Anfangs kamen Vater die ungewohnten Worte nur langsam und zögerlich über die Lippen, setzten sich so widerspenstig und ruckartig in Bewegung wie rostige Güterwagen. Aber sobald sie eine gewisse Geschwindigkeit erreicht hatten, ratterten sie erstaunlich schnell und gleichmäßig dahin.
»Meinen Vater zu mögen war nicht leicht. Als er mich aufs Internat schickte, war ich elf. Danach sahen wir uns nur noch selten. Weißt du, es ist komisch, ich hatte keine Ahnung, ob er irgendwelche Hobbys hatte, bis bei seiner Beerdigung einer der Sargträger beiläufig erzählte, dass seine große Leidenschaft Netsuke gewesen seien. Ich musste es erst im Wörterbuch nachschlagen.«
»Das sind solche kleinen japanischen Elfenbeinschnitzereien«, sagte ich. »Die kommen in einer von Austin Freemans Dr. Thorndyke-Geschichten vor.«
Vater ging nicht darauf ein und fuhr fort.
»Greyminster war zwar nur ein paar Meilen von Buckshaw entfernt, aber damals hätte es ebenso gut auf dem Mond sein können. Dabei hatten wir großes Glück mit dem Direktor unserer Schule. Dr. Kissing war ein liebenswerter Mann, der fest davon überzeugt war, dass ein Junge, der seine tägliche Dosis Latein, Rugby, Kricket und Geschichte einnahm, gegen jegliche Unbill gefeit war, und im Großen und Ganzen wurden wir dort gut behandelt.
Wie die meisten anderen meiner Mitschüler blieb ich in der Anfangzeit eher für mich, suchte Zuflucht bei meinen Büchern
Nachts im Schlafsaal zog ich mir die Decke über den Kopf und betrachtete im Schein einer Taschenlampe mein Gesicht eingehend in einem geklauten Rasierspiegel. Mir fiel nichts Abstoßendes auf, aber andererseits war ich ein Einzelkind und hatte nur wenig Vergleichsmöglichkeit.
Aber wie das so ist, die Zeit verging, und bald nahm mich der Schulbetrieb völlig in Anspruch. In Geschichte war ich gut, aber keine besonders große Leuchte, wenn es um die Bücher des Euklid ging. Da war ich irgendwo in der Mitte: Weder tat ich mich hervor noch stellte ich mich so dumm an, dass es aufgefallen wäre.
Ich machte die Erfahrung, dass Mittelmäßigkeit die beste Tarnung war, der beste Schutz überhaupt. Die Jungen, die einigermaßen mitkamen, aber weder im Guten noch im Schlechten irgendwie auffielen, wurden in Ruhe gelassen, entgingen sowohl den Anforderungen der Lehrer, die sie womöglich zu höheren Zielen trimmen wollten, als auch den Gemeinheiten irgendwelcher Mitschüler, die einen Sündenbock suchten. Diese simple Tatsache war die erste große Entdeckung meines Lebens.
Ich glaube, ich war in der vierten Klasse in Greyminster, als ich endlich anfing, mich für meine Umgebung zu interessieren, und wie alle Jungen in diesem Alter fühlte ich mich von Verschwörungen angezogen. So kam es, dass ich Feuer und Flamme war, als Mr Twining, der für unser Haus zuständige Lehrer, vorschlug, einen Magischen Zirkel zu gründen.
Zugegeben, Mr Twining war eher bemüht als begabt und
In den Abendstunden brachte er uns bei, wie man mithilfe eines Taschentuchs und eines Stücks Löschpapier Wein in Wasser verwandelte, wie man einen gekennzeichneten Shilling in einem zugedeckten Wasserglas verschwinden ließ und aus Simpkins’ Ohr wieder hervorzauberte. Er lehrte uns das typische Gebrabbel, mit dem ein Zauberer sein Tun begleiten muss, und drillte uns so lange, bis wir aufsehenerregende Kartentricks beherrschten, bei denen trotz allem Mischen das Herz-As immer ganz unten im Stapel blieb.
Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, dass Mr Twining ein beliebter Lehrer war. Vielleicht wäre ›geliebter Lehrer‹ sogar der treffendere Ausdruck, obwohl nur wenige von uns damals schon ausreichend Erfahrung mit dieser Gefühlsregung gesammelt hatten, um sie als solche zu erkennen.
Seine größte Anerkennung wurde ihm zuteil, als ihn Rektor Kissing bat, eine Zaubervorstellung für den Elterntag zu organisieren. Sofort widmete er sich mit Feuereifer der Vorbereitung eines mitreißenden Programms.
