vii.

Der erste Morgen in meiner neuen Unterkunft wurde für mich trotz der schon bisher aufwühlenden Vorkommnisse zu einem der anstrengendsten in meinem Leben. Die große Konferenz in der Produktionsfirma hatte sich verzögert, was mir nicht unrecht kam, war ich doch nicht so vermessen zu glauben, ich hätte nicht einen beträchtlichen Nachholbedarf an Kenntnissen zu dieser Gegenwart. Ein Zufall eröffnete mir aber eine neue Quelle für solche Informationen: den Fernsehapparat.

Die Form des Gerätes hatte sich seit den ersten Entwicklungen 1936 derart verändert, dass ich es zunächst schlichtweg nicht erkannt hatte. Ich hatte zuerst angenommen, die flache, dunkle Scheibe in meinem Raum sei wohl eine Art wunderliches Kunstwerk. Dann aber hatte ich vermutet, aufgrund der flachen Form diene sie zur faltenfreien Aufbewahrung meines Hemdes über Nacht, wie überhaupt in dieser modernen Zeit manches aufgrund wohl neuer Erkenntnisse oder einer Leidenschaft für absonderliche Gestaltung gewöhnungsbedürftig war. So hielt man es inzwischen für zumutbar, dem Gast statt eines Badezimmers eine Art aufwendiger Waschzeile ins Zimmer hinein zu installieren, eine Badewanne gab es dabei überhaupt nicht mehr, dafür wurde die Brause als gläserne Kabine mehr oder weniger im Zimmer selbst untergebracht. Noch mehrere Wochen lang erachtete ich dies als ein Zeichen der Bescheidenheit, ja Ärmlichkeit meiner Unterkunft, bis ich lernte, dass in den heutigen Architekturkreisen derlei als einfallsreich und besonders fortschrittlich gilt. So bedurfte es eben auch eines Zufalls, mich auf den Fernsehapparat aufmerksam zu machen.

Ich hatte vergessen, das Schild an meine Zimmertüre zu hängen, daher war eine Reinigungskraft eingetreten, als ich gerade an der Badezeile meinen Schnurrbart pflegte. Während ich mich überrascht umdrehte, entschuldigte sie sich, sagte, sie würde später wiederkehren, und beim Hinausgehen fiel ihr Blick auf den Apparat, über dem mein Hemd hing.

»Ist etwas mit dem Fernseher nicht in Ordnung?«, fragte sie, und bevor ich noch antworten konnte, griff sie zu einem kleinen Kästchen und schaltete den Apparat ein. Er zeigte sofort ein Bild, das sie mehrfach durch Druck auf die Knöpfe des Kästchens veränderte.

»Geht doch«, sagte sie zufrieden, »ich dachte schon…«

Dann verschwand sie und ließ mich neugierig zurück.

Ich nahm das Hemd vorsichtig von dem Apparat. Dann griff ich nach dem Kästchen.

Dies also war ein heutiges Fernsehgerät. Es war schwarz, hatte keine Schalter, Knöpfe, nichts. Ich nahm das kleine Kästchen zur Hand, presste aufs Geratewohl die Eins, und der Apparat sprang an. Das Ergebnis war enttäuschend.

Ich sah einen Koch, der Gemüse klein hackte. Ich konnte es nicht glauben: Eine derart fortschrittliche Technik wurde entwickelt und genutzt, um einen lächerlichen Koch zu begleiten? Gut, es konnte nicht in jedem Jahr Olympische Spiele geben, auch nicht zu jeder Uhrzeit, aber es musste doch irgendwo in Deutschland oder womöglich gar der Welt etwas Bedeutenderes stattfinden als dieser Koch! Kurz darauf kam auch noch eine Frau hinzu, die sich bewundernd mit dem Koch über sein Geschnipsel unterhielt. Mir blieb der Mund offen stehen. Da war dem deutschen Volke von der Vorsehung eine derart wunderbare, grandiose Möglichkeit der Propaganda geschenkt worden, und sie wurde schlichtweg verplempert mit der Herstellung von Lauchringen. Ich war so wütend, ich hätte im ersten Moment am liebsten den ganzen Apparat aus dem Fenster geworfen, dann allerdings fiel mir auf, dass das kleine Kästchen weit mehr Knöpfe hatte, als man zum simplen Ein- und Ausschalten brauchte. Also drückte ich die Nummer zwei, und sofort verschwand der Koch, um sogleich einem anderen Koch Platz zu machen, der mit großem Stolz den Unterschied zwischen zwei Sorten von Rüben erörterte. Eine mindestens ebenso denkwürdige Amsel wie neben dem ersten Koch stand auch neben dem zweiten und bestaunte die Weisheiten dieses »Rübezahl«. Ich presste entnervt die Drei. So hatte ich mir die neue, moderne Welt nicht vorgestellt.

