xx.

Ich täusche mich nicht oft. Ich täusche mich im Gegenteile sogar sehr selten. Es ist dies einer der Vorteile, wenn man sich erst mit einer abgeschlossenen Lebenserfahrung in das politische Leben hineinbegibt, und ich sage bewusst: abgeschlossen. Denn es gibt ja dieser Tage so viele sogenannte Politiker, die vielleicht eine Viertelstunde hinter eine Ladentheke gestanden sind oder einmal im Vorbeigehen durch die offene Türe einer Werkhalle geblickt haben und die nun glauben, sie wüssten, wie das wahre Leben aussieht. Ich denke da nur einmal rein beispielshalber an diesen liberalen Asiatenminister. Der Mann hat seine Arztausbildung abgebrochen, um sich auf seine Karriere als Politikwürstchen zu konzentrieren, da kann man doch nun wirklich nur fragen: Und wozu? Ja, wenn er stattdessen gesagt hätte, er konzentriere sich zunächst auf seinen Arztabschluss, um dann zehn oder zwanzig Jahre als Arzt zu arbeiten, fünfzig, sechzig Stunden die Woche, um hernach, geschult durch die harte Realität, sich allmählich eine Meinung zu bilden und diese zu einem Weltbilde zu verfestigen, damit er dann anschließend guten Gewissens eine sinnvolle politische Arbeit beginnen könne, so wäre wohl noch unter günstigen Umständen ein Schuh daraus geworden. Aber natürlich ist dieses Bürschlein eines von dieser neueren, übelsten Sorte, die sich denkt, erst gehen wir in die Politik, und die Ahnung verfertigt sich wohl irgendwie unterwegs. Und so sieht das dann ja auch aus: Da wird heute dem Finanzjudentum das Wort geredet und morgen dem jüdischen Bolschewismus hinterhergelaufen, und so kommt dieses Jüngelchen letzten Endes auch daher: Wie der Klassentölpel, der immer dem Bus hinterherrennt. Ich kann nur sagen: Pfui! Hätte er besser gewartet, bis er die ersten Fronterfahrungen hinter sich hat, die Arbeitslosigkeit, das Männerheim in Wien, die Ablehnung durch diese professoralen Trottel der Akademie, dann wüsste er heute, wovon er redet. Irrtümer wären somit nur noch in ganz außergewöhnlichen Fällen möglich. Wie in dieser Angelegenheit mit der »Bild«-Zeitung. Da, muss ich zugeben, hatte ich mich getäuscht.

Ich war davon ausgegangen, das Pressegesindel würde über mich herfallen, meine Politik, meine Reden. Tatsächlich sandte man mir vor allem eine Horde Fotografen hinterher. Und schon zwei Tage später erschien ein großes Bild von mir, wie ich an einem der Stehtische des Zeitungskrämers Tee aus einem Pappbecher zu mir nahm. Der Krämer hatte sich zu mir gesellt, eine Flasche Limonade in der Hand, die jedoch in der Form einer Bierflasche ähnelte. In großer Schrift stand darüber:

Man muss tatsächlich zugeben: Der Zeitungskrämer hatte rein die Garderobe betreffend nicht seinen allerbesten Tag gehabt. Das lag daran, dass er sich vorgenommen hatte, Renovierungstätigkeiten an den Fensterläden zu erledigen. Insofern hatte er einige ausgemusterte Kleidungsstücke angelegt und einen Arbeitskittel darübergezogen, den er in den Zigarettenpausen ablegte und dann in der Tat so schäbig aussah, wie man – niemand kann das besser beurteilen als ich – es von jemandem bei der Verfertigung von Malerarbeiten erwarten kann. Aber deswegen war der Zeitungskrämer noch längst kein Säuferfreund von mir, wie ich ja ohnehin keine Trinkerfreundschaften pflege. Dennoch war mir schon diese Angelegenheit ausgesprochen unangenehm, letztlich hatte der Zeitungskrämer nun eine derartige Behandlung wirklich nicht verdient. Erfreulicherweise wusste er den Vorgang richtig zu nehmen. Ich hatte mich gleich des späteren Vormittags aufgemacht, um mich bei ihm für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. Aber er hatte kaum Zeit für mich.

