V Viele Arten von Tapferkeit

«Es wird heller, Sir. «Bolitho stand neben dem reglosen Ruder und beobachtete das Wasser rund um den vor Anker liegenden Schoner, bis seine Augen schmerzten.

Sparke grunzte, sagte aber nichts; er kaute eifrig an einem Stück Käse.

Bolitho fühlte die Spannung, noch verstärkt durch das Gurgeln des Wassers und das Knarren der Spieren. Sie lagen in einer seltsamen, sehr starken Strömung, so daß die Faithful mehrmals vorausschoß, bis die Ankerkette auf und nieder stand. Wenn der Gezeitenhub stärker war als im Handbuch angegeben, dann bestand Gefahr, daß sie sich bei Ebbe auf ihren eigenen Ankerflunken aufspießte.

Ein weiterer Unterschied zu früher war das Fehlen von Ordnung und Disziplin an Deck. Uniformen und die vertrauten blauen Jakken der Unteroffiziere waren verschwunden; die Leute lungerten in völliger Gleichgültigkeit gegenüber ihren Offizieren an der Verschanzung herum.

Lediglich die Marineinfanteristen, zusammengepfercht wie Sardinen in einer Dose, hockten noch im verschlossenen Laderaum und erwarteten das Signal, das vielleicht niemals erfolgen würde.

Sparke bemerkte beiläufig:»Selbst dieser Schoner würde schon ein feines, selbständiges Kommando abgeben, einen guten Anfang für jeden ehrgeizigen Offizier. «Er schnitt sich noch ein Stück Käse ab und fuhr dann fort:»Sie kommt zunächst zum Prisenhof, aber nachher.»

Bolitho blickte zur Seite, aber es war nur ein springender Fisch, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er mochte nicht an das Nachher denken. Für Sparke bedeutete es sicherlich Beförderung, vielleicht ein eigenes Kommando, womöglich auf diesem Schoner. Es schien sein ganzes Denken zu beherrschen.

Und warum schließlich nicht? Bolitho verdrängte seinen Neid, so gut es ging.

Wenn er selbst dem Tod oder einer schweren Verwundung entging, kehrte er bald wieder zurück in den überfüllten Rumpf der Trojan. Er dachte an Quinn, wie er ihn zum letzten Mal gesehen hatte, und fröstelte. Vielleicht war auch seine Kopfverletzung daran schuld. Er griff nach oben und berührte vorsichtig die Narbe, als erwartete er, den damaligen Schmerz zu spüren. Seither dachte er mehr an Verwundungen als vor dem Säbelhieb, und er sah auch Quinns klaffende, zerhackte Brust wieder vor sich. Die Möglichkeit einer eigenen Verwundung schien ihm jetzt nähergerückt, und mit jedem neuen Einsatz wurde dieses Gefühl stärker.

So lange man so jung war wie Couzens oder Forbes, empfand man den Anblick als genauso schrecklich, doch Schmerz und Tod schienen nur für andere da zu sein, nicht für einen selbst. Bolitho wußte es jetzt besser.

Stockdale stampfte schweren Schrittes über das Deck, die Hände auf dem Rücken, den Kopf in Gedanken gesenkt. Im langen blauen Rock wirkte er ganz wie ein Kapitän, besonders wie der eines Freibeuters.

Metall klirrte im Dunkel, und Sparke fuhr auf.»Stellen Sie den Namen dieses Mannes fest! Ich will absolute Ruhe an Bord!»

Bolitho blickte zum Großmast hinauf und suchte nach dem Wimpel. Der Wind hatte im Lauf der Nacht weiter auf beinahe rechtwe i-send Süd gedreht. Wenn die Korvette an ihrer Position vorbeigesegelt war, um mit dem ersten Morgenlicht zurückzukehren, würde sie bei diesem Wind erheblich länger benötigen.

Eine andere Gestalt stand jetzt am Ruder, ein Seemann namens Moffitt. In Devon geboren, war er als kleiner Junge mit seinem Vater nach Amerika gekommen, um sich in New Hampshire anzusiedeln. Als die Revolution sich dann allmählich als Krieg entpuppte, hatte sich Moffitts Vater auf der falschen Seite befunden. Als britischer Royalist abgestempelt, war er mit seiner Familie nach Halifax geflohen, und die hart erarbeitete Farm hatten seine neuen Feinde übernommen. Moffitt selbst, zu dieser Zeit nicht zu Hause, wurde später ergriffen und in den Dienst der Revolutionäre gepreßt, auf eines der ersten amerikanischen Schiffe, das von Newburyport auslief.

Ihre Kaperfahrten hatten nicht lange gedauert, dann wurden sie von einer britischen Fregatte gejagt und aufgebracht. Für die Besatzung bedeutete das Gefangenschaft, für Moffitt jedoch war es eine Gelegenheit, wiederum die Seite zu wechseln, auf seine Art Rache zu nehmen an denen, die seinen Vater ruiniert hatten.

Jetzt stand er am Ruder und wartete darauf, seine Rolle zu spielen.

Bolitho hörte in der Dunkelheit das herankommende Rauschen von Regen, und dann schüttete es plötzlich, Deck und Segel im Nu überschwemmend. Er versuchte, die Hände vor dem Taubwerden zu bewahren, zitterte aber am ganzen Körper, teils vor Kälte, teils infolge des angespannten Wartens. Dieser Regen würde das Hellwerden noch weiter hinauszögern, und ohne Hilfe von außen hatten sie keinerlei Möglichkeit, die Leute zu finden, die sie gefangennehmen wollten. Die Küste bestand aus kleinen und größeren Buchten, Flußmündungen, Einfahrten zu winzigen oder auch größeren Häfen; hier konnte man ein Fahrzeug bis zur Größe eines Linienschiffes mühelos verbergen, wenn man in Kauf nahm, daß es bei Niedrigwasser trockenfiel.

Aber das Land war schon zu sehen, es lag wie eine große schwarze Platte hinter der bewegten See. Allmählich würde es sich in kleine Buchten, Bäume, Hügel und dichtes Unterholz gliedern, das bisher nur Indianer oder wilde Tiere durchzogen hatten. Um dieses Dickicht herum, manchmal auch hindurch, manövrierten die beiden Armeen, schickten ihre Seouls aus und maßen sich gelegentlich in wilden Schlachten, die mit Muskete und Bajonett, Jagdmesser und Degen ausgefochten wurden.

