Skar befand sich in einem Zustand tiefster Erschütterung, als Ian und seine Männer ihn in sein Zimmer zurückbrachten. Die Ruhe während der Unterhaltung mit Ennart war nur gespielt gewesen. In ihm brodelte es. Alles hatte sich geändert, von einer Sekunde auf die andere; jetzt, wo er wußte, welche Mächte Ennart und seine Brüder heraufzubeschwören versuchten. Es ging plötzlich nicht mehr um die Macht auf Enwor, sondern um mehr. Unendlich viel mehr. Dort unten, in dem schwarzen Tempel unter den Grundmauern des Turmes, hatte er begriffen, daß selbst Ennart und die mit ihm verbündeten Zauberpriester aus dem Süden nichts als Marionetten waren, ahnungs- und willenlose Sklaven einer Macht, von deren Existenz sie nicht einmal etwas ahnten. Und er mußte sie aufhalten, ganz egal, wie. Und sei es um den Preis seiner eigenen Niederlage.
Vorerst beschränkten sich seine Aktivitäten allerdings darauf, ruhelos wie ein gefangenes Raubtier im Käfig in seinem Zimmer auf und ab zu gehen und sich selbst, das Schicksal und vor allem den Ssirhaa lautlos zu verfluchen. Er war verzweifelt genug, einen gewaltsamen Ausbruch zu riskieren, aber Ennart schien die Wirkung vorausgeahnt zu haben, die der Anblick des Tempels auf ihn gehabt hatte. Die Tür wurde zum ersten Mal, seit er hier heraufgebracht worden war, hinter ihm geschlossen, und alles Klopfen und Rufen half nichts: Er war nun auch äußerlich ein Gefangener.
Es vergingen mehr als zwei Stunden, ehe der Ssirhaa zu ihm kam. Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten, als sich die Tür seines Gefängnisses wieder öffnete und Ennart eintrat. Anders als bisher kam der Ssirhaa diesmal nicht allein, sondern in Begleitung Ians und dreier weiterer Zauberpriester, die mit drohend erhobenen Schläfern unter der Tür stehenblieben. Er schien zu ahnen, daß Skar verzweifelt genug war, selbst einen direkten Angriff auf ihn in Betracht zu ziehen. Hinter dem Ssirhaa und seiner Wache betraten Anschi und Titch den Raum.
Skar erschrak, als er den Quorrl sah. Titch war nicht gebunden, aber er war ein Gefangener. Er bewegte sich wie in unsichtbaren Ketten, und sein Blick irrte unstet und wild durch den Raum, verharrte nur einen Sekundenbruchteil auf Skars Gesicht und huschte weiter. Skar hatte das Gefühl, einem Wesen gegenüberzustehen, das nur noch aus Angst bestand.
»Es gibt da einiges, was du mir bisher verschwiegen hast«, begann Ennart übergangslos. Er hatte mit Titch gesprochen. Und zweifellos hatte er alles erfahren, was der Quorrl wußte. Skar fragte sich nur, wieviel es war.
»Dann sind wir ja wieder quitt«, antwortete er störrisch. »Für jemanden, der mir sein Wort gegeben hat, mich nicht zu belügen, hast du mir eine Menge verschwiegen.«
Ian setzte zu einem zornigen Schritt in seine Richtung an, aber der Ssirhaa hielt ihn mit einer nur angedeuteten Geste zurück. »Etwas verschweigen und lügen ist nicht dasselbe«, sagte er. »Für mich schon.«
Ennart seufzte. »Ich bin nicht gekommen, um zu streiten«, sagte er.
Skar suchte Titchs Blick. Der Quorrl wich ihm noch immer aus, aber Skar erkannte jetzt, daß er verletzt war. Nicht schlimm - keine seiner Wunden war so, daß sie ihn auch nur behindert hätte. Aber in ihrer Vielzahl sprachen sie eine beredte Sprache. Der Quorrl hatte die Nacht nicht in einem Kerker oder in Ketten verbracht, wie er halbwegs angenommen hatte, sondern auf der Flucht. Sein goldener Schuppenpanzer war verbeult und voller Staub und Schmutz, und die Haut dort, wo sie nicht von zerkratztem Gold geschützt war, voller Schrammen und kleiner, mehr oder weniger harmloser Wunden. Die Schwertscheide an seinem Gürtel war leer, wies aber deutliche Schrammen und Scharten auf, als hätte er versucht, sie anstelle der Waffe zur Verteidigung zu benutzen, die sie enthalten sollte.
»Was habt ihr mit ihm gemacht?« fragte er zornig.
»Das spielt keine Rolle«, schnappte Ennart. »Wir -«
»Du erfährst kein Wort von mir«, unterbrach ihn Skar. »Nicht, solange ihr Titch nicht freilaßt.«
»Ihn freilassen?« Ennart lachte leise. »Aber wie kann ich das? Er ist kein Gefangener.« Mit einer spöttischen Bewegung drehte er sich zu Titch um und winkte ihm, an seine Seite zu treten. Der Quorrl gehorchte. Seine Bewegungen hatten nichts mehr von der kraftvollen Eleganz, die Skar immer so an ihm bewundert hatte. Sie wirkten hölzern. Wie die einer Puppe. Für einen Moment war er überzeugt, daß Ennart nun auch Titchs Willen gebrochen hatte, wie den Anschis und der anderen Errish. Aber die Augen des Quorrl waren klar. Titch war ein gebrochener Mann; aber es war nicht der Ssirhaa, der dafür verantwortlich war.
