11

Poirot und ich speisten öfter zusammen in einem kleinen Restaurant in Soho. Als wir uns an einem Abend wieder einmal dort einfanden, erblickten wir einen Bekannten an einem Nebentisch. Es war Inspektor Japp, und da an dem unseren noch Platz war, baten wir ihn zu uns herüber. Es war bereits einige Zeit vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten.

«Sie lassen sich überhaupt nicht mehr bei uns blicken», begann Poirot vorwurfsvoll. «Seit dem Fall mit dem gelben Jasmin sind wir nicht mehr zusammengekommen, und das ist beinahe einen Monat her.»

«Ich bin hoch oben im Norden gewesen, das ist der Grund. Wie steht die Sache bei Ihnen? Haben Sie die Großen Vier noch immer nicht zur Strecke gebracht?»

Poirot drohte vorwurfsvoll mit dem Finger. «Sie machen sich wohl über mich lustig, aber die Großen Vier – sie existieren wirklich.»

«Oh, das bezweifle ich nicht im Geringsten, aber sie stehen nicht im Blickpunkt der Welt, so wie Sie es darstellen.»

«Mein Freund, Sie befinden sich in einem großen Irrtum. Die größte Macht, das größte Übel, welches heute auf der Welt existiert, das sind die Großen Vier. Was sie beabsichtigen, weiß niemand, aber noch nie hat es eine derartige Verbrecherorganisation gegeben. Ihr intelligentester Kopf hat in China die Leitung, ferner gibt es noch einen amerikanischen Millionär, eine Französin, übrigens eine wissenschaftliche Kapazität, und – was den vierten betrifft –»

Japp unterbrach ihn.

«Ich weiß, ich bin völlig im Bilde. Das ist nun einmal Ihr Steckenpferd. Nach und nach wird Ihnen diese Angelegenheit zur Manie, Monsieur Poirot. Aber lassen Sie uns das Gesprächsthema wechseln. Interessieren Sie sich für Schach?»

«Ja, ich habe zuweilen Schach gespielt.»

«Haben Sie denn gestern das merkwürdige Spiel mit angesehen? Ein Meisterschaftsspiel zwischen zwei weltbekannten Größen, einer davon ist während des Spiels gestorben.»

«Ich habe etwas darüber gelesen, Dr. Savaronoff, der russische Meister, war einer der Spieler, und der andere, der einem Herzschlag erlegen ist, war ein flotter junger Amerikaner namens Gilmour Wilson.»

«Ganz recht. Savaronoff schlug vor einigen Jahren Rubinstein und wurde Weltmeister. Von Wilson behauptet man, er sei ein zweiter Capablanca.»

«Ein sehr merkwürdiger Fall», bemerkte Poirot gedankenvoll. «Wenn ich nicht irre, haben Sie also Interesse an der Sache?» Japp stieß ein verlegenes Lachen aus.

«Sie haben es erraten, Monsieur Poirot. Es bedeutet für mich ein Problem. Wilson war gesund wie ein Fisch im Wasser, keine Spur eines Herzleidens. Sein Tod gibt uns Rätsel auf.»

«Verdächtigen Sie etwa Dr. Savaronoff, ihn aus dem Wege geräumt zu haben?», rief ich.

«Kaum», sagte Japp trocken. «Ich glaube, dass nicht einmal ein Russe seinen Rivalen beseitigen würde, nur um im Schach nicht zu unterliegen; jedenfalls, soweit ich feststellen konnte, war Savaronoff der Favorit – man sagt, nur Lasker sei ihm überlegen.» Poirot nickte gedankenverloren.

«Was ist nun, genau genommen, Ihre Ansicht?», fragte er.

«Warum sollte Wilson vergiftet worden sein? Denn, wie ich annehme, denken Sie doch dabei an Gift?»

«Natürlich. Ein Herzschlag bedeutet im Allgemeinen, dass das Herz zu schlagen aufhört, das ist alles, was man darunter versteht. Es ist auch das, was der Arzt offiziell bestätigt hat, jedoch vertraulich hat er uns wissen lassen, dass er einen bestimmten Verdacht hat.»

«Wann findet die Leichenschau statt?»

«Heute Abend. Wilsons Tod trat ganz überraschend ein. Er machte einen völlig normalen Eindruck, und als er am Zug war, fiel er plötzlich vornüber und war tot.»

«Es gibt nur sehr wenige Gifte, die so plötzlich wirken», bemerkte Poirot.

«Das ist mir auch bekannt. Ich erwarte deshalb, dass uns die Leichenschau nähere Anhaltspunkte geben wird. Aber warum sollte jemand Interesse haben, Gilmour Wilson aus dem Wege zu räumen, das ist es, was ich gern ergründen möchte. Er war solch ein harmloser, bescheidener junger Mensch, gerade erst von den Staaten gekommen; er wird auch wohl kaum Feinde gehabt haben.»

«Es erscheint mir auch unglaublich», sagte ich überlegend.

