Die Krieger kamen mit dem ersten Licht des neuen Tages. Die beiden winzigen Fenster unter der Decke wurden zu grauen rechteckigen Löchern in der Wand, als Skar den Hufschlag hörte, einen dumpfen, nur allmählich näherkommenden Klang, der aber von jenem machtvollen Dröhnen durchdrungen war, das das Nahen sehr vieler Reiter verriet. Er hätte viel darum gegeben, an der Wand hinaufklettern zu können, um die Ankunft der Krieger zu beobachten, aber nur mit einer Hand und schwach, wie er war, erwies sich das als unmöglich. Außerdem hatte er Titchs Warnung nicht vergessen. Seine Rolle als halb verhungerter Gefangener hätte enorm an Glaubwürdigkeit eingebüßt, hätte man ihn in drei Metern Höhe unter der Decke klebend vorgefunden.
Und er hatte auch gar nicht mehr die Energie dazu. Dieses Verlies und vor allem das, was es bedeutete, hatten ihn erschüttert. Kiinas Worte hatten... alles zerstört. Er wußte nicht, ob er jemals wieder Vertrauen zu Titch würde haben können, ob er es jemals wieder über sich bringen würde, ihm in die Augen zu sehen. Er hatte versucht, den Quorrl zu hassen; zumindest Zorn auf ihn zu empfinden, aber nicht einmal das konnte er. Dabei waren es nicht einmal die bloßen Tatsachen selbst, die ihn so erschütterten. Kannibalismus war ihm nicht fremd; er war im Laufe seines Lebens auf mehr als ein Volk gestoßen, das Menschenfleisch aß, und unter ihnen waren auch Menschen gewesen. Was es so schlimm machte, was ihn nicht einfach nur erschütterte, sondern wirklich weh tat, war der Umstand, daß Titch es ihm nicht gesagt hatte.
Zumindest begriff er jetzt, warum die Quorrl auf Crons Hof so wenig Notiz von ihm genommen hatten. Der Anblick eines Menschen war nichts Besonderes für sie. Sein Geschmack wahrscheinlich auch nicht.
»Was sind das für Männer?« fragte Kiina, als der Hufschlag näher kam und den ganzen Hof über ihnen wie dröhnender Donner auszufüllen schien. Sie sah zum Fenster hoch. »Krieger, die uns suchen?«
Skar schüttelte langsam den Kopf. Er hatte über Titchs Worte nachgedacht, und trotz der Verbitterung, die er beim bloßen Gedanken an den Quorrl verspürte, glaubte er ihm. »Nein«, sagte er. »Jedenfalls nicht nur. Etwas geht hier vor.«
Kiina lachte rauh. »Was für eine tiefschürfende Erkenntnis, Satai.«
»Ich meine es ernst«, antwortete Skar. »Es ist nicht nur das hier. Irgend etwas... geschieht in diesem Land. Etwas Entsetzliches.« Und es war längst nicht nur die Desertation von Titchs Kriegern. Er hatte dieses Land nie zuvor gesehen, bis vor wenigen Tagen nicht einmal seinen Namen gewußt, und doch spürte er, daß die furchtbare Veränderung, die von ganz Enwor Besitz ergriffen hatte, auch vor den Grenzen Cants nicht Halt gemacht hatte. Etwas geschah in diesem Land, und jede lebende Kreatur mußte es spüren.
»Titch hat Angst«, sagte Kiina leise. Skar sah sie fragend an. »Er hat Angst, seit wir Cant erreicht haben«, fügte sie hinzu. »Hat er dir das gesagt?«
»Ich weiß es«, antwortete Kiina. »Ich spüre, wenn jemand Angst hat. Du hast auch Angst. Aber aus anderen Gründen als Titch.«
Skar antwortete nicht darauf. Sie hatten überhaupt wenig gesprochen in der letzten Stunde; was nicht zuletzt daran gelegen hatte, daß Kiina viel zu erschöpft gewesen war, um zu reden. Skar hatte sich neben sie gesetzt und die Gefangenen im Auge behalten, die in respektvollem Abstand zu Kiina und ihm auf dem Boden hockten, und sie hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt und war in einen unruhigen, fiebernden Schlaf gesunken, aus dem sie immer wieder hochgeschreckt war.
»Was wirst du tun, wenn du hier heraus bist?« fragte Kiina plötzlich.
