12

Am Nachmittag der Tennispartie war es glücklicherweise schön, Lord Whitfield war bester Laune und spielte den Hausherrn mit Vergnügen. Er erwähnte seine bescheidene Herkunft häufig. Es waren acht Spieler im ganzen, Lord Whitfield, Bridget, Luke, Rose Humbleby, Mr Abbot, Dr. Thomas, Major Horton und Hetty Jones, ein kicherndes junges Mädchen, die Tochter des Bankdirektors.

In dem zweiten Match des Nachmittags war Luke Bridgets Partner gegen Lord Whitfield und Rose Humbleby; letztere war eine gute Spielerin, die sogar bei regionalen Meisterschaften antrat. Sie musste zwar Lord Whitfields Fehler ausbügeln, aber gegen Bridget und Luke, die beide nicht besonders stark waren, konnte sie gut bestehen.

Die nächste Partie spielten Rose mit Mr Abbot gegen Dr. Thomas und Miss Jones.

Lord Whitfield setzte sich, wischte sich die Stirn und lächelte zufrieden. Er begann ein Gespräch mit Major Horton. Luke sagte zu Bridget:

«Zeigen Sie mir den Küchengarten.»

«Warum den Küchengarten?»

«Ich spüre ein Verlangen nach Kohl.»

«Genügen grüne Erbsen nicht auch?»

«Grüne Erbsen wären wunderbar.»

Sie verließen den Tennisplatz und kamen zu dem von Mauern umgebenen Küchengarten, der an diesem Samstagnachmittag ganz leer war und friedlich im Sonnenschein dalag.

«Hier sind Ihre Erbsen», sagte Bridget.

Luke schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit und sagte: «Warum zum Teufel haben Sie ihnen den Satz geschenkt?»

Bridget hob ein klein wenig die Augenbrauen.

«Es tut mir leid; ich wurde nervös, mein Tennisspiel ist überhaupt ungleichmäßig.»

«Doch nicht bis zu diesem Grad! Die letzten Schläge hätten doch kein Kind täuschen können! Jeder Ball war eine halbe Meile außerhalb!»

Bridget sagte ruhig:

«Ja, weil ich eine so elende Spielerin bin. Wenn ich besser spielen könnte, hätte ich es wohl wahrscheinlicher machen können.»

«Ah. Sie geben es also zu?»

«Offenbar, mein lieber Watson.»

«Und der Grund?»

«Ebenso offenbar, sollte ich meinen; Gordon verliert sehr ungern.»

«Und wie ist’s mit mir? Wie, wenn ich auch gern gewinne?»

«Ich fürchte, mein lieber Luke, dass das nicht ebenso wichtig ist.»

«Möchten Sie das nicht etwas deutlicher erklären?»

«Gewiss, wenn Sie es wünschen. Man darf sich nicht sein Butterbrot verscherzen. Gordon ist mein Butterbrot. Sie nicht.»

Luke schöpfte tief Atem. Dann explodierte er.

«Was zum Teufel heißt das – dass Sie diesen lächerlichen kleinen Mann heiraten wollen? Warum?»

«Weil ich als seine Sekretärin sechs Pfund pro Woche bekomme, und als seine Frau bekomme ich hunderttausend Pfund überschrieben, einen Schmuckkasten voll Perlen und Diamanten, ein schönes Taschengeld und verschiedene andere Vorteile der Ehe!»

«Aber für einigermaßen andere Pflichten!»

Bridget sagte kalt:

«Müssen wir diese melodramatische Haltung gegen alles und jedes im Leben einnehmen? Wenn Ihnen ein hübsches Bild von Gordon als einem verliebten Gatten vorschwebt, können Sie es glatt löschen! Gordon, wie Sie bemerkt haben könnten, ist ein Junge, der nie ganz erwachsen geworden ist. Was er braucht, ist eine Mutter, keine Gattin. Leider ist seine Mutter gestorben, als er vier Jahre alt war. Er braucht jemanden neben sich, vor dem er prahlen kann, jemanden, der ihn bestätigt und der bereit ist, Lord Whitfields Ausführungen über sich selbst uneingeschränkt anzuhören.»

«Sie haben eine bittere Zunge, nicht?»

Bridget entgegnete scharf:

«Ich mache mir nichts vor, wenn Sie das meinen! Ich bin eine junge Frau mit einer gewissen Intelligenz, mäßig hübschem Äußeren und keinem Geld. Ich beabsichtige, mir mein Brot ehrlich zu verdienen. Meine Aufgabe als Gordons Gattin wird kaum von meiner Aufgabe als Gordons Sekretärin zu unterscheiden sein. Ich bezweifle, ob er nach einem Jahr noch daran denken wird, mir einen Gutenachtkuss zu geben. Der einzige Unterschied ist im Gehalt.»