«Wir wollen mal abwarten», warf Poirot lächelnd ein. «Wie ich sehe, hat Japp schon eine bestimmte Theorie.»

«Die habe ich schon, Monsieur Poirot. Ich bin nicht der Meinung, dass das Gift für Wilson bestimmt war, es sollte jemand anders treffen.»

«Savaronoff?»

«Jawohl. Er fiel nämlich bei den Bolschewiken in Ungnade. Man hat sogar berichtet, dass er liquidiert worden sei. In Wirklichkeit war er entkommen und ertrug während der Dauer von drei Jahren unglaubliche Entbehrungen in der sibirischen Wildnis. Er hatte so viel durchgemacht, dass er vollkommen verändert ist. Seine Freunde und Bekannten erklären, dass sie ihn kaum wiedererkannt haben. Sein Haar ist weiß und seine äußere Erscheinung die eines ganz gebrochenen Mannes. Außerdem ist er Halbinvalide, geht selten aus, lebt allein mit seiner Nichte, Sonja Daviloff, und einem russischen Diener in seiner Wohnung in der Nähe von Westminster. Es ist durchaus möglich, dass er noch in dem Glauben lebt, verfolgt zu werden. Es steht fest, dass er nur äußerst ungern an den Turnieren teilgenommen hat. Mehrmals sagte er kategorisch ab, und nur, als die Zeitungen bezüglich seines unsportlichen Verhaltens ihre Bemerkungen machten, gab er nach. Gilmour Wilson hatte ihn mit der echten Beharrlichkeit eines Yankees herausgefordert, und schließlich willigte er ein. Nun frage ich Sie, Monsieur Poirot, was veranlasste ihn, sich zurückzuhalten? Wollte er keine Aufmerksamkeit erregen? Hat ihn jemand aufgespürt? Meine Meinung ist die – Gilmour Wilson musste versehentlich daran glauben.»

«Gibt es jemand, der persönliche Vorteile durch Savaronoffs Tod gehabt hätte?»

«Nun, ich nehme an, seine Nichte. Er ist kürzlich zu großem Vermögen gelangt, es wurde ihm durch Madame Gospoja hinterlassen, deren Gatte ein Zuckerindustrieller während des alten Regimes war. Sie standen früher in engsten Beziehungen zueinander, soviel ich weiß, und sie weigerte sich seinerzeit hartnäckig, an die Berichte über seinen angeblichen Tod zu glauben.»

«Wo fand das Schachturnier statt?»

«In Savaronoffs eigenem Hause. Er ist Invalide, wie ich Ihnen bereits sagte.»

«Waren viele Zuschauer dort?»

«Mindestens ein Dutzend, vielleicht auch mehr.» Poirot machte ein enttäuschtes Gesicht.

«Mein armer Japp, Sie haben keine leichte Aufgabe.»

«Wenn ich erst einmal endgültige Beweise habe, dass Wilson vergiftet wurde, komme ich schon wieder ein Stück weiter.»

«Haben Sie inzwischen daran gedacht, falls Ihre Annahme, Savaronoff sei das vorgesehene Opfer, zu Recht besteht, dass der Mörder seinen Versuch wiederholen könnte?»

«Selbstverständlich habe ich diesen Faktor in meine Rechnung einbezogen. Zwei von meinen Leuten bewachen ständig Savaronoffs Haus.»

«Das wird auch sehr zweckmäßig sein, falls jemand mit einer Bombe unter dem Arm erscheinen würde», sagte Poirot trocken.

«Nun haben Sie beinahe Geschmack an der Sache gefunden», bemerkte Japp und zwinkerte mit den Augen. «Haben Sie vielleicht Lust, zu dem Leichenschauhaus mitzukommen und sich Wilson anzusehen, bevor die Ärzte mit ihrer Untersuchung beginnen? Seine Krawattennadel könnte doch schief sitzen und uns so einen Anhaltspunkt zur Lösung des Falles geben.»

«Mein lieber Japp, schon während des ganzen Essens hat es mich gereizt, Ihre eigene Krawattennadel zurechtzustecken. Sie erlauben wohl? So, nun sieht es bedeutend besser aus. Doch ich glaube, es ist nun an der Zeit, dass wir zur Leichenhalle aufbrechen.»

Ich hatte schon bemerkt, dass Poirots ganze Aufmerksamkeit durch dieses Problem voll in Anspruch genommen war. Es war schon geraume Zeit verstrichen, seit er sich für etwas anderes als die Großen Vier interessiert hatte, und so war ich froh, ihn wieder in alter Form zu sehen.

Beim Anblick der bewegungslosen Gestalt und des krampfhaft verzogenen Gesichtes des unglücklichen jungen Amerikaners überkam mich ein tiefes Bedauern. Poirot untersuchte die Leiche mit gespannter Aufmerksamkeit, es zeigten sich jedoch keine besonderen Merkmale, mit Ausnahme einer kleinen Verletzung an der linken Hand.

«Der Arzt sagte, es handle sich um eine Brandwunde, keinesfalls um einen Schnitt», erklärte Japp.

