Als die obere Batterie, unmittelbar gefolgt von den Zweiunddrei-ßigpfündern des unteren Batteriedecks, ihre volle Breitseite herausdonnerte, bebte die Trojan so heftig, als wolle sie auseinanderbersten.
Obwohl jedermann es erwartet und sich darauf vorbereitet hatte, war der betäubende Krach der Salve unvorstellbar. Der Donner rollte und rollte weiter, während jedes Geschütz durch den Rückstoß wieder binnenbords geschleudert wurde.
Bolitho beobachtete, wie der dichte Qualm mit dem Wind davonzog, und starrte dann auf das französische Schiff, das umgeben war von aufbrandenden Wassersäulen. Die See hatte sich in eine Masse weißer Springbrunnen verwandelt. Die Argonaute steuerte auf konvergierendem Kurs, die Rahen hart angebraßt, um von der nächsten Landspitze freizukommen. Ohne Fernglas konnte man unmöglich feststellen, ob sie getroffen worden war, obgleich bei einer so massiven Breitseite ein paar Treffer dabeisein sollten. Aber die Trojan hatte bei erstbester Gelegenheit gefeuert, Bolitho schätzte die Entfernung auf mindestens acht Kabellängen.*
Auf beiden Seiten schrien die Geschützführer wie die Teufel, die Bedienungsmannschaften rammten frische Ladungen in die Rohre, während andere mit Handspaken bereitstanden, um die schweren Geschütze wieder auszufahren.
Es klang alles verschwommen, unwirklich, und Bolitho rieb sich heftig die Ohren, um wieder hören zu können. Das Schiff holte leicht über, da Pears eine Kursänderung zu dem Franzosen hin befohlen hatte. Wie unverwundbar der aussah! Mit killenden Marssegeln und Fock versuchte der Kommandant der Argonaute, höher an den Wind zu gehen, um der Umklammerung des Landes zu entkommen und freien Seeraum zu gewinnen.
Was hatte er vor? fragte sich Bolitho. Was mochte Coutts Gegenspieler beabsichtigen? Vielleicht wollte er die Trojan von der Insel weglocken, um dem Schoner Zeit zum Entkommen zu verschaffen, oder wollte er — nachdem er die Spite außer Gefecht gesetzt hatte — sich vielleicht davonstehlen und jeden weiteren Konflikt vermeiden? Vielleicht hatte er andere Befehle, sollte womöglich im Falle * 1480m der Behinderung sofort einen anderen Treffpunkt aufsuchen und dort seine Ladung löschen?
Es war unglaublich, daß Bolitho überhaupt denken konnte. Er blickte das Deck entlang, sah die Geschützführer die Hände heben, ihre Gesichter wirkten maskenhaft vor Konzentration.
Er blickte nach achtern.»Fertig, Sir!»
Wieder schob der älteste Midshipman des unteren Batteriedecks den Kopf durch die Luke und schrie:»Fertig, Sir!»
Couzens lief mit einer Meldung an Cairns auf dem Achterdeck vorbei.
Als er bei Fähnrich Huss vorbeikam, rief er:»Ihr wart diesmal die letzten!«Sie grinsten sich an, als wäre das Ganze ein ungeheurer Spaß.
Bolitho wandte sich wieder dem Feind zu. Jetzt war er näher gekommen, das Deck lag ein wenig schräg durch den Winddruck, die Reihen der Geschütze blitzten in der Sonne wie Zähne.
Bolitho wußte im Innersten seines Herzens, daß der französische Admiral dem Kommandanten der Argonaute nicht befehlen würde, abzufallen. Er würde kämpfen. Was die Welt später einmal dazu sagte, das zählte hier draußen wenig. Rechtfertigung konnten beide Seiten suchen und finden, aber der Gewinner hatte das gewichtigere Wort zu reden.
Die Bordwand des französischen Schiffes verschwand unter wirbelndem Rauch, unterbrochen nur durch orangefarbene Zungen, als es jetzt auf die Herausforderung der Trojan antwortete.
Bolitho biß die Zähne aufeinander in der Erwartung, den Rumpf beim krachenden Einschlag der Salve erbeben zu spüren. Aber nur ein paar Kugeln schlugen in den oberen Teil der Bordwand, während über ihnen die Luft zu heulendem, pfeifendem Leben erwachte, als die Kettenkugeln durch die Takelage fegten.
Er sah, wie die Schutznetze unter dem Aufprall herabstürzender Blöcke und abgerissener Takelage federten. Jetzt stürzte ein Marineinfanterist kopfüber aus dem Großmars, schlug auf dem Fallreep auf und verschwand über Bord, ohne einen einzigen Laut von sich zu geben.
Bolitho schluckte heftig. Das erste Blut! Er schaute nach achtern und sah Pears, den Blick auf den Feind gerichtet, die Hand bis auf Schulterhöhe heben, und rief rasch:»Fertig, Jungs!»
Des Kommandanten Arm fiel herab, und wieder war die Luft erfüllt vom Donner der Geschütze.»Auswischen! Laden!»
Die Seeleute, die Kommandant und Offiziere verflucht hatten, wenn sie immer und immer wieder gedrillt worden waren, führten ihre Bewegungen jetzt völlig mechanisch aus. Sie blickten nicht einmal hin, als einige ihrer Kameraden aufenterten, um in der Takelage die notwendigsten Reparaturen vorzunehmen.
Bolitho sah den großen Riß im Fockmarssegel sich rasch ausbreiten, als der Wind hineinstieß. Es war ihm klar, daß der Feind eine bestimmte Taktik verfolgte, und zwar die, den Gegner durch Zerfetzen der Takelage möglichst schnell manövrierunfähig zu schießen. Wenn das feindliche Schiff dann sein ungeschütztes Heck darbot, kam die Gelegenheit für eine mörderische Breitseite. Bei Gefechtsbereitschaft war jedes Linienschiff im Inneren von vorn bis achtern offen und ohne Trennwände, so daß eine wohlgezielte Salve durchs Heck die Batteriedecks in ein Schlachthaus verwandeln mußte.