Was Seeleute auch erdulden mußten, ihr Leben war bei weitem besser, entschied Bolitho. Sie trugen ihr Heim jeweils mit sich, es lag an ihnen, was sie daraus machten.

«Ein Boot hält auf uns zu, Sir!»

Es war Balleine, eine Hand ans Ohr gelegt, was Bolitho an die letzten Augenblicke vor dem Entern des Schoners erinnerte.

Zunächst sagte Sparke weder etwas, noch bewegte er sich, und Bolitho dachte schon, er habe nichts gehört. Dann zischte er:»Geben Sie die Parole aus: Vorsicht vor Verrat!»

Als Balleine über Deck lief, um alle zu mobilisieren, sagte Spar-ke:»Ich höre es auch.»

Es war ein gleichmäßiges Klatschen von Riemen, der laute und anstrengende Schlag gegen eine starke Strömung.

Bolitho flüsterte:»Ein kleines Boot, Sir.»

«Ja.»

Das Boot kam mit überraschender Plötzlichkeit in Sicht, gegen des Schoners Bug wie ein Stück Treibholz. Es war ein kleines, starkes Ruderboot mit flachem Kiel, ein Dory, wie es von den Fischern hier in Tidengewässern benutzt wurde. Soweit zu erkennen, waren fünf Mann an Bord.

Dann war es ebenso plötzlich verschwunden wie es aufgetaucht war, von der Strömung davongetragen, als sei es nur Einbildung gewesen.

Frowd bemerkte:»Die wollen bestimmt nicht fischen, nicht zu dieser Tageszeit.»

Überraschenderweise meinte Sparke beinahe jovial:»Sie wollten uns nur auf die Probe stellen, sehen, wer wir sind. Ein Schiff des Königs hätte sie mit Kartätschen verjagt, ebenso ein Schmuggler. Ich bin überzeugt, daß sie hier Tag und Nacht gewartet haben, und das seit Wochen, um ganz sicherzugehen. «Er zeigte grinsend die Zähne im schattigen Gesicht.»Die Burschen sollen etwas erleben, an das sie sich ihr ganzes Leben erinnern!»

Die Parole wurde längs des Decks weitergegeben, und die Seeleute entspannten sich ein wenig; sie waren von Regen und Kälte ganz steif.

Wolken fegten über den Himmel, mitunter gab ein Spalt die Farbe des nahenden Morgens frei, sonst sah man nur graues Wasser, das saftige Grün des Landes, weiße Schaumkämme und die Schlangenlinien einer starken auflandigen Strömung. Bolitho wußte aus den vergangenen zwei Jahren, daß hinter dem nächsten Kap, geschützt gegen die See, Städte, Siedlungen und einzelne Farmen lagen, die genug mit ihren eigenen Sorgen zu tun hatten und am Krieg keineswegs interessiert waren.

Bolithos Begeisterung, wieder zur See zu fahren, der Tradition seiner Ahnen gemäß, war bald getrübt worden durch bittere Erfahrungen. Viele derer, gegen die er jetzt kämpfen mußte, stammten wie er aus dem Südwesten Englands, aus Kent, aus Newcastle oder den anderen Küstenstädten, aus Schottland oder aus Wales. Sie hatten dieses neue Land gewählt, viel riskiert und sich mühsam ein neues Leben aufgebaut. Andere in höheren Stellungen, tiefverwurzelte Loyalität oder noch tieferes Mißtrauen hatten dann den Bruch herbeigeführt, so plötzlich wie ein Axthieb.

Die neue Revolutionsregierung hatte den König provoziert, das sollte ihm eigentlich genügen. Aber bei ruhiger Überlegung stieg oft der Wunsch in ihm hoch, daß die Menschen, gegen die er kämpfte, die er sterben sah, nicht in seiner Muttersprache, ja häufig in seinem eigenen Dialekt rufen oder schreien möchten.

Ein paar Möwen umkreisten aufmerksam die unruhigen Masten und ließen sich dann willig vom Wind landeinwärts zu ergiebigeren Futterplätzen tragen.

Sparke befahl:»Wechseln Sie die Ausguckposten aus und lassen

Sie einen Mann auch seewärts Ausschau halten. «In dem heller werdenden Licht wirkte er noch dünner, das nasse Hemd und die Kniehose klebten an seinem mageren Körper und glänzten wie Schlangenhaut.

Ein winziger Strahl wässerigen Sonnenlichts blinzelte vorsichtig durch die Wolken, das erste, das Bolitho seit Tagen gesehen hatte. Bald würden von Land aus die Ferngläser auf sie gerichtet sein. Er fragte:»Soll ich das Großsegel hissen lassen?»

«Ja. «Sparke nestelte an seinem Degengriff.

Die Seeleute holten keuchend Piek- und Klaufall durch. Vom Regenwasser gequollen, liefen die Trossen nur mühsam durch ihre Blöcke, bis sich das nasse Großsegel endlich lose flappend von seinem Baum erhob, und der rote Flicken im schwachen Sonnenlicht leuchtete.

Der Schoner riß und zerrte an der Ankerkette wie ein Pferd, das Zügel und Gebiß erprobt.»Boot an Steuerbord, Sir!»

Bolitho sah es, anscheinend dasselbe Dory wie vorher. Mit kräftigen Riemenschlägen wurde es durch die Strömung getrieben. Unwahrscheinlich, daß jemand an Bord die Besatzung der Faithful kannte, sonst wäre der rote Erkennungsflicken überflüssig gewesen. Der Anblick des Schoners mußte den Leuten genügen. Bolitho wußte aus seiner Kindheit, wie die Schmuggler der Cornwallküste mit der Gezeitenströmung unter Land kamen und oft nur wenige Meter vom wartenden Zollboot entfernt sich mit den Booten verständigten, häufig nur durch einen kurzen Pfiff.

Aber irgend jemand wußte genau Bescheid. Irgendwo zwischen Washingtons Armee und der wachsenden amerikanischen Flotte saßen die Verbindungsleute, zogen die unsichtbaren Drähte, arrangierten hier ein Rendezvous, knüpften dort einen Verräter auf.

Bolitho beobachtete Stockdale und war von seiner Ruhe beeindruckt, als er jetzt an die Reling ging und zum Vorschiff winkte. Im selben Augenblick schwangen zwei Seeleute ein Drehgeschütz herum.

«Zurückbleiben dort unten!«befahl der falsche Kapitän mit rauher Stimme.

Moffitt trat neben ihn und rief durch die trichterförmig gehaltenen Hände:»Was wollt ihr von uns?»