Poirots Aufmerksamkeit wandte sich dem Inhalt der Taschen des Toten zu, den ein Polizeibeamter vor uns ausbreitete. Es war nicht viel – ein Taschentuch, ein Schlüssel, seine Brieftasche, gefüllt mit Banknoten, und einige Briefe ohne Bedeutung. Jedoch ein Gegenstand fand Poirots besondere Aufmerksamkeit.

«Eine Schachfigur!», rief er aus. «Ein weißer Läufer! War dieser in seiner Tasche?»

«Nein, er hielt ihn krampfhaft in der Hand, und es kostete ziemliche Mühe, ihm diesen zu entwinden. Man muss ihn gelegentlich Savaronoff zurückgeben. Er gehört zu einem sehr schönen Satz von Elfenbeinfiguren.»

«Gestatten Sie, dass ich ihm diese Figur persönlich übergebe? So habe ich dann wenigstens einen Anlass, ihn aufzusuchen.»

«Ah», rief Japp, «so wollen Sie also diesen Fall weiterverfolgen?»

«Ich denke, ja, denn Sie haben tatsächlich verstanden, meine Neugier zu wecken.»

«Das ist ausgezeichnet. Endlich habe ich Sie aus Ihrer Lethargie herausgerissen. Hauptmann Hastings scheint gleichfalls erfreut zu sein, wie ich sehe.»

«Das ist vollkommen richtig», erwiderte ich lachend.

Poirot wandte sich wieder dem Toten zu.

«Keine weiteren Einzelheiten, die erwähnenswert wären in Bezug auf – ihn?», fragte er.

«Nicht dass ich wüsste.»

«Auch nicht, dass er Linkshänder war?»

«Sie sind doch ein Hexenmeister, Monsieur Poirot. Wie konnten Sie das wissen? Ja, er war tatsächlich Linkshänder, obgleich es für die weitere Verfolgung der Angelegenheit völlig unwesentlich ist.»

«Selbstverständlich», stimmte Poirot zu, als er sah, dass Japp etwas durcheinander gekommen zu sein schien. «Es ist auch nur ein kleiner Scherz meinerseits, nichts weiter; wie Sie wissen, tue ich dies manchmal ganz gern.»

In ungetrübter Stimmung verließen wir alsdann den Ort. Am nächsten Morgen gingen wir zu Savaronoffs Wohnung in Westminster.

«Sonja Daviloff», sagte ich nachdenklich, «eigentlich ein ganz hübscher Name.»

Poirot hielt inne und warf mir einen verzweifelten Blick zu. «Immer auf der Suche nach Liebesabenteuern, du bist nun einmal unverbesserlich. Es würde dir ganz recht geschehen, wenn Sonja Daviloff sich als unsere Freundin und Widersacherin Gräfin Vera Rossakoff herausstellen würde.»

Bei der Erwähnung dieses Namens verdüsterte sich mein Blick.

«Das kann doch nicht dein Ernst sein, Poirot…»

«Aber durchaus nicht, ich mache nur einen Scherz. So beschäftigen mich die Großen Vier denn doch nicht, wie Japp es immer annimmt.»

Die Haustür wurde uns von einem Diener mit unbewegtem Gesicht geöffnet. Es schien unmöglich, dass seine Gemütsverfassung durch irgendetwas erschüttert werden könnte. Poirot übergab seine Karte, auf die Japp einige Worte zur Einführung geschrieben hatte, dann wurden wir in einen niedrigen, lang gestreckten Raum geleitet; an den Fenstern hingen kostbare Vorhänge, einige wundervolle Ikonen zierten die Wände und auserlesene Perserteppiche bedeckten den Boden. Auf dem Tisch stand ein Samowar.

Ich besah mir die Ikonen eingehend und stellte fest, dass sie einen beträchtlichen Wert repräsentierten. Als ich mich dann wieder Poirot zuwandte, sah ich ihn auf dem Boden knien. So schön auch der Teppich sein mochte, so erschien mir eine derart gründliche Betrachtung doch etwas ungewöhnlich.

«Handelt es sich um ein solch auserlesenes Stück?», fragte ich.

«Wie bitte? Oh, du meinst den Teppich, das war es nicht, was mir auffiel. Aber es ist tatsächlich ein schönes Exemplar, fast zu schade, einen so großen Nagel gerade in der Mitte hindurchzutreiben. Nein, Hastings», fuhr er fort, als ich mir die Sache näher ansehen wollte, «jetzt ist er nicht mehr da, aber das Loch ist geblieben.»

Ein Geräusch hinter mir veranlasste mich, mich umzuwenden, während Poirot sich schnell erhob. Ein junges Mädchen stand im Türrahmen. Ihre Augen, die fest auf uns gerichtet waren, drückten Befremden aus. Sie war von mittlerer Größe und zeigte uns ein zwar schönes, aber ziemlich misstrauisches Gesicht. Sie hatte dunkelblaue Augen und tiefschwarzes, kurz geschnittenes Haar. Ihre Stimme war voll und wohlklingend, hatte jedoch einen fremden Akzent.

