XVII Die Besten von allen

Bolitho wartete, bis das Schiff einigermaßen still lag, und richtete dann sein Teleskop auf die andere Brigg. Er sah ihre Bram- und Marssegel, die sich klar gegen den blauen Himmel abhoben, aber der untere Teil des Schiffes verschwamm im Dunst.

Wenn es die Revenge war, die alte Mischief, würde ihr Kapitän die White Hills sofort erkennen, sobald sie in entsprechender Entfernung war. Möglicherweise hatte er sie schon erkannt. Den Kurs zu ändern und vor den Wind zu gehen, würde ihm rascher verraten, was sich ereignet hatte, als wenn man es darauf ankommen ließe.

Bolitho blickte hinauf zum Wimpel. Der Wind hatte um einen weiteren Strich geschralt. Die Versuchung, abzudrehen, war groß. Aber ein Entkommen war bei den häufigen Kursänderungen trotzdem nicht möglich, denn die andere Brigg konnte sie bald einholen. Mit ihrer kleinen Prisencrew hatten sie keine Aussicht, die Manöver so rasch und exakt auszuführen wie die andere, wahrscheinlich vollzählige Besatzung.

Er sagte:»Fallen Sie einen Strich ab, Stockdale.»

Aus dem Mast hörte er Quinns Stimme:»Ich kann sie jetzt genau erkennen! Es ist die alte Mischief. Da bin ich ganz sicher!»

Frowd fluchte:»Verdammter Mist! Wir würden ihr besser die Hacken zeigen!»

Stockdale meldete vom Ruder:»Nordost zu Ost liegt an, Sir!»

Bolitho rief durch die hohlen Hände:»An die Brassen! Buller, mehr Leute an die Luvbrassen!»

Er paßte genau auf, wie die Rahen langsam herausschwangen, so daß sich jedes Segel bis an den Rand seiner Kapazität füllte. Die Kursänderung war jedoch zu geringfügig, um den Anschein einer Flucht zu erwecken.

Couzens kam nach achtern gerannt, die Hände schmutzig, das Hemd an mehreren Stellen zerrissen.

«Schiri ist klar zum Gefecht, Sir, alle Geschütze sind geladen!»

Bolitho lächelte dünn. Alle Geschütze, das bedeutete kümmerliche acht Sechspfünder. Die White Hüls war für vierzehn Kanonen und für ein paar Schwenkgeschütze konstruiert, aber all diese Waffen waren wohl mit der Yawl auf den Grund des Meeres gesunken. Acht Geschütze, also lediglich vier auf jeder Seite. Der Versuch, alle Kanonen auf eine Seite zu bringen, würde zweifellos von der anderen Brigg bemerkt werden. Ihre Größe nahm überraschend schnell zu, und Bolitho sah das Sonnenlicht von Metall oder vielleicht auch von verschiedenen Ferngläsern reflektieren.

Sie steuerte einen konvergierenden Kurs mit der White Hills und lag jetzt mit dieser auf gleicher Höhe.

Ihr Kapitän kannte Tracy persönlich, sie mußten sich also bis zum Einbruch der Dunkelheit weit genug entfernt halten und sich irgendeinen Trick ausdenken, um Tracys Abwesenheit glaubhaft erscheinen zu lassen.

«Land in Lee, Sir!«Der Ausguck hatte die Augen offengehalten, während Quinn ausschließlich die Brigg beobachtete.

Bolitho sah Frowds Verzweiflung. Das Land war höchstwahrscheinlich eine oder mehrere der kleinen Inseln, die nach dem Passieren von Nevis ihren Kurs säumen sollten, fünfzig Meilen lang bis Antigua. So nah lag das Land, und doch so fern.

«Die Brigg ändert Kurs, Sir!«Dann noch ein Ruf:»Sie hat ihre Flagge gesetzt!»

Bolitho nickte grimmig.»Heißen Sie die gleiche Flagge, Mr. Couzens!«Er sah, wie die Flagge mit den roten und weißen Streifen an der Gaffel hochging und dann auswehte.

Frowd richtete sich mühsam auf.»Es ist zwecklos, verdammt! Sie schließt immer dichter auf und hat außerdem noch den Windvorteil.»

«Vielleicht wollen sie mit uns sprechen und feststellen, ob wir die Geschütze und Munition an Bord haben. Vielleicht sollten die beiden sich hier irgendwo treffen. «Bolitho dachte laut und sah Frowd zustimmend nicken.

Stockdale zog Couzens am Ärmel.»Halten Sie auch unsere Flagge bereit, Mr. Couzens. Ich kann mir nicht vorstellen, daß unser Kommandant unter falscher Flagge kämpfen will.»

Frowd knurrte verzweifelt:»Wie könnten wir kämpfen, Sie Narr! Diese Kaperschiffe sind immer bis ans Schanzkleid bewaffnet! Sie müssen einen Feind so schnell wie möglich besiegen, bevor er

Hilfe bekommt und sie vertreibt. «Er stöhnte:»Kämpfen? Sie müssen verrückt sein!»

Bolitho hatte sich jetzt entschieden.»Wir beginnen mit Segelkürzen, als ob wir mit ihnen sprechen wollten. Wenn wir nahe genug herankommen, ohne ihren Argwohn zu erregen, beharken wir ihr Achterdeck und erledigen so viele von ihren Offizieren wie möglich. Dann machen wir, daß wir wegkommen.»

Stockdale nickte.»Später können wir zwei Geschütze nach achtern schaffen, Sir. Eine Hecksalve ist besser als gar nichts.»