»Wir«, verbesserte Skar. »Es muß heißen - was werden wir tun, wenn wir hier heraus sind.«
»Wir?« Kiinas Lippen verzogen sich zu der schwachen Karikatur eines Lächelns. »Ich glaube nicht, daß ich es schaffe«, sagte sie. »Ich bin so...«
»Müde?« schlug Skar vor. »Das ist kein Wunder, nach dem, was du mitgemacht hast. Cron wird dafür bezahlen.«
»Das ist es nicht«, antwortete Kiina. »Ich fühle mich schlecht, Skar. Nicht erst seit zwei Tagen. Ich weiß nicht, was es ist. Ich bin... manchmal habe ich das Gefühl, innerlich zu brennen.«
»Der Weg hierher war sehr anstrengend«, sagte er. »Du bist kein Satai.« Er hätte ihr sagen können, was der wirkliche Grund für ihre Schwäche war, das verzehrende Feuer, das noch immer in ihr loderte und sie töten würde, wenn es ihnen nicht gelang, das Heilige Wasser der Quorrl zu erreichen. Aber er tat es nicht. Kiina mochte die Wahrheit ahnen, aber solange sie sie nicht wirklich wußte, bestand auch nicht die Gefahr, daß sie verzweifelte und einfach aufgab. Wer war er, ihr diese barmherzige Lüge zu verwehren?
»Du hast darauf bestanden, mich zu begleiten«, sagte er. »Jetzt bestehe ich darauf, daß du es auch weiter tust. Du kannst später sterben, wenn du unbedingt willst. Aber jetzt erlaube ich es nicht.«
Kiina lächelte pflichtschuldig. »Also gut«, sagte sie matt. »Was also werden wir tun, nachdem wir hier heraus sind - und Cron den Hals umgedreht haben?«
Skar machte eine Kopfbewegung zum Fenster hinauf. »Titch will noch immer nach Ninga - wo und was immer dieser Ort auch ist. Und ich habe eine Verabredung weiter im Norden.«
»Im Land der Toten.«
»Sie nennen es wohl so, ja.«
»Du willst sie immer noch ganz allein besiegen?«
»Ich habe sie auch ganz allein geholt«, antwortete er. Aber das war nicht die wirkliche Antwort. Er wollte sie nicht besiegen. Und er konnte es auch nicht. Niemand konnte die Kreatur der Sternengeborenen besiegen. Er wußte, daß dort im Norden, irgendwo noch jenseits der Grenze des Quorrl-Gebietes, die Entscheidung fallen würde, aber sie würde anders aussehen, als er sich jetzt schon vorzustellen vermochte. Ein Kampf? Er dachte an das flammende Ungeheuer, das Ennart in seinem Wahnsinn aus den Abgründen der Zeit heraufbeschworen hatte, und plötzlich war er fast sicher, daß es auf ihn wartete, im Norden, im Land der Toten. Der Dämon - und sein Dunkler Bruder. Der Daij-Djan war nicht besiegt, auch das begriff er plötzlich mit unerschütterlicher Gewißheit. Wie so vieles war auch dieser Gedanke nur ein Wunsch gewesen, die verzweifelte Hoffnung, wenigstens der schwarzen Chimäre entkommen zu sein. Aber er war noch da, tief verborgen in ihm, eingewoben in einen schwarzen Kokon aus Vergessen und Furcht, aber bereit für den Moment, an dem er endgültig hervorbrechen würde. Er hatte ihn einmal besiegt, ganz einfach, indem er ihn mit etwas konfrontierte, was ihm fremd war: der Lüge. Ein zweites Mal würde es ihm nicht gelingen, das wußte er.
»Das ist... keine Antwort, Skar«, sagte Kiina. Irgend etwas an der Art, in der sie sprach, ließ Skar sich zu ihr herumdrehen, und als er in ihre Augen blickte, überlief ihn ein eisiger Schauer. Sie war blaß und schmutzig und sah krank aus, aber das Entsetzen in ihrem Blick hatte einen anderen Grund.
»Du wirst sterben«, sagte sie leise, als er nicht antwortete. »Du weißt das. Du... du hast es die ganze Zeit über gewußt. Du gehst dorthin, um zu sterben.«
»Unsinn«, antwortete Skar. »Du sprichst in letzter Zeit ein bißchen zu viel vom Tod.«
»Du wirst sterben und mich allein lassen«, beharrte Kiina. »Ich weiß es. Was immer dich dort erwartet, es wird dich umbringen.«
Und das muß es auch, dachte er. Denn - wenn es das nicht tut, wird es mich in etwas verwandeln, was tausendmal schlimmer als der Daij-Djan ist.