Ich traf ihn vor seinem Kiosk stehend an, wie er eine trotz des regnerisch kalten Wetters erstaunlich große Zahl von Leuten bediente. Ein großes Plakat prangte auf dem Kiosk über dem Verkaufsfenster: »›Bild‹ kaufen – heute mit mir und dem irren Youtube-Hitler!«

»Sie kommen gerade recht!«, rief er, als er mich sah.

»Ich wollte mich eigentlich entschuldigen«, rief ich zurück, »aber inzwischen weiß ich nicht mehr genau, wofür.«

»Ich auch nicht«, lachte der Zeitungskrämer, »schnappen Sie sich einen von den Filzstiften und signieren Sie! Das ist das Mindeste, was Sie für Ihren Säuferfreund tun können.«

»Sind Sie’s wirklich?«, fragte auch sogleich ein Bauarbeiter, der mir seine Zeitung hinhielt.

»Jawohl«, sagte ich und signierte das Blatt.

»Als ich das mitbekommen habe, hab ich sofort ein Extrakontingent bestellt«, erzählte der Zeitungskrämer verkaufend über die Köpfe hinweg. »Ja, Sie können gleich rübergehen, der Herr Hitler signiert gerne.«

Tatsächlich signiere ich gar nicht so gerne. Man weiß nie, was die Leute mit so einer Unterschrift anfangen. Da schreibt man arglos seinen Namen auf einen Zettel, am nächsten Tag bastelt einer eine Erklärung oben drüber und plötzlich hat man Siebenbürgen unwiederbringlich an irgendwelche korrupten Balkangebilde verschenkt. Oder bedingungslos kapituliert, obwohl man doch noch eine gewaltige Zahl an Vergeltungswaffen in den Bunkern hat, mit denen man die Kriegswende nach Belieben herbeiführen könnte. Aber auf einer Zeitung schien die Unterschrift letzten Endes unbedenklich. Außerdem freute es mich, dass sich das erste Mal niemand beschwerte, dass ich nicht als Herr Stromberger oder sonst wie unterzeichnete, sondern mit meinem Namen.

»Hier bitte, quer über das Foto!«

»Können Sie ›Für Helga‹ drüberschreiben?«

»Kannsdu nächstes Mal auch was gegen die Kurden sagen?«

»Wir hätte damals in Krieg zusammegehn sollen! Dann wir hätte gewonn!«

Ein kleines Mädel wurde mit seiner Zeitung nach vorne durchgeschoben, ich signierte das Blatt besonders langsam. Das sollten sie ruhig fotografieren: Die Jugend vertraut dem Führer wie ehedem. Und nicht nur die Jugend. Eine steinalte Dame näherte sich mit einem jener modernen Gehwagen und einem Leuchten in den Augen. Sie hielt mir ihre Zeitung hin und sagte mit einer sehr zittrigen Stimme: »Erinnern Sie sich? 1935, in Nürnberg, ich war in dem Fenster gegenüber, wo Sie den Vorbeimarsch abgenommen haben! Ich hatte immer das Gefühl, Sie sehen mich an. Wir waren so stolz auf Sie! Und jetzt – Sie haben sich ja überhaupt nicht verändert!«

»Sie aber auch nicht«, flunkerte ich scherzhaft und schüttelte ihr gerührt die Hand. Nicht dass ich mich an die Dame hätte erinnern können, aber diese ehrliche Anhänglichkeit war von ganz eigenem Zauber. Jedenfalls konnte ich, als sich Sensenbrink nervös am Telefon meldete, mit diesem Vertrauensbeweis des Volkes entspannt seine Besorgnis zerstreuen und die Forderung nach einem anwaltlichen Gegenschlage erneut zurückweisen. Und auch der Folgetag schreckte mich nicht. Das Blatt hatte die fotografierte Zustimmung natürlich unterdrückt und stattdessen eine völlig irrelevante Zeile gedruckt: »Irrer Youtube-Hitler: Jetzt stimmt Deutschland ab.« Dazu wurden mehrere Fotos aus Konzentrationslagern gezeigt, die die unschöne, aber leider Gottes nun einmal notwendige Arbeit der SS zeigten. Da war ich dann schon auch ein wenig ungehalten.

