33

Gant betrachtete die letzten Momente einer Fuchsjagd als die erhabensten. Die dahinjagenden roten Jacken, der Klang der Jagdhörner, das laute Gebrüll der Jäger und das Donnern der Hufe waren lediglich ein Vorspiel zu jenem Augenblick der Wahrheit, wenn die kläffenden Hunde das verängstigte Tier erwischten und in blutige Fetzen rissen.

Die Beute war ungewöhnlich wendig gewesen. Das verschlagene Tier war einen Bach hinaufgerannt, hatte über einen umgestürzten Baum gesetzt und war bei einem Versuch, seine Verfolger abzuschütteln, diesen einmal sogar entgegen­gelaufen. Am Ende hatte die Hundemeute das Tier jedoch vor einer Ligusterhecke gestellt, die Gant hatte anpflanzen lassen, um aufgespürte und gehetzte Füchse in eine Sackgasse zu leiten, die vor einer Mauer endete. Selbst dann noch hatte der Fuchs sich gewehrt, ehe er schließlich zerfleischt wurde.

Gant hatte die anderen Jäger zu seinem Haus zurückgeschickt, um das erfolgreiche Ende der Jagd zu feiern. Er saß neben der Hecke ab und durchlebte noch einmal die letzten Sekunden des Ganzen. Die Jagd war eine grausame Praxis, aber er betrachtete sie als eine Metapher für das Leben allgemein. Die Jagd verkörperte den Kampf zwischen den Starken und den Schwachen.

Ein Pferd wieherte. Gant blickte zu einem flachen Hügel hinauf, und seine Miene verfinsterte sich. Ein Reiter war als Silhouette vor dem blauen Himmel zu sehen. Niemand durfte über sein Land reiten, außer den Fuchsjägern. Er schwang sich wieder in den Sattel, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte den Hügel hinauf.

Der Mann verfolgte Gants Ritt aus dem Sattel eines kastanienbraunen Arabers. Im Gegensatz zu den Fuchsjägern in ihren roten Jacken trug dieser Mann lediglich eine verwaschene Jeans und ein türkisfarbenes Polohemd. Eine schwarze Baseballmütze mit einem Harley-Davidson-Emblem auf der Krone bedeckte sein platinsilbernes Haar.

Gant brachte sein Pferd zum Stehen. »Sie haben sich widerrechtlich Zugang verschafft«, schnappte er. »Dies hier ist Privatgrund.«

Den Mann schien das nicht zu erschüttern, und seine hellblauen Augen veränderten kaum ihren leicht spöttischen Ausdruck.

»Was Sie nicht sagen«, erwiderte er.

»Ich könnte Sie anzeigen«, drohte Gant.

Der Mund des Mannes verzog sich zu einem gelangweilten Lächeln. »Und ich könnte Sie wegen Ihrer Fuchsjagd verhaften lassen. Sogar bei den Engländern ist sie mittlerweile verboten.«

Gant war es nicht gewöhnt, dass man ihm widersprach. Er richtete sich in seinen Steigbügeln auf. »Ich besitze riesige Ländereien, und mir gehört alles, was darauf kreucht und fleucht. Und ich tue mit meinem und auf meinem Besitz, was immer ich will.« Seine Hand wanderte zu einem Sprechfunk­gerät, das an seiner Jacke befestigt war. »Verschwinden Sie von meinem Grund und Boden, oder soll ich meinen Sicherheitsdienst benachrichtigen?«

»Es ist nicht nötig, die Kavallerie zu rufen. Ich kenne den Weg hinaus. Die Tierschützer werden sich nicht gerade freuen, wenn sie erfahren, dass Sie Ihren Kötern erlaubt haben, einen Vertreter der örtlichen Fauna in Hackfleisch zu verwandeln.«

»Es sind keine Köter. Es sind reinrassige Fuchshunde. Ich habe viel Geld dafür gezahlt, sie von England hierher bringen zu lassen.«

Der Fremde nickte und ergriff seine Zügel.

»Warten Sie«, sagte Gant. »Wer sind Sie?«

»Kurt Austin. Ich gehöre zur National Underwater and Marine Agency.«

Gant fiel vor Überraschung beinahe vom Pferd. Er erholte sich schnell und zauberte ein verlogenes Lächeln auf seine Lippen.

