2 Ali

SÜDAFRIKA, NÖRDLICH VON ASKAM, IN DER WÜSTE KALAHARI 1995

»Mutter?« Die Stimme des Mädchens drang in Alis Hütte.

Genau so mussten wohl die Geister singen, dachte Ali, in diesem Bantu-Singsang, dieser Melodie auf der Suche nach einer Melodie. Sie schaute von ihrem Koffer auf. Auf der Schwelle stand ein Zulu-Mädchen, mit jenem erstarrten und aufgerissenen Grinsen im Gesicht, das Lepra im fortgeschrittenen Stadium anzeigte. Lippen, Augenlider und Nase waren bereits weggefressen.

»Kokie«, sagte Ali. Kokie Madiba. Vierzehn Jahre alt. Die anderen nannten sie Hexe.

Hinter dem Rücken des Mädchens erblickte Ali sich und Kokie in einem Wandspiegel. Der Kontrast gefiel ihr nicht. Ali hatte im letzten Jahr ihr Haar wachsen lassen. Direkt neben der zerstörten Haut des schwarzen Mädchens nahm sich ihr goldenes Haar wie erntereifer Weizen neben einem versteppten Acker aus. Ihre Schönheit kam ihr obszön vor. Ali rückte ein Stück zur Seite, um ihr Spiegelbild verschwinden zu lassen. Eine Zeit lang hatte sie sogar versucht, ihren kleinen Spiegel von der Wand zu nehmen, ihn jedoch in der verzweifelten Erkenntnis, dass Verleugnung noch eitler als Eitelkeit sein konnte, schließlich wieder aufgehängt.

»Wir haben doch schon so oft darüber gesprochen«, sagte sie. »Ich bin Schwester, nicht Mutter.«

»Ja, richtig, wir haben darüber gesprochen«, erwiderte die Waise, »Schwester, Mutter.«

Manche von ihnen hielten sie für eine Heilige, für eine Königin. Oder eine Hexe. Eine unverheiratete Frau, schon gar eine Nonne, war hier draußen im Busch nur schwer vorstellbar. Wenigstens einmal hatte ihr ihre Extravaganz geholfen. Die Menschen in der Kolonie waren zu dem Schluss gekommen, dass die Nonne ebenso wie sie von der Gesellschaft gemieden wurde und hatten sie bei sich aufgenommen.

»Was wolltest du denn, Kokie?«

»Ich bringe dir das hier.« Das Mädchen hielt ihr eine Halskette mit einem kleinen, verschrumpelten, perlenbestickten Beutel entgegen. Das Leder sah noch frisch aus, wie eilig gegerbt. Hier und da standen noch kleine Haare davon ab. Sie hatten sich beeilt, um mit dem Geschenk rechtzeitig fertig zu werden. »Du musst das tragen. Hält das Böse fern von dir.«

Ali nahm die Kette von Kokies staubiger Handfläche und bewunderte die geometrischen, aus roten, weißen und grünen Perlen gebildeten Muster. »Hier«, sagte sie und gab sie Kokie zurück. »Lege sie mir um.«

Ali beugte sich vornüber und hielt ihr Haar in die Höhe, damit das leprakranke Mädchen ihr die Halskette anlegen konnte. Sie teilte Kokies feierlichen Ernst. Dieses Geschenk war kein Touristenplunder. Es war ein Teil von Kokies Überzeugung. Wenn jemand das Böse in der Welt kennen gelernt hatte, dann dieses Kind.

In dem allgemeinen Chaos nach der Aufhebung der Apartheid und der raschen Verbreitung von AIDS durch die aus Simbabwe und Mosambik nach Süden drängenden Arbeit Suchenden in den Gold- und Diamantenminen, hatte sich unter der armen schwarzen Bevölkerung Hysterie breit gemacht. Alter Aberglaube war wieder erwacht. Es war ein offenes Geheimnis, dass Sexualorgane, Finger und Ohren, sogar Hände voll menschlichen Fettgewebes, aus Leichenhallen gestohlen und als Fetische benutzt wurden. Immer wieder wurden Leichen nicht begraben, weil die Familienmitglieder davon überzeugt waren, die Toten würden wieder lebendig werden.

Mit Abstand am schlimmsten war die Hexenjagd. Die Leute behaupteten, das Böse komme tief aus der Erde zu ihnen herauf. So weit Ali wusste, wurde dergleichen seit Anbeginn der Menschheit behauptet. Jede Generation hatte ihre eigenen Alpträume. Sie war überzeugt davon, dass diese Schreckgespenster von den Arbeitern in den Diamantenminen ins Leben gerufen worden waren, um den Hass der Öffentlichkeit von sich selbst abzulenken. Sie behaupteten, sie wühlten so tief in der Erde, dass sie bis zu den Behausungen fremder Wesen gedrungen seien. Die Bevölkerung hatte diesen Unsinn in eine Hexenkampagne verwandelt. Im ganzen Land waren bereits Hunderte unschuldiger Frauen mit einem brennenden Reifen um den Hals gestorben, mit Macheten niedergemacht oder vom abergläubischen Pöbel gesteinigt worden.

