Kurz nachdem die glühende brasilianische Sonne hinter den Bergen versunken war, verließ das ansehnliche, knapp hundertzwanzig Meter lange Expeditionsschiff Polar Adventure den Hafen von Rio de Janeiro und ging mit seiner Reisegeschwindigkeit von fünfzehn Knoten auf südlichen Kurs in Richtung Atlantik.
Die Polar Adventure war Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts auf einer dänischen Werft gebaut worden und in der Folgezeit dank eines dichten Fahrplans im Mittelmeer sowie in den Gewässern um Europa und Grönland unterwegs gewesen. In letzter Zeit waren sogar Kreuzfahrten durch die Antarktis hinzugekommen. Das Schiff war seinen Eigentümern von einer Scheinfirma abgekauft worden, die eigens für diesen Zweck von Gants Stiftung gegründet worden war.
Der Kauf tauchte lediglich als Buchhaltungsposten auf. In den Büchern waren die Millionen, die für den Kauf und die Umrüstung des Schiffs ausgegeben worden waren, für den Bau einer Fabrik in Santiago, Chile, ausgewiesen worden. Die Adventure war als kleinere Version eines Ozeankreuzers konstruiert worden. Die Erbauer hatten ihre Decks und Kabinen reichlich mit lackiertem Holz und auf Hochglanz poliertem Messing ausgestattet. Passagiere konnten ihre Reise eingebettet in den Luxus der Außenkabinen, des rundum von der Decke bis zum Boden verglasten Speisesaals, eines ähnlich ausgestatteten Salons, diverser Aussichts- und überdachter Promenadendecks sowie einer Aussichtsplattform unterhalb der Kommandobrücke genießen.
Während das Schiff durch den Südatlantik pflügte, standen Gant und Margrave tief im Innern des Schiffs auf einem Balkon. Er schob sich in einen weitläufigen freien Raum hinein. In der Mitte des Raums ragte, gestützt von einem stabilen Metallgerüst, ein hohes, kegelförmiges stählernes Gebilde auf. Dicke Kabel schlängelten sich von dem Kegel zu vier massigen Dynamos, die im Quadrat um das Kegelgebilde angeordnet waren. Eine abgedeckte Öffnung im Schiffsrumpf unter dem Kegel gestattete es, den Kegel in den Ozean abzusenken.
»Wir haben praktisch jeden nicht dringend benötigten Raum unter dem Hauptdeck für diese Einrichtung benutzt«, erklärte Margrave mit einer ausholenden Geste. »Nach unseren ersten, noch reichlich groben Experimenten kamen wir zu dem Schluss, dass wir keine vier Schiffe benötigten. Ein Schiff könnte, bei entsprechender Ausrüstung, genug Strom erzeugen, um den fraglichen Prozess in Gang zu setzen. Wir hatten die niederfrequenten Impulse von vier Schiffen aus auf einem zentralen Punkt konzentriert.«
»Was, wenn ich es richtig verstanden habe, verschiedene elektromagnetische Schwingungen in der Umgebung des Zielgebiets zur Folge hatte, wodurch unerwarteterweise hohe Wellen und Strudel wie diejenigen erzeugt wurden, die unser Transmitterschiff und die Southern Belle versenkt haben.«
»Richtig. Wir haben dieses Problem gelöst, indem wir den einzelnen Transmitter einsetzen, den Sie hier sehen, und mit einem deutlich höheren Energielevel arbeiten. Es bedeutete außerdem, dass wir kein neues Schiff bauen mussten, um das zu ersetzen, das im Zuge der anfänglichen Experimente zerstört wurde. Wir haben lediglich die Dynamos von den anderen drei Schiffen umgeladen und einen vierten hinzugefügt.«
»Sind Sie mit den Leuten, die ich Ihnen zur Verfügung gestellt habe, zufrieden?«
»Sie sehen zwar aus wie eine Bande von Halsabschneidern, aber sie können sich auf einem Schiff bewegen und wissen genau, was sie dort zu tun haben.«
»Das sollten sie auch. Sie haben schon genügend solcher Einsätze hinter sich. Ich habe meine alten Geschäftsverbindungen wiederbelebt, um sie zusammenzutrommeln. Sie sind ausnahmslos ehemalige Piraten, die für einen Schutzservice für Ozeanreisen unserer Sicherheitsfirma arbeiten.«
Die beiden Männer verließen den Transmitterraum und spazierten über den sorgfältig gebohnerten Holzboden des Promenadendecks zum Beobachtungsdeck unterhalb der Kommandobrücke. Fenster, die die gediegen möblierte Plattform umschlossen, boten einen ungehinderten Blick auf den schnittig geformten Bug, der zügig durch den Ozean glitt.
