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Glücklicherweise hatte der Zug in der Nähe einer Station gehalten, und wir fanden nach kurzer Zeit eine Garage, wo wir einen Wagen mieten konnten. In schneller Fahrt ging es zurück nach London. Dann erst bequemte sich Poirot dazu, meine Neugier endlich zu befriedigen.

«Ist dir nicht alles klar? Bei mir hat es zwar auch ein Weilchen gedauert, aber jetzt durchschaue ich alles. Hastings, man wollte mich aus dem Wege schaffen!»

«Du meinst, du solltest aus London verschwinden?», fragte ich überflüssigerweise.

«Ja, man ist überaus geschickt zu Werke gegangen. Sowohl der Ort, als auch die Methode sind mit voller Absicht und außerordentlichem Scharfsinn gewählt worden. Man fürchtet mich.»

«Von wem sprichst du?»

«Von jenen vier Verbrechern, die sich zusammenschlossen, um außerhalb des Gesetzes zu wirken. Ein Chinese, ein Amerikaner, eine Französin und – noch ein anderer. Wenn wir bloß London noch rechtzeitig erreichen, Hastings.»

«Meinst du etwa, dass sich unser Besucher in Gefahr befinden könnte?»

«Ich bin dessen ganz sicher.»

Mrs Pearson begrüßte uns, erstaunt über unsere unerwartete Rückkehr, und überschüttete uns mit einem Wortschwall, jedoch Poirot wehrte ab und fragte, ob in unserer Abwesenheit etwas vorgefallen sei. Es hatte sich nichts ereignet, sagte sie; niemand hatte angerufen, und unser Gast hatte noch kein Lebenszeichen von sich gegeben.

Mit einem Seufzer der Erleichterung eilten wir in unsere Wohnung. Poirot durchquerte sogleich das Wohnzimmer und betrat das Schlafzimmer. Dann rief er plötzlich mit seltsam belegter Stimme:

«Hastings, er ist tot!»

Ich stürzte ins Zimmer. Der Mann lag noch genau in derselben Stellung wie wir ihn verlassen hatten, jedoch musste der Tod bereits vor einiger Zeit eingetreten sein. Ich eilte zum Telefon, um einen Arzt herbeizurufen, da ich annahm, dass Dr. Ridgeway noch nicht ein zweites Mal gekommen war. Ich erreichte einen anderen Arzt, der sogleich herkam.

«Armer Kerl, er ist bereits tot. Sie haben anscheinend die Bekanntschaft eines Landstreichers gemacht, wie?»

«Möglich», antwortete Poirot ausweichend. «Was war die Todesursache, Doktor?»

«Das ist schwer zu sagen. Es kann Verschiedenes zutreffen, aber anscheinend war es ein Starrkrampf. Gasleitungen sind nicht vorhanden?»

«Nein, nur elektrischer Strom – sonst nichts.»

«Und beide Fenster sind weit geöffnet. Ich möchte sagen, er ist bereits seit zwei Stunden tot. Sie werden es wohl selbst übernehmen, die Angehörigen zu benachrichtigen, nicht wahr?» Damit verabschiedete er sich. Nachdem Poirot einige notwendige Telefongespräche erledigt hatte, rief er zu meiner Überraschung noch unseren alten Freund Inspektor Japp an und bat ihn, wenn möglich gleich vorbeizukommen. Kaum hatte er eingehängt, als Mrs Pearson erschien, die Augen weit geöffnet.

«Da draußen ist ein Mann von der Heilanstalt, wollen Sie ihn empfangen, und soll er heraufkommen?»

Wir waren einverstanden, und ein großer, stämmiger Mann in Uniform betrat das Zimmer.

«Guten Morgen, meine Herren», sagte er freundlich, «ich vermute, dass sich einer meiner Schützlinge bei Ihnen aufhält. Gestern Abend ist er entwichen.»

«Er ist hier gewesen», sagte Poirot mit ruhiger Stimme.

«Ist er wieder fortgelaufen?», fragte der Aufseher etwas bekümmert.

«Er ist tot.»

Der Mann zeigte sichtliche Erleichterung bei dieser Erklärung. «Was Sie nicht sagen! Nun, ich meine, das ist wohl das Beste für alle Beteiligten.»