Auch die Argonaute zeigte schon einige Spuren des Kampfes: Durchschüsse in den Segeln, ein großes, klaffendes Loch beim Backbord-Fallreep, wo zwei Kugeln zugleich getroffen hatten.
Fünf Kabellängen, eine halbe Meile also*, betrug jetzt die Entfernung zwischen ihnen, und beide Schiffe gewannen noch an Fahrt, da sie inzwischen nicht mehr unter Land waren.
Wieder die wirbelnde Rauchwand, wieder das schrille Heulen und Pfeifen der Ketten über ihnen. Es war unglaublich, daß noch keine Stenge getroffen worden war, aber das schreckliche Kreischen ließ manchem der Männer das Mark in den Knochen gerinnen.
Stockdale hielt in seinen Anstrengungen kurz inne und rief:»Wir halten den Wind, Sir, trotz der Löcher im Tuch!«Sein zerschlagenes Gesicht war rußgeschwärzt, er wirkte unerschütterlich.
«Klar zum Feuern!»
Bolitho hörte, wie Fähnrich Huss das Kommando an Dalyell unten im Deck weitergab.
«Feuer!»
Das Deck stieß, als sei das Schiff auf Grund gelaufen, dann hörte
** 926m
man lautes Jubelgeschrei, als des Gegners Großbramstenge wild schwankte, bevor sie splitternd abbrach und wie eine Lanze herabschoß.
Ein glücklicher Treffer. Niemand würde je wissen, wer ihn abgefeuert hatte.
Pears dröhnende Stimme übertönte mühelos das Poltern und Knirschen beim Laden der Geschütze.
«Gut gemacht, Trojaner! Gebt es ihnen!»
Weitere Jubelrufe wurden erstickt durch des Gegners Feuererwiderung, durch das fürchterliche Krachen von Eisen, das in die Bordwand schlug und in einige der unteren Pforten.
Bolitho fuhr zurück und fragte sich, warum der Franzose seine Taktik geändert hatte. Er hörte das fürchterliche Donnergepolter einer Kanone, die durch das untere Batteriedeck geschleudert wurde, bis sie mit lautem Knall gegen etwas Hartes prallte. Männer schrien dort unten seltsam erstickt wie gemarterte Seelen.
Die Argonaute schien sich langsam nach vorn zu schieben, als ob ihr Klüverbaum den Bugsprit der Trojan berühren wolle. Mit dem Windvorteil auf seiner Seite würde Pears möglicherweise abfallen, mehr Segel setzen und versuchen, des Gegners Heck zu kreuzen.
Schon hörte er Cairns Stimme durch das Sprachrohr:»Enter auf! Bramsegel los!»
Bolitho nickte wie in Zustimmung. Das Schiff drehte zunächst nur ein paar Strich, während die Bramsegel von den Rahen fielen und sich dann strafften.
Er beobachtete die Argonaute, seine Augen brannten vor Rauch. Zwischen ihnen lag das blaue Wasser wie eine ungeheuer große Pfeilspitze, beide Schiffe schienen demselben unsichtbaren Ziel zuzustreben, das sie am Ende zusammenbringen würde.
«Feuer!»
Die Seeleute sprangen beiseite, als ihre Kanonen wieder binnenbords schnellten, griffen halb blind vor Qualm nach den Schwämmen, um die Mündungen auszuwischen, bevor sie die nächste Ladung hineinrammten.
Bolitho merkte am Beben des Schiffsrumpfes, daß auch der Feind
wieder gefeuert hatte. Er sah einen Teil des Fallreeps wie unter den Hieben einer unsichtbaren Axt zersplittern. Ein Seemann rannte schreiend und stolpernd hinter seine Gefährten, die Hände vors Gesicht geschlagen.
Ein Marineinfanterist schob ihn an den Rand einer Luke, andere griffen zu und zogen ihn herab.
Bolitho sah Quinn würgen. Aus dem Auge des Seemannes hatte ein Holzsplitter von der Größe eines Marlspiekers geragt.
Der härtere Knall der Neunpfünder sagte ihm, daß deren Bedienung endlich auch ihre Heckgeschütze zum Einsatz bringen konnte.
Der Lärm schwoll an, als die beiden Schiffe unerbittlich aufeinander zutrieben. Holzsplitter, Bruchstücke der Takelage und ein weiterer Leichnam vermehrten das Gewirr auf den Netzen, und von unten hörte man einen Mann schreien wie ein gemartertes Tier.
Wieder ein rascher Blick nach achtern. Pears stand noch unbeweglich, mit grimmigem Gesicht, den Blick dem Feind zugewandt.
Coutts, anscheinend ungerührt von dem Kampfgetöse, einen Fuß auf einem Poller, zeigte Ackerman etwas auf dem Deck des Franzosen.
«Feuer!»
Die Kanonen schossen jetzt ungleichmäßiger, denn die Bedienungsmannschaften waren erschöpft, betäubt vom ständigen Donner der Detonationen.
Bolitho ging über das Deck, bückte sich und blickte in jede der Stückpforten, während die Männer ihre Kanonen schußfertig machten. Sie waren Vierecke verqualmten Lichts, durch die jede Mannschaft nur ein winziges Stück des Feindes sehen konnte.
Er fühlte sich unsicher auf den Beinen, sein Gang war ruckartig, als er wieder hinter die Leute zurücktrat. Sein Gesicht war gezeichnet von der Anstrengung, und er hatte das Gefühl, daß er halb grinsend, halb schielend dreinsah.
