Das Problem mit diesen Parlamentariern ist, dass sie schlichtweg nichts begriffen haben. Ich meine: Warum habe ich denn diesen Krieg geführt? Doch nicht, weil ich so gerne Krieg führe! Ich hasse es, Kriege zu führen. Wenn Bormann noch wäre, den könnte jeder fragen, der würde das sofort bestätigen. Furchtbar ist das, ich hätte diese Aufgabe auch liebend gerne abgetreten, wenn es jemand Besseren gegeben hätte. Und jetzt, nun, also kurzfristig muss ich mich damit zunächst nicht befassen, aber mittel- und langfristig wird das wohl wieder auf mich zukommen. Wer soll das denn sonst machen? Wer würde derlei denn überhaupt sonst machen? Fragt man heute einen Parlamentarier, dann behauptet der doch glattweg, Kriege seien heute nicht mehr notwendig. Das wurde auch schon damals behauptet, und schon damals war es genauso Unsinn wie heute. Der Gedanke ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass diese Erde nicht wächst. Die Zahl der Menschen auf ihr aber schon. Und wenn den Menschen die natürlichen Ressourcen zu knapp werden, welche Rasse wird dann diese Ressourcen bekommen?
Die netteste?
Nein, die stärkste. Und darum habe ich alles daran gesetzt, die deutsche Rasse zu kräftigen. Und dem Russen in die Parade zu fahren, bevor er uns überrollt. Im allerletzten Moment, wie ich dachte. Damals lebten schließlich 2,3 Milliarden Menschen auf der Welt. Zwei Komma drei Milliarden!
Es konnte ja keiner wissen, dass da noch dreimal mehr drauf passen.
Aber – und hier kommt das Entscheidende: Man muss aus dieser Tatsache die richtigen Schlüsse ziehen. Und der richtige Schluss lautet natürlich nicht: Weil wir jetzt sieben Milliarden sind, war damals alles unnötig. Sondern der richtige Schluss lautet: Wenn ich schon damals recht hatte, dann habe ich heute sogar noch dreimal mehr recht. Das ist simple Arithmetik, das rechnet Ihnen jeder Drittklässler vor.
Insofern ist mir die Sache mit meiner Rückkehr auch einmal mehr vollkommen einleuchtend. Denn warum leben jetzt diese sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt?
Weil ich einen Krieg geführt habe, der durch und durch – um einmal dieses neumodische Wort zu verwenden – nachhaltig war. Wenn all diese Menschen sich seither vermehrt hätten, wären wir inzwischen bei acht Milliarden. Und davon wären zweifellos die meisten Russen, die längst das Land hier überrannt hätten, unsere Früchte ernten, unser Vieh wegtreiben, die arbeitsfähigen Männer versklaven, die anderen abschlachten würden, um dann mit ihren schmutzigen Fingern unsere unschuldigen jungen Frauen zu missbrauchen. Erst sah also die Vorsehung meine Aufgabe darin, den bolschewistischen Bevölkerungsüberschuss abzuschöpfen. Und nunmehr liegt meine Berufung natürlich darin, den Rest der Mission zu erfüllen. Die Pause dazwischen war nötig, um meine Kräfte nicht in diesen Jahrzehnten zu vergeuden, die nun einmal nötig sind, damit die Spätfolgen des Krieges eintreten können. Als da wären: Streit unter den Alliierten, Zerfall der Sowjetunion, russische Gebietsverluste und natürlich die Aussöhnung mit unserem nächstliegenden Verbündeten, mit England, um später einmal vereint vorgehen zu können. Es ist mir heute noch schleierhaft, weshalb das nicht schon damals geklappt hat. Wie viele Bomben hätten wir ihnen denn noch auf ihre Städte werfen sollen, bis sie begriffen, dass sie unsere Freunde sind?
Wobei man, wenn man sich die neueren Zahlen einmal ansieht, nicht ganz nachvollziehen kann, wozu England noch nötig ist, eine Weltmacht ist diese marode Insel ja nun wahrlich nicht mehr. Gut, man muss auch nicht alle Fragen gleich beantworten. Allerdings naht nun für durchgreifende Maßnahmen allmählich der letztmögliche Zeitpunkt. Und deswegen war ich auch so entsetzt vom Zustand der sogenannten nationalen Kräfte dieses Landes.