Skars Zorn steigerte sich zu rasender Wut. Wütend trat er auf den Ssirhaa zu und ballte die Faust. Ian hob drohend seinen Schläfer, aber Skar ignorierte die Waffe einfach. »Du ... verdammtes ... Ungeheuer«, flüsterte er. »Du -«
»Glaubst du, daß es uns in irgendeiner Form weiterhilft, wenn du mich beschimpfst?« unterbrach ihn Ennart kalt. »Wenn ja, dann laß deinen Gefühlen nur freien Lauf. Wenn nein, dann verschwendest du meine Zeit, Satai. Und ich glaube, daß sie kostbarer ist, als ich bisher angenommen habe.«
Skar beachtete ihn gar nicht mehr, sondern trat einen weiteren Schritt auf den Quorrl zu und berührte seinen Arm. Titch fuhr unter seiner Berührung zusammen. Für einen Moment kreuzten sich ihre Blicke, aber alles, was Skar in den Augen des Quorrl las, war ein abgrundtiefes Entsetzen. Dann fiel ihm der Geruch auf, der Titch anhaftete: ein scharfer, beunruhigender Geruch, dem er nicht das erste Mal begegnete.
»Drachen ...«, murmelte er, fassungslos und zornig zugleich. Er fuhr herum und funkelte Ennart an. »Ihr... habt sie zu den Drachen gesperrt?!«
»Wo sie hingehören, ja«, antwortete Ian an Ennarts Stelle. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, in der sich Haß und Abscheu die Waage hielten. »Bestien zu Bestien.«
»Genug«, sagte Ennart ruhig. Ian verstummte. »Du hattest Zeit genug, über das nachzudenken, was ich dir gesagt habe, Satai. Ich habe deine Bedingung erfüllt. Titch lebt, und er ist hier. Und ich habe mit ihm geredet. Es hat also wenig Sinn, wenn du versuchst, mich zu belügen.«
Skar trat einen halben Schritt zurück und tat so, als starre er nachdenklich ins Leere, während er in Wahrheit versuchte, eine Blöße in Ennarts oder Ians Deckung zu sehen; eine Schwäche, die es ihm erlauben mochte, sie anzugreifen und zu überwältigen. Er fand keine; es gab keine. Ennart selbst war der beste Schutz, den der Ssirhaa sich wünschen konnte. Ein Wesen wie ihn mit bloßen Händen anzugreifen, war Selbstmord. Auch für einen Mann wie Skar.
»Der Daij-Djan ist dir nicht so unbekannt, wie du mich glauben machen wolltest«, fuhr Ennart fort, als er keine Anstalten machte zu reden. »Im Gegenteil, ich glaube, du weißt mehr über ihn als ich selbst.«
»Titch hat dir erzählt, was geschehen ist, oder?«
»Das hat er. Aber das ist nicht alles, Skar.« Der Ssirhaa legte den Kopf auf die Seite und sah ihn halb abschätzend, halb lauernd an. »Ich glaube, ich habe dich unterschätzt, Satai«, sagte er. »Trotz allem.«
»Das ist schon mehr als einem passiert«, sagte Skar. Wieder suchte sein Blick den Titchs, und wieder gewahrte er einen Ausdruck unsäglichen Schmerzes in den Augen des riesigen Quorrl. Aber da war noch mehr. Etwas, das vor Augenblicken noch nicht dagewesen war. Etwas... geschah mit dem Quorrl. »Ich glaube«, fuhr Ennart mit zornbebender Stimme fort, »daß du das Wesen, das du nur einmal gesehen zu haben behauptest, in Wahrheit sehr gut kennst. Was hattest du vor? Ihn hierher zu bringen, damit er sich gegen uns wendet?«
Ennart kam der Wahrheit damit für Skars Geschmack beunruhigend nahe, aber er hatte sich gut genug in der Gewalt, sich auch jetzt noch nichts von seinen Gefühlen anmerken zu lassen. »Wenn es das wäre, was ich vorhatte, Ennart«, sagte er, »hätte ich es längst getan.« Er ist nämlich schon hier. Er wartet, Ennart. Auf dich. Auf alle anderen hier. Auf Enwor.
Und plötzlich war die Verlockung da, stärker und unwiderstehlicher als zuvor. Der Daij-Djan war zu klug, sich als flüsternder Versucher in seinen Gedanken zu melden, aber mit einem Male war es Skar selbst, der die Bestie entfesseln wollte, dieses eine Wort, den einen Gedanken zu denken, der die Bestie endgültig und ein für allemal entfesseln würde. Es würde sein eigenes Ende bedeuten, etwas, das mehr und tausendfach schlimmer als der Tod war, aber das spielte keine Rolle. Er spürte, noch während er den Gedanken dachte, daß er den Kampf auch diesmal noch gewinnen würde. Aber wie oft noch?