Sie schauten einander an; beide waren blass vor Zorn. Bridget sagte höhnisch:

«Fahren Sie fort! Sie sind etwas altmodisch, nicht, Mr Fitzwilliam? Haben Sie nicht ein paar Klischees auf Lager? Sagen Sie doch gleich, dass ich mich für Geld verkaufe!»

Luke sagte: «Sie sind ein kaltblütiger kleiner Teufel!»

«Das ist besser, als ein heißblütiger kleiner Narr zu sein!»

«Wirklich?»

«Ja, ich weiß es.»

Luke höhnte: «Was wissen Sie?»

«Ich weiß, was es heißt, einen Mann zu lieben! Kennen Sie vielleicht Johnnie Cornish? Drei Jahre war ich mit ihm verlobt. Er war anbetungswürdig – ich hatte ihn furchtbar gern – so gern, dass es weh tat! Nun, er ließ mich sitzen und heiratete eine rundliche Witwe mit North-Country-Akzent, einem Doppelkinn und einem Einkommen von dreißigtausend Pfund im Jahr! So was kann einem schon die Romantik austreiben, finden Sie nicht?»

Luke wandte sich mit einem Stöhnen ab.

«Das könnte sein.»

«Es war so…»

Eine Pause entstand. Schwer lastete das Schweigen zwischen ihnen. Endlich brach Bridget es. Sie sagte, jedoch mit leichter Unsicherheit im Ton:

«Ich hoffe, Sie sind sich bewusst, dass Sie absolut kein Recht hatten, so zu mir zu sprechen. Sie wohnen in Gordons Haus und zeigten verdammt schlechten Geschmack!»

Luke hatte seine Fassung wiedererlangt.

«Ist das nicht eigentlich auch ein Klischee?» fragte er höflich.

Bridget wurde rot.

«Es ist jedenfalls wahr!»

«Es ist nicht wahr. Ich hatte das Recht.»

«Unsinn!»

Luke schaute sie an. Sein Gesicht war seltsam bleich, wie bei einem Mann, der physischen Schmerz leidet.

«Ich habe das Recht, das Recht, weil ich Sie gern habe – wie sagten Sie eben – so gern, dass es weh tut!»

Sie trat einen Schritt zurück.

«Sie –?»

«Ja, komisch, nicht wahr? Das ist doch etwas, worüber Sie herzlich lachen sollten! Ich kam hierher, um eine Aufgabe zu erfüllen, und Sie kamen um die Ecke jenes Hauses und – wie soll ich es sagen – warfen einen Zauber über mich! So empfinde ich es jedenfalls. Sie haben mich verhext. Ich habe das Gefühl, wenn Sie mit dem Finger auf mich zeigten und sagten: ‹Verwandle dich in einen Frosch›, würde ich mit hervorstehenden Augen davonhüpfen.»

Er trat einen Schritt auf sie zu.

«Ich liebe Sie höllisch, Bridget Conway. Und da ich Sie so höllisch liebe, können Sie nicht erwarten, dass ich mich freue, wenn Sie einen spitzbäuchigen, prahlerischen kleinen Lord, dem es die Laune verdirbt, wenn er beim Tennis verliert, heiraten.»

«Was schlagen Sie vor, dass ich tun sollte?»

«Ich schlage vor, dass Sie stattdessen mich heiraten! Doch zweifellos wird dieser Vorschlag nur ein heiteres Gelächter hervorrufen.»

«Das Gelächter ist tatsächlich kolossal.»

«Genau. Nun, jetzt wissen wir wenigstens, wo wir stehen. Sollen wir auf den Tennisplatz zurückgehen? Vielleicht finden Sie jetzt einen Partner für mich, der spielt, um zu gewinnen!»

«Ich glaube wirklich», bemerkte Bridget zuckersüß, «Sie verlieren ebenso ungern wie Gordon!»

Luke packte sie plötzlich bei den Schultern.

«Sie haben eine teuflische Zunge, nicht wahr, Bridget?»

«Ich fürchte, Sie mögen mich nicht sehr, Luke, wie groß auch Ihre Leidenschaft für mich sein mag!»

«Ich glaube nicht, dass ich Sie überhaupt mag.»

Bridget beobachtete ihn.

