xvii.

Es war Folgendes passiert: Jemand hatte mittels einer technischen Vorrichtung meinen Auftritt bei Wizgür aufgezeichnet und in das Internetz hineingetan, an einen Ort, bei dem jeder seine kleinen Filme ausstellen konnte. Und jeder konnte ansehen, was er wollte, ganz ohne dass die jüdische Schmierenjournaille ihm dabei Vorschriften machte. Selbstverständlich konnten auch Juden ihre Machwerke hier hineintun, aber ohne Bevormundung sah man gleich, wo das Ganze endete: Das Volk sah wieder und wieder meinen Auftritt bei Wizgür. Das konnte man an einer Zahl ablesen, die unter dem Filmausschnitt zu sehen war.

Nun traue ich solchen Zahlen gewöhnlich nicht allzu sehr. Ich habe lange genug mit Parteigenossen und Wirtschaftsführern zu tun gehabt, um zu wissen, dass es überall Karrieristen und andere zwielichtige Charaktere gibt, die gerne ein wenig nachhelfen, wenn es darum geht, Zahlen in das rechte Licht zu rücken. Sie verschönern sie, oder sie geben einem eine Vergleichszahl dazu, die ihre eigene Zahl sehr gut aussehen lässt, während sie Dutzende anderer Zahlen verschweigen, die geeignet wären, eine wesentlich ungünstigere Wahrheit zu enthüllen. Daher habe ich mich sogleich selbst daran gemacht und einige Zahlen jüdischer Machwerke angesehen. Ich überwand mich sogar, man darf da nicht zimperlich sein, und überprüfte etwa die Zahlen jenes Chaplin-Films »Der große Diktator«. Gut, die Besuchermengen hier waren über siebenstellig, aber man musste derlei natürlich in einem sauberen Vergleich berechnen. Chaplins billiges Machwerk lag schließlich seit etwa siebzig Jahren vor, insofern kommt man dann auf etwa 15000 Besucher pro Jahr, immer noch beträchtlich, aber freilich nur auf dem Papier. Denn gewiss muss man auch hier von einem allmählich abnehmenden Interesse ausgehen. Naturgemäß ist die Neugier des Menschen auf aktuelle Ereignisse immer erheblich größer als auf abgehangene Ware, womöglich noch, wie hier, in schwarz-weißer Produktion, wo man heute doch den Farbfilm gewohnt ist. Insofern konnte man davon ausgehen, dass wohl dieser Film seine meisten Besucher im Internetz wohl in den sechziger und siebziger Jahren gehabt haben musste. Heute dürften im Jahr wohl allenfalls noch einige Hundert dazukommen, Filmstudenten vermutlich, einige Rabbiner und dergleichen »Fachpublikum«. Derlei Werte hatte ich jedoch in den letzten drei Tagen mühelos um das Tausendfache überboten.

Das war für mich vor allem in einer Hinsicht sehr interessant.

Bis zu jenem Augenblicke hatte ich meine besten Erfahrungen in Angelegenheiten der Volksaufklärung und Propaganda mit Methoden gemacht, die sich von den heutigen erheblich unterschieden. Ich hatte mit Kolonnen von Braunhemden der SA gearbeitet, die Fahnen schwenkend auf den Ladeflächen von Lastkraftwagen durch die Stadt fuhren und den bolschewistischen Rotfrontkämpfern die Faust ins Gesicht trieben, den Knüppel auf den Schädel, die gerne und mit meiner vollsten Unterstützung auch einmal versuchten, mit dem Knobelbecher die Vernunft in diese verbohrten Kommunistenkörper hineinzutreten. Nun stellte ich fest, dass offenbar die schiere Attraktion einer Idee, einer Rede Hunderttausende zur Betrachtung und geistigen Auseinandersetzung zu bewegen vermochte. Eigentlich war das nur sehr schwer nachvollziehbar. Es war sogar schlichtweg unmöglich. Ich hatte eine leise Ahnung, wenn nicht sogar Befürchtung und rief daher sofort Sensenbrink an. Der war bester Laune.