Bolitho stand ganz still, um in Ruhe zu überlegen. Er hatte keine andere Wahl, und auch dies war kein Ausweg. Aber es gab nur entweder einen raschen, tollkühnen Überraschungsangriff oder Übergabe.

«Gei auf Großsegel!»

Bolitho sah die paar überzähligen Leute aufentern, um das Großsegel zu bergen. Der andere Kapitän würde die geringe Besatzungszahl sehen und wohl daraus folgern, daß sie in einem Gefecht gewesen waren. Das klaffende Loch in der Bordwand, das vom Achtzehnpfünder der Trojan herrührte, sprach ebenfalls eine deutliche Sprache.

Er richtete sein Glas auf das andere Schiff, ohne sich um das Fluchen seiner Leute zu kümmern, die auf der Großrah mit dem störrischen Segeltuch kämpften. Frowd hatte recht, sie war schwer bewaffnet, und es wimmelte an Deck von Leuten.

Er überlegte, was wohl mit ihrem ursprünglichen Kommandanten geschehen war, nachdem die Freibeuter sie gekapert hatten. Vierzehn Kanonen und eine entschlossene Besatzung machten sie zu einem beachtlichen Gegner. Bolitho sah ihr Deck, als sie jetzt stark überholte. Die Geschütze auf der abgewandten Seite waren alle unbesetzt, auf der ihm zugekehrten Seite ragten ein paar Köpfe über die geschlossenen Geschützpforten, jedoch waren die Kanonen wohl geladen und schußbereit.

Moffitt kam über das Deck und sagte:»Sie werden mich brauchen, Sir, ich weiß schon, wie ich mit diesen Halunken sprechen muß!»

«Ja, halten Sie sich bereit.»

Er studierte ihre Segelstellung, ihre schäumende Bugwelle, als sie jetzt noch näher kam. Ihre Rahen schwangen so rasch und exakt herum wie bei einem Modell, das von einer einzigen Hand bedient wird.

Eine halbe Meile, nicht mehr.

Er wandte den Blick von der Brigg ab und binnenbords seinen eigenen Leuten zu, die sich aufgeregt und mit lebhaften Gesten unterhielten; selbst die Verwundeten reckten den Hals, um über die Reling zu sehen.

«Kommen Sie herunter, Mr. Quinn!«Er rief Stockdale und Buller zu:»Paßt auf, daß die Leute ihre Waffen nicht sehen lassen. Sobald ich das Kommando gebe, fahrt ihr diese vier Geschütze so schnell aus und feuert, was ihr könnt. Wenn es uns gelingt, ihre Offiziere zu dezimieren, werden wir die Verwirrung ausnutzen und zu verschwinden versuchen.»

Quinn erschien atemlos neben ihm, den Blick auf den Gegner gerichtet.

«Denkst du, sie werden uns angreifen?»

«Nein. «Bolitho verschränkte die Arme und hoffte, daß er jenseits des glitzernden Wasserstreifens so entspannt wirkte, wie er sich den Anschein gab, in Wirklichkeit aber keineswegs fühlte.»Sie hätten sonst schon längst gefeuert, sie haben alle Vorteile auf ihrer Seite.»

Wenn der Wind jetzt drehte. Er schloß diese Möglichkeit aus, fixierte die Segel und den Wimpel an der Mastspitze. Es blies frisch und gleichmäßig aus Nordwest. Die Rahen standen richtig, an Backbord bei fast halbem Wind angebraßt. Wenn sie nur den Argwohn des anderen Kommandanten weiterhin zerstreuen und ihn bis zur Dunkelheit hinhalten konnten, dann schafften sie es vielleicht, ihn im Lauf der Nacht abzuschütteln und zwischen den Inseln zu verschwinden.

Selbst wenn der feindliche Kapitän sie dann nach Tagesanbruch wiederfand, konnten sie ihm möglicherweise in dem engen Fahrwasser zwischen Nevis und St. Christophers entkommen oder ihn gar auf Grund locken.

Ihr einziger Verbündeter in dieser gefährlichen Lage war der Wind. Beide Schiffe hatten den größten Teil ihrer Segel noch stehen, so konnte jeder von ihnen ohne Schwierigkeit wenden oder halsen, wenn es erforderlich werden sollte.

Stockdale bemerkte:»Sie muß beinahe Südost steuern, Sir, mit achterlichem Wind.»

Bolitho nickte. Er wußte, daß Stockdale ihm helfen wollte, und wenn es auch nur durch einen solchen Kommentar war.

Der Abstand hatte sich jetzt auf eine Viertelmeile verringert, man sah deutlich die beobachtenden Gestalten auf dem anderen Schiff.

«Wenn der Kapitän uns anruft, Moffitt, sagen Sie ihm, daß Tracy nach einem Gefecht mit den Briten schwer verwundet ist. «Er sah, wie Moffitt die Lippen zusammenkniff.»Es ist keine Lüge, also machen Sie's so glaubhaft wie möglich, klar?»

Moffitt entgegnete kalt:»Ich werde denen die Wahrheit geigen, Sir, aber nur die halbe, und wenn sie uns entern sollten, werde ich dafür sorgen, daß Tracy sich nicht wieder erholt!»

In Luv krochen die Seeleute auf allen vieren wie seltsame Anbeter um die vier Kanonen herum. Sie schafften weitere Munition und Pulver dorthin. Ein stattlicher Zweidecker wie die Trojan hätte ihre Schüsse kaum gespürt, aber eine gutsitzende Salve quer über das Achterdeck der Brigg konnte allerhand Schaden anrichten. Zeit, Zeit, Zeit. Es war wie der Schlag eines Hammers auf den Amboß.