»Wer bist du, Skar?« fragte Ennart. »Was willst du wirklich? Du hattest niemals vor, auf mein Angebot einzugehen.«
»Und du hast das niemals wirklich geglaubt«, erwiderte Skar. »Nein«, sagte Ennart. »Im Grunde nicht. Ich glaube, ich wäre enttäuscht gewesen, hättest du dein Volk verraten. Aber ich war dir diese Chance schuldig. Und mir selbst. Jetzt...« Er brach ab, blickte einen Moment lang nachdenklich zu Boden und fuhr mit leiser, beinahe bedauernd klingender Stimme fort: »Du läßt mir keine andere Wahl mehr, Satai.«
Er machte eine Bewegung mit der Linken. Anschi und zwei der Zauberpriester wandten sich lautlos um und verließen das Zimmer.
»Bereiten sie meine Hinrichtung vor?« fragte Skar spöttisch. »Keineswegs«, antwortete Ennart. »Ich brauche dich, Skar. Ich habe dir das Herz des Turmes nicht aus Langeweile gezeigt oder um dir eine Freude zu bereiten.«
»Sondern weil du dabei warst, dir die Finger zu verbrennen, nicht wahr? Du experimentierst mit Kräften, die du nicht verstehst. Du bist ein Narr, Ennart. Du hältst dich für einen Gott, aber du bist nichts als ein verrückter alter Mann, der auf einem Pulverfaß sitzt und es mit einer brennenden Fackel öffnen will.«
»Ein interessanter Vergleich.« Ennart zuckte mit den Schultern und lächelte. »Und wer weiß - vielleicht stimmt er sogar. Warum zeigst du mir nicht, wie ich es öffnen kann?«
»Warum sollte ich?« erwiderte Skar. »Vielleicht finde ich es amüsanter, einfach dazusitzen und zuzusehen, wie du dich selbst umbringst. Und alle anderen hier dazu.«
»Du übertreibst.«
»So? Dann verrate mir, was gestern geschehen ist.« Skar hielt Titch bei diesen Worten scharf im Auge, aber der Quorrl reagierte nicht. Trotzdem spürte er, daß er aufmerksam zuhörte.
Ennarts Miene verfinsterte sich. »Nichts«, sagte er. »Ein unbedeutender Zwischenfall...«
»... der sich nicht wiederholen wird, ich weiß«, unterbrach ihn Skar. »Das habe ich jetzt schon dreimal gehört, glaube ich. Aber eine Lüge wird nicht zur Wahrheit, wenn man sie nur oft genug wiederholt.«
»Manchmal schon.«
»Es ist euch entglitten«, behauptete Skar. »Der Haß, den dieser Turm ausstrahlt und der ganz Enwor vergiftet, hat sich selbständig gemacht. Früher, als du wolltest. Die Quorrl sind noch nicht an der Reihe, nicht wahr?« Hinter Ennart hob Titch mit einem Ruck den Kopf und starrte ihn an. Seine Augen wurden groß.
»Das ist es doch, was ihr vorhabt, oder?« fuhr Skar fort. Ennart schwieg. »Es spielt gar keine Rolle, wer diesen Krieg gewinnt, wir oder ihr. Wichtig ist nur, daß er geführt wird. Daß genug Menschen, Quorrl und andere Wesen getötet werden. Das allein zählt.«
Ennarts Augen wurden schmal. Zu Skars eigenem Erstaunen schwieg der Ssirhaa noch immer, aber es fiel ihm immer schwerer, weiter zu reden. Etwas... hinderte ihn, den Gedanken weiter zu denken. Er spürte, daß es ganz einfach war, nur noch ein einziger, konsequenter Schritt bis zu seinem logischen Ende, aber da war plötzlich wieder das graue Spinngewebe in seinem Kopf, die unsichtbare Macht, die ihn daran hinderte, es zu tun. Und doch gab ihm irgend etwas die Kraft, zu reden. Nicht zu denken, nur zu reden, die Worte in dem Moment zu formen, in dem er sie aussprach. »Ihr wart es, die ... die Quorrl geschickt haben, um Dels Armee zu unterstützen«, flüsterte er. Der Druck hinter seiner Stirn wurde schlimmer, erreichte die Grenzen des Erträglichen und nahm weiter zu. Skar hatte das Gefühl, sein Schädel müsse platzen, aber gleichzeitig war es ihm auch unmöglich, aufzuhören.
»Es... es ist die einzige Erklärung«, stöhnte er. »Ihr habt eure ... eure eigenen Krieger gegen ... gegen eure Verbündeten gehetzt.« Wie durch einen Vorhang aus wogender Schwärze sah er, wie Titch sich hinter Ennart zu voller Größe aufrichtete. Das Gesicht des Quorrl verzerrte sich. Etwas zerbrach in Titch, als er begriff, daß Skar die Wahrheit sagte. Und was sie bedeutete. »Was für ein Unsinn«, sagte Ennart. Er gab sich alle Mühe, seine Stimme so sanft und überlegen klingen zu lassen wie immer, aber es gelang ihm nicht ganz. »Warum sollten wir das wohl tun?«
»Ihr... ihr wollt Enwor gar nicht erobern«, stöhnte Skar.