Denn es ist bei großen Aufgaben immer ein unseriöses Vorgehen, die unbedeutenden Einzelfälle aufzuzeigen, in denen das Vorhaben vorübergehend kleinere Unerfreulichkeiten mit sich bringt. Da hat man eine große Autobahn, die volkswirtschaftliche Güter im Milliardenumfang transportiert, und da findet man immer am Wegesrand ein niedliches Kaninchen, das ängstlich zittert. Da baut man einen Kanal, der Hunderttausende von Arbeitsplätzen sichert, und da findet man natürlich den einen oder anderen Kleinbauern, der weichen muss und dann bittere Tränen vergießt. Aber deshalb kann ich doch die Zukunft des Volkes nicht ignorieren. Und wenn man die Notwendigkeit erkannt hat, Millionen Juden, und so viele sind es nun einmal damals gewesen, Millionen Juden auszurotten, da findet man natürlich immer wieder mal einen, bei dem sich der mitfühlende einfache Deutsche denkt, ach, nun ja, so sehr schlimm war jetzt dieser Jude nicht, den oder auch jenen Juden dort hätte man schon noch einige Jahre ertragen können. Da ist es für so ein Blatt ein Leichtes, an die rührselige Seite der Menschen zu appellieren. Es ist dies ein altes Lied: Jeder ist überzeugt von der Bekämpfung der Ratten, aber wenn es zur Sache geht, ist das Mitleid mit der einzelnen Ratte groß. Wohlgemerkt: lediglich das Mitleid, nicht der Wunsch, die Ratte zu behalten. Das darf man nicht verwechseln. Aber ebenjene absichtliche Verwechslung lag der Bebilderung der Umfrage selbstverständlich zugrunde. Die Abstimmung, deren redlicher Ablauf ohnehin zu bezweifeln war, bot wiederum drei Antworten zur Auswahl, die mir ein grimmiges Schmunzeln entlockten. Derlei hätte ich mir eigentlich auch selbst ausdenken können. Die Antwortoptionen lauteten:

1. Es reicht! Schaltet den Youtube-Hitler ab!

2. Nein, der ist eh nicht witzig, das merkt auch MyTV.

3. Nie gesehen. Der Nazi-Mist interessiert mich nicht.

Damit war natürlich zu rechnen gewesen. Derlei gehört zum verleumderischen Grundzug und Handwerkszeug der geistig offenbar noch immer verjudeten bürgerlichen Hetzpresse. Man musste damit leben, zumal für derlei Lügengesindel auch die notwendigen Unterbringungsmöglichkeiten fehlten. Wie ich beispielsweise anlässlich einer kleineren Infrastrukturkontrolle vermittels des Internetzes hatte feststellen müssen, standen im Konzentrationslager Dachau nur mehr zwei Baracken. Unsägliche Zustände, da hätte man ja schon nach der ersten Verhaftungswelle wieder die Krematorien anwerfen müssen.

Sensenbrink rotierte natürlich bereits in Höchstgeschwindigkeit. Es sind immer die »großen Strategen«, die als Erste das Nervenflattern bekommen. »Die machen uns fertig«, jammerte er in einem fort, »die machen uns fertig. MyTV wird garantiert schon nervös. Wir müssen denen ein Interview geben!« Ich bedeutete dem Hotelreservierer Sawatzki, dass er auf den unsicheren Kantonisten ein Auge haben solle. Die Dame Bellini hingegen blühte förmlich auf. Seit Ernst Hanfstaengl hatte niemand mehr derart für mich die wichtigen und halbwichtigen Leute beschwatzt. Und sie sah auch noch deutlich besser aus, ein echtes Rasseweib.

Und doch knickte ich am vierten Tage ein.

