20

Bridget hörte Luke heranfahren; sie kam heraus, um ihn abzufangen.

Sie sagte ohne Einleitung:

«Ich habe es ihm erzählt.»

«Was?»

Luke erschrak.

Seine Bestürzung war so offenbar, dass Bridget fragte: «Luke – was ist denn? Du scheinst ganz fassungslos.»

Er sagte langsam:

«Ich dachte, wir wollten warten, bis ich zurückkomme.»

«Ich weiß, aber ich dachte, es sei besser, es hinter mir zu haben. Außerdem – er machte Pläne – für unsere Heirat – unsere Hochzeitsreise – all das! Ich musste es ihm einfach sagen!»

Sie fügte – einen leisen Vorwurf in der Stimme – hinzu:

«Es war das einzig Anständige, was ich tun konnte.»

Er erkannte das an.

«Von deinem Standpunkt aus, ja. O ja, das sehe ich ein.»

«Von jedem Standpunkt aus, hätte ich gedacht!»

Luke sagte langsam:

«Es gibt Zeiten, wo man sich Anständigkeit nicht leisten kann!»

«Luke, was meinst du nur?»

Er machte eine ungeduldige Bewegung.

«Das kann ich dir jetzt und hier nicht sagen. Wie hat Whitfield es aufgenommen?»

«Außerordentlich gut. Wirklich, außerordentlich gut. Ich schämte mich. Ich glaube, Luke, dass ich Gordon unterschätzt habe – nur weil er so hochtrabend ist und oft viel schwätzt. Ich glaube wirklich, er ist – nun – ein großer kleiner Mann!»

Luke nickte.

«Ja, möglicherweise ist er ein großer Mann – auf eine Art, die wir nicht ahnten. Hör mal, Bridget, du musst sobald wie möglich hier weg.»

«Natürlich. Ich packe meine Sachen und gehe noch heute fort. Du könntest mich in die Stadt fahren. Ich vermute, wir können nicht beide in der ‹Scheckigen Glocke› absteigen – das heißt, wenn die Ellsworthy-Gesellschaft fort ist?»

Luke schüttelte den Kopf.

«Nein, es ist besser, du gehst nach London. Ich werde dir später alles erklären. Mittlerweile muss ich wohl mit Whitfield sprechen.»

«Ich glaube, das gehört sich – es ist alles recht scheußlich, nicht? Ich fühle mich wie eine verkommene kleine Goldgräberin!»

Luke lächelte ihr zu.

«Es wäre ein ehrlicher Handel gewesen, du hättest deinen Part anständig erfüllt. Jedenfalls nützt es nichts, Dinge zu beklagen, die vorbei und erledigt sind! Ich gehe jetzt hinein, um Whitfield zu sprechen.»

Als er eintrat, ging Lord Whitfield mit langen Schritten im Wohnzimmer auf und ab. Er schien äußerlich ruhig, auf seinen Lippen lag sogar ein Lächeln. Aber Luke bemerkte, dass der Puls an seinen Schläfen heftig pochte.

Er wandte sich rasch um, als Luke eintrat.

«Ah, da sind Sie ja, Fitzwilliam.»

«Es hätte keinen Sinn, wenn ich jetzt behaupten würde, ich bedaure, was ich getan habe – das wäre Heuchelei! Ich gebe zu, dass ich mich von Ihrem Standpunkt aus schlecht benommen habe, ich habe sehr wenig zu meiner Verteidigung vorzubringen. Diese Dinge geschehen eben.»

Lord Whitfield fing wieder an, auf und ab zu gehen. «Gewiss – gewiss!»

Er machte eine abwehrende Bewegung.

Luke fuhr fort.

«Bridget und ich, wir haben Sie schändlich behandelt. Aber es ist einmal so – wir haben einander gern – und da kann man nichts machen – außer Ihnen die Wahrheit zu sagen und fortzugehen!»

Lord Whitfield blieb stehen. Er sah Luke mit blassen, vorstehenden Augen an.

«Nein», sagte er, «da können Sie nichts machen!»

Es war ein höchst seltsamer Ton in seiner Stimme. Er stand da, schaute Luke an und schüttelte leise den Kopf, als bedaure er ihn.

Luke sagte scharf: «Wie meinen Sie das?»

«Sie können nichts machen!» sagte Lord Whitfield. «Es ist zu spät!»

Luke trat einen Schritt näher zu ihm.

«Sagen Sie mir, was Sie meinen?»

Lord Whitfield sagte unerwarteterweise:

«Fragen Sie Honoria Waynflete. Sie wird verstehen, sie weiß, was geschieht. Sie hat einmal zu mir darüber gesprochen!»

«Was versteht sie?»

«Das Böse bleibt nicht unbestraft. Gerechtigkeit muss sein! Es tut mir leid, weil ich Bridget gern habe. Irgendwie tun Sie mir beide leid!»

«Drohen Sie uns?»

Lord Whitfield wehrte ab.