«Sie beabsichtigten zu heiraten und sich irgendwo niederzulassen, als Sie nach Hause zurückkamen, nicht?»

«Ja.»

«Aber nicht jemanden wie mich?»

«Ich habe nie an jemanden gedacht, der Ihnen auch nur im Geringsten ähnelte.»

«Nein – natürlich nicht – ich kenne Ihren Typ. Ich kenne ihn genau.»

«Sie sind so klug, liebe Bridget.»

«Eine wirklich nette junge Frau – durch und durch englisch – die das Landleben liebt und gut zu Hunden ist… Sie haben sie wahrscheinlich im Geiste gesehen, wie sie – in einem Tweedrock – das Holzfeuer mit der Spitze ihres Schuhs schürt.»

«Das Bild erscheint höchst anziehend.»

«Sicher. Sollen wir zum Tennisplatz zurückgehen? Sie können mit Rose Humbleby spielen, sie spielt so gut, dass ihr beiden ganz sicher gewinnen werdet.»

«Da ich altmodisch bin, muss ich Ihnen das letzte Wort lassen.»

Wieder entstand eine Pause, dann nahm Luke langsam die Hände von ihren Schultern. Sie standen beide unsicher da, als schwebe noch etwas Ungesagtes zwischen ihnen. Dann wandte sich Bridget jäh um und ging voraus zum Tennisplatz. Es war eben ein Satz zu Ende, aber Rose hatte keine Lust mehr weiterzumachen.

«Ich habe zwei Sätze hintereinander gespielt.»

Auch Bridgets Bitten half nichts.

Schließlich kam eine Herrenpaarung zustande. Nachher wurde der Tee serviert.

Lord Whitfield unterhielt sich mit Dr. Thomas, dem er ausführlich und mit großer Geste einen Besuch beschrieb, den er kürzlich dem Wellerman-Kreitz-Forschungslaboratorium abgestattet hatte.

«Ich wollte selbst die letzten wissenschaftlichen Entdeckungen verstehen», erklärte er ernsthaft. «Ich bin verantwortlich für das, was meine Zeitungen drucken, das empfinde ich sehr stark. Wir leben in einem wissenschaftlichen Zeitalter. Die Wissenschaft muss den Massen leicht zugänglich gemacht werden.»

«Ein wenig Wissenschaft könnte möglicherweise gefährlich werden», meinte Dr. Thomas mit leichtem Achselzucken. «Wissenschaft in jedem Heim, das müssen wir anstreben», dozierte Lord Whitfield. «Ich war sehr beeindruckt. Wellerman führte mich natürlich selbst herum. Ich bat ihn, mich einem Untergebenen zu überlassen, aber er bestand darauf.»

«Natürlich», sagte Luke.

Lord Whitfield sah erfreut aus.

«Er erklärte alles sehr deutlich – die Kulturen – das Serum – das ganze Prinzip der Sache. Er versprach, den ersten Artikel der Serie selbst beizusteuern.»

Mrs Anstruther murmelte:

«Ich glaube, sie verwenden Meerschweinchen – so grausam – obwohl natürlich nicht so arg wie Hunde – oder auch Katzen.»

«Leute, die Hunde dazu verwenden, sollten erschossen werden», ereiferte sich Major Horton heiser.

«Ich glaube wirklich, Horton», sagte Mr Abbot, «dass Sie Hundeleben mehr schätzen als Menschenleben.»

«Jawohl!» bestätigte der Major. «Hunde wenden sich nie so gegen einen Menschen; man bekommt nie ein schlimmes Wort von einem Hund.»

«Nur einen schlimmen Zahn ins Bein», warf Mr Abbot ein, «was, Horton?»

«Hunde sind gute Menschenkenner», entgegnete Major Horton.

«Eine Ihrer Bestien hat mich vorige Woche beinahe am Bein festgehalten. Was sagen Sie dazu, Horton?»

«Dasselbe, was ich eben gesagt habe!»

Bridget legte sich taktvoll ins Mittel:

«Wie wäre es mit noch etwas Tennis?»

Es wurden noch zwei Sätze gespielt. Als Rose Humbleby dann adieu sagte, tauchte Luke neben ihr auf.

«Ich begleite Sie nach Hause und trage den Tennisschläger», sagte er. «Sie haben keinen Wagen, wie?»

«Nein, aber es ist nicht weit.»

«Ich gehe gern.»

Er sagte nichts mehr, nahm ihr nur den Schläger und die Schuhe ab. Sie gingen schweigend die Auffahrt hinunter; dann sprach Rose von ein paar alltäglichen Dingen; Luke antwortete nur kurz, aber sie schien das nicht weiter zu bemerken.