»Eben haben Sie die 700000 überschritten«, frohlockte er, »Wahnsinn! Haben Sie’s gesehen?«

»Ja«, sagte ich, »aber Ihre Freude erscheint mir reichlich übertrieben. Das kann sich für Sie doch überhaupt nicht mehr rechnen!«

»Wie? Was? Sie sind Gold wert, mein Lieber! Das ist erst der Anfang, glauben Sie mir.«

»Trotzdem müssen Sie die Leute alle bezahlen!«

»Welche Leute?«

»Ich war ja eine Zeit lang selbst Propagandabeauftragter. Und ich weiß: Um 700000 Leute auf seine Seite zu ziehen – da braucht man doch zehntausend Mann. Wenn sie fanatisch sind.«

»Zehntausend Mann? Was für zehntausend Mann?«

»Zehntausend Mann SA, theoretisch. Und das ist noch vorsichtig geschätzt. Aber eine SA haben Sie ja wohl noch nicht, oder? Also werden Sie wohl mindestens fünfzehntausend brauchen.«

»Sie sind vielleicht ein Vogel«, dröhnte Sensenbrink in bester Stimmung. Ich war nicht sicher, ob ich im Hintergrund ein Gläserklirren hörte. »Passen Sie auf, eines Tages nimmt Sie noch einer ernst!« Und damit legte er auf.

Das schien somit geklärt. Offenbar hatte Sensenbrink wirklich nichts damit zu tun. Diese Zustimmung schien aus dem Volk selbst zu kommen. Es konnte natürlich noch sein, dass Sensenbrink ein hemmungsloser Lügner war, ein Blender, diese Zweifel blieben, das ist eben das Ärgerliche mit Leuten, die man sich nicht selbst ausgesucht hat. Aber insgesamt schien er mir bei solchen Themen glaubwürdig. Also machte ich mich an die Produktion des nötig gewordenen Zusatzmaterials.

Wie immer, wenn Menschen kreativ überfordert sind, kommen sie mit den fragwürdigsten Vorschlägen. Ich sollte bizarre Reportagen drehen, etwas wie »Der Führer besucht die Sparkasse« oder »Der Führer im Schwimmbad«. Ich lehnte derlei vollendeten Schmarren kurzerhand ab. Politiker beim Sport, das ist fast immer eine Zumutung für die Bevölkerung. Ich habe meine Betätigung hierin dann auch direkt nach der Machtergreifung eingestellt. Ein Fußballspieler, ein Tänzer, die können das, das sehen die Leute jeden Tag in Vollendung, das kann sogar große Kunst sein. In der Leichtathletik etwa, ein vollendeter Speerwurf, das ist etwas Herrliches. Aber man denke sich, dann käme jemand wie Göring oder diese Kanzlermatrone, die ihm wie aus dem Gewicht geschnitten ist. Wer will das sehen? Das kann keine guten Bilder geben.

Sicher, da gibt es dann einige, die sagen: Sie soll sich dem Volke als dynamisch präsentieren, dazu muss sie nicht Springreiten oder rhythmische Sportgymnastik vollführen, aber so etwas Harmloses wie das Golfspiel, heißt es dann gerade in konservativen anglophilen Kreisen, das wäre doch bestimmt machbar. Aber wer einmal einen guten Golfspieler gesehen hat, der will mit Sicherheit nicht das Herumgestocher einer unförmigen Wachtel beobachten. Und was sollten da die anderen Staatsmänner sagen? Vormittags folgt sie mühsam den Zusammenhängen der Wirtschaftspolitik, nachmittags ist sie auf dem Golfplatze und prügelt dort unkoordiniert auf den Rasen ein. Und in Badehosen, das ist ohnehin das allergrößte Unding. Man konnte das Mussolini schon nicht ausreden. In jüngster Zeit macht das auch dieser fragwürdige leitende russische Staatslenker, ein interessanter Mann, zweifellos, aber dennoch ist es für mich eine ausgemachte Sache: Sobald ein Politiker das Hemd ablegt, ist seine Politik am Ende. Damit sagt er nichts anderes als: »Seht her, liebe Volksgenossen, ich habe eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Meine Politik ist ohne Hemd besser.«

Was soll das für eine unsinnige Aussage sein?

Ich habe im Übrigen gelesen, dass unlängst sogar ein deutscher Kriegsminister sich in einem Schwimmbecken mit einem Frauenzimmer fotografiert haben lassen soll. Während die Truppe im Felde stand oder wenigstens doch kurz davor. Der Mann wäre bei mir keinen Tag mehr im Amt gewesen. Auf ein Rücktrittsgesuch hätte ich da verzichtet, man legt ihm eine Pistole auf den Schreibtisch, eine Kugel im Lauf, man verlässt den Raum, und wenn der Saukerl noch einen Funken Anstand hat, dann weiß er, was er zu tun hat. Und wenn nicht, findet man am nächsten Morgen die Kugel in seinem Kopf und den Kopf mit dem Gesicht nach unten in diesem Planschbecken. Und dann weiß auch wieder der Rest des Ladens, was passiert, wenn man in Badehosen der Truppe in den Rücken fällt.

