Mit den Fingern schnippend rief er: »Magie, natürlich, das ist es. Erinnert Ihr Euch noch, wie ich Euch erzählte, Kahlan sei in der Nähe meines Wohnorts in den Wäldern Kernlands erschienen, und zwar, weil sie auf der Suche nach einem längst verschollenen Großen Zauberer war?«
»Und weiter?«, fragte Nicci.
»Kahlan war damals auf der Suche nach dem Großen Zauberer, denn Zedd war vor meiner Geburt aus den Midlands geflohen. Kurz zuvor hatte Darken Rahl meine Mutter vergewaltigt, und Zedd wollte sie fortschaffen, an einen sicheren Ort.«
Ein argwöhnisches Zucken ging über Caras Stirn. »In etwa so, wie Ihr behauptet, Ihr hättet diese Frau, Eure Frau, in die entlegenen Berge gebracht, damit sie nach dem Überfall auf sie in Sicherheit wäre?«
»Na ja, so ähnlich, aber ...«
»Merkst du eigentlich gar nicht, was du tust, Richard?«, warf Nicci ein. »Du nimmst irgendwelche Dinge, die du irgendwo aufgeschnappt hast, und baust sie in deinen Traum ein. Erkennst du nicht den roten Faden, der sich durch beide Geschichten zieht? Bei Träumern lässt sich dieses Phänomen oft beobachten – ihr Verstand greift auf etwas zurück, das sie kennen oder irgendwo aufgeschnappt haben.«
»Nein, das ist es nicht. Lasst mich einfach ausreden.«
Nicci gewährte ihm die Bitte mit einem knappen Nicken, verschränkte jedoch, einer unnachgiebigen Lehrerin gleich, die es mit einem dickköpfigen Kind zu tun hat, die Hände hinter dem Rücken und reckte ihr Kinn empor. »Gut, ich denke, ein paar Ähnlichkeiten gab es schon«, räumte Richard schließlich ein, der sich unter Niccis wissendem Blick unbehaglich fühlte. »Aber das ist in gewisser Weise genau der Punkt. Seht doch, Zedd war den Rat der Midlands gründlich leid – ganz so, wie ich es leid war, den Menschen zu helfen, die den Lügen der Imperialen Ordnung Glauben schenkten. Der Unterschied ist nur, dass Zedd sie die Folgen ihres Verhaltens selbst ausbaden lassen wollte. Er wollte nicht, dass sie ankommen und ihn um Hilfe anbetteln konnten, ihnen aus ihren selbst verschuldeten Schwierigkeiten herauszuhelfen. Als er die Midlands verließ, um nach Westland zu gehen, warf er ein Zauberernetz aus, damit jeder ihn vergaß.«
Er hatte angenommen, dass sie dies verstehen müssten, doch stattdessen starrten sie ihn bloß an. »Um zu verhindern, dass man nach ihm suchte, benutzte Zedd einen speziellen magischen Bann, der jeden seinen Namen und seine Person vergessen ließ – und dasselbe muss auch mit Kahlan passiert sein. Jemand hat sie entführt und sich eines Zaubers bedient, um nicht nur ihre Spuren, sondern jegliche Erinnerung an sie auszulöschen. Deswegen könnt Ihr Euch nicht an sie erinnern, und auch sonst niemand.«
Die Vorstellung schien Cara zu überraschen. Sie warf Nicci einen Blick zu. Nicci benetzte ihre Lippen und stieß einen schweren Seufzer aus. »Es muss einfach so gewesen sein«, beharrte Richard. »Das muss die Erklärung sein.«
»Richard«, begann Nicci mit ruhiger Stimme, »das ist es keineswegs, was hier geschieht. Es ergibt nicht einmal entfernt einen Sinn.«
Richard war es vollkommen unbegreiflich, wieso Nicci, eine Hexenmeisterin, das nicht einzusehen vermochte. »Doch, tut es. Die Magie bewirkte, dass Zedd in Vergessenheit geriet. Als Kahlan mir an jenem Tag im Wald begegnete, sagte sie, sie sei auf der Suche nach dem Großen Zauberer, nur könne sich niemand an den Namen des alten Mannes erinnern, weil er ein magisches Netz ausgeworfen habe, um in Vergessenheit zu geraten. Und auf ebensolche Weise muss Magie benutzt worden sein, damit alle Menschen Kahlan vergaßen.«