»Das wolltet ihr niemals. Ihr... ihr wollt es zerstören. Ihr wollt unsere Welt nicht. Ihr wollt eure eigene bauen. Aber dazu muß die alte erst vernichtet werden. Erst unsere, und dann eure.« Die beiden letzten Worte galten nicht mehr Ennart, sondern Titch, der neben den Ssirhaa getreten war und abwechselnd ihn und Skar voller fassungslosem Entsetzen anstarrte.
»Was dir und deinen Brüdern gestern geschehen ist, ist dasselbe, was sie uns antun, Titch«, fuhr er fort. Er machte eine weit ausholende, zornige Handbewegung. Seine Stimme wurde beschwörend. »Es ist dieser Turm. Der Haß, der unsere Gedanken vergiftet und uns dazu zwingt, diesen Krieg zu führen. Begreif doch, Titch! Sie werden nicht aufhören zu kämpfen, egal ob Del siegt oder nicht! Sie werden sich gegenseitig umbringen, bis keiner mehr da ist, gegen den sie kämpfen können.«
»Und wenn es so wäre?« fragte Ennart.
»Und danach sind die Quorrl an der Reihe«, fuhr Skar fort, noch immer an Titch gewandt. Er wußte, daß der Quorrl die Wahrheit schon längst erkannt hatte. Sie war der Grund des namenlosen Entsetzens, das Skar in seinem Blick gelesen hatte, vorhin, aber auch gestern, als Titch ihn um ein Haar getötet hätte. »Erst uns, und dann euch, Titch. Sie müssen uns nicht einmal töten. Sie brauchen nur zuzusehen, wie wir es selbst tun!« Er konnte regelrecht sehen, wie sich etwas in dem Quorrl krümmte. Titchs Lippen zitterten, aber er brachte keinen Ton hervor, sondern starrte nur abwechselnd Skar und den Ssirhaa an. Es war nicht nur ein Verrat. Ennart war nicht nur Titchs Herr. Er war sein Gott.
Ein Gott, der zur Erde herabgestiegen war, um seine eigenen Kinder zu vernichten.
Titch stöhnte. »Ist das ... ist das wahr, Herr?«
»Es ist zumindest ein interessanter Gedanke, über den nachzudenken sich lohnt«, antwortete Ennart kalt. Lächelnd wandte er sich wieder an Skar. »Und wer weiß - vielleicht stimmt es sogar. Aber selbst wenn... was willst du dagegen tun?«
»Töte ihn, Titch!« sagte Skar.
Titch stöhnte wie unter Schmerzen. Seine Hände zuckten, wurden zu Klauen. Die beiden Zauberpriester hinter Ennart hoben ihre Waffe und wichen hastig ein Stück von dem Quorrl zurück, und auch Skar spannte sich.
Nur Ennart bewegte sich nicht. Reglos und mit einem milden Lächeln stand er da, so völlig von seiner Macht überzeugt, daß er Titch nicht einmal ansah.
Der Quorrl stöhnte erneut. Seine Hände hoben sich, streckten sich nach Ennarts Hals aus, verharrten für die Dauer von drei, vier endlosen Herzschlägen dicht vor seiner Kehle und sanken wieder herab. Mit einem erstickten Keuchen taumelte der Quorrl zurück, prallte gegen die Wand und sank wimmernd in die Knie. »War es das, was du wissen wolltest?« fragte Ennart ruhig. »Du wolltest meine Macht testen. Du hast es getan. Ich bin froh, daß ich nicht der einzige bin, der seinen Gegner unterschätzt hat, Satai.« Er streckte den Arm aus, ergriff Skars unverletzte rechte Hand und drückte so fest zu, daß Skar vor Schmerz aufstöhnte. »Aber jetzt ist es endgültig genug, kleiner Mann!« fuhr er fort, mit einer Stimme, die wie aus Eis war. »Du hast erfahren, was du wissen wolltest; du brauchst dir also nicht vorzuwerfen, daß du es nicht wenigstens versucht hast. Und nun wirst du tun, was ich von dir verlangt habe, oder das Mädchen stirbt.«
»Niemals!« Skar keuchte vor Schmerz. Wenn Ennart noch um eine Winzigkeit fester zudrückte, würde er ihm die Hand brechen. »Titch!« stöhnte er. »Er ist kein Gott! Er ist nichts als ein böser alter Mann, der -« Er schrie vor Schmerz auf und fiel auf die Knie, als Ennart seine Hand unbarmherzig zusammenpreßte. Seine Berührung war kalt wie Eis, und etwas war falsch daran. Aber der Schmerz war einfach zu schlimm, als daß er den Gedanken zu Ende verfolgen konnte.
»Wie du willst.« Ennart ließ seine Hand los und versetzte ihm einen Stoß, der ihn vollends zu Boden schleuderte. »Titch!« Der Quorrl hob den Blick. Seine Augen waren verschleiert, und seine Lippen und Hände zitterten noch immer. Aber nach einer Sekunde erhob er sich gehorsam und trat mit demütig gesenktem Haupt auf den Ssirhaa zu.