«War er – gefährlich?»

«Sie meinen wohl gemeingefährlich? Keineswegs, vollkommen harmlos. Er litt bloß unter Verfolgungswahn. Hat stets von Geheimverbindungen aus China gefaselt, die ihn verfolgen würden. Wir haben viele von dieser Art.»

Ich war erschüttert.

«Wie lange befand er sich schon in Ihrer Obhut?», fragte Poirot.

«Es sind jetzt zwei Jahre.»

«Soso», bemerkte Poirot ruhig, «es ist während dieser ganzen Zeit wohl niemandem eingefallen, dass er vielleicht doch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen ist?»

Der Aufseher lächelte amüsiert.

«Warum sollte er denn in einer Heilanstalt gewesen sein, wenn er tatsächlich bei Sinnen gewesen wäre? Wissen Sie, sie behaupten alle, dass sie völlig normal sind.»

Poirot enthielt sich weiterer Äußerungen und nahm den Mann mit in das Schlafzimmer, wo die Leiche lag. Er identifizierte sie sofort.

«Das ist er, kein Zweifel», sagte er gefühllos. «Komischer Kerl, nicht wahr? Nun, meine Herren, am besten gehe ich gleich, um die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Wir wollen Sie nicht länger als notwendig mit der Leiche belästigen.

Ich möchte Sie nur noch darauf aufmerksam machen, dass Sie im Falle einer Leichenschau zu erscheinen haben. Guten Morgen, meine Herren.»

Mit einer ziemlich linkischen Verbeugung und schlenkernden Schrittes verließ er den Raum.

Einige Minuten später traf Japp ein. Der Inspektor von Scotland Yard war, wie immer, sehr lebhaft und unternehmungslustig. «Da bin ich, Monsieur Poirot. Was kann ich für Sie tun? Ich vermutete Sie bereits auf dem Wege zu den Korallenriffen oder sonst wohin.»

«Guter Freund, ich wollte wissen, ob Sie diesen Mann schon einmal irgendwo gesehen haben.»

Er führte Japp in das anliegende Schlafzimmer. Der Inspektor sah mit verwundertem Gesicht auf den Toten. «Lassen Sie mich einmal nachdenken – kommt mir irgendwie bekannt vor –, kann mich doch meistens auf mein Gedächtnis verlassen. Ja, selbstverständlich, alle guten Geister, das ist Mayerling!»

«Und wer ist – oder vielmehr, wer war Mayerling?»

«Mitglied eines Geheimdienstes – keiner von unseren Leuten. Ging vor fünf Jahren nach Russland. Hörte nie mehr etwas von ihm. Dachte stets, die Bolschewiken hätten ihn eingesperrt.»

«Es passt alles zusammen», bemerkte Poirot, als Japp uns verlassen hatte, «nur ein Haken ist dabei, nämlich der, dass er eines natürlichen Todes gestorben zu sein scheint.»

Er stand da und sah finsteren Blickes auf die reglose Gestalt hinunter. Ein Windstoß blähte die Vorhänge, und plötzlich blickte er aufmerksam auf.

«Ich nehme an, dass du die Fenster öffnetest, als du ihn auf das Bett niederlegtest, Hastings?»

«Nein», antwortete ich, «soweit ich mich erinnern kann, waren sie geschlossen.»

Poirot sah mich aufmerksam an.

«Geschlossen – und jetzt sind sie geöffnet. Was kann das bedeuten?»

«Jemand muss auf diesem Wege eingestiegen sein», bemerkte ich.

«Möglich», stimmte Poirot zu, aber er sagte dieses wie abwesend und nicht ganz überzeugt.

Nach einer längeren Pause fuhr er fort:

«Das ist es nicht, was mich nachdenklich stimmt, Hastings; wenn nur ein Fenster geöffnet gewesen wäre, wäre ich nicht so überrascht. Aber die Tatsache, dass beide Fenster offen sind, gibt mir zu denken.»

Darauf eilte er in das Wohnzimmer.

«Dieses Fenster ist gleichfalls geöffnet, es war aber auch geschlossen, als wir den Raum verließen. Aha!»

Er beugte sich über den Toten und betrachtete eine Zeit lang dessen Mundwinkel. Dann blickte er auf.