Nein, derlei Badespäße kamen natürlich für mich nicht infrage.

»Wenn Ihnen das nicht passt, was wollen Sie denn stattdessen machen?«

Diese Frage stellte mir ein gewisser Ulf Bronner, ein Hilfsregisseur, vielleicht Mitte dreißig, ein auffallend schlecht gekleideter Mann. Er war nicht so schäbig gekleidet wie Kameramänner, die – wie ich seit meiner jüngsten Arbeit für und mit dem Rundfunk weiß – die am schäbigsten gekleideten berufstätigen Menschen der Welt sind, unterboten lediglich noch von Pressefotografen. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber meiner Erkenntnis nach tragen Pressefotografen oft jene Lumpen auf, die den Fernseh-Kameraleuten kürzlich vom Leib gefallen sind. Der Grund ist wohl, dass sie glauben, niemand sähe sie, weil sie die Kamera schließlich selbst in der Hand halten. Ich hingegen denke oftmals, wenn ich ein ungünstiges Bild von jemandem in einer Illustrierten entdecke, wie er das Gesicht verzieht oder dergleichen: Wer weiß, wie der Fotograf gerade wieder ausgesehen hat. Der Regisseursdarsteller Bronner nun war besser gekleidet, aber nicht viel besser.

»Ich behandle Tagespolitik«, sagte ich ihm, »und natürlich Fragen, die darüber hinausreichen.«

»Keine Ahnung, wo das witzig sein soll«, brummte Bronner. »Politik ist immer Scheiße. Aber bitte, ist ja nicht meine Sendung.«

Ich habe in den Jahren gelernt: Fanatischer Glaube an die gemeinsame Sache ist nicht immer erforderlich. Und in manchen Dingen sogar hinderlich. Ich habe schon Regisseure gesehen, die vor lauter Kunstwillen nicht in der Lage waren, einen verständlichen Film zu drehen. Da war mir die Gleichgültigkeit des Bronner letzten Endes sogar lieber, sie ließ mir immerhin weitgehend freie Hand, wenn ich die erbärmlichen Leistungen der demokratisch gewählten Politrepräsentanten anzuprangern gedachte. Und da man die Dinge stets vereinfachen soll, wenn es denn möglich ist, wählte ich sogleich das nächstliegende Thema, im Wortsinne. Als Erstes stellte ich mich des Vormittags vor den Kindergarten neben der eigenwilligen Schule, an der ich inzwischen des Öfteren vorbeigelaufen war. Ich hatte schon mehrfach das unverantwortliche Verhalten der Autofahrer beobachtet, die dort mit erheblichem Tempo vorbeibrausten und bedenkenlos das Leben und die Gesundheit unserer Kinder aufs Spiel setzten. Ich plädierte zunächst in einer kurzen Ansprache heftig gegen jene Raserei, dann machten wir einige Aufnahmen dieser besinnungslosen Jugendmörder, die man später dazwischenmontieren konnte. Schließlich unterhielt ich mich mit den in großer Zahl vorbeilaufenden Müttern. Die Reaktionen waren erstaunlich. Die meisten fragten:

»Ist das hier die versteckte Kamera?«

Worauf ich zurückgab: »Keineswegs, gnädige Frau. Die Kamera ist ja hier, sehen Sie?« Dabei deutete ich auf das Aufnahmegerät und die Kameragenossen, ich tat es nachsichtig und geduldig, denn mit dem technischen Verständnis von Frauen ist das immer so eine Sache. Sobald dies geklärt war, wollte ich von der jeweiligen Dame wissen, ob sie üblicherweise in dieser Gegend verkehre.

»Dann sind Ihnen womöglich auch diese Autofahrer hier aufgefallen?«

»J-jaaa«, sagte sie gedehnt, »wieso…?«

»Würden Sie mir zustimmen, dass man angesichts des Verhaltens zahlreicher Autofahrer Angst haben muss um die Kinder, die hier spielen?«

»Ähm, schon, irgendwie, aber… sagen Sie, worauf wollen Sie hinaus?«

»Sprechen Sie Ihre Befürchtungen ganz frei heraus, Frau Volksgenossin!«

»Moment! Ich bin keine Volksgenossin! Aber wenn Sie schon fragen… Man ärgert sich da schon manchmal, wenn man mit den Kindern hier vorbeigeht…«

»Warum verhängt dann diese frei gewählte Regierung keine härteren Strafen gegen solche rücksichtslosen Raser?«

»Ich weiß nicht…«

»Wir werden das ändern! Für Deutschland. Sie und ich! Welche Strafen würden Sie fordern?«