Stockdale erblickte ihn und nickte ihm zu; ein anderer Mann, es war Moffitt, winkte und rief:»Heiße Arbeit, Sir!»
Weitere schwere Einschläge krachten unten in die Bordwand, dann stieg eine schwarze Rauchsäule aus einer der Luken und löste sofort einen Chor von Alarmrufen aus. Der Schwelbrand wurde jedoch schnell unter Kontrolle gebracht, die Leute hatten so etwas oft genug geübt.
«Feuer einstellen!»
Als die Bedienungsmannschaften von ihren rauchenden Geschützen zurücktraten, empfand Bolitho die Stille fast so schmerzhaft wie den vorherigen Lärm. Der Feind hatte sich weiter vor ihren Bug geschoben, so daß sie ihn nicht mehr treffen konnten. Cairns rief:»Schickt ein paar Leute nach Backbord!«Er winkte auffordernd mit seinem Sprachrohr.»Wir feuern, wenn wir sein Heck passieren!»
Bolitho sah, wie die Unteroffiziere ein paar der benommenen Leute zur Backbordseite hinüberschoben, um den erschöpften Mannschaften dort zu helfen. Pears hatte es zeitlich gut abgepaßt. Mit einer weiteren Kursänderung und mehr Segelfläche würde die Trojan des Feindes Kielwasser kreuzen und dann eine Breitseite im Einzelfeuer in sein Heck jagen können. Selbst wenn er noch nicht entmastet war, würde ihn das so schwächen, daß er das nächste Aufeinandertreffen nicht überstehen konnte.
Er rief:»Fertig, James!«Wieder hatte er das Gefühl, als sei sein Unterkiefer in einem wilden Grinsen erstarrt.»Diesmal hast du die Ehre!»
Ein Geschützführer berührte Quinns Arm beim Vorüberhasten.»Wir werden es denen zeigen, Sir!«»An die Brassen!»
Bolitho fuhr herum, als er Cairns Stimme vom Achterdeck hörte.
Stockdale keuchte:»Der Franzmann luvt an, bei Gott!»
Bolithos Körper war zu Eis erstarrt, als er die Argonaute in den Wind schießen und mit ihren zerfetzten Segeln ein großartiges Wendemanöver ausführen sah, damit sie dem Feind wieder die Stirn bieten konnte.
Es geschah alles in Minutenschnelle, aber er fand doch Zeit für die Bewunderung dieser hervorragenden Seemannschaft. Immer weiter drehte sie, und nach dem Manöver würde sie auf dem anderen Bug liegen, während die Trojan dann noch damit zu tun hatte, ihren Fahrtüberschuß zu verringern.
«Enter auf! Bramsegel bergen!»
Masten und Spieren bebten und quietschten, als das Ruder hart übergelegt wurde; aber es dauerte alles viel zu lange.
Während die Leute wie wild wieder zu den Steuerbordgeschützen zurückliefen, sah Bolitho bereits den Feind Rauch und Feuer spe i-en, fühlte das Schiff taumeln, als eine sorgfältig gezielte und genau zum richtigen Zeitpunkt abgefeuerte Breitseite einschlug. Sie traf die Trojan vom Bug bis zum Heck. Wegen des spitzen Auftreffwinkels richteten viele Geschosse kaum Schaden an, aber andere, die in die Geschützpforten einschlugen oder nur auf so schwache Hindernisse wie Fallreepstreppen und Hängemattsnetze stießen, wirkten verheerend. Drei Geschütze wurden umgeworfen, ihre Bedienungen zerschmettert oder wie Abfall beiseite geschleudert. Bolitho hörte es krachen und splittern, als weitere Geschosse neben ihm durch die Boote fegten und einen Hagel von Splitterpfeilen auf die andere Seite schleuderten. Leute fielen oder taumelten überall, und als er einmal zufällig auf seine Beine blickte, bemerkte er, daß sie über und über blutbespritzt waren.
Ein Gewirr von Schreien ließ ihn herumfahren, und er sah die Vorbramstenge erst auf die Back und dann über Bord stürzen, verfilzte Takelage, Segel, Rahen und zwei schreiende Seeleute mit sich reißend.
Einen Augenblick außer Kontrolle geraten, drehte die Trojan wie betrunken vom Feinde weg, während die Argonaute, vom Jubel ihrer Leute begleitet, einen vollen Kreis beschrieben hatte. Dann, als sie auf Parallelkurs und ein wenig vor der Trojan lag, eröffnete sie das Feuer auch mit ihren achteren Geschützen.
Blind vor Rauch und verzweifelt versuchend, sich aus dem Gewirr von Takelage zu befreien, konnten die vorderen Geschützmannschaften der Trojan höchstens die Hälfte der Schüsse beantworten.
Bolitho fand sich auf und ab laufen und zusammenhangloses Zeug schreien, bis er vor Heiserkeit keinen Ton mehr hervorbrachte.
Um ihn herum kämpften und starben die Leute oder lagen bereits in der Starrheit des Todes.
Andere hasteten vorüber, hinter dem Bootsmann und seinen Maaten her, um mit Äxten und Beilen die Trümmer zu beseitigen, bevor sie das Schiff bewegungsunfähig machen und damit völlig dem feindlichen Feuer ausliefern konnten.
Achtern stand Pears mit steinerner Miene, beobachtete das alles, gab seine Befehle und wich keine Handbreit zur Seite, als Splitter an ihm vorbeipeitschten und weitere Leute der geduckten Geschützbedienungen zu Boden rissen.
Fähnrich Huss erschien an Deck, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Er sah Bolitho und schrie wild:»Mr. Dalyell ist gefallen, Sir! Ich… Ich kann…«Er drehte sich um die eigene Achse, das Gesicht erstaunt glotzend und dann erstarrend, als er nach vorn taumelte und zu Bolithos Füßen fiel.
