem gedopten Pferd über die Hindernisse ging. Sein Körper begann Chick abermals Streiche zu spielen: Er konnte spüren, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterrann, und der Puls dröhnte wieder in seinen Ohren.

Angenommen, er sagte es ihnen, dachte er. Angenommen, er rannte einfach da raus in den Führring und sagte Toddy, er solle das Pferd nicht reiten, es hätte keine Chance, richtig zu springen, es würde sicher stürzen, es konnte ihn verdammt leicht töten, weil seine Reaktionen alle zum Teufel seien.

Angenommen, er tat es. Wie würden sie ihn ansehen? Seine Phantasie ging mit ihm durch, und ihm wurde schwarz vor den Augen, weil eine so gewaltige Woge der Schmach nicht mit seiner überzogenen Selbsteinschätzung in Einklang zu bringen war. Er konnte den Zorn, der sie erfüllen würde, einfach nicht über sich ergehen lassen. Und vielleicht wäre das ja nicht einmal alles. Selbst wenn er es ihnen sagte und Toddy das Leben rettete, würden sie vielleicht trotzdem zur Polizei gehen. Das würde ihnen durchaus ähnlich sehen. Und er konnte vor Gericht enden. Vielleicht sogar im Gefängnis. Das würden sie mit ihm nicht machen, nicht mit ihm. Diese Chance würde er ihnen nicht geben. Sie hätten ihm mehr bezahlen sollen. Ihm mehr bezahlen sollen, weil er mehr wert war. Wenn sie ihm mehr bezahlt hätten, hätte er das Geld des Fremden nicht zu nehmen brauchen. Arthur Morrison war selber schuld.

Toddy würde es eben riskieren müssen. Schließlich sah das Pferd gar nicht so schlecht aus, und der Tierarzt hatte es für gesund befunden, nicht wahr, und vielleicht war es nur gut, daß er dem Fuchs die Möhre zwei Stunden zu spät gegeben hatte, und die Droge hatte ihre Wirkung noch nicht voll entfaltet, und im Grunde hatten sie es Chick zu verdanken, daß es so war; nur ihm war zu verdanken, daß das Pferd die Droge zwei Stunden zu spät bekommen hatte und daß nicht viel passieren würde. Es würde nicht viel passieren. Vielleicht würde der Fuchs nicht direkt siegen, aber Toddy würde die Sache schon überstehen. Natürlich würde er das.

Die Jockeys schwangen sich in den Sattel, Toddy ebenfalls. Er sah Chick in der Menge, wie er ihn beobachtete, und winkte ihm kurz grüßend zu. Der Drang, es ihm zu sagen, und die Angst, es zu sagen, zerrissen Chick wie eine Folter.

Toddy griff nach den Zügeln, schnalzte mit der Zunge und lenkte den Fuchs unentschlossen auf die Bahn. Er war enttäuscht, daß das Pferd sich nicht gut fühlte, aber er hatte nicht die mindeste Angst. Es war weder ihm noch Arthur Morrison in den Sinn gekommen, daß das Pferd gedopt sein könnte. Er galoppierte, in den Steigbügeln stehend, zum Start und krempelte, da er sich nicht mehr auf die Reserven seines Pferdes verlassen konnte, im Geiste seine Taktik um. Es würde schwierig sein, das Rennen zu gewinnen. Schade.

Chick sah ihm nach. Er hatte nicht entschieden, ob er es sagen oder nicht sagen sollte. Der Augenblick war einfach an ihm vorübergegangen. Als Toddy fort war, hob er seine bleischweren Füße und trabte zur Tribüne hinüber, um das Rennen zu beobachten, und in jedem Winkel seines Geistes platzten kleine Rechtfertigungen seiner Tat wie Seifenblasen auf. Ein Gefühl der Scham versuchte sich abzulagern, aber er wirbelte es mit gezielten Tritten in die Luft. Sie hätten ihm mehr bezahlen sollen. Es war ihre Schuld, nicht seine.

Er dachte an das Bündel Geldscheine, das der Fremde ihm zusammen mit der Möhre gegeben hatte. Vorschuß. Der Fremde hatte ihm vertraut, was er von den wenigsten Leuten gewöhnt war. Er hatte sich im Badezimmer eingeschlossen und die Scheine gezählt, hatte sie zweimal gezählt, und sie waren alle da, genau wie der Fremde versprochen hatte. Noch nie in seinem Leben hatte er soviel Geld besessen… Vielleicht würde er es auch nie wieder, dachte er. Und wenn er Arthur Morrison und Toddy von dem Doping erzählte, würde er dieses Geld hergeben müssen, das Geld und anderes mehr.