»Alle, bloß du nicht?«, fragte Nicci und hob herausfordernd eine Braue. »In deinem Fall scheint diese Magie versagt zu haben, denn es bereitet dir ja ganz offensichtlich keine Schwierigkeiten, dich an sie zu erinnern.«
Auf diesen Einwand hatte Richard nur gewartet. »Möglicherweise hat der Bann bei mir nicht funktioniert, weil ich über eine andere Form der Gabe verfüge.«
Geduldig holte Nicci abermals tief Luft. »Du behauptest also, diese Frau, Kahlan, sei damals erschienen, um den verschollenen Zauberer, den ›Alten‹, zu suchen, richtig?«
»Richtig.«
»Siehst du das Problem nicht, Richard? Immerhin wusste sie, dass sie diesen alten Mann, den verschollenen Zauberer, suchte.«
Richard nickte. »Ja, das ist richtig.«
Nicci beugte sich zu ihm. »Diese Art Bann ist recht schwierig zu erzeugen und birgt eine Reihe von Problemen, denen es Rechnung zu tragen gilt, aber davon abgesehen ist er im Großen und Ganzen nicht sonderlich bemerkenswert. Schwierig ja, bemerkenswert nein.«
»Demnach muss es dasselbe sein, was man auch mit Kahlan gemacht hat. Jemand – vielleicht einer der Zauberer der Imperialen Ordnung im Begleitschutz des Nachschubkonvois – hat sie entführt und den Bann ausgesprochen, damit wir sie alle vergessen und nicht verfolgen.«
»Warum sollte sich jemand diese Mühe machen?«, fragte Cara. »Warum sie nicht einfach umbringen? Was macht es für einen Sinn, sie erst gefangen zu nehmen und anschließend in Vergessenheit geraten zu lassen?«
»So genau weiß ich das auch nicht. Vielleicht wollten diese Leute nur die Voraussetzung dafür schaffen, zu entkommen, ohne dass jemand sie verfolgt. Vielleicht wollten sie beweisen, dass sie jeden gefangen nehmen können, der sich ihnen zu widersetzen wagt. Was bleibt, ist die Tatsache, dass sie verschwunden ist und sich außer mir niemand an sie erinnert. In meinen Augen klingt es vollkommen logisch, dass ein Bann benutzt worden sein muss.«
Nicci fasste sich mit zwei Fingern an den Nasenrücken, auf eine Weise, die Richard das Gefühl gab, er sei ein wenig beschränkt und seine Idee so hirnverbrannt, dass sie ihr Kopfschmerzen bereitete. »Dieser alte Mann, dieser Zauberer, wurde damals von allen gesucht. Es war bekannt, dass er ein großer Zauberer, ein wichtiger, gebildeter Mann war, ja sogar, dass er aus den Midlands stammte. Nur erinnerte man sich weder an seinen Namen und wahrscheinlich auch nicht an sein Aussehen – sodass man, in Ermangelung seines Namens und einer Beschreibung, große Schwierigkeiten hatte, ihn zu finden.«
Richard nickte. »Genau.«
»Begreifst du nicht, Richard? Man wusste von seiner Existenz, konnte sich aber aufgrund des Banns nur nicht an seinen Namen erinnern – nur sein Name war vergessen. An diese angebliche Lebensgefährtin von dir erinnert sich dagegen niemand – außer dir. Wir kennen weder ihren Namen, noch wissen wir sonst etwas über sie. Weder haben wir irgendeine Erinnerung an ihre Person, noch an etwas, das sie mit uns getan haben soll, wir wissen überhaupt nichts über diese Frau. Sie existiert in niemandes Erinnerung außer deiner.«
