Dick Francis Rat Race

Kapitel 1

Die ersten vier Passagiere nahm ich in White Waltham an Bord der neuen Cherokee Six 300, der leider nur ein kurzes Dasein beschieden sein sollte. Die hellblauen Polster rochen nach neuem Leder, kein einziger Kratzer verunzierte den strahlend weißen Rumpf. Ein hübsches, kleines Flugzeug, solange es noch als solches erkennbar war.

Sie hatten mich für zwölf Uhr bestellt, waren aber schon in der Bar, als ich um zwanzig vor landete. Drei doppelte Whiskys und eine Limonade.

Ihre Identifizierung war nicht weiter schwierig: An einem kleinen Tisch standen mehrere Stühle, auf denen vier leichte Regenmäntel lagen, drei Feldstecher, zwei Ausgaben der Sporting Life und ein leichter Rennsattel. Die vier Passagiere standen in lockerer Formation, zusammengeführt offenkundig nicht durch Freundschaft, sondern durch geschäftliche Interessen. Keiner von ihnen sprach, aber man spürte, daß ein Wortwechsel vorausgegangen war. Einem von ihnen, einem ziemlich großen Mann, stand der Zorn noch ins Gesicht geschrieben. Der kleinste, offensichtlich ein Jockey, stand steif und mit hochroten Wangen da. Und die beiden anderen, ein älterer Mann und eine Frau in mittleren Jahren, hatten ihre Blicke so unverwandt ins Leere gerichtet, daß es dafür nur eine Erklärung geben konnte: Nachtschwarze Gedankenwolken ballten sich in ihren Köpfen zusammen.

Ich ging durch den großen Warteraum auf sie zu und wandte mich an eine unbestimmte Stelle in der Luft.

«Major Tyderman?«

Der ältere Mann, der mit» Ja?«antwortete, mußte sich seinen Major in längst vergangenen Tagen verdient haben; er ging wohl schon auf die Siebzig zu, hatte sich aber gut in Form gehalten. Klein, durchtrainierter Körper, drahtiger, kurzer Schnurrbart und scharfe kleine Augen. Das sich lichtende, dünne, graumelierte Haar war seitlich über den Schädel gekämmt, und den Kopf hielt er militärisch steif, das Kinn fast auf der Brust. Angespannt. Sehr angespannt. Und wachsam, mit einer Tendenz, die Welt grundsätzlich mit Argwohn zu betrachten.

Er trug einen leichten, rehbraunen Anzug, dessen Schnitt vage an seine militärische Vergangenheit erinnerte, und hatte im Gegensatz zu den anderen seinen Feldstecher nicht abgelegt, sondern so über die Brust gehängt, daß das Futteral wie ein Schottentäschchen von seinem Bauch abstand. Klubabzeichen aus Metall und bunter Pappe hingen zu beiden Seiten in dicken Büscheln davon herunter.

«Ihr Flugzeug ist da, Major«, sagte ich.»Ich bin Matt Shore… Ich fliege Sie.«

Er warf einen Blick über meine Schulter, als suche er nach jemand anderem.»Wo ist Larry?«fragte er scharf.

«Er hat gekündigt«, antwortete ich.»Eine Stelle in der Türkei angetreten.«

Der Blick des Majors brach seine Suche ruckartig ab.»Sie sind neu«, sagte er vorwurfsvoll.

«Ja«, gab ich zu.