«Ich fürchte, mein Onkel wird nicht in der Lage sein, Sie zu empfangen. Er ist stark behindert.»

«Das ist sehr bedauerlich, aber vielleicht können Sie uns helfen. Wenn ich mich nicht täusche, sind Sie Mademoiselle Daviloff?»

«Ja, ich bin Sonja Daviloff. Was wünschen Sie zu wissen?»

«Ich bin gerade dabei, bezüglich der traurigen Affäre, die sich vorgestern hier ereignet hat, einige Erhebungen anzustellen – es betrifft den Tod von Gilmour Wilson. Was können Sie mir darüber berichten?»

Des Mädchens Augen weiteten sich.

«Er starb an einem Herzschlag – beim Schachspiel.»

«Die Polizei ist sich aber gar nicht so sicher, dass es sich um einen Herzschlag handelt, Mademoiselle.»

Sie machte einen äußerst erschrockenen Eindruck. «So ist es also doch wahr», rief sie, «und Iwan hatte Recht.»

«Wer ist Iwan, und warum sagten Sie, er hätte Recht?»

«Iwan ist der Diener, der Ihnen die Tür öffnete – und er hat mir gegenüber geäußert, dass Gilmour Wilson nach seiner Meinung keines natürlichen Todes gestorben ist – sondern dass er irrtümlicherweise vergiftet wurde.»

«Irrtümlich?»

«Ja, das Gift war für meinen Onkel bestimmt.»

Sie hatte ihre ursprüngliche Zurückhaltung aufgegeben und sprach jetzt völlig unbefangen.

«Wie kommen Sie zu solch einer Behauptung, Mademoiselle? Wer sollte den Wunsch gehabt haben, Dr. Savaronoff zu töten?»

Sie schüttelte den Kopf.

«Ich weiß es nicht, ich bin ganz im Unklaren. Dazu zieht mich mein Onkel gar nicht in sein Vertrauen, was vielleicht ganz verständlich ist. Sehen Sie, er kennt mich kaum, er hat mich als Kind gekannt und mich nicht mehr gesehen, bis ich nach London kam, um ihn zu betreuen. Aber eines weiß ich: er lebt in ständiger Angst. Es gibt in Russland so viele Geheimorganisationen, und eines Tages hörte ich zufällig etwas, was mich annehmen ließ, dass es eine solche Organisation ist, die er zu fürchten hat. Sagen Sie mir bitte, Monsieur» – sie kam näher heran und senkte ihre Stimme –, «haben Sie jemals von einer Verbindung gehört, die sich die Großen Vier nennt?»

Poirot schien wie von einer Tarantel gestochen. Seine Augen traten vor Erstaunen beinahe aus ihren Höhlen heraus.

«Wie – was wissen Sie über die Großen Vier, Mademoiselle?»

«Also gibt es eine solche Verbindung. Ich belauschte eine gelegentliche Unterhaltung und befragte meinen Onkel im Anschluss daran. Niemals habe ich jemand so erschrocken gesehen, er wurde weiß im Gesicht und begann an allen Gliedern zu zittern. Es war Furcht, eine ganz große Furcht. Ich bin meiner Sache jetzt ganz sicher, der Amerikaner Wilson wurde das Opfer eines Irrtums.»

«Die Großen Vier», murmelte Poirot, «überall sind sie am Werk.

Ein erstaunlicher Zufall, Mademoiselle, Ihr Onkel schwebt noch immer in großer Gefahr, und ich muss ihn davor retten. Nun wiederholen Sie mir noch einmal genau die Vorgänge des betreffenden Abends. Zeigen Sie mir das Schachbrett, den Tisch, und beschreiben Sie mir die Sitzordnung – kurzum, alles.»

Sie ging zu der gegenüberliegenden Seite des Raumes und brachte einen Tisch herbei. Die Platte war kostbar, mit Feldern von Silber und schwarzem Edelholz eingelegt, ein Schachbrett darstellend.

«Dieser Tisch wurde vor einigen Wochen meinem Onkel als Geschenk überbracht mit dem Wunsche, ihn bei dem nächsten Turnier zu verwenden. Er stand in der Mitte des Raumes – etwa so.»

Poirot betrachtete den Schachtisch mit einer, wie mir schien, übertriebenen Aufmerksamkeit. Er führte die Untersuchung ganz anders, als ich es für zweckmäßig hielt. Viele seiner Fragen erschienen mir völlig sinnlos, und andererseits behandelte er wirklich wichtige Punkte mit scheinbarer Gleichgültigkeit. Ich kam zu der Überzeugung, dass er bei der Erwähnung der Großen Vier gänzlich aus der Fassung geraten war.

Nachdem er eine Zeit lang den Tisch und dessen tatsächlichen Standort untersucht hatte, bat er, die Schachfiguren sehen zu dürfen. Nachdem Sonja Daviloff sie in einer Schachtel herbeigebracht hatte, betrachtete er einige davon recht flüchtig.