Rübezahl verschwand zugunsten einer dicken Frau, die ebenfalls an einem Herd stand. Hier war allerdings die Zubereitung eher nebensächlich, die Frau sagte auch nicht, was es heute zu essen gab, sondern stattdessen, dass ihr das Geld hinten und vorne nicht reichte. Das immerhin war eine gute Nachricht für einen Politiker – die soziale Frage war also auch in den letzten sechsundsechzig Jahren nicht gelöst worden. Nun, etwas anderes war von den demokratischen Schwätzern auch nicht zu erwarten gewesen.

Erstaunlich allerdings war, dass sich das Fernsehen derart ausladend damit befasste – verglichen mit einem 100-Meter-Endlauf war die dicke Jammerfrau doch reichlich ereignisarm. Andererseits war ich schon dankbar, dass endlich einmal niemand dem Kochvorgange größere Aufmerksamkeit widmete, am allerwenigsten die dicke Frau selbst. Ihre Sorge galt einer jungen verlotterten Gestalt, die von der Seite nun an sie herantrat, etwas sagte, das wie »grmmmschl« klang, und die von einem Sprecher als Menndi vorgestellt wurde. Menndi, so wurde erklärt, sei die Tochter der dicken Frau, und sie habe gerade einen Ausbildungsplatz verloren. Während ich mich noch wunderte, dass jene Menndi überhaupt zuvor von irgendjemandem einen Ausbildungsplatz erhalten hatte, hörte ich nun, wie sie jegliche Speise aus dem Topf rundheraus als »Drecksfraß« ablehnte. So unsympathisch einem der zerfledderte junge Mensch auch sein musste, so wenig wunderte einen ihr geringer Appetit angesichts der Gleichgültigkeit, mit der die dicke Mutter eine Schachtel öffnete und den Inhalt achtlos in dem Topfe versenkte. Man staunte sogar, dass die Mutter die Schachtel nicht auch noch mit hineingeworfen hatte. Ich schaltete kopfschüttelnd weiter, dorthin, wo ein nunmehr dritter Koch Fleisch klein schnitt und sich darüber ausließ, wie er das Messer hielt und warum. Auch ihm war eine junge blonde Fernsehangestellte zur Seite gegeben, die beeindruckt nickte. Entnervt schaltete ich den Apparat ab und fasste den Beschluss, nie wieder einen Blick hineinzuwerfen und stattdessen einen weiteren Versuch mit dem Radio zu wagen, als ich nach sorgsamem Durchsuchen des Raumes feststellen musste, dass es hier kein Radio gab.

Wenn sich aber selbst in dieser bescheidenen Unterkunft kein Radio befand, sondern ausschließlich ein Fernsehgerät, dann war der Schluss unvermeidlich, dass der Fernsehapparat von beiden das wichtigere Medium geworden war.

Ich setzte mich konsterniert auf das Bett.

Ich gebe zu, ich war einstmals stolz gewesen, dass ich es in langem selbstständigem Studium so weit gebracht hatte, die jüdisch-verwinkelten Lügen der Presse mit blitzartiger Klarheit in jeglicher Verkleidung zu entlarven. Aber hier half mir meine Kunstfertigkeit nicht weiter. Hier gab es nur Kauderwelsch-Radio und Kochfernsehen. Welche Wahrheit sollte hier schon verheimlicht werden?

Gab es Lügenrüben?

Gab es Lügenlauch?

Doch wenn dies das Medium der Zeit war – und daran bestand kein Zweifel –, dann blieb mir keine Wahl. Ich musste den Inhalt dieses Fernsehgeräts verstehen lernen, ich musste ihn in mich aufsaugen, selbst wenn er noch so geistig minderbemittelt und widerwärtig war wie das Schachtelessen der dicken Frau. Entschlossen stand ich auf, füllte mir an der Waschzeile eine Kanne mit Wasser, nahm mir ein Glas, trank einen Schluck und setzte mich so gewappnet vor das Gerät.

Ich schaltete erneut ein.