Es ist dies der einzige Vorgang, den ich mir bis heute ankreide. Ich hätte unnachgiebige Härte zeigen sollen, aber ich war möglicherweise auch ein wenig aus der Übung. Und außerdem hätte ich mir das Vorgefallene niemals träumen lassen.

Man hatte ein großes Foto von mir veröffentlicht, es zeigte mich, wie ich das brave Fräulein Krömeier zur Firmentür geleitete. Das Foto, bei hellem Lichte des sehr frühen Abends erstellt, war – wie ich dank meiner langen Unterredungen seinerzeit mit Heinrich Hoffmann leicht sehen konnte – mutwillig und absichtlich verunstaltet worden. Das Bild war nunmehr unnötig unscharf, es war stark vergrößert, es war so präsentiert, als hätte es eines jahrzehntelang geschulten Spiones bedurft, um an die Aufnahme zu kommen. Was selbstverständlich Unsinn war. Ich hatte an jenem Tage einen kleinen Spaziergang erwogen, daher das Fräulein Krömeier gleich mit zum Ausgange gebracht, wo sie in den Bus gestiegen war. Auf diesem Bilde hielt ich ihr die Türe der Firma auf. Darüber stand in fetter Schrift:

»Das ist Sippenhaft«, sagte ich kalt. »Und das Fräulein Krömeier ist ja noch nicht einmal mit mir verwandt!«

Wir saßen im Konferenzsaal, die Dame Bellini, Sensenbrink, der Hotelreservierer Sawatzki und ich. Und es war natürlich der große Stratege Sensenbrink, der sogleich fragte: »Da läuft aber nichts, oder? Mit Ihnen und der kleinen Krömeier?«

»Werden Sie nicht albern«, warf die Dame Bellini rasch ein. »Mir hat Herr Hitler auch schon mal die Tür aufgehalten. Wollen Sie mich auch fragen?«

»Wir müssen sichergehen«, sagte Sensenbrink achselzuckend.

»Sichergehen?«, gab die Dame Bellini zurück. »Wobei? Ich werde hier nicht einen Gedanken an diese widerwärtige Angelegenheit verschwenden. Fräulein Krömeier kann tun, was sie will, Herr Hitler kann tun, was er will. Wir leben nicht mehr in den Fünfzigern.«

»Verheiratet sollte er trotzdem nicht sein«, sagte Sensenbrink fest, »jedenfalls nicht, wenn da was mit der Krömeier läuft.«

»Sie haben’s noch immer nicht begriffen«, sagte die Dame Bellini und wandte sich zu mir. »Und? Sind Sie verheiratet?«

»In der Tat«, sagte ich.

»Na, wundervoll«, jammerte Sensenbrink.

»Lassen Sie mich raten«, sagte die Bellini. »Seit 1945? Im April?«

»Natürlich«, sagte ich, »erstaunlich, dass die Pressemeldung doch noch rausgegangen ist. Zu der Zeit war ja ungünstigerweise die Stadt voller Bolschewiken.«

»Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen«, meldete sich der Hotelreservierer Sawatzki, »ich denke wohl, Herr Hitler kann mit vollem Recht als verwitwet gelten.« Man konnte sagen, was man wollte, aber dieser Sawatzki dachte auch unter Feuer schnell, klar, zuverlässig, pragmatisch.

»Ich kann es nicht hundertprozentig bestätigen«, sagte ich, »aber gelesen habe ich es auch so wie der Herr Sawatzki.«

»Na«, wandte sich die Dame Bellini an Sensenbrink, »zufrieden?«

»Es gehört zu meinem Job, auch die unangenehmen Fragen zu stellen«, sagte Sensenbrink pampig.

»Die Frage ist: Was tun wir?«, fasste die Dame Bellini zusammen.

»Müssen wir überhaupt was tun?«, fragte Sawatzki nüchtern.