«Ein sehr schöner Spielsatz», murmelte er geistesabwesend.

Keine Frage bezüglich der gereichten Erfrischungen noch der Personen, die anwesend gewesen waren. Ich räusperte mich, um mich bemerkbar zu machen.

«Glaubst du nicht, Poirot, dass es –»

Er schnitt mir das Wort ab.

«Du darfst mich nicht unterbrechen, mein Freund, überlasse alles mir. Mademoiselle, wäre es nicht doch möglich, mit Ihrem Onkel zu sprechen?»

Ein leises Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

«Er wird Sie empfangen, gewiss. Sie müssen jedoch begreifen, ich habe die Aufgabe, zuerst mit den Besuchern zu sprechen, damit ich deren Anliegen erkenne.»

Nachdem sie sich entfernt hatte, hörte ich ein Stimmengemurmel in dem anliegenden Raum. Kurze Zeit darauf erschien sie wieder und führte uns in das angrenzende Zimmer. Der Mann, der auf der Couch lag, war eine imposante Erscheinung. Groß, hager, mit dichten, buschigen Augenbrauen, weißem Bart und einem Gesicht, das abgehärmt war infolge der Entbehrungen und ausgestandenen Leiden. Dr. Savaronoff war eine distinguierte Persönlichkeit, seine besondere Schädelbildung und ungewöhnliche Körpergröße waren bemerkenswert. Ein bedeutender Schachspieler muss auch ein entsprechendes Gehirn haben. Jetzt konnte ich durchaus verstehen, dass Dr. Savaronoff als zweitgrößter Schachspieler der Welt galt.

Poirot verbeugte sich.

«Herr Doktor, darf ich mit Ihnen allein sprechen?»

Savaronoff wandte sich seiner Nichte zu. «Lass uns allein, Sonja.»

«Nun, mein Herr, womit kann ich Ihnen dienen?»

«Dr. Savaronoff, Sie sind kürzlich in den Besitz eines beträchtlichen Vermögens gelangt. Im Falle, dass Sie unerwartet sterben, wer wäre dann Ihr Erbe?»

«Ich habe ein Testament gemacht, in dem ich alles meiner Nichte, Sonja Daviloff, vermacht habe. Sie nehmen doch nicht etwa an…»

«Ich nehme nichts an, aber Sie haben Ihre Nichte seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen. Es hätte doch jemand die Möglichkeit, sich für sie auszugeben.»

Savaronoff schien wie vom Donner gerührt bei dieser Vermutung.

Poirot fuhr fort:

«Genug darüber, ich wollte Sie nur warnen, das ist alles. Was ich jedoch wissen möchte, ist, wie der Verlauf des Spieles an dem betreffenden Abend gewesen ist.»

«Wie soll ich das verstehen?»

«Nun, ich bin zwar kein routinierter Schachspieler, aber ich verstehe so viel davon, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, ein solches Spiel zu beginnen – das Gambit, sagt man nicht so?»

Dr. Savaronoff konnte sich eines leichten Lächelns nicht erwehren.

«Ah, ich begreife, was Sie wissen möchten. Wilson eröffnete mit Ruy Lopez – einem der geschicktesten Züge, die es gibt. Man wendet ihn häufig bei Turnieren an.»

«Und wie lange spielten Sie schon, als das Ereignis eintrat?»

«Es muss etwa der dritte oder vierte Zug gewesen sein, als Wilson plötzlich wie vom Blitz getroffen vornüberfiel.»

Poirot erhob sich, um zu gehen. Er hatte seine letzte Frage gestellt als wenn sie von ganz untergeordneter Bedeutung gewesen wäre, jedoch kannte ich ihn zur Genüge.

«Hatte er irgendetwas gegessen oder getrunken?»

«Nur Whisky mit Soda, soweit ich mich erinnere.»

«Ich danke Ihnen, Dr. Savaronoff, nun möchte ich Sie nicht länger stören.»

Iwan befand sich in der Halle, um uns hinauszubegleiten. Unter der Tür zögerte Poirot.

«Wissen Sie zufällig, wer im unteren Stockwerk wohnt?»

«Sir Charles Kingwell, ein Mitglied des Parlaments, mein Herr. Es ist ihm kürzlich möbliert überlassen worden.»

«Ich danke Ihnen.»

Wir gingen wieder in die helle Wintersonne hinaus.

«Wirklich, Poirot», stieß ich hervor, «ich bezweifle, dass du dich diesmal richtig benommen hast. Deine Fragen waren jedenfalls höchst unzweckmäßig.»

«Bist du tatsächlich dieser Meinung, Hastings?» Poirot sah mich dabei etwas schuldbewusst an. «Was hättest du denn an meiner Stelle gefragt?»

Ich erwog diese Frage zuerst sorgfältig und machte alsdann meine Ausführungen. Er hörte mir mit scheinbar großem Interesse zu. Während ich meinen Monolog fortsetzte, waren wir beinahe daheim angelangt.

