xxvii.

Es dauerte drei Tage, bis sie kapitulierten.

Einen Tag, bis sie mit ihrer einstweiligen Verfügung scheiterten. Das Gericht lehnte sie ab mit der einleuchtenden Begründung, es habe die »Bild«-Zeitung überhaupt noch nicht gegeben, als es den Führer gab, insofern sei doch nur ein Bezug auf den TV-Führer möglich. Und dass die Zeitung den finanziert hätte, sei nun einmal nicht von der Hand zu weisen. Die Zuspitzung der Aussage sei im Übrigen ein von der Zeitung selbst durchaus häufig gehandhabtes Stilmittel, insofern habe sie es auch in einem etwas gesonderten Maße selbst hinzunehmen, wenn derart über sie berichtet werde.

Einen weiteren Tag brauchten sie, um die Aussichtslosigkeit irgendwelcher Revisionen zu erkennen und um die Verkaufszahlen jener Sportleibchen, Aufkleber und Tassen mit dem Slogan zur Kenntnis zu nehmen. Irgendwelche jungen aufrechten Deutschen hielten sogar eine Mahnwache vor dem Verlagsgebäude, wenn auch in einer deutlich heitereren Stimmung, als ich sie unter diesem Begriffe für angemessen gehalten hätte.

Zwischenzeitlich konnte ich mich auch über mangelnde Resonanz in anderen Publikationen nicht mehr beschweren. Die Auseinandersetzung hatte mich anfangs noch vereinzelt in die Klatschseiten gebracht, nun begann ich, in die deutschen Kulturteile vorzudringen. Noch vor sechzig Jahren hätte ich nicht den geringsten Wert darauf gelegt, unter all jenen unattraktiven und unverständlichen Kopfgeburten einer vorgeblichen »Kultur« beschwätzt zu werden. Doch zwischenzeitlich war eine Bewegung entstanden, nach der neuerdings so gut wie alles als Kultur gelten kann oder auch zu einer solchen erhoben wird. Von daher ließ sich das Erscheinen auf diesen Seiten als Teil eines Transformationsprozesses begrüßen, der mir über das Normalmaß politischer Rundfunkunterhaltung hinaus das Gütesiegel politischer Seriosität verlieh. Das völlig vergeistigte Kauderwelsch der Texte freilich war in den letzten sechzig Jahren das Gleiche geblieben, man konnte offenbar davon ausgehen, dass auch heute noch die Leserschaft nur das für anspruchsvoll erachtete, was ihr möglichst unverständlich blieb, und sich das Wesentliche aus dem erkennbar positiven Grundton mittels Vermutung erschloss.

Am positiven Grundton war nicht zu zweifeln. Die »Süddeutsche Zeitung« lobte die »geradezu potemkinhafte Retrospektive«, die hinter einer »Scheinspiegelung neofaschistischer Monostrukturen die Vehemenz eines leidenschaftlichen Plädoyers für pluralistische beziehungsweise basisdemokratische Prozessvarianten« vermuten ließ. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« begrüßte die »stupende Aufbereitung systemimmanenter Paradoxa im Schafspelz des nationalistischen Wolfs«. Und der Wortspielbetrieb von »Spiegel Online« nannte mich den »fremden Führer«, was zweifellos wohlwollend gemeint war.

Am dritten Tage, so erfuhr ich später, kam der Anruf der »Bild«-Verlegerswitwe beim Schriftleiter an. Der Inhalt ging etwa in die Richtung, wie lange der Schriftleiter die Schändung des Andenkens des seligen Verlegers noch hinzunehmen gedenke und dass ihr diese Zeitspanne zu lange sei und der Spuk ab dem folgenden Tag zu enden habe.

Wie er das hinbekomme, sei seine Sache.

Als ich des früheren Nachmittags in mein Büro kam, sah ich schon aus der Ferne Sawatzki über die Flure springen. Er ballte in einer etwas pubertären Geste unablässig die Faust und schrie »Yes! Yes! Yes!«. Ich fand die Form nicht ganz angemessen, konnte seine Begeisterung jedoch nachvollziehen. Die Kapitulation war praktisch bedingungslos. Die Verhandlungen, die die Dame Bellini persönlich in ständiger Rücksprache mit mir führte, ergaben zunächst eine mehrtägige Pause in der Berichterstattung, innerhalb derer ich jedoch zweimal auf der Titelseite unter irgendeiner Begründung als »Aufsteiger« oder »Gewinner« des Tages gelobt werden sollte. Nach jedem Schritt würden wir im Gegenzug einen Artikel als »nicht mehr lieferbar« vom Markte nehmen.