»Geh zu dem Mädchen«, befahl Ennart. »Und nimm deinen Freund mit. Er soll zusehen, wie sie leidet. Vielleicht hilft ihm das, seine Meinung zu ändern.«
»Herr...«, begann Titch. »Ihr -«
»Hast du, verstanden?« herrschte ihn Ennart an. Titch krümmte sich wie unter einem Hieb und widersprach nicht noch einmal. Aber als er sich zu Skar umdrehen und ihn am Arm ergreifen wollte, hielt Ennart ihn mit einer raschen Bewegung zurück. »Das ist deine letzte Chance, Satai«, sagte er. »Ich weiß, wieviel dir an dem Mädchen liegt. Willst du wirklich, daß sie vor deinen Augen gefoltert wird?«
»Was versprichst du dir davon, Ennart?« fragte Skar. »Willst du mir nur deine Macht beweisen, oder glaubst du wirklich, du könntest mich zwingen? Wer sagt dir, daß ich die Kräfte dieses Ortes nicht entfessele, um dich zu vernichten?«
»Das kannst du nicht«, antwortete der Ssirhaa. »Auch du bist nichts als ein Werkzeug, Satai. Ein unwilliges Werkzeug, aber trotzdem nicht mehr.«
»Wie die Quorrl.«
»Wie die Quorrl«, bestätigte Ennart.
Es war sein Todesurteil.
Titch bewegte sich so schnell, daß nicht einmal Skar wirklich sah, was er tat, obwohl er es den Bruchteil einer Sekunde vorher in seinen Augen las.
Der Quorrl stieß einen gellenden Schrei aus, versetzte Ennart einen Stoß, der ihn quer durch den Raum und gegen die Wand taumeln ließ und wirbelte herum, ein verschwommener Schatten aus blitzendem Gold und grüngrauen Schuppen, dessen Bewegungen einzeln nicht mehr wahrzunehmen waren, sondern zu einem einzigen, rasend schnellen Huschen wurden, mit dem er die beiden Zauberpriester ansprang. Einer der Männer war tot, ehe er überhaupt begriff, was geschah: Titchs Faust traf seinen Schädel mit entsetzlicher Wucht und zerschmetterte ihn. Der andere versuchte seine Waffe in die Höhe zu reißen, aber auch seine Reaktion war viel zu langsam. Der Quorrl packte ihn, brach seinen Arm, so daß er die Waffe fallen ließ, riß ihn wie ein Kind in die Höhe und brach ihm das Genick. Der ganze Kampf war so schnell vorüber, daß die beiden Männer tot am Boden lagen, noch bevor Ennart sich wieder aufgerichtet und von seiner Überraschung erholt hatte.
Skar bückte sich hastig nach dem Schläfer, den einer der Zauberpriester fallen gelassen hatte, und richtete die Waffe auf den Ssirhaa. Ennarts Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse aus Haß und Wut, aber er erstarrte mitten im Schritt; vielleicht war er gegen die Wirkung der Zauberwaffen doch nicht ganz so gefeit, wie er Skar vor Tagen draußen in der Wüste hatte glauben machen wollen.
Auch Titch beugte sich herab, um die zweite Waffe aufzuheben. Aber er behielt sie nur einen Moment in der Hand, ehe er sie mit einer angewiderten Geste von sich schleuderte und sich zu dem Ssirhaa umwandte. Seine Miene war starr; das ausdruckslose Raubtiergesicht eines Quorrl, der seinen Feund musterte. »Das nutzt euch nichts, ihr Narren«, sagte Ennart abfällig. Mit einer betont langsamen Bewegung richtete er sich zu seiner vollen Größe von mehr als acht Fuß auf, löste die Spange seines Umhanges und ließ das Kleidungsstück achtlos von den Schultern gleiten. Darunter trug er nichts als schuppige Haut von der Farbe geschmolzenen Goldes. Langsam stand er auf und breitete die Arme aus. Unter seiner geschuppten Goldhaut spannten sich Muskeln wie dicke, knotige Stricke. Seine Augen blitzten kampflustig.
»Du willst kämpfen, Satai?« fragte er. »Dann komm!«
Skar hob drohend die Waffe, wich um die gleiche Distanz zurück, um die Ennart sich ihm genähert hatte, und versuchte umständlich, den linken Arm aus der Schlinge zu nehmen. Ennart beobachtete ihn aufmerksam, machte aber keinen Versuch, den Moment für einen überraschenden Angriff zu nutzen. Er war sich seiner Überlegenheit hundertprozentig bewußt.
»Halt!« sagte Titch scharf. »Er gehört mir!«
Ennart lachte, ein leiser, böser Laut, der ihm auch das allerletzte bißchen Göttlichkeit nahm. Auf seinem Gesicht vermischte sich Mordlust mit Verachtung, als er seine Aufmerksamkeit dem Quorrl zuwandte.
»Dir? Ich bin dein Gott, du Narr! Du wagst es, dich gegen mich zu stellen?«
Titch antwortete nicht. Er griff an.