«Ich hoffe, Sie kennen den Weg.«

Er meinte es ernst. Ich sagte höflich:»Ich werde mein Bestes tun.«

Die Frau, die links vom Major stand, sagte tonlos:»Als ich das letzte Mal zum Rennen geflogen bin, hat der Pilot sich verflogen.«

Ich sah sie an und schenkte ihr das vertrauenerweckendste Lächeln, das ich zustande brachte.»Das Wetter ist heute so gut, daß wir in dieser Hinsicht nichts zu befürchten haben.«

Das entsprach nicht der Wahrheit. Der Wetterbericht hatte für diesen Juninachmittag Kumuluswolken angekündigt. Und jeder konnte sich verfliegen, wenn nur die entsprechenden Pannen passierten. Die Frau gab sich keinen Illusionen hin, das verriet mir der Blick, mit dem sie mich bedachte. Und ich gab den Versuch auf, Zuversicht zu verströmen. Sie brauchte keine. Sie hatte alle Zuversicht der Welt. Sie war fünfzig und von zerbrechlichem Äußeren, ergrauendes Haar, kinnlanger Pagenschnitt mit geradem Pony. Ihre sanften, braunen Augen lagen unter dichten, dunklen Brauen, und ihr Mund verhieß scheinbar Freundlichkeit. Aber ihre Haltung und ihr Benehmen verrieten eine natürliche Autorität, die auf viel stabilerem Fundament ruhte als die des Majors. Sie war die einzige von den vieren, die sich äußerlich nichts von einer etwaigen Verstimmung anmerken ließ.

Der Major hatte auf die Uhr geschaut.»Sie sind früh dran«, sagte er.»Wir haben noch Zeit für einen zweiten Drink. «Er wandte sich an den Barkeeper und bestellte noch eine Runde für sich und die drei anderen, bevor er, als sei ihm dieser Gedanke erst jetzt gekommen, mich fragte:»Möchten Sie auch etwas?«

Ich schüttelte den Kopf.»Nein, danke.«

«Acht Stunden vorm Flug kein Alkohol mehr«, bemerkte die Frau ohne besondere Anteilnahme.»Stimmt’s?«

«Mehr oder weniger«, pflichtete ich ihr bei.

Der dritte Passagier, der große Mann mit dem wütenden Gesicht, sah mürrisch zu, wie der Barkeeper einen doppelten Johnnie Walker abmaß.»Acht Stunden. Gütiger Gott«, sagte er. Er sah so aus, als vergingen bei ihm selten acht Stunden, ohne daß er zwischendurch nachtankte. Seine Knollennase, die purpurnen Äderchen auf seinen Wangen, die aufgeschwemmte Wampe — dafür war wohl ein nettes Sümmchen Alkoholsteuer draufgegangen.

Die Spannung, die bei meinem Erscheinen geherrscht hatte, legte sich langsam. Der Jockey nippte an seiner kalorienreduzierten Limonade; die helle Röte wich von der straffen Haut über seinen Wangenknochen und war nur noch in blasseren Flecken auf seinem Hals zu sehen. Etwa Anfang Zwanzig, rötliches Haar, von Natur aus kleine Statur, feuchtglänzende Haut. Kaum Gewichtsprobleme, dachte ich. Keine Entwässerung nötig. Der Glückspilz.

Der Major und sein stämmiger Freund tranken hastig, murmelten Unverständliches und entfernten sich schließlich in Richtung Herrentoilette. Die Frau sah den Jockey an und sagte mit einer Stimme, die freundlicher klang, als ihre Worte es hätten vermuten lassen:»Haben Sie den Verstand verloren, Kenny Bayst? Wenn Sie sich weiter mit Major Tyderman anlegen, können Sie sich nach einem neuen Job umsehen.«

Der Jockey warf mir einen flüchtigen Blick zu, schaute dann wieder weg und klappte seinen Kußmund entschlossen zu. Er stellte das noch halbvolle Limonadenglas auf den Tisch und griff nach einem der Regenmäntel und dem Rennsattel.

«Welches Flugzeug?«fragte er mich.»Ich möchte meine Sachen verstauen.«

Er hatte einen starken australischen Akzent, in dem jetzt eine gereizte Schärfe mitschwang. Der Blick, mit dem die

Frau ihm nachsah, hätte als Lächeln durchgehen können, wäre nicht die Kälte in ihren Augen gewesen.