»Wenn ich an die NUMA denke, fallen mir höchstens Seepferdchen ein und keine Araber, Mr. Austin.«

»Es gibt vieles, was Sie von uns nicht wissen, Mr. Gant.«

Gant schaffte es nicht, den Ausdruck der Verärgerung zu unterdrücken, der für einen kurzen Moment über seine Miene huschte. »Sie kennen meinen Namen?«

»Natürlich. Ich bin hergekommen, um mit Ihnen zu reden.«

Gant lachte. »Es war nicht nötig, dieses Grundstück widerrechtlich zu betreten, um mich zu sprechen. Sie hätten nur in meinem Büro anrufen und um einen Termin bitten müssen.«

»Danke. Das werde ich tun. Und wenn Ihre Sekretärin fragt, weshalb ich Sie sprechen will, dann werde ich antworten, dass ich mich gerne mit Ihnen über Ihre Pläne unterhalten würde, einen Polsprung auszulösen.«

Eins musste Austin Gant lassen. Der Mann hielt sich unglaublich gut unter Kontrolle. Ein leichtes Zusammenkneifen der Lippen war die einzige Reaktion auf Austins mittlere Bombe.

»Ich fürchte, ich würde Ihnen dann erklären müssen, dass ich nicht weiß, wovon Sie reden.«

»Vielleicht frischt der Name Southern Belle Ihre Erinnerung ein wenig auf.«

Gant schüttelte den Kopf. »Sicherlich ein Mississippidampfer, nehme ich an.«

»Die Belle war ein riesiges Frachtschiff. Sie wurde während ihrer Reise nach Europa von zwei gigantischen Wellen versenkt.«

»Ich bin Direktor einer Stiftung, die gegen den globalen Einfluss multinationaler Konzerne kämpft. Mehr habe ich mit dem transozeanischen Handelsbetrieb nicht zu tun.«

»Dann tut es mir leid, Ihre Zeit vergeudet zu haben«, sagte Austin. »Vielleicht sollte ich mich lieber mit Tris Margrave über dieses Thema unterhalten.«

Er entfernte sich im Trab.

»Warten Sie.« Gant trieb sein Pferd an und holte den ungebetenen Besucher ein. »Wo wollen Sie hin?«

Der Araber hielt an, und Austin drehte sich im Sattel um.

»Ich dachte, Sie wollten, dass ich Ihr Land verlasse.«

»Ich bin doch ziemlich unhöflich. Ich würde Sie gerne auf einen Drink in mein Haus einladen.«

Austin ließ sich das Angebot durch den Kopf gehen. »Es ist ein wenig früh für einen Drink, aber mit einem Glas Wasser wäre ich durchaus einverstanden.«

»Wunderbar«, sagte Gant. »Folgen Sie mir.«

Er führte Austin von dem Hügel herunter, und sie ritten durch die Wiesen, auf denen Pferde grasten, bis sie zu einem mit Bäumen gesäumten Fahrweg gelangten, der zu Gants Haus führte. Austin hatte zwar mit einer Villa gerechnet, aber auf die im Tudorstil gehaltene architektonische Monstrosität, die die wunderschöne Landschaft Virginias verschandelte, war er absolut nicht vorbereitet.

»Eine beeindruckende Hütte«, sagte er. »Die Stiftung bezahlt Sie offensichtlich fürstlich, Mr. Gant.«

»Ich war ein international erfolgreicher Geschäftsmann, ehe ich meinen Irrweg erkannt und das Global Interest Network gegründet habe.«

»Es ist immer nett, wenn man ein Hobby hat.«

Gant reagierte mit einem Zahnpastalächeln. »Es ist kein Hobby, Mr. Austin. Ich nehme meine Arbeit sehr ernst.«

Sie saßen ab und reichten die Zügel dem Pferdeknecht, der die Pferde zu einem Platz brachte, an dem mehrere Pferdewagen abgestellt waren.

Gant beobachtete, wie Austin seiner Stute nachschaute.

»Sie werden Ihr Tier gut versorgen. Übrigens ein sehr schönes Pferd.«

»Danke. Ich habe die Stute für ein paar Stunden geliehen, um hierherzukommen.«

»Darüber habe ich schon nachgedacht«, sagte Gant. »Wie sind Sie durch meine Sicherheitszäune gekommen? Ich habe überall Kameras und Alarmanlagen installiert.«

»Wahrscheinlich hatte ich nur Glück«, erwiderte Austin mit unbewegtem Gesicht.