Ich hatte zunächst angenommen, ich sei mehr oder weniger auf mich allein gestellt. Doch hatte das Schicksal bereits den einen oder anderen Verbündeten installiert. Aber genau das war schon ein Armutszeugnis: Dass es Monate brauchte, bis ich überhaupt mitbekam, dass es jemanden gab, der sich berufen fühlte, die Arbeit der NSDAP fortzuführen. Ich war derart empört über diese erbarmungswürdige Propagandaarbeit, dass ich mir den Hilfsregisseur Bronner samt einem Kameramann organisierte und nach Berlin-Köpenick hinfuhr, wo unter dem Namen NPD die größte derartige Vereinigung residierte. Ich muss schon sagen: Ich hätte mich vor Ort am liebsten gleich übergeben.
Ich gebe zu, das Braune Haus in München war nicht weltbewegend gewesen, aber doch auf jeden Fall seriös, repräsentativ. Oder wenn ich an Paul Troosts Verwaltungsbau denke, nur einen Steinwurf entfernt, also das war ein Haus, für das wäre ich sofort in jede Partei eingetreten. Aber diese schneebedeckte Bruchbude in Berlin-Köpenick – erbärmlich.
Das armselige Häuslein stand frierend in einer Baulücke zwischen zwei Mietsgebäuden wie ein Kinderfuß in den zu großen Pantoffeln des Vaters. Schon allein das Gebäude sah hoffnungslos überfordert aus, was auch daher rühren mochte, dass irgendein Holzkopf auf die Idee gekommen war, der furchtbaren Klitsche einen Namen zu geben und ihn in großen, obendrein zeitlos hässlichen Buchstaben auf die Fassade zu schrauben: »Carl-Arthur Bühring-Haus« stand darauf, es wirkte insgesamt, als hätte man einen Kinderschwimmring auf den Namen »Herzog von Friedland« getauft. »NPD-Parteizentrale« stand auf dem Klingelschild, so klein, dass man es Feigheit vor dem Feinde nennen musste. Es war unglaublich, es war wie in der Systemzeit: Der völkische Gedanke, die nationale Sache wurde erneut durch irgendwelche Hohlköpfe entehrt, entwertet, lächerlich gemacht. Ich drückte wutentbrannt auf die Klingel, und als sich nicht rasch genug etwas tat, drosch ich mehrfach mit der Faust dagegen. Die Tür öffnete sich.
»Sie wünschen?«, fragte ein pickeliges Jüngelchen mit einem irritierten Gesichtsausdruck.
»Was glauben Sie wohl?«, fragte ich kalt.
»Haben Sie eine Drehgenehmigung?«
»Was ist denn das für ein grauenhaftes Gewinsel?«, herrschte ich ihn an. »Seit wann versteckt sich eine nationale Bewegung hinter derlei welschen Winkelzügen!« Ich drückte die Tür energisch auf. »Gehen Sie mir aus dem Weg! Sie sind eine einzige Schande für das deutsche Volk! Wo ist Ihr Vorgesetzter?«
»Ich – Moment – warten Sie – ich hole jemanden…«
Das Jüngelchen verschwand und ließ uns in einer Art Empfangsraum zurück. Ich sah mich um. Das Haus hätte einen Anstrich brauchen können, es roch nach kaltem Rauch. Einige Parteiprogramme lagen herum, mit idiotischen Slogans. »›Gas geben‹« stand auf einem, in Anführungszeichen, als solle man in Wirklichkeit gar kein Gas geben. »Millionen Fremde kosten uns Milliarden« stand auf einem Aufkleber – wer dann die Patronen und Granaten für die Truppe fertigen sollte, wer dann für die Landser die Bunker ausheben würde, stand da natürlich auch nicht. Das Jüngelchen jedenfalls, das ich gesehen hatte, wäre an der Schaufel genauso wenig zu gebrauchen gewesen wie im Felde.
Ich habe mich in meinem Leben noch nie derart für eine nationale Partei geschämt. Bei dem Gedanken, dass all dieses die Kamera filmte, musste ich mich zusammenreißen, damit mir keine Tränen der Wut aus den Augen rannen. Für dieses Gesindel hatte sich Ulrich Graf nicht mit elf Kugeln zusammenschießen lassen, von Scheubner-Richter war damals nicht unter den Schüssen der Münchner Polizei gefallen, damit solche Lumpen in ihren verwahrlosten Buden mit dem Blut verdienter Männer Schindluder trieben. Ich hörte das Bübchen vom Nebenzimmer ratlos in einen Telefonapparat hineinstammeln. Die Kamera zeichnete alles auf, die ganze Unbeholfenheit, es war so bitter – aber es ging wohl nicht anders, als dass man einmal diese Jauchegrube ausmistete. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, ich ging zornbebend in den Nebenraum.