Richard sah den Unterschied, war aber nicht bereit, in diesem Punkt nachzugeben. »Aber vielleicht war dies einfach nur ein mächtigerer Bann, was weiß ich. Auf jeden Fall muss es etwas ganz Ähnliches, nur eben Stärkeres gewesen sein, sodass nicht nur ihr Name, sondern sie als Person in Vergessenheit geriet.«
Sachte fasste Nicci ihn bei den Schultern. »Ich gebe zu, Richard, für jemanden wie dich, der ohne Kenntnisse in Magie aufgewachsen ist, könnte es vielleicht so aussehen, als ergäbe dies einen Sinn – es lässt ja durchaus eine Menge Fantasie erkennen –, nur funktioniert es in der Realität einfach nicht so. Jemandem, der über keinerlei Kenntnisse von der Wirkungsweise dieser Kräfte verfügt, muss es, zumindest oberflächlich, ganz logisch erscheinen. Bei näherem Hinsehen jedoch gleicht der Unterschied zwischen einem Bann, der den Namen eines Menschen aus der Erinnerung aller löscht, und einem, der seine ganze Existenz aus dem Gedächtnis aller tilgt, dem Unterschied zwischen dem Entzünden eines Lagerfeuers und dem Erstrahlen lassen einer zweiten Sonne am Firmament.«
Verzweifelt warf Richard die Hände in die Luft. »Aber wieso?«
»Weil im ersten Fall nur ein winziges Detail verändert wird, die Erinnerung an den Namen eines Menschen wobei ich hinzufügen möchte, dass dies, so einfach es auf den ersten Blick erscheinen mag, überaus schwierig ist und mit ganz wenigen Ausnahmen die Fähigkeiten der meisten mit der Gabe Gesegneten überfordert, die überdies noch umfassende Kenntnisse besitzen müssen. Trotzdem war allen damals bekannt, dass der Name des Großen Zauberers in Vergessenheit geraten war, in dieser Hinsicht hatte der Bann also funktioniert, aber er brauchte ja auch nur diesen einen klar umrissenen und begrenzten Zweck zu erfüllen. Während im ersten Fall nur ein Detail verändert wird, nämlich der Name des verschollenen Zauberers, ändert sich im zweiten Fall nahezu alles. Und das ist es, was es schwieriger als schwierig, ja geradezu unmöglich macht.«
»Ich begreife es noch immer nicht.« Gestikulierend entfernte sich Richard ein Stück von der Statue, quer über den Platz und wieder zurück. »Im Großen und Ganzen scheint es mir dasselbe zu bewirken.«
»Stell dir vor, auf welch mannigfaltige Weise eine bedeutende Person wie die Mutter Konfessor das Leben nahezu jedes Einzelnen beeinflusst. Bei den Gütigen Seelen, Richard, sie stand einst dem Obersten Rat der Midlands vor und traf Entscheidungen, deren Auswirkungen in jedem Land zu spüren waren.«
Richard trat wieder auf die Hexenmeisterin zu. »Und was für einen Unterschied macht das? Zedd war Oberster Zauberer. Auch er war eine wichtige Person, die das Leben vieler beeinflusst hat.«
»Und doch haben die Menschen nur seinen Namen vergessen, nicht ihn selbst. Versuch, dir nur für einen Moment einmal vorzustellen, welche Folgen es hätte, wenn ein Bann imstande wäre, einen einfachen Mann aus der Erinnerung aller zu löschen.