»Hast du deine Vitaminpillen genommen?«, fragte Ali.

»Ja.«

»Wirst du sie auch dann nehmen, wenn ich weg bin?«

Kokies Blick huschte über den Lehmboden. Alis Weggang war besonders schmerzhaft für sie. Wieder einmal wunderte sich Ali darüber, wie rasch alles gekommen war. Erst vor zwei Tagen hatte sie den Brief mit den neuen Anweisungen erhalten.

»Die Vitamine sind wichtig für dein Baby, Kokie.«

Das leprakranke Mädchen berührte seinen Bauch. »Ja, das Baby«, flüsterte es freudig. »Jeden Tag. Wenn die Sonne aufgeht. Die Vitaminpille.«

Ali liebte Kokie, weil Gottes Mysterium in all seiner Grausamkeit ihr gegenüber so offenkundig war. Zweimal hatte Ali sie gerettet. Vor acht Monaten hatten ihre Selbstmordversuche aufgehört. Damals hatte Kokie erfahren, dass sie schwanger war.

Ali wunderte sich immer noch darüber, wenn nachts die Geräusche der Liebenden an ihr Ohr drangen. Die Lektion war einfach und tiefgründig. Diese Leprakranken waren füreinander nicht hässlich. Selbst in ihrer erbärmlichen Gestalt waren sie gesegnet und schön.

Mit dem neuen Leben, das in ihr heranwuchs, hatten Kokies Knochen mehr Fleisch angesetzt. Sie hatte wieder angefangen zu sprechen. Jeden Morgen lauschte Ali ihren gemurmelten Melodien, diesem eigenartigen Mischdialekt aus Siswati und Zulu, der schöner als der Gesang der Vögel klang.

Auch Ali fühlte sich wie neu geboren. Sie fragte sich, ob es sie vielleicht deshalb nach Afrika verschlagen hatte. Es war, als spräche Gott durch Kokie und all die anderen Leprakranken und Flüchtlinge zu ihr. Seit Monaten wartete sie jetzt schon auf die Geburt von Kokies Kind. Bei einem ihrer seltenen Ausflüge nach Johannesburg hatte sie von ihrem eigenen schmalen Gehalt Vitamine und mehrere Bücher über Geburtshilfe für Kokie gekauft. Ein Krankenhaus kam für Kokie nicht in Frage, und Ali wollte vorbereitet sein. In letzter Zeit hatte sie wiederholt davon geträumt. Die Geburt ereignete sich in einer von Dornen umgebenen Hütte mit Blechdach, vielleicht in dieser Hütte, in diesem Bett. In ihre Hände wurde ein gesundes Kind gelegt, das alle Sorgen und Ängste dieser Welt für nichtig erklärte. Ein einfacher Akt, in dem die Unschuld triumphierte.

An diesem Morgen jedoch wurde Ali die unweigerliche Tatsache schmerzhaft klar: Ich werde dieses Kind niemals sehen. Denn Ali war versetzt worden. Abermals in den rauen Wind der Welt geworfen. Immer wieder. Es spielte keine Rolle, dass sie ihre Aufgabe hier noch nicht beendet hatte. Dass sie eigentlich kurz vor der Wahrheit stand. Drecksäcke! Der Ausdruck bezog sich eindeutig auf Männer. Bischöfe.

Ali faltete eine weiße Bluse zusammen und legte sie in den Koffer. Entschuldige bitte die harten Worte, oh Herr. Aber sie bekam immer mehr das Gefühl, ein Brief ohne Adressat zu sein.

Seit dem Tag, an dem sie ihr Ordensgelübde abgelegt hatte, war dieser kobaltblaue Samsonite-Koffer ihr treuer Begleiter gewesen. Zuerst nach Baltimore, Ghetto-Arbeit, dann nach Taos, um ein wenig frischen Klosterwind zu tanken, dann zur Columbia University, wo sie ihre Dissertation durchpeitschte. Anschließend noch mehr Straßenarbeit in Winnipeg. Dann, nach dem Doktorexamen ein Jahr Forschungsarbeit in den Archiven des Vatikans, dem »Gedächtnis der Kirche«. Anschließend der unverhoffte Ruf: neun Monate als addetti di nunziatura, als Attaché des Vatikans, eine Funktion, in der sie die päpstliche diplomatische Delegation bei den NATO-Gesprächen zur Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen unterstützte. Hartes Brot für ein siebenundzwanzigjähriges Landei aus West-Texas. Man hatte sie nicht nur auf Grund ihrer langjährigen Verbindung zur US-Senatorin Rebecca January, sondern auch wegen ihrer linguistischen Ausbildung für den Job ausgewählt. Natürlich hatten sie sie auf dem großen Spielfeld der Politik nur als kleinen Bauern eingesetzt. Gewöhn dich daran, hatte ihr January eines Abends geraten. Jedenfalls kommst du auf diese Weise viel rum. Aber sicher, dachte Ali und sah sich in ihrer Hütte um.