Er sprach diesen Gedanken nicht aus, und Kiina kam auch nicht mehr dazu, eine weitere Frage zu stellen, denn in diesem Moment wurde die Tür auf der anderen Seite des Gitters aufgestoßen, und eine Anzahl Quorrl betraten den Kerker. Unter den Gefangenen brach sofort Unruhe aus, so daß Skar die Schuppenkrieger im ersten Moment nicht richtig erkennen konnte, aber eine der grüngrauen Gestalten überragte die anderen um mehr als Haupteslänge. Cron. Skar hielt nach Titch Ausschau, konnte ihn aber in dem Durcheinander von schuppigen Leibern nicht entdecken, und er wagte es nicht, zu aufmerksam hinzusehen. Eine Peitsche knallte. Die Gefangenen, die nicht gefesselt waren, wichen wie am Morgen angstvoll zur Wand zurück, als die Tür in der Gitterwand geöffnet wurde. Skar senkte hastig den Blick, zog die Knie an den Leib und bettete die Stirn darauf, als wäre er zu matt, um auch nur den Kopf zu heben, blinzelte aber aus den Augenwinkeln aufmerksam zur Tür hinüber. Cron und zwei weitere Quorrl betraten die Zelle. Die beiden Männer neben Cron waren Krieger, riesige Gestalten in den mattschimmernden Rüstungen der Tempelgarde, mit Schwertern und kurzen, stachelschwänzigen Peitschen bewaffnet, mit deren Stielen sie die Gefangenen auf Abstand hielten. Skar versuchte, einen Blick auf Crons Gesicht zu erhaschen. Seine Züge waren so alt und häßlich, wie er sie in Erinnerung hatte, und sein einziges Auge loderte im Widerschein der Fackel wie ein Stück glühender Kohle. Und trotzdem war Skar sicher, so etwas wie Angst auf dem Gesicht des Quorrl zu erkennen.
Die drei schuppigen Riesen gingen bis zur Mitte des Verlieses und blieben stehen. Cron begann mit schneller, fistelnder Stimme auf einen der Krieger einzureden, aber Skars Aufmerksamkeit galt eher dem zweiten Quorrl. Der Krieger sah langsam in die Runde, und er tat es mit einer Aufmerksamkeit, die ein wenig über das zu erwartende Maß hinausging. Er suchte etwas. Jemanden. Titch hatte sich getäuscht. Es mochte noch einen anderen Grund geben, aus dem die Quorrl hier waren, aber sie waren auch gekommen, um nach Kiina und ihm zu suchen.
Einem Mädchen von zwanzig Jahren und einem Mann, der ihr Vater sein konnte, dachte er. Plötzlich hatte er das Gefühl, daß der Quorrl ihn einfach erkennen mußte. Er hätte nicht neben Kiina bleiben dürfen, sondern sich unter die anderen Gefangenen mischen müssen, spätestens, als die Quorrl kamen. Jetzt war es zu spät.
Der Quorrl kam näher, vielleicht durch Zufall, vielleicht nicht, aber Skar spürte, daß er irgend etwas tun mußte. Er konnte den Blick der dunklen Fischaugen regelrecht spüren. Mühsam hob er den Kopf, sah dem Quorrl einen Moment lang direkt ins Gesicht und ließ sich dann wieder zusammensacken. Der Quorrl musterte ihn aufmerksam, sehr aufmerksam, ihn und Kiina. Wenn er Verdacht schöpfte, waren sie verloren. Vielleicht - nur vielleicht - konnte er diese beiden Quorrl und auch Cron besiegen, wenn er den Vorteil der Überraschung ausnutzte; aber draußen auf dem Hof mußten Dutzende von Kriegern sein.
