viii.

Es war erstaunlich, wie sehr doch meine gewohnte Kleidung dem Menschen die Wiedererkennung erleichterte. Schon als ich in die Droschke einstieg, begrüßte mich der Chauffeur launig, aber durchaus vertraut.

»Tach, Meesta! Sinwa wieda im Lande?«

»In der Tat«, nickte ich ihm zu und nannte ihm die Adresse.

»Allet klar!«

Ich lehnte mich zurück. Ich hatte keine besondere Droschke bestellt, aber wenn dies ein durchschnittliches Modell war, so saß man darin vortrefflich.

»Was ist das für ein Wagen?«, fragte ich beiläufig.

»’n Mazeedet!«

Eine Welle nostalgischer Empfindungen überkam mich, ein plötzliches Gefühl wundersamer Geborgenheit. Ich dachte an Nürnberg, die glänzenden Reichsparteitage, die Fahrt durch die wunderbare Altstadt, den spätsommerlichen, ja frühherbstlichen Wind, der gleich einem Wolfe um den Schirm meiner Mütze strich.

»Da hatte ich auch mal einen«, sagte ich versonnen, »ein Kabriolett.«

»Und?«, fragte der Chauffeur. »Fährt jut?«

»Ich habe keinen Führerschein«, sagte ich leichthin, »aber Kempka hat sich nie beschwert.«

»’n Führa ohne Führaschein?« Der Chauffeur lachte hell auf. »Juta Witz!«

»Aber alt.«

Eine kurze Gesprächspause trat ein. Dann nahm der Chauffeur die Unterhaltung wieder auf.

»Und? Ham Se’n noch? Den Wagen. Oda ham Se’n vakooft?«

»Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was daraus geworden ist«, sagte ich.

»Schade«, sagte der Chauffeur. »Und? Wat machen Se in Balin? Wintagaatn? Wühlmäuse?«

»Wühlmäuse?«

»Na, welche Bühne? Wo treten Sie auf?«

»Ich gedenke demnächst im Rundfunk zu sprechen.«

»Dachtickmia«, sagte der Chauffeur, mit einem wie mir schien zufriedenen Lächeln. »Schon wieda jroße Pläne, wa?«

»Die Pläne schmiedet das Schicksal«, sagte ich fest, »ich tue nur das, was in diesen und künftigen Zeiten für den Erhalt der Nation getan werden muss.«

»Sie sind echt jut!«

»Ich weiß.«

»Ham Se Lust auf’n klein’n Abstecha zu Ihr’n altn Wirkungsstättn?«

»Später vielleicht. Ich möchte nicht unpünktlich sein.«

Letztlich war dies auch der Grund für die Bestellung der Droschke gewesen. Ich hatte selbst auch aufgrund meiner begrenzten Finanzmittel angeboten, mich zu Fuß oder mit der Tram zum Firmengebäude zu begeben, doch Sensenbrink hatte angesichts der Unwägbarkeiten und möglicher Verkehrsverstopfungen darauf bestanden, eine Droschke zu ordern.

Ich blickte aus dem Fenster, um Teile der Reichshauptstadt wiederzuerkennen. Es war nicht leicht, auch weil der Chauffeur die großen Straßen mied, um besser voranzukommen. Alte Gebäude waren kaum noch zu sehen, ich nickte mehrfach zufrieden. Dem Feind war offenbar tatsächlich so gut wie nichts hinterlassen worden. Zu ermitteln galt es noch, wie es dann überhaupt sein konnte, dass an dieser Stelle nach kaum siebzig Jahren schon wieder so viel Stadt war. Hatte nicht Rom in die Erde des eroberten Karthago Salz gestreut? Ich hätte jedenfalls in Moskau ganze Eisenbahnzüge voll Salz verstreut. Oder in Stalingrad! Andererseits war natürlich Berlin kein Gemüsegarten. Der schöpferische Mensch kann selbstverständlich auch auf gesalzenem Boden ein Kolosseum bauen, rein von der Bautechnik und Baustatik her gesehen ist eine ausgestreute Menge Salzes im Boden sogar vollkommen irrelevant. Und es war natürlich auch wahrscheinlich, dass der Feind beeindruckt vor den Ruinen Berlins gestanden hatte wie die Awaren vor den Trümmern Athens. Und die Stadt dann im verzweifelten Bemühen um einen Erhalt der Kultur wieder aufgebaut hatte, so gut es eben zweit- und drittklassigen Rassen gelingen mochte. Denn dass hier in überwiegendster Menge Minderwertiges errichtet worden war, daran konnte es für das geschulte Auge schon auf den ersten Blick keinen Zweifel geben. Ein furchtbarer Einheitsbrei, der dadurch noch schlimmer wurde, dass es überall nur dieselben Geschäfte gab. Ich hatte erst gedacht, wir führen im Kreise, bis mir auffiel, dass es Dutzende Kaffeegeschäfte von Herrn Starbuck gab. Die Bäckervielfalt war dahin, überall gab es Einheitsmetzger, sogar mehrere »Blitzreinigung’s-Service Yilmaz« fand ich. Und von derart einfallsloser Gestalt waren auch die Häuser dazu.