Zwei Schatten bewegten sich auf der Bordwand der Revenge, und Bolitho hörte erregtes Gemurmel von einem Verwundeten. Die Revenge hatte zwei ihrer Geschützpforten geöffnet, und beim genauen Hinsehen entdeckte er zwei schwarze Rohre, die rasch ins Sonnenlicht vorstießen.

Frowd murmelte unsicher:»Der Halunke weiß Bescheid!»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Ich glaube nicht. Wenn er mit einem Feind rechnete, würde er die gesamte Breitseite ausfahren und wahrscheinlich versuchen, unser Heck zu kreuzen. «Wieder war es, als teile er seine Gedanken mit allen rings um ihn her.»Er wird uns die ganze Zeit ebenso beobachtet haben wie wir ihn. Tracys Abwesenheit wird schon bemerkt worden sein. Wenn der Kapitän der Revenge erst vor kurzem ernannt worden ist, wird er zögern, etwas zu unternehmen, andererseits aber vor seinen Leuten keine Unsicherheit zeigen wollen. Der Nachfolger eines Mannes wie Tracy hat es bestimmt nicht leicht.»

Er sah, wie einige seiner Seeleute sich ansahen, als suchten sie beim anderen Unterstützung, neue Hoffnung.

Der Kapitän der Revenge war möglicherweise noch erfahrener als

Tracy. In diesem Augenblick hielt er vielleicht nur Kurs, um gleich aus den ebenfalls geladenen und schußfertigen anderen Geschützen eine fürchterliche Breitseite in die White Hills zu feuern.

Moffitt ergriff das Sprachrohr und kletterte lässig in die Luvwanten. Es war noch viel zu früh, konnte aber dazu beitragen, einen eventuell keimenden Verdacht beim Gegner zu zerstreuen.

Wenn nicht, dann würde auf diesem Deck in spätestens fünfzehn Minuten der Kampf toben.

Bolitho sagte beiläufig:»Tragt Mr. Frowd und die anderen Verwundeten nach unten. Wenn wir von Bord müssen, steht das achtere Boot zu ihrer ausschließlichen Verfügung.»

Frowd fuhr auf seinem Lukendeckel wie ein wütender Terrier herum.

«Verdammt, ich will nicht sterben wie ein krankes Weib!«Er verzog das Gesicht, als der Schmerz der heftigen Bewegung ihn durchfuhr, und sprach dann in gemäßigterem Ton weiter:»Ich wollte nicht undiszipliniert sein, Sir, aber versuchen Sie, meinen Standpunkt zu verstehen.»

«Und der wäre?»

Frowd schwankte wie ein Busch im Wind, als die Brigg sich in dem groben Seegang hob und senkte.

«Wenn Ihr Plan funktioniert, Sir, und ich bete zu Gott, daß er es tut, dann wird es eine Jagd, die nur Glück und überlegene Seemannschaft entscheiden.»

Bolitho lächelte.»Möglich.»

«Aber da ich vermute, daß wir kämpfen müssen, lassen Sie mich um Gottes willen mitmachen. Ich bin in der Marine, seit ich denken kann. Zu enden, indem ich mich unten verstecke, während oben Metall durch die Luft fliegt, würde mein Leben so nutzlos machen wie das eines Galgenvogels.»

«Gut. «Bolitho sah Couzens an.»Helfen Sie dem Leutnant nach achtern, und sehen Sie zu, daß er genügend Munition bekommt, um die Pistolen und Musketen nachzuladen, damit wir den Eindruck von Stärke und größerer Zahl vermitteln.»

Frowd rief aus:»Genau das ist es, Sir, nichts weiter erbitte ich. Diese Teufel sind mindestens viermal stärker als wir. Ein paar von ihnen werden wir bestimmt mit ins Jenseits nehmen, we nn wir rasches Feuer beibehalten können.»

Es war unglaublich, dachte Bolitho. Die Aussicht auf sicheren Tod klang aus Frowds Worten und doch war die vorherige Angst und Besorgnis verschwunden. Das Warten war das schlimmste, die einfache Aufgabe des Kämpfens und Sterbens dagegen verstanden sie alle. Ihm war, als hörte er Sparke sprechen:»Halte sie in Trab, keine Zeit zum Klagen und Schwachwerden.»

Er wandte sich wieder der Revenge zu, deren killender Klüver und Stagsegel anzeigten, daß sie ein wenig abfiel, um noch dichter heranzuschließen. Nun wirkte sie noch imponierender und stärker bewaffnet.

Ihr Rumpf war vom Wetter mitgenommen, ihre Segel ausgeblichen und verschiedentlich geflickt. Sie war zum Kämpfen gebaut, dachte Bolitho grimmig, jetzt sogar gegen ihre früheren Eigentümer.

«Wir halten noch ein paar Minuten durch, Stockdale, dann gehen Sie auf Ostkurs. Das wird am natürlichsten erscheinen, wenn wir zum Sprechen dicht genug heran sind.»

Er zuckte zusammen, als eine Handspake an Deck polterte und ein Mann sie unter einem Strom von Flüchen und Drohungen aus Bullers Mund wieder aufhob.

Er sah die Entermesser und Pistolen, die jeder bereithielt, sah, wie sie ihre Muskeln und Sehnen geschmeidig zu halten versuchten, während sie die qualvoll verstreichenden Minuten durchlebten.