Seine Bewegung schien selbst für den Ssirhaa zu schnell zu kommen, denn die Arme des Goldenen griffen ins Leere, als der Quorrl ihn ansprang. Ennart taumelte und prallte gegen die Wand, als Titch ihn durch die pure Wucht seines Ansturmes aus dem Gleichgewicht riß. Der Ssirhaa brüllte vor Zorn und Schmerz, riß beide Arme in die Höhe und ließ die Fäuste mit fürchterlicher Gewalt auf die Schultern des Quorrl krachen. Aber Titchs Umklammerung lockerte sich nicht; im Gegenteil. Mit aller Gewalt drückte er zu, legte die ganze, ungeheuerliche Kraft seines Quorrl-Körpers in diese eine Bewegung, bis Ennarts Rippen zu knirschen begannen und sich sein Gesicht plötzlich vor Schmerz verzerrte, nicht mehr vor Wut. Wieder ließ er seine Fäuste auf Titchs Schultern krachen, und wieder und wieder, mit Hieben, die irgend etwas in Titchs Körper zerbrechen mußten, denn Skar sah, wie sich der Quorrl jedesmal mehr vor Schmerz krümmte. Aber er ließ den Ssirhaa trotzdem nicht los.
Skar hob unsicher seine Waffe, aber er wagte es nicht, abzudrücken. Die Gefahr, auch Titch zu treffen, war zu groß. Sekundenlang stand er hilflos da und sah dem stummen Ringen der beiden ungleichen Gegner zu, dann schleuderte er den Schläfer mit einer zornigen Bewegung von sich, eilte zu einem der toten Zauberpriester und zog dessen Schwert aus dem Gürtel. Es war eine schwere, schlecht ausbalancierte Waffe, deren Schneide niemals scharf gewesen war, aber es war eine Waffe, die er kannte, und der nichts von der verderblichen Magie einer untergegangenen Wahrheit anhaftete.
Als er sich wieder umwandte, war es Ennart gelungen, einen Arm zwischen seinen Körper und den Titchs zu schieben. Das Gesicht des Ssirhaa war zu einer gequälten Grimasse geworden. Aus seinem Mundwinkel lief Blut, und Titchs Griff schnürte ihm den Atem ab. Aber wenn er schon kein Gott war, so hatte er doch dessen Körper - und dessen Kraft. Langsam, aber unaufhaltsam, schob er Titch von sich fort, bekam schließlich auch den anderen Arm frei und schmetterte dem Quorrl die geballte Faust ins Gesicht. Titch wurde zurückgeschleudert, taumelte drei, vier Schritte mit hilflos rudernden Armen rückwärts und stürzte schwer zu Boden.
Und Skar stieß Ennart das Schwert in die Seite.
Es war nicht sein Tschekal, das er führte. Die Klinge dieser Waffe bestand nicht aus Sternenstahl, sondern aus schartigem Eisen, das den Körper des Ssirhaa nicht durchbohrte, sondern an seinen Schuppen abglitt und nur ein tiefe, aber nicht tödliche Fleischwunde zurückließ. Ennart kreischte wie ein verwundeter Drache, torkelte zur Seite und schlug Skar noch in der gleichen Bewegung die Waffe aus der Hand. Das Schwert flog davon, prallte gegen die Wand und zerbrach, und auch Skar taumelte zurück. Sein rechter Arm war gelähmt, unterhalb des Ellbogens, wo ihn Ennarts Faust getroffen hatte.
Der Ssirhaa kam zugleich mit ihm wieder auf die Füße. Auch er taumelte. Die linke Hand hatte er auf die Wunde in seiner Seite gepreßt, aus der Blut in dicken, pulsierenden Strömen floß. Skar begriff, daß die Verletzung schlimmer war, als er angenommen hatte; wahrscheinlich schwer genug, Ennart zu töten. Aber nicht schnell genug.
Skar sah sich verzweifelt nach einer anderen Waffe um. Es gab keine. Sein Schwert war zerbrochen, und Ennart stand zwischen ihm und dem Leichnam des zweiten Zauberpriesters, so daß er keine Chance hatte, sich dessen Schwert zu bemächtigen. Ganz davon abgesehen, daß der Ssirhaa ihm nicht die Zeit dazu gelassen hätte. Schritt für Schritt wich er vor dem näher kommenden Ssirhaa zurück, bis sein tastender Fuß gegen den Tisch stieß. Sein Blick fixierte Ennarts geballte Faust. Ein einziger Schlag dieser Riesenhand würde ihn töten.
Er versuchte, sich zur Ruhe zu zwingen, innerlich wieder zum Satai zu werden, nicht mehr Mensch, sondern nur noch Krieger zu sein, der Angst und Schmerz in Kraft und Überlegenheit zu verwandeln wußte, aber es gelang ihm nicht völlig. Trotz allem lähmte ihn Ennarts Nähe noch immer. Es war, als ginge von dem Ssirhaa etwas aus, das seine Konzentration unterbrach, der uralten Satai-Disziplin, nach der er erzogen war, entgegenwirkte wie ein geistiges Gift. Es war... verwirrend. Verwirrend und erschreckend. Und er hatte etwas Ähnliches schon einmal erlebt. Er wußte nur nicht mehr, wann.