Bolitho rief:»Hinunter, James, übernimm das Kommando im unteren Batteriedeck!»
Quinn aber starrte wie gebannt auf den Fähnrich. Blut strömte aus einem großen Loch in dessen Rücken, eine Hand bewegte sich noch, als wolle sie das entweichende Leben festhalten.
Ein Seemann drehte den Jungen herum und sagte:»Erledigt, Sir.»
«Hast du gehört?«Bolitho ergriff Quinn am Arm, Huss und alles andere vergessend.»Geh hinunter!»
Quinn wandte sich halb um, seine Augen weiteten sich, als noch mehr Schreie aus dem unteren Batteriedeck heraufdrangen.
Er stammelte:»Kann — kann — nicht…»
Sein Kopf fiel vornüber, und Bolitho sah Tränen über sein Gesicht rinnen, die helle Streifen durch den Ruß zogen.
Eine unbekannte Stimme knarrte:»Dann gehe ich hinunter. «Es war Ackerman, der makellose Flaggleutnant.»Ich kenne mich aus. «Er starrte Quinn an, als könne er nicht glauben, was er sah.»Der Admiral hat mich geschickt.»
Bolitho blickte nach achtern, schockiert durch Quinns Kollaps, benommen durch all den Schrecken und das Blut des Schlachtfeldes um ihn herum. Durch ziehenden Qualm und baumelndes Gewirr abgerissener Takelage trafen sich ihre Blicke. Dann winkte Coutts kurz ab und deutete ein Schulterzucken an.
Das Deck erzitterte; Bolitho wußte, der zerbrochene Mast war freigehackt.
Die Trojan luvte an und bekam den Feind wieder in Sicht, war aber fast außer Reichweite.
«Feuer!»
Die Männer sprangen zurück, griffen zu ihren Rammstöcken, zugleich fluchend und jubelnd wie irr.
Quinn stand unbeweglich noch immer an derselben Stelle, blind gegen den heulenden Eisenhagel über seinem Kopf, gegen die an Deck liegenden Verwundeten, gegen die Gefahr, die ihm drohte, als des Gegners Besanmast, schließlich auch der Großmast sich über ihren Netzen auftürmten.
Fünfzig Yards entfernt, nicht mehr, dachte Bolitho erregt. Beide Schiffe feuerten blind durch den dichten Qualm, der zwischen den Rümpfen hing wie ein Kissen, das den Zusammenprall abschwächen sollte.
Ein Seemann lief von seinem Geschütz davon, verrückt von Kampflärm und Gemetzel, und versuchte, eine Luke zu erreichen, tiefer und tiefer bis zum Kiel zu flüchten wie ein verängstigtes Tier. Ein Marineinfanterist hob sein Gewehr, um ihn niederzuschlagen, ließ es aber wieder sinken, als sei auch er überzeugt von der Sinnlosigkeit des Ganzen.
Couzens zerrte an Bolithos Ärmel, sein rundes Gesicht war entrückt, als wollte es den fürchterlichen Anblick ringsum ausschließen.
«Ja?«Bolitho hatte keine Ahnung, wie lange der Junge schon neben ihm gestanden hatte.»Was ist?»
Der Fähnrich riß seinen Blick von Huss' Leichnam los.»Der Kommandant sagt, daß der Feind versuchen wird, uns zu entern. «Während des Sprechens starrte er Quinn an.»Sie sollen das Kommando im Vorschiff übernehmen. «Dann kehrte sein alter Trotz zurück.»Ich werde bei Ihnen bleiben.»
Bolitho ergriff Couzens an der Schulter; durch den dünnen, blauen Stoff fühlte sich der Körper des Jungen glühendheiß an, als habe er Fieber.
«Holen Sie sich ein paar Leute von unten. «Als der Junge losrannte, rief er:»Langsam, Mr. Couzens. Zeigen Sie den Leuten, wie ruhig Sie sind. «Er zwang sich zu einem Lächeln.»Gleichgültig, was Sie in Wirklichkeit empfinden.»
Er wandte sich wieder den Geschützen zu, erstaunt darüber, daß er so ruhig sprach, da er doch in der nächsten Sekunde tot sein oder, noch schlimmer, festgeschnallt auf dem Operationstisch liegen konnte.
Er sah sich die Stellung der feindlichen Rahen an, sie standen so, daß die beiden Fahrzeuge zwangsläufig kollidieren mußten. Die Geschütze legten keinerlei Feuerpause ein, obwohl sie auf kürzeste Entfernung einander direkt beschossen, zum Teil sogar mit glühenden Mündungspfropfen, die beinahe ebenso gefährlich waren wie die Kugeln.
Plötzlich hörte er neue Geräusche: das ferne Knattern von Gewehrfeuer, das dumpfe Knallen von Einschlägen in Deck, Fallreep oder in den dichtgepackten Hängemattsnetzen.
Aus dem Großmars hörte er das Bellen eines Schwenkgeschützes und sah eine Gruppe Scharfschützen aus dem feindlichen Kreuzmast stürzen, von einem Kartätschenhagel beiseite gefegt wie welkes Laub.
Jetzt konnte man auf der Argonaute einzelne Gesichter erkennen, und Bolitho sah einen Unteroffizier, der einen Scharfschützen auf ihn ansetzte. Der aber wurde von einem Marineinfanteristen gefällt, als er gerade seine Muskete auf Bolitho richtete.
Er hörte Leute aus dem unteren Batteriedeck herbeieilen, hörte das Klirren von Stahl, als sie die Enterbeile, Entermesser und Piken ergriffen, die Balleine, der Bootsmannsmaat, an sie ausgab.
«Wir kollidieren Bug gegen Bug. «Bolitho hatte laut gesprochen, ohne es zu wissen.»Nicht viel Zeit. «Er zog seinen Degen und schwang ihn über dem Kopf.»Backbordbatterie, her zu mir!»