Das Boot dümpelte in der kabbeligen See, die Ruderer beugten sich über ihre Riemen, der Regen prasselte auf ihre Schultern.

Der Mann an der Pinne rief zurück:»Cap'n Tracy?»

Stockdale hob die Schultern.»Möglich!»

Sparke sagte leise:»Sie sind nicht mal sicher, seht euch diese blöden Hunde an!»

Bolitho wandte dem Land den Rücken zu, er meinte fast körpe r-lich die vielen auf sie gerichteten Ferngläser zu spüren, die einen nach dem anderen aufs Korn nahmen.

Das Boot steuerte jetzt langsam näher heran.»Wo kommt ihr her?»

Moffitt blickte Sparke an, der kurz nickte. Da schrie Moffitt:»Draußen kreuzt ein britisches Kriegsschiff! Wir warten nicht mehr lange! Habt ihr denn gar keinen Mumm?»

Frowd bemerkte:»Das genügt. Jetzt kommen sie.»

Die Erwähnung der britischen Korvette sowie Moffitts amerikanischer Tonfall hatten offensichtlich mehr bewirkt als der rote Flik-ken.

Das Dory schor längsseit, und ein Seemann machte die Fangleine fest. Stockdale blickte in das Boot hinunter und sagte dann in einem völlig ungezwungenen Tonfall, den Bolitho noch nie bei ihm gehört hatte:»Sagen Sie Ihrem Anführer, er soll an Bord kommen. Ich bin noch nicht überzeugt. «Er blickte zu den Offizieren hin, und Bo-litho nickte kurz.

Sparke zischte:»Haltet ihn auf alle Fälle von dem Neunpfünder fern!«Und dann, an Balleine gewandt:»Fangt an mit dem Öffnen der Ladeluken.»

Bolitho sah zu, wie der Mann vom Boot heraufkletterte, und stellte sich das Deck mit dessen Augen gesehen vor. Wenn jetzt etwas schiefging, dann war alles, was sie als Ausbeute vorzuweisen hatten, ein Dory und fünf Tote.

Der Fremde auf dem schwankenden Deck war stämmig, aber sehr beweglich für sein Alter. Er hatte dichtes, graues Haar und Bart, seine Kleidung war so grob zusammengenäht wie die eines Waldläufers.

Er musterte Stockdale ruhig und sagte:»Ich bin Elias Haskett. «Dann, nachdem er noch einen Schritt näher getreten war:»Sie sind nicht der Tracy, den ich kenne. «Es klang nicht herausfordernd, sondern mehr wie eine Feststellung.

Moffitt erklärte:»Dies ist Käpt'n Stockdale. Wir haben die Faithful auf Käpt'n Tracys Anweisung hin übernommen. «Er lächelte vielsagend und fuhr dann fort:»Tracy führt jetzt eine ebenso schöne Brigg wie sein Bruder.»

Elias Haskett schien überzeugt.»Wir haben euch erwartet, aber es war nicht einfach. Die Rotröcke haben ihre Wachen über das ganze Land verteilt, und das Schiff, von dem ihr gesprochen habt, kreuzt schon seit Wochen vor der Küste. «Er blickte hinüber zu den anderen, seine Augen blieben einen Moment an Sparke hängen.

Moffitt warf ein:»Fast alles neue Leute, britische Deserteure. Ihr wißt ja, wie das geht.»

«Klar. «Haskett wurde geschäftlich.»Bringt ihr gute Ladung?»

Balleine und ein paar andere hatten die Lukenpersennings abgenommen, und Haskett trat an den Süll, um hinunterzuspähen.

Bolitho sah die Szene und die Darsteller wechseln, genau wie sie es geübt hatten. Der erste Akt war zu Ende. Jetzt sah er Rowhurst, den Geschützführer, heranschlendern und sich neben Haskett stellen, die Hand auf seinem Dolch. Ein Zeichen von Mißtrauen, und Haskett war für immer stumm.

Bolitho blickte einem Seemann über die Schulter und versuchte, nicht an die Seesoldaten zu denken, die in einem hastig gezimmerten Verschlag unter dem doppelten Boden zusammengepfercht warteten. Von Deck aus schien es, als sei der Laderaum voller Pulverfässer, aber in Wirklichkeit war es nur eine einzige Schicht, und nur zwei der Fässer waren gefüllt. Jetzt brauchte lediglich einer der Soldaten zu niesen, und alles war aus.

Moffitt kletterte hinunter und bemerkte gelassen:»Ein guter Fang. Wir haben zwei vom Konvoi abgedrängt. Da unten liegen Musketen und Bajonette und auch rund tausend Schuß Neunpfün-dermunition.»

Bolitho wollte schlucken oder sich räuspern, seine Kehle war wie ausgedörrt. Moffitts Rolle klappte perfekt. Er spielte nicht, er war der pfiffige Maat eines Freibeuters, der genau wußte, was er wollte.

Haskett sagte zu Stockdale:»Ich werde das Signal heißen. Die Boote liegen dort drüben versteckt. «Er zeigte vage zum Ufer, wo ein paar Bäume mit fast bis aufs Wasser hängenden Zweigen standen. Es konnte der Eingang zu einer kleinen Bucht sein.

«Und was ist mit der britischen Korvette?«Moffitt blickte kurz zu Sparke hinüber.

«Die braucht einen halben Tag bis hierher, und ich habe dort oben ein paar gute Ausgucksposten aufgestellt, von da können sie alles übersehen.»

Bolitho staunte, als Haskett jetzt geschickt einen kleinen, roten Wimpel ansteckte und am Fockmast hißte. Er war offensichtlich kein Neuling auf See, wie er auch gekleidet sein mochte.

Plötzlich hörte er den erstaunten Ausruf eines Seemanns und sah, wie sich ein Teil des einen Baumes vom Land löste. Dann stellte er zu seiner Verwunderung fest, daß es ein plumper Kutter mit Löffelbug war, der Mast und Rah mit Zweigen und Stechginster getarnt hatte. Sein schwerer Rumpf wurde jetzt langsam, aber sicher von langen Riemen vorwärtsgetrieben. In seinem Kielwasser folgte ein Kutter gleicher Bauart. Sie schienen holländischen Ursprungs, stammten möglicherweise von deren Inseln in der Karibik.

Bolitho wußte, daß Sparke mit nur einem Fahrzeug gerechnet hatte, allenfalls mit einigen kleineren Leichtern oder Ruderbooten. Jeder dieser beiden Kutter jedoch war fast so groß wie die Faithful selbst, dazu schwer wie ein Sturmbock.