«An die Brassen!«Bolitho trat näher und zischte:»Langsam Leute, laßt euch Zeit!«Er bemerkte die verdutzten Gesichter einiger. Nach Jahren des Dienstes in des Königs Marine erschien es ihnen fast wie Blasphemie, wenn ihnen gesagt wurde, sie sollten sich Zeit lassen. Aber Bolitho fügte hinzu:»Denkt daran, ihr seid Landratten, keine Seeleute!«Es war unglaublich in dieser Situation, aber die meisten grinsten und kicherten über diesen billigen Witz.»Ver-geßt, daß ihr erstklassige Matrosen seid!»

Buller rief:»Aber nicht für lange, Sir!«Auch er lachte.

«Jetzt, Stockdale!»

Ruder und Rahen bewegten sich in schwerfälligem Gleichklang, die kleine Brigg fiel drei Strich ab, die Masten der Revenge schienen achteraus zu wandern, bis beide auf parallelem Kurs lagen. Bugsprit und Klüverbaum der Revenge überlappten die Heckreling

* ca. 90 m ** ca. 46 m

der White Hills, der Abstand war jetzt etwa eine halbe Kabellänge*.

Gehorsam, so schien es, folgte das andere Fahrzeug, es schloß bis auf fünfzig Yards** heran, lag aber noch ein wenig zurück. Jede Kursänderung hatte der White Hills ein paar kostbare Minuten Zeitgewinn verschafft und ein klein wenig Vorsprung vor ihrem unerwünschten Gefährten.

Frowd zischte durch zusammengepreßte Zähne:»Gott sei Dank haben sie kein verabredetes Erkennungssignal.»

«Sie reden schon wie der Weise.»

Aber Frowd hatte recht. Der Feind hätte sie in sicherer Entfernung auf die Probe stellen können, wenn er ein einwandfrei funktionierendes Signalsystem gehabt hätte, wie es die älteren Seemächte besaßen. Aber dazu hatte den Amerikanern wohl bisher die Zeit gefehlt.

Abgesehen vom Rauschen des Wassers und dem gelegentlichen Klatschen eines Segels war es vollkommen still an Deck.

Moffitt bemerkte leise:»Ich kann einen sehen, der eine Flüstertüte in der Hand hat, Sir. «Ruhig blickte er Bolitho an:»Ich weiß, was ich zu sagen habe. Ich werde Sie nicht enttäuschen.»

Rabbett fuhr auf:»Das läßt du auch besser bleiben, Kumpel. Ich bin schon in zu vielen Gefängnissen gewesen, als daß ich jetzt in einem von denen verrotten möchte!»

Moffitt grinste und winkte dann mit seinem Sprachrohr zur anderen Brigg hinüber. Beide Schiffe blieben mit verhältnismäßig hoher Fahrt auf gleichem Kurs; zu jeder anderen Zeit wäre es ein prächtiger, erfreulicher Anblick gewesen. Jetzt hatten sie beide etwas Drohendes an sich, wie zwei sich argwöhnisch belauernde Tiere, die keine Furcht zeigen möchten.

In diesem Augenblick — es winkte gerade jemand vom Achterdeck der Revenge zurück — wurde die spannungsgeladene Stille durch einen markerschütternden Schrei zerrissen. Es klang unmenschlich, wie in höchster Todesangst.

Die Seeleute an den Brassen und an den Geschützen blickten sich unruhig um, entsetzt und dann wütend, als der Schrei anhielt und sogar noch lauter wurde.

Quinn keuchte:»Was ist das, um Gottes willen?»

Stockdale sagte:»Gallimore, Sir. Seine Wunden müssen aufgeplatzt sein.»

Bolitho nickte, Galle auf der Zunge schmeckend, als er sich das brandige Fleisch vorstellte, dessen Gestank so unerträglich geworden war, daß er den armen Gallimore ins Kabelgatt hatte verlegen müssen.

«Sagt Borga, er soll ihn zum Schweigen bringen.»

Er versuchte, seine Ohren vor dem Schreien zu verschließen, das Bild des gemarterten Mannes aus seinem Kopf zu vertreiben.

Eine Stimme ertönte von drüben über das Wasser, sie brachte Bo-litho in die gefährliche Wirklichkeit zurück.

«White Hills ahoi! Was, zum Teufel, war das?»

Bolitho schluckte. Des armen Gallimores Todesschrei hatte sowohl den Feind wie seine Kameraden völlig entnervt.

Moffitt schrie zurück:»Ein Verwundeter!«Er schwankte ein wenig, als die Brigg in ein steiles Wellental glitt, aber Bolitho wußte, daß es fingiert war. Moffitt war so gewandt wie eine Katze, es verschaffte ihm nur etwas Zeit.»Hatten einen Zusammenstoß mit den Briten! Verloren ein paar gute Leute!»

Das Schreien erstarb mit so dramatischer Plötzlichkeit, als sei der Mann enthauptet worden.

Über das Wasser fragte die andere Stimme:»Und Kapitän Tracy? Ist er gesund? Ich habe Order für ihn!»

«Er ist auch verwundet. «Moffitt griff mit der freien Hand ins Want und flüsterte über die Schulter:»Die zwei Kanonen, Sir. Ihre Bedienung ist nach unten gegangen.»