Es lag auf der Hand, dass die Kirche sie in ihrem Sinne knetete, nur wofür, das konnte sie nicht genau sagen. Bis vor einem Jahr hatte ihr Lebenslauf einen gleichmäßigen Aufstieg gezeigt. Mit einem Mal, ohne Vorwarnung und ohne weitere Erklärung, hatte man sie in diese Flüchtlingskolonie im Hinterland der Buschleute geschickt. Von den glitzernden Kathedralen der westlichen Zivilisation direkt in die Steinzeit. Ans Ende der Welt hatte man sie expediert, wo sie sich bei dieser angeblichen Mission in der Wüste Kalahari in Geduld üben durfte.

Ihrer Veranlagung gemäß hatte Ali das Beste daraus gemacht. In Wahrheit war es ein schreckliches Jahr gewesen. Aber sie war zäh. Sie hatte sich arrangiert. Angepasst. Bei Gott, sie war sogar erfolgreich gewesen. Hatte damit angefangen, die Geschichten von einem »älteren« Stamm aufzudröseln, der sich angeblich im Hinterland versteckte. Wie alle anderen hatte Ali zunächst die Vorstellung von einem steinzeitlichen Stamm, der an der Schwelle zum 21. Jahrhundert noch immer unentdeckt geblieben war, von sich gewiesen. Natürlich war das ganze Gebiet Wildnis, aber doch eine Wildnis, die inzwischen hinlänglich von Bauern, Fernfahrern, Buschpiloten und Feldforschern aufgesucht oder durchfahren worden war - von Leuten also, die zumindest stichhaltige Hinweise auf einen derartigen Stamm hätten finden müssen. Erst nach drei Monaten hatte Ali sich etwas ernsthafter mit den Gerüchten der Eingeborenen befasst.

Am spannendsten fand sie die Vorstellung, dass ein solcher Stamm tatsächlich zu existieren schien, und dass die Belege dafür hauptsächlich linguistischer Natur waren. Wo auch immer sich dieser merkwürdige Stamm verbergen mochte, seine verborgene Sprache schien überall im Busch lebendig zu sein, und jeden Tag schien sie dem Phänomen einen Schritt näher zu kommen.

Zum größten Teil hing ihre Jagd mit dem Khoisan, der Schnalz-Sprache der Buschleute, der San, zusammen. Sie machte sich keine Illusionen darüber, diese Sprache jemals selbst zu beherrschen, insbesondere die vielen verschiedenen dentalen, palatalen und labialen stimmhaften, stimmlosen oder nasalen Lautsysteme. Aber mit Hilfe eines San-Kung-Übersetzers hatte sie sich allmählich eine ganze Reihe von Worten und Lauten angeeignet, die die San nur in einer bestimmten Tonlage ausdrückten. Diese Tonlage war ehrerbietig, religiös und uralt, und die Worte und Laute unterschieden sich von allem, was sonst auf Khoisan ausgedrückt wurde. Sie wiesen auf eine Wirklichkeit hin, die sowohl alt als auch neu war. Dort draußen war jemand - oder hatte sich zumindest vor langer Zeit dort aufgehalten. Oder war vor kurzem zurückgekehrt. Aber um wen es sich auch handeln mochte, sie sprachen eine Sprache, die noch vor der prähistorischen Sprache der San datierte.

Und jetzt war dieser Mittsommernachtstraum jäh unterbrochen worden. Sie holten sie von ihren Ungeheuern weg. Von ihren Flüchtlingen. Ihren Beweismitteln.

Kokie hatte angefangen, leise vor sich hinzusingen. Ali machte sich wieder ans Packen, wobei sie ihren Gesichtsausdruck vor dem Mädchen hinter dem aufgeklappten Kofferdeckel verbarg. Wer sollte sich von nun an um diese Menschen kümmern? Was würden sie Tag für Tag ohne sie anfangen? Was würde sie, Ali, ohne ihre Schutzbefohlenen anfangen?

»... uphondo Iwayo/yizwa imitbandazo yethu/Nkosi sikelela/Thina lusapho iwayo ...«

Die Worte drängten sich in düstere Gedanken. Im vergangenen Jahr hatte sie sich in den Sprachmischmasch, der in Südafrika gesprochen wurde, regelrecht verbissen, besonders in Nguni, zu der auch die Sprache der Zulu gehörte. Einzelne Bruchstücke aus Kokies Lied offenbarten sich ihr: Gott segne uns Kinder/Komm, oh Geist, komm Heiliger Geist/Gott segne uns Kinder.

»O feditse dintwa/Le matswenyecho ...« - Beende die Kriege und all unsere Sorgen ...