Eine einzelne Kugel krachte durch eine offene Pforte und köpfte einen Seemann, der gerade herbeieilen wollte. Der kopflose Körper stand noch einen Augenblick lang stocksteif da, als überlege er, was zu tun sei. Dann fiel er vornüber und war vergessen, als die Seeleute fluchend und Hurra rufend auf die Back stürmten und nichts anderes mehr sahen als die bereits über ihnen aufragenden fremden Segel und die roten Flammen des Gewehrfeuers.
Bolitho starrte den ragenden Klüverbaum des Feindes an, der sich jetzt durch den Rauch bohrte und über ihre Back schob, als könne nichts ihn aufhalten. Schon feuerten die ersten Franzosen von oben auf die Trojan herab oder schwangen ihre Waffen, während unter ihnen ihre wildäugige Galionsfigur grimmig und drohend auf das Getümmel herabblickte.
Mit einer heftigen Erschütterung krachten beide Schiffsrümpfe gegeneinander. Hauend, hackend und stechend schwärmten die Leute der Trojan aus, um die eindringenden Enterer zurückzuschlagen, während von achtern d'Esterres Soldaten ein wohlgezieltes, vernichtendes Feuer auf des Feindes Achterdeck legten.
Bolitho sprang über einen gefallenen Seemann und schrie:»Hier kommen sie!»
Ein französischer Enterer versuchte, über die Reling zu klettern, aber ein Schlag mit einem eisernen Belegnagel schleuderte ihn zur
Seite; fast gleichzeitig warf ihn ein Lanzenstoß über Bord zwischen die beiden Schiffe.
Bolitho sah sich plötzlich einem jungen Leutnant mit gezogenem Säbel gegenüber. Sein rechter Arm schoß hoch, die beiden Klingen kreisten trotz des wogenden Kampfes vorsichtig umeinander.
Der französische Offizier machte einen Ausfall, doch im nächsten Augenblick weiteten sich seine Augen vor Schreck, als Bolitho auswich und den gestreckten Arm des Gegners mit seinem Degen zur Seite schlug. Der Ärmel wurde aufgeschlitzt, und das Blut schoß heraus wie rote Farbe.
Einen Augenblick nur zögerte Bolitho, hieb dann aber mit voller Wucht auf den Halsansatz oberhalb des Schlüsselbeins und sah den Mann sterben, noch bevor er über Bord fiel und klatschend aufschlug.
Mehr Seeleute eilten ihm jetzt zu Hilfe, aber bei einer kurzen Blickwendung sah er Quinn noch an derselben Stelle stehen wie vorher, als sei er gelähmt.
Rauch wirbelte auf und hüllte die kämpfenden und keuchenden Männer ein. Bolitho stellte fest, daß der Wind auffrischte und die beiden Schiffe in ihrer fürchterlichen Umklammerung jetzt rascher vorwärts trieb.
Eine weitere Gestalt blockierte ihm den Weg, wieder beherrschte der Klang von Stahl alles andere.
Scharf beobachtete er das Gesicht seines Gegners, parierte distanziert, gefühllos jeden Schlag, erprobte seine Stärke und erwartete jeden Augenblick den tödlichen Stich in seinen Magen, wenn er das Gleichgewicht verlor.
Andere kämpften neben ihm: Leutnant Raye von den Marineinfanteristen, Joby Scales, der Zimmermann, einen riesigen Hammer schwingend, Varlo, der Seemann, der in der Liebe enttäuscht worden war, Dunwoody, der Müllerssohn, und natürlich Stockdale, dessen riesiges Entermesser einen fürchterlichen Blutzoll forderte.
Etwas traf Bolitho am Kopf, er fühlte Blut am Hals herabfließen, aber der Schmerz half ihm, seine Wachsamkeit zu verdoppeln, die Bewegungen des Gegners wie unbeteiligt zu beobachten.
Ein sterbender Seemann fiel stöhnend gegen seinen Gegner und lenkte ihn den Bruchteil einer Sekunde ab, aber es genügte. Bolitho sprang über den gefällten Feind, die blutige Klinge hoch erhoben, während er seine Leute um sich sammelte. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, daß seine Klinge durch Fleisch und Knochen gedrungen war, es war alles so schnell gegangen.
Jemand rutschte in einer Blutlache aus und krachte gegen seinen Rücken. Bolitho stürzte zu Boden, seinen Degen behielt er nur in der Hand, weil er am Gelenk festgebunden war.
Als er sich wieder aufrichtete, sah er mit Staunen, daß ein Streifen Wasser zwischen den Schiffen klaffte, der ständig breiter wurde. Mit zerfetzten Flaggen drifteten sie auseinander.
Auch die französischen Enterer hatten es bemerkt. Während einige rasch auf den noch über ihnen aufragenden Klüverbaum kletterten, versuchten andere, hinüberzuspringen. Die Entfernung war jedoch schon zu groß, die meisten fielen ins Wasser, zwischen die treibenden Leichen und Verwundeten.
Einige hoben die Hände, um sich zu ergeben, als aber noch ein Marineinfanterist durch einen feindlichen Schützen erschossen wurde, trieb man auch sie über die Bordwand.
Bolitho fühlte, wie die Kräfte ihn verließen; er mußte sich auf die Reling stützen. Einige Geschütze schössen noch aufs Geratewohl durch den Qualm, aber der Kampf war vorbei. Die Segel der Argo-naute wurden rundgebraßt, allmählich entfernte sie sich, das Heck jetzt dem Achterdeck der Trojan zugewandt.
Bolitho merkte, daß er auf dem Rücken lag und in den Himmel schaute, der ihm unnatürlich klar und blau und sehr weit weg schien. Seine Gedanken begannen zu driften wie der Rauch und wie die beiden schwer beschädigten Schiffe.