«Der Gepäckraum ist abgeschlossen«, sagte ich.»Ich begleite Sie. «Zu der Frau sagte ich:»Soll ich Ihren Mantel mitnehmen?«

«Ja, danke. «Sie zeigte auf den Mantel, der offensichtlich ihr gehörte, ein leuchtend rostfarbenes Ding mit Kupferknöpfen. Ich nahm ihn mitsamt ihrem profihaften Fernglas vom Stuhl und folgte dem Jockey ins Freie.

Nachdem er etwa zehn Schritte in stiller Wut zurückgelegt hatte, platzte er heraus:»Es ist so verdammt einfach, dem Mann auf dem Pferd die Schuld zu geben.«

«Der Pilot ist immer schuld«, sagte ich milde.»Hart, aber ungerecht.«

«Wie?«sagte er.»O ja. Wie recht Sie haben. So ist es.«

Wir kamen an das Ende des Wegs und gingen quer über den Rasen. Der Jockey verströmte noch immer heiße Wut. Ging mich nichts an.

«Nur der Vollständigkeit halber«, sagte ich,»wie heißen meine anderen Passagiere eigentlich? Außer dem Major, meine ich.«

Er drehte sich überrascht zu mir um.»Sie kennen unsere Annie nicht? Annie Villars? Sieht aus wie die nette, alte Oma von nebenan und hat eine Zunge, mit der man einem Känguruh die Haut abziehen könnte. Jeder kennt die kleine Annie. «Er klang verdrossen und ernüchtert.

«Ich verstehe nicht viel vom Pferderennen«, sagte ich.

«Nein? Nun, sie ist Trainerin. Eine verdammt gute Trainerin, das muß man ihr lassen. Sonst würde ich auch nicht bei ihr bleiben. Nicht bei der scharfen Zunge. Ich sag Ihnen was, Sportsfreund, die Frau hat einen Ton am Leib, wenn sie ihre Stallburschen auf der Galoppbahn antreibt, da würde jeder Oberfeldwebel vor Neid erblassen. Aber honigsüß bei den Besitzern. Die fressen ihr aus ihrem zierlichen Händchen.«

«Die Pferde auch?«

«Hm? O ja. Die Pferde lieben sie. Und sie kann reiten wie ein Jockey, wenn sie Lust dazu hat. Nicht daß sie das heute noch sonderlich oft täte. Kommt wohl in die Jahre. Aber trotzdem. Die Frau weiß, was sie tut, soviel steht fest. Sie weiß, was ein Pferd bringen kann und was nicht, und das ist in diesem Spiel die halbe Miete.«

In seiner Stimme schwangen Groll und Bewunderung zu etwa gleichen Teilen mit.

Ich fragte:»Wie heißt der andere Mann? Der große.«

Diesmal war es Groll pur, ohne Bewunderung. Langsam, Silbe für Silbe, spie er den Namen aus und verzog dabei angewidert das Gesicht.

«Mr. Eric Goldenberg.«

Nachdem er den Namen losgeworden war, machte er seinen Mund fest zu und nahm sich ganz offensichtlich die Bemerkung seiner Arbeitgeberin zu Herzen. Wir erreichten das Flugzeug und verstauten die Mäntel und seinen Sattel in dem Gepäckabteil hinter den Rücksitzen.

«Wir fliegen zuerst nach Newbury, nicht wahr?«erkundigte er sich.»Um Colin Ross abzuholen?«

«Ja.«

Er warf mir einen sardonischen Blick zu.»Also, von Colin Ross müssen Sie gehört haben.«

«Ich denke«, sagte ich,»das habe ich.«

Alles andere wäre auch schwierig gewesen, denn der Championjockey war doppelt so beliebt wie der Premierminister und verdiente sechsmal soviel Geld. Sein Gesicht war auf der Hälfte aller Plakatwände in Großbritannien zu sehen, um die Bevölkerung zu größerem Milchkonsum zu ermuntern, und seine scharfzüngigen Bonmots sorgten mindestens einmal im Monat für Schlagzeilen. Es gab sogar ein Kindercomic über ihn. Jeder, aber auch jeder, hatte von Colin Ross gehört.