Ali seufzte. Diese Leute wollten nicht mehr als Frieden und ein bisschen Glück. Bei ihrer Ankunft hatte hier alles wie am Morgen nach einem Wirbelsturm ausgesehen. Die Kranken hatten im Freien geschlafen, fauliges Wasser getrunken und auf den Tod gewartet. Mit ihrer Hilfe hatten sie jetzt wenigstens behelfsmäßige Unterkünfte, einen Brunnen und den Ansatz zu einer ländlichen Industrie, in der riesige Ameisenhügel als Schmieden zur Herstellung einfacher bäuerlicher Werkzeuge wie Hacken und Schaufeln benutzt wurden. Sie hatten Alis Erscheinen nicht gerade freudig begrüßt, damit hatten sie sich Zeit gelassen. Doch ihre Abreise verursachte ihnen echten Schmerz. Sie hatte ein wenig Licht in ihre Dunkelheit gebracht, oder zumindest Medizin und Ablenkung.

Es war einfach nicht fair! Ihre Anwesenheit hatte ihnen viel Gutes gebracht. Und jetzt wurden sie für ihre Sünden bestraft. Es gab keine plausible Erklärung dafür. Sie würden nicht begreifen, dass es sich lediglich um die Taktik der Kirche handelte, Ali kleinzukriegen.

Sie hätte vor Wut aus der Haut fahren können. Vielleicht war sie ein bisschen zu stolz, manchmal auch ein bisschen ketzerisch. Launisch auch, ja. Und ganz gewiss taktlos. Sie hatte den einen oder anderen Fehler begangen, aber wer wollte sich ernsthaft davon freisprechen? Sie war sicher, dass ihre Versetzung von Afrika weg etwas damit zu tun hatte, dass sie irgendwo irgendjemandem auf die Füße getreten war. Vielleicht wurde sie auch nur wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt.

Mit zitternden Fingern glättete Ali ein Paar KhakiShorts, und der alte Monolog rumorte wieder in ihrem Kopf herum wie eine gesprungene Schallplatte. Tatsache war, dass sie keine halben Sachen mochte. Sie rannte nun mal nicht mit der Meute, sondern immer vorneweg.

Vielleicht hätte sie sich die Veröffentlichung dieses Gastkommentars in der Times noch einmal gründlich überlegen sollen, in dem sie darauf anspielte, der Papst verweigere sich hartnäckig allen Dingen, die etwas mit Abtreibung, Geburtenkontrolle und dem weiblichen Körper im Allgemeinen zu tun hatten. Oder ob sie diesen Essay über Agatha von Aragomen, die mystische Jungfrau, die Liebesgedichte verfasste und Toleranz predigte, hätte schreiben sollen. So etwas kam bei den Jungs von der alten Garde nicht sonderlich gut an. Und sich vor vier Jahren dabei erwischen zu lassen, als sie in der Kapelle von Taos die Messe abhielt, war reine Torheit gewesen. Selbst leere Kirchenwände hatten noch um drei Uhr morgens Augen und Ohren. Noch idiotischer war es gewesen, sich, nachdem sie ertappt worden war, der Äbtissin zu widersetzen und darauf zu bestehen, dass auch Frauen das liturgische Recht zum Weihen der Hostien besäßen, als Priester zu amtieren und natürlich auch als Bischöfe und Kardinale. Sie hätte mit ihrer Liturgie durchaus noch weiter ausgeholt und auch den Papst miteinbezogen, hätte der Erzbischof sie nicht mit einem Blick zum Erstarren gebracht.

Ali war um Haaresbreite an einer offiziellen Rüge vorbeigeschrammt. Sie schien ständig kurz vor dem Rausschmiss zu stehen. Streit und Meinungsverschiedenheiten folgten ihr wie ausgehungerte Hunde. Nach dem Zwischenfall in Taos hatte sie es »auf die orthodoxe Weise« versucht. Es war vor einem guten Jahr gewesen, in der Altstadt von Den Haag, bei einem vornehmen Cocktail-Empfang mit Generälen und Diplomaten aus einem Dutzend Ländern, anlässlich der Unterzeichnung eines obskuren NATO-Papiers. Der päpstliche Nuntius war ebenfalls anwesend. Auch der Ort war unvergessen, ein unter dem Namen Rittersaal bekannter Trakt des Binnerhof-Palastes, ein mit Kostbarkeiten aus der Renaissance überladener Raum, darunter sogar ein echter Rembrandt. Ebenso lebhaft erinnerte sie sich an die Manhattans, die ein gut aussehender Colonel auf Geheiß ihrer boshaften Mentorin January ohne Unterlass für sie anschleppte.

