6

Luke war eben im Begriff gewesen, sich eine Zigarette anzuzünden. Die Überraschung über ihre Frage lähmte ihm momentan die Hand; er verharrte ein paar Augenblicke regungslos, während das Zündholz herunterbrannte und ihm die Finger versengte.

«Verdammt», fluchte Luke, ließ das Zündholz fallen und schüttelte heftig seine Hand. «Verzeihung, Sie haben mich ganz aus dem Konzept gebracht.» Er lächelte etwas kläglich.

«Wirklich?»

«Ja.» Er seufzte. «Nun, vermutlich würde mich jeder, der ein wenig intelligent ist, durchschauen! Der Geschichte, dass ich ein Buch über Volkssagen schreibe, sind Sie wohl keinen Augenblick aufgesessen, wie?»

«Nachdem ich Sie einmal gesehen hatte, nicht.»

«Bis dahin haben Sie es geglaubt?»

«Ja.»

«Und dass ich da herkomme und mich als Vetter ausgebe – das hat Sie nicht stutzig gemacht?»

Bridget schüttelte den Kopf.

«Nein. Dafür hatte ich eine Erklärung – das heißt, ich glaubte eine zu haben. Ich nahm an, dass es Ihnen schlecht ginge. Vielen von meinen und Jimmys Freunden geht es schlecht – und da dachte ich, er habe sich das mit dem Vetter ausgedacht, um Ihren Stolz zu schonen.»

«Aber als ich ankam», sagte Luke, «hat da mein Auftreten so viel Wohlstand ausgeströmt, dass diese Erklärung nicht in Frage kam?»

Ein Lachen erschien auf ihren Lippen.

«O nein», erwiderte sie. «Das war es nicht. Sie waren einfach nicht der Richtige dafür.»

«Nicht genug Verstand, um ein Buch zu schreiben? Schonen Sie meine Gefühle nicht; mir ist lieber, ich weiß es!»

«Sie könnten ein Buch schreiben, aber nicht diese Art Buch, über alte Bräuche und Riten. Sie sind nicht der Mensch, dem die Vergangenheit viel bedeutet – vielleicht nicht einmal die Zukunft – gerade nur die Gegenwart.»

«Hm – ich verstehe.» Er zog ein schiefes Gesicht. «Hol’s der Teufel, seit ich hier bin, war ich nervös in Ihrer Gegenwart! Sie sahen so verdammt intelligent aus.»

«Entschuldigen Sie», bemerkte Bridget trocken. «Was haben Sie denn erwartet?»

«Nun – ich hatte eigentlich nicht darüber nachgedacht.»

Doch sie fuhr ruhig fort:

«Eine federleichte kleine Person – mit gerade genug Verstand, die Gelegenheit wahrzunehmen und ihren Chef einzufangen?»

Luke gab einen undeutbaren Laut von sich. Sie wandte ihm einen leicht amüsierten Blick zu.

«Ich verstehe vollkommen. Ist schon gut. Ich bin nicht böse.»

Luke versuchte es mit Frechheit.

«Nun, vielleicht war es etwas Ähnliches. Aber ich habe wirklich nicht viel darüber nachgedacht… Hat Lord Whitfield mich auch durchschaut?»

«O nein. Wenn Sie erzählt hätten, Sie seien hergekommen, um die Gewohnheiten der Wasserkäfer zu studieren und eine Abhandlung darüber zu schreiben, wäre es bei Gordon glatt durchgegangen. Er besitzt eine beneidenswerte Leichtgläubigkeit.»

«Trotzdem war ich nicht sehr überzeugend! Ich wurde nervös.»

«Das habe ich wohl gemerkt. Es hat mich sogar amüsiert, muss ich gestehen.»

Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie:

«Warum sind Sie hier, Mr Fitzwilliam?»

Luke hatte gewusst, dass diese Frage kommen würde. In den letzten paar Sekunden hatte er sich bemüht, einen Entschluss zu fassen. Nun sah er auf und begegnete ihren Augen – klugen, fragenden Augen, die die seinen mit einem ruhigen, festen Blick trafen: Ein Ernst lag in ihnen, den er nicht erwartet hatte.

«Es wird besser sein», meinte er nachdenklich, «Ihnen keine Lügen mehr zu erzählen.»

«Viel besser.»

«Aber die Wahrheit ist fatal… Sagen Sie mal, haben Sie sich selbst irgendeine Meinung gebildet – ich meine, ist Ihnen etwas eingefallen in Bezug auf meine Anwesenheit hier?»

Sie nickte langsam und nachdenklich.

«Wollen Sie es mir nicht sagen? Ich glaube, es würde mir manches erleichtern.»

Bridget sagte ruhig:

«Ich dachte, dass Sie in Verbindung mit dem Tod jenes Mädchens, Amy Gibbs, hergekommen sind.»