Moffitt sah Sparkes kurzes Nicken und meinte beiläufig:»Einer ist genug. Die sehen ja aus, als könnten sie ein ganzes Arsenal an Bord nehmen.»

Haskett nickte.»Stimmt, aber wir haben noch mehr vor, weiter südlich in Richtung der Chesapeake Bay. Unsere Leute haben dort vor einer Woche eine bewaffnete Brigantine geschnappt, sie sitzt auf Grund, ist aber voller Gewehre und Munition. Einer der Kutter soll ihre Ladung übernehmen, es ist genug, um eine ganze Armee damit zu bewaffnen!»

Bolitho wandte sich ab, denn es fiel ihm schwer, weiterhin Spar-kes Gesicht zu sehen. Er konnte dessen Gedanken lesen, sich dessen Angriffsplan ausmalen. Da die Korvette zu weit weg war, um helfend einzugreifen, würde er den Ruhm für sich allein beanspruchen.

Die nächsten Augenblicke waren die schlimmsten, an die Bolitho sich erinnern konnte: das langsame Heranmanövrieren der beiden schweren Kutter mit ihrer seltsamen Tarnung und ihren langen Galeerenriemen. Es mußten wohl dreißig bis vierzig Leute an Bord sein, schätzte er, einige sicherlich Seeleute, der Rest vielleicht örtliche Miliz oder einer von Washingtons Spähtrupps.

Der Wimpel an der Mastspitze der Faithful hing naß und lustlos herab, und Bolitho sah den ersten der beiden Kutter jetzt mit der Strömung ins offene Wasser triften — nur noch Minuten, und es war zu spät für ihn, Segel zu setzen und freizukommen.

Moffitt befahl:»Aufpassen da vorn, nehmt die Leinen wahr!«Wenn er nervös war, so zeigte er es zumindest nicht.

Ein Seemann rief zurück: «Aye, aye, Sir!»

Bolitho erstarrte, obwohl es schließlich zu erwarten gewesen war, daß irgendeiner früher oder später aus der Rolle fiel. Die schneidige Antwort auf Moffitts Anweisung war nicht der Ton eines Deserteurs oder eines nur notdürftig ausgebildeten Handelsschiffsmatrosen gewesen.

Haskett fuhr fluchend herum:»Ihr dreckigen Halunken!»

Der Knall einer Pistole ließ sie alle zusammenfahren; Rufe aus dem längsseits liegenden Dory mischten sich mit dem schrillen Geschrei der aufgeschreckten Seevögel, aber Bolitho starrte nur wie gebannt auf den grauhaarigen Haskett, der zur Reling taumelte, blutigen Schaum vorm Mund, während er seine Hände wie rote Krallen auf den Magen preßte.

Sparke senkte die Pistole und befahl:»Drehbassen, Feuer!»

Während die vier Schwenkgeschütze bellten und das Deck des vorderen Kutters mit heulendem Kartätschenfeuer überschütteten, rissen Rowhursts Leute die Persenning vom Neunpfünder und wuchteten ihn mit Taljen und Handspaken zur Bordwand.

Ein paar Schuß kamen vom Kutter zurück, aber der unerwartete Angriff hatte die von Sparke beabsichtigte Wirkung gebracht. Der Kartätschenhagel war zwischen die Ruderer gefahren und hatte sie niedergemäht, der bis dahin gleichmäßige Schlag der Riemen endete in einem fürchterlichen Chaos. Der Kutter, durchlöchert wie ein Sieb, trieb quer, während Rowhursts andere Männer bereits mit brennenden Lunten bei den Sechspfündern warteten, die, vorher sorgfältig mit Kartätschen geladen, ebenfalls klar zum Feuern waren.

«Feuer frei!«Bolitho zog seinen Degen und trat mitten zwischen seine Leute, als diese aus ihrer Erstarrung erwachten. Er zwang sich zur Ruhe. Eine Kugel pfiff ihm am Kopf vorbei, ein Seemann stürzte schreiend und zuckend neben dem toten Elias Haskett zu Boden.

Sparke ließ sich seine nachgeladene Pistole reichen und bemerkte wie abwesend:»Ich hoffe, Rowhursts Schießkünste sind so gut wie seine Zoten.»

Selbst der sonst so sture Rowhurst schien aus seiner Lethargie erwacht zu sein. Er sprang um den Neunpfünder herum und beobachtete zugleich, wie der zweite Kutter Großsegel und Klüver setzte. Die langen Riemen waren fallen gelassen worden und trieben mit dem Tarnmaterial in der Strömung, als der Wind jetzt die Segel blähte.

Rowhurst fluchte, weil einer seiner Leute mit einer Stirnwunde zur Seite rollte. Er schrie:»Fertig, Sir!«Dann wartete er, bis die Faithful an ihrer Kette zurückschwoite, und hielt die Lunte an des Neunpfünders Verschlußstück.

Doppelt geladen, den Rest des Rohres bis zur Mündung mit Blei-und Eisenschrott gefüllt, fuhr das Geschütz auf seiner Behelfslafette zurück wie ein wütendes Tier, dann krachte die Detonation über die See, der aufsteigende Rauch verstärkte noch die Schreckensszene. Der Mast des Kutters stürzte, ein Gewirr von Takelage und zerfetzten Segeln mit sich reißend.

«Nachladen! Feuer!»

Der Schock nach Sparkes Pistolenschuß war bei allen wilder Erregung gewichen. Dies war etwas, das sie verstanden, wofür sie ausgebildet worden waren, Tag für Tag, in ermüdendem, sich immer wiederholendem Drill.

Während die Drehbassen und die Sechspfünder ihr mörderisches Bombardement des ersten Kutters fortsetzten, feuerte Rowhursts Crew Schuß auf Schuß in den anderen, der — inzwischen entmastet — auf eine Sandbank getrieben war. Plötzlich schoß eine gewaltige Feuersäule aus seinem Heck und breitete sich rasch im Wind aus. Das regennasse Holz qualmte, bis es schließlich Feuer fing und der Kutter vom Bug bis zum Heck in Flammen stand.

Durch den Kampfeslärm hörte Bolitho D'Esterre rufen:»Los, Feldwebel Shears, lebhaft, sonst gibt es für uns nichts mehr zu tun!«D'Esterre blinzelte in den dicken Qualm, den der brennende

Kutter und Rowhursts Neunpfünder verursachten, und sagte:»Verdammt, der kommt ja gleich längsseits!»