Bolitho wollte sich die Lippen lecken, den Schweiß aus den Augen wischen, irgend etwas tun, um das entsetzliche Warten und Beobachten zu unterbrechen. Moffitt hatte gesehen, was er selbst nicht einmal zu hoffen gewagt hatte. Vielleicht war es Gallimores Schreien gewesen, zusammen mit Moffitts zur Schau gestellter Ruhe und Zuversicht, dazu die Tatsache, daß die White Hills das richtige Schiff beinahe an der richtigen Stelle war, was den Kapitän der Revenge überzeugte, daß alles mit rechten Dingen zuging.

Aber da war immer noch die Sache mit Tracys neuer Order: vielleicht Einzelheiten über das nächste Rendezvous oder über einen anzugreifenden Geleitzug?

Im nächsten Augenblick würde der Kapitän der Revenge, nach Tracys jetzt bekanntem Ausfall in der Position des älteren Kommandanten, entscheiden müssen, was zu tun sei.

Bolitho sagte leise:»Er wird vorschlagen, daß wir beide beidrehen, damit er herüberkommen und Tracy sprechen kann.»

Quinn starrte ihn an, das Gesicht wie eine Maske.»Wir werden also abdrehen, Sir?»

«Aye. «Bolitho warf einen raschen Blick auf den Wimpel.»Sobald er Segel kürzt und in den Wind dreht, nutzen wir unsere Chance. «Er rief der nächsten Geschützbedienung zu:»Fertig, Jungs!«Sofort sah er einen übereifrigen Seemann aufstehen und nach einer Lunte greifen.»Belege das! Wartet auf mein Kommando!»

Der Kapitän der Revenge rief jetzt herüber:»Wir drehen bei. Ich komme hinüber, sobald…»

Weiter kam er nicht. Wie ein Gespenst, das einem Sarg entsteigt, kam Kapitän Jonas Tracy durch den vorderen Niedergang an Deck getaumelt; die Augen quollen ihm vor Wut und Anstrengung fast aus dem Kopf.

Er trug eine Pistole, die er auf einen herbeieilenden Seemann abfeuerte. Der Schuß traf diesen in die Stirn und warf ihn hinten über aufs Deck, wo er in einer rasch größer werdenden Blutlache liegenblieb.

Und die ganze Zeit über brüllte Tracy mit lauter Stimme, die alle anderen weit übertönte:

«Behark diese Hunde! Es ist ein Trick, du verdammter Narr!»

Von der anderen Brigg ertönten lautes Rufen und verwirrte Kommandos, und dann brachen auf der ganzen Länge der Bordwand die Kanonen aus den Pforten hervor.

Ein anderer Seemann stürzte auf die schwankende Gestalt am Niedergang zu, aber nur, um mit dem Pistolenknauf besinnungslos geschlagen zu werden. Diese letzte Anstrengung war jedoch zu viel für den Verwundeten. Das Blut schoß aus dem Polster von Bandagen um seine Achselhöhle, und das von Bartstoppeln bedeckte Gesicht wurde kreideweiß, als er jetzt versuchte, sich zum nächsten Geschütz hin zu hangeln. Es sah aus, als ströme das letzte Leben aus ihm heraus.

Bolitho sah das alles wie in einem wilden Traum, die einzelnen Ereignisse zwar im selben Zeitablauf, aber völlig getrennt von einander. Gallimores plötzliche Schreie hatten Tracys Wachposten also bewegen, seinen Platz zu verlassen; wer konnte es ihm ver denken? Tracys furchtbare Wunde hätte jeden anderen Mann längst umgebracht.

Als dann die ihm bekannte Stimme des Kapitäns der Revenge herüberklang, mußte sie Tracy aus seinem Dahindämmern aufgeschreckt und zu einer plötzlichen Anstrengung befähigt haben.

Was die Ereignisse auch ausgelöst hatte, Bolitho wußte, daß für die Ausführung seines ziemlich dürftigen Plans keine Möglichkeit mehr bestand.

Er schrie: «Geschütze ausfahren!»

Die Leute stürzten sich auf die Taljen, die vier Kanonen bewe g-ten sich kreischend zu den offenen Pforten, Verzweiflung und Wut verlieh den Männern doppelte Kräfte.

«Feuer!»

Während die Kanonen in einer unordentlichen Salve losdonnerten, rief Bolitho:»Stockdale! Hart Backbord!»

Stockdale und der andere Rudergänger legten das Rad über, Bo-litho zog seinen Degen und war sich klar, daß nichts auf Erden den Ablauf des Geschehens noch einmal ändern konnte.

Er hörte überraschte Rufe seiner eigenen Leute und Gewehrfeuer von der Revenge, als die White Hills auf das Ruder reagierte und mit voller Fahrt und wild schlagenden Segeln in den Wind schoß, auf die jetzt durch die Drehung quer vor ihrem Bug liegende Re-venge zu.

Ein paar vereinzelte Gewehrschüsse waren zu hören, eigene oder feindliche, das wußte Bolitho nicht, während er, so schnell er konnte, nach vorn rannte, zum Ort des zu erwartenden Rammstoßes, wobei er in Tracys Blutlache fast ausrutschte.

Wie der Stoßzahn eines riesigen Elefanten, so schmetterte ihr Klüverbaum durch Wanten und Takelage der Revenge in den Schiffsrumpf hinein. Die Wucht des Aufpralls erschütterte beide Fahrzeuge so, als seien sie mit äußerster Geschwindigkeit auf einen Felsen gelaufen.

Wind und Fahrtmoment der White Hills trieben diese noch tiefer in das andere Schiff hinein, bis Rahen oder Masten der Spannung nachgaben und mit ohrenbetäubendem Krachen barsten. Beide waren jetzt unlösbar ineinander verkeilt.