Der Ssirhaa schlug zu. Skar sah den Hieb kommen, wich zum Schein zur Seite aus und warf sich blitzschnell nach hinten. Sein gekrümmter Rücken rollte über den Tisch ab, seine Füße kamen hoch und trafen Ennarts Gesicht mit fürchterlicher Wucht, dann stürzte er auf der anderen Seite des Tisches zu Boden, während der Fausthieb des Ssirhaa die zollstarke Tischplatte zermalmte wie dünnes Papier. Blitzschnell war Skar wieder auf den Beinen, griff noch im Aufspringen nach einem Tischbein und schmetterte es dem Ssirhaa gegen die Kehle. Ennart wankte. Sein Gesicht war voller Blut, und seine rechte Seite hatte sich rot gefärbt. Er hinkte, und er schien Mühe zu haben, den rechten Arm zu heben. Aber er war auch mit nur einer Hand ein mörderischer Gegner. Seine Faust verfehlte Skars Gesicht, aber er packte ihn an der Schulter, riß ihn herum und versetzte ihm einen Stoß, der ihn zu Boden schleuderte und hilflos quer durch den gesamten Raum schlittern ließ, ehe er mit einem betäubenden Schlag gegen die Wand prallte. Ennart knurrte wie ein gereizter Tiger, war mit zwei, drei gewaltigen Schritten über ihm und riß ihn brutal in die Höhe.
Skar wehrte sich ganz instinktiv. Mit einem blitzartigen Hochreißen des Armes versuchte er Ennarts Faust beiseite zu fegen, aber es war, als schlüge er gegen Stahl. Der Ssirhaa wankte nicht einmal, stieß ihn aber gleichzeitig noch einmal und so heftig gegen die Wand, daß er fast das Bewußtsein verlor.
Ein gellender Schrei erklang. Ennart taumelte, von einem golden und grün gefleckten Schatten getroffen und zur Seite gerissen, und plötzlich war Skar frei. Er sank an der Wand entlang in die Knie, kämpfte sich mit verzweifelter Kraft wieder in die Höhe und blinzelte den Schleier aus Schmerz und Blut weg, der vor seinen Augen wogte.
Es war nur eine winzige Atempause, die Titch ihm verschafft hatte. Ennart hatte den Quorrl abermals zu Boden geschleudert. Titch versuchte wieder aufzuspringen, aber Ennart war blitzschnell hinter ihm, ballte die gesunde Hand zur Faust und schlug sie ihm mit entsetzlicher Kraft in den Nacken. Titch stöhnte. Er verlor nicht das Bewußtsein, aber seine Arme knickten plötzlich unter dem Gewicht seines eigenen Körpers ein. Er stürzte abermals, schlug schwer mit dem Gesicht auf dem Metallboden auf und blieb stöhnend liegen. Eine Sekunde lang blieb der Ssirhaa breitbeinig und mit erhobener Faust über ihm stehen, aber der tödliche Hieb, mit dem Skar rechnete, kam nicht.
Statt dessen richtete sich der Ssirhaa wieder auf, drehte sich herum und kam mit langsamen, wiegenden Schritten auf Skar zu. Die Wunde in seiner Seite blutete noch immer. Der Strom aus pulsierendem Rot war sogar heftiger geworden; der Ssirhaa zog eine breite, unterbrochene Blutspur hinter sich her. Er würde sterben, dachte Skar. Aber nicht, bevor er ihn und Titch getötet hatte.
Langsam, den Rücken fest gegen die Wand gepreßt, wich er vor dem näher kommenden Ssirhaa zurück. Wenn er sich nur konzentrieren könnte! Wenn da nur dieses ... Etwas nicht wäre, das ihn daran hinderte, zu kämpfen wie ein Satai, jene fast unerschöpflichen Quellen verborgener Kraft anzuzapfen, die tief in jedem Menschen schlummerten, und die das Geheimnis der Unbesiegbarkeit der Satai waren. Aber er konnte es nicht, so sehr er es auch versuchte. Etwas ging selbst jetzt noch von Ennart aus, das ihn lähmte, ihn zu einem ganz normalen Menschen machte, der hilflos war gegen diesen goldenen Koloß.
Der Ssirhaa folgte ihm im gleichen Tempo, in dem er vor ihm zurückwich. Er hätte ihn mit einem einzigen schnellen Schritt erreichen können, aber er schien es plötzlich gar nicht mehr eilig zu haben; so als zögere er den Augenblick, in dem er Skar töten würde, absichtlich hinaus. Es waren nur noch Sekunden, die ihm blieben; zwei, allerhöchstens drei Schritte, bis Ennart ihn in die Ecke gedrängt hatte, aus der es kein Entkommen mehr gab. Sein Fuß stieß gegen etwas Hartes. Metall klirrte, und als Skar für den Bruchteil einer Sekunde den Blick senkte, sah er den zersplitterten Stumpf des Schwertes, das Ennart ihm aus der Hand geschlagen hatte.