Gant vermutete, dass Austin sicherlich seinem Glück gelegentlich nachhalf, doch er verfolgte das Thema nicht weiter. Er würde später mit Doyle darüber sprechen. Sein Sicherheitschef kam auf sie zu. Er betrachtete Austin prüfend, da er der Einzige war, der keine Jagdkleidung trug. »Gibt es ein Problem, Mr. Gant?«

»Ganz und gar nicht. Dies ist Kurt Austin. Er ist mein Gast, Merk dir sein Gesicht, damit du ihn das nächste Mal, wenn du ihn wiedersiehst, gleich erkennst.«

Doyle lächelte, aber die Augen, mit denen er Austins Gesicht studierte, waren so kalt wie die einer Viper.

Gant geleitete Austin in einen geräumigen Innenhof, wo sich eine Gruppe von rotbejackten Gästen versammelt hatte. Die kühnen Jäger tranken Champagner aus schlanken Gläsern und lachten, während sie in ihren angeregten Gesprächen die morgendliche Jagd noch einmal Revue passieren ließen. Es war eine reine Männergesellschaft und außerdem hochkarätig besetzt. Austin verbrachte nicht viel Zeit in Washington, aber er erkannte die Gesichter einiger Politiker, Regierungsvertreter und Lobbyisten. Gant war offensichtlich eine große Nummer in den Wirtschaftskreisen der amerikanischen Hauptstadt.

Er führte ihn weiter über einen Kiesweg zu einem Tisch aus poliertem Marmor, der abseits in der Ecke eines englischen Gartens stand. Er befahl einem Hausangestellten, eine Karaffe mit Eiswasser zu bringen, und forderte Austin auf, Platz zu nehmen.

Austin setzte sich, legte seine Mütze auf den Tisch und schaute sich um. »Ich hatte keine Ahnung, dass in Virginia noch private Fuchsjagdgesellschaften existieren.«

»Es gibt keine Jagdclubs, zumindest nicht offiziell. Wir sind lediglich eine Gruppe alter Freunde, die versuchen, einen uralten englischen Brauch am Leben zu erhalten.«

»Das ist sehr lobenswert. Ich war schon immer traurig darüber, dass die alte englische Sitte des öffentlichen Ausweidens und Vierteilens bei lebendigem Leib ebenfalls über Bord gegangen ist.«

Gant lachte verhalten. »Wir sind beide sehr beschäftigte Männer, daher lassen Sie uns keine Zeit mit historischen Betrachtungen vergeuden. Was kann ich für Sie tun?«

»Ihre Pläne für eine Polverschiebung zu den Akten legen.«

»Ich komme Ihnen entgegen und will mal so tun, als wüsste ich, wovon Sie reden, Mr. Austin. Warum sollte ich diese sogenannte Verschiebung unterlassen?«

»Weil, wenn Sie es nicht tun, Sie die ganze Welt in große Gefahr bringen könnten.«

»Wie das?«

»Ich habe keine Ahnung, welches Interesse Sie daran haben könnten, die magnetischen Pole zu tauschen. Vielleicht finden Sie es zunehmend langweilig, unschuldige Tiere abzuschlachten. Aber was Sie offenbar nicht wissen, ist, dass eine magnetische Verschiebung gleichzeitig eine geologische Bewegung der Erdkruste bewirkt. Und deren Folgen sind katastrophal.«

Gant starrte Austin einen Moment lang an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus, bis seine Augen tränten.

»Das ist ja die tollste Science-Fiction, die ich je gehört habe, Mr. Austin. Ist das der Weltuntergang?«

»So etwas Ähnliches«, sagte Austin mit einer Stimme, die an seiner Ernsthaftigkeit keinen Zweifel ließ. »Die ozeanischen Störungen, die den Untergang der Southern Belle und eines Ihrer Transmitterschiffe zur Folge hatten, sind nur harmlose Vorboten der Vernichtung, mit der wir rechnen müssen. Ich hatte gehofft, Sie würden sich überzeugen lassen und Ihre Pläne auf Eis legen.«

Gants freundlicher Gesichtsausdruck verschwand und machte einem sardonischen Lächeln und einer spöttisch hochgezogenen Augenbraue Platz. Austin direkt in die Augen blickend, meinte er: »Ich sehe Folgendes, Mr. Austin, nämlich jemanden, der sich eine wilde Geschichte aus den Fingern gesogen hat, deren Sinn mir völlig entgeht.«

»Demnach beeinflussen meine Warnungen Ihre Pläne kein bisschen.« Austins Frage klang eher wie eine Feststellung.