Ein Schatten fiel über ihn, und er erkannte verschwommen, daß Stockdale neben ihm kniete, das zerschlagene Gesicht angsterfüllt.
Bolitho versuchte, ihm zu erklären, daß alles in Ordnung sei, daß er sich nur ein wenig ausruhe. Da dröhnte eine Stimme an sein Ohr:»Tragt Mr. Bolitho sofort ins Lazarett!»
Er versuchte zu protestieren, aber die Anstrengung war zuviel für ihn; ihm wurde schwarz vor Augen.
Bolitho öffnete die Augen und blinzelte mehrmals, um klare Sicht zu bekommen. Als der Schmerz in seinen Kopf zurückkehrte, merkte er, daß er unten im Orlopdeck vor dem Lazarett lag. Im Schein der von der Decke baumelnden Lampen wirkte der sonst dunkle Raum wie ein Inferno. Er lehnte halb gegen ein Spant und spürte, wie sich der Schiffsrumpf durch eine hohe Dünung arbeitete. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er, daß der ganze Raum voller Menschen war. Einige lagen still, waren wohl schon tot, andere krochen von Schmerzen gepeinigt hin und her.
In der Mitte des Decks, direkt unter den Lampen, arbeiteten Thorndike und seine Assistenten in grimmigem Schweigen an einem bewußtlosen Seemann auf dem Tisch, während ein Gehilfe mit einem Eimer weglief, aus dem ein amputierter Arm ragte.
Bolitho betastete seinen Kopf: er war blutverkrustet und hatte eine eigroße Beule, aber sonst konnte er keine Verletzung feststellen. Er spürte, daß die Erleichterung darüber, von seiner Magengegend ausgehend, ihn wie eine Flutwelle durchströmte. Hinter seinen Augen staute sich der Schmerz und trieb ihm Tränen übers Gesicht. Als wieder eine Gestalt zum Operationstisch getragen und aus den geschwärzten Kleidern geschält wurde, fühlte Bolitho sich beschämt. Er hatte Angst gehabt vor dem, was kommen würde, aber verglichen mit dem Mann, der jetzt den Arzt anflehte, war er so gut wie unverletzt.
«Bitte, Sir!«Der Mann schluchzte so wild, daß einige der anderen Verwundeten ihren Schmerz vergaßen und aufschauten.
Thorndike kam aus einem Verschlag und wischte sich den Mund ab. Er sah aus wie ein Fremder, seine Hände und Schürze waren rot von Blut.
«Tut mir leid.»
Thorndike nickte seinem Assistenten zu, und Bolitho sah erst jetzt das zerschmetterte Bein des Verwundeten. Er erkannte, daß es ein Mann aus seiner eigenen Batterie war, dem eine umgestürzte Kanone das Bein zerquetscht hatte.
Der arme Kerl jammerte und bettelte noch immer:»Nicht mein Bein, Sir!»
Eine Flasche wurde ihm zwischen die Zähne geschoben, und als er den Kopf nach hinten fallen ließ, noch würgend an dem unverdünnten Rum, steckte man ihm einen Lederriemen zwischen die Zähne.
Bolitho sah das Messer aufblitzen und wandte sich ab. Es war grauenhaft, daß ein Mensch so leiden mußte, schreiend und fast an seinem eigenen Erbrochenen erstickend, während seine schreckerstarrten Kameraden schweigend zusahen.
Thorndike knurrte:»Zu spät. Schafft ihn an Deck. «Dann griff er wieder zur Flasche.»Der nächste!»
Neben Bolitho kniete ein Seemann, dem einige große Holzsplitter aus dem Rücken gezogen wurden. Es war der Ausgucksmann Buller.
Er zuckte vor Schmerz, sagte aber:»Ich habe heute noch mal Glück gehabt, Sir. «Das war alles, was er von sich gab, aber es sprach Bände.
«Sind Sie in Ordnung, Sir?«Das war Fähnrich Couzens.»Mich schickt der Erste Offizier. «Er wandte sich voller Schrecken um, als jemand tierisch zu schreien begann.»O Gott, Sir!»
Bolitho reichte ihm die Hand.»Helfen Sie mir auf. Ich muß hinaus. «Mühselig taumelte er auf die Füße und klammerte sich wie betrunken an des Jungen Schulter.»Das hier werde ich nie vergessen!»
Stockdale kam ihnen mit vor Sorge zerfurchtem Gesicht entgegen und duckte sich unter dem Decksbalken hindurch.»Ich übernehme ihn!»
Der Weg nach oben war ebenfalls ein Alptraum. Im unteren Batteriedeck hing noch immer Rauch und verbarg barmherzig die schlimmsten Spuren des Kampfes.
Plötzlich sah er Dalyell mit seinen zwei verbliebenen Fähnrichen Lunn und Burslem. Die drei besprachen mit den Geschützführern, was zu tun war.
Als Dalyell ihn entdeckte, kam er herübergelaufen, sein offenes Gesicht leuchtete vor Freude.
«Gott sei Dank, Dick! Ich hatte gehört, du seist tot!»
Bolitho versuchte zu lächeln, aber der Schmerz in seinem Schädel verhinderte das.
«Dasselbe habe ich von dir gehört.»
«Aye. Eine Kanone explodierte, von dem Schlag wurde ich besinnungslos. Ohne die Leute neben mir wäre ich jetzt tot. «Er schüttelte traurig den Kopf.»Der arme Huss! Er war ein braver Junge.»
Bolitho nickte nachdenklich. Mit neun Fähnrichen waren sie von England abgefahren. Einer war befördert worden, einer in Gefangenschaft geraten, und jetzt war einer gefallen. Das Fähnrichslogis würde in Zukunft ein trauriger Ort sein.