Im ersten Kanal hatte der Lauchkoch seine Zubereitungen inzwischen eingestellt, stattdessen äußerte sich ein Gärtner unter der Bewunderung einer nickenden Fernsehangestellten über Schnecken und deren bestmögliche Bekämpfung. Das war für die Volksernährung selbstverständlich von beträchtlicher Bedeutung, aber als Inhalt einer Fernsehübertragung? Vielleicht kam es mir auch deshalb so überflüssig vor, weil wenige Sekunden später nahezu wortgleich ein anderer Gärtner dasselbe verkündete, nun aber in einem anderen Kanal und anstelle des Rübenkochs. In mir wuchs daher eine gewisse Neugier, ob unterdessen möglicherweise auch die dicke Frau in den Garten gewechselt war, um dort statt ihrer Tochter die Schnecken zu bekämpfen. Dem war allerdings nicht so.

Der Fernsehapparat hatte offenbar mitbekommen, dass ich zwischenzeitlich andere Programme betrachtet hatte, jedenfalls fasste ein Sprecher für mich das einstweilen Geschehene noch einmal zusammen. Menndi, so bilanzierte der Sprecher, hatte ihren Ausbildungsplatz verloren und mochte das Essen ihrer Mutter nicht verzehren. Die Mutter war unglücklich. Dazu wurden erneut jene Bilder gezeigt, die ich doch eine Viertelstunde zuvor selbst gesehen hatte.

»Gut, gut!«, sagte ich laut, damit es der Fernsehapparat auch mitbekam, »aber so ausführlich müssen Sie es nicht machen, ich bin doch nicht senil.«

Ich schaltete weiter. Hier tat sich inzwischen etwas Neues. Der Fleischkoch war verschwunden, auch kein Kleingärtner hielt Vorlesungen, sondern gezeigt wurden nun die Abenteuer eines Anwalts, offenbar eine Art Episodenreihe. Der Anwalt hatte einen Bart wie Buffalo Bill, und sämtliche Darsteller sprachen und bewegten sich, als wäre die Stummfilmära erst am Vortage beendet worden. Insgesamt war es eine sehr heitere Stümperei, bei der ich mehrfach laut lachen musste, auch wenn mir im Nachhinein nicht mehr ganz klar war, weshalb – vielleicht lag es einfach nur an der Erleichterung, dass einmal niemand kochte oder sich mit dem Schutz von Salatköpfen befasste.

Ich schaltete weiter, nun schon fast routiniert, und kam zu weiteren Spielhandlungen. Sie schienen älter zu sein, die Bildqualität war stark schwankend, und sie zeigten Farmleben, Ärzte, Kriminalbeamte – in keiner dieser Darbietungen erreichten die Darsteller jedoch die bizarre Qualität des Buffalo-Bill-Anwalts. Das Ziel schien insgesamt in schlichter Unterhaltung am helllichten Tage zu liegen. Das überraschte mich. Natürlich, auch ich hatte es damals mit Freude gesehen, dass gerade im schweren Kriegsjahre 1944 mit der »Feuerzangenbowle« ein wunderbar heiterer Film das Publikum begeistert und auch abgelenkt hatte, aber Heinz Rühmann war doch in der weitaus größten Zahl der Fälle abends konsumiert worden. Wie schlimm musste die Lage also heute sein, wenn das Volk schon am Vormittag mit einer nachgerade heliumleichten Muse bestrahlt wurde? Staunend suchte ich im Apparat weiter und hielt sogleich überrascht inne.

Tatsächlich saß nunmehr vor mir ein Mann, der einen Text verlas, der so etwas wie Nachrichten zu beinhalten schien, allerdings konnte man das schwer mit abschließender Sicherheit sagen. Denn während der Mann an einem Schreibtisch saß und Berichte vortrug, liefen permanent Spruchbänder durch das Bild, manche mit Zahlen, manche mit Texten, so als wäre das, was der Sprecher vortrug, letzten Endes so unwichtig, dass man währenddessen genauso gut die Bänder verfolgen könnte oder umgekehrt. Fest stand, dass man, wenn man allem folgen wollte, unweigerlich einen Hirnschlag erleiden musste. Mit brennenden Augen schaltete ich weiter, jedoch nur um in einem Kanal zu landen, der dasselbe machte, wenn auch mit andersfarbigen Bändern und einem anderen Sprecher. Unter Aufbietung aller meiner Kräfte versuchte ich minutenlang, das Geschehen aufzunehmen. Eine gewisse Wichtigkeit schien schließlich vorzuliegen, hatte doch offenbar die derzeitige deutsche Kanzlerin irgendetwas verkündet oder gesagt oder entschieden, allein, es war unmöglich, das Gesprochene zu verstehen. Ich kauerte mich direkt vor den Apparat, versuchte, verzweifelt fast, mit den Händen das unwürdige Gewimmel der Worte abzudecken, um mich auf den Inhalt des Gesagten zu konzentrieren, doch stets wand sich neuer Unsinn durch nahezu alle denkbaren Stellen des Bildschirms. Uhrzeit, Börsenkurse, der Preis des Dollars, Temperaturen entlegenster Winkel des Erdenrunds, während ungerührt aus dem Munde des Sprechers Aspekte des Weltgeschehens verbreitet wurden. Es war, als bezöge man seine Informationen aus dem Herzen einer Irrenanstalt.

