14

Mrs Church, die Tante von Amy Gibbs, war entschieden ein unangenehmes Wesen. Ihre schiefe Nase, ihre unruhigen Augen und ihre geschwätzige Zunge stießen Luke ab. Er war kurz angebunden und hatte unerwarteterweise Erfolg damit.

«Was Sie zu tun haben», sagte er ihr, «ist, meine Fragen, so gut Sie können, zu beantworten. Wenn Sie etwas verschweigen oder die Wahrheit verdrehen, kann das höchst ernste Folgen für Sie haben.»

«Ja, Sir, ich verstehe. Ich habe den besten Willen, Ihnen alles zu sagen, was ich weiß. Ich habe nie mit der Polizei zu tun gehabt…»

«Das brauchen Sie auch jetzt nicht», unterbrach Luke sie. «Wenn Sie tun, was ich Ihnen sagte, wird davon nicht die Rede sein. Ich will alles über Ihre verstorbene Nichte wissen – wer ihre Freunde waren – wieviel Geld sie hatte – ob sie irgendetwas sagte, das ungewöhnlich war. Wir wollen mit ihren Freunden anfangen; wer waren sie?»

Mrs Church schielte ihn schlau aus einem Augenwinkel an.

«Sie meinen wohl Herren?»

«Hatte sie Freundinnen?»

«Nun – kaum – nicht der Rede wert, Sir. Natürlich, es gab da ein paar Mädchen, mit denen sie zusammen gedient hatte – aber Amy hatte nicht viel mit ihnen im Sinn. Sehen Sie – »

«Sie zog das andere Geschlecht vor. Weiter. Erzählen Sie mir davon.»

«Es war Jim Harvey aus der Garage unten, mit dem sie eigentlich ging, Sir. Und ein netter, solider junger Mann war er. ‹Du kannst nichts Besseres tun›, habe ich ihr oft gesagt – »

Luke unterbrach sie.

«Und die anderen?»

Wieder traf ihn der verschlagene Blick.

«Ich vermute, Sie denken an den Herrn, der den Antiquitätenladen hat? Das hat mir nicht gefallen, das kann ich Ihnen geradeheraus sagen, Sir! Ich war immer anständig und halte nichts von diesen Liebschaften! Aber wie die Mädchen heutzutage sind, nützt ja das Reden nichts; sie gehen ihre eigenen Wege, und oft müssen sie es dann bedauern.»

«Musste Amy es bedauern?» fragte Luke geradeheraus.

«Nein, Sir – das glaube ich nicht.»

«Sie konsultierte Dr. Thomas am Tag ihres Todes. Das war also nicht der Grund?»

«Nein, Sir, ich bin sicher, das war es nicht – ich könnte einen Eid darauf ablegen! Amy hatte sich krank gefühlt, aber es war nur eine Erkältung und ein schlimmer Husten, durchaus nicht das, was Sie meinen, da bin ich sicher, Sir.»

«Ich will Ihnen glauben. Wie weit ist die Sache zwischen ihr und Ellsworthy gegangen?»

Mrs Church grinste.

«Das könnte ich wirklich nicht sagen, Sir. Amy war nicht für Anvertrauen.»

«Aber es ist ziemlich weit gegangen?»

Mrs Church antwortete milde:

«Der Herr hat gar keinen guten Ruf hier, Sir. Treibt alle möglichen Dinge. Freunde kommen aus der Stadt, und da sind seltsame Vorkommnisse, mitten in der Nacht oben auf der Hexenwiese.»

«Ging Amy hin?»

«Einmal ist sie hingegangen, glaube ich, Sir. Ist die ganze Nacht ausgeblieben, und Seine Lordschaft hat es erfahren (sie diente damals in Ashe Manor) und ziemlich scharf mit ihr gesprochen, und sie ist keck geworden, da hat er ihr gekündigt, was nur zu erwarten war.»

«Hat sie je viel zu Ihnen darüber gesprochen, was in den Häusern vorging, wo sie diente?»

Mrs Church schüttelte den Kopf.

«Nicht sehr viel, Sir. Ihre eigenen Sachen interessierten sie mehr.»

«Sie war einige Zeit bei Major und Mrs Horton, nicht?»

«Beinahe ein Jahr, Sir.»

«Warum ist sie dort fort?»

«Nur um sich zu verbessern. Es wurde eine Stelle frei in Ashe Manor, und dort war natürlich der Lohn höher.»

Luke nickte.

«Sie war zur Zeit von Mrs Hortons Tod dort?» fragte er.

«Ja, Sir. Und sie hat viel gemault darüber – die zwei Pflegerinnen im Haus, die immer Extraarbeit machten, ihnen das Essen extra bringen und eins zum andern.»

«Bei dem Rechtsanwalt, Mr Abbot, hat sie nicht gedient?»

«Nein, Sir. Mr Abbot wird von einem Ehepaar versorgt. Amy ging wohl einmal in seine Kanzlei, aber warum, weiß ich nicht.»

Luke notierte sich im Geiste diese kleine Tatsache, die vielleicht von Bedeutung sein konnte. Da jedoch Mrs Church offenbar nicht mehr darüber wusste, verfolgte er es nicht weiter.