»… hätte ihn ja auch abgewiesen, aber irgendwie… Er sieht aus wie Adolf Hitler, er hat die Uniform…«
Ich riss dem Bengel den Hörer aus der Hand und schrie hinein: »Welcher Versager führt diesen Laden?«
Es war erstaunlich, mit welcher Behendigkeit der sonst so träge Hilfsregisseur Bronner sich um den Tisch wand und mit unverhohlener Freude einen Knopf auf dem Telefon drückte. Tatsächlich konnte man nun die Antworten aus einem kleinen Lautsprecher am Apparate gut im Raum hören.
»Erlauben Sie mal«, sagte der Lautsprecher.
»Wenn ich etwas erlaube, werden Sie es schon mitbekommen!«, schrie ich. »Wieso ist hier kein Vorgesetzter in der Dienststelle? Wieso hält hier nur dieses Brillenwürstchen die Stellung? Sie kommen sofort hierher und geben mir Rechenschaft! Sofort.«
»Wer ist denn da überhaupt?«, sagte der Lautsprecher. »Sind Sie dieser Irre von Youtube?«
Ich gebe zu, dass bestimmte Vorgänge der jüngeren Vergangenheit für den normalen kleinen Mann auf der Straße unter Umständen nicht ganz einfach nachzuvollziehen sind. Allerdings muss hier mit zweierlei Maß gemessen werden: Wer eine nationale Bewegung anführen möchte, muss auch auf die unvorhersehbarsten Wendungen des Schicksals reagieren können. Und wenn dann das Schicksal bei ihm an die Türe klopft, hat er nicht zu fragen: »Sind Sie der Irre von Youtube?«
»Nun«, sagte ich, »ich nehme nicht an, dass Sie mein Buch gelesen haben.«
»Dazu äußere ich mich nicht«, sagte der Lautsprecher, »und jetzt verlassen Sie sofort die Geschäftsstelle, oder ich lasse Sie rausschmeißen.«
Ich lachte.
»Ich bin in Frankreich einmarschiert«, sagte ich, »ich bin in Polen einmarschiert. Ich bin in Holland einmarschiert und in Belgien. Ich habe die Russen zu Hunderttausenden eingekesselt, bevor die auch nur Piep sagen konnten. Und jetzt bin ich in Ihrer sogenannten Geschäftsstelle. Und wenn Sie auch nur den Hauch einer wahrhaft nationalen Gesinnung besitzen, dann kommen Sie hierher und stehen mir Rede und Antwort über die Art und Weise, in der Sie das völkische Erbe verschleudern!«
»Ich lasse Sie…«
»Sie wollen den Führer des Großdeutschen Reiches gewaltsam entfernen lassen?«, fragte ich ruhig.
»Sie sind ja nicht der Führer.«
Aus nicht ganz verständlichen Gründen ballte der Hilfsregisseur Bronner in diesem Augenblick seine Faust und grinste extrem breit.
»Das heißt natürlich: Hitler«, sagte stockend der Lautsprecher. »Sie sind nicht Hitler.«
»Soso«, sagte ich ruhig, extrem ruhig, so ruhig, dass Bormann schon Schutzhelme ausgegeben hätte. »Wenn aber«, fuhr ich sehr höflich fort, »wenn ich es aber wäre, so hätte ich dann wohl die Ehre, mit Ihrer bedingungslosen Gefolgstreue zur nationalsozialistischen Bewegung rechnen zu dürfen?«
»Ich…«
»Ich erwarte sofort den zuständigen Reichsleiter. Sofort!«
»Der kann gerade nicht…«
»Ich habe Zeit«, sagte ich ihm, »jedes Mal, wenn ich einen Blick in den Kalender werfe, stelle ich es von Neuem fest: Ich habe erstaunlich viel Zeit.« Dann legte ich auf.
Das Jüngelchen sah mich verwirrt an.
»Det meinen Se aber nich ernst, oder?«, fragte der Kameramann besorgt.
»Wie bitte?«
»Ick hab jarnicht erstaunlich viel Zeit. Ick mach um vier Feierabend.«
»Schon gut, schon gut«, beschwichtigte Bronner, »wir holen notfalls eine Ablösung. Das wird richtig gut hier!« Er holte seinen tragbaren Telefonapparat aus der Tasche und machte sich ans Organisieren.
