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Die Sonne schien, als Luke über den Hügel nach Wychwood under Ashe fuhr. Er hatte sich ein Auto gekauft – aus zweiter Hand – und hielt nun einen Augenblick auf dem Rücken des Hügels.

Der Sommertag war warm und sonnig. Unter ihm lag der Ort, merkwürdig unberührt von den jüngsten Entwicklungen.

Luke dachte: Ich bin vielleicht doch verrückt, die ganze Sache ist zu phantastisch.

War er wirklich allen Ernstes hierhergekommen, um einen Mörder zur Strecke zu bringen – einfach aufgrund der Erzählungen einer alten Dame und einer zufälligen Todesanzeige?

Er schüttelte den Kopf.

«Solche Sachen passieren nicht», murmelte er. «Oder – doch? Luke, mein Junge, es ist an dir herauszukriegen, ob du der leichtgläubigste Esel auf der Welt bist oder ob dich deine Polizeinase auf die richtige Fährte geführt hat.»

Er setzte den Wagen wieder in Gang, fuhr langsam den gewundenen Weg hinab und in die Hauptstraße ein.

Hier hielt er an und fragte nach dem Weg.

Man sagte ihm, das Herrenhaus, Ashe Manor, läge ungefähr zehn Minuten entfernt – er könne die Tore zur rechten Hand sehen.

Luke fuhr weiter, sah durch die Bäume rote Ziegel aufblitzen und wurde nach der Biegung zur Auffahrt von einem erschreckend geschmacklosen, mit vielen Türmchen versehenen Bau überrascht.

Während er das Monstrum noch betrachtete, versteckte sich die Sonne. Ein plötzlicher Windstoß fuhr durch die Blätter der Bäume, und in diesem Augenblick kam eine junge Frau um die Ecke des Hauses.

Ihr schwarzes Haar wurde vom Wind steil in die Höhe getrieben und erinnerte Luke an ein Bild, das er einmal gesehen hatte – Nevinsons «Hexe»: dasselbe schmale, bleiche, feine Gesicht, das schwarze Haar, das zu den Sternen hinaufflog. Er sah sie förmlich auf einem Besenstiel zum Mond hinauffliegen…

Sie kam gerade auf ihn zu.

«Sie müssen Luke Fitzwilliam sein. Ich bin Bridget Conway.»

Er ergriff die Hand, die sie ihm entgegenstreckte. Er konnte sie nun sehen, wie sie wirklich war – nicht, wie sie ihm ein phantastischer Augenblick gezeigt hatte. Groß, schlank, ein ovales, zartes Gesicht mit etwas eingefallenen Wangen, ironische schwarze Augenbrauen, schwarze Augen und Haare. Sie war wie eine zarte Radierung, fand er – scharf und schön. Er sagte:

«Ich muss mich entschuldigen, dass ich Ihnen da einfach so aufgehalst werde. Jimmy behauptete, dass es Ihnen nichts ausmachen würde.»

«Oh, wir freuen uns.» Sie lächelte. «Jimmy und ich sind immer einer für den anderen da. Und wenn Sie, sein Freund, ein Buch über Volkssagen schreiben, ist dies der richtige Ort dafür. Es gibt hier alle möglichen Legenden und malerische Plätze.»

«Wunderbar», sagte Luke.

Sie gingen miteinander auf das Haus zu. Luke warf noch einen interessierten Blick darauf. Er entdeckte nun Spuren eines nüchternen Baus aus der Zeit von Queen Anne, die von der blühenden Pracht fast erstickt wurden. Er erinnerte sich, dass Jimmy erwähnt hatte, dass das Haus ursprünglich Bridgets Familie gehört hatte. Das, dachte er grimmig, war wohl in dessen «unverzierten» Tagen gewesen. Er betrachtete verstohlen die Linie ihres Profils, ihre schmalen Hände und machte sich so seine Gedanken.

Er hielt sie für ungefähr acht- oder neunundzwanzig. Sie hatte offenbar Verstand. Und sie war einer von den Menschen, über die man absolut nichts wusste, wenn sie es nicht wünschten.

Im Innern war das Haus bequem und geschmackvoll eingerichtet. Bridget Conway ging voraus in ein Zimmer mit Bücherregalen und bequemen Sesseln, in dem ein Teetisch am Fenster stand.

Sie sagte:

«Gordon, das ist Luke, eine Art Vetter von einem meiner Vettern.»

Lord Whitfield war ein kleiner Mann und beinahe kahl. Sein Gesicht war rund, mit offenem Ausdruck, einem kleinen Schmollmund und Augen wie gesottene Stachelbeeren. Er hatte einen nachlässig sitzenden Anzug an, der das Unvorteilhafte seiner hauptsächlich aus Bauch bestehenden Figur betonte.

Er begrüßte Luke leutselig.