In Bolithos Ohren dröhnte der Lärm herabstürzender Takelage und des Zerreißens von Segeln, als die Marsstenge der Revenge mitsamt dem Marssegel und einer Masse weiteren Segeltuchs von oben kam und noch zu der allgemeinen Zerstörung und Verwirrung beitrug.

Aber er war wütend, stürmte mit geschwungenem Degen durch den ziehenden Geschützqualm und schrie:»Los, Jungs, auf sie!»

Er sah, wie die verblüfften Gesichter sich jählings wandelten, wie sie Wut, Erregung und äußerste Entschlossenheit widerspiegelten. In einer nicht sehr großen Angriffswelle fluteten sie über.die Back auf das Deck der Revenge, während vom Achterdeck das Gewehrfeuer von Frowd und seiner Krüppelgarde zu hören war.

Und hier war der Feind, genau unter ihnen: starrende Augen, verzweifeltes Bemühen, aus dem Gewirr der Takelage und Holztrümmer freizukommen.

Ein Bajonett schnellte vor und schleuderte einen angreifenden Seemann schreiend in den schwelenden Qualm, aber Bolitho und seine Leute rechts und links hatten jetzt auf dem Deck der Revenge Fuß gefaßt und stürmten weiter vor. Der Mann mit dem Bajonett wirbelte herum und stieß nach Bolitho, aber Stockdale ergriff ihn und schlug ihm mit voller Wucht den Griff seines schweren Entermessers in den Mund. Als der Mann zurücktaumelte, hieb ihm Stockdale ins Genick, so daß er tot zusammenbrach.

Die erste Überraschung würde bald der Wut und dem Verteidigungswillen des Gegners weichen, das war Bolitho klar, aber irgendwie schien es ihn nicht zu berühren.

Einmal, als er sich unter einer herabgestürzten Rah durchwand, um einem Mann, der eine Pistole auf einen der Ihren anlegte, den Arm abzuschlagen, konnte er einen Blick auf die White Hills werfen, sein einst so stolzes Schiff. Die Großrah war wie der Bogen eines Riesen in zwei Hälften zerbrochen, und auf der Back türmte sich so viel herabgestürzte Takelage, Segel und Trümmer, daß die Brigg wie ein Wrack aussah.

Über diesem Gewirr und Rauch sah er einen scharlachroten Klecks, und es wurde ihm klar, daß er trotz der sich überstürzenden Ereignisse wohl doch noch den Befehl zum Setzen der britischen Flagge gegeben haben mußte, aber er konnte sich nicht daran erinnern.

«Hier entlang, Jungs!«Es war Buller, der Enterbeil und Pistole schwang.»Kämpft euch nach achtern durch!«Dann fiel er, einen Ausdruck völliger Überraschung im Gesicht.

Bolitho knirschte mit den Zähmen. Die wertvolle Zeit, die sie mit so viel Mühe gewonnen hatten, war verstrichen.

Vom Achterdeck der Revenge kam jetzt das Bellen eines leichten Schwenkgeschützes, und Bolitho hörte über den Kampflärm hinweg, daß auch die Kanonen der White Hills noch feuerten. Er stellte sich Frowd vor, wie er trotzig den Widerstand organisierte, bereit zu sterben.

Irgendwie hatten sie sich bis zur Mitte des Decks durchgekämpft, wo die aufgehäuften Trümmer jede Bewegung doppelt schwer machten, aber wo ein Verweilen sicheren Tod bedeutete.

Er sah Dunwoody, der auf dem blutüberströmten Deck mit einem Seemann der Revenge kämpfte. Sie rollten am Boden, Dunwoodys Hand war bereits zerfetzt von dem Versuch, des Mannes Entermesser abzuwehren, während er nach seinem eigenen suchte, das ihm entfallen war. Ein weiterer Mann kam aus dem Qualm, in der Hand eine Pike, mit der er Dunwoodys Hals durchbohrte und den zuk-kenden Körper an Deck festspießte, bis das Entermesser ihn erlöste.

Bolitho sah das alles, und als er über ein umgestürztes Boot sprang, fand er sich Auge in Auge mit dem Kapitän der Revenge. Neben ihm sah er das verlassene Ruder, die aufgerissenen Splitter, die aus dem Achterdeck ragten wie Federn, die verstreuten Körper der Toten, die den doppelten Ladungen der vier Sechspfünder zum Opfer gefallen waren.

Bolitho duckte sich, als des Mannes Klinge über seinen Kopf zischte, verfing sich in einer Tauschlinge und stürzte schwer zur Seite. Er beobachtete, wie die Klinge wieder hochgerissen wurde und dann auf ihn niederfuhr. Mit seinem Degen parierte er den Schlag, spürte aber die Wucht des Hiebes wie einen schmerzhaften Treffer in seiner Schulter. Der Kapitän sprang zurück und lief nach achtern, um einen Zusammenstoß mit den jetzt heranjagenden Enterern zu vermeiden. Da kamen sie gerannt, Rabbett, sein Entermesser blutig bis zum Griff, Carlsson, der Schwede, in der Hand eine Muskete mit aufgepflanztem Bajonett, die er einem sterbenden Gegner entrissen haben mußte, und sogar Borga, der römische Koch, bewaffnet mit einem Schwert wie einst seine Vorfahren in der Gladiatorenarena. Sie alle waren noch am Leben und voller Kampfeswut.

Auf der anderen Seite des Decks sah er Quinn mit der zweiten Gruppe der Enterer, blaß und mit einer Stirnwunde, aus der das Blut strömte. Sie waren in einem Kampf mit mindestens der doppelten Anzahl von Gegnern verwickelt.