Ich setzte mich auf einen der freien Stühle. »Haben Sie vielleicht etwas zu lesen da?«, fragte ich das Jüngelchen.
»Ich… ich seh mal nach, Herr…«
»Hitler ist der Name«, sagte ich sachlich. »Ich muss schon sagen: Das letzte Mal, als ich mich derart mühsam vorstellen musste, befand ich mich in einer türkisch geführten Reinigung. Sind diese Anatolier irgendwie mit Ihnen verwandt?«
»Nein, es ist nur – wir…«, faselte das Jüngelchen.
»Nun ja. Ich sehe in dieser Partei keine große Zukunft für Sie!«
Das Telefon läutete und unterbrach die Lektüresuche des Jüngelchens. Er hob den Hörer ab und nahm beinahe so etwas wie Haltung an.
»Ja«, sagte er in den Hörer, »jawohl, der ist noch hier.« Dann wandte er sich an mich: »Der Bundesvorsitzende für Sie.«
»Ich bin nicht zu sprechen. Die Zeit der Telefonate ist abgelaufen. Ich will den Mann sehen.«
Das dürre Jüngelchen sah schwitzend nicht besser aus. Eine unserer Napolas schien das Büblein genauso wenig besucht zu haben wie eine Wehrsportübung oder generell jemals einen Sportverein. Dass die Partei derartige rassische Ausschussware nicht gleich beim Aufnahmeverfahren unnachgiebig aussiebte, war einem auch nur halbwegs geistig gesunden Menschen nicht nachvollziehbar. Das Jüngelchen wisperte etwas in den Telefonhörer. Dann legte es auf.
»Der Herr Bundesvorsitzende bittet um etwas Geduld«, sagte das Büblein, »aber er wird so schnell wie möglich kommen. Das hier ist doch für MyTV, oder?«
»Das hier ist für Deutschland«, korrigierte ich.
»Kann ich Ihnen in der Zwischenzeit vielleicht ein Getränk anbieten?«
»Sie können sich in der Zwischenzeit setzen«, sagte ich und musterte ihn besorgt. »Treiben Sie eigentlich Sport?«
»Ich möchte lieber nicht…«, sagte der, »und der Herr Bundesvorsitzende wird ja auch jeden Moment…«
»Hören Sie auf mit dem Gewimmer«, sagte ich. »Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl. Kennen Sie das?«
Er nickte zögernd.
»Dann ist immerhin noch nicht alles verloren«, sagte ich mit einer gewissen Nachsicht. »Ich weiß, Sie haben Angst zu reden. Aber es reicht ja, wenn Sie einfach Ihren Kopf benutzen. Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl – würden Sie sagen, dass das Eigenschaften sind, über die zu verfügen vorteilhaft ist, wenn man ein großes Ziel verfolgt?«
»Ich würde sagen, es kann nicht schaden«, sagte er vorsichtig.
»Und«, fragte ich, »sind Sie flink wie ein Windhund? Sind Sie hart wie Kruppstahl?«
»Ich…«
»Sie sind es nicht. Sie sind langsam wie eine Schnecke, brüchig wie die Knochen eines Greises und weich wie Butter. Hinter der Front, die Sie verteidigen, muss man Frauen und Kinder sofort evakuieren. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, sind Sie in einer anderen Verfassung! Wegtreten.«
Mit einem schafsartigen Gesichtsausdruck entfernte er sich.
»Und gewöhnen Sie sich das Rauchen ab«, schmetterte ich ihm hinterher. »Sie riechen wie ein billiger Schinken!«
Ich nahm mir eine dieser dilettantischen Broschüren, kam aber nicht dazu, sie zu lesen.
»Wir sind nicht mehr allein«, meinte Bronner mit einem Blick aus dem Fenster.
»Hm?«, fragte der Kameramann.
»Ich hab keine Ahnung, wer denen Bescheid gegeben hat, aber da draußen sind jede Menge Fernsehteams.«
»Wird wohl einer von den Polizisten gewesen sein«, vermutete der Kameramann. »Deswegen schmeißen die uns auch nicht raus. Das kommt nicht gut als Nazi, wenn man vor laufenden Kameras den Führer rausschmeißt.«
»Aber er ist es doch nicht«, grübelte Bronner.