Als sie durch die Gartentür traten, klärte sich Lukes Gesicht auf.

«Jetzt fühle ich mich besser.»

«Nett von Ihnen, so zu tun, als hätten Sie es nicht bemerkt. Sie haben jedoch meine üble Laune beschworen. Komisch, ich habe das Gefühl, als wäre ich aus einer dunklen Wolke in die Sonne getreten.»

«Das sind Sie auch. Als wir Ashe Manor verließen, stand eine Wolke vor der Sonne, und jetzt ist sie fortgezogen.»

«Also sowohl wörtlich wie bildlich. Nun ja, die Welt ist eigentlich doch schön!»

«Natürlich ist sie das.»

«Miss Humbleby, darf ich mir etwas herausnehmen?»

«Ich bin sicher, dass es nichts Ungehöriges ist.»

«Oh, seien Sie dessen nicht zu sicher! Ich wollte sagen: Dr. Thomas hat sehr viel Glück.»

Rose errötete und lächelte.

«Sie haben es also gehört?»

«Sollte es ein Geheimnis sein? Verzeihen Sie!»

«Oh, nichts ist hier ein Geheimnis», seufzte Rose.

«Also ist es wahr – Sie sind mit ihm verlobt?»

Rose nickte.

«Nur verkünden wir es eben jetzt nicht offiziell. Wissen Sie, Vater war dagegen, und es sieht so – so unfreundlich aus, wenn wir es in dem Augenblick, wo er tot ist, hinausposaunen.»

«Ihr Vater war nicht einverstanden?»

«So ist es.»

Luke fragte sanft: «Er fand, Sie seien zu jung?»

«Das sagte er.»

«Aber Sie meinen, es steckte noch etwas anderes dahinter?» Rose senkte den Kopf langsam und widerstrebend.

«Ja – ich fürchte, auf was es wirklich hinauslief, war, dass Vater – nun, dass er Geoffrey eigentlich nicht mochte.»

«Sie waren einander nicht sympathisch?»

«Es schien manchmal so… Natürlich, Vater hatte so viele Vorurteile.»

«Und er liebte Sie vermutlich sehr, und der Gedanke, Sie zu verlieren, war ihm unangenehm?»

Rose bejahte, jedoch mit einer gewissen Zurückhaltung.

«Es ging tiefer? Er wollte gerade Thomas nicht als Gatten für Sie?»

«Ja. Wissen Sie – Vater und Geoffrey waren so verschieden, dass sie immer wieder aneinandergerieten. Geoffrey war wirklich sehr geduldig und nett dabei – aber da er wusste, dass Vater ihn nicht mochte, wurde er noch unsicherer und zurückhaltender ihm gegenüber, so dass Vater ihn eigentlich nie näher kennenlernte.»

«Vorurteile sind sehr schwer zu bekämpfen», bestätigte Luke.

«Es war so gänzlich unvernünftig!»

«Ihr Vater gab keine Gründe an?»

«O nein, er konnte doch nicht! Ich meine natürlich, er konnte nichts gegen Geoffrey einwenden, als dass er ihn nicht mochte.»

«‹Ich mag dich nun mal nicht, guter Mann, den Grund dafür ich nicht sagen kann.›»

«Ganz richtig.»

«Nichts Greifbares, an das man sich halten könnte? Ich meine, Ihr Geoffrey trinkt nicht und wettet nicht auf Pferde?»

«O nein. Ich glaube, Geoffrey weiß nicht einmal, wer das Derby gewonnen hat!»

«Das ist komisch», sagte Luke. «Wissen Sie, ich hätte nämlich schwören können, dass ich Ihren Dr. Thomas am Derbytag in Epsom sah.»

Einen Augenblick befürchtete er, er könnte mal erwähnt haben, dass er erst an jenem Tag in England eingetroffen sei; aber Rose antwortete sofort ohne jedes Misstrauen. «Sie glaubten Geoffrey beim Derby gesehen zu haben? O nein. Er hätte an dem Tag auch gar nicht weg können. Er war fast den ganzen Tag drüben in Ashewood bei einer schweren Entbindung.»

«Was für ein Gedächtnis Sie haben!»

Rose lachte.

«Das habe ich mir gemerkt, weil er mir erzählte, sie hätten dem Baby den Kosenamen Jujube gegeben!»

Luke nickte zerstreut.

«Überhaupt geht Geoffrey nie zu einem Rennen; er würde sich zu Tode langweilen.»