«Er wurde geknebelt, Hastings! Geknebelt und dann vergiftet.»

«Gütiger Himmel!», rief ich erschüttert. «Ich denke, wir werden Genaueres bei der Leichenschau erfahren.»

«Wir werden gar nichts erfahren. Er starb durch Einatmen von konzentrierter Blausäure. Diese wurde ihm direkt unter die Nase gehalten. Dann entfernte sich der Mörder, nachdem er vorher sämtliche Fenster geöffnet hatte. Blausäure verflüchtigt sich außerordentlich schnell, sie hinterlässt jedoch einen intensiven Geruch von bitteren Mandeln. Das Fehlen dieses Geruchs und anderer Verdachtsmomente würde die Ärzte jederzeit zur Feststellung eines natürlichen Todes veranlassen. Dieser Mann war also im Geheimdienst und verschwand vor fünf Jahren in Russland.»

«Die letzten zwei Jahre jedoch war er in der Anstalt», bemerkte ich, «aber was geschah während der drei vorhergegangenen Jahre?»

Poirot schüttelte den Kopf und ergriff meinen Arm.

«Die Uhr, Hastings, sieh dir einmal die Uhr an!»

Ich folgte seinem Blick zum Kaminsims. Die Uhr war um vier Uhr stehen geblieben.

«.Mon ami, jemand hat das Pendel angehalten. Sie hätte noch drei Tage laufen müssen, denn sie hat ein Achttagewerk, begreifst du nun?»

«Aber zu welchem Zweck sollte man das getan haben? Um uns vielleicht auf eine falsche Fährte zu locken, dass das Verbrechen um vier Uhr geschehen ist?»

«Nein, nein, mon ami, denke doch einmal scharf nach. Lass einmal deine kleinen grauen Zellen arbeiten. Stell dir vor, du wärest Mayerling. Du hörst vielleicht ein Geräusch – und weißt nur zu gut, dass dein Todesurteil bereits gesprochen ist. Du hast gerade noch so viel Zeit, um ein Zeichen zu hinterlassen. Vier Uhr, Hastings – Nummer vier – der Zerstörer. Ah, ich habe eine Idee!»

Er rannte ins Nebenzimmer, ergriff den Hörer und verlangte Hanwell.

«Ist dort die Heilanstalt, ja? Ich habe gehört, dass heute einer der dortigen Insassen entwichen ist. Was sagen Sie? Einen kleinen Moment bitte, wollen Sie das noch einmal wiederholen? Ah, parfaitement!»

Er hängte den Hörer wieder auf und wandte sich mir zu.

«Hast du gehört, Hastings? Es ist überhaupt niemand entwichen!»

«Aber der Aufseher war doch hier?», bemerkte ich.

«Ich frage mich…»

«Meinst du etwa…?»

«Ja, ganz recht, Nummer vier – der Zerstörer!»

Ich starrte Poirot sprachlos vor Erstaunen an. Es dauerte geraume Zeit, ehe ich meine Sprache wieder fand.

«Wir werden ihn auf jeden Fall wieder erkennen», bemerkte ich, «das dürfte nun einmal feststehen. Der Mann war eine ganz ausgeprägte Persönlichkeit.»

«War er das wirklich, mon ami? Ich bin anderer Ansicht. Er war stämmig, von kräftigem Wuchs, hatte ein rötliches Gesicht, eine heisere Stimme und trug einen buschigen Schnurrbart. Die letzteren Kennzeichen wird er mittlerweile abgelegt haben und auch in Zukunft nicht mehr verwenden. Seine Augen waren farblos, seine Ohren sind unauffällig, dazu hatte er ein perfektes falsches Gebiss. Eine Identifizierung beim nächsten Mal ist also keine so leichte Aufgabe, wie du anzunehmen scheinst.»

«Glaubst du denn, dass wir hierzu nochmals Gelegenheit haben werden?», fragte ich.

Poirots Gesicht wurde sehr ernst.

«Es wird ein Kampf auf Leben und Tod, mon ami. Du und ich auf der einen Seite, auf der anderen die Großen Vier. Die erste Runde haben sie gewonnen. Sie täuschen sich jedoch, wenn sie annehmen, mich beseitigen zu können, und in Zukunft werden sie mit Hercule Poirot zu rechnen haben!»

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