Ali hatte dieses Teufelszeug noch nie getrunken, und es war schon einige Jahre her, dass sie ein edler Ritter derart bedrängt hatte. Alles zusammen hatte ihr die Zunge gelöst. Sie hatte sich heftig in eine Diskussion über Spinoza verrannt und war irgendwie bei einem leidenschaftlichen Vortrag über Glasdeckenkonstruktionen in patriarchalischen Institutionen und die ballistische Energie eines unschuldigen Steines angelangt. Ali errötete noch heute, wenn sie sich an die Totenstille im ganzen Saal erinnerte. Zum Glück hatte January sie gerade noch rechtzeitig mit ihrem tiefen schwarzen Lachen gerettet, sie rasch zuerst zur Damentoilette und anschließend ins Hotel und unter die kalte Dusche gezerrt. Gott mochte ihr vergeben haben - der Vatikan nicht. Innerhalb weniger Tage war Ali ein Ticket nach Pretoria und in den Busch zugestellt worden. Einfache Fahrt.

»Sie kommen, guck, Mutter, sieh doch.« Kokie zeigte mit ihrer verstümmelten Hand aus dem Fenster.

Ali sah kurz auf und klappte den Koffer zu. »Peter?«, fragte sie. Peter war ein verwitweter Bure, der ihr gerne einen Gefallen tat und sie bei Bedarf mit seinem Kleinlaster, den die Eingeborenen bakkie nannten, in die Stadt fuhr.

»Nein, Mum.« Kokies Stimme wurde ganz leise. »Casper kommt.«

Ali trat neben Kokie ans Fenster. Und wirklich kam da draußen ein gepanzerter Truppentransporter vor einem langen Federbusch roten Staubs auf sie zugebraust. Die Casspirs waren bei der schwarzen Bevölkerung sehr gefürchtet, denn sie brachten den Tod. Ali hatte keine Ahnung, warum man sie von einem Militärfahrzeug abholen ließ und verbuchte es auf der langen Liste gedankenloser Einschüchterung.

»Keine Sorge«, sagte sie zu dem verängstigten Mädchen.

Der Casspir kam über die Ebene gerumpelt. Er war immer noch mehrere Kilometer entfernt, und auf dieser Seite des ausgetrockneten Sees wurde die Straße noch zerfurchter. Ali schätzte, dass das Fahrzeug bis zu ihren Hütten noch mindestens zehn Minuten brauchte.

»Sind alle so weit?«, fragte sie Kokie.

»Alles fertig, Mum.«

»Dann wollen wir noch rasch unser Foto machen.« Ali nahm ihre Kamera von der schmalen Pritsche und hoffte, dass die Winterhitze ihren einzigen Fuji Velvia-Film nicht zerstört hatte. Kokie betrachtete die Kamera voller Freude. Sie hatte noch nie zuvor ein Foto von sich gesehen.

Trotz aller Trauer gab es für Ali gute Gründe, für ihre Versetzung dankbar zu sein. Obwohl sie sich dabei ein wenig egoistisch vorkam, wusste Ali, dass sie das Zeckenfieber, die Giftschlangen und die aus Dung und Lehm gefertigten Wände nicht vermissen würde. Auch nicht die niederschmetternde Unwissenheit dieser sterbenden Bauern und die Hassausbrüche der schweinsäugigen Afrikaner mit ihrer feuerwehrroten Naziflagge und ihrem brutalen, menschenfressenden Kalvinismus. Und schon gar nicht die Hitze.

Ali duckte sich unter dem niederen Türsturz und trat hinaus ins Morgenlicht. Noch vor den Farben überwältigte sie der Geruch. Sie saugte das Aroma tief in die Lungen, schmeckte den wilden Aufruhr blauer Töne auf der Zunge.

Sie hob den Blick. Rings um das Dorf erstreckte sich über mehrere Morgen Land ein Teppich von Kornblumen. Das war ihr Werk. Sie mochte kein Priester sein, aber sie konnte trotzdem ein Sakrament spenden. Kurz nachdem der Dorfbrunnen gebohrt war, hatte sie eine Spezialmischung Wildblumensamen bestellt und eigenhändig ausgesät. Die Beete waren geradezu explodiert. Die Ernte war eine einzige Freude gewesen und hatte den Ausgestoßenen zu einem gewissen Stolz verhelfen, einem Gefühl, das sie kaum mehr kannten. Die Kornblumen waren zu einer kleinen Legende geworden. Die Farmer -Buren und Engländer - kamen aus einem Umkreis von mehreren Hundert Kilometern mit ihren Familien angefahren, um dieses Blumenmeer zu bewundern. Eine kleine Gruppe urzeitlicher Buschleute war zu Besuch gekommen und hatte erschrocken und mit aufgeregtem Getuschel reagiert, weil sie sich fragten, ob hier womöglich ein Stück des Himmels gelandet sei. Ein Geistlicher der christlich-zionistischen Kirche hatte eine Messe unter freiem Himmel abgehalten. Schon bald würden die Blumen verblühen. Doch die Legende war da. In gewisser Hinsicht hatte Ali diese Aussätzigen von ihrer Ausgestoßenheit befreit und ihren Anspruch auf Menschlichkeit wiedererweckt.