»Ich gebe Ihnen recht, Herr Sawatzki«, sagte ich, »oder ich würde Ihnen recht geben, wenn es nur um mich ginge. Aber wenn ich nichts tue, wird mein Umfeld weiter in Mitleidenschaft gezogen. Dem Herrn Sensenbrink könnte das vielleicht nicht schaden«, sagte ich mit einem spöttischen Seitenblick, »aber ich kann das Ihnen und der Firma nicht zumuten.«

»Ich würde es uns und der Firma jederzeit zumuten, aber unseren Aktionären keine fünf Minuten«, erwiderte die Dame Bellini trocken. »Das heißt also: kein Interview zu unseren Bedingungen. Sondern zu deren Bedingungen.«

»Sie sind mir dafür verantwortlich, dass es nicht so wirkt«, sagte ich, und weil ich ahnte, dass die Dame Bellini Befehle nicht so freudig akzeptierte wie Sawatzki, fügte ich schnell noch hinzu: »Aber in der Sache haben Sie völlig recht. Wir geben ihnen ein Interview. Sagen wir im Adlon. Und sie zahlen.«

»Sie haben Ideen«, spottete Sensenbrink, »wir werden in dieser Lage wohl kaum ein Honorar durchsetzen können.«

»Es geht ums Prinzip«, sagte ich. »Ich sehe nicht ein, Volksvermögen für diesen Presseabschaum zu verschleudern. Wenn sie die Rechnung bezahlen, soll es mir genügen.«

»Und wann?«, fragte Sawatzki.

»Möglichst schnell«, meinte die Dame Bellini völlig zu Recht. »Sagen wir morgen. Dann geben sie vielleicht einen Tag Ruhe.«

Ich stimmte zu. »Unterdessen sollten wir im Übrigen die eigene Öffentlichkeitsarbeit verstärken.«

»Soll heißen?«

»Wir dürfen die Berichterstattung nicht dem politischen Gegner überlassen. Das darf uns nicht noch einmal passieren. Es gilt, eine eigene Zeitung herauszugeben.«

»Womöglich den ›Völkischen Beobachter‹?«, höhnte Sensenbrink. »Wir sind eine Produktionsfirma und kein Zeitungsverlag!«

»Es muss ja keine Zeitung sein«, warf der Hotelreservierer Sawatzki rasch ein, »Herrn Hitlers Stärke ist ohnehin der Auftritt im bewegten Bild. Die Videos sind da, also warum stellen wir sie nicht auf eine eigene Homepage?«

»Alle bisherigen Auftritte in HD, damit man einen Mehrwert hat verglichen mit den Youtube-Mitschnitten«, überlegte die Dame Bellini weiter. »Und man hätte eine Plattform, falls man was Besonderes mitteilen will. Oder eine eigene Sicht der Dinge. Das klingt gut. Kümmern Sie sich drum, dass die Online-Abteilung ein paar Entwürfe abliefert.«

Wir beschlossen die Konferenz. Auf dem Weg hinaus sah ich noch Licht in meinem Büro. Ich ging hinein, um es zu löschen. So lange das Reich nicht vollständig auf regenerative Energien umgerüstet ist, kostet das alles teuren Brennstoff. Momentan denkt man sich da oft nichts dabei, aber dann ist dreißig Jahre später der Jammer groß, wenn dem Panzer kurz vor El Alamein genau jener Tropfen Treibstoff zum Endsieg fehlt. Ich öffnete die Türe und sah das Fräulein Krömeier reglos an seinem Schreibtische sitzen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich mich noch gar nicht nach ihrem Wohlbefinden erkundigt hatte. Geburtstage, Trauerfälle, persönliche Anrufe, an derlei hatte mich früher Traudl Junge immer erinnert oder eben inzwischen das Fräulein Krömeier – aber in diesem Fall war das natürlich untergegangen.

Sie blickte konsterniert auf die Schreibfläche. Dann sah sie zu mir hoch.

»Wissen Se, wat ick für E-Mails krieje?«, fragte sie blass.