«Ganz ausgezeichnet und sehr treffend, Hastings», sagte er, als er den Schlüssel in das Schloss steckte und mich die Treppe vorangehen ließ. «Die Fragen wären jedoch ganz unnötig.»

«Ganz unnötig», rief ich erstaunt, «wenn ein Mensch vergiftet wurde.»

«Aha», bemerkte Poirot, auf eine Nachricht deutend, die auf dem Tisch lag. «Von Japp, gerade wie ich es mir gedacht hatte.» Er reichte sie mir herüber; sie war kurz und sachlich. Keine Spuren von Gift waren festgestellt und nichts in Bezug auf die Ursache ermittelt worden, die zum Tod Gilmour Wilsons geführt hatte.

«Jetzt siehst du», bemerkte Poirot, «wie unnötig alle Fragen gewesen wären.»

«Hattest du das schon von Anfang an vermutet?»

«Was kann man schon über den Verlauf eines Spieles sagen, wenn man gerade erst die Karten mischt», erwiderte Poirot, auf eine schwierige Bridgepartie anspielend, die uns kürzlich beschäftigte und die sich sehr in die Länge gezogen hatte. «Mon ami, wenn man systematisch vorgeht, kann man nicht von Vermutungen sprechen.»

«Lassen wir die Haarspaltereien», warf ich ungeduldig dazwischen. «Hast du schon einen Verdacht?»

«Jawohl.»

«Und worauf gründet er sich?»

Poirot steckte seine Hand in die Tasche und zog – einen weißen Läufer hervor.

«Was», rief ich, «hast du vergessen, diesen Dr. Savaronoff zurückzugeben?»

«Du bist im Irrtum, mein Freund. Jener Läufer befindet sich noch in meiner linken Rocktasche. Ich nahm einen gleichen aus der Schachtel mit den Schachfiguren, die mir Mademoiselle Daviloff freundlicherweise zur Untersuchung überließ. Der Plural von einem Läufer sind – zwei Läufer.» Er sprach dies mit eigenartiger Betonung, mir war alles vollkommen unverständlich.

«Aber, warum hast du das getan?»

«Parbleu, ich wollte mich davon überzeugen, ob beide völlig gleich sind.»

Er stellte die Figuren nebeneinander auf den Tisch.

«Nun, sie sind natürlich ganz gleich», sagte ich. Poirot betrachtete sie, den Kopf zur Seite neigend.

«Ich gebe zu, es sieht so aus. Aber man sollte nichts als vollendete Tatsache hinstellen, bevor es nicht erwiesen ist. Gib mir doch bitte mal meine kleine Briefwaage.»

Mit peinlicher Sorgfalt wog er die beiden Schachfiguren und wandte sich mir mit einem Gesicht voller Triumph zu.

«Ich hatte Recht, siehst du, wie meistens. Es ist nicht so leicht, Hercule Poirot zu täuschen.»

Er ging eilig zum Telefon, wählte eine Nummer und wartete ungeduldig auf den Anschluss.

«Ist dort Japp? Ah, Japp, sind Sie selbst am Apparat? Hier spricht Hercule Poirot. Überwachen Sie unverzüglich den Diener Iwan, lassen Sie ihn keinesfalls entwischen – ja, selbstverständlich, ich habe meine Gründe dafür!»

Er warf den Hörer wieder zurück auf die Gabel und wandte sich mir zu.

«Kommst du noch nicht dahinter, Hastings? So will ich es dir erklären. Wilson wurde nicht vergiftet, sondern durch einen elektrischen Schlag getötet. Ein dünner Metallfaden führt genau durch die Mitte der Figur bis zum Kopf. Der Tisch hatte eine sinnreiche Einrichtung und wurde auf einen bestimmten Punkt am Fußboden gesetzt. Als nun der Läufer auf eines der mit Silber belegten Karos gesetzt wurde, ging der starke elektrische Strom durch Wilsons Körper und tötete ihn auf der Stelle. Nur ein kleines Brandmal zeigte sich an seiner Hand, und zwar der linken, da er Linkshänder war. Der Spezialtisch enthielt einen äußerst geschickt arbeitenden Mechanismus. Der Tisch jedoch, den ich untersuchte, war ein völlig normales Duplikat davon und wurde unmittelbar nach dem Mord ausgewechselt. Die elektrische Betätigung erfolgte von der darunter liegenden Wohnung aus, die, wie du dich erinnern wirst, möbliert vermietet worden ist. Jedoch zumindest ein Komplize hielt sich unterdessen in Savaronoffs Räumen auf. Das Mädchen ist eine Agentin der Großen Vier und daran interessiert, Savaronoff zu beerben.»

«Und was hat Iwan damit zu tun?»

«Ich habe einen begründeten Verdacht, dass Iwan kein anderer ist als – die berüchtigte Nummer vier.»

«Nicht möglich.»

«Doch. Der Mann ist ein außergewöhnlicher Charakterdarsteller. Er kann sich in jede beliebige Rolle hineinfinden.»