Bolitho entdeckte plötzlich Couzens und schrie heiser:»Zurück an Bord! Ich hatte Ihnen gesagt, Sie sollten bei Mr. Frowd bleiben!»

Er duckte sich keuchend, als ein Schatten vor ihm auftauchte. Mit einem scharfen Ruck seines Handgelenks riß er rechtzeitig den Degen hoch, um den Stoß eines Entermessers aufzufangen.

Der Angreifer war ein Unteroffizier und bestimmt so englisch wie Bolitho selbst.

«Diesmal haben Sie ein zu großes Stück abgebissen, Sirl»

Bolitho fühlte des Gegners Kräfte, er wurde zurückgedrängt, die Klinge war nur noch fingerbreit von seiner Brust entfernt. Der Dialekt des Mannes war Cornish, wahrscheinlich stammte er aus Bolithos engerer Heimat.

Moffitt hob jetzt den Kopf wie ein Preisboxer, das Blut troff noch von seinem Dolch.

«Aber du auch!»

Bolitho brach unter dem Gewicht des sterbenden Unteroffiziers zusammen. Moffitts Klinge war mit solcher Wucht in dessen Rük-ken gedrungen, daß sie nur durch ein Wunder nicht alle beide aufspießte.

Couzens duckte sich und sprang immer wieder rasch zur Seite, wenn die Gestalten um ihn herum nach ihm schlugen und stachen. Stahl prallte auf Stahl, und von achtern erscholl jetzt ein Chor entsetzter Schreie, als ein Schwenkgeschütz inmitten seiner eigenen Bedienungsmannschaft explodierte.

Couzens keuchte atemlos:»Ich will nur helfen, Sir!»

Bolitho schüttelte ihn am Arm und fühlte, wie Couzens bei seinem Anblick zusammenzuckte.»Nehmen Sie zwei Mann und gehen Sie nach unten. Sagen Sie ihnen, ich möchte, daß diese Brigg in Brand gesetzt wird!«Er spürte, daß der Junge entsetzt war über seine Wildheit und Wut.»Los, tun Sie, wie Ihnen befohlen!»

Schüsse schlugen ins Deck ringsum, trafen die Leichen, die zusammenzuckten wie Lebende. Der Kapitän der Revenge hatte Scharfschützen in die Takelage geschickt, die Frowds kleine Gruppe und alles, was wie ein Offizier oder zumindest ein Anführer aussah, aufs Korn nehmen sollten.

Stockdale brüllte:»Vorsicht, Sir!«Er warf sich nach vorn, als ein Mann mit einem Entermesser Bolitho ansprang, war aber nicht schnell genug. Bolitho sah das wutverzerrte Gesicht des Gegners und fragte sich, ob auch er so aussah und Couzens sich deshalb so vor ihm geängstigt hatte.

Das schwere Entermesser knirschte gegen Bolithos Degengurt und verbeulte die starke Messingplatte wie der Einschlag einer Gewehrkugel.

Er sah den Ausdruck des Gesichts sich wandeln von Wut in Furcht, dann zu völliger Leere, als Bolithos Degen es vom Auge bis zum Kinn aufriß und den röchelnden Mann hintenüber warf.

Bolitho fühlte sich elend, erschöpft und wie gelähmt durch die Wildheit des Kampfes. Couzens hatte es wohl nicht geschafft, die Brigg in Brand zu setzen, denn im Vorschiff fingen die Gegner jetzt an mit Hurrarufen. Der Kampf schien zu Ende zu sein. Wie Quinn hatte er es immerhin versucht.

Da war es wieder, laut und wild:»Hurra, Hurra!»

Bolitho starrte Stockdale an.»Das ist nicht der Feind!»

Er wirbelte herum, ließ zum ersten Mal seinen Degen sinken und sah verblüfft, wie aus dem vorderen Niedergang eine Schar schmutziger, unrasierter Gestalten hervorbrach.

Couzens rannte mit ihnen. Völlig außer sich vor Aufregung rief er:»Gefangene, Sir!»

Dann wurde er von den Befreiten beiseite gefegt, die vorbeistürmten wie ein Wasserfall, bewaffnet mit allem, was sie packen konnten: heruntergefallenen Entermessern, Beilen, eisernen Belegnägeln, irgend etwas, womit sie ihre alten Gegner treffen, umbringen oder jene zu Krüppeln schlagen konnten, die sie so lange gefangengehalten hatten.

Bolitho glaubte, einem Wahn zu erliegen, aber das Ganze erwies sich als Wirklichkeit. Offensichtlich handelte es sich um englische Seeleute, die man in früheren Kämpfen gefangengenommen hatte, vielleicht war es sogar die ursprüngliche Besatzung dieser Brigg. Sie fegten durch die stark gelichteten Reihen wie eine Flutwelle, alles niederschlagend oder über Bord werfend, was sich ihnen in den Weg stellte. Unaufhaltsam drangen sie zum Achterschiff vor.

Bolitho schrie:»Kommt, Jungs, eine letzte Anstrengung!»

Dann rannte er hurrarufend und sinnlose Worte brüllend mit den anderen nach achtern. Sein Arm war schwer wie Blei, als er jetzt hackte, schlug und parierte, schnitt und niederstieß, was ihm in den Weg kam.

Ein paar Schüsse schlugen noch im Deck ein, und ohne Warnung rutschte ein Mann ein Stag herab und zog eine Pistole aus dem Gürtel. Sein Gesicht war erstarrt vor Konzentration, als er auf die heranstürmenden Gestalten zielte.