Der Ssirhaa lächelte böse. Heb es auf, sagte sein Blick. Warum bückst du dich nicht und versuchst es? Und für einen ganz kurzen Moment war Skar sogar versucht, es zu tun. Vielleicht hätte er eine Chance gehabt, wäre er im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen. Vielleicht wäre es den übermenschlich schnellen Bewegungen eines Satai möglich gewesen, sich zu bücken, das Schwert zu ergreifen und sich zur Seite zu werfen, ehe ihn der tödliche Hieb traf, aber er war kein Satai in diesem Moment, und der Ssirhaa schien dies ganz genau zu wissen. Der Anblick der Waffe, die zum Greifen nahe und doch unerreichbar weit vor Skars Füßen lag, schien ihn zu amüsieren. In dem Blut und Schmerz auf seinem goldenen Gesicht erschien ein böses, abgrundtief böses Lächeln. Es war kein Zufall, daß er sich nicht seiner gewohnten Kräfte bedienen konnte, dachte Skar erschrocken. Es war auch nichts an dem Ssirhaa. Es war etwas, was er tat.
Und dann geschah etwas Entsetzliches. Für einen kurzen Moment, zu kurz, um sicher zu sein, ob er es wirklich gesehen hatte oder ob ihm seine Nerven einfach einen Streich spielten, schien Ennarts Gesicht zu zerfließen. Die goldenen Schuppen flirrten und wogten wie ein Spiegelbild auf klarem Wasser, und darunter glaubte Skar ein zweites Gesicht zu sehen, ein Antlitz wie das eines Menschen, aber nicht ganz, schmal, grausam, mit Augen, in denen sich nichts als Zorn und das Feuer eines Hasses wiederspiegelten, das seit Millionen Jahren brannte.
Das Trugbild erlosch so schnell, wie es gekommen war. Aber das böse Glühen in Ennarts Augen war heller geworden, sein Lächeln triumphierend, als hätte er Skar im letzten Moment seines Lebens zeigen wollen, gegen wen er wirklich kämpfte, wer der Feind war, der eine ganze Welt zum Narren hielt. Er lachte gellend, hob die Faust und schlug zu.
Bruder! dachte Skar.
Neben dem Ssirhaa erschien ein Schatten. Ennart registrierte die Bewegung aus dem Augenwinkel, führte seinen Schlag nicht zu Ende und fuhr herum, um statt Skar Titch niederzuschlagen. Aber es war nicht Titch.
Vor ihm stand der Daij-Djan. Und diesmal konnte der Ssirhaa ihn sehen.
Ennart erstarrte. Sein Mund öffnete sich wie zu einem Schrei, aber er gab keinen Laut von sich. Seine Augen schienen vor Entsetzen aus den Höhlen zu quellen, als er auf das kleine, tödliche Insekten-Ding vor sich herabstarrte, und auf seinen Zügen erschien ein Ausdruck so abgrundtiefen Grauens, wie Skar ihn niemals zuvor bei einem lebenden Wesen erblickt hatte. Der Daij-Djan hob eine seiner tödlichen Klauen.
Skar ließ sich fallen, packte den Griff des zersplitterten Schwertes und schrie, so laut er konnte: »NEIN! TU ES NICHT!« Die Bewegung des Daij-Djan brach ab. Seine Kralle verharrte Millimeter vor Ennarts Kehle, und die glatte Fläche seines Gesichtes wandte sich Skar zu; fragend, verwirrt, aber auch zornig, als er begriff, daß er betrogen worden war. Und auch Ennart drehte erschrocken den Kopf und sah auf ihn herab.
Skar packte den Schwertgriff mit beiden Händen, sprang auf und rammte dem Ssirhaa die Waffe bis ans Heft in den Leib. Ennart keuchte vor Schmerz. Er taumelte zurück, schlug Skars Hände in einem blinden Reflex zur Seite und umklammerte den Schwertgriff, der aus seinem Unterleib ragte. Schreiend vor Schmerz brach er in die Knie, riß mit einer letzten, gewaltigen Kraftanstrengung die Waffe aus der furchtbaren Wunde und starb. Er war tot, noch bevor er zur Seite kippte.
Langsam drehte sich Skar herum. Der Daij-Djan stand noch immer da, schweigend, zornig, ein schwarzes Bündel aus Horn und loderndem Haß, das um seine Beute geprellt worden war. Skars Blick suchte Titch. Der Quorrl lag nur wenige Schritte entfernt. Er lebte, war aber offensichtlich ohne Bewußtsein. Gut. Hastig wandte er sich wieder an den Daij-Djan. »Geh«, sagte er. Gehen, Bruder? Selbst das lautlose Flüstern in seinen Gedanken klang wütend. Du hast mich gerufen. Ich habe dir gesagt, was geschieht, wenn du dies tust. Du gehörst mir.
»Nein, du Bastard«, antwortete Skar. »Noch nicht. Vielleicht, wenn du für mich tötest. Wenn du es tust, weil ich es will. Aber das hast du nicht.«
Du hast mich betrogen, Bruder, wisperte der Daij-Djan. Aber das wird dir nichts nutzen. Und es wird dir nicht noch einmal gelingen.
»Wir werden sehen.«
Du wirst dafür bezahlen. Niemand betrügt den Tod zweimal. Der Schatten verschwand, so lautlos und schnell, wie er gekommen war.