Ich rief mir sämtliche in dieser Verbindung zurückliegenden Ereignisse ins Gedächtnis zurück: den Aufseher der Heilanstalt, den Fleischergesellen, den Diener James, den vermeintlichen Arzt-, alle diese Typen von dem gleichen Manne dargestellt, und trotzdem alle verschieden.

«Es ist erstaunlich», meinte ich abschließend, «wie alles seine Erklärung findet. Savaronoff hatte sicher eine Ahnung von dem Komplott, und das war auch der Grund, warum er sich so sehr vor einem Turnier sträubte.»

Poirot sah mich ohne ein Wort zu sprechen an, dann wandte er sich unvermutet ab und begann, auf und ab zu gehen.

«Bist du vielleicht im Besitz eines einschlägigen Buches über Schachspiel, mon ami?», fragte er sodann.

«Ich glaube, ich muss irgendwo so etwas Ähnliches haben.» Es dauerte zwar einige Zeit, es herauszusuchen, aber schließlich fand ich es und brachte es Poirot, der sich damit in einen Sessel versenkte und mit großer Aufmerksamkeit zu lesen begann.

Nach ungefähr einer Viertelstunde läutete das Telefon. Ich nahm den Hörer ab; es war Japp, der anrief. Iwan hatte die Wohnung verlassen, war in ein wartendes Taxi gesprungen, und eine Jagd hatte begonnen.

Offensichtlich sei er bestrebt gewesen, seine Verfolger abzuschütteln. Im Glauben, dass ihm dies gelungen sei, war er dann zu einem großen, leer stehenden Haus in Hampstead gefahren. Das Haus sei sofort umstellt worden.

Ich berichtete Poirot all dies, doch er schenkte meinen Ausführungen kaum Beachtung.

«Hör einmal zu, mein Freund. Dies sind die Ruy-Lopez-Anfangszüge: 1 P – K 4, PK – 4, 2 KT – KB 3, KT – Q B 3, 3 B – KT 5 – sodann wird hier die Frage erörtert, welches der beste dritte Zug für Schwarz sei, man hat die Wahl über verschiedene Gegenzüge. Es war der dritte Zug von Weiß, der Gilmour Wilson tötete, 3 B – KT 5, einzig und allein der dritte Zug – sagt dir das nichts?»

Ich hatte natürlich nicht die geringste Ahnung, was gemeint war, und so brachte ich es denn auch zum Ausdruck.

«Angenommen, Hastings, während du hier im Stuhl sitzt, hörst du, dass die Haustür geöffnet und geschlossen wird, was würdest du daraus entnehmen?»

«Ich würde annehmen, dass jemand vermutlich das Haus verlassen hat.»

«Gut, aber es gibt doch zwei Möglichkeiten: Entweder verließ jemand das Haus – oder jemand hat es betreten – zwei vollkommen verschiedene Möglichkeiten, Hastings. Doch falls du das Falsche annimmst, würde dir bald offenbar werden, dass du dich getäuscht hast.»

«Was soll das alles bedeuten, Poirot?»

Er sprang mit einem plötzlichen Satz auf die Füße.

«Es bedeutet, dass ich ein ganz ausgemachter Idiot gewesen bin. Schnell, schnell, nach dem Haus in Westminster. Vielleicht kommen wir noch zur Zeit.»

Wir stürmten in einem Taxi davon. Poirot gab auf meine wiederholten Fragen keine Antwort. Dort angekommen, rasten wir die Treppe hinauf. Unser wiederholtes Klopfen und Läuten blieb unbeantwortet, aber bei näherem Lauschen konnten wir deutlich ein schwaches Stöhnen innerhalb der Wohnung vernehmen. Auf Befragen stellte sich heraus, dass der Hausmeister einen Hauptschlüssel hatte, jedoch erst nach einigen dringlichen Aufforderungen entschloss er sich zu öffnen.

Poirot eilte geradewegs durch die Diele in das Empfangszimmer. Von dort wehte uns eine Wolke von Chloroform entgegen. Auf dem Boden lag Sonja Daviloff, an Händen und Füßen gebunden, über Nase und Mund befand sich ein großer durchtränkter Wattebausch. Poirot entfernte ihn und begann sie wieder zum Bewusstsein zu bringen. Nach kurzer Zeit erschien ein mittlerweile herbeigerufener Arzt. Poirot übergab sie seiner Obhut und zog mich beiseite. Von Dr. Savaronoff war kein Lebenszeichen zu entdecken.

«Was bedeutet das alles?», fragte ich ganz verwirrt.

«Es bedeutet, dass ich zwischen zwei völlig gleichen Möglichkeiten die falsche gewählt habe. Du weißt wohl, dass ich damals erwähnte, es würde für jemand sehr leicht sein, sich für Sonja Daviloff auszugeben, weil der Onkel sie bereits viele Jahre nicht mehr gesehen hatte?»

«Ja, und…»

«Nun, genau das Gegenteil war der Fall. Es bestand genau dieselbe Möglichkeit, sich für Savaronoff auszugeben.»