Die kleine Gemeinde wartete am Bewässerungsgraben auf sie, der vom Brunnen zu den Mais- und Gemüsebeeten führte. Als sie die Idee von einem Gruppenfoto geäußert hatte, wollten sie es unbedingt an dieser Stelle aufnehmen lassen. Das hier war ihr Garten, ihre Nahrung, ihre Zukunft.

»Guten Morgen«, begrüßte sie Ali.

»Guten Morgen, Fundi«, erwiderte eine feierliche Frauenstimme. Fundi war eine Abkürzung für umfundisi. Das bedeutete Lehrerin und war in Alis Augen die allerhöchste Auszeichnung.

Einige spindeldürre Kinder lösten sich aus der Gruppe, und Ali ging in die Hocke, um sie zu umarmen. Sie rochen richtig gut, besonders an diesem Morgen, denn ihre Mütter hatten sie gründlich gewaschen.

»Wie seht ihr denn aus?«, rief Ali. »So ordentlich und sauber. Wer von euch will mir helfen?«

»Ich, ich! Ich will helfen, Mum!«

Ali beauftragte die Kinder damit, ein paar Steine aufzuhäufen und einen Stock in das provisorische Stativ zu stecken.

»Jetzt geht alle zurück, sonst kippt es um«, sagte sie. Sie erledigte die paar Handgriffe rasch. Das Herannahen des Casspir sorgte bereits für einige Unruhe, und sie wollte, dass alle auf dem Bild glücklich aussahen. Sie richtete die Kamera auf dem Stativ aus und schaute durch den Sucher. »Näher zusammen«, sagte sie und winkte. »Ihr müsst näher zusammenrücken.«

Das Licht war gerade richtig. Es kam von schräg oben und war noch nicht zu hart. Es würde ein freundliches Bild werden. Natürlich ließen sich die Verwüstungen der Krankheit und der Verbannung nicht vertuschen, doch sie würden das Lächeln und das Leuchten der Augen dieser Menschen umso deutlicher hervorheben. Während sie die Schärfe einstellte, fing sie an zu zählen. Zählte noch einmal. Jemand fehlte.

In der ersten Zeit nach ihrer Ankunft hatte sie nicht daran gedacht, sie jeden Tag zu zählen, denn sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, ihnen Hygiene beizubringen, sich um die Kranken zu kümmern, Nahrungsmittel zu verteilen, die Brunnenbohrung zu organisieren und dafür zu sorgen, dass die Dächer gedeckt wurden. Doch nach einigen Monaten fiel ihr auf, dass es immer weniger wurden. Als sie sich danach erkundigte, wurde ihre Sorge mit einem Achselzucken und der Erklärung abgetan, die Leute kämen und gingen. Die schreckliche Wahrheit kam erst an dem Tag ans Licht, als sie sie auf frischer Tat ertappte.

Beim ersten Mal, als sie mitten im Busch auf sie stieß, hatte Ali zuerst gedacht, da machten sich Hyänen über einen Springbock her. Vielleicht hätte sie schon früher Verdacht schöpfen sollen. Bestimmt hätte ihr jemand etwas darüber erzählen können. Ohne zu überlegen hatte Ali die beiden abgemagerten Männer von der alten Frau, die sie gerade erwürgten, weggerissen, einen mit einem Stock geschlagen und sie davongejagt. Sie hatte alles missverstanden: das Motiv der Männer und auch die Tränen der alten Frau.

Es handelte sich um eine Kolonie sehr kranker und elender menschlicher Wesen. Doch obwohl ihnen wenig mehr als die Verzweiflung geblieben war, so kannten sie doch noch so etwas wie Erbarmen. Tatsache war, dass die Aussätzigen Euthanasie betrieben.

Es war eines der schlimmsten Probleme, mit denen Ali jemals zu kämpfen hatte. Es hatte nichts mit Gerechtigkeit zu tun, denn sie besaßen den Luxus der Gerechtigkeit. Diese Aussätzigen - gejagt, gequält, terrorisiert -verbrachten ihre letzten Tage am Rande der unwirtlichen Wildnis. Mit der Aussicht, bis zum Tode mehr oder weniger qualvoll dahinzusiechen, blieben ihnen nicht viele Möglichkeiten, Liebe zu zeigen oder einander Respekt zu erweisen. Letztendlich hatte sie akzeptiert, dass Mord eine davon war.

Sie töteten nur diejenigen, die ohnehin im Sterben lagen und darum baten. Es geschah stets ein Stück weit vom Lager entfernt und wurde von zwei oder mehr Leuten so rasch wie möglich erledigt. Ali hatte eine Art Burgfrieden mit dieser Praxis geschlossen. Sie versuchte, die erschöpften Seelen, die auf Nimmerwiedersehen in den Busch davonwankten, nicht zu bemerken. Sie versuchte, die Häupter ihrer Herde nicht zu zählen. Doch ihr Verschwinden hob die Verschwundenen umso deutlicher hervor, selbst wenn es sich um die Stillen handelte, die man sonst eigentlich kaum wahrgenommen hatte.