Weil ich mich bei einer Illusionsnummer mit dem Titel Die Auferstehung des Tschang Fu recht geschickt angestellt hatte, war Mr Twining sehr daran gelegen, dass ich diese Nummer beim großen Finale vorführte. Die Nummer erforderte zwei Mitwirkende, weshalb er mir erlaubte, meinen Assistenten selbst zu bestimmen. So lernte ich Horace Bonepenny kennen.
Horace war von St. Cuthbert auf unsere Schule gewechselt, nachdem es dort irgendwelche Scherereien wegen verschwundenen Geldes gegeben hatte. Ich glaube, es hat sich nur um ein paar Pfund gehandelt, was uns damals jedoch wie ein kleines Vermögen erschien. Ich gebe zu, dass er mir leid tat. Ich hatte
»Aber nein, bestimmt nicht.« Ich rückte meinen Stuhl näher heran. »Erzähl weiter.«
»Horace war schon damals ungewöhnlich groß und hatte feuerrotes Haar. Seine Arme waren so lang, dass die Handgelenke wie dürre Äste aus seiner Schuluniformjacke ragten. ›Bony‹ nannten ihn die anderen Jungen und verspotteten ihn erbarmungslos wegen seines Aussehens.
Auch seine Finger waren ungewöhnlich lang, mager und weiß, wie die Fangarme eines Albino-Tintenfischs, was die Sache nicht besser machte; obendrein besaß er den blassen Teint, den man manchmal bei Rothaarigen sieht. Natürlich kokettierte er ein wenig damit, indem er mit gespielter Unbeholfenheit nach seinen Peinigern schlug, die jeweils gerade außerhalb seiner Reichweite um ihn herumtänzelten.
Eines Abends, nach einer Schnitzeljagd, ruhte er sich keuchend wie ein gehetzter Fuchs an einem Zauntritt aus. Da schlich sich ein kleiner Junge namens Potts von hinten an ihn heran und verpasste ihm eine schmerzhafte Backpfeife. Der Kleine wollte eigentlich gar nicht so fest zuschlagen, eher so, als ob man beim Fangenspielen jemanden abschlägt, aber ihm war die Hand ausgerutscht.
Als die anderen sahen, dass der fürchterliche Bonepenny benommen und mit blutender Nase dastand, wagten sie sich ebenfalls heran, und bald lag Bony am Boden, wurde geknufft, getreten und brutal verprügelt. In dem Moment kam ich des Wegs.
›Aufhören!‹, brüllte ich, und zu meiner Verwunderung gehorchten sie sofort und lösten sich einer nach dem anderen aus dem Knäuel von Armen und Beinen. Es muss an meinem Ton
›Alles in Ordnung?‹, erkundigte ich mich bei Bony und half ihm auf.
›Ich bin ziemlich weichgeklopft, aber nur an ein, zwei Stellen - ungefähr so wie der Rinderbraten von Carnforth‹, antwortete er, und wir mussten beide lachen. Carnforth war der berüchtigte Metzger in Hinley, dessen Familie Greyminster schon seit den Napoleonischen Kriegen mit Sonntagsbraten zäh wie Stiefelleder versorgte.
Ich merkte, dass Bony übler zugerichtet war, als er zugeben wollte, aber er setzte eine grimmige Miene auf. Ich bot ihm meine Schulter als Stütze an und half ihm, nach Greyminster zurückzuhumpeln.
Seit jenem Vorfall wich mir Bony nicht mehr von der Seite. Er eignete sich meine Hobbys an und schien dadurch beinahe ein anderer Mensch zu werden. Manchmal kam es mir vor, als wollte er sich richtiggehend in mich verwandeln, als stünde jener Teil meiner selbst vor mir, den ich in meinen mitternächtlichen Spiegelstudien gesucht hatte.
Ich weiß aber auch, dass wir beide nie in besserer Form waren, als wenn wir etwas gemeinsam machten. Was dem einen nicht gelang, schaffte der andere mit Leichtigkeit. Bony schien schon als mathematische Hochbegabung auf die Welt gekommen zu sein und offenbarte mir alsbald die Geheimnisse der Geometrie und Trigonometrie. Er machte ein Spiel daraus, und wir verbrachten so manche vergnügte Stunde damit, auszurechnen, auf wessen Arbeitszimmer der Glockenturm von Anson House stürzen würde, wenn wir ihn mit einer gigantischen, selbst entworfenen dampfgetriebenen Brechstange umkippen würden. Ein andermal stellten wir eine Dreiecksmessung an,
Wespen, Hornissen, Bienen und Maden? War das wirklich Vater, der da sprach? Ich stellte fest, dass ich ihm mit ganz neuer Achtung lauschte.