Bolitho sah nun ebenfalls, daß der erste Kutter wie betrunken auf den Bug der Faithful zuschwankte. Auf seinem Deck waren jetzt mehr Leute zu sehen, aber auch viele, die sich nie mehr bewegen würden. Blut lief in Bächen aus den Speigatten und zeugte von der Verheerung, die Kartätschen und Kettenkugeln angerichtet hatten.

«Seesoldaten, vorwärts!»

Wie Marionetten marschierten sie zur Reling, die langen Musketen im Anschlag.

«Legt an!«Shears wartete und ignorierte die Kugeln, die an ihnen vorbeipfiffen oder klatschend ins Holz schlugen. »Feuer!»

Bolitho sah, wie die schon im Bug des Kutters klar zum Entern versammelten Leute schwankten und dann durcheinanderfielen, als die wohlgezielte Salve zwischen ihnen einschlug.

Shears zeigte keinerlei Bewegung, während er seinen Stab hochhielt und die Ladestöcke der Soldaten sich im Takt hoben und senkten.

«Richten! Feuer!»

Die Salve fiel zusammen mit der Kollision der beiden Schiffe, riß aber wiederum eine große Lücke in die Gruppe der wütend schreienden Männer, die jetzt Entermesser schwingend, an Bord kletterten oder auf die Mannschaft des Neunpfünders feuerten.

Sparke schrie:»Stoßt zu, verdammt!»

Feldwebel Shears kommandierte:»Bajonett, pflanzt auf!«Dann beobachtete er d'Esterres hocherhobenen Säbel.»Soldaten, vorwärts!»

Die Marineinfanteristen rückten gleichmäßig vor, Schulter an Schulter, eine lebende rote Mauer; sie schnitten die Enterer von den Geschützmannschaften ab, von ihrem eigenen Schiff und von jeglicher Hoffnung.

Plötzlich sah Bolitho jemanden sich geschickt unter den Bajonetten ducken und blitzschnell nach achtern laufen, ein Messer vor sich haltend wie einen Schild.

Bolitho hob seinen Degen. Als er jedoch erkannte, daß es sich um einen Knaben handelte, rief er:»Ergib dich!»

Aber der Junge lief weiter auf ihn zu, heulte dann auf vor Schmerz und Enttäuschung, als Bolitho ihm mit einem flachen

Hieb das Messer aus der Hand schlug, das in hohem Bogen an Deck fiel. Selbst dann noch versuchte er, Bolitho mit bloßen Händen anzugreifen, schluchzend und geblendet von Wut und Tränen.

Stockdale schlug ihn schließlich mit dem flachen Entermesser auf den Kopf, worauf er bewußtlos zusammenbrach.

Sparke kommandierte:»Feuer einstellen!«Dann ging er an d'Esterre vorbei und musterte die übriggebliebenen Angreifer mit kalten Blicken. Es waren nicht mehr viele. Der Rest, getötet oder verwundet von der geschlossenen Reihe der Bajonette, lag herum wie erschöpfte Statisten.

Bolitho steckte den Degen in die Scheide. Ihm war übel, und seine Narbe schmerzte.

Die Toten sind immer ohne Würde, dachte er, was auch Anlaß des Kampfes und wie groß auch der Sieg sein mag.

Sparke befahl:»Macht den Kutter fest! Mr. Libby, Sie übernehmen ihn! Balleine, lassen Sie diese Rebellen bewachen!»

Frowd kam nach achtern und meldete:»Wir haben drei Mann verloren, Sir, und zwei Verwundete, die aber mit etwas Glück durchkommen werden.»

Sparke übergab einem Seeman seine Pistole.»Da sehen Sie, Mr. Bolitho, was wir erreicht haben!»

Bolitho blickte sich um. Zuerst sah er das geschwärzte Gerippe des zweiten Kutters, völlig ausgebrannt und wild qualmend, umgeben von verstreuten Wrackteilen. Der größte Teil der Besatzung war entweder unter Rowhursts Beschuß gefallen oder von der starken Strömung fortgerissen worden. Wenige Seeleute können schwimmen, dachte er grimmig.

Längsseits und daher besser zu übersehen, bot der andere Kutter einen womöglich noch schrecklicheren Anblick: Leichen und große Blutflecken überall; Bolitho sah Fähnrich Libby mit seiner Handvoll Leute sich mühsam einen Weg über Deck bahnen, das Gesicht verzerrt im Grauen vor dem, was er noch alles erblicken würde.

Sparke bemerkte:»Rumpf und Takelage sind intakt, sehen Sie das? Zwei Prisen in einer Woche! Das wird neidische Blicke geben, wenn wir in Sandy Hook einlaufen!«Er gestikulierte wütend zu dem unglücklich dreinschauenden Libby hinüber.»Um Gottes willen, Sir, bewegen Sie sich, und werfen Sie diesen Schmutz über

Bord! Ich will in einer Stunde Anker lichten und Segel setzen, verdammt noch mal!»

Hauptmann d'Esterre sagte:»Ich schicke ein paar meiner Soldaten hinüber, um ihm zu helfen.»

Sparke starrte ihn an.»Das werden Sie nicht tun, Sir! Dieser junge Gentleman möchte Leutnant werden, und wenn die Personalknappheit in der Flotte so anhält, wird er es auch bald schaffen. Also muß er lernen, daß dazu mehr gehört als eine Uniform!«Er winkte dem Steuermannsmaaten.»Kommen Sie mit nach unten, Mr. Frowd. Ich brauche den Kurs zur Chesapeake Bay. Die genaue Position der Brigantine werde ich schon noch herausbekommen.»

Sie verschwanden beide unter Deck, und d'Esterre sagte:»Was für ein ekelerregendes, selbstgefälliges Gehabe!»

Bolitho sah die erste Leiche über Bord fliegen und träge mit der Strömung vorbeitreiben, als sei sie glücklich darüber, von all dem befreit zu sein.

Er sagte bitter:»Ich dachte, du hast dich nach Arbeit gesehnt?»

D'Esterre packte ihn an der Schulter.»Aye, Dick, ich tue meine Pflicht wie jeder andere. Aber wenn du mich einmal so hämisch und schadenfroh erlebst wie unseren energischen Zweiten Offizier, kannst du mich ruhig über den Haufen schießen.»