Und als wäre das nicht genug des unsinnigen Narrenspiels, verkündete dazwischen so häufig wie unvermittelt eine Reklame, in welchem Geschäft man die preiswertesten Erholungsreisen erwerben könne, eine Behauptung, die im Übrigen eine Vielzahl von Geschäften in absolut identischer Weise verkündeten. Die Namen der Geschäfte vermochte kein gesunder Mensch im Kopfe zu behalten, sie gehörten jedoch alle zu einer Gruppe namens W.W.W. Ich konnte nur hoffen, dass sich dahinter letzten Endes der moderne Name der KdF verbarg. Andererseits war es völlig unvorstellbar, dass ein so kluger Kopf wie Ley etwas entwickelt hatte, was klang wie ein Pimpf, der kälteschnatternd aus dem Schwimmbecken steigt.

Ich weiß nicht mehr, wie ich in dieser Situation noch die Kraft zu einem eigenen Gedanken aufbringen konnte, allein – es durchzuckte mich eine Eingebung: Dieser organisierte Irrsinn war ein raffinierter Propagandatrick. Das Volk sollte offenkundig selbst angesichts furchtbarster Nachrichten den Mut nicht verlieren, weil die ewig laufenden Bänder beruhigend signalisierten, was der Sprecher gerade verlas, sei nicht so wichtig, als dass man sich nicht genauso gut für die Sportmitteilungen darunter entscheiden konnte. Ich nickte anerkennend. Mit dieser Technik hätte man zu meiner Zeit mancherlei dem Volke beiläufig vermitteln können. Vielleicht nicht unbedingt ein Stalingrad, aber doch, sagen wir, die Landung alliierter Truppen in Sizilien. Und dann würde man umgekehrt bei Erfolgen der eigenen Wehrmacht schlagartig die Textbänder entfernen und in die Stille hinein sagen: Heute haben heldenhafte deutsche Truppen dem Duce die Freiheit zurückgeschenkt!

Das wäre ein Effekt!

Um mich zu erholen, schaltete ich zurück zu ruhigeren Sendern, und aus einer gewissen Neugier heraus zu dem Kanal mit der dicken Frau. Ob sie wohl ihre heruntergekommene Tochter inzwischen in eine Verwahranstalt eingewiesen hatte? Wie mochte wohl der Ehegatte dieser Frau aussehen? War er einer dieser lauwarmen Gesellen, die sich so gerne im Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps versteckten?

Das Programm erkannte sofort meine Wiederkehr und begann eilfertig, das Geschehen für mich zusammenzufassen. Die 16-jährige Menndi, so erzählte die Reporterstimme von vorhin im Tonfall größter Bedeutung und Dringlichkeit, hatte ihren Ausbildungsplatz verloren, das liebevoll zubereitete Essen ihrer Mutter mochte sie nach der Heimkunft nicht kosten. Die Mutter hingegen sei unglücklich und habe sich an eine Nachbarin um Hilfe gewandt.

»Da sind Sie aber noch nicht recht viel weitergekommen«, beschied ich tadelnd dem Reporter, versprach ihm aber, später noch einmal vorbeizusehen, wenn etwas mehr geschehen sei. Auf dem Weg zurück zum Nachrichtenkanal besuchte ich erneut kurz die Stummfilm-Hommage an Buffalo Bill. Auch dort begrüßte mich ein Sprecher und erzählte mir, was der vorgebliche »Anwalt« im bisherigen Verlaufe der Sendung verrichtet hatte. Offenbar war es an der Ausbildungsstätte einer gewissen Sinndi, die sechzehn Jahre alt war, zu sittlichen Ungehörigkeiten gekommen. Nach dem Übeltäter, einem Ausbildungsleiter, wurde unter unablässigem Absondern des haarsträubendsten Gewäschs gesucht. Ich lachte erneut herzhaft auf, so ein Schmarren war das Machwerk. Um den wahllos zusammenkolportierten Schwank auch nur halbwegs glaubhaft zu machen, hätte es ja wohl eines schmierigen Juden bedurft, und wo hätte der heutzutage denn noch herkommen sollen, nachdem Himmler wenigstens in dieser Beziehung zuverlässig gewesen war?