Der Hausdiener erschien mit einer Karaffe und zwei Gläsern.

»Eins würde ich gerne wissen, Mr. Austin, nämlich wie Sie darauf kommen, dass ich an einem derart bizarren Vorhaben beteiligt sein könnte?«

»Ich habe das aus Spiders Mund erfahren.«

»Wie bitte?«

»Ich rede von Spider Barrett, dem Mann, der die Technik für den Polsprung entwickelt hat.«

»Dieser Barrett hat Ihnen Geschichten erzählt, die mindestens genauso seltsam sind wie sein Name.«

»Das glaube ich nicht. Er und sein Partner, Margrave, sind Genies, die über das Geld und das Wissen verfügen, es zu beweisen. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie Sie in dieses Bild hineinpassen.«

»Einer Tatsache können Sie sich zumindest sicher sein, Austin. Dass Sie herkamen, war ein großer Fehler.«

»Das dachte ich mir auch schon.« Austin nahm seine Mütze und legte sie auf seinen Schoß. »Sie haben offensichtlich an dem, was ich zu sagen habe, kein Interesse. Ich denke, ich sollte jetzt gehen. Vielen Dank für das Wasser.«

Er stand auf und setzte sich die Mütze auf den Kopf. Gant erhob sich ebenfalls. »Ich lasse Ihnen Ihr Pferd holen.«

Angeheizt durch größere Mengen Alkohol wurde die Unterhaltung im Patio ständig lauter. Gant winkte einem Pferdeknecht und befahl ihm, Austins Araber zu holen. Wenig später schwang Austin sich in den Sattel. Doyle sah, wie er Anstalten machte aufzubrechen, und kam herüber. Er ergriff einen der Zügel, als wollte er ihm helfen.

»Ich finde schon selbst hinaus, Mr. Gant. Danke für Ihre Gastfreundschaft.«

»Sie müssen mal wieder herkommen, wenn Sie mehr Zeit zur Verfügung haben.«

»Das tue ich ganz bestimmt.«

Er trieb das Pferd mit dem Knie an, und es schob Doyle aus dem Weg. Doyle war ein typischer Stadtbewohner, und die einzigen Pferde, mit denen er in Berührung gekommen war, ehe er für Gant zu arbeiten begann, waren die Tiere der berittenen Polizei von Boston gewesen. Er ließ die Zügel los und wich zurück, um nicht von einem Pferdehuf getroffen zu werden. Austin bemerkte die Angst in Doyles Augen und grinste. Er schlug mit den Zügeln leicht auf den Hals des Tieres und entfernte sich im Galopp vom Haus.

Doyle schaute Austin nach. Sein Gesicht war hart wie Granit. »Soll ich mich um ihn kümmern?«

»Nicht hier. Und nicht jetzt. Jemand soll ihm folgen. Ich möchte nur zu gerne wissen, wie er überhaupt auf das Grundstück gelangt ist.«

»Ich kümmere mich darum.«

»Wenn du damit fertig bist, habe ich noch einen anderen Job für dich. Ich erwarte dich in einer Viertelstunde im Garten.«

Während Gant sich entfernte, um mit seinen Gästen zu plaudern, angelte Doyle ein tragbares Sprechfunkgerät aus der Tasche und übermittelte zwei Wächtern, die in einem Jeep an der Hauptstraße zum Haus saßen, einen barschen Befehl. Der Fahrer hatte kaum bestätigt, den Befehl verstanden zu haben, als eine Araberstute mit einem geduckten Reiter im Sattel an ihm vorbeigaloppierte. Der Fahrer ließ den Motor des Jeeps an, legte den ersten Gang ein und gab Gas.

Der Wagen war mit fast hundert Sachen unterwegs, als er an einer kleinen Gruppe Ulmen vorbeiraste, hinter der Austin sich versteckte. Er schaute dem Jeep nach, konsultierte ein tragbares GPS-Gerät und ritt dann über die Wiesen und Felder bis zu dem Wald, der die Grenze des Besitzes markierte. Ein Pferd mit Reiter tauchte zwischen den Bäumen auf und kam auf Austin zu.

»Ein schöner Tag für einen gemütlichen Ausritt, alter Junge«, sagte Zavala in einem lahmen Versuch, einen hochgestochenen englischen Akzent zu imitieren.