«Das war es also! Das merkte ich, das fühlte ich – wann immer ihr Name fiel! Ich wusste, da steckt etwas dahinter! Sie dachten also, dass ich deshalb herkam?»

«Ist es nicht so?»

«In gewisser Weise – ja. Ich bin hergekommen auf eine phantastische und wohl ganz absurde und melodramatische Vermutung hin. Amy Gibbs ist ein Teil dieser ganzen Sache. Ich möchte herausbekommen, wie sie wirklich starb.»

«Ja, das dachte ich mir.»

«Aber, hol’s der Kuckuck – warum dachten Sie das? Was war an ihrem Tod, das – nun – Ihr Interesse weckte?»

Bridget erwiderte: «Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass da irgend etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Darum brachte ich Sie zu Miss Waynflete.»

«Warum?»

«Weil sie das auch glaubt.»

«Oh!» Luke dachte rasch zurück. Nun verstand er – genau das hatte sie ihm auf ihre klug-altjüngferliche Art anzudeuten versucht. «Warum eigentlich?»

«Vor allem wegen der Hutfarbe. Vor zwanzig Jahren haben die Leute ihre Hüte gefärbt – eine Saison hatte man einen rosa Strohhut, dann wurde er dunkelblau und schließlich vielleicht noch schwarz. Aber heutzutage sind Hüte billig – schlechtes Material, das man wegwirft, wenn es unmodern geworden ist.»

«Auch Mädchen wie Amy Gibbs?»

«Da würde noch eher ich mir einen Hut färben als sie! Sparsamkeit gibt es nicht mehr. Und dann noch etwas: Es war rote Farbe.»

«Und?»

«Amy Gibbs hatte rote Haare!»

«Sie meinen, das passt nicht zusammen?»

Bridget nickte.

«Man kann keinen hochroten Hut zu rotem Haar tragen. Das ist etwas, was ein Mann vielleicht nicht versteht, aber – ».

Luke unterbrach sie mit bedeutsamem Nachdruck.

«Nein – ein Mann würde das nicht verstehen – das stimmt – es stimmt alles.»

Bridget sagte:

«Jimmy hat ein paar merkwürdige Freunde bei Scotland Yard. Sie sind nicht…»

Luke sagte rasch:

«Ich bin kein offizieller Detektiv – und ich bin auch kein berühmter Privatdetektiv mit Zimmern in der Baker Street usw. Ich bin genau das, was Jimmy Ihnen gesagt hat – ein Polizeimann im Ruhestand aus dem Osten. Ich habe mich auf diese Sache eingelassen aufgrund einer merkwürdigen Begegnung im Zug nach London.»

Er schilderte ihr kurz seine Unterhaltung mit Miss Pinkerton und die nachfolgenden Ereignisse, die zu seiner Anwesenheit in Wychwood geführt hatten.

«Sie sehen also, es ist phantastisch!» schloss er. «Ich suche einen Menschen – einen heimlichen Mörder – einen Mann hier in Wychwood – wahrscheinlich allgemein bekannt und geachtet. Wenn Miss Pinkerton recht hatte und Sie recht haben und Miss Waynflete recht hat – so hat dieser Mann Amy Gibbs umgebracht.»

«Ich verstehe.»

«Es konnte von außen getan werden, nehme ich an?»

«Ja, ich glaube», sagte Bridget langsam. «Reed, der Polizist, kletterte über das Nebengebäude zu ihrem Fenster hinauf, das offen war. Es war eine mühselige Kletterei, aber ein halbwegs geschickter Mann kann das gut schaffen.»

«Und dann?»

«Stellte er eine Flasche Hutfarbe statt des Hustensaftes hin.»

«In der Erwartung, dass sie das tun würde, was sie dann ja auch wirklich tat – aufwachen, daraus trinken, und jeder würde sagen, sie habe sich geirrt oder Selbstmord begangen?»

«Ja.»

«Bei der Leichenschau wurde kein Verdacht laut?»

«Nein.»

«Das waren vermutlich alles Männer – die Frage der Hutfarbe kam nicht zur Sprache?»

«Nein.»

«Aber Ihnen fiel es auf?»

«Ja.»

«Und Miss Waynflete auch? Haben Sie darüber gesprochen?» Bridget lächelte schwach.

«O nein – nicht so, wie Sie wohl meinen. Ich weiß nicht einmal, inwieweit Miss Waynflete in dieselbe Richtung denkt wie ich. Sie ist sehr intelligent, wissen Sie, hat studiert oder wollte es, und war recht fortschrittlich in ihrer Jugend. Sie hat nicht ganz die etwas verworrenen Ansichten der meisten Leute hier.»

«Miss Pinkerton war etwas verworren, denke ich», sagte Luke. «Deshalb ließ ich mir anfangs nicht träumen, dass an ihrer Geschichte etwas dran sein könnte.»