«War da irgendein anderer Herr im Ort, mit dem sie befreundet war?»

«Niemand, worüber ich reden möchte.»

«Aber, aber, Mrs Church! Ich will die ganze Wahrheit wissen, merken Sie sich das!»

«Es war kein Herr, weit davon entfernt. Heruntergesetzt hat sie sich damit, das habe ich ihr auch gesagt.»

«Möchten Sie nicht etwas deutlicher werden, Mrs Church?»

«Sie werden von den ‹Sieben Sternen› gehört haben, Sir? Kein besonderes Haus, und der Wirt ein ordinärer Kerl und die meiste Zeit betrunken.»

«Amy war mit ihm befreundet?»

«Sie ist ein paar Mal mit ihm spazierengegangen; ich glaube, mehr war nicht daran; ganz bestimmt glaube ich das.»

Luke nickte nachdenklich und wechselte das Thema. «Haben Sie einen kleinen Jungen, Tommy Pierce, gekannt?»

«Wen? Den Sohn von Mrs Pierce? Natürlich kannte ich ihn. Hatte immer nur Unfug im Kopf!»

«War er viel mit Amy zusammen?»

«O nein, Sir. Amy wurde ihn rasch los, wenn er seine Späße mit ihr versuchte.»

«War sie mit ihrer Stelle bei Miss Waynflete zufrieden?»

«Sie fand es ein wenig langweilig, und der Lohn war nicht hoch. Aber natürlich, nachdem sie auf diese Weise von Ashe Manor wegmusste, war es nicht leicht, wieder einen guten Platz zu finden.»

«Sie hätte doch fortgehen können von hier, nicht?»

«Nach London, meinen Sie?»

«Oder irgendwo anders hin?»

Mrs Church schüttelte den Kopf und sagte langsam:

«Amy wollte nicht fort von Wychwood – wie die Dinge lagen.»

«Wie meinen Sie das – ‹wie die Dinge lagen›?»

«Nun, mit Jim und dem Herrn vom Antiquitätenladen.» Luke nickte nachdenklich.

«Miss Waynflete ist eine sehr liebe Dame, aber sehr genau mit dem Putzen von Silber und Türklinken und dass alles gut abgestaubt wird und die Matratzen umgewendet. Amy hätte sich das Getue nicht gefallen lassen, wenn sie sich nicht auf andere Weise unterhalten hätte.»

«Das kann ich mir vorstellen», sagte Luke trocken.

Er überdachte, was er gehört hatte; es fiel ihm keine weitere Frage ein. Er war ziemlich sicher, dass er alles, was Mrs Church wusste, herausbekommen hatte. Aber er entschloss sich zu einem letzten, versuchsweisen Angriff.

«Ich vermute, Sie können den Grund aller dieser Fragen erraten. Die Umstände von Amys Tod sind ziemlich geheimnisvoll. Wir sind nicht überzeugt davon, dass es ein Unglücksfall war. Wenn nicht – so verstehen Sie, was es gewesen sein muss?»

Mrs Church sagte mit einer gewissen scheußlichen Befriedigung:

«Mord!»

«Ganz richtig. Nun, gesetzt den Fall, Ihrer Nichte wäre das widerfahren, wen halten Sie verantwortlich für ihren Tod?»

Mrs Church wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab.

«Da gäbe es wohl eine Belohnung, wenn man die Polizei auf die rechte Spur brächte, was?» fragte sie bedeutungsvoll.

«Es könnte sein», wich Luke aus.

«Ich möchte nichts Bestimmtes sagen», meinte Mrs Church und fuhr sich mit hungriger Zunge über die schmalen Lippen. «Aber der Herr vom Antiquitätenladen ist ein merkwürdiger Kauz. Sie erinnern sich vielleicht an den Fall Castor, Sir – wie man Stücke des armen Mädchens überall in Castors Bungalow fand, und dann noch fünf oder sechs Mädchen entdeckte, denen er auf die gleiche Art mitgespielt hatte. Am Ende ist dieser Mr Ellsworthy auch so einer?»

«Das ist also Ihre Idee?»

«Nun, es könnte doch so sein, nicht?»

Luke gab zu, dass es so sein könnte. Dann fragte er:

«War Ellsworthy am Nachmittag des Derbys weg? Das ist ein sehr wichtiger Punkt!»

Mrs Church starrte ihn an.

«Am Derbytag?»

«Ja – letzten Mittwoch vor vierzehn Tagen.»

Sie schüttelte den Kopf.

«Das könnte ich wirklich nicht sagen. Mittwoch war er gewöhnlich fort – fuhr meistens nach London. Es ist früher Ladenschluss am Mittwoch, wissen Sie.»

«Oh», sagte Luke. «Früher Ladenschluss.»

Er verabschiedete sich von Mrs Church, ihre Anspielungen nicht beachtend, dass ihre Zeit kostbar sei und sie daher finanzielle Entschädigung beanspruchen könne. Mrs Church war ihm äußerst unsympathisch, aber seine Unterredung mit ihr war, obwohl nicht klärend in irgendeiner Art, doch anregend in mancher Beziehung.

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