Das Gebäude der Produktionsfirma machte da keine Ausnahme. Es war schwer vorstellbar, dass in fünfhundert oder tausend Jahren Menschen bewundernd vor diesem einfallslosen Klotz oder eher Klötzchen stehen würden. Ich war sogar regelrecht enttäuscht. Das Haus sah aus wie ein ehemaliges Fertigungsgebäude, es schien mit dieser allumspannenden »Produktionsfirma« nun doch nicht so weit her zu sein.

Eine junge blonde, etwas stark geschminkte Dame holte mich am Empfang ab und brachte mich zum Konferenzraum. Wie der aussah, mochte ich mir gar nicht ausmalen. Schon jetzt waren die Wände kahl, gekleidet in nackten Beton, gelegentlich unterbrochen von rohem Mauerwerk aus Ziegelstein. Türen gab es so gut wie keine, hin und wieder öffnete sich der Blick in einige große Räume, in denen mehrere Personen unter hellen Leuchtstoffröhren an TV-Schirmen arbeiteten. Es sah alles in allem aus, als hätten erst fünf Minuten zuvor die letzten Arbeiterinnen der Munitionsfertigung die Räume verlassen. Unablässig läuteten Telefone – plötzlich wurde mir klar, weshalb das Volk gezwungen war, ein Vermögen für Klingeltöne auszugeben. Damit man in diesem Zwangslager wenigstens wusste, wann das eigene Telefon klingelt.

»Ich nehme an, das hier ist alles wegen der Russen«, vermutete ich.

»Wenn Sie so wollen, schon«, sagte die junge Dame lächelnd. »Aber Sie haben ja sicher gelesen, dass die dann leider doch nicht eingestiegen sind. Jetzt haben wir amerikanisch-iranische Heuschrecken.«

Ich seufzte auf. Derlei hatte ich ja immer befürchtet. Kein Lebensraum, kein Boden, der das Volk mit Brot ernährte, und dann hieß es natürlich: Heuschrecken essen wie der letzte Neger. Ich sah bewegt auf das junge Ding, das unverdrossen stramm neben mir herschritt. Ich räusperte mich, aber ich fürchte doch, dass man ein wenig meine Rührung hörte, als ich ihr sagte:

»Sie sind sehr tapfer.«

»Aber sicher«, strahlte sie, »ich will ja nicht ewig Assistentin bleiben.«

Natürlich. Eine »Assistentin«. Hilfsdienste sollte sie leisten für den Russen. Wie dies sich in dieser neuen Welt zusammenfand, konnte ich mir auf Anhieb nicht erklären, doch sah das diesem Ungeziefer der Menschheit ähnlich. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, worin diese »Tätigkeiten« unter dem bolschewikischen Joch bestehen mochten. Ich blieb abrupt stehen und fasste sie am Arm.

»Sehen Sie mich an!«, sagte ich, und als sie sich mir etwas überrascht zuwandte, blickte ich ihr fest in die Augen und sagte feierlich:

»Ich verspreche Ihnen hiermit: Sie werden die Zukunft bekommen, die Ihrer Herkunft entspricht! Ich werde mich persönlich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass Sie und jede deutsche Frau nicht mehr lange diesen Untermenschen dienen werden! Sie haben mein Wort darauf, Fräulein…«

»… Özlem«, sagte sie.