«Freue mich sehr, Sie zu sehen, wirklich sehr. Sind eben aus dem Osten zurückgekehrt, wie ich höre? Sehr interessant, nicht wahr? Sie schreiben ein Buch, wie mir Bridget sagte. Manche behaupten ja, dass heutzutage zu viele Bücher geschrieben werden. Ich dagegen sage, für ein gutes ist immer noch Platz.»

Bridget stellte weiter vor: «Meine Tante, Mrs Anstruther», und Luke schüttelte einer ältlichen Dame mit etwas törichtem Gesichtsausdruck die Hand.

Mrs Anstruther war, wie Luke bald entdeckte, mit Leib und Seele der Gärtnerei ergeben. Sie sprach nie von etwas anderem und war ständig damit beschäftigt zu überlegen, ob irgendeine seltene Pflanze wohl an dem Ort gedeihen würde, an den sie sie setzen wollte.

Lord Whitfield schlürfte seinen Tee und musterte Luke abschätzend.

«Sie schreiben also Bücher», murmelte er.

Etwas nervös war Luke im Begriff, Erklärungen abzugeben, als er bemerkte, dass es Lord Whitfield nicht wirklich um Auskunft zu tun war.

«Ich habe mir oft gedacht, dass ich eigentlich auch gern ein Buch schreiben möchte.»

«Ja?» sagte Luke.

«Verstehen Sie, ich könnte es», sagte Lord Whitfield, «und es würde ein sehr interessantes Buch werden. Ich habe eine Menge interessanter Leute kennen gelernt. Nur habe ich leider nicht die Zeit, ich bin ein vielbeschäftigter Mann.»

Dann von seiner eigenen olympischen Höhe zu den gewöhnlichen Sterblichen herabsteigend, fragte er seinen Gast freundlich:

«Kennen Sie jemanden in dieser Gegend?»

Luke schüttelte den Kopf, dann fiel ihm ein, dass er sich am besten so bald wie möglich an seine Aufgabe machte, und fügte hinzu:

«Das heißt, es lebt ein Mann hier, den ich aufzusuchen versprach – ein Bekannter von Freunden von mir. Ein Mann namens Humbleby, er ist Arzt.»

«Oh!» Lord Whitfield setzte sich auf. «Dr. Humbleby? Schade.»

«Was ist schade?»

«Er ist vor ungefähr einer Woche gestorben», erklärte Lord Whitfield.

«Ach je», sagte Luke. «Das tut mir leid.»

«Ich glaube nicht, dass er Ihnen gefallen hätte», meinte Lord Whitfield. «Ein halsstarriger, unangenehmer, wirrköpfiger alter Narr.»

«Das heißt», erklärte Bridget, «er war nicht immer Gordons Meinung.»

«Es handelte sich um unsere Wasserversorgung», erläuterte Lord Whitfield. «Ich kann Ihnen sagen, Mr Fitzwilliam, dass ich ein Mensch mit Gemeinsinn bin. Mir liegt das Wohl dieser Stadt am Herzen. Ich bin hier geboren, ja, hier in dieser Stadt geboren – »

Missvergnügt bemerkte Luke, dass sie das Thema Dr. Humbleby verlassen und wieder zu Lord Whitfield zurückgekehrt waren.

«Ich schäme mich dessen nicht, jeder kann es wissen: Mein Vater hatte einen Schuhladen – ja, einen einfachen Schuhladen. Und ich bediente darin, als ich ein junger Bursche war. Ich habe alles aus eigener Kraft geschafft – ich war entschlossen, nach oben zu kommen – und ich bin es, weiß Gott! Beharrlichkeit, harte Arbeit und Gottes Hilfe – das ist das ganze Geheimnis! Das hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich schäme mich meiner Anfänge nicht – oh, nein –, ich bin hierher zurückgekehrt, wo ich geboren bin. Wissen Sie, was dort steht, wo der Laden meines Vaters war? Ein schönes Gebäude, erbaut und erhalten von mir – ein Klub für junge Burschen, alles erstklassig und modern, vom besten Architekten im Land! Ich muss sagen, er hat eine etwas sehr schlichte Form gewählt – kommt mir eher vor wie ein Armenhaus oder Gefängnis –, aber alle sagen, es ist so richtig, also muss es wohl so sein.»

«Tröste dich», sagte Bridget. «Bei diesem Haus hier hast du doch deinen Kopf durchgesetzt!»

Lord Whitfield kicherte zustimmend.

«Ja, sie wollten mich hier auch überreden, die Arbeiten im ursprünglichen Stil ausführen zu lassen. Nein, sagte ich, ich werde in dem Haus wohnen, und ich will etwas haben für mein Geld! Als ein Architekt nicht tun wollte, was ich verlangte, warf ich ihn hinaus und nahm einen anderen, der meine Ideen recht gut begriff.»

«Er hat den schlimmsten Auswüchsen deiner Phantasie Vorschub geleistet», seufzte Bridget.