Ich schaltete zurück zum Nachrichtenchaos und von dort aus weiter. Hier wurden nun Herren beim Billardspiel gezeigt, was zwischenzeitlich als Sport galt. Dies ließ sich, wie ich inzwischen bemerkt hatte, am Namen des Kanals feststellen, der in einer oberen Ecke des Apparates im Bild klebte. Ein weiterer Kanal brachte ebenfalls Sport, dort allerdings verfolgte die Kamera Menschen beim Kartenspiel. Wenn das der heutige Sport war, konnte einem angst und bange werden um die Wehrfähigkeit. Ich dachte für einen Moment, ob aus dem stumpfsinnigen Geschehen, das sich da vor meinen Augen abspielte, eine Leni Riefenstahl mehr hätte zaubern können, aber es gibt selbst für die größten Genies der Geschichte Grenzen ihrer Kunst.

Andererseits hatte sich womöglich auch die Art, Filme zu machen, geändert. Ich kam auf meiner Suche jedenfalls an einigen Kanälen vorbei, die etwas ausstrahlten, was mich oberflächlich an Trickfilme von einst erinnerte. Die heiteren Abenteuer der Mickey Mouse etwa waren mir noch in bester Erinnerung. Doch was sich hier abspielte, war nurmehr geeignet, sofortige Blindheit hervorzurufen. Eine ständige Abfolge wirrster Gesprächsfetzen wurde durch eine noch häufigere Einblendung gewaltiger Explosionen unterbrochen.

Tatsächlich wurden nun die weiteren Kanäle immer merkwürdiger. Es gab welche, die nur Explosionen ohne Trickfilm sendeten, es stieg in mir sogar für eine kurze Zeit der Verdacht auf, es könne sich dabei um etwas wie Musik handeln, bevor ich zu dem Schluss kam, im Grunde sei Ziel des Ganzen nur der Verkauf eines vollkommen entgeistigten Produkts namens Klingelton. Wozu man ein bestimmtes Läuten brauchen sollte, war mir nicht nachvollziehbar. Arbeiteten die Leute denn alle als Requisiteure beim Tonfilm?

Andererseits war der Verkauf durch den Fernsehapparat anscheinend nicht ungewöhnlich. Zwei oder drei weitere Kanäle sendeten ununterbrochen die Vorträge fliegender Händler, wie man sie von jedem Jahrmarkt kennt. Entsprechend leichtfertig wurde auch hier das Geschwätz von geschriebenen Texten in jeder Ecke des Apparates überdeckt. Die Verkäufer selbst verletzten fortwährend jegliche Grundregel seriösen Auftretens, ja sie bemühten sich nicht einmal mehr um ein vertrauenswürdiges Äußeres und trugen selbst in fortgeschrittenem Alter grauenhafte Ohrringe wie die letzten Zigeuner. Die Rollenverteilung folgte dabei erkenntlich den Traditionen übelster Bauernfängerei: Stets war einer dabei, der das Allerblaueste vom Himmel zusammenlog. Der andere hingegen hatte danebenzustehen und den Mund vor Staunen nicht mehr zuzubekommen, hatte »hei« und »Nein!« auszustoßen oder auch »Das ist ja unglaublich!«. Es war insgesamt eine vollendete Schmierenkomödie, und man bekam unablässig große Lust, einmal mit einer 8,8-Flak ordentlich in das versammelte Gesindel hineinzuhalten, dass diesen Erzgaunern ihre Lügen nur so aus den Eingeweiden spritzen mussten.

Letztlich wurzelte mein Zorn allerdings auch darin, dass ich angesichts dieses versammelten Wahnsinns zunehmend irre zu werden befürchtete. Es glich somit fast schon einer Flucht, als ich versuchte, mich zu der dicken Frau zurückzuschalten. Ich blieb jedoch unterwegs bei dem Kanal hängen, auf dem der Winkeladvokat Buffalo Bill sein gräuliches Unwesen getrieben hatte. Inzwischen wurde von dort ein Gerichtsdrama gesendet, dessen Hauptdarstellerin ich zuerst für die Kanzlerin aus den Nachrichten hielt, die sich jedoch nach kurzer Dauer nur als eine jener Kanzlerin sehr ähnelnde Gerichtsmatrone entpuppte. Verhandelt wurde gerade der Fall einer gewissen Senndi, die offenbar wegen diverser Unregelmäßigkeiten an ihrer Ausbildungsstätte angeklagt war.