«Ich hielt sie immer für ziemlich scharfsinnig», widersprach Bridget. «Die meisten dieser guten Alten haben in manchen Dingen einen scharfen Blick. Sie sagten, sie habe noch andere Namen erwähnt?»

Luke nickte.

«Ja. Einen kleinen Jungen – das war Tommy Pierce –, ich erinnerte mich gleich wieder an den Namen, als ich ihn hier hörte. Und ich bin ziemlich sicher, dass ein gewisser Carter auch genannt wurde.»

«Carter, Tommy Pierce, Amy Gibbs, Dr. Humbleby», zählte Bridget nachdenklich auf. «Wie Sie sagen, es ist beinahe zu phantastisch, um wahr zu sein! Wer hätte alle diese Leute umbringen wollen? Und warum? Sie waren so verschieden!»

Luke fragte:

«Haben Sie irgendeine Idee, warum jemand Amy Gibbs aus dem Wege hätte räumen wollen?»

Bridget schüttelte den Kopf.

«Und was ist mit Carter? Wie ist er übrigens gestorben?»

«Er fiel in den Fluss und ertrank. Er war auf dem Heimweg, es war eine neblige Nacht, und er war sturzbetrunken. Er ging über einen Steg, der nur auf einer Seite ein Geländer hat. Man hat angenommen, dass er einen Fehltritt gemacht hat.»

«Aber irgendjemand hätte ihm auch leicht einen Stoß geben können.»

«O ja.»

«Und auch dem schlimmen kleinen Tommy hätte jemand einen Stoß geben können, als er Fenster putzte?»

«So ist es.»

«Es scheint also ganz leicht zu sein, drei Menschen zu beseitigen, ohne dass jemand Verdacht schöpft.»

«Miss Pinkerton schöpfte Verdacht», erinnerte ihn Bridget. Luke sagte:

«Gibt es jemanden in Wychwood, bei dessen Anblick es Ihnen kalt über den Rücken läuft oder der seltsame blasse Augen hat – und ein sonderbares, wahnsinniges Kichern?»

«Sie glauben, der Mann ist verrückt?»

«Ja, das möchte ich behaupten. Aber ein schlauer Verrückter. Der letzte, auf den man kommen würde – wahrscheinlich eine Stütze der Gesellschaft wie der Bankdirektor.»

«Mr Jones? Den kann ich mir nun allerdings wirklich nicht vorstellen als Mörder en gros.»

«Dann ist er wahrscheinlich der, den wir suchen.»

«Es kann jeder sein», sagte Bridget. «Der Fleischer, der Bäcker, der Kaufmann, ein Feldarbeiter, ein Straßenarbeiter oder der Mann, der die Milch bringt.»

«Kann sein – ja –, aber ich denke, dass der Kreis doch ein wenig enger zu fassen ist.»

«Warum?»

«Miss Pinkerton sprach von dem Blick seiner Augen, als er sein nächstes Opfer betrachtete. Und wie sie das sagte, gewann ich den Eindruck – es ist nur ein Eindruck, wohlgemerkt –, dass der Mann, den sie meinte, ihr wenigstens sozial gleichgestellt war. Natürlich kann ich unrecht haben.»

«Sie haben wahrscheinlich vollkommen recht! Diese Feinheiten in der Konversation lassen sich nicht schwarz auf weiß festhalten, aber man irrt sich selten darin.»

«Wissen Sie», sagte Luke, «ich bin richtig froh, dass Sie jetzt alles wissen.»

«Sie werden wahrscheinlich weniger verkrampft sein. Und ich kann Ihnen wahrscheinlich helfen.»

«Ihre Hilfe wäre ungeheuer wertvoll. Sie wollen wirklich mitmachen?»

«Natürlich.»

Luke sagte plötzlich verlegen:

«Was ist mit Lord Whitfield? Glauben Sie –?»

«Natürlich erzählen wir Gordon nichts davon!» kam Bridgets Antwort prompt.

«Sie meinen, er würde es nicht glauben?»

«Oh, glauben würde er es schon! Gordon würde alles glauben! Aber er würde sofort darauf bestehen, dass ein halbes Dutzend seiner hellen jungen Leute herkäme, um die Nachbarschaft aufzuscheuchen! Er wäre begeistert davon!»

«Das macht es natürlich unmöglich», stimmte Luke zu.

«Ja, ich fürchte, wir können ihm seine einfachen Freuden einfach nicht gestatten.»

Luke schaute sie an. Er schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber und schaute auf die Uhr.

«Ja», bestätigte Bridget, «wir müssen nach Hause.»

Sie erhob sich. Zwischen ihnen war plötzlich eine Spannung, so, als schwebten Lukes unausgesprochene Worte störend in der Luft. Schweigend gingen sie heim.

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