»Wie wir das zustande bringen wollten«, fuhr er fort, »wurde nie richtig zu Ende gedacht. Doch schließlich stellte sich heraus, dass Bony, während ich mich mit Euklid und seinen mathematischen Theoremen anfreundete, nach ein wenig Anleitung zu einem begabten Zauberer wurde.
Das lag natürlich an seinen Fingern. Diese langen weißen Fortsätze schienen ein Eigenleben zu führen, und es dauerte nicht lang, da beherrschte Bony sämtliche Taschenspielertricks. Die unterschiedlichsten Gegenstände verschwanden zwischen seinen Fingern und tauchten dort wieder auf, und zwar dermaßen elegant und flüssig, dass sogar ich, der ich die Tricks ja kannte, kaum meinen Augen traute.
Im selben Maße, wie sich seine Zauberkünste vervollkommneten, wuchs auch seine Selbstachtung. Durch das bisschen Zauberei wurde er ein ganz neuer Bony: selbstbewusst, gewandt und vielleicht sogar ein wenig draufgängerisch. Auch seine Stimme veränderte sich. Hatte er gestern noch wie ein heiserer Schuljunge geklungen, schien er auf einmal und urplötzlich zumindest bei seinen Auftritten über einen Kehlkopf aus poliertem Mahagoni zu verfügen. Seine hypnotisierende, professionelle Stimme wusste seine Zuhörer zuverlässig zu überzeugen.
Die Auferstehung des Tschang Fu ging so: Ich hüllte mich in einen zu großen Seidenkimono, den ich auf dem Kirchenbasar erstanden hatte, ein prächtiges, blutrotes, mit chinesischen
Für den Trick holte ich mir einen Freiwilligen aus dem Publikum, natürlich einen Eingeweihten, mit dem ich das Ganze vorher geübt hatte. Als er neben mir auf der Bühne stand, erklärte ich ihm in ulkigem Mandarin-Singsang, dass ich ihn nunmehr vom Leben zum Tode befördern und ins Land seiner ehrenwerten Vorfahren schicken würde. Bei dieser sachlichen Ankündigung rang das Publikum unweigerlich erschrocken nach Luft, und noch ehe sich alle wieder von dem Schrecken erholt hatten, zog ich eine Pistole aus den Falten meines Gewandes, richtete sie auf das Herz meines Mitspielers und drückte ab.
So eine Startpistole macht einen Heidenlärm, wenn man sie in einem geschlossenen Raum abfeuert, und mein Exemplar ging mit einem beeindruckenden Knall los. Mein Assistent hielt sich die Brust und zerdrückte dabei ein verborgenes Papiertütchen mit Ketchup. Das rote Zeug quoll zwischen seinen Fingern hervor. Er schaute auf die Sauerei auf seiner Brust, und ihm fiel die Kinnlade runter.
›Hilfe, Schnäppi!‹, kreischte er. ›Der Trick ist schiefgegangen! Du hast mich erschossen!‹, und fiel rücklings um.
Wenn diese Stelle kam, saß das Publikum immer erschüttert und gespannt auf den Sitzbänken. Manche sprangen auf, andere weinten. Ich beschwichtigte sie mit erhobener Hand.
›Luhe!‹, fauchte ich und machte ein wütendes Gesicht. ›Ehlenwelte Volfahlen foldeln Luhe!‹
Hier und da ertönte vielleicht ein unsicheres Auflachen, aber
Dieses Laken war ein kunstfertig präpariertes Requisit, das ich in größter Heimlichkeit angefertigt hatte. Es besaß zwei schmale Taschen, die es der Länge nach in Drittel teilten. In die Taschen waren zwei kurze, dünne Holzstangen eingenäht. Wenn das Laken zusammengelegt war, sah man nichts.
Ich ging in die Hocke, benutzte meinen Kimono als Sichtschutz, zog meinem Assistenten die Schuhe aus (was ganz leicht ging, da er schon die Schnürsenkel gelockert hatte, ehe ich ihn auf die Bühne rief) und steckte sie mit der Spitze nach oben auf die Holzstange.