Dalyell wandte den Blick ab.»Das ist aus des Admirals Strategie geworden. Ein sehr hoher Preis für das, was wir erreicht haben.»
Bolitho setzte mit seinen beiden Helfern den Weg zum oberen Batteriedeck fort, stand dort einen Augenblick still, atmete tief die frische Luft ein und blickte zum klaren Himmel über dem verstümmelten Fockmast auf.
Weitere Verwundete wurden hinuntergetragen, und Bolitho fragte sich, wie lange Thorndike wohl noch so weitermachen konnte: schneiden, sägen, nähen, stundenlang. Ihn schauderte. Andere wurden unter die Laufplanken geschleppt, wo sie steif und namenlos darauf warteten, daß der Segelmacher und seine Maaten sie für ihre letzte Reise in Hängematten aus Segeltuch einnähen würden. Was hatte Bunce gesagt? Das Wasser war hier rund dreitausend Meter tief. Eine lange, dunkle Fahrt, aber vielleicht fanden sie dort unten Frieden.
Bolitho schüttelte sich und wand sich vor stechendem Schmerz. Wieder verschwamm alles vor seinen Augen. Das mußte aufhören.
Cairns erschien, total erschöpft.»Gut, Sie zu sehen, Dick. Ich könnte etwas Hilfe brauchen-«, er zögerte — ,»wenn Sie sich kräftig genug fühlen.»
Bolitho nickte, gerührt davon, daß Cairns, der jetzt so viel um die Ohren hatte, sich die Zeit genommen hatte, im Lazarett nach seinem Befinden fragen zu lassen.
«Es wird mir nur guttun.»
Er blickte über das aufgerissene, zersplitterte Deck, wo er noch vor kurzer Zeit gestanden hatte: umgestürzte Geschütze, große Stapel von herabgefallenem Tauwerk und zerrissenen Segeln. Männer, die sich wie Überlebende auf einem Wrack ihren Weg durch diese Trümmer bahnten. Wie konnte überhaupt jemand überlebt haben? Angesichts dieses Chaos' mußte sich das jeder fragen.
«Wie geht es James?«erkundigte sich Bolitho.
Cairns Augen blickten finster.»Der Vierte Offizier ist am Leben, glaube ich. «Er klopfte Bolitho auf die Schulter.»Ich muß weiter. Sie bleiben hier und unterstützen den Bootsmann.»
Bolitho ging zur ersten Division der Achtzehnpfünder, wo er den größten Teil des Kampfes über gestanden hatte. Er sah die Argonaute gut drei Meilen leewärts stehen. Selbst wenn sie rasch die dringendsten Reparaturen ausführten, konnten sie den Franzosen jetzt nicht mehr einholen.
Stockdale sprach für sie beide:»Immerhin haben wir sie abgeschlagen, so knapp an Leuten wir auch sind. Wir haben ihnen mit gleicher Münze heimgezahlt.»
Couzens sagte heiser:»Aber die Brigg ist entkommen.»
Des Masters hohe Gestalt erschien oben an der Querreling. Bun-ce brummte:»Los, Mr. Bolitho, an die Arbeit! Ich soll ein Schiff segeln und einen Kurs absetzen. Dafür brauche ich Segel, Brassen und Fallen, und zwar mehr, als ich hier sehe!«Seine Augen verschwanden fast unter den buschigen Brauen, als er hinzufügte:»Sie haben sich heute bewährt, soviel ich sehen konnte. «Er nickte, als habe er schon zu viel gesagt.
Den Rest des Tages arbeitete die Besatzung verbissen daran, die Trojan einigermaßen zu reparieren. Die Toten wurden bestattet, die Verwundeten so gut wie möglich versorgt. Samuel Pinhorn, der Segelmacher, legte sich noch einen beträchtlichen Vorrat an Segeltuch bereit, da er damit rechnete, daß noch mancher Verwundete sterben würde, bevor die Trojan einen Hafen erreichte.
Es war erstaunlich, daß die Leute nach alldem, was sie durchgemacht hatten, noch so wacker arbeiten konnten. Vielleicht war es gerade diese Arbeit, die sie rettete, denn kein Schiff kann ohne Segel und ständige Wartung segeln.
Ein Notmast war an Stelle der über Bord gegangenen Bram-stenge festgelascht worden; als die Seeleute hoch oben daran arbeiteten, hing das Tauwerk zu beiden Seiten herab wie Schlingpflanzen. Hammer und Säge, Teer und Farbe, Nadeln und Garn waren jetzt das wichtigste Gerät.
Das einzige, was die Leute in ihrer Arbeit innehalten und über die Reling blicken ließ, war das plötzliche Auftauchen des Schoners vom Ankerplatz der Isla San Fernardo. Die Sprite war als hoffnungsloses Wrack von der Besatzung verlassen und angezündet worden, damit der Feind sie nicht wieder instandsetzen konnte.
In einem kurzen wilden Bootsangriff hatte Cunningham den Schoner gekapert. Dies stellte den einzigen Gewinn des ganzen Unternehmens dar.
Bolitho war sich über eines klar: Die Prise, was sie auch an Informationen einbringen mochte, würde nicht imstande sein, den Schmerz in Cunninghams Herz zu stillen, den er bei der Aufgabe seines eigenen Schiffes empfunden haben mußte.
Bei Sonnenuntergang befahl Cairns Halt. Eine doppelte Ration Rum wurde an alle ausgegeben, dann kürzten sie Segel für die Nacht; auf der Trojan war man es zufrieden, sich in Ruhe seinen Wunden widmen zu können.
Bolitho wurde in die Kajüte gerufen, verspürte jedoch diesmal keine Neugier. Wie die meisten der Besatzung, so fühlte auch er sich viel zu erschöpft, um noch einer solchen Regung fähig zu sein.