»Schlag mich«, flüsterte er, ohne die Lippen zu bewegen. Kiina sah ihn verwirrt an. »Frag jetzt nicht, sondern schlag mich mit der Kette. So fest du kannst.«
Kiina verstand ganz offensichtlich kein Wort; und sie reagierte auch nicht. Skar hob den Kopf, musterte den Quorrl eine Sekunde lang mit leerem Blick und drehte sich dann zu Kiina um. Seine rechte Hand griff nach ihrer Brust und drückte hart und schmerzhaft zu, so daß sie ein überraschtes Keuchen ausstieß. Instinktiv versuchte sie ihn abzuschütteln, aber Skar hielt sie unbarmherzig fest und machte Anstalten, sich mit dem ganzen Körper auf sie zu werfen. Kiina wehrte sich immer noch nicht. Ein Peitschenhieb traf seinen Rücken und warf ihn zu Boden. Skar schrie vor Schmerz, rollte herum und riß schützend die Arme über das Gesicht, als die Peitsche des Quorrl ein zweites Mal auf ihn herabsauste. Die dünnen, mit eisernen Stacheln besetzten Lederriemen rissen seine Haut auf. Blut lief über seine Unterarme und sein Gesicht. Er schrie abermals, krümmte sich vor Schmerz und verlor fast das Bewußtsein, als der Quorrl ihn in die Seite trat. Noch ein weiterer Hieb, und er würde entweder sterben oder aufspringen und sich wehren; was auf das gleiche hinauslief.
Aber er kam nicht. Der Quorrl wandte sich mit einem zornigen Grunzen um und ging zu seinem Kameraden zurück, während Kiina mit schreckgeweiteten Augen und erstarrt dasaß und abwechselnd ihn und den schuppigen Giganten anstarrte. Sie hatte nicht begriffen, was Skar getan hatte; und warum.
Durch einen Schleier aus Blut und Schmerz sah Skar zu Cron auf. Der Quorrl blickte kalt auf ihn herab, ohne die geringste Regung, ohne Mitleid oder Triumph. Schlachtvieh, dachte Skar. Er betrachtete ihn wie ein Stück Vieh, interessiert, aber ohne das allermindeste Gefühl. Seine rechte Hand grub sich in den Boden, so fest, daß Blut unter seinen Fingernägeln hervorquoll, aber dieser Schmerz war das einzige, was ihn noch davon abhielt, aufzuspringen und Cron die Faust ins Gesicht zu schlagen. Er mußte wohl das Bewußtsein verloren haben, denn das nächste, was er registrierte, war Titchs Hand, die in seinem Nacken lag und seinen Kopf stützte, und einen Becher mit einer kalten, völlig geschmacklosen Flüssigkeit, der an seine Lippen gehalten wurde. Er trank, zuerst gierig und mit großen ungeschickten Schlucken, so daß das meiste wieder über seine tauben Lippen lief, dann etwas vorsichtiger. Erst dann öffnete er die Augen.
»Idiot«, sagte Titch kopfschüttelnd. »Was, zum Teufel, sollte das? Eine besonders originelle Art, Selbstmord zu begehen?« Skar stemmte sich hoch und schüttelte seine Hand ab. Sofort wurde ihm schwindelig, aber sein Zorn auf den Quorrl war stark genug, daß er sich kein äußeres Zeichen von Schwäche erlaubte.
»Sprichst du nicht mehr mit jedem?« fragte Titch grollend, als er nicht antwortete, sondern sich mit zusammengebissenen Zähnen herumdrehte und an Kiinas Seite humpelte.
»Doch«, antwortete Skar. »Ich bin nur verblüfft, daß du mit mir sprichst. Ich unterhalte mich selten mit meinem Frühstück.« Titch fuhr wie unter einem Schlag zusammen. Er wollte etwas sagen, fand aber offensichtlich nicht die richtigen Worte und wandte schließlich den Blick ab. In seinem Gesicht arbeitete es. Skar war sich darüber im klaren, daß er ungerecht war; und daß seine Worte dem Quorrl weh taten. Aber in diesem Moment genoß er beides.
»Er wollte mich nur schützen, Titch«, sagte Kiina. »Es war meine Schuld. Wenn ich... getan hätte, was er sagte, hätten sie ihn nicht geschlagen.«
Titch sah sie nachdenklich an. »Unsinn«, murmelte er. »Und es war sowieso umsonst.« Er kam näher, ohne seine Worte zu erklären, ließ sich vor Kiina in die Hocke sinken und zerbrach den Metallring an ihrem Fußgelenk ohne sichtliche Anstrengung. Kiina sah erstaunt zu ihm auf, machte aber keine Anstalten, sich zu erheben.
»Was soll das?« fragte Skar.