Ein Versteck für das Geld zu finden, war nicht leicht gewesen. Das Bündel benutzter Geldscheine hatte sich als ziemlich sperrig erwiesen, und er wollte nicht das Risiko eingehen, daß seine Mutter bei ihrem gewohnheitsmäßigen Herumschnüffeln in seinen Sachen auf das Geld stieß. Er hatte das Problem vorübergehend gelöst, indem er die Geldscheine zusammengerollt und in eine neonfarbene, runde Dose gesteckt hatte, in der früher mal Karamelbonbons gewesen waren, die er aber seit Jahren für Bürsten und Schuhputzzeug benutzte. Er hatte das Geld mit einem Lappen zugedeckt und die Dose wieder auf das Regal in seiner Schlafkammer geknallt. Irgendwann würde er sich wohl ein sichereres Versteck suchen müssen. Und er würde vorsichtig sein müssen, wenn er das Geld ausgab — wenn er einfach hinging und sich ein Auto kaufte, würde es zu viele Fragen geben. Er hatte immer ein Auto gewollt… und jetzt hatte er das Geld dafür… und er konnte sich den Wagen trotzdem nicht kaufen. Es war nicht fair. Absolut nicht fair. Wenn sie ihm mehr bezahlt hätten… genug für ein Auto.

Oben auf dem strategisch günstig gelegenen Bereich der Tribüne, der für Trainer und Jockeys reserviert war, legte ein kleiner Mann mit heißen, dunklen Augen Chick eine Hand auf den Arm und sprach ihn an. Es dauerte mehrere Sekunden, bis Chick ihn wirklich hörte.

«… Ich sehe, Sie sind hier, und Sie sind frei, werden Sie es reiten?«

«Was?«fragte Chick geistesabwesend.

«Mein Pferd im Hürdenrennen der Sieglosen«, sagte der kleine Mann ungeduldig.»Wenn Sie nicht wollen, kann ich natürlich.«

«Das habe ich nicht gesagt«, murmelte Chick.»Fragen Sie den Chef. Wenn er sagt, ich kann, na, dann kann ich.«

Der kleinwüchsige Trainer ging zu der Tribüne, von der aus Arthur Morrison den Fuchs aufmerksam durch seinen

Feldstecher beobachtete, und stellte dieselbe Frage, die er Chick gestellt hatte.

«Chick? Ja, er kann für Sie reiten, wenn Sie ihn haben wollen. «Morrison schenkte dem anderen Trainer zwei volle Sekunden seiner Aufmerksamkeit und klebte dann wieder an seinem Feldstecher.

«Mein Jockey hat sich bei einem Sturz im ersten Rennen verletzt«, erklärte der kleine Mann.»Es gibt so viele Läufer im Rennen der Sieglosen, daß wir knapp an Jockeys sind. Da habe ich plötzlich Ihren Jungen da gesehen und ihn spontan gefragt, verstehen Sie?«

«Ja, ja«, sagte Morrison, zu neunzig Prozent desinteressiert.»Seine Fähigkeiten sind mäßig, also erwarten Sie nicht zuviel von ihm. «Der Fuchs hatte keine Spannkraft. Morrison fragte sich niedergeschlagen, ob er einen Husten ausbrütete.

«Mein Pferd wird nicht gewinnen. Man könnte sagen, es ist nur draußen, um Erfahrungen zu sammeln.«

«Ja. Na ja, machen Sie die Sache mit Chick aus. «Mehrere andere Ställe hatten eine Hustenepidemie, dachte Morrison. Der Fuchs hätte sich keinen schlechteren Tag aussuchen können, um sich anzustecken.

Chick, der das Angebot eines Ritts normalerweise mit herablassender Selbstgefälligkeit quittiert hätte, war so geistesabwesend, daß der kleine Trainer es schon bedauerte, ihn gefragt zu haben. Chicks ganze Aufmerksamkeit galt dem Fuchs, der sich ganz zufriedenstellend am Startband aufzustellen schien. Alles in Ordnung, versuchte Chick sich selbst zu beruhigen. Es würde schon gutgehen. Natürlich würde es das. Wie blöd von ihm, sich so aufzuregen.

Der Start und die ersten zwei Hindernisse lagen links von der Tribüne. Da bei dem Jagdrennen ein Startband benutzt wurde und keine Boxen und da es auch keine Startnummern gab, hatte Toddy sich an den Innenrails aufgestellt, um den kürzesten Weg zum Ziel zu haben.