Pünktlich zur nächsten Sendung schickte die Zeitung dann ihren besten Schmierfinken, einen immens saugfähigen Speichellecker namens Robert oder Herbert Körzdörfer, der seine Aufgabe jedoch zugegebenermaßen tadellos erfüllte, indem er mich zum gewitztesten Deutschen seit einem Herrn Loriot ernannte. Ich las, dass ich hinter der Maske des Naziführers kluge Gedanken äußern würde und ein wahrer Volksvertreter sei. Aus den erneuten und unermüdlichen Sprüngen des Herrn Sawatzki ersah ich, dass das ein durchaus gutes Ergebnis war.

Das Beste jedoch war, dass ich der Zeitung auftrug, mir einen kleinen Gefallen zu tun und einige Kontakte spielen zu lassen. Diese Idee stammte ausnahmsweise von Sensenbrink, der kurz zuvor am Ende seiner Weisheit gewesen war. Vierzehn Tage später erschien eine zu Tränen rührende Geschichte über das bittere Schicksal meiner amtlichen Unterlagen, die in irgendeinem Feuersturme untergegangen waren, und weitere vierzehn Tage darauf hielt ich einen Pass in der Hand. Ich weiß nicht, über welche rechtlichen oder widerrechtlichen Kanäle derlei gelaufen ist, aber ich bin nun rechtmäßig in Berlin gemeldet. Ändern musste ich lediglich mein Geburtsdatum. Mein amtliches Geburtsdatum ist nunmehr der 30. April 1954, hier griff übrigens mit einem Zahlendreher erneut das Schicksal ein: Ich hatte natürlich 1945 angegeben, aber 1954 passt selbstverständlich altersmäßig wesentlich besser.

Das einzige Zugeständnis war, dass ich auf den Redaktionsbesuch verzichten musste. Ich hatte eigentlich verlangt, dass mich die gesamte Mannschaft inklusive Herrn Streichfett mit dem Deutschen Gruß empfangen würde und dabei das Horst-Wessel-Lied im Kanon absänge.

Nun gut. Man kann nicht alles haben.

Es lief ja auch sonst alles ausgesprochen erfreulich. Die Besuchszahlen auf der Internetzseite »Führerhauptquartier« erforderten unablässig mehr technische Ressourcen, die Anfragen für Interviews häuften sich, und auf Empfehlung von Sensenbrink und der Dame Bellini war der Besuch bei den »nationaldemokratischen« Rohrkrepierern zu einer Sondersendung verarbeitet worden, die direkt in die enorme Nachfrage hinein ausgestrahlt werden sollte.

Am Ende dieses Tages war ich tatsächlich bereit, mit Herrn Sawatzki erneut anzustoßen, vielleicht konnte er dazu sogar noch etwas von dem sehr angenehmen Bellini-Getränk herbeizaubern. Doch leider war Herr Sawatzki – obwohl er das Büro noch nicht verlassen haben konnte – nicht aufzufinden. Und wie ich in meinem Arbeitszimmer feststellen konnte: auch das Fräulein Krömeier nicht.

Ich beschloss, die beiden nicht zu suchen. Diese Stunde war die Stunde der Sieger, zu denen auch Herr Sawatzki gehörte, der ja wahrlich einen nicht unbeträchtlichen Teil zum Triumphe beigetragen hatte. Und niemand weiß besser, welche Ausstrahlung der siegestrunkene Krieger auf eine junge Frau hat. In Norwegen, in Frankreich, in Österreich sind unseren Soldaten die Herzen nur so zugeflogen. Ich bin sicher, allein in den Folgewochen nach unserem Einmarsche in jene Länder sind vier bis sechs Divisionen gezeugt worden, aus den Lenden erstklassiger Blutsträger. Was hätten wir neue Soldaten bekommen, wenn die ältere, nicht ganz so blutreine Generation dem Gegner noch lächerliche zehn, fünfzehn Jahre lang standgehalten hätte!

Die Jugend ist unsere Zukunft. Weshalb ich mit der Dame Bellini und einem wieder einmal sehr sauren Glase Schaumwein vorlieb nahm.

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