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Das dreißigstöckige, röhrenförmige Bauwerk, in dem die National Underwater and Marine Agency residierte, stand auf einem Hügel in East Washington und blickte auf den Potomac River hinab. Rundum mit grünem, wärmereflektierendem Glas verkleidet, war es die Heimat von Tausenden Ozeanographen, Schiffsingenieuren und den Labors und Computern, in und mit denen sie ihrer Arbeit nachgingen.

Austins Büro war eine spartanische Angelegenheit in der vierten Etage. Es verfügte über die übliche Ausstattung, darunter ein Schreibtisch, ein Computer und ein Aktenschrank. Die Wände waren mit Fotos von NUMA-Forschungsschiffen, Karten von den Weltmeeren und einem Clipboard geschmückt, an dem Kopien von wissenschaftlichen Aufsätzen und Nachrichtenmeldungen flatterten. Auf dem Schreibtisch stand ein Lieblingsfoto von Austins Mutter und Vater beim Segeln auf dem Puget Sound. Es war in glücklichen Zeiten aufgenommen worden, ehe seine Mutter an einer tückischen Krankheit gestorben war.

Die Schlichtheit des Büros war zum Teil durchaus Absicht. Da die Arbeit des Spezialteams für Sondereinsätze vorwiegend geheim war, wollte Austin so perfekt wie möglich mit der NUMA-Fassade verschmelzen. Der andere Grund für die rein funktionelle Einrichtung seines Büros erklärte sich aus der Tatsache, dass er oft in Missionen unterwegs war, die ihn um den ganzen Erdball führten. Sein Arbeitsplatz waren eigentlich die Weltmeere.

In der gleichen Etage befand sich auch der Sitzungssaal der NUMA, ein imposanter Raum mit einem drei Meter langen Konferenztisch, der aus dem hölzernen Rumpfstück eines versunkenen Schiffs hergestellt worden war. Austin hatte sich für einen kleineren und weniger repräsentativen Raum als den Sitzungssaal entschieden, um Strategiegespräche abzuhalten. Der kleine Arbeitsraum, dessen Wände aus deckenhohen Regalen voller Bücher über das Meer bestanden, war ein ruhiger Ort, der häufig von denen benutzt wurde, die darauf warteten, die Ergebnisse ihrer jeweiligen Arbeit vorzustellen.

Während Austin an einem Eichentisch in der Mitte des Arbeitszimmers saß, dachte er an Churchills »War Room« und an das Oval Office, wo Entscheidungen getroffen wurden, die die Zukunft der Welt beeinflussten. Er hatte keine Infanterie­divisionen oder mächtigen Flotten zu seiner Verfügung, überlegte er. Er hatte Joe Zavala, der in jedem Fall mehr davon hielt, mit einer schönen Frau neben sich in seinem Corvette Cabrio spazieren zu fahren, Barrett, einen brillanten Computerfreak mit einer Spinnentätowierung auf dem Schädel, und die schöne und intelligente Karla Janos, mit der Austin sich viel lieber bei einem Cocktail über Gott und die Welt unterhalten hätte.

»Paul und Gamay sind auf dem Rückweg aus Maine«, verkündete er. »Ihnen ist es nicht gelungen, Margrave von seinen Plänen abzubringen.«

»Damit haben wir nur noch eine Option«, sagte Karla. »Wir müssen diesen Wahnsinnsplan irgendwie selbst stoppen.«

Austin blickte über den Tisch zu Karla und studierte ihr klares, offenes Gesicht und ihren perfekt modellierten Mund. Dabei ging ihm der Gedanke durch den Kopf, dass es verdammt unfair war, dass dieses für romantische Gefühle wie geschaffene Wesen sich mit einer tödlichen Bedrohung für die ganze Welt herumschlagen musste. Karla bemerkte, dass Austins blaue Augen voller Interesse auf sie gerichtet waren. Sie hob eine ihrer wie gemalt wirkenden Augenbrauen. »Ja, Kurt?«

Sich ertappt fühlend, räusperte Austin sich. »Ich hatte grade überlegt, wie es wohl Ihrem Onkel geht.«

»Genau genommen ist er mein Patengroßvater, falls es so etwas überhaupt gibt, aber es geht ihm gut, um Ihre Frage zu beantworten. Er ist nur ziemlich erschöpft. Das Krankenhaus möchte ihn noch für ein paar Tage dabehalten. Er soll seinen Knöchel schonen. Aber er wird wahrscheinlich seine Sachen packen und verschwinden, sobald er sich ein wenig ausgeruht hat.«

»Es freut mich, dass er auf dem Weg der Besserung ist. Ich kann Sie nach unserer Besprechung am Krankenhaus absetzen. Wenn wir hier fertig sind, fahre ich zu einer Veranstaltung in der Nähe des National Battlefield in Manassas, um Dirk Pitt, den Direktor der NUMA, über die jüngste Entwicklung zu unterrichten.«

»Gehört Pitt etwa zu den Verrückten, die den Bürgerkrieg nachspielen?«, fragte Zavala.