Unten bei den Buchmachern wurden jetzt großzügigere Quoten angeboten, bis hin zu 1:1. Als der Fuchs auf dem Weg zum Start an ihnen vorbeigaloppiert war, hatte er keine besonders gute Figur gemacht. Die Buchmacher blickten dem Rennen daher ein wenig hoffnungsvoller entgegen. Sie hatten einen bösen Tag erwartet, aber wenn der Fuchs verlor, würden sie Gewinn machen. Einer von ihnen würde ungeheuren Gewinn machen — genauso wie er ungeheure Verluste einstecken mußte, falls der Fuchs siegte.

Alexander McGrant, mit wirklichem Namen Harry Buskins, hatte etwas Derartiges in der Vergangenheit schon ein oder zwei Mal gemacht. Er spreizte die Finger einer Hand und sah sie bewundernd an. Nicht das leiseste Zittern zu sehen. Und bei solchen Dingen bestand immer das Risiko, daß der Bestochene im letzten Augenblick kalte Füße bekam und die Sache nicht durchzog. Es war immer ein Glücksspiel, klar. Aber diesmal, bei diesem Jungen, da war er sich ziemlich sicher. Man konnte eigentlich nichts falsch machen, wenn man sich einen eitlen kleinen Schnösel mit einem großen Groll aussuchte. Das waren die Käuflichsten. Hundertprozentig.

Harry Buskins war ein gerissener Mittvierziger aus dem Londoner East End, für den es niemals eine klare Trennungslinie zwischen Recht und Unrecht gegeben hatte. Wenn sich ab und zu ein netter kleiner Schwindel einfädeln ließ, nun, warum nicht — das war seine Devise. Die Umsatzsteuer machte das Wettgeschäft kaputt… Man mußte schnelle Scheinchen machen, wo man konnte. Und nichts war so sicher oder so schnell wie Knete für einen ultraheißen Favoriten zu scheffeln, wenn man wußte, daß man nicht würde auszahlen müssen.

Unten am Pfosten legte der Starter die Hand auf den Hebel, und die Bänder schnellten in die Höhe. Toddy trat dem Fuchs in die Rippen. Von seinem luftigen Ausguck oben auf der Tribüne nahm der Kommentator seine Ansage auf:

«Und los geht’s! Der erste, der auftaucht, ist der graue…«

Arthur Morrison und Chick sahen mit aus jeweils anderer Art von Angst hämmerndem Herzen zu, und Harry Buskins schloß die Augen und betete.

Toddy trieb den Fuchs sofort unter die ersten drei; das Pferd galoppierte mit kräftigem Schritt, zog am Mundstück und ließ die Hufe über den Boden donnern. Er schien recht ordentlich zu laufen, dachte Toddy. Kräftig. Wie ein Zug.

Das erste Hindernis lag jetzt nur noch hundert Meter vor ihm und kam immer näher. Mit geübtem Auge schätzte Toddy die Distanz ab, wußte, daß der Fuchs genau das richtige Tempo vorlegte, machte sich für den Sprung bereit und gab dem Pferd das Zeichen abzuspringen. Er bekam keine Reaktion. Nichts. Der Fuchs unternahm keinen Versuch, die Muskeln anzuspannen, keinen Versuch, sich mit den Hinterbeinen abzustoßen, keinen Versuch zu zaudern oder das Tempo zu verlangsamen oder das Hindernis auf irgendeine Art und Weise zu umgehen. Eine ungläubige Sekunde lang wußte Toddy, daß ihm eine absolute Katastrophe unmittelbar bevorstand.

Der Fuchs galoppierte geradewegs hinein in das einen Meter dicke, brusthohe, massive Birkenhindernis, und die Wucht des Aufpralls ließ die Zuschauer auf der Tribüne wie aus einem Mund entsetzt aufstöhnen. In einem Wirbel zuckender Beine schlug das Pferd einen Purzelbaum über den Zaun, warf Toddy aus dem Sattel, stürzte auf ihn und rollte über ihn hinweg.

Chick war es, als würde die Welt mit einem Mal grau. Alles verlor seine Farbe, und er war einer Ohnmacht nahe. O Gott, dachte er. O Gott. Toddy.

Der Fuchs erhob sich taumelnd auf die Füße und galoppierte davon. Er folgte den anderen Pferden zum zweiten Hindernis.

Er prallte genauso unvermittelt und ungebremst gegen den zweiten Zaun wie gegen den ersten. Die Menge keuchte und schrie auf. Wieder der Purzelbaum, die von sich gestreckten Beine, der furchtbare Sturz, die sofortige Erholung. Der Fuchs rappelte sich abermals auf und galoppierte weiter.