Ich erinnere mich dieses Moments noch jetzt als leidlich unangenehm. Für den Bruchteil einer Sekunde suchte mein Gehirn nach Erklärungen, wie ein deutsches ehrliches Mädel zu dem Namen Özlem kommen konnte, fand aber keine, natürlich. Ich nahm die Hand von ihrem Arm und drehte mich abrupt zum Weitergehen. Ich hätte diese falsche Person am liebsten einfach dort stehen gelassen, so getäuscht, so betrogen fühlte ich mich. Leider wusste ich den Weg nicht. Also folgte ich ihr schweigend, beschloss aber, mich in dieser neuen Zeit noch mehr vorzusehen. Diese Türken waren nicht nur in der Reinigungsindustrie, sondern auch sonst überall wundersam allgegenwärtig.

Als wir den Konferenzraum betraten, stand Sensenbrink auf, ging auf mich zu, geleitete mich sozusagen in den Raum, in dem eine Gruppe um einen relativ langen, aus kleineren Teilen zusammengesetzten Tisch saß. Ich erkannte auch den Hotelreservierer Sawatzki wieder, außer ihm etwa ein halbes Dutzend jüngere Männer in Anzügen und eine Frau, die wohl jene »Bellini« sein musste. Sie mochte etwa vierzig Jahre alt sein, sie hatte dunkle Haare, kam vermutlich aus Südtirol, und schon beim Betreten des Raumes spürte ich: Diese Frau war mehr Manns als sämtliche anderen anwesenden Dümmlinge zusammengenommen. Sensenbrink versuchte, mich am Arme an das andere Ende des Tisches zu dirigieren, wo man, wie ich aus dem Augenwinkel sah, eine Art Bühne oder Podest improvisiert hatte. Ich ließ ihn durch eine leichte Drehung ins Leere schieben und ging mit festem Schritt auf die Dame zu, nahm die Schirmmütze ab und klemmte sie unter den Arm.

»Das ist… Frau Bellini«, sagte Sensenbrink reichlich überflüssig, »Executive Vice President von Flashlight. Frau Bellini – unsere hoffnungsvolle Neuentdeckung, Herr… äh…«

»Hitler«, beendete ich das unwürdige Gestammel, »Adolf Hitler, Reichskanzler des Großdeutschen Reiches a.D.« Sie reichte mir die Hand, die ich mit einer nicht zu tiefen Verbeugung zum angedeuteten Kusse führte. Dann richtete ich mich wieder auf.

»Gnädige Frau, es ist mir eine Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen. Lassen Sie uns gemeinsam Deutschland verändern!«

Sie lächelte, wie mir schien, etwas verunsichert, aber meine gewisse Wirkung auf Frauen kannte ich ja noch von früher. Es ist praktisch unmöglich für eine Frau, nicht etwas zu fühlen, wenn sich der Befehlshaber der gewaltigsten Armee der Welt in ihrer Nähe aufhält. Um sie nicht unnötig in Verlegenheit zu bringen, wandte ich mich mit einem »Meine Herren!« an den Rest der Runde, um mich letztlich Sensenbrink wieder zuzuwenden.

»Na, lieber Sensenbrink, welchen Platz haben Sie mir denn zugedacht?«

Sensenbrink wies auf einen Stuhl am anderen Ende der Konferenzrunde. Ich hatte mit Ähnlichem gerechnet. Es war nicht das erste Mal, dass sich einige Herren einer sogenannten Industrie dazu aufschwangen zu wägen, welches Gewicht der künftige Führer Deutschlands denn nun hätte. Nun, ich wollte ihnen schon Gewichte zeigen – doch war es fraglich, ob auch sie dieselben zu heben wüssten.

Auf dem Tisch standen Kaffee, Tassen, kleinere Flaschen mit Säften und Wasser, dazu eine Karaffe mit klarem Wasser, für das ich mich entschied. Dann saßen wir eine Minute da.

»Tja«, sagte Sensenbrink, »was haben Sie uns denn heute mitgebracht?«

»Mich«, sagte ich.

»Nein, ich meinte: Was wollten Sie uns denn heute vortragen?«

»Ich sage nichts mehr über Polen!«, warf Sawatzki grinsend ein.