»Derzeit nicht, Bronner«, korrigierte ich ihn streng. »Es gilt zunächst, die nationale Bewegung zu einigen und die schädlichen Idioten zu entfernen. Und hier«, sagte ich mit einem Seitenblick auf das Bübchen, »hier sind wir geradezu in einem Nest der schädlichen Idioten.«
»Jetzt kommt wer!«, sagte Bronner. »Ich glaub, das ist der Obermotz.«
Tatsächlich öffnete sich die Tür, und eine weichliche Figur trat ein. »Wie schön«, sagte er kurzatmig und schob mir seine feiste Hand hin, »der Herr Hitler. Mein Name ist Apfel, Holger Apfel. Bundesvorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands. Ich verfolge Ihre Sendungen mit großem Interesse.«
Ich betrachtete kurz die bizarre Gestalt. Das zerbombte Berlin hatte nicht trauriger ausgesehen. Er klang, als hätte er ständig ein Wurstbrot im Mund, und letztlich sah er auch so aus. Ich ließ seine Hand unbeachtet und fragte: »Können Sie nicht grüßen wie ein anständiger Deutscher?«
Er sah mich irritiert an, wie ein Hund, dem man zugleich zwei Befehle gibt.
»Setzen Sie sich«, beschied ich ihn. »Wir haben zu reden.«
Er sank schnaufend in den Sitz mir gegenüber.
»Sie«, sagte ich, »vertreten hier also die nationale Sache.«
»Notgedrungen«, erwiderte er mit einem halben Lächeln, »Sie haben sich ja schon seit Längerem nicht mehr darum gekümmert.«
»Ich muss mir meine Zeit eben einteilen«, sagte ich knapp. »Die Frage ist: Was haben Sie in der Zwischenzeit getan?«
»Ich denke nicht, dass wir uns mit unseren Leistungen verstecken müssen«, sagte er, »wir vertreten die Deutschen inzwischen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen und unsere Kameraden in…«
»Wer?«
»Unsere Kameraden.«
»Es heißt Volksgenossen«, sagte ich. »Ein Kamerad ist jemand, mit dem man im Schützengraben war. Ich sehe hier mit Ausnahme meiner Wenigkeit niemanden, auf den das zutrifft. Sehen Sie das anders?«
»Für uns Nationaldemokraten…«
»Nationaldemokratie«, spottete ich, »was soll das sein? Nationalsozialistische Politik erfordert einen Demokratiebegriff, der sich nicht für die Namensgebung eignet. Wenn mit der Wahl des Führers die Demokratie beendet ist, rennen Sie immer noch mit der Demokratie im Namen herum! Wie dumm kann man eigentlich sein?«
»Wir stehen als Nationaldemokraten natürlich fest auf dem Boden des Grundgesetzes und…«
»Sie scheinen mir nicht in der SS gewesen zu sein«, sagte ich, »aber Sie haben doch wenigstens mein Buch gelesen?«
Er blickte ein wenig verunsichert und meinte dann: »Nun, man muss sich ja umfassend informieren, und obwohl das Buch in Deutschland nicht ganz leicht erhältlich ist…«
»Was soll das werden? Eine Art Entschuldigung dafür, dass Sie mein Buch gelesen haben? Oder dass Sie es nicht gelesen haben? Oder dass Sie es nicht verstanden haben?«
»Also, das führt jetzt zu weit, könnten wir für einen Moment mal die Kamera ausschalten?«
»Nein«, sagte ich kalt. »Sie haben genug Zeit vertrödelt. Sie sind ein Blender, Sie versuchen auf den vernachlässigten Flammen der heißen Heimatliebe völkisch gesinnter Deutscher Ihr Süppchen zu kochen, doch jedes Wort aus Ihrem unfähigen Mund wirft die Bewegung um Jahrzehnte zurück. Es sollte mich nicht wundern, wenn Sie hier letztlich nur eine bolschewistisch unterwanderte Herberge für Landesverräter unterhalten.«
Er versuchte sich zurückzulehnen, um ein überlegenes Lächeln zu platzieren, aber ich gedachte nicht, ihn so leicht davonkommen zu lassen.
»Wo«, sagte ich eisig, »ist in Ihren ›Broschüren‹ der Rassegedanke? Der Gedanke des deutschen Blutes und der Blutreinheit?«
»Nun, ich habe erst kürzlich betont, dass man Deutschland den Deutschen…«
»Deutschland! Dieses ›Deutschland‹ ist ein Zwergstaat im Vergleich zu dem Lande, das ich geschaffen habe«, hielt ich fest, »und selbst das Großdeutsche Reich war für die Bevölkerung zu klein. Wir brauchen mehr als Deutschland. Und wie bekommen wir das?«
»Wir, äh… wir bestreiten die, äh, die Rechtmäßigkeit der von den Siegermächten erzwungenen Grenzanerkennungsverträge…«
Ich musste unwillkürlich lachen, zugegebenermaßen handelte es sich dabei um ein Lachen der Verzweiflung. Dieser Mann war eine unvorstellbare Witzfigur. Und dieser hoffnungslose Idiot führte den größten nationalen Verband auf deutschem Boden. Ich beugte mich nach vorne und schnippte mit den Fingern.