Abermals ließ sie den Blick über die Gesichter schweifen. Jimmy Shako, der Lagerälteste, fehlte. Ali war nicht aufgefallen, dass Jimmy Shako so krank gewesen war. Außerdem hielt sie ihn nicht für so großzügig, die Kolonie von seiner Gegenwart zu erlösen. »Mr. Shako fehlt«, sagte sie sachlich.

»Er ist weg«, nickte ihr Kokie zustimmend zu.

»Möge er in Frieden ruhen«, sagte Ali, hauptsächlich zu ihrer eigenen Beruhigung.

»Glaub ich nicht, Mutter. Für den gibt’s keinen Frieden. Wir haben ihn getauscht.«

»Was habt ihr getan?« Das war eine neue Variante.

»Dies für das. Wir haben ihn weggegeben.«

Mit einem Mal war Ali nicht mehr ganz so sicher, ob sie wirklich wissen wollte, was Kokie damit meinte. Es gab Zeiten, in denen sich Afrika ihr geöffnet und sie seine Geheimnisse kennen gelernt hatte. Dann wiederum, bei Gelegenheiten wie dieser, klafften seine Geheimnisse abgrundtief. Trotzdem fragte sie nach: »Was redest du da, Kokie?«

»Ihn. Für dich.«

»Für mich.« Alis Stimme klang in ihren eigenen Ohren leise und zerbrechlich.

»Jawohl, Mum. Dieser Mann war nicht gut. Sagte immer, er kommt und gibt dich nach unten. Aber wir haben ihn gegeben.«

Das Mädchen streckte die Hand aus und berührte zärtlich die Perlenkette um Alis Hals. »Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Wir beschützen dich, Mutter.«

»Aber ... wem habt ihr Jimmy denn gegeben?« Etwas rauschte im Hintergrund. Ali erkannte, dass es die Kornblumen waren, die sich in der sanften Brise wiegten. Das Rascheln der Stängel hörte sich so gewaltig an wie Donnergrollen. Sie schluckte, um ihre trockene Kehle zu benetzen.

Kokies Antwort war einfach.

»Ihm«, sagte sie. Das Meeresrauschen der Kornblumen ging in das Motorengeräusch des näher kommenden Casspir über. Alis Zeit war gekommen.

»Älter-als-Alt, Mutter. Ihm.« Dann sprach sie einen Namen aus, der mehrere Schnalzlaute und ein Flüstern in diesem angehobenen Tonfall enthielt.

Ali starrte sie an. Kokie hatte gerade einen kurzen Satz auf Ur-Khoisan gesagt. Ali versuchte ihn laut nachzusprechen.

»Nein. So«, sagte Kokie und wiederholte die Worte und die Schnalzer. Diesmal machte es Ali richtig und übergab die Laute ihrem Gedächtnis.

»Was bedeutet das?«, fragte sie.

»Gott. Der hungrige Gott.«

Ali hatte geglaubt, sie kenne diese Leute, doch sie waren ganz anders. Sie nannten sie Mutter und sie hatte sie wie ihre Kinder behandelt, aber das waren sie nicht. Sie wich von Kokie zurück.

Der Ahnenkult bedeutete diesen Leuten alles. Wie die Römer des Altertums oder die heutigen Shinto unterwarfen sich die Khoikhoi in spirituellen Belangen ihren Toten. Sogar schwarze evangelische Christen glaubten an Geister, lasen aus Knochen die Zukunft, opferten Tiere, nahmen Zaubertränke, trugen Amulette und praktizierten gei-xa-Magie. Die Lobedu hatten ihre Regenkönigin Mujaji. Die Pedi beteten Kgobe an. Für die Zulu hing die Welt von einem allmächtigen Wesen ab, dessen Name übersetzt Älter-als-Alt bedeutete. Und jetzt hatte Kokie genau diesen Namen in dieser Ursprache ausgesprochen. In der Muttersprache.

»Ist Jimmy tot oder nicht?«

»Kommt drauf an, Mutter. Wenn er gut ist, lassen sie ihn da unten leben. Sehr lange.«

»Ihr habt Jimmy getötet?«, fragte Ali entsetzt.

»Nicht getötet. Nur ein bisschen geschnitten.«

»Ihr habt was getan?«

»Nicht wir«, sagte Kokie.

»Älter-als-Alt?« Ali versuchte sich an dem Namen mit den Schnalzlauten.

»Ja, genau. Den Mann geschnitten. Und uns dann die Teile gegeben.«

Ali fragte nicht weiter nach, was Kokie damit meinte. Sie hatte auch so schon genug gehört.