»Welche Strafen ich fordere…?«

»Finden Sie, die bisherigen Strafen reichen aus?«

»Ich weiß nicht so genau…«

»Oder werden sie nicht streng genug durchgesetzt?«

»Nein, nein, ich – ich möchte das lieber nicht.«

»Wie? Und die Kinder?«

»Das ist… das ist alles schon so in Ordnung. So wie es ist. Ich bin ganz zufrieden!«

Das passierte oft. Es war wie in einem Klima der Angst, und das in dieser doch vorgeblich so freien Regierungsform. Die unschuldige einfache Frau aus dem Volke wagte nicht, in meiner Gegenwart offen zu sprechen, sobald ich in der schlichten Uniform des Soldaten auf sie zutrat. Ich war erschüttert. Und dies wiederholte sich in etwa drei Viertel der Fälle. Das letzte Viertel der befragten Personen sagte:

»Sind Sie hier der neue Ordner? Endlich spricht das mal einer aus! Das ist so eine Sauerei! Die gehören sofort ins Gefängnis!«

»Sie fordern also Zuchthaus?«

»Mindestens!«

»Ich hatte angenommen, die Todesstrafe gäbe es nicht mehr…«

»Leider!«

Nach einem ähnlichen Prinzip geißelte ich nun, was immer ich selbst oder in den Presse-Erzeugnissen wahrgenommen hatte. Vergiftete Lebensmittel, Autofahrer, die während des Führens ihres Fahrzeuges mit dem mobilen Apparat telefonierten, die barbarische Unsitte der Jägerei und dergleichen mehr. Und das Verblüffende war: Die Menschen forderten entweder drakonische Strafen oder, was wesentlich häufiger der Fall war, sie wagten es nicht, offen zu sprechen. Bei einer Gelegenheit war dies besonders ersichtlich. Denn hier hatten sich etliche Menschen bereits in der Innenstadt versammelt, um die Regierung zu kritisieren. Nachdem die naheliegende Lösung, nämlich Schlägertrupps, offenkundig derzeit niemandem mehr einzufallen schien, hatte man aber doch wenigstens eine Art Marktstand errichtet, um Unterschriften zu sammeln, die letzten Endes die beeindruckend hohe Zahl von 100000 Abtreibungen pro Jahr in Deutschland verhindern sollten.

Eine derartige Massenermordung deutschen Blutes ist selbstverständlich auch für mich nicht hinnehmbar – jeder Kretin konnte sofort sehen, dass dies bei 50 Prozent Buben mittelfristig zum Ausfall von drei Divisionen führen würde. Wenn nicht von vier. Allerdings mochte sich in meiner Gegenwart plötzlich keiner dieser braven, anständigen Menschen mehr zu seiner Gesinnung bekennen, und kurz nach unserem Eintreffen wurde die Aktion dann auch komplett abgebrochen.

»Was sagt man dazu?«, fragte ich Bronner. »Diese armen Menschen sind wie ausgewechselt. So viel zu dieser sogenannten Meinungsfreiheit.«

»Wahnsinn«, staunte Bronner, »das lief ja noch besser als die Sache mit den Hundehaltern gegen Leinenzwang!«

»Nein«, sagte ich, »das haben Sie falsch verstanden. Das bei den Hundehaltern, das waren keine anständigen Menschen, die sich da aus dem Staube gemacht haben. Das waren alles Juden. Haben Sie denn die Sterne nicht gesehen? Die wussten gleich, mit wem sie es zu tun hatten.«

»Das waren doch keine Juden«, wandte Bronner ein, »in den Sternen stand doch nicht ›Jude‹. Da stand ›Hund‹.«

»Das ist typisch für den Juden«, klärte ich ihn auf. »Nur Verwirrung stiftet er. Und auf den Flammen der Ratlosigkeit kocht er dann seine schmierige Giftsuppe.«

»Das ist doch…«, schnaufte Bronner, und dann lachte er. »Sie sind wirklich unglaublich!«

»Ich weiß«, sagte ich. »Sind eigentlich die Uniformen für Ihre Kameraleute schon da? Die Bewegung muss künftig einheitlich auftreten!«

In der Produktionsfirma wurden unsere Enthüllungen mit großer Begeisterung aufgenommen. »Sie könnten offenbar sogar einen Pfarrer zum Atheisten bekehren«, lachte die Dame Bellini bei der Sichtung des Materials.