»Im Moment noch nichts«, erwiderte Titch. »Nur eine Vorsichtsmaßnahme - für den Fall, daß ihr schnell hier heraus müßt. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde einen Weg finden. Das Gebäude wird bewacht«, fügte er in bekümmertem Ton hinzu. »Dann bring uns doch in die Küche«, sagte Skar bitter. »Sie werden doch nichts dagegen haben, daß du dir zwei saftige Braten heraussuchst, oder?«
»Ich habe daran gedacht«, antwortete Titch ungerührt. »Aber das Risiko ist zu groß. Wir müssen warten, bis es dunkel ist. Dann bringe ich euch hier heraus. Irgendwie.«
»Und die anderen?«
Titch seufzte. »Bitte, Skar. Du weißt, daß es unmöglich ist. Es sind fast fünfzig Krieger auf dem Hof. Ihr kämt keine zehn Schritte weit.«
»Sie sind also doch hier, um uns zu suchen.«
»Ja«, gestand Titch. »Aber das wußte ich nicht. Und sie sind auch nicht nur euretwegen hier.«
»Warum dann?«
»Es ist die Ehrenwache des Bestimmers«, antwortete Titch. »Bist du jetzt schlauer?«
Skar setzte zu einer Antwort an, aber Titch schnitt ihm mit einer zornigen Geste das Wort ab und stand wieder auf. »Ich muß gehen«, sagte er. »Ich hätte gar nicht kommen dürfen, aber als Cron mir erzählte, was geschehen ist, mußte ich nachsehen, wie es dir geht.«
»Wie edel«, sagte Skar sarkastisch. »Aber völlig überflüssig. Ich bin ganz in Ordnung.« Er kniff sich mit den Fingern in den linken Bizeps. »Siehst du? Festes, gesundes Fleisch. Die paar zerkratzten Stellen kann man abschneiden.«
»Du haßt mich«, sagte Titch leise.
»Hassen?« Skar schüttelte den Kopf. »Nein. Ich... ich kann euch nicht einmal mehr verachten. Ennart hatte recht, weißt du das? Ihr seid Tiere. Ihr wart niemals etwas anderes.«
»Ich verstehe dich«, sagte Titch ruhig. »Du bist zornig, weil ich es dir nicht gesagt habe. Ich hatte Angst davor, Skar. Ich habe gehofft, daß du es nie erfährst. Ich hatte Angst, daß du genau so reagierst, wie du es jetzt tust.« Er schüttelte traurig den Kopf und machte eine Geste zu den anderen Gefangenen, die sich angstvoll vor ihm zurückgezogen hatten. »Glaubst du mir, wenn ich dir sage, daß ich niemals Menschenfleisch gegessen habe?«
»Natürlich nicht«, antwortete Skar bitter. »Du wußtest, daß du eines Tages auf mich treffen würdest, wie?«
»Nein. Ich habe es niemals getan, weil ich es... so schrecklich finde wie du. Es ist entwürdigend. Und es gibt viele, die so denken wie ich.«
»Und das soll ich dir glauben?«
»Hast du jemals Quorrl-Fleisch gegessen?«
Skar starrte ihn an, und plötzlich kam er sich gemein und schäbig vor, Titch auf so niederträchtige Art verdächtigt zu haben. Er wollte sich entschuldigen, aber irgend etwas hinderte ihn daran, und er spürte auch, daß Titch es nicht erwartete. »Genug jetzt«, sagte Titch in plötzlich verändertem Ton. »Ich muß fort. Sobald es dunkel wird, bringe ich euch hier heraus. Ihr unternehmt nichts, ganz egal, was passiert.«
»Auch nicht, wenn sie kommen, um uns zum Essen einzuladen?« fragte Skar freundlich. Er wollte es nicht. Er wußte, wie weh diese Worte dem Quorrl taten, aber etwas zwang ihn dazu, ihn zu verletzen und das Messer immer wieder in der Wunde herumzudrehen. Eine unhörbare Stimme flüsterte ihm zu, daß er auf dem besten Weg war, das letzte bißchen Vertrauen zwischen ihm und dem Quorrl zu zerstören, aber das war ihm gleich, in diesem Moment. Er wollte jemandem weh tun, ganz einfach, weil ihm weh getan worden war, und Titch kam ihm gerade recht. Um so mehr, als der Quorrl nicht in der Verfassung war, sich zu wehren.
Eine endlose Sekunde lang starrte Titch ihn einfach nur an. Dann drehte er sich mit einem Ruck herum und rannte aus dem Verlies.