Sie fügte in einem anderen Ton hinzu:

«Wollen Sie nicht – mit hereinkommen? Ich glaube, Mutter würde Sie gern sehen.»

«Ja, sind Sie sicher?»

Rose ging voraus in ein Zimmer, das in der Dämmerung trübe wirkte. Eine Frau saß seltsam zusammengekauert in einem Lehnstuhl.

«Mutter, dies ist Mr Fitzwilliam.»

Mrs Humbleby fuhr auf, dann reichte sie ihm die Hand. Rose ging still aus dem Zimmer.

«Ich freue mich, Sie zu sehen, Mr Fitzwilliam. Freunde von Ihnen kannten meinen Mann vor vielen Jahren, sagte Rose mir.»

«Ja, Mrs Humbleby.» Es war ihm sehr unangenehm, die Lüge der verwitweten Frau gegenüber wiederholen zu müssen, aber er hatte keine Wahl.

«Ich wollte, Sie hätten ihn kennengelernt. Er war ein so prachtvoller Mensch und ein großer Arzt. Er heilte viele Menschen, die als hoffnungslos aufgegeben waren, durch die Kraft seiner Persönlichkeit.»

Luke sagte sanft:

«Ich habe, seit ich hier bin, sehr viel von ihm gehört. Ich weiß, wieviel die Leute von ihm hielten.»

Er konnte Mrs Humblebys Gesicht nicht deutlich sehen. Ihre Stimme klang ziemlich monoton, aber eben ihr Mangel an Ausdruck schien die Tatsache zu betonen, dass starkes Gefühl in ihr war, das mit Macht zurückgehalten wurde.

Sie sagte ziemlich unerwartet:

«Die Welt ist ein sehr schlimmer Ort, Mr Fitzwilliam. Wissen Sie das?»

Luke war ein wenig überrascht.

«Ja, das mag schon sein.»

Sie bestand darauf:

«Ja, aber wissen Sie es? Das ist wichtig. Es gibt sehr viel Schlechtigkeit hier… Man muss vorbereitet sein – sie zu bekämpfen! John war es. Er wusste. Er war auf der Seite des Rechts!»

«Davon bin ich überzeugt.»

«Er kannte die Schlechtigkeit, die an diesem Ort war», sagte Mrs Humbleby. «Er wusste – »

Sie brach plötzlich in Tränen aus.

Luke murmelte:

«Es tut mir so leid – », und hielt inne.

Sie fasste sich ebenso jäh wieder, wie sie die Fassung verloren hatte.

«Sie müssen verzeihen», sagte sie. Sie streckte ihm die Hand entgegen, und er nahm sie. «Kommen Sie uns doch mal besuchen, solange Sie hier sind», sagte sie. «Es wäre so gut für Rose; sie hat Sie sehr gern.»

«Ich habe sie auch sehr gern; ich finde Ihre Tochter das netteste Mädchen, das ich seit langem kennengelernt habe, Mrs Humbleby.»

«Sie ist sehr gut zu mir.»

«Dr. Thomas ist ein beneidenswerter Mann.»

«Ja.» Mrs Humbleby ließ seine Hand los. Ihre Stimme war wieder ausdruckslos geworden. «Ich weiß nicht – es ist alles so schwer.»

Als Luke sie verließ, stand sie in der Dämmerung, und ihre Finger wanden und drehten sich nervös ineinander. Auf dem Heimweg ging er in Gedanken die verschiedenen Phasen des Gesprächs durch.

Dr. Thomas war einen großen Teil des Derbytages von Wychwood abwesend gewesen, und zwar im Auto. Wychwood war nicht ganz sechzig Kilometer von London entfernt. Angenommen, er hatte eine Entbindung durchgeführt – sprach mehr als seine Behauptung dafür? Nun, vermutlich ließ sich das herausfinden. Seine Gedanken wandten sich Mrs Humbleby zu –

Was hatte sie gemeint mit ihrem Satz: «Es gibt sehr viel Schlechtigkeit hier…?»

War sie einfach nur nervös und überreizt durch die Erschütterung über den Tod ihres Mannes? Oder steckte da mehr dahinter? Wusste sie vielleicht etwas? Etwas, das Dr. Humbleby gewusst hatte, bevor er starb?

«Ich muss weitermachen», sagte sich Luke. «Ich muss weiterkommen in dieser Sache.»

Entschlossen wandte er seine Gedanken von dem Gefecht ab, das zwischen ihm und Bridget stattgefunden hatte.

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