»Mit dem Ausgang ist er durchaus zufrieden, soweit ich weiß, aber er wurde zu irgendeiner Wohltätigkeitsgeschichte in der Nähe von Bull Run verdonnert. Er möchte gerne schon vor dem Treffen im Weißen Haus Bescheid wissen. Was hast du für uns, Joe?«

»Gute Neuigkeiten. Ich habe Yeager gebeten, die Daten der Werften zu durchforsten. Ich dachte, wenn wir rauskriegen, wo die Transmitterschiffe gebaut wurden, könnten wir vielleicht auch in Erfahrung bringen, wo sie zur Zeit liegen. Aber sogar Max zog eine Niete. Als Nächstes nahm ich mir die Generatoren vor. Ich ging davon aus, dass sie vielleicht ganz normal zu kaufen sind.«

»Die Generatoren, die wir gesehen haben, dürften wohl kaum im Elektroladen um die Ecke zu kriegen sein.«

»Nur wenige Firmen stellen derart große Geräte her«, sagte Zavala. »Ich habe mir jede vorgenommen und mir ihre Verkäufe während der letzten drei Jahre angeschaut. Sämtliche Geräte gingen an Stromerzeuger, bis auf eine Lieferung an eine Firma in Südamerika, die zu Gants Stiftung gehört. Zum selben multinationalen Konzern, dem eine Reederei in Mississippi gehört. Eine sehr seltsame Kombination, vor allem, da beide Betriebe zu einer auf Gemeinnützigkeit ausgerichteten Interessengruppe gehören.«

»Bist du sicher, dass die Stiftung in beiden Fällen die Eigentümerin ist?«

»Ganz sicher. Ich habe mich durch die Registrierungsunter­lagen der Firma gewühlt, und sie ist tatsächlich gemeinnützig. Sie besitzt eine in Delaware ansässige Scheinfirma. Ich habe jemanden von der NUMA vorgeschoben, der vorgab, eine Werft zu suchen, die bereit wäre, eins unserer Forschungsschiffe umzurüsten. Die Firma selbst scheint echt zu sein. Das Management ließ durchblicken, sie hätten soeben erst einen größeren Umrüstungsauftrag ausgeführt — Einzelheiten wollten sie nicht nennen — und würden gerne ein Angebot einreichen.«

»Demnach sind die Schiffe noch dort?«

»Sie sind vor mehreren Tagen ausgelaufen. Ich habe mich dann in den Archiven der NUMA-Satelliten informiert. Vier Schiffe haben in der vergangenen Woche die Werft verlassen.«

»Vier?«

»Drei Transmitterschiffe und vermutlich ein Passagierschiff. Sie müssten nach Südamerika unterwegs sein.«

Barrett hatte seit der Computersimulation kein Wort mehr gesagt. Jetzt gab er sich einen Ruck. »Vielen Dank für Ihre fleißige Arbeit, Joe. Ich habe wegen dieser Sache ein furchtbar schlechtes Gewissen. Ich denke ständig, dass diese Tragödie allein meine Schuld ist.«

»Überhaupt nicht«, widersprach Karla. »Sie konnten doch nicht ahnen, dass Ihre Arbeit für derart destruktive Zwecke verwendet würde. Das ist nicht anders als bei meinem Großvater. Er interessierte sich ausschließlich für den wissenschaftlichen Aspekt.« Karla schüttelte den Kopf, während ein Lächeln auf ihrem Gesicht erschien. »Drunter-drüber«, sagte sie.

Sie lachte über die verwirrten Gesichter am Tisch.

»Das ist der Titel eines Gute-Nacht-Gedichts, das mein Großvater mir immer aufgesagt hat. Kein besonders gutes Gedicht, doch er meinte, ich solle es mir merken, dann könne mir nichts passieren.« Sie legte die Stirn in Falten, während sie versuchte, sich an den Text zu erinnern.

Drunter-drüber, Drüber-drunter,

Ganz plötzlich macht es bumm.

Der Himmel steht in Flammen,

Die Erde ist ganz dumm,

Der Ozean fließt herum.

Auf ihren Vortrag folgte Schweigen, das Karla schließlich selbst durchbrach.

»Mein Gott«, sagte sie. »Ich habe soeben Polarlichter, Erdbeben und Tsunamis beschrieben.«

»Mit anderen Worten, einen Polsprung«, stellte Austin fest. »Erzählen Sie ruhig weiter.«

»Ich versuch’s. Es ist lange her.« Sie blickte zur Decke.