Kokie legte den Kopf zur Seite, und auf ihrem erstarrten Lächeln zeichnete sich ein Anflug von Zufriedenheit ab. Einen Augenblick lang sah Ali die ungelenke Halbwüchsige vor sich stehen, die ihr mit der Zeit so sehr ans Herz gewachsen war, das Mädchen mit dem besonderen Geheimnis. Jetzt verriet sie es.

»Mutter«, sagte Kokie, »ich habe zugeschaut. Ich habe alles gesehen.«

Ali wollte weglaufen. Ob unschuldig oder nicht, dieses Kind war ein Unhold.

»Auf Wiedersehen, Mutter.«

Bringt mich weg, dachte sie. So ruhig wie es ihr unter diesen Umständen möglich war, drehte sich Ali um und wollte mit tränenblinden Augen von Kokie weggehen.

Plötzlich war ihr der Weg versperrt. Eine Wand aus großen Männern. Tränenblind setzte sich Ali gegen sie zur Wehr, schlug mit Fäusten und Ellbogen um sich. Dann wurden ihre Arme von jemand sehr Kräftigem an ihren Körper gedrückt.

»Langsam, langsam, immer mit der Ruhe«, sagte eine Männerstimme. »Was soll der Unsinn?«

Ali sah auf und blickte in das Gesicht eines Weißen mit von der Sonne verbrannten Wangen und der gelbbraunen Buschmütze der Armee. Im Hintergrund brummte der Casspir im Leerlauf, eine dumpfe Maschine mit schaukelnder Funkantenne und aufgesetztem Maschinengewehr. Kniende und hockende Soldaten sicherten schussbereit nach allen Seiten. Sie hörte auf, sich zu wehren.

Kurz darauf wehte die rote Staubfahne des Transporters wie ein flüchtiger Sturm über den freien Platz. Ali drehte sich noch einmal um, doch die Aussätzigen hatten sich bereits im dornigen Unterholz verkrochen. Bis auf die Soldaten war sie ganz allein in diesem Mahlstrom.

»Sie haben ziemliches Glück gehabt, Schwester«, sagte der Soldat. »Die Kaffern wetzen wieder ihre Speere.«

»Was?«

»Ein Aufstand. Irgendeine Kaffern-Sekte oder so was. In der vergangenen Nacht haben sie Ihren Nachbarn überfallen, und auch die übernächste Farm. Wir kommen direkt von dort. Alle tot.«

»Ihre Tasche?«, fragte ein anderer Soldat. »Steigen Sie ein. Wir befinden uns hier in großer Gefahr.«

Schockiert ließ sich Ali von ihnen in das schwülheiße Innere des Vehikels schieben. Nach ihr kamen die Soldaten herein, sicherten die Gewehre und verschlossen die Luken. Der Geruch ihrer Körper unterschied sich deutlich von dem der Aussätzigen. Angst war das vorherrschende Element darin. Sie hatten auf eine Weise Angst, die den Aussätzigen fremd war. Es war die Angst von Beutetieren. Der Transporter rumpelte los, und Ali wurde gegen eine breite Schulter geschleudert.

»Souvenir?«, fragte jemand. Er zeigte auf ihre Perlenhalskette.

»Ein Geschenk«, antwortete Ali. Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht.

»Geschenk!«, stieß ein anderer Soldat hervor. »Wie niedlich.«

Ali legte die Hand schützend an die Kette und fuhr mit den Fingerspitzen über die kleinen Perlen, die das schwarze Lederstück einrahmten. Die Tierhärchen kitzelten sie an den Fingern.

»Sie haben wohl keine Ahnung, was?«, sagte ein Mann.

»Wie bitte?«

»Diese Haut.«

»Was ist damit?«

»Männlich, oder was meinst du, Roy?«

»Aber sicher«, antwortete Roy grinsend.

Ali verlor die Geduld mit ihnen. »Was soll der Blödsinn?«

Woraufhin die Männer laut loslachten. Sie besaßen einen groben, gewalttätigen Humor, was Ali nicht sehr erstaunte.

Jetzt tauchte ein Gesicht aus der Dunkelheit auf. In seinen Augen spiegelte sich das durch den Geschützschlitz hereinfallende Licht. Vielleicht war er ein guter katholischer Junge. Aber wie auch immer, er schien nicht sehr amüsiert zu sein. »Das ist ein Geschlechtsteil, Schwester. Von einem Menschen.«

Alis Fingerspitzen erstarrten. Dann war es an ihr, sie zu schockieren. Alle erwarteten, dass sie sich den Talisman kreischend vom Hals riss. Stattdessen setzte sie sich auf, lehnte den Hinterkopf an die Stahlwand, schloss die Augen und ließ den Talisman, der sie gegen das Böse schützte, über ihrem Herzen hin und her schaukeln.



Da sprach der Herr:

Mein Geist soll nicht immerdar

im Menschen walten,

denn auch der Mensch ist Fleisch.

GENESIS, 6:3

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