«Was sagst du?»

«Nun, Savaronoff starb tatsächlich beim Ausbruch der Revolution. Der Mann, welcher vorgab, unter unsäglichen Leiden und Mühen entkommen zu sein, erschien derart verändert, dass seine eigenen Freunde ihn kaum wieder erkennen konnten. Es war derselbe Mann, der mit sichtlichem Erfolg Anspruch auf das enorme Vermögen erhoben hat.»

«Und wer war das?»

«Es war Nummer vier. Kein Wunder, dass er sehr erschrocken war, als Sonja Daviloff ihm mitteilte, sie hätte zufällig einige Bemerkungen bezüglich der Großen Vier aufgeschnappt.

Wiederum ist er mir durch die Finger geschlüpft. Er wusste zu genau, dass ich bald auf seine Schliche kommen würde, so sandte er den harmlosen Iwan aus dem Hause, um die Polizei auf eine falsche Fährte zu führen, chloroformierte das Mädchen und machte sich schnell aus dem Staub, nachdem er zweifellos alles, was Madame Gospoja hinterlassen, in Sicherheit gebracht hatte.»

«Aber wer hat dann versucht, ihn zu töten?»

«Das hat niemand versucht. Es war von Anfang an sein Bestreben, Wilson zu töten.»

«Aber aus welchem Grund?»

«Mein lieber Freund, Savaronoff war der zweitgrößte Schachspieler der Welt. Nummer vier kannte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einmal die elementarsten Grundregeln des Spieles. So war er nicht fähig, sich einem routinierten Spieler gegenüber als Gegner auszugeben. Zuerst versuchte er einem Schachturnier auszuweichen, als ihm dies aber nicht gelang, war Wilsons Tod eine beschlossene Sache. Mit allen Mitteln musste er die Entdeckung verhindern, dass der große Savaronoff gar keine Ahnung vom Schachspiel hatte. Es gehörte zu Wilsons Routine, mit der Ruy-Lopez-Figur zu beginnen, und man konnte mit Sicherheit annehmen, dass er auch dieses Mal damit begänne. Nummer vier hatte es so eingerichtet, dass der Tod beim dritten Zug eintreten würde, bevor es zu irgendwelchen Komplikationen in der Verteidigung kommen konnte.»

«Aber, mein lieber Poirot», fuhr ich dazwischen, «haben wir es denn hier mit einem Wahnsinnigen zu tun? Ich kann deinen folgerichtigen Erklärungen durchaus folgen und muss zugeben, dass du in allem Recht haben kannst. Aber einen Menschen töten, um seine Rolle weiterspielen zu können? Es hätte doch jedenfalls einfachere Wege gegeben, diese Schwierigkeiten zu umgehen, als gerade zu morden! Er hätte doch sagen können, dass er auf ärztliches Anraten an einem Turnier nicht teilnehmen könne.»

Poirot zog die Stirn kraus.

«Certainement, Hastings», rief er aus, «es gab noch andere Wege, aber keinen so sicheren. Außerdem bist du der Meinung, dass ein Mord an einem Menschen vermieden werden kann. Nummer vier ist aber durchaus anderer Meinung. Ich habe mich an seine Stelle versetzt, eine Sache, die dir nicht liegt. Ich lasse dich einmal seine Gedanken lesen. Er gefällt sich nun einmal in der Rolle, als Professor an diesem Turnier teilnehmen zu können. Ohne Zweifel hat er Schachturniere besucht, um seine Studien zu machen. Er sitzt in Gedanken vertieft, gibt damit vor, große Züge vorzubereiten, und während der ganzen Zeit fühlt er sich innerlich belustigt. Er weiß zu genau, dass er im Höchstfall nur zwei Züge beherrscht, und das ist alles, was er benötigt. Er empfindet Gefallen daran, die kommenden Ereignisse im Voraus zu bestimmen und einen Menschen zu seinem eigenen Henker zu machen, und zwar in dem Moment, der ihm, Nummer vier, geeignet erscheint. Ja, Hastings, ich beginne unseren Freund und seine Gedankengänge zu begreifen.»

Ein Schauder lief mir über den Rücken bei Poirots Ausführungen.

«Well, ich nehme an, dass du Recht hast, aber ich kann nun einmal nicht verstehen, warum man ein Risiko eingeht, das mit Leichtigkeit zu vermeiden ist.»

«Risiko!» stieß Poirot hervor. «Worin lag denn eigentlich hier ein Risiko? Wäre Japp etwa in der Lage gewesen, dieses Problem zu lösen? Nein, wenn Nummer vier nicht einen kleinen Fehler begangen hätte, würde er keinesfalls ein Risiko eingegangen sein.»

«Und welches war denn sein Fehler?», fragte ich, obgleich mir die Antwort bereits im Voraus bekannt war.

«Mon ami, er vergaß, mit den kleinen grauen Zellen von Hercule Poirot zu rechnen.»

Poirot hatte zwar viele Tugenden, aber Bescheidenheit zählte nicht dazu.

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