« Nicci entfernte sich einige Schritte und machte dann abrupt kehrt. »Sagen wir, den Köhler Faval – und zwar nicht nur seinen Namen, sondern den Mann als Ganzes. Wenn die Menschen vergäßen, dass es ihn gibt oder jemals gegeben hat, wie du es im Fall dieser Frau, dieser Kahlan, nahe gelegt hast. Was würde geschehen? Wie würde sich Favals Familie verhalten? Wer, würden sich seine Kinder fragen, hätte sie gezeugt, wer, würde sich seine Frau fragen, hätte sie geschwängert und ihr die Kinder geschenkt, wenn sie außerstande wäre, sich an Faval zu erinnern? Wo mag dieser geheimnisvolle Mann stecken, der eine Familie gegründet hat? Würde ihr Verstand vielleicht einen anderen Mann erfinden, um ihre Panik zu besänftigen und die Leere auszufüllen? Was würden ihre Freunde denken, und wie würde das Bild, das sie sich machen, mit dem ihren zusammenpassen? Was würden all diese Menschen denken, wenn ihr Denken nicht von der Wahrheit gestützt würde? Und welches Chaos würde erst ausbrechen, wenn die Menschen dazu übergingen, ihre Gedächtnislücken mit selbst ausgedachten Erinnerungsstücken aufzufüllen, ohne dass diese Erinnerungsstücke zueinander passten? Seine Frau, seine Kinder würden die Kohlemeiler rings um ihr Haus sehen und sich fragen, wie sie dorthin gekommen sind und woher all die Holzkohle stammt. Was würde in der Gießerei geschehen, an die Faval seine Kohle verkaufte? Würde Priska vielleicht denken, dass die Holzkohle einfach so, durch Magie, körbeweise in die Kohlenbehälter seiner Gießerei gelangt wäre? Und damit habe ich noch nicht einmal die Oberfläche der immer weiter um sich greifenden Schwierigkeiten angekratzt, die ein solch unrealistischer, bei Faval angewandter Vergiss-mich-Zauber nach sich ziehen würde was zum Beispiel würde aus der Buchführung, der Arbeitszuteilung, den Verträgen mit Holzfällern und anderen Arbeitern, den Schriftstücken, seinen Zusicherungen und all dem Übrigen? Denk an die Verwirrung und das Durcheinander, die so etwas zur Folge hätte – und das alles, wohlgemerkt, bei einem kaum bekannten Mann, der in einer winzigen Kate am Ende einer wenig befahrenen Gasse wohnt.«
Nicci hob den Arm zu einer großartigen präsentierenden Geste. »Aber bei einer Frau wie der Mutter Konfessor höchstselbst?« Sie ließ den Arm wieder sinken. »Ich vermag mir nicht einmal ansatzweise das Chaos aus komplizierten Folgeerscheinungen vorzustellen, das ein solch unbegreifliches Ereignis hinterlassen würde.«
Niccis blonder Haarschopf zeichnete sich deutlich vor dem dunklen Hintergrund der bewaldeten Hügel jenseits der weiten, grasbewachsenen Ebene ab. Ihr langes, schwungvoll gelocktes Haar hatte etwas Zwangloses, ja angenehm Vertrautes und bot die perfekte Ergänzung zu ihrem wohlgeformten Körper im schwarzen Kleid, aber ihre machtvolle Präsenz war nicht zu unterschätzen. Als in diesem Moment ein Strahl der untergehenden Sonne auf sie fiel, bot sie, eine Person von scharfer Beobachtungsgabe, eine kenntnisreiche Autorität und scheinbar über jede Kritik erhabene Größe, einen atemberaubenden Anblick. Richard ließ es schweigend, ohne äußerliche Regung über sich ergehen, als sie in belehrendem Tonfall fortfuhr. »Die Unmenge von Verbindungen zwischen all diesen einzelnen Faktoren ist es, die einen solchen Bann zu einem Ding der Unmöglichkeit macht. Jede noch so geringfügige Handlung, irgendwann einmal von der Mutter Konfessor vorgenommen, würde mit den Ereignissen, die damit verknüpft sind und an denen sie nicht einmal persönlich beteiligt war, zu einer wahren Lawine von durch einen solchen Bann unvorteilhaft beeinflussten Geschehnissen anschwellen, deren Wucht, Komplexität und schieres Ausmaß jedes Vorstellungsvermögen übersteigen. Diese Komplikationen entziehen dem Bann zwangsläufig Energie, um ihr zerstörerisches Potenzial zu kompensieren. Kritische Situationen wie diese zehren von der Kraft des Banns, der das Geschehen naturgemäß zu beherrschen sucht, bis er schließlich, sobald ihm die nötige Kraft fehlt, den stetig zunehmenden Sog dieser sich immer mehr verzettelnden Ereignisse zu kompensieren, noch ein letztes Mal auflodern würde, um kurz darauf zu erlöschen, wie eine Kerze in einem plötzlichen Regenguss.«