»Das sollte man eigentlich meinen, doch ich habe das bereits im größeren Umfang versucht«, erinnerte ich mich, »bei vielen dieser Pfaffen schafft man das nicht einmal mit Lagerhaft.«

Bereits zwei Wochen nach meiner Premiere bei jenem Wizgür wurden nun diese Beiträge in die Sendung eingefügt, zusätzlich zu meiner flammenden Rede, die ich jeweils gegen Ende hielt. Und nach vier weiteren Wochen kam jeweils noch ein Beitrag dazu. Es war im Grunde wie Anfang der zwanziger Jahre. Nur mit dem Unterschied, dass ich mir damals eine Partei gekapert hatte.

Diesmal war es eine Rundfunksendung.

Ich behielt im Übrigen auch recht mit meiner Einschätzung, was diesen Wizgür anging. Tatsächlich verfolgte er mit einem gewissen Groll, wie ich mehr und mehr Einfluss und Macht in seiner Sendung gewann, wie sich deutlich die Führernatur durchsetzte. Dennoch trat er dieser Entwicklung nicht entgegen. Er passte sich zwar nicht direkt an, er protestierte jedoch nur auf das Kläglichste hin und wieder und jammerte hinter den Kulissen den Firmenverantwortlichen die Ohren voll. Ich an seiner Stelle hätte alles auf eine Karte gesetzt, ich hätte mir von Anfang an jegliche Einmischung verbeten, ich hätte unter vergleichbaren Umständen gleich nach dem ersten Auftritt mit der Einstellung jeder Arbeit für den Sender geantwortet, was hätten mich da Verträge interessiert. Aber jener Wizgür klammerte sich, wie es nicht anders zu erwarten war, verzweifelt an seine jämmerlichen Errungenschaften, an seinen fragwürdigen Ruhm, an seinen Sendeplatz, als wäre es eine Auszeichnung. Dieser Wizgür hätte niemals für seine Überzeugungen Rückschläge in Kauf genommen, er wäre nie in die Festungshaft gegangen.

Andererseits: Welche Überzeugungen sollte er schon haben? Was hatte er außer einer fragwürdigen Herkunft aufzuweisen, außer sinnentleertem prahlerischem Geschwätz? Da hatte ich es natürlich einfacher, hinter mir stand ja immerhin die Zukunft Deutschlands. Ganz zu schweigen vom Eisernen Kreuz. Oder dem Verwundetenabzeichen, das belegte, dass ich für Deutschland auch schon mein Blut geopfert hatte. Was hingegen hatte jener Wizgür geopfert?

Und da erwarte ich selbstverständlich nicht unbedingt das Verwundetenabzeichen in Gold. Wo soll er das herhaben, ohne einen Krieg? Und wenn er es gehabt hätte, wäre wiederum fraglich gewesen, ob er sich noch für seine Unterhaltungssendung geeignet hätte. Die Leute, die solche raren, hohen Verwundetenauszeichnungen tragen, von denen ist bei genauerer Betrachtung oft nicht mehr allzu viel übrig. Das liegt in der brutalen Natur der Dinge. Menschen, die fünfmal oder öfter an der Front verwundet wurden, von Bajonetten, Granaten, Gas, die haben Glasaugen oder künstliche Arme, oder der Mund ist schief zusammengewachsen, wenn überhaupt noch ein Unterkiefer da ist, das ist zugegebenermaßen nicht das Holz, aus dem uns das Schicksal die besten Humoristen schnitzt. Und so verständlich eine gewisse Bitterkeit in ihrer Situation auch sein mag, man muss hier als Führer auch einmal die andere Seite sehen. Da sitzen die Leute im Publikum in bester Stimmung, sie haben sich fein gemacht, sie möchten sich nach einem harten Arbeitstage in der Schrapnellfabrik oder in der Fliegerwerft einmal entspannen oder auch nach einem langen nächtlichen Bombardement, da habe ich schon Verständnis dafür, dass die Bevölkerung von einem guten Komödianten etwas anderes erwartet als zwei amputierte Unterschenkel. Da muss man dann in aller Deutlichkeit auch einmal sagen: Hier ist der sofortige tödliche Granatentreffer für alle wohl die bessere Lösung als ein Verwundetenabzeichen mit anschließender Verwendung als Spaßmacher an der Heimatfront.

Insgesamt merkte man aber eben sofort, dass dieser Wizgür nicht nur keine Weltanschauung besaß, die es mit der nationalsozialistischen aufnehmen konnte, sondern dass er überhaupt keine hatte. Und ohne eine gefestigte Weltanschauung ist man in der modernen Unterhaltungsindustrie selbstverständlich ohne jede Chance und fernerhin auch ohne Daseinsberechtigung, das Weitere regelt dann die Geschichte.

Oder die Einschaltquote.

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