»Jede Strophe beginnt mit dem gleichen Drunter-drüber-Reimpaar, und dann ändert sich die Strophe. Die nächste lautet: ›Der Schlüssel steckt in der Tür, / Wir dreh’n den Knauf, der Riegel schnappt, / Damit das Meer verstummt.‹ Danach kommen noch mehrere Strophen, bis das Gedicht mit meiner Lieblings­strophe endet: ›Der Tag ist da, vorbei die Nacht, / Die Welt ist wieder gut, / Denn Karla träumt, / Und alles wieder lacht.‹«

Barrett holte einen Kugelschreiber und ein Notizbuch aus der Tasche und schob es über den Tisch zu Karla hin. »Könnten Sie jede Strophe aufschreiben?«

»Ja, aber –« Karla war ein wenig verwirrt. »Glauben Sie, dieser Quatsch hat irgendeinen Sinn?«

»Ich bin nur neugierig«, sagte Barrett.

»Wir sollten jede Spur verfolgen, egal wie seltsam sie uns vorkommen mag«, meinte Austin. Er warf einen Blick auf eine Wanduhr. »Ich muss los. In zwei Stunden treffen wir uns wieder hier.«

Er bat Zavala, den Trouts Bescheid zu sagen, dass sie den Transmitter-Schiffen auf der Spur bleiben sollten, dann wandte er sich an Karla. »Ich könnte Sie jetzt zum Krankenhaus mitnehmen«, sagte er.

»Ich fahre später zu Onkel Karl. Wenn ich ihn jetzt besuche, dann verlangt er bloß von mir, ihm bei seiner Flucht aus dem Krankenhaus behilflich zu sein. Ich würde Sie viel lieber zu Mr. Pitt begleiten«, gestand sie.

»Also ich weiß nicht«, erwiderte Austin. »Ich halte es für besser, wenn Sie vorerst in der Versenkung bleiben.«

»Schon möglich, aber ich will mich nicht verstecken. Es besteht immerhin die Chance, dass derjenige, der meinen Tod befohlen hat, nicht weiß, dass ich noch am Leben bin.«

»Ich möchte, dass es auch so bleibt.«

»Die Arbeit meines Großvaters hat diesen Unsinn erst in Gang gesetzt. Ich bin es ihm schuldig, dafür zu sorgen, dass seine Arbeit nicht auf eine solche Art und Weise missbraucht wird.«

Als er den entschlossenen Ausdruck in Karlas Augen sah, wusste Austin, dass er es nicht schaffen würde, sie umzustimmen.

Eine Viertelstunde später suchten Austin und Karla sich einen Wagen aus der Pkw-Flotte in der NUMA-Tiefgarage aus. Während Austin den Wagen aus der Garagenausfahrt lenkte und sich in den für Washington typischen dichten Verkehr einfädelte, wurden er und Karla durch die Ein-Weg-Fenster eines Vans beobachtet, der vollgestopft war mit der modernsten Abhör- und Beobachtungselektronik. Die Aufschrift auf der Seitentür wies ihn als ein Dienstfahrzeug der Metropolitan Transit Authority aus.

Im Innern des Vans sog Doyle gierig an einer Zigarette, während er und ein Helfer mehrere Monitore beobachteten, die die Straßenszene rund um das NUMA-Gebäude zeigten. Versteckte Kameras im Van und einem ähnlichen Fahrzeug, das vor dem Haupteingang der NUMA-Zentrale parkte, zeichneten das Gesicht jeder Person auf, die das Gebäude verließ, und verglichen es mit den Bildern in einer umfangreichen Datenbank. Das Erkennungssystem konnte mehr als tausend Gesichter in der Sekunde überprüfen.

Der Monitoralarm summte. Das Signal für einen Treffer. Das Bild von Austin hinter dem Lenkrad eines türkisfarbenen Jeep Cherokee, der die Garage verlassen hatte, wurde auf einen der Schirme übertragen. Unter Austins Konterfei befand sich eine Zusammenfassung seiner persönlichen Daten. Doyles harte Augen funkelten vor Erregung. Bingo! Kaum hatte er seinem Helfer befohlen, sich auf den Fahrersitz zu schwingen und dem Jeep zu folgen, als ein zweiter Monitor summte. Das Bild einer attraktiven jungen Frau, die auf dem Beifahrersitz des Jeeps saß, füllte den Bildschirm. Die Datenbank identifizierte sie als Karla Janos.

Zweimal Bingo!

Ein Lächeln spielte um Doyles Lippen. Er konnte es kaum erwarten, Gants Gesicht zu sehen, wenn er ihm erzählte, dass Karla Janos gesund und wohlauf war und mit dem Feind zusammenarbeitete. Während der Van sich in Bewegung setzte und an den Jeep hängte, rief Doyle ein Motel in Alexandria an, wo sechs Harley-Davidson-Motorräder bereitstanden. Minuten später tauchten sechs Männer aus dem Motel auf, schwangen sich auf die Motorräder und machten sich auf den Weg, um mit Doyle zusammenzutreffen.

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