»Wissen Sie, was das ist?«
Er sah mich fragend an.
»Das ist die Zeitspanne, die man braucht, um aus dem Völkerbund auszutreten. ›Wir bestreiten die Rechtmäßigkeit blablabla‹ – was für ein wehleidiges Geschwätz! Man tritt aus dem Völkerbund aus, dann rüstet man auf und nimmt sich, was man braucht. Und wenn man ein blutreines deutsches Volk hat, das mit fanatischem Willen kämpft, dann bekommt man auch alles, was man auf dieser Welt haben muss. Also, noch einmal! Wo ist bei Ihnen der Rassegedanke?«
»Na ja, Deutscher wird man nicht durch den Pass, sondern durch die Geburt, das steht bei uns im…«
»Ein Deutscher windet sich nicht in juristischen Formulierungen, sondern er spricht Fraktur! Die Grundlage der Erhaltung des deutschen Volkes ist der Rassegedanke. Wenn die Unverzichtbarkeit dieses Gedankens nicht wieder und wieder dem Volke eingeprägt wird, dann haben wir in fünfzig Jahren kein Heer, sondern einen Sauhaufen wie das Habsburgerreich.« Ich wandte mich kopfschüttelnd zu dem Jüngelchen.
»Sagen Sie, haben Sie diesen sogenannten demokratischen Kloß gewählt?«
Das Jüngelchen machte eine ungewisse Kopfbewegung.
»War denn das der beste verfügbare Mann?«
Er zuckte mit den Schultern. Ich stand auf, resigniert. »Gehen wir«, sagte ich bitter. »Es wundert mich nicht, dass diese Partei keinerlei Terror verbreitet.«
»Und was ist mit Zwickau?« Das war Bronner.
»Was soll mit Zwickau sein«, fragte ich. »Was hat das mit Terror zu tun? Wir haben den Terror damals auf die Straße gebracht! Wir haben damit 1933 einen gewaltigen Erfolg eingefahren. Das hatte aber auch seinen Grund: Die SA ist auf Lastkraftwagen durch die Gegend gefahren, hat Knochen gebrochen und Fahnen geschwenkt. Fahnen, hören Sie das?«, brüllte ich nun schon unbeherrscht den Apfelklops an, dass er zurückschreckte.
»Fahnen! Vor allem das ist wichtig! Wenn so ein bolschewistisch verblendeter Dummkopf im Rollstuhl sitzt, dann soll er ja auch wissen, wer ihn da hineingeprügelt hat und warum! Und was macht dieses Idiotentrio in Zwickau? Die bringen reihenweise Ausländer um – ohne Fahne. Prompt glauben alle, das wäre wohl Zufall oder die Mafia. Wovor soll man denn da Angst haben? Dass diese mentalen Rohrkrepierer überhaupt existierten, hat man ja erst daran gemerkt, dass sich zwei von diesen Dümmlingen selbst umgebracht haben.« Ich warf hilflos die Hände zum Himmel. »Wenn ich diese Herrschaften rechtzeitig in die Finger bekommen hätte, für die hätte ich eigens ein Euthanasieprogramm aufgelegt!«
Ich wandte mich wütend an den Apfelklops. »Oder ich hätte sie so lange geschult, bis sie sinnvoll arbeiten. Haben Sie den drei Schwachköpfen wenigstens Ihre Hilfe angeboten?«
»Ich hatte mit der Sache nichts zu tun«, sagte er zögernd.
»Da sind Sie wohl auch noch stolz darauf!«, schrie ich. Wenn er Schulterklappen gehabt hätte, ich hätte sie ihm vor laufender Kamera von seinem Anzug gerissen. Ich ging entsetzt zur Tür und trat hinaus.
Ich stand vor einem Wald von Mikrofonen.
»Was haben Sie besprochen?«
»Werden Sie für die NPD kandidieren?«
»Sind Sie Mitglied?«
»Ein Haufen Waschlappen«, sagte ich enttäuscht. »Nur so viel: Ein anständiger Deutscher hat hier nichts verloren.«