Der Junge, der von Stockdale bewußtlos geschlagen worden war, kam langsam wieder auf die Beine. Von einigen Seeleuten gestützt, rieb er sich den Kopf und schluchzte in sich hinein. Als er Stockda-le sah, versuchte er, nach ihm zu treten, aber Moffitt fing ihn mühelos ab und drückte ihn gegen die Bordwand.

«Er hätte dich auch umbringen können«, sagte Bolitho.

Schluchzend stieß der Junge hervor:»Wenn er's nur getan hätte! Die Briten haben meinen Vater umgebracht, als sie Norfolk brandschatzten! Ich habe geschworen, ihn zu rächen!»

Moffitt antwortete grob:»Und deine Leute haben meinen kleinen Bruder geteert und gefedert. Er wurde blind dadurch!«Er stieß den Burschen zu den wartenden Marineinfanteristen.»Damit sind wir quitt.»

Bolitho nickte Moffitt zu.»Tut mir leid. Das mit Ihrem Bruder wußte ich nicht.»

Moffitt zitterte heftig, jetzt da alles vorüber war.»Oh, es gibt noch mehr, Sir, eine ganze Menge mehr!»

Frowd erschien wieder an Deck und ging an dem schluchzenden Gefangenen vorbei.»Ich hatte gehofft, unser Tagwerk sei erst einmal geschafft, wenigstens für heute, Sir.»

Er warf einen Blick auf den längsseits liegenden Kutter, wo die Leute mit Pütz und Besen die Blutflecken von dem verschrammten und durchlöcherten Deck spülten.

«Ihr Name ist Thrush, wie ich sehe. «Sein geschultes Auge bestätigte Bolithos Vermutung:»In Holland gebaut. Und ein handliches Fahrzeug. Kann noch höher an den Wind gehen als unser Schoner.»

Midshipman Weston lungerte in der Nähe herum, sein Gesicht war so rot wie sein Haar. Während des kurzen Gefechtes hatte er wacker mitgeschrien, sich aber zurückgezogen, als die Rebellen ihren verzweifelten Angriff starteten.

Frowd fuhr besorgt fort:»Ich wollte, die Korvette würde zu uns stoßen. Mr. Sparke hat den Namen der Bucht erfahren, wo die Brigantine auf Grund sitzt. Ich kenne die Gegend, wenn auch nicht sehr gut.»

«Wie hat er das herausgekriegt?»

Frowd trat an die Reling und spuckte über Bord.»Mit Geld, Sir. In jeder Crew gibt es einen Verräter, wenn der Lohn hoch genug ist.»

Doch Bolitho fühlte sich erleichtert. Er hatte befürchtet, daß Sparke in seinem übertriebenen Eifer rauhere Methoden angewendet hatte. Sein Gesicht, als er Elias Haskett erschoß, war nahezu unmenschlich gewesen.

Wieviele würden sich noch als Sparkes entpuppen? überlegte er.

Bei stetigem Wind begannen sowohl der Schoner als auch der Kutter, Segel zu setzen und sich ihren Weg aus den Sandbänken zu suchen, während die Rauchwolke des ausgebrannten Wracks ihnen wie ein böses Zeichen folgte.

Verkohlte Trümmer und starre Leichen wurden von den beiden Schiffen beiseite geschoben, als diese nun mit vollen Segeln aus der Bucht steuerten.

Sparke kam an Deck und beobachtete durchs Glas, wie Fähnrich Libby, tatkräftig unterstützt von Balleine und ein paar Seeleuten, auf der Thrush zurechtkam.»Setzen Sie unsere eigene Flagge, Mr. Bolitho, und sehen Sie zu, daß Mr. Libby unserem Beispiel folgt.»

Später, als beide Fahrzeuge dichtauf durch die kabbelige See stampften, spürte Bolitho das tiefere Wasser unter dem Kiel und war — nicht zum ersten Male — froh, endlich das Land hinter sich zu lassen und wieder auf offener See zu sein.

Von dem Treffpunkt, wo sie ihren blutigen Sieg errungen hatten, bis zu der kleinen Bucht nördlich von Cape Charles, das bei der Einfahrt in die Chesapeake Bay als Ansteuerungspunkt diente, waren es etwa hundert Seemeilen.

Sparke hatte auf günstigeren Wind gehofft, wurde jedoch enttäuscht, denn er frischte mehr und mehr auf und wehte genau daher, wo sie hinwollten.

Beide Schiffe kreuzten in Sichtweite voneinander, aber jede ersegelte Distanz brachte ihnen bestenfalls ein Viertel der Strecke in der gewünschten Richtung ein.

Sooft Sparke auch an Deck kam, er verriet keinerlei Ärger oder Ungeduld. Stets jedoch betrachtete er die Thrush durch sein Glas und warf dann einen Blick nach oben auf die am Mast wehende Flagge. Bolitho hatte bereits die Leute flüstern gehört, Sparke habe sich selbst zum Admiral seines eigenen Geschwaders ernannt.

Das Wetter und die ständigen Anstrengungen des Kreuzens hatten Spannung und Bitterkeit aus Bolithos Gedanken weitgehend verscheucht. Schließlich war das Ganze ein großer Erfolg gewesen, das ließ sich nicht leugnen: ein Schiff gekapert, ein anderes zerstört, der größte Teil der feindlichen Kräfte vernichtet. Wären die Pläne fehlgeschlagen und sie selbst in eine Falle gegangen, so hätte ihnen der Feind sicherlich ebensowenig Erbarmen gezeigt. Sobald erst einmal beide Kutterbesatzungen an Bord des Schoners gewesen wären, hätten sie Sparkes Widerstand mit ihrer Übermacht gebrochen, bevor der Neunpfünder den Kampf zu ihren Gunsten hätte wenden können.

Es dauerte drei Tage, bis sie das vermutliche Versteck der Brigantine erreichten. Die zerklüftete Küste, die sich südwärts bis zum Eingang der Chesapeake Bay erstreckte, war womöglich noch tük-kischer als das Gebiet, das sie gerade verlassen hatten. Manches Küstenschiff und mancher Tiefwassersegler waren dort gestrandet bei dem Versuch, trotz unsichtigen Wetters die enge Einfahrt zu finden. Einmal in der Bucht, war Raum genug für eine ganze Flotte, aber die Einfahrt war schwierig, wie Bunce oft genug verkündet hatte.

Wieder einmal war der düstere Moffitt derjenige, der sich erbot, an Land zu gehen und die Gegend zu erkunden.

Das Beiboot der Faithful hatte ihn in die Bucht gebracht, während beide Schiffe so dicht wie möglich unter Land vor Anker lagen. Die Wachen waren verstärkt worden und auf jeden nächtlichen Überraschungsangriff gefaßt.