Er kam an der Tribüne vorbei, bewegte sich unerbittlich weiter, die Steigbügel baumelten von dem leeren Sattel herab, Schaumwölkchen stoben von seinem Maul, und große, dunkle Schweißflecken überzogen seine Flanken. Wo die Bahn nach links abbog, rannte der Fuchs geradeaus weiter. Geradeaus, quer über die Kurve hinweg, um auf der anderen Seite der Bahn gegen das Rail zu krachen. Er nahm das massive Holz mit der Brust und brach es in zwei Stücke. Wieder stürzte er mit zuckenden Gliedern zu Boden, und wieder erhob er sich schwankend auf die Füße. Aber diesmal nicht, um davonzugaloppieren. Diesmal machte er drei qualvolle, humpelnde Schritte und blieb stehen.

Weiter hinten am Zaun lag Toddy am Boden, umringt von Sanitätern, die sich ängstlich über ihn beugten. Arthur Morrison rannte von der Tribüne zur Bahn und wußte nicht, wohin er sich zuerst wenden sollte, zu seinem Sohn oder seinem Pferd. Chicks Beine gaben unter ihm nach, und er sackte benommen auf die Betonstufen. Und unten im Buchmacherstand wurde Harry Buskins’ erste freudige Reaktion von der Frage getrübt, ob dieser dämliche Chick, falls Toddy Morrison schwer verletzt war, genug Angst haben würde, um den Mund zu halten.

Arthur Morrison lenkte seine Schritte in die Richtung, in der sein Sohn lag. Toddy hatte durch den Sturz das Bewußtsein verloren, und das Gewicht des Fuchses hatte ihm sämtliche Luft aus den Lungen gequetscht, aber als sein Vater auf hundert Meter herangenaht war, kam er langsam wieder zu sich. Arthur sah, daß die lang hingestreckte Gestalt sich regte, drehte brüsk um und lief auf das Pferd zu: Es war völlig unmöglich, Toddy zu zeigen, welche Sorgen er sich machte. Toddy würde ihn dann nicht mehr respektieren, dachte er.

Der Fuchs stand geduldig an der zerschmetterten Rail und war sich nur schwach des stumpfen Schmerzes in seinem Vorderbein bewußt, das sein Gewicht nicht zu tragen vermochte. Arthur Morrison und der Tierarzt erreichten das Pferd gleichzeitig, und Arthur Morrison funkelte den Arzt zornig an.

«Sie sagten, er sei fit genug für das Rennen. Der Besitzer wird an die Decke gehen, wenn er das erfährt. «Morrison versuchte, seinen wachsenden inneren Zorn angesichts der Ungerechtigkeit des Schicksals im Zaum zu halten. Der Fuchs war nicht irgendein Pferd — er war das beste Pferd, das er je trainiert hatte,»Nun, mir schien er in Ordnung zu sein«, verteidigte sich der Tierarzt.

«Ich will einen Dopingtest«, sagte Morrison rüde.

«Er hat sich die Schulter gebrochen. Wir werden ihn einschläfern müssen.«

«Ich weiß. Ich habe Augen im Kopf. Trotzdem, ich will zuerst einen Dopingtest. Wenn er einfach nur krank wäre, hätte er sich niemals so benommen.«

Der Tierarzt erklärte sich widerstrebend bereit, eine Blutprobe zu nehmen, danach schob er den Bolzen in den Schußapparat und schoß ihn in das von Drogen umnebelte Gehirn des Fuchses. Das beste Pferd in Arthur Morrisons

Stall war nur noch ein Name in den Zuchtbüchern. Die verdaute Möhre wurde zusammen mit dem Kadaver weggeschafft, aber der Schaden, den sie angerichtet hatte, hatte damit noch lange nicht sein Ende erreicht.

Chick brauchte fünfzehn Minuten, um zu begreifen, daß es Toddy war, der noch lebte, und das Pferd, das tot war, und während dieser Zeit fühlte er sich körperlich krank und geistig zermalmt. Am Anfang war es ihm als eine solche Kleinigkeit erschienen, dem Fuchs eine Möhre zu geben. Er hatte nicht gedacht, daß die Sache ihn derart mitnehmen würde. Er hätte sich niemals träumen lassen, daß man von so etwas richtiggehend krank werden konnte.

Sobald er wußte, daß Toddy sich keine Knochen gebrochen hatte, wieder bei Bewußtsein war und in ein oder zwei Stunden sogar wieder aufstehen konnte, ebbte der Großteil seiner körperlichen Symptome ab. Als der kleine Trainer hinter ihm auftauchte, um ihn scharf daran zu erinnern, daß er in diesem Augenblick in der Umkleidekabine sein sollte, um die Rennfarben für seinen Ritt im Rennen der Sieglosen anzulegen, fühlte er sich gut genug, es zu tun, obwohl er in gewisser Weise wünschte, er hätte nicht zugesagt.