Diese Vergehen hatte das 16-jährige Fräulein jedoch nur aufgrund seiner Zuneigung zu einem Jungen namens Enndi begangen, der zur gleichen Zeit Beziehungen zu drei weiteren auszubildenden Damen unterhielt, von denen eine offenbar eine Schauspielerin war oder werden wollte. Verursacht durch nicht nachvollziehbare Umstände hatte sie diesen Karriereweg allerdings zugunsten einer Nebenbeschäftigung im kriminellen Milieu zurückgestellt und war nunmehr Teilhaberin eines Wettbüros. Ähnlicher himmelschreiender Blödsinn mehr wurde verkündet, währenddessen die Gerichtsmatrone dazu mit einem vollkommen ernsthaften Gesicht eifrig nickte, als wären diese völlig abwegigen Erzählungen das Normalste der Welt und kämen eigentlich tagtäglich vor. Ich konnte es schlichtweg nicht begreifen.

Wer würde derlei freiwillig ansehen? Sicher, Untermenschen vielleicht, die grob lesen und schreiben konnten, aber sonst? Fast schon abgestumpft schaltete ich zu der dicken Frau zurück. Ihr abenteuerliches Leben war offenbar seit meinem letzten Besuch von einer Reklamesendung unterbrochen gewesen, deren Ende ich noch mitbekam. Jedenfalls ließ es sich der Sprecher nicht nehmen, noch einmal für mich zu erklären, dass das erbärmliche Weibsstück jegliche Kontrolle über seinen schwachsinnigen Bankert von Dreckstochter verloren hatte und in der letzten halben Stunde nicht weitergekommen war, als den Hinauswurf der kleinen Idiotin mit einer unablässig rauchenden Nachbarin lang- und breitzuwalzen. Letzten Endes, so teilte ich lautstark dem Apparat mit, gehörte dieser ganze Zirkel verunglückter Existenzen in ein Arbeitslager, die Wohnung sollte man renovieren oder, noch besser, mitsamt dem ganzen Haus abreißen und irgendein Aufmarschgelände darüberplanieren, auf dass die Erinnerung an das unselige Treiben ein für alle Mal getilgt würde aus dem gesunden Volksempfinden. Entnervt warf ich das Kontrollkästchen in den Papierkorb.

Was für eine übermenschliche Aufgabe hatte ich mir da gestellt!

Um meines Zornes wenigstens einigermaßen Herr zu werden, beschloss ich, für einen Moment vor die Türe zu gehen. Nicht lange, natürlich, denn ich mochte mich nicht weit vom Telefonapparat entfernen, aber doch wenigstens geschwind in die Blitzreinigung laufen, um die Uniform abzuholen. Seufzend betrat ich das Geschäft, ließ mich als »Herr Stromberg« begrüßen, holte meinen überraschend einwandfrei gereinigten Rock ab und machte mich zügig auf den Heimweg. Kaum konnte ich es erwarten, wieder in vertrauter Kleidung der Welt gegenüberzustehen. Doch natürlich bekam ich nach meiner Rückkunft als Erstes die Mitteilung von der Gehilfin an der Rezeption, dass man telefonisch nach mir verlangt hatte.

»Aha«, sagte ich, »natürlich. Gerade jetzt. Und wer?«

»Keine Ahnung«, sagte die Gehilfin und blickte abwesend auf ihren Fernsehapparat.

»Ja, haben Sie das denn nicht notiert?«, herrschte ich sie ungeduldig an.

»Die haben gesagt, die rufen wieder an«, versuchte sie ihr Fehlverhalten zu entschuldigen. »War es denn wichtig?«

»Es geht«, sagte ich entrüstet, »um Deutschland!«

»Blöd«, sagte sie, und glotzte wieder in ihren Bildschirmapparat. »Und was ist mit Henndi?«

»Ich! Weiß! Es! Nicht!«, schrie ich wütend und marschierte entnervt in mein Zimmer, um meine Fernsehstudien fortzusetzen. »Die ist wahrscheinlich vor Gericht, weil sie ihre Ausbildungsstätte verloren hat!«

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