Er mußte längst wissen, daß nichts mehr zu retten war, aber ein letzter Funke von Wut oder Stolz ließ ihn ausharren.

Couzens fand sich plötzlich Auge in Auge mit diesem Mann. Bo-litho sah, was sich abspielte, war aber mehrere Schritte entfernt, und Stockdale noch weiter weg.

Bolitho schrie, so laut er konnte:»Wenn du schießt, bringe ich dich um!»

Des Gegners Blick irrte keinen Zoll breit ab, und Bolitho wußte, daß er feuern würde; er sah sogar den Abzugshahn sich bewegen, als der Besessene den Finger krümmte.

Plötzlich flog eine Gestalt wie ein Pfeil über den Haufen von Tauwerk und Segeln und warf sich zwischen die Pistole und den wie gelähmt dastehenden Couzens, genau im Augenblick des Schusses.

Bolitho rannte weiter und fing Quinn, denn dieser war es, noch im Fallen auf. Er sah nicht mehr, wie Stockdales gewaltiges Entermesser zuschlug, aber er hörte das erstickte Grunzen, als der Mann starb.

Bolitho hielt Quinn in seinen Armen und ließ ihn langsam an Deck gleiten. Er sah, daß nichts mehr zu retten war. Die Kugel hatte Quinns Magen durchschlagen, alles schwamm in Blut.

Quinn keuchte:»Tut mir — leid… Sie zu — verlassen, Sir!»

Bolitho hielt ihn fest, er wußte, daß Stockdale ihm den Rücken deckte und daß Couzens auf der anderen Seite von Quinn hemmungslos schluchzend auf dem Deck kniete.

«Dick«, sagteer,»nicht „Sir"!»

Er fühlte sich selbst den Tränen nahe. Was alles noch schlimmer machte, waren die Hurrarufe. Achtern — in einer anderen Welt — holten seine jubelnden Seeleute und die befreiten Gefangenen die Flagge herunter, beobachtet vom Kapitän der Revenge, der im letzten Ansturm noch schwer verwundet worden war.

Bolitho sagte zu Quinn:»Wir haben gesiegt, James. Es ist gp-schafft!»

Quinn lächelte, sein Blick richtete sich nach oben auf die zerrissene Takelage und die zerfetzte Flagge.»Du hast gesiegt!»

Es fiel ihm schwer zu sprechen, seine Haut sah aus wie feuchtes Wachs. Er knöpfte Quinns Hemd auf und sah die ungeheure, grauenhafte Narbe von dessen erster Verwundung.

Mit seiner freien Hand löste er Quinns Gürtel und sagte sanft:»Und du solltest als Passagier mitfahren. Aber ohne dich wäre der junge Couzens jetzt tot. Ich werde dafür sorgen, daß sie in England von deiner Tapferkeit hören!»

Quinns Augen wandten sich Bolitho zu.»Ich habe keine Angst mehr — «, er hustete, etwas Blut floß über sein Kinn — ,»Dick.»

Bolitho wollte noch etwas sagen, aber im selben Augenblick sah er das Licht in Quinns Augen verlöschen wie eine Kerze, die ausgeblasen wird.

Sehr vorsichtig ließ er den leblosen Körper auf das Deck gleiten und stand auf.

Stockdale berührte ihn am Ellbogen.»Sir, die Leute blicken Sie an.»

Bolitho nickte, seine Augen waren beinahe blind vor Anstrengung und innerer Bewegung.»Danke, Stockdale. Ja.»

Er trat den abgekämpften, aber strahlenden Seeleuten gegenüber. Der Sieg war wirklich sehr knapp gewesen, aber diese Männer hatten ihr Allerletztes gegeben. Sie verdienten jetzt auch seine letzte, äußerste Anstrengung, ohne Rücksicht darauf, was er im Augenblick empfand.

Ruhig sagte er zu ihnen:»Das habt ihr gut gemacht! Eine so kleine Besatzung, aber die beste von allen!»

Drei Tage danach liefen die beiden Prisen unter den Blicken des gesamten Geschwaders in English Harbour ein.

Es waren drei harte Tage gewesen: Sie mußten den Schaden gerade so weit ausbessern, daß sie bis Antigua kommen konnten, die befreiten Gefangenen registrieren und zwischen den beiden Schiffen aufteilen.

Es hätte ein stolzer Augenblick für Bolitho sein sollen, aber die Trauer über Quinns Tod überwog noch alles andere in seinem Inneren, als der Ausgucksmann» Land in Sicht «meldete.

Er selbst hatte das Kommando auf der Revenge übernommen, und eine der ersten Tätigkeiten, der er nach dem Riggen eines Behelfsmastes und der Bestattung der Toten befohlen hatte, war die Entfernung des neuen Namens.

Als das Land allmählich aus dem Dunst wuchs und die beiden Briggs Kurs auf die Einfahrt nahmen, kam ihnen eine dort patrouillierende Fregatte entgegen.

Couzens fragte:»Was soll ich melden, Sir?»

Stockdale blickte Bolitho an und glaubte, verstanden zu haben.

Er sagte:»Ich mache das, Mr. Couzens.»

Dann rief er durch das Sprachrohr, so daß alle es hören konnten:

«Seiner Majestät Brigg Mieschief meldet sich zur Flotte zurück!«Und nun kam ein ganz besonderer Augenblick für ihn, als er stolz hinzufügte: «Kommandant ist Leutnant Richard Bolitho!»

Ende
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