Im Umkleideraum vergaß er, seinem Jockeydiener zu sagen, daß er einen leichten Sattel brauchte und daß der Trainer um einen Brustgurt gebeten hatte. Er vergaß, die Trikotbandage um seinen Hals zu knoten, und wäre beinahe mit hinterherflatternden Enden hinausgegangen. Er vergaß, seine Uhr abzunehmen. Sein Diener wies ihn auf alles hin und dachte bei sich, daß der Jockey betrunken wirke.

Das sieglose Hürdenpferd, das Chick reiten sollte, wäre mehr als einen Kilometer hinter dem Fuchs ins Ziel gegangen, wenn beide am Vortag gestartet wären. Jung, unerfahren und nur oberflächlich trainiert, war es keine

Geldader, die nur noch entdeckt zu werden brauchte, sondern ein Hengst, der im Hauptfeld mitlief, bis sein Besitzer es müde wurde, es immer wieder zu probieren. Chick hatte sich nicht die Mühe gemacht, das herauszufinden. Er hatte zuviel anderes im Sinn gehabt, um in den Rennberichten nachzulesen, wo eine lange Reihe von Niederlagen ihn vielleicht vorsichtig gemacht hätte. Wie die Dinge lagen, stieg er unaufmerksam auf das Pferd und achtete nicht auf die Reitorder, die der kleine Trainer ihm wieder und wieder einzubleuen versuchte. Wie gewöhnlich glaubte er, es besser zu wissen. Er würde die Sache nach eigenem Gusto entscheiden, dachte er streitlustig. Wie konnte er sich bei all dem, was er im Kopf hatte, auf hektische kleinliche Instruktionen konzentrieren?

Als er die Waage verließ, kam er an Arthur Morrison vorbei, der mit einem unaufmerksamen Blick auf seine Rennfarben sagte:»O ja… na, sieh zu, daß du die Sache nicht allzusehr verpfuschst…«

Morrison dachte immer noch darüber nach, welche Rolle der Tod des Fuchses für sein künftiges Geschick spielen würde, und er bemerkte das gereizte Zucken nicht, das Chicks verdrießliches Gesicht durchlief.

Da geht er, dachte Chick. Das ist doch wieder typisch. Typisch. Der glaubt wirklich, ich bringe nicht die kleinste Kleinigkeit zustande. Wenn er mir mehr Chancen gegeben hätte… und mehr Geld… dann hätte ich die Möhre nicht… nun, ich hätte es nicht getan. Er galoppierte zum Zielpfosten und konzentrierte sich ganz auf seinen Groll über diese Bemerkung:»Sieh zu, daß du die Sache nicht allzusehr verpfuschst«, weil sie ihm auf merkwürdige Weise zu rechtfertigen schien, getan zu haben, was er getan hatte. Der Abgrund der Reue, der sich unter ihm auftat, war zu schmerzhaft. Er klammerte sich an jede Lüge, um sich davor zu bewahren.

Harry Buskins hatte bemerkt, daß Chick unerwarteterweise im Hürdenrennen der Sieglosen mitritt, und schloß daraus, daß er selbst in Sicherheit war, daß der Junge nicht zusammenbrechen würde. Trotzdem hatte er seine Tasche über seinen beachtlichen Einnahmen geschlossen und seinen Stand für den Tag verlassen, um nach Hause zu gehen. Seinen Kollegen hatte er erklärt, daß es ihm nicht gut ginge. Und das stimmte auch. Er wurde das Bild, wie der Fuchs auf diese Zäune zustürmte, als könne er nichts sehen, einfach nicht los. Blind. Das Pferd war blind gewesen. Ein großes Rennpferd, das wußte, daß es am Anfang eines Rennens auf einer Rennbahn stand. Das nicht begriff, daß irgend etwas mit ihm nicht stimmte. Das galoppierte, weil man es zum Galoppieren aufforderte, weil es wußte, daß dies der rechte Ort dafür war. Ein großes Pferd mit einem großen Herzen.

Harry Buskins wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nach einem solchen Zwischenfall würden sie das Pferd ganz sicher auf Doping untersuchen, dachte er. Keins der anderen, bei denen er in der Vergangenheit das gleiche gemacht hatte, hatte so reagiert. Vielleicht hatte er die Dosis falsch bemessen, vielleicht war auch das Timing falsch gewesen. Man konnte nie genau wissen, wie ein bestimmtes Pferd reagieren würde. Doping war immer ein wenig unberechenbar.