»Schön«, sagte ich, »das wird uns alle voranbringen. Ich denke, die Frage ist klar: Wie können Sie mir helfen, Deutschland zu helfen?«

»Wie wollen Sie denn Deutschland helfen?«, fragte die Dame Bellini, und dabei zwinkerte sie mir und den anderen Anwesenden seltsam zu.

»Ich denke, Sie alle hier wissen im tiefsten Grunde Ihres Herzens, was dieses Land braucht. Ich habe auf dem Wege hierher die Räume gesehen, in denen Sie gezwungen sind zu arbeiten. Diese Lagerhallen, in denen Sie und Ihre Genossen Frondienste leisten müssen. Speer war auch nicht zimperlich, als es um den effizienten Einsatz von Fremdarbeitern ging, aber diese Enge…«

»Das sind Großraumbüros«, sagte einer der Herren, »das gibt es doch überall.«

»Wollen Sie etwa behaupten, das sei Ihre Idee gewesen?«, bohrte ich nach.

»Was heißt hier ›meine Idee‹«, sagte er und sah sich lachend im Kreise um, »ich meine, wir haben das alle hier entschieden…«

»Sehen Sie«, sagte ich, stand auf und wandte mich direkt an Frau Bellini, »das ist mein Thema. Ich rede von Verantwortung. Ich rede von Entscheidungen. Wer hat diese Massenkäfige da installiert? War er das?«, und dabei wies ich auf den Herrn, dessen Idee das nicht gewesen war. »Oder er?« Jetzt fasste ich den Nachbarn von Sensenbrink ins Auge. »Oder der Herr Sawatzki – aber da habe ich meine ernsten Zweifel. Ich weiß es nicht. Noch besser: Die Herren wissen es selber nicht. Und was sollen nun Ihre Arbeiter tun, wenn sie am Arbeitsplatze ihr eigenes Wort nicht verstehen? Wenn sie ein Vermögen für Klingeltöne ausgeben müssen, nur damit sie ihr Telefon von dem des Nachbarn unterscheiden können? Wer ist verantwortlich? Wer hilft dem deutschen Arbeiter in der Not? Zu wem sollen sie gehen? Hilft der Vorgesetzte? Nein, denn der da schickt die Leute zu dem da und der wieder zu jenem! Und ist das ein Einzelfall? Nein, das ist kein Einzelfall, sondern eine schleichende Krankheit überall in Deutschland! Wenn Sie heute eine Tasse Kaffee kaufen, wissen Sie noch, wer dafür die Verantwortung trägt? Wer diesen Kaffee kocht? Der Herr hier«, und hierbei wies ich erneut auf den Herrn, dessen Idee das nicht gewesen war, »dieser Herr hier glaubt natürlich, das wäre der Herr Starbuck gewesen. Aber Sie, Frau Bellini, und ich, wir beide wissen: Dieser Starbuck kann nicht überall zugleich kochen. Niemand weiß, von wem der Kaffee kommt, wir wissen nur: Der Starbuck, der war es nicht. Und wenn Sie in die Reinigung gehen, wissen Sie da noch, wer Ihre Uniform gereinigt hat? Wer ist denn dieser vermeintliche Yilmaz? Sehen Sie, und deswegen brauchen wir einen Wandel in Deutschland. Eine Revolution. Wir brauchen Verantwortung und Stärke. Eine Führung des Landes, die Entscheidungen trifft und für sie haftet, mit Leib, Leben, allem. Denn wenn Sie Russland angreifen wollen, können Sie nicht mal sagen: Ach, das haben wir alle irgendwie entschieden, so wie das der Herr Kollege hier gerne hätte. Ob wir jetzt Moskau einkreisen, da setzen wir uns alle zusammen und stimmen per Handzeichen ab! Das ist ja auch wunderbar bequem, und wenn’s schiefgeht, dann waren wir’s auch alle zusammen, oder noch besser: Das Volk war’s selber, weil das hat uns ja gewählt. Nein, Deutschland muss wieder wissen: Russland, das war nicht der Brauchitsch, das war nicht der Guderian, das war nicht der Göring – das war ich. Die Autobahnen – das war nicht irgendein Hanswurst, das war der Führer! Und so muss das wieder im ganzen Land sein! Wenn man morgens ein Brötchen isst, dann weiß man, das war der Bäcker. Wenn Sie morgen in die Resttschechei einmarschieren, wissen Sie, das war der Führer.«

Damit setzte ich mich wieder.