«Nein, nein, mein Lieber. Ich habe kein Gefühl in der Sache! Als ich Bridget die Ehre erwies, sie zu meiner Frau zu erwählen, übernahm sie gewisse Verpflichtungen. Jetzt lehnt sie sie ab – aber es gibt kein Zurück in diesem Leben. Wer die Gesetze bricht, büßt dafür…»

Luke ballte die Fäuste.

«Sie meinen, dass Bridget etwas geschehen wird? Aber verstehen Sie, Whitfield, nichts wird Bridget geschehen – und mir auch nicht! Wenn Sie etwas Derartiges versuchen, ist es das Ende. Sie sollten achtgeben! Ich weiß sehr viel von Ihnen!»

«Es hat nichts mit mir zu tun», sagte Lord Whitfield. «Ich bin nur das Werkzeug einer höheren Macht. Was diese Macht beschließt, geschieht!»

«Ich sehe, dass Sie das wirklich glauben.»

«Weil es die Wahrheit ist! Jeder, der gegen mich vorgeht, büßt es. Sie und Bridget werden keine Ausnahme sein.»

«Da haben Sie unrecht. Wie lang auch die Glücksserie läuft, zum Schluss reißt sie ab. Ihre ist dem Reißen schon sehr nahe.»

Lord Whitfield sagte ruhig:

«Mein lieber Fitzwilliam, Sie wissen nicht, mit wem Sie reden. Mich kann nichts berühren!»

«Nicht? Wir werden sehen. Sie sollten gut Acht geben, Whitfield!»

Eine leichte Bewegung schien den andern erfasst zu haben; seine Stimme hatte sich verändert, als er wieder sprach. «Ich war bis jetzt sehr geduldig», sagte Lord Whitfield. «Strapazieren Sie meine Geduld nicht zu sehr. Hinaus mit Ihnen!»

«Ich gehe schon. So schnell ich kann. Vergessen Sie nicht, dass ich Sie gewarnt habe.»

Er wandte sich um und ging rasch aus dem Zimmer. Er lief die Treppe hinauf und fand Bridget in ihrem Zimmer, das Packen ihrer Kleider durch ein Stubenmädchen beaufsichtigend.

«Bald fertig?»

«In zehn Minuten.»

Ihre Augen stellten die Frage, die die Anwesenheit des Mädchens sie hinderte auszusprechen.

Luke nickte kurz.

Er ging in sein Zimmer und stopfte rasch seine Sachen in seinen Handkoffer.

Er kehrte nach zehn Minuten zu Bridget zurück und fand sie bereit zur Abfahrt.

«Gehen wir?»

«Ich bin fertig.»

Als sie die Treppe hinuntergingen, stießen sie auf den Diener, der gerade heraufkam.

«Miss Waynflete ist gekommen, Miss.»

«Miss Waynflete? Wo ist sie?»

«Im Wohnzimmer mit Seiner Lordschaft.»

Bridget ging direkt ins Wohnzimmer, Luke knapp hinter ihr. Lord Whitfield stand im Gespräch mit Miss Waynflete am Fenster. Er hatte ein Messer in der Hand – eine lange, schlanke Klinge.

«Eine vollendete Arbeit», sagte er. «Einer meiner jungen Leute hat es mir aus Marokko mitgebracht, wo er Sonderkorrespondent war. Es ist natürlich maurisch, ein Rifmesser.» Er fuhr mit einem Finger liebevoll die Klinge entlang. «Welche Schärfe!»

Miss Waynflete sagte mindestens ebenso scharf:

«Legen Sie es doch um Himmels willen weg, Gordon!»

Er lächelte und legte es zu einer Sammlung anderer Waffen auf den Tisch.

«Es ist angenehm anzufassen», sagte er leise.

Miss Waynflete hatte etwas von ihrem sonstigen Gleichgewicht eingebüßt; sie sah blass und nervös aus.

«Ah, da sind Sie ja, meine liebe Bridget», sagte sie.

Lord Whitfield kicherte.

«Ja, das ist Bridget. Erfreuen Sie sich nur ihrer Gesellschaft, Honoria; sie wird nicht mehr lange bei uns sein.»

Miss Waynflete fragte rasch: «Wie meinen Sie das?»

«Meinen? Ich meine, dass sie nach London geht. Das stimmt doch, nicht wahr? Das habe ich gemeint.»

Er schaute sie alle der Reihe nach an.

«Ich habe eine kleine Neuigkeit für Sie, Honoria», sagte er. «Bridget wird mich nun doch nicht heiraten. Sie zieht Fitzwilliam hier vor! Eine seltsame Sache, das Leben! Nun, ich überlasse euch nun eurer Unterhaltung.»

Er ging aus dem Zimmer; seine Hände klimperten mit den Münzen in seinen Taschen.

«O Gott – » seufzte Miss Waynflete. «O du lieber Gott – » Ihre Stimme klang so bekümmert, dass Bridget sie ganz erstaunt ansah. Sie stieß hervor:

«Es tut mir leid. Es tut mir wirklich schrecklich leid.»