Als er den Kopf unter dem Decksbalken vor der Kajüte einzog, hörte er Pears Stimme deutlich durch die beiden Türen schallen:»Ich kenne Ihren Vater, sonst hätte ich Sie sofort degradiert!»
Bolitho zögerte und fühlte, daß der Posten ihn beobachtete.
Es ging natürlich um Quinn, den armen, gebrochenen Quinn. Er sah ihn noch auf dem Batteriedeck vor sich, wie gelähmt zwischen Trümmern, Toten und Sterbenden.
Der Posten sah ihn an.»Sir?»
Bolitho nickte müde, der Posten stampfte mit seinem Gewehrkolben auf und rief:»Der Zweite Offizier, Sir!»
Die Tür öffnete sich; Teakle, der Sekretär, führte ihn hinein. Er hatte ein verbundenes Handgelenk und sah mitgenommen aus. Bolitho wunderte sich, weshalb ihm nie in den Sinn gekommen war, daß ein Schreiber genauso der Gefahr ausgesetzt war wie sie
alle.
Quinn kam, weiß wie ein Laken, aus der Kajüte. Er erkannte Bo-litho und schien etwas sagen zu wollen. Dann stürzte er jedoch an ihm vorbei und verschwand in der Dämmerung.
Pears trat ihm entgegen.»Na, nicht zu sehr angeschlagen?«Er wirkte ruhelos, erregt.
Bolitho erwiderte:»Ich hatte Glück, Sir.»
«Das hatten Sie, in der Tat. «Pears wandte sich um, als Coutts aus dem Nebenraum trat.
Der Admiral sagte:»Bei Tagesanbruch steige ich auf die Prise über, Bolitho. Ich werde nach Antigua segeln und von dort mit einer Kurierbrigg oder einer der Fregatten nach New York zurückkehren.»
Bolitho sah ihn an und versuchte zu erraten, worauf Coutts hinauswollte. Er spürte die Spannung zwischen den beiden Männern, sah die Bitterkeit wie physischen Schmerz in Pears Augen.
Coutts fuhr fort:»Die Trojan folgt mir natürlich. In Antigua kann eine volle Reparatur ausgeführt werden, bevor sie wieder zum Geschwader stößt. Ich werde dafür sorgen, daß man dort alles für sie tut und daß auch Ersatz beschafft wird für.»
Pears unterbrach ihn barsch:»Für all die armen Teufel, die heute ihr Leben lassen mußten!»
Coutts wurde rot, wandte sich aber weiterhin nur an Bolitho.
«Ich habe Sie beobachtet, Sie sind aus dem richtigen Holz geschnitzt und besitzen die Fähigkeit, Menschen zu führen.»
Bolitho sah in Pears grimmiges Gesicht und war erschüttert; es trug den Ausdruck eines Menschen, der soeben seine Verurteilung erfahren hatte.
«Danke, Sir!»
«Daher — «, das Wort hing in der feuchten Luft — ,»biete ich Ihnen ein eigenes Kommando an, sowie Sie in Antigua eintreffen. Mit mir.»
Bolitho starrte ihn an. Ihm wurde klar, was das für Pears bedeutete. Da Coutts in Antigua oder womöglich schon in New York eintreffen würde, bevor die Trojan den Hafen erreichte, hatte Pears dann niemanden außer Cairns, der für ihn aussagen konnte. Er sollte den Prügelknaben, den Sündenbock abgeben und dafür herhalten, Coutts kostspieliges Abenteuer zu decken.
Bolitho wunderte sich selbst, daß er ohne zu zögern antworten konnte. Das Angebot bedeutete schließlich die Erfüllung alles dessen, was er sich immer gewünscht hatte: die Versetzung auf ein kleineres, schnelleres Schiff wie «die Vanquisher oder eine Fregatte. Mit Coutts Protektion hätte er die besten Beförderungschancen gehabt.
«Ich danke Ihnen, Sir. «Er blickte Pears an.»Aber mein Platz ist hier unter Kapitän Pears. Ich möchte, daß es so bleibt.»
Coutts musterte ihn erstaunt.»Was für ein seltsamer Mensch Sie doch sind, Bolitho! Ihre Sentimentalität wird Ihnen eines Tages noch den Hals brechen. «Er nickte kurz und endgültig.»Guten Abend.»
Benommen stieg Bolitho die Treppe hinunter und in die Messe, die erstaunlicherweise keinerlei Spuren des Kampfes aufwies.
Cairns folgte ihm einen Augenblick später, ergriff ihn am Arm und rief den Messesteward.
«Mackenzie, Sie alter Gauner! Den besten Brandy für diesen Offizier hier!»
D'Esterre erschien mit seinem Leutnant und fragte:»Was ist denn los?»
Cairns setzte sich Bolitho gegenüber und betrachtete ihn aufmerksam.
«Was los ist, meine Herren? Ich war soeben Zeuge, wie ein schlechtberatener, aber ehrenhafter Mann sich für das Richtige entschieden hat.»
Bolitho wurde rot.»Ich — ich wußte nicht…»
Cairns nahm die Flasche, die Mackenzie ihm reichte, und lächelte traurig.
«Ich stand draußen und lauschte wie ein Schuljunge. «Er wurde plötzlich ernst.»Das war anständig von Ihnen. Obwohl Pears es Ihnen niemals danken wird, zumindest nicht mit vielen Worten. «Cairns hob sein Glas.»Aber ich kenne ihn besser als die meisten. Sie haben ihm etwas gegeben, was ihn ein bißchen entschädigen wird für das, was Coutts seinem Schiff angetan hat.»
Bolitho dachte an den Schoner irgendwo leewärts der Trojan. Morgen früh würde er sie verlassen und seine Beförderungschance mit sich nehmen.
Und er erlebte noch eine Überraschung: Es kümmerte ihn nicht mehr.