Auch die Schuhe waren präpariert, indem ich jeweils ein Loch in die Ferse gebohrt hatte, in die ein Nagel geschoben und in die Holzstange gesteckt werden konnte. Das Ergebnis war ausgesprochen überzeugend. Eine Leiche lag mit einer klaffenden Wunde in der Brust auf dem Boden, am einen Ende schaute der Kopf aus dem Laken heraus, am anderen die nach oben zeigenden Schuhe.
Wenn alles nach Plan verlief, zeigte sich unterdessen auf dem Laken über der Brust der ›Leiche‹ ein großer roter Fleck, wenn nicht, half ich mit einem zweiten Ketchuptütchen nach, das in meinen Ärmel eingenäht war.
Jetzt kam der entscheidende Teil. Ich bat darum, dass die Scheinwerfer abgeblendet wurden (›Ehlenwelte Volfahlen wünschen stockfinstele Dunkelheit!‹) und entzündete im Dunkeln mit Magnesiumpapier ein paar Blitze. Das führte dazu, dass das Publikum einen Augenblick lang geblendet war, gerade lange genug, dass mein Assistent sich unter dem Laken aufrichten und hinhocken konnte. Seine Schuhe ragten weiterhin unter dem Laken hervor, wodurch es aussah, als läge er unverändert auf dem Rücken.
Nun verfiel ich in orientalischen Hokuspokus, fuchtelte mit den Armen und rief ihn aus dem Land der Toten zurück. Während ich irgendwelche erfundenen Beschwörungsformeln vor mich hin plapperte, richtete sich mein Assistent ganz langsam aus der Hocke auf, bis er ganz gerade dastand, die eingenähten Holzstangen auf den Schultern, und seine Schuhe ragten am anderen Ende des Tuches heraus.
Was das Publikum sah, war natürlich ein zugedeckter Leichnam, der sich mir nichts, dir nichts in die Luft erhob und anderthalb Meter über dem Boden schwebte.
Anschließend bat ich die ehrenwerten Vorfahren, ihren Verwandten wieder ins Land der Lebenden zu entlassen. Dabei vollführte ich lauter geheimnisvolle Gebärden, entzündete zu guter Letzt noch einen Magnesiumblitz. Mein Assistent warf das Laken ab, machte einen Luftsprung und landete auf beiden Füßen.
Das Tuch mit den festgenagelten Schuhen und den eingenähten Stangen fiel unbeachtet zu Boden, und wir brauchten uns nur noch zu verbeugen und den stürmischen Applaus entgegenzunehmen. Da wir schwarze Strümpfe anhatten, schien niemandem je aufzufallen, dass der ›Tote‹ keine Schuhe mehr trug.
So funktionierte Die Auferstehung des Tschang Fu, und so hatte ich die Nummer für den Elterntag geplant. Bony und ich verdrückten uns ins Waschhaus, wo ich ihm die Feinheiten des Tricks beibrachte.
Es stellte sich jedoch rasch heraus, dass Bony nicht der ideale Assistent war. Er gab sich große Mühe, aber er war einfach zu groß. Sein Kopf und seine Füße schauten viel zu weit unter dem präparierten Laken hervor, und es war zu spät, um ein anderes Tuch zu nähen. Außerdem war es leider so, dass Bony zwar unglaublich fingerfertig war, sonst aber noch derselbe, ungelenke, unbeholfene Schuljunge wie eh und je. Seine Storchenknie zitterten, wenn er schweben sollte, und bei einer
Ich war ratlos. Wenn ich mir einen anderen Assistenten gesucht hätte, wäre Bony bestimmt am Boden zerstört gewesen, andererseits machte ich mir keine Hoffnungen, dass er seine Rolle in den verbliebenen paar Tagen noch meistern würde. Ich war der Verzweiflung nahe.
Da kam Bony selbst auf die Lösung.
›Warum tauschen wir nicht einfach die Rollen?‹, schlug er nach einem besonders peinlichen Absturz unserer Requisiten vor. ›Lass es mich doch mal probieren! Ich zieh die Zaubererkutte über, und du bist der Schwebende.‹
Zugegeben, der Effekt war genial. Mit seinem gelb geschminkten Gesicht und den langen dünnen Händen, die aus den roten Kimonoärmeln ragten (und die mithilfe von fünf Zentimeter langen Wurstpellennägeln noch gruseliger wirkten), bot Bony auf der Bühne einen unvergesslichen Anblick.
Und da er ein geborener Imitator war, hatte er keine Schwierigkeiten, die brüchige Fistelstimme eines alten Chinesen nachzuahmen. Sein orientalisches Gebrabbel war eher noch überzeugender als meines, und seine langen dürren Finger, die wie Stabheuschrecken umherzappelten, waren einmalig.