Er schenkte sich mit Händen, die nun doch zitterten, ein halbes Glas Whisky ein, und als er sich ruhiger fühlte, beschloß er, daß er, wenn er diesmal damit durchkam, sich mit seinen Profiten zufriedengeben und nicht noch mal mit irgendwelchen Karotten rummachen würde. Er würde es einfach nicht noch einmal riskieren.

Chick stellte sich am Startpfosten in der Mitte des Feldes auf, obwohl der Trainer ihm geraten hatte, auf der Außenseite zu starten, um es dem unerfahrenen Pferd über die er-sten Hürden leichter zu machen. Chick erinnerte sich nicht an diese Anweisung, weil er nicht zugehört hatte, und selbst wenn er zugehört hätte, hätte er dasselbe getan, getrieben vom gewohnheitsmäßigen Zwang, anderer Meinung zu sein. Er dachte an Toddy, der sich vor einer Stunde an dieser Stelle aufgestellt hatte, ohne zu wissen, daß sein Pferd die Hindernisse nicht sehen würde. Chick hatte nicht gewußt, daß Doping ein Pferd blind machen konnte. Wie hätte man damit auch rechnen können? Es ergab keinen Sinn. Vielleicht hatte das Dopingmittel den Fuchs auch nur so sehr verwirrt, daß er das Hindernis zwar sah, aber irgendwie nicht begriffen hatte, daß er darüberspringen sollte. Der Fuchs konnte unmöglich wirklich blind gewesen sein.

Chick schwitzte bei diesem Gedanken und vergaß zu überprüfen, ob die Gurte nach dem Galopp zum Startpfosten immer noch stramm saßen. Und auch, als der Starter die Bänder hochschnellen ließ, war er noch immer mit diesen grauenhaften Vorstellungen beschäftigt, so daß er den richtigen Augenblick verpaßte und nur langsam loskam. Der kleine Trainer auf der Tribüne schnalzte verärgert mit der Zunge, und Arthur Morrison hob den Blick himmelwärts.

Die erste Hürde stand auf gleicher Höhe mit dem ersten Zaun, und den ganzen Weg dorthin war Chick von der unlogischen Angst erfüllt, daß sein Pferd nicht abspringen würde. Er verwandte die Aufmerksamkeit, die er der richtigen Positionierung seines Pferdes hätte schenken müssen, ganz auf den verzweifelten Versuch, sich einzureden, daß ihm niemand eine Möhre gegeben haben konnte. Er konnte nicht selbst auf einem gedopten Pferd sitzen… Das wäre nicht fair gewesen. Warum wäre es nicht fair gewesen? Weil. weil.

Das Pferd geriet beim Sprung ins Straucheln, schlug hart gegen den Holzrahmen und kam beim Aufsprung fast zum Stillstand. Der kleine Trainer begann zu fluchen.

Chick zog einen Zügel, der sich gelöst hatte, fester an, und das Hürdenpferd schwankte in zaudernder Unentschlossenheit hin und her. Es mußte mit Sorgfalt und Zuversicht geritten werden, man mußte ihm Gleichgewicht und Rhythmus beibringen. Man mußte es vor den Sprüngen richtig einstellen und danach schnell wieder versammeln. Es mangelte ihm an Erfahrung, es mangelte ihm an Urteil, und es brauchte dringend einen Jockey, der beides beisteuern konnte.

Chick hätte die Sache einigermaßen hinbekommen, wenn er es versucht hätte. Statt dessen ließen Übelkeit und geistige Erschöpfung alle seine Fähigkeiten dahinschmelzen, und er verlegte sich darauf zu beweisen, daß er nie viel getaugt hatte.

Beim zweiten Hindernis sah er vor seinem inneren Auge, wie der Fuchs mit einem Purzelbaum durch die Luft geflogen war, und als sie um die Kurve gingen, verweilte sein Blick auf dem zerbrochenen Rail und dem zertretenen Gras davor. Dort war der Fuchs gestorben. Alle im Stall würden unter den finanziellen Folgen zu leiden haben. Er hatte den Fuchs getötet, das ließ sich nicht länger leugnen, er hatte ihn mit der Karotte so sicher getötet, als hätte, er den Bolzen selbst abgeschossen. Plötzlich schluchzte Chick, und seine Augen füllten sich mit Tränen.

Die nächsten beiden Hürden sah er nicht. Sie schossen in einem fliegenden Nebel unter ihm hinweg. Rein instinktiv blieb er auf seinem Pferd sitzen, und die Tränen liefen über die Wangen und wurden vom Wind weggepeitscht, sobald sie unter dem Rand seiner Jockeybrille hervorrannen.

