Sechsundzwanzig

Jacqueline Daniels’ Kopf schmerzte gnadenlos. Es war vier Uhr morgens, und sie war immer noch in ihrem Büro. Sie hatte ihren Deputy Jerry von seinem Wachposten vor dem Motel der Winchesters abgerufen. Er war zusammen mit Sergeant Earl Ray Harris, einer Handvoll State Trooper und einem FBI-Agenten zurückgekommen. Sie konnte ihm nicht von der Schlinge erzählen oder von den Silberlingen, die sie vom Schlachtfeld mitgenommen hatte. Und schon gar nicht von ihren Ausgrabungen im Keller der Ersten Pfingstkirche von Mission’s Ridge. Definitiv konnte sie nichts über den Besuch dieses selbst ernannten Engels im Trenchcoat erzählen, der sich Castiel nannte. Und außerdem, selbst wenn sie den anderen Gesetzeshütern die Wahrheit sagte, es würde ihr ohnehin niemand glauben.

„Lassen Sie uns noch einmal durchgehen, was auf dem Highway passiert ist“, sagte der FBI-Mann. Agent Andrew Tremont war etwas über dreißig und trug das Haar nach hinten gegelt. In der vergangenen Stunde hatte Sheriff Daniels im Geiste Tremonts Status von einem Quälgeist zu einer Nervensäge auf Weltniveau hochgestuft. Seine Fragen wurden nach und nach weniger zufällig und fokussierten sich darauf, wann und wie ihre Ermittlungen gescheitert waren. Außerdem trank er ihren Kaffee. Den guten, die französische Röstung, die sie normalerweise unter der Mikrowelle versteckte.

„Sie sagten, jemand ist mitten auf die Straße gelaufen, direkt vor ihrem Auto stehen geblieben und hat sie zum Anhalten gezwungen? Sie haben Anlass zu vermuten, dass der Mann mit den beiden Verhafteten im Bunde war?“

„Ich habe Ihnen das doch schon gesagt – wir verschwenden hier nur unsere Zeit“, sagte Daniels. „Außerdem bin ich hier nicht Gegenstand der Ermittlungen.“

Tremont hob seinen Becher an die Lippen und schlürfte laut.

„Darf ich Sie daran erinnern, Sheriff, dass Sie uns angerufen haben.“

„Um mir zu helfen, Männer zu fangen, die sich als Bundesagenten ausgeben, und nicht, um meine Ermittlungen zu zerpflücken.“

„Ich möchte anmerken, dass unsere Ziele nicht unbedingt die gleichen sein müssen.“ Zwei weitere Schlucke Premiumkaffee verschwanden in Tremonts Mund. „Also, einer unserer Tatortermittler behauptet, dass er gesehen hat, wie Sie etwas von Phil Oilers Leiche entfernt und in eine Einkaufstüte gesteckt haben“, sagte Tremont. „Er sagte, es habe geklimpert.“

„Geklimpert?“

„Wie Münzen. Können Sie mir etwas darüber erzählen?“

„Stimmt schon. Ich habe der Leiche ein Säckchen voller Münzen gestohlen.“ Daniels drückte ihre Fingerknöchel gegen die geschlossenen Augen und wartete darauf, dass einer der State Trooper – oder wenigstens ihr Deputy – Partei für sie ergriff. Aber Jerry hatte es nicht einmal für notwendig befunden, wach zu bleiben. Als niemand etwas sagte, starrte sie den Bundesagenten wütend an.

„Schauen Sie mal, Agent Tremont …“

„Das ist eine sehr interessante Tätowierung an ihrem Handgelenk, Sheriff. Darf ich wohl nach der Herkunft fragen?“

„Wie bitte?“

BUMM!

Die Trooper sprangen auf, ihre Stühle kratzten beim Zurückrutschen über den Boden.

„Nicht schon wieder“, stöhnte Jerry und richtete sich in dem Sessel auf, in dem er gedöst hatte.

Tremont setzte sich kerzengerade in seinem Stuhl auf, erhob sich, wischte den verschütteten Kaffee von der Manschette seines Hemdes und stellte die Tasse ab. Dann ging er zum Fenster, um einen Blick auf die Straße zu werfen.

„Wen haben wir draußen am Schlachtfeld postiert?“, fragte Daniels Sergeant Harris.

„Zwei Teams“, sagte Harris. „Gegen Mitternacht waren sie noch dabei, die Rollenspieler vom Verlassen des Geländes zu überzeugen“

Niemand sagte ein Wort.

Sie gingen hinaus.

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