Bolitho hatte fast erwartet, daß Moffitt nicht mehr zurückkehren, sondern sich mit seiner Familie treffen und an Land bleiben würde, da er bereits genug für die Engländer getan hatte.

Aber fünf Stunden nachdem das Boot ihn in einer kleinen Bucht abgesetzt hatte und vor dem Strand auf seine Rückkehr wartete, erschien er am Ufer und watete durch die Brandung, voll Eifer, seine Meldung zu erstatten.

Es war kein Gerücht: Die Brigantine lag tatsächlich in der nächsten Bucht auf Strand, genau wie Sparkes Informant berichtet hatte. Moffitt wußte sogar ihren Namen, sie hieß Minstrel, und er hielt sie für so schwer beschädigt, daß nicht einmal erfahrene Bergungsmannschaften sie wieder flottmachen konnten.

Er hatte in der Nähe einige Lichter gesehen und wäre fast über einen schlafenden Wachtposten gestolpert.

Sparke äußerte anerkennend:»Ich werde dafür sorgen, daß Ihre Leistung belohnt wird, Moffitt. «Mit bewegter Stimme fügte er hinzu:»Das ist die Tapferkeit, die unser Land groß erhalten wird.»

Er ließ Moffitt ein großes Glas Rum reichen und rief dann seine Offiziere sowie die älteren Unteroffiziere zusammen. In der winzigen Kajüte des Schoners war kaum genug Platz zum Atmen, aber sie vergaßen alle Unbequemlichkeit, als Sparke barschen Tones sagte:»Angriff im Morgengrauen! Wir nehmen unser eigenes Boot und das der Thrush. Alles klar?«Er blickte fragend in die Runde.»D'Esterre, Sie werden mit Ihrer Truppe noch im Schutz der Dunkelheit landen und oberhalb der Bucht Stellung beziehen. Dort bleiben Sie als Flanken- und notfalls als Rückendeckung, wenn etwas schiefgehen sollte.»

Sparke blickte auf die grobe Skizze nieder, die Moffitt für ihn angefertigt hatte.

«Ich führe natürlich das erste Boot, Mr. Libby folgt mit dem zweiten. «Er musterte Bolitho.»Sie übernehmen das Kommando auf der Thrush, segeln Sie in die Bucht und nehmen die Ladung der

Brigantine an Bord, sobald ich jeden Widerstand gebrochen habe, den wir dort möglicherweise antreffen. Die Seesoldaten rücken hangabwärts und unterstützen uns von der Landseite her. «Er klatschte in die Hände.»Alles klar?»

D'Esterre sagte:»Ich würde mich jetzt gern entschuldigen und meine Leute vorbereiten, Sir.»

«Ja, ich brauche die Boote bald. «Er blickte Bolitho an.»Sie wollten etwas sagen?»

«Hundert Meilen in drei Tagen, Sir, und ein weiterer halber Tag bis zum Morgen. Ich bezweifle, daß wir sie überraschen können.»

«Sie wollen es doch hoffentlich nicht Mr. Frowd nachtun? Eine echte Kassandra!»

Bolitho schwieg. Es war sinnlos, mit Sparke zu argumentieren; mit den Infanteristen als Rückendeckung konnten sie sich andererseits jederzeit zurückziehen, wenn sich das Ganze als Falle erweisen sollte.

Sparke sagte abschließend:»Also ist alles klar. Gut. Mr. Frowd wird während unserer Abwesenheit hier das Kommando übernehmen, und der Neunpfünder ist mehr als ausreichend, um etwaige wirrköpfige Angreifer abzuschlagen!»

Fähnrich Weston leckte sich die trocken gewordenen Lippen; auf seiner Stirn glitzerten Schweißperlen.»Und was soll ich tun, Sir?»

Sparke lächelte dünn.»Sie gehen mit dem Vierten Offizier. Tun Sie, was er sagt, werden Sie etwas lernen. Tun Sie nicht, was er sagt, so könnten Sie tot sein, bevor Sie Gelegenheit haben, sich weiter den Wanst vollzuschlagen!»

Sie stiegen an Deck, über dem ein paar blasse Sterne zu ihrer Begrüßung erschienen waren.

Moffitt meldete sich bei Hauptmann d'Esterre.»Ich bin bereit, Sir, Ihnen den Weg zu zeigen.»

Der Hauptmann nickte.»Sie gieren ja geradezu nach Strapazen. Aber führen Sie uns, in Gottes Namen.»

Die Boote füllten sich bereits mit Marineinfanteristen. Beide würden für die nächste Zeit in ständigem Einsatz sein, somit stand der Faithful nur das gekaperte Dory zur Verfügung.

Stockdale wartete an der Reling, seine weißen Hosenbeine flatterten im Wind wie kleine Segel. Er krächzte:»Ich bin froh, daß Sie diesmal nicht mitgehen, Sir.»

Bolitho fuhr zusammen.»Warum sagen Sie das?»

«Eine Ahnung, Sir, nur so eine Ahnung. Mir wird erst wohler, wenn wir hier weg sind, wieder auf See bei der richtigen Marine.»

Nachdenklich sah Bolitho zu, wie die Boote ablegten, in denen die Kreuzgurte der Soldaten weiß über dem dunklen Wasser aufleuchteten.

Das Dumme war, daß Stockdales» Ahnungen«, wie er sie nannte, sich hinterher meist als wahr erwiesen.

Bolitho schritt ruhelos um die Ruderpinne der Thrush herum und war sich der Stille bewußt, der Spannung, die über beiden Schiffen lag.

Der Wind kam zwar noch aus derselben Richtung, wurde aber von Minute zu Minute schwächer, wärmere Luft löste die Kälte der Nacht ab, hin und wieder drang sogar ein Sonnenstrahl durch die Wolken.

Er richtete sein Glas auf den nächstgelegenen Hang und sah zwei winzige, scharlachrote Figuren zwischen dem verfilzten Stechginster. D'Esterres Seesoldaten befanden sich also in Position, Wachen waren aufgestellt. Sie mußten von dort gute Sicht auf den kleinen Strand haben, von dem vom Deck der Thrush aus nichts zu sehen war als umgestürzte, vermodernde Baumstämme und die Wirbel einer starken Strömung zwischen Felsen.