Das unerfahrene Pferd war verängstigt und führerlos. Der nächste Sprung stand unmittelbar bevor, und das Pferd vor ihnen stolperte über die Hürde und warf einen Balken um, so daß er schräg hängenblieb. Das Hürdenpferd wartete bis zum letzten Augenblick auf Hilfe oder Anweisung von dem Mann auf seinem Rücken und ging dann unentschlossen auf den umgeworfenen Abschnitt der Hürde zu, der in seinen Augen niedriger und leichter zu überspringen schien als das andere Ende.

Auf der Tribüne sahen sowohl der kleine Trainer als auch Arthur Morrison, daß Chick keinen Versuch unternommen hatte, weiter geradeaus zu reiten oder dem Pferd zu sagen, wann es abspringen sollte. Es landete mit den Vorderbeinen in der geneigten Hürde, blieb dort hängen und schleuderte Chick über seinen Kopf aus dem Sattel.

Der Instinkt der Selbsterhaltung, der Chick normalerweise veranlaßt hätte, sich zu einem rollenden Ball zusammenzukrümmen, funktionierte nicht. Er stürzte lang und gerade durch die Luft, und sein letzter Gedanke, bevor er aufschlug, war, daß der blöde kleine Mistkerl von einem Trainer sein Pferd nicht vernünftig trainiert hatte. Das Tier hatte keine blasse Ahnung vom Springen.

Lange Zeit später erwachte er in einem hohen Bett in einem kleinen Raum. Irgendwo brannte ein gedämpftes Licht. Er spürte keinen Schmerz. Er spürte überhaupt nichts. Seine Gedanken schienen durch seinen Kopf zu treiben, und sein Kopf trieb durch den Raum.

Nach einer weiteren Ewigkeit begann er zu glauben, daß er tot sei. Er nahm diesen Gedanken sehr gefaßt auf und war stolz darauf. Dann dämmerte ihm langsam, ganz langsam, daß er nicht tot war. Sein Kopf steckte in einer Art Hülle, die ihn weich lagerte. Er konnte sich nicht bewegen.

Er blinzelte bewußt mit den Augen und leckte sich die Lippen, um sicherzugehen, daß zumindest sie funktionierten. Er hatte keine Ahnung, was passiert war. Seine Gedanken waren ein dichter, aber friedvoller Nebel.

Schließlich erinnerte er sich an die Möhre, und die ganze komplizierte und qualvolle Geschichte wurde wieder in sein Bewußtsein zurückgespült. Er schrie protestierend auf und versuchte, sich zu bewegen, aufzustehen und wegzulaufen, der unmöglichen, unerträglichen Schuld zu entfliehen. Irgendwelche Leute hörten seine Stimme und kamen ins Zimmer und standen um ihn herum. Er sah sie verständnislos an. Sie waren weiß gekleidet.

«Es ist alles in Ordnung«, sagten sie.»Keine Sorge, junger Mann, Sie kommen schon wieder in Ordnung.«

«Ich kann mich nicht bewegen«, protestierte er.

«Das kommt schon noch«, sagten sie beschwichtigend.

«Ich spüre… nichts. Ich spüre meine Füße nicht. «Plötzlich wurde Panik in seiner Stimme laut.»Ich spüre meine Hände nicht. Ich kann… meine Hände… nicht bewegen.«

Er schrie jetzt, und seine Augen waren angstvoll aufgerissen.

«Keine Sorge«, sagten sie.»Das kommt schon wieder. Sie kommen wieder in Ordnung. Sie kommen wieder in Ordnung.«

Er glaubte ihnen nicht, und sie pumpten ihm ein Beruhigungsmittel in den Arm, um ihn ruhigzustellen. Er konnte den Einstich der Nadel nicht spüren. Er hörte sich schreien, weil er keinen Schmerz spürte.

Als er wieder aufwachte, wußte er mit Sicherheit, daß er sich den Hals gebrochen hatte.

Nach vier Tagen besuchte Arthur Morrison ihn und brachte ihm sechs frisch gelegte Eier und eine Flasche frischen Orangensaft mit. Er blickte auf den unbeweglichen Körper mit dem Gipsverband um Schultern und Kopf herunter.

«Nun, Chick«, sagte er verlegen.»Es ist nicht so schlimm, wie es hätte sein können, oder?«

«Schön! So kann man das auch sehen«, sagte Chick rüde.

«Sie sagen, das Rückenmark sei nicht durchtrennt worden, es ist nur gequetscht. Sie sagen, in einem Jahr oder so würdest du einen Gutteil deiner Bewegungsfähigkeit zurückerlangen. Und du würdest jetzt jeden Tag wieder etwas mehr Gefühl bekommen.«

«Das sagen sie«, sagte Chick höhnisch.»Aber ich glaube es nicht.«

«Du wirst es glauben müssen, mit der Zeit«, sagte Morrison ungeduldig.