Der ganze Auftritt war genial. Vor der versammelten Schule und den zu Besuch gekommenen Eltern legte Bony eine Nummer hin, die kein Zuschauer je vergessen haben wird. Er war abwechselnd exotisch und finster, und als er mich aus dem Publikum holte, gruselte sogar ich mich vor der unheimlichen Gestalt, die im Rampenlicht stand und mich auf die Bühne winkte.
Als er dann die Pistole abfeuerte und mir in die Brust schoss, brach ein wahres Inferno los! Ich hatte meinen Ketchupvorrat vorsorglich mit Wasser verdünnt und ein wenig angewärmt, worauf der Blutfleck grässlich echt wirkte.
Der Vater von Giddings Minor musste von Mr Twining, der
›Beruhigen Sie sich, guter Mann‹, raunte ihm Twining zu, ›das ist nur ein Trick. Die Jungen haben ihn schon oft vorge führt.‹ <
Mr Giddings wurde widerstrebend und mit hochrotem Kopf wieder auf seinen Platz geführt. Trotzdem war er nach der Vorstellung Manns genug, zu uns zu kommen und uns anerkennend die Hände zu schütteln.
Nach einem derartig grausigen Blutbad war meine Schwebenummer bei der Wiederauferstehung schon fast eine Enttäuschung, auch wenn uns das wohlwollende Publikum, das erleichtert war, dass der unglückliche Freiwillige wieder ins Leben zurückkehrte, mit schier nicht enden wollendem Applaus belohnte. Wir bekamen sieben Vorhänge, auch wenn ganz klar war, dass mindestens sechs davon meinem genialen Partner gebührten.
Bony sog die Huldigungen auf wie ein Schwamm. Noch eine Stunde nach der Vorstellung war er mit Händeschütteln beschäftigt, eine wahre Sturmflut bewundernder Mütter und Väter, die ihn nur mal anfassen wollten, umringte ihn, wildfremde Menschen klopften ihm anerkennend auf die Schulter. Als aber auch ich ihm den Arm um die Schultern legte, sah er mich nur mit einem entrückten Ausdruck an, als hätte er mich noch nie zuvor gesehen.
In den folgenden Tagen fiel mir auf, dass mit ihm eine Veränderung vorgegangen war. Nun war Bony der selbstsichere Zauberer und ich nur noch sein unbedeutender Assistent. Auf einmal redete er ganz anders mit mir und gewöhnte sich eine ziemlich lässige Art an, als hätte es seine frühere Schüchternheit nie gegeben.
Ich kann wohl guten Gewissens behaupten, dass er mich fallen ließ, jedenfalls wirkte es so. Ich sah ihn oft mit einem
Eines Tages merkte ich erschrocken, dass ich ihn eigentlich nicht mehr leiden konnte. Er war nicht mehr derselbe, oder vielleicht war erst jetzt seine wahre Natur zutage getreten, ich wusste es nicht. Manchmal ertappte ich ihn im Unterricht dabei, wie er mich anstarrte. Anfangs mit dem Blick eines alten Mandarins, dann wurde sein Blick sonderbar kalt, reptilienhaft. Ich hatte das Gefühl, als sei mir auf irgendeine unbekannte Weise etwas gestohlen worden.
Aber es sollte noch schlimmer kommen.«
Vater verstummte und ich wartete darauf, dass er weitererzählte, aber er saß einfach nur da und blickte mit ausdrucksloser Miene in den Regen hinaus. Ich hielt es für das Beste, mich still zu verhalten und ihn seinen Gedanken zu überlassen, worum auch immer sie sich drehen mochten.
Aber ich spürte, dass sich in unserem Verhältnis etwas verändert hatte, genau wie es Vater mit Horace Bonepenny ergangen war.
Da saßen wir nun, Vater und ich, in einem kleinen Zimmer eingesperrt, und zum ersten Mal überhaupt führten wir so etwas Ähnliches wie eine richtige Unterhaltung. Wir sprachen beinahe wie zwei Erwachsene miteinander, beinahe wie ein menschliches Wesen mit einem anderen, beinahe wie Vater und Tochter. Und obwohl mir nichts einfiel, was ich hätte sagen können, wünschte ich mir, dass es immer so weitergehen sollte, bis der letzte Stern erloschen war.
Ich hätte Vater gern umarmt, aber ich brachte es nicht über
Darum saßen Vater und ich steif nebeneinander wie zwei alte Damen beim Kirchenkaffeekränzchen. Ideal war das nicht, aber wir mussten uns damit begnügen.