«Sie hätte das Haus am liebsten so gelassen, wie es war», sagte Lord Whitfield und streichelte ihren Arm. «Es nützt nichts, in der Vergangenheit zu leben, meine Liebe. Ich wollte keinen einfachen roten Ziegelbau. Ich hatte mir immer ein Schloss gewünscht – und jetzt habe ich eins!» Er fügte hinzu: «Ich weiß, mein Geschmack ist nicht klassisch, also gab ich einer erstklassigen Firma carte blanche, das Innere auszustatten, und ich muss sagen, sie haben es nicht schlecht gemacht – obwohl einiges ein wenig farblos ist.»

«Nun», bemerkte Luke, der nicht recht wusste, was er sagen sollte, «es ist jedenfalls viel wert, zu wissen, was man will.»

«Und ich krieg es gewöhnlich auch», bekräftigte der andere kichernd.

«Im Hinblick auf die Wasserversorgung ist es dir beinahe nicht gelungen», erinnerte Bridget ihn.

«Ach ja, das!» sagte Lord Whitfield. «Humbleby war ein Narr. Diese älteren Leute neigen zur Starrköpfigkeit; sie wollen Vernunftgründe nicht gelten lassen.»

«Dr. Humbleby sagte wohl immer offen seine Meinung?» fragte Luke. «Da machte er sich wahrscheinlich viele Feinde, nicht?»

«N-nein, das möchte ich nicht gerade behaupten», widersprach Lord Whitfield. «Was, Bridget?»

«Er war bei allen sehr beliebt», sagte Bridget. «Ich sah ihn nur, als er damals wegen meines Knöchels kam, und fand ihn sehr sympathisch.»

«Ja, im Allgemeinen war er recht beliebt», gab Lord Whitfield zu. «Obwohl ich ein oder zwei Leute kenne, die gar nicht gut auf ihn zu sprechen waren.»

«Leute von hier?»

Lord Whitfield nickte.

«Es gibt immer eine Menge von kleinen Streitereien und Cliquen in so einem Ort», sagte er.

«Ja, das kann ich mir denken», nickte Luke. Er zögerte, unsicher über seinen nächsten Schritt.

«Was für Leute leben hier eigentlich so?» fragte er. Es war eine schwache Frage, doch er erhielt augenblicklich Antwort. «Hinterbliebene, zum größten Teil», sagte Bridget. «Töchter von Geistlichen, ihre Schwestern und Witwen, das gleiche von Ärzten. Ungefähr sechs Frauen auf einen Mann.»

«Aber ein paar Männer gibt es?» fragte Luke.

«O ja, da ist einmal Mr Abbot, der Rechtsanwalt, und der junge Dr. Thomas, Dr. Humblebys Kompagnon, und Mr Wake, der Pfarrer, und – wen gibt es noch, Gordon? Ah ja, Mr Ellsworthy, der den Antiquitätenladen hat und ausgesprochen reizend ist. Und Major Horton und seine Bulldoggen.»

«Da erinnere ich mich, dass meine Freunde noch jemanden erwähnten, der hier lebt», sagte Luke. «Sie sagten, es sei eine liebe alte Dame, die aber sehr viel rede.»

Bridget lachte.

«Das passt auf das halbe Dorf!»

«Wie war nur der Name? Ich hab’s wieder – Pinkerton.»

Lord Whitfield sagte heiser lachend:

«Sie haben wirklich Pech! Die ist auch tot. Wurde kürzlich in London überfahren. Auf der Stelle tot.»

«Sie scheinen eine Menge Todesfälle hier zu haben», meinte Luke leichthin.

Lord Whitfield ging in die Luft.

«Durchaus nicht. Einer der gesündesten Orte in England. Unglücksfälle kann man nicht zählen, die können überall passieren.»

Bridget Conway sagte jedoch nachdenklich:

«Aber es hat tatsächlich eine Menge Todesfälle gegeben im letzten Jahr, Gordon. Ein Begräbnis nach dem anderen.»

«Unsinn, mein Kind.»

Luke sagte:

«War Dr. Humblebys Tod auch ein Unglücksfall?»

Lord Whitfield schüttelte den Kopf.

«O nein. Humbleby starb an akuter Blutvergiftung. Sieht einem Arzt ähnlich. Hat sich die Hand mit einem rostigen Nagel oder so etwas Ähnlichem verletzt – hat es nicht beachtet, und es ist septisch geworden; innerhalb von drei Tagen war er tot.»

«Ärzte sind wirklich so», bestätigte Bridget. «Und dann sind sie ja auch jeder Infektion ausgesetzt. Es war aber sehr traurig. Seine Frau war ganz gebrochen.»

«Es nützt nichts, sich gegen den Willen der Vorsehung aufzulehnen», dozierte Lord Whitfield weise.

Aber war es der Wille der Vorsehung? fragte sich Luke später, als er sich zum Essen umzog. Blutvergiftung! Vielleicht. Ein sehr plötzlicher Tod auf jeden Fall.

Und durch den Kopf gingen ihm Bridget Conways leichthin gesprochene Worte:

«Es hat eine Menge Todesfälle gegeben im letzten Jahr.»

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