Nicci trat ganz dicht an ihn heran und tippte ihm mit einem Finger gegen die Brust. »Und bei alledem habe ich noch nicht einmal den himmelschreiendsten Widerspruch deines Traumes berücksichtigt. In deiner Bewusstseinstrübung hast du dir ein noch weitaus vertrackteres Dilemma zusammenfantasiert. Nicht nur, dass du dir diese Frau, deine angebliche Gemahlin, zusammengeträumt hast, an die sich niemand außer dir erinnert, du bist in deinem irrationalen Traumzustand sogar noch weiter gegangen, sehr viel weiter, ohne die schicksalhaften Verwicklungen auch nur zu sehen. Versteh doch, was du dir da zusammengeträumt hast, war nicht einfach bloß irgendein Mädchen vom Lande, das niemand kannte. Nein, es musste auch noch eine bekannte Persönlichkeit sein. Im Zusammenhang des Traumes mag das recht unkompliziert erscheinen, in der realen Welt aber erzeugt eine bekannte Persönlichkeit ein Kongruenzdilemma. Und selbst das war dir noch nicht genug. Selbst eine bekannte Persönlichkeit wäre nicht so vertrackt gewesen wie das, was du getan hast, denn im Zustand deiner Bewusstseinstrübung hast du dir ausgerechnet die Mutter Konfessor höchstselbst ausgesucht, eine nahezu mythische Gestalt und eine Person von weit reichendem Einfluss, gleichzeitig aber eine Person von weit her, die weder Cara noch mir oder Victor bekannt sein muss. Keiner von uns stammt aus den fernen Midlands, weshalb es uns völlig unmöglich sein würde, irgendwelche mit deinem Traum unvereinbaren Tatsachen anzuführen. In deinem Traum mag dir diese Entfernung ganz vernünftig erschienen sein, da sie das lästige Problem einander widersprechender Tatsachen löst, in der realen Welt jedoch erzeugt sie ein Problem schier unüberwindbaren Ausmaßes, denn eine Frau wie diese ist weithin bekannt. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis deine so sorgfältig konstruierte Scheinwelt mit der Wirklichkeit in Konflikt gerät und in sich zusammenfällt. Mit der Entscheidung, dir eine bekannte Persönlichkeit auszusuchen, hast du deinen romantischen Traum selbst zum Scheitern verurteilt.«
Nicci bog sein Kinn nach oben und zwang ihn, ihr in die Augen zu sehen. »In deiner Verwirrung hast du dir jemanden zusammenfantasiert, der dir Trost zu spenden vermochte. Du standest am Abgrund des Todes und wünschtest dir in deiner Verzweiflung einen Menschen, der dich liebt, der dir einen Teil deiner Ängste, den Schrecken des Auf-sich-gestellt-Seins nimmt. Das ist absolut verständlich. Ich denke deswegen nicht geringer über dich, dazu wäre ich gar nicht fähig – schon weil du, als du verängstigt und allein warst, aus eigener Kraft eine Lösung für dich gefunden hast. Aber das ist jetzt vorbei, und du wirst dich diesem Problem stellen müssen. Abgesehen davon hätte es noch schlimmer kommen können. Angenommen, die echte Mutter Konfessor ist tot?«
Erschrocken wich Richard einen Schritt zurück. »Aber das ist sie nicht.«