Das arme Tschapperl rührte mich zutiefst. »Es tut mir sehr leid, Fräulein Krömeier«, sagte ich. »Für mich ist derlei leicht zu ertragen, ich bin es gewohnt, Anfeindungen standzuhalten, wenn ich für die deutsche Zukunft eintrete. Ich trage die volle Verantwortung – es ist unverzeihlich, wenn der politische Gegner stattdessen kleine Angestellte unmöglich macht!«

»Det hat doch mit Ihnen nüscht zu tun«, sagte sie kopfschüttelnd. »Det is die janz normale ›Bild‹-Scheiße. Da stehste einmal in dem beschissenen Tittenblatt, und denn biste zum Abschuss freijejeben. Ick krieg Fotos von irjendwelchen Schwänzen, ick krieje lauter üble Post, wat se allet mit mir machen wollen, ick hör ja schon nach drei Wörtern det Lesen uff. Seit sieben Jahren bin ick jetzt Vulcania17, det kann ick jetze verjessen. Der Name is verseucht und nu«, sie tippte betrübt auf eine Taste, »nu isser Jeschichte.«

Es ist unangenehm, wenn man keine Entscheidung treffen kann. Wenn Blondi noch gelebt hätte, hätte ich sie jetzt wenigstens streicheln können, ein Tier und besonders ein Hund kann solchen Momenten immer leidlich die Spannung nehmen.

»Und mit dem Internet hört det ja nicht uff«, sagte sie. Sie blickte ins Nichts. »Im Internet kann man ja wenigstens noch lesen, wat de Leute denken. Aber uff der Straße, da kann man det nich. Da kann man det nur vermuten, und vermuten will ick det lieber nicht.« Sie schniefte, ohne sich zu bewegen.

»Ich hätte Sie vorher warnen sollen«, sagte ich nach einem Momente der Stille. »Aber ich habe den Gegner unterschätzt. Es tut mir ausgesprochen leid, dass Sie nun die Zeche für meinen Fehler zu bezahlen haben. Niemand weiß besser als ich, dass man für die Zukunft Deutschlands Opfer bringen muss.«

»Können Se nich mal zwei Minuten uffhören?«, meinte Fräulein Krömeier, sie schien regelrecht entnervt. »Et jeht hier nicht um die Zukunft Deutschlands! Det is echt! Det is keen Witz! Det ist ooch keen Auftritt! Det is mein Leben, det diese Arschlöcher da kaputtschreiben!«

Ich setzte mich auf den Stuhl, der ihrem Tische gegenüberstand.

»Ich kann nicht zwei Minuten aufhören«, sagte ich ernst. »Ich will auch nicht zwei Minuten aufhören. Ich werde das, was ich für richtig halte, bis zum Letzten verteidigen. Die Vorsehung hat mich an diesen Posten gestellt, hier stehe ich für Deutschland bis zur letzten Patrone. Und sicherlich können Sie nun einwenden: Kann denn der Herr Hitler nicht trotzdem einmal zwei Minuten nachgeben? Und in Friedenszeiten wäre ich sogar bereit dazu – Ihnen zuliebe, Fräulein Krömeier! Aber ich will es nicht. Ich werde Ihnen sagen, weshalb. Und ich bin sicher, dass auch Sie das dann nicht mehr wünschen!«

Sie sah mich fragend an.

»In dem Momente, in dem ich Zugeständnisse mache, mache ich sie nicht wegen Ihnen – ich mache es letzten Endes, weil dieses Lügenblatt mich dazu bringt. Wollen Sie das? Wollen Sie, dass ich tue, was diese Zeitung verlangt?«

Sie schüttelte den Kopf, erst langsam, dann trotzig.

»Ich bin stolz auf Sie«, sagte ich, »und dennoch ist da ein Unterschied zwischen Ihnen und mir. Was ich von mir verlange, kann ich nicht von allen Menschen verlangen. Fräulein Krömeier, ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn Sie die Tätigkeit für mich niederlegen wollen. Die Firma Flashlight wird Sie mit Sicherheit auch anderswo unterbringen, wo Sie keinen Unannehmlichkeiten mehr ausgesetzt sind.«

Fräulein Krömeier schniefte. Dann richtete sie sich im Sitzen auf und sagte fest:

»Den Teufel werd ick tun, meen Führa!«

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