»Tallyho, gib ihm Saures, hoch die Tassen und lang lebe die Queen«, sagte Austin, ebenfalls einen Vertreter des englischen Landadels mimend.

Sie ließen sich Zeit, gestatteten ihren Pferden, in einen gemütlichen Trab zu fallen, und kamen schließlich auf der anderen Seite aus dem Wald heraus, wo die Bäume für eine Straße gefällt worden waren, die von den Sicherheitsleuten bei ihren Patrouillen benutzt wurde. Es gab keinen Zaun, sondern nur eine Reihe nach außen gerichteter Schilder mit der Aufschrift BETRETEN DES GRUNDSTÜCKS VERBOTEN. Jedes der Schilder war mit einer Kamera samt Bewegungsmelder versehen.

Zavala holte ein kleines schwarzes Kästchen aus der Tasche und drückte auf einen Knopf. Als ein grünes Licht aufleuchtete, ritten sie zwischen zwei Schildern über offenes Gelände und auf eine öffentliche Straße. Ein großer Pick-up-Truck mit einem Pferdeanhänger stand am Straßenrand.

Spider Barrett stieg aus dem Führerhaus des Lastwagens, als die beiden Männer den Wagen erreichten. Nachdem die Pferde in den Anhänger geführt worden waren und die Tür verriegelt war, reichte Zavala Barrett die schwarze Box. »Sie hat einwandfrei funktioniert«, sagte er.

»Es ist ein ziemlich simples Prinzip«, erklärte Barrett. »Dieses Gerät unterbricht die Übermittlung nicht, was sie sofort merken würden. Sie verzögert sie lediglich um zwei Stunden. Dann erhalten sie ein Zeitrafferbild von Ihnen beiden, aber natürlich viel zu spät, und sie werden dafür keine Erklärung finden. Aber ich will Ihnen noch etwas viel Aufregenderes zeigen.«

Er öffnete die Tür des Lastwagens und holte einen kleinen Fernseher heraus. Er war in den Zigarettenanzünder eingestöpselt. Er schaltete den Fernseher ein, und Gants Bild erschien auf dem kleinen Bildschirm und sagte: »Dies hier ist Privatgrund«, gefolgt von Austins lakonischem »Was Sie nicht sagen.«

»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein Klugscheißer bist?«, fragte Zavala.

»Das höre ich ständig.«

Barrett ließ den Film vorlaufen bis zu einem Bild von Doyle. »Das ist der Hurensohn, der mich töten wollte«, sagte er.

Austin nahm die Baseballmütze ab und untersuchte die winzige Kamera, die in dem Harley-Davidson-Logo versteckt war. »Mr. Doyle wäre sicherlich sehr überrascht gewesen, wenn er gewusst hätte, dass Ihre glänzenden Augen ihn aus dem Grab anschauen.«

Barrett lachte. »Welchen Eindruck hatten Sie von Gant?«

»Brillant. Arrogant. Ein Psychopath. Ich habe ihn nach der Fuchsjagd beobachtet. Er betrachtete das Schlachtfeld, als ob es ein Altar wäre.«

»Gant hat mir schon immer Angst eingejagt. Ich konnte mir nie erklären, weshalb Tris sich mit ihm zusammengetan hat.«

»Wenn man etwas Böses im Schilde führt, findet man oft die seltsamsten Bettgefährten, nehme ich an. Ich hatte nicht erwartet, dass er mir meine Bitte, sich alles noch einmal zu überlegen, erfüllen würde, aber ich bekam dadurch eine Gelegenheit, ihn einzuschätzen und eine Wanze unter dem Gartentisch anzubringen, ehe ich mich aus dem Staub machte.«

»Sie funktioniert einwandfrei, hat allerdings bisher noch nichts von Bedeutung aufgenommen.«

»Meinen Sie, die Trouts haben bei Margrave mehr Glück?«, fragte Austin.

»Ich hoffe es, aber ich bin nicht besonders optimistisch.«

Austin dachte an sein Treffen mit Gant. »Ich auch nicht«, stimmte er zu.


»Ich trinke auf Arthur C. Clarke«, sagte Gant und hob sein Glas.