»Lord Rahl«, mischte sich Cara ein, »ich erinnere mich noch gut, als Darken Rahl vor einigen Jahren die Quadrone aussandte, um sämtliche Konfessorinnen ermorden zu lassen. Gewöhnlich erfüllen diese Quadrone ihre mörderische Mission mit unfehlbarer Sicherheit.«
Richard starrte die Mord-Sith an. »Aber eben nicht in Kahlans Fall.«
»Richard«, warf Nicci in begütigendem Ton ein, um seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken, »angenommen, eines Tages kehrst du in die Midlands zurück und findest heraus, dass die echte Mutter Konfessor ganz und gar nicht deinem Traumbild entspricht, sondern eine alte Frau ist? Schließlich haben die Konfessorinnen niemals Frauen, so jung, wie es deine eingebildete große Liebe gewesen sein muss, zur Mutter Konfessor ernannt. Angenommen, du fändest heraus, dass die echte Mutter Konfessor nicht nur alt, sondern schlimmer noch – längst verstorben wäre? Sag jetzt die Wahrheit. Was würdest du, konfrontiert mit dieser Wahrheit, tun?«
Richards Mund war mittlerweile so trocken, dass er seine Zunge bewegen musste, um seine Lippen so weit zu benetzen, dass er sprechen konnte. »Ich weiß es nicht.«
Nicci lächelte versonnen. »Endlich eine ehrliche Antwort.« Doch selbst dieses Lächeln überforderte ihre Kräfte und erlosch sogleich wieder. »Ich habe Angst um dich, Richard, Angst um deinen Geisteszustand, wenn du weiter an dieser Geschichte festhältst, bis sie schließlich dein ganzes Leben bestimmt, denn das wird unweigerlich geschehen. Früher oder später wirst du eiskalt mit der Realität konfrontiert werden.«
»Nicci, nur weil Ihr Euch nicht vorstellen könnt...«
Ruhig schnitt sie ihm das Wort ab. »Ich bin eine Hexenmeisterin, Richard. Ich war eine Schwester des Lichts und eine Schwester der Finsternis und bin in Dingen der Magie nicht eben unbeschlagen. Und ich sage dir, was du da behauptest, übersteigt schlicht die Kräfte jeder mir bekannten Magie. Gewiss, ein verzweifelter Mann mag imstande sein, so etwas zusammenzufantasieren, aber in der Wirklichkeit lässt sich das nicht aufrechterhalten. Du vermagst dir nicht einmal ansatzweise die grauenhaften Konsequenzen vorzustellen, würde dergleichen auch nur versucht, oder wäre es womöglich sogar machbar.«
»Nicci, ich will ja gerne zugeben, dass Ihr auf diesem Gebiet über weit reichende Kenntnisse verfügt, aber selbst Ihr wisst nicht alles. Nur weil Ihr nicht wisst, wie etwas funktionieren könnte, ist es noch lange nicht unmöglich – es bedeutet nur, dass Ihr nicht wisst, wie es sich bewerkstelligen ließe. Ihr wollt doch bloß nicht zugeben, dass Ihr Euch irren könntet.«
»Richard, es tut mir Leid, dass ich dir deinen Traum nicht erfüllen kann.« Sie wischte eine Träne fort, die ihr die Wange hinunterlief. »Tut mir Leid, aber ich muss dich enttäuschen.«
Mit einem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit erwiderte Cara ihren Blick. »Schätze, da haben wir etwas gemeinsam.«
Sachte berührte Richard die Statue von Seele mit den Fingerspitzen. Das nach oben gereckte Gesicht, den stolzen Blick in weißem Marmor festgehalten, verlor seinen Glanz, als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne hinter den Hügeln versanken.
»Ihr habt mich nicht enttäuscht, keine von beiden«, erklärte er. »Ihr habt mir lediglich zu verstehen gegeben, was Ihr glaubt. Aber Kahlan ist kein Traum. Sie ist ebenso wirklich wie ihre in diesen Stein gemeißelte Seele.«