Chick antwortete nicht, und Arthur Morrison stöberte unbehaglich in seinen Gedanken nach irgend etwas, das er sagen konnte, um die Minuten zu überbrücken, bis er anständigerweise gehen konnte. Er konnte den Jungen nicht besuchen und einfach nur schweigend vor seinem Bett stehen. Er mußte irgend etwas sagen. Also begann er von dem zu reden, was in seinen Gedanken an erster Stelle stand.

«Wir haben heute morgen das Ergebnis des Dopingtests bekommen. Wußtest du, daß wir den Fuchs haben untersuchen lassen? Nun, du weißt ja, daß wir ihn auf jeden Fall einschläfern lassen mußten. Die Ergebnisse sind heute morgen reingekommen. Sie waren positiv… positiv. Der Fuchs war bis oben hin voll mit irgendeinem Betäubungsmittel, irgendein langer Name. Der Besitzer macht uns die Hölle heiß deswegen und die Versicherungsgesellschaft ebenfalls. Sie versuchen, es mir in die Schuhe zu schieben. Meine Sicherheitsvorkehrungen seien nicht ausreichend gewesen. Das ist lächerlich. Nicht genug mit dem Verlust des Pferdes selbst, dem Verlust dieses wirklich großartigen Pferdes. Ich habe heute morgen jeden im Stall gefragt, sobald ich von dem Doping wußte, aber natürlich wußte niemand irgend etwas. Mein Gott, wenn ich wüßte, wer das getan hat, würde ich ihn höchstpersönlich erwürgen. «Seine Stimme zitterte von dem Zorn, der ihn den ganzen Tag über verzehrt hatte.

In diesem Augenblick ging ihm auf, daß Chick schließlich Chick war und sich ausschließlich für seinen eigenen Zustand interessieren und sich einen feuchten Kehricht um die Schwierigkeiten anderer Leute scheren würde. Arthur Morrison seufzte tief. Chick hatte im Augenblick tatsächlich eigene Probleme. Man konnte nicht von ihm erwarten, daß ihn die Sache mit dem Fuchs allzusehr interessierte. Und er sah sehr schwach aus, sehr blaß.

Der Arzt, der Chicks Zustand zehnmal am Tag überprüfte, kam leise in den kleinen Raum und schüttelte Morrison die Hand.

«Er macht sich gut«, sagte er.»Die Sache entwickelt sich hervorragend.«

«Quatsch«, sagte Chick.

Der Arzt schürzte die Lippen. Er sagte nicht, daß Chick seiner Meinung nach der übellaunigste Patient im ganzen Krankenhaus war. Er sagte:»Es ist natürlich hart für ihn. Aber es hätte schlimmer sein können. Es wird einige Zeit dauern; er wird alles noch mal von vorne lernen müssen, verstehen Sie. Es wird einige Zeit dauern.«

«Wie ein verdammtes Baby«, sagte Chick heftig.

Noch einmal ein Baby, dachte Arthur Morrison. Nun, vielleicht konnten sie ihn beim zweiten Mal besser hinbekommen.

«Er kann von Glück sagen, daß er gute Eltern hat, die sich um ihn kümmern werden, sobald er nach Hause kommt«, meinte der Arzt.

Chick dachte an seine Mutter, die ewig Möhren hackte, um sie in den Eintopf zu geben. Er würde sie essen müssen. Seine Kehle krampfte sich zusammen. Er wußte, er würde keine Möhre mehr herunterbekommen.

Und dann war da das Geld, zusammengerollt in der Schuhputzdose auf dem Regal in seinem Zimmer. Er würde die Dose die ganze Zeit über sehen können, wenn er in seinem eigenen Bett lag. Er würde nie vergessen können. Nie. Und es würde immer die Gefahr bestehen, daß seine Ma in die Dose schaute. Der Gedanke, nach Hause zu gehen, war ihm unerträglich. Und er wußte, er würde nach Hause gehen müssen. Er hatte keine andere Wahl. Er wünschte, er wäre tot.

Arthur Morrison seufzte schwer und schulterte mit gewohnter Geistesstärke seine neue Bürde.»Ja, er kann nach Hause kommen, zu seiner Mutter und mir, sobald es ihm wieder gut genug geht. Er wird sich immer auf uns verlassen können.«

Chick Morrison zuckte vor Verzweiflung zusammen und schloß die Augen. Sein Vater versuchte ein Aufwallen von Ärger zu unterdrücken, und der Arzt dachte, was für ein undankbares kleines Biest der Junge doch war.

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