»Von hier aus beobachten die Passagiere normalerweise die Meeresfauna«, erklärte Margrave. »Wir werden die Polumkehr mit unseren elektronischen Augen verfolgen.«
Er drückte auf einen Schaltknopf in der Wand, und ein Bildschirm senkte sich von oben herab und zeigte ein Diagramm der östlichen und der westlichen Erdhalbkugel. »Ich habe schon immer ein Faible für Amateurfilme gehabt«, sagte Gant.
»Diese hier werden Ihnen ganz besonders gefallen«, erwiderte Margrave mit einem verhaltenen Lachen. »Wir beobachten die gesamte Region mit unseren mit Blei abgeschirmten Satelliten. Wir werden die Riesenwellen und die Strudel verfolgen können, die sich am Rand unseres Zielgebiets bilden. Es dürfte ein ziemlich beeindruckendes Schauspiel sein.«
»Ich hoffe, nicht zu beeindruckend.«
»Erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie diesen lächerlichen Warnungen Austins und seiner Freunde Glauben schenken.«
»Ich bin Politiker und kein Wissenschaftler. Aber ich weiß, dass Austin versucht hat, dieses Projekt mit einer Einschüchterungstaktik zu torpedieren.« Gant lächelte. »Vielleicht würde ich genauso handeln, wenn ich an seiner Stelle wäre und hilflos mit ansehen müsste, wie etwas abläuft, das ich nicht aufhalten kann.«
»Wir haben die Kovacs-Theoreme nicht so einfach unbesehen übernommen. Wir haben Dutzende Male Computermodelle erstellt und überprüft. Die Wellen und Wirbel, die am Rand des Zielgebiets entstehen, entfernen sich von ihm weg. Wir gehen davon aus, dass in der Gegend nicht allzu viel Schiffsverkehr herrschen wird, aber bei großen Unternehmen sind Kollateralschäden nicht immer zu vermeiden.«
»Werden unsere Kompasse sich sofort verändern?«
»Davon gehen wir aus. Unsere Navigationsgeräte werden rekalibriert, kurz bevor wir den Polsprung in Gang setzen, und sich unserer abgeschirmten Satelliten bedienen.« Ein satanisches Grinsen spielte um Margraves Lippen. »Unser Schiff wird auf der ganzen Welt das einzige sein, das einwandfrei navigieren kann. Da draußen wird ein beträchtliches Durcheinander herrschen.«
»Erzählen Sie mir mehr über das Zielgebiet«, sagte Gant.
»Dies können Sie dort oben auf dem Schirm erkennen. Es ist unsere Freundin, die Südatlantische Anomalie. Wie ich Ihnen bereits erklärt habe, ist sie im Grund eine Art Loch in der Magnetosphäre, wo ihre abschirmende Wirkung besonders gering ist.« Er deutete auf eine Stelle, wo sich Längen- und Breitengrade kreuzten. »Etwa fünfhundertfünfzig Kilometer vor der Küste Brasiliens befindet sich der Bereich der schwächsten Polarität, wo ein natürlicher Polsprung stattfinden würde.«
»Der neue Nordpol«, sagte Gant.
Margrave lachte. »Ich kann es kaum erwarten, die Gesichter der führenden Eliten dieser Welt zu sehen, wenn sie feststellen müssen, dass die Warnungen Lucifers kein leeres Gerede waren.«
Gant quittierte diese Feststellung mit einem zufriedenen Grinsen. Er konnte es kaum erwarten, Margraves Gesicht zu sehen, wenn er erfuhr, dass die ganze Arbeit und das Vermögen, die er in das Polsprung-Projekt investiert hatte, genau den Eliten nützte, die er verabscheute.