Miss Waynflete sprach:

«Er ist böse – er ist furchtbar böse – o Gott, das ist schrecklich. Was sollen wir tun?»

Bridget starrte sie an.

«Tun? Wie meinen Sie?»

Miss Waynflete sagte, beide vorwurfsvoll ansehend:

«Sie hätten es ihm nicht jetzt erzählen sollen; Sie hätten warten sollen, bis Sie fort waren.»

Bridget entgegnete kurz:

«Das ist Ansichtssache. Ich selbst finde, es ist besser, unangenehme Dinge so rasch wie möglich zu erledigen.»

«Ach, meine Liebe, wenn es sich nur darum handelte – » Sie hielt inne. Dann richteten ihre Augen eine Frage an Luke. Luke schüttelte den Kopf, seine Lippen formten die Worte: «Noch nicht.»

Miss Waynflete murmelte: «Ich verstehe.»

Bridget fragte mit leiser Ungeduld:

«Wollten Sie mich in einer besonderen Angelegenheit sprechen, Miss Waynflete?»

«Nun – ja. Ich kam eigentlich her, um Ihnen vorzuschlagen, mich auf ein paar Tage zu besuchen. Ich dachte – Sie würden es vielleicht unbehaglich finden, hier zu bleiben, und dass Sie ein paar Tage brauchen würden, um – nun – Ihre Pläne reifen zu lassen.»

«Ich danke Ihnen, Miss Waynflete, das war sehr freundlich von Ihnen.»

«Wissen Sie, bei mir würden Sie ganz sicher sein und – » Bridget unterbrach sie:

«Sicher?»

Miss Waynflete, ein wenig verwirrt, sagte hastig:

«Bequem – das meinte ich – Sie hätten es ganz bequem bei mir. Ich meine, natürlich nicht so luxuriös wie hier – aber das heiße Wasser ist wirklich heiß, und mein Mädchen, Emily, kocht wirklich recht gut.»

«Oh, ich bin sicher, dass alles wundervoll sein würde, Miss Waynflete», antwortete Bridget mechanisch.

«Aber natürlich, wenn Sie nach London gehen, so ist das viel besser…»

Bridget überlegte:

«Es ist ein wenig ungeschickt; meine Tante ist heute früh zu einer Blumenschau gefahren. Ich hatte noch keine Gelegenheit, ihr zu erzählen, was sich zugetragen hat. Ich werde ein paar Zeilen für sie hinterlassen und ihr mitteilen, dass ich in ihre Wohnung gegangen bin.»

«Sie wollen in die Wohnung Ihrer Tante in London?»

«Ja. Es ist niemand dort, aber zu den Mahlzeiten kann ich ja fortgehen.»

«Sie werden allein in der Wohnung sein? Ach, das täte ich an Ihrer Stelle nicht. Nicht ganz allein in der Wohnung bleiben.»

«Niemand wird mich fressen», meinte Bridget ungeduldig. «Außerdem wird meine Tante morgen kommen.»

Miss Waynflete schüttelte bekümmert den Kopf.

Luke meinte:

«Geh lieber in ein Hotel.»

Bridget wandte sich ihm rasch zu.

«Warum? Was habt ihr nur alle? Warum behandelt ihr mich, als sei ich ein geistesschwaches Kind?»

«Nein, nein, meine Liebe», verwahrte sich Miss Waynflete. «Wir wollen nur, dass Sie achtgeben – das ist alles!»

«Aber warum? Warum? Um was handelt es sich denn?»

«Hör mal, Bridget», erklärte Luke. «Ich muss mit dir reden. Aber hier kann ich es nicht. Komm jetzt mit mir ins Auto, und wir fahren irgendwo hin, wo es ruhig ist.»

Er sah Miss Waynflete an.

«Dürfen wir in ungefähr einer Stunde zu Ihnen kommen? Ich habe Ihnen Verschiedenes zu berichten.»

«Bitte, kommen Sie. Ich werde Sie dort erwarten.»

Luke legte seine Hand auf Bridgets Arm. Miss Waynflete nickte er erleichtert zu.

«Das Gepäck holen wir später. Komm!»

Er führte sie aus dem Zimmer durch die Halle zur Eingangstür. Er öffnete die Tür des Autos. Bridget stieg ein, und Luke fuhr rasch die Auffahrt hinunter. Er seufzte erleichtert auf, als sie aus dem eisernen Gittertor fuhren.

«Gott sei Dank, dass ich dich da herausgebracht habe und in Sicherheit», stieß er erleichtert hervor.

«Bist du ganz verrückt geworden, Luke? Warum dieses ganze Getue: ‹Still, still – ich kann dir jetzt nicht sagen, was ich meine –›»

Luke erklärte grimmig:

«Nun, weißt du, es macht einem Schwierigkeiten zu erklären, dass ein Mann ein Mörder ist, wenn man sich augenblicklich unter seinem Dach befindet!»

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