Um mich herrschte Stille.

»Das ist… nicht lustig«, sagte dann der Nachbar von Sensenbrink.

»Erschreckend«, sagte der Herr, dessen Idee das nicht gewesen war.

»Ich hab Ihnen gesagt, dass er gut ist«, sagte Sensenbrink stolz.

»Irre…«, sagte der Hotelreservierer Sawatzki, aber es war nicht klar, wie er es meinte.

»Unmöglich«, sagte dezidiert der Nachbar von Sensenbrink.

Die Dame Bellini richtete sich auf. Sofort wandten sich ihr die Köpfe zu.

»Das Problem ist«, sagte sie, »ihr seid hier alle mittlerweile total verbarthet.«

Sie ließ diese Bemerkung nicht ungeschickt sacken, dann ergriff sie wieder das Wort, das außer ihr im Moment ohnehin niemand zu ergreifen wagte.

»Ihr erkennt gute Inhalte nur noch daran, dass der Typ oben auf der Bühne mehr grinst als die Leute unten im Publikum. Sehen Sie sich in unserer Comedy-Landschaft doch um: Kein Mensch kann mehr eine Pointe setzen, ohne dass er sich dabei halb kranklacht, damit jeder merkt, wo die Pointe ist. Und wenn mal einer halbwegs die Fassung bewahrt, dann blenden wir das Gelächter aus dem Hintergrund ein.«

»Das hat sich aber bewährt«, sagte einer, der bisher den Mund gehalten hatte.

»Mag sein«, sagte die Dame, die mir durchaus zu imponieren begann, »aber was kommt danach? Ich denke, wir sind an dem Punkt angekommen, an dem das Publikum derlei nur noch als gegeben akzeptiert. Und der Erste, der den entscheidenden neuen Akzent setzt, ist derjenige, der langfristig die Konkurrenz abhängt. Oder, Herr… Hitler?«

»Entscheidend ist die Propaganda«, sagte ich. »Sie müssen eine andere Botschaft senden als die anderen Parteien.«

»Sagen Sie«, sagte sie, »Sie haben das eben nicht vorbereitet, oder?«

»Wozu?«, sagte ich. »Das granitene Fundament meiner Weltanschauung habe ich vor ausreichend langer Zeit verfertigt. Das versetzt mich in die Lage, jeden beliebigen Aspekt des Weltgeschehens mit meinem Wissen zu konfrontieren und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Glauben Sie, Führertum lernt man auf Ihren Universitäten?«

Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Er improvisiert«, strahlte sie, »er zieht das einfach so raus! Und er verzieht nicht einmal das Gesicht! Wissen Sie, was das heißt? Das heißt, dass er nicht nach zwei Sendungen einfach nicht mehr weiß, was er sagen soll. Oder dass er dann zu heulen anfängt, man soll ihm mehr Autoren geben – oder täusche ich mich da, Herr Hitler?«

»Ich lasse nicht gerne sogenannte Autoren in meiner Arbeit herumpfuschen«, sagte ich. »Während ich ›Mein Kampf‹ schrieb, hat Stolzing-Cerny des Öfteren…«

»Ich verstehe langsam, was du meinst, Carmen«, sagte jetzt der Herr, dessen Idee das nicht gewesen war, und lachte.

»… und wir setzen ihn als Kontrapunkt ein«, sagte die Dame Bellini, »da, wo er am besten auffällt. Er kriegt einen Dauerauftritt bei Ali Wizgür!«

»Der wird sich bedanken«, sagte Sawatzki.

»Der soll sich lieber mal seine Quoten ansehen«, sagte Frau Bellini, »wo sie jetzt sind, wo sie vor zwei Jahren waren – und wo sie demnächst sein werden.«

»Das ZDF kann sich warm anziehen!«, sagte Sensenbrink.

»Nur in einem sollten wir uns klar sein«, sagte Frau Bellini, und dabei sah sie plötzlich sehr ernst zu mir.

»Und das wäre?«

»Wir sind uns darüber einig, dass das Thema ›Juden‹ nicht witzig ist!«

»Da haben Sie absolut recht«, pflichtete ich ihr bei, fast erleichtert. Da war tatsächlich endlich mal jemand, der wusste, wovon er sprach.

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