Bolitho hörte, wie Midshipman Weston mit einigen Seeleuten die brauchbaren Riemen aus der Menge der zerschossenen heraussuchte. Dann hörte er ihn würgen, vermutlich war er auf irgendwelche grauenvollen Überreste gestoßen, die Libbys Leute übersehen hatten.

Stockdale gesellte sich zu ihm, das Gesicht schwarz von Schmutz und Bartstoppeln.

«Sollten jetzt eigentlich angekommen sein, Sir. Aber es ist kein Schuß noch sonstwas zu hören.»

Bolitho nickte. Es bedrückte ihn, daß der Wind immer mehr abflaute und rasche Manöver unmöglich machte. Wenn sie schnell weg mußten, konnten sie sich nur auf die Riemen verlassen, und je mehr Zeit dabei verstrich, desto größer war die Erfolgschance der Angreifer.

Er verfluchte Sparkes Eifer, seine starrsinnige Entschlossenheit, alles allein zu machen. Jeden Augenblick konnte eine Fregatte vorbeikommen, die ihnen beim Entladen hätte helfen können, nur hätte er dann den Ruhm des Sieges teilen müssen.

Schließlich befahl Bolitho:»Macht das Dory klar, ich fahre hinüber. «Er deutete auf die beiden roten Tupfen am Hang.»Es ist kein Risiko dabei.»

Fähnrich Weston stapfte über das Deck, seine plumpen Füße verfingen sich in den hochstehenden Splittern der zerschossenen Planken.

Bolitho befahl ihm:»Sie übernehmen hier das Kommando. «Beinahe konnte er Westons Angst riechen.»Ich bleibe die ganze Zeit in Sichtweite.»

Stockdale und zwei Seeleute waren bereits in das Dory geklettert, froh darüber, etwas tun zu können oder der Stätte des kürzlichen Gemetzels zu entfliehen.

Als Bolitho den winzigen Sandstrand betrat, der kaum größer war als das Boot, tat es ihm gut, die Pflanzen zu riechen, die Vögel und sonstiges kleines Getier zu hören. Es war Balsam nach so langer

Zeit.

Plötzlich rief ein Seemann:»Dort, Sir! Mr. Libbys Boot!«Bolitho sah des Fähnrichs Kopf und Schulter, bevor er noch das Klatschen der Riemen hörte.»Hierher!»

Libby winkte mit seinem Hut, ein Grinsen der Erleichterung trat auf sein gebräuntes Gesicht.

Er rief:»Mr. Sparke läßt Ihnen sagen, Sie sollen den Kutter herbringen, Sir! Es sind keinerlei Feinde am Ufer, er meint, sie seien alle geflohen, als sie die Schiffe sahen!»

Bolitho fragte:»Was macht er jetzt?»

«Er geht gerade an Bord der Brigantine, Sir. Ein hübsches kleines Schiff, aber durchlöchert wie ein Sieb.»

Sparke wollte wahrscheinlich überprüfen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gab, sie samt Ladung seinem Geschwader einzuverleiben.

Füße rutschten den Abhang hinab. Bolitho fuhr herum und sah Moffitt, gefolgt von einem Marineinfanteristen, stolpernd und strauchelnd auf ihn zustürzen.

«Was ist los, Moffitt?«Die Angst starrte dem Mann aus dem Gesicht.»Sir!«Er bekam die Worte kaum heraus.»Wir haben versucht, Mr. Sparke ein Zeichen zu geben, aber er hat uns nicht gesehen. «Er gestikulierte wild.»Diese Teufel haben eine Zündschnur angesteckt, ich kann den Rauch sehen! Sie wollen die Brigantine in die Luft sprengen, müssen uns erwartet haben!»

Libby blickte voll Entsetzen hinüber.»Klar bei Riemen! Wir fahren zurück!»

Bolitho rannte ins Wasser, um ihn zurückzuhalten, aber während er noch sprach, schienen Himmel und Erde in einer einzigen, ungeheuren Detonation auseinanderzubersten.

Die Leute im Boot duckten sich und hielten den Atem an, während rings um sie Bruchstücke von Planken und Takelage herunterprasselten und sich die Wasserfläche mit großen und kleinen Geysiren schmückte. Dann kam der gewaltige Rauchpilz, der die ganze Bucht füllte, bis das Sonnenlicht völlig verdunkelt war.

Bolitho tastete sich zum Dory; seine Ohren, sein ganzer Kopf dröhnten von dem betäubenden Lärm der Detonation.

Marineinfanteristen stolperten den Hang hinab und warteten, bis Libbys Leute sich so weit gefangen hatten, daß sie imstande waren, das Boot zu der kleinen Bucht zu rudern.

Aber alles, was Bolitho sehen konnte, war Sparkes Gesicht, als er seinen letzten Plan erklärt hatte. Auch er hatte eine Art von Tapferkeit besessen. Aber ihn hatte sie nicht erhalten.

Bolitho nahm sich zusammen, als d'Esterre und sein Feldwebel mit zwei Schützen auf ihn zukamen. Er meinte Sparkes scharfe Stimme an Bord des Schoners zu hören, als der Schock nach dem Kampf sie zu lahmen begonnen hatte: «Sie blicken auf uns, also wollen wir unser Mitleid für später aufheben.»

Es hätte seine Grabinschrift sein können.

Bolitho sagte heiser:»Die Soldaten sollen so rasch wie möglich übersetzen. «Dann wandte er sich von dem beizenden Gestank nach brennendem Holz und Teer ab.»Wir lichten sofort Anker.»

D'Esterre betrachtete ihn seltsam.»Ein paar Minuten später, und es hätte Libbys Boot sein können. Oder deines!»

Bolitho begegnete seinem Blick:»Wir werden wahrscheinlich nicht viel Zeit haben; also wollen wir uns beeilen, ja?»

D'Esterre beobachtete, wie die letzte Gruppe seiner Soldaten antrat, um auf die Rückkehr des Bootes zu warten. Er sah Bolitho und Stockdale aus dem Dory an Bord der Faithful klettern, sah, wie

Frowd über das Deck zu ihnen hinlief.

D'Esterre war schon in zu vielen Gefechten der verschiedensten Art gewesen, um längere Zeit von dem Geschehen beeindruckt zu sein. Aber diesmal war es anders. Er dachte an Bolithos Gesicht unter dem dunklen Haar, als er seine ganze Kraft zusammennahm, um seine Gefühle zu verbergen.

An Dienstjahren mochte Bolitho jünger sein, aber d'Esterre hatte in diesem Augenblick gefühlt, daß er seinem neuen Vorgesetzten gegenüberstand.

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