Er saß mit drei Fuchsjägern, die ihre roten Jacken trugen, in seinem Arbeitszimmer. Einer von ihnen, ein korpulenter Mann mit einem Gesicht wie ein Bulle, fragte: »Wer ist Clarke?«

Gants öliges Lächeln verschleierte seine Verachtung. »Er ist ein englischer Science-Fiction-Autor, der schon 1945 vorschlug, drei bemannte Satelliten in Vierundzwanzigstundenorbits über den großen Landmassen kreisen zu lassen, um Fernsehsignale zu übermitteln. Seine Vision war es, die uns heute hier zusammenführt.«

»Darauf trinke ich«, sagte der korpulente Mann mit einem englischen Akzent.

Er hob sein Glas, und Gant und die beiden anderen Männer im Arbeitszimmer folgten seinem Beispiel. Ein Mann war so hager, wie der Mann mit dem Bullengesicht dick war. Der vierte Mann im Raum war über achtzig. Er hatte versucht, die unvermeidbaren Spuren des Alterns und seines dekadenten Lebensstils durch plastische Chirurgie, Chemie und Transplantate zu beseitigen. Die Folge war ein hässliches Gesicht, das an die Leiche eines jungen Mannes erinnerte.

Selbst Gant hätte zugegeben, dass keiner seiner Partner einen Preis für seinen besonders hervorragenden Charakter errungen hätte, aber sie waren unglaublich raffinierte und skrupellose Männer, die es mit ihren multinationalen Konzernen zu unfassbarem Reichtum gebracht hatten. Und sie wurden seinen Bedürfnissen gerecht. Einstweilen.

»Ich habe Sie zu mir gebeten, damit ich Sie auf den neuesten Stand unseres Projekts bringen kann«, sagte Gant. »Alles läuft bestens.«

»Hört! Hört!«, riefen die anderen drei Männer im Chor.

»Wie Sie wissen, ist das Satellitengeschäft in den letzten dreißig Jahren rasend schnell gewachsen. Dutzende von Satelliten werden von zahlreichen Firmen betrieben, sei es für Fernsehen, Kommunikation, Militär, Wetterbeobachtung oder Telefonverkehr, und weitere Möglichkeiten zeichnen sich schon jetzt ab. Diese Satelliten sorgen für Milliardenprofite.« Er hielt inne. »Bald wird all das uns gehören.«

»Sind Sie sicher, dass nichts schiefgehen kann?«, fragte der alte Mann.

»Nichts geht schief. Der Polsprung wird eine vorübergehende Störung bewirken, aber die Satellitennetze werden elektronisch lahmgelegt sein.«

»Bis auf unsere«, sagte der hagere Mann.

Gant nickte. »Unsere durch Blei abgeschirmten Satelliten werden die einzigen sein, die noch ordnungsgemäß funktionieren. Unser Konsortium wird die weltweite Kommunikation unter Kontrolle haben. Diese Position werden wir festigen, indem wir andere Netze schlucken und weitere eigene Satelliten in Umlauf bringen.«

»Und auf diese Art und Weise weitere Milliarden verdienen«, sagte der alte Mann.

»Ja«, bestätigte Gant. »Und das Raffinierte daran ist, dass wir die anarchistischen Kräfte benutzen, um unser Ziel zu erreichen. Sie werden es sein, die bereitwillig die Verantwortung für das Auslösen des Polsprungs übernehmen. Und wenn der Zorn der Welt sich gegen sie richtet, werden Margrave und seine Leute vernichtet.«

»Alles schön und gut«, sagte der alte Mann. »Aber denken Sie daran, dass es uns nur um Geld geht.«

»Und davon wird es eine Menge geben«, sagte Gant, obgleich Geld für ihn am unwichtigsten war. Viel wichtiger war die politische Macht, über die er verfügen würde, wenn er die totale Kontrolle über die Kommunikationssysteme der Welt an sich gerissen hätte. Niemand würde irgendetwas tun können, ohne dass er darüber Bescheid wusste. Millionen von Gesprächen würden überwacht. Zugang zu sämtlichen Archiven und Datenbanken gäben ihm reichlich Hilfsmittel für politische Erpressung in die Hand. Keine Armee könnte ohne sein Wissen operieren. Seine Fernsehstationen würden die öffentliche Meinung nach Belieben steuern. Er hätte die Macht, Aufstände anzuzetteln und sie aufzulösen.

»Auf unseren englischen Freund«, sagte der Mann mit dem Bullengesicht. »Wir lautete sein verdammter Name noch mal?«

Gant sagte es ihm. Dann hob er sein Glas zu einem weiteren Toast.

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