Kenny Bayst stieg durch die Kabinentür ins Flugzeug und setzte sich auf einen der beiden Rücksitze. Ich kontrollierte das Flugzeug noch einmal kurz von außen, obwohl die gründliche Vorflugkontrolle vor dem Start von der Basis noch nicht einmal eine Stunde zurücklag. Es war meine erste Woche, mein vierter Tag, mein dritter Flug für» Lufttaxis Derrydown«, und nach den Streichen, die das Schicksal mir in der Vergangenheit gespielt hatte, ging ich keine Risiken mehr ein.

Dem kleinen Sechssitzer mit der scharfen Nase fehlte keine einzige Niete, und auch eine lose Mutter konnte ich nirgends entdecken. Wo acht Liter Öl hineingehörten, waren tatsächlich acht Liter Öl drin, keine toten Vögel verstopften die Lufteinlässe für den Motor, die Reifen hatten keine Löcher, die grünen und roten Glasabdeckungen der Positionslichter keine Risse, die Propellerblätter keine Kerben, und die Funkantenne saß bombenfest. Die hellblaue Motorhaube war sicher verschlossen, die im gleichen hellen Blauton gehaltenen Abdeckungen über den Streben und Rädern des festen Fahrwerks bewegten sich nicht den Bruchteil eines Millimeters.

Als ich fertig war, kamen auch schon die anderen drei Passagiere über den Rasen. Goldenberg führte immer noch wutschnaubend das große Wort, während der Major mit kleinen, unglücklichen, ruckartigen Kopfbewegungen nickte und Annie Villars den Eindruck machte, als höre sie überhaupt nicht zu. Als die drei in Hörweite kamen, sagte Goldenberg gerade:»… können nicht auf das Pferd legen, ohne uns sicher zu sein, daß er es zurückhält…«Aber als der Major mit einer scharfen Kopfbewegung in meine Richtung wies, hielt Goldenberg mitten im Satz inne. Das hätte er sich schenken können. Mich interessierten die Angelegenheiten meiner Passagiere nicht.

Nach dem Grundsatz, daß in einem Leichtflugzeug der Schwerpunkt so weit vorn wie möglich liegen sollte, bat ich Goldenberg, auf dem Vordersitz rechts neben mir Platz zu nehmen; dem Major und Annie Villars wies ich die beiden mittleren Plätze zu und ließ Kenny in der hinteren Reihe sitzen, wo ein Platz für Colin Ross frei blieb. Die vier hinteren Sitze erreichte man durch die Kabinentür hinten an Backbord, aber Goldenberg mußte vorne an Steuerbord einsteigen, also auf die niedrige Tragfläche steigen und sich in geduckter Haltung durch die Tür ins Cockpit zwängen. Er ließ mich zuerst einsteigen und manövrierte dann seine Leibesfülle durch die Tür, bevor er sich schwer atmend auf seinen Sitz fallen ließ.

Die vier waren allesamt alte Hasen, was die Benutzung von Lufttaxis betraf: Sie hatten ihre Sicherheitsgurte noch vor mir angelegt, und als ich einen Blick in die Runde warf, um festzustellen, ob meine Passagiere startklar waren, hatte der Major sich bereits in seine Sporting Life vertieft. Kenny Bayst säuberte sich mit wilden, kleinen Stößen die Fingernägel; er machte seiner Frustration offenbar Luft, indem er sich selbst Schmerzen zufügte.

Ich bekam die Starterlaubnis vom Tower und zog das kleine Flugzeug für den Zwanzig-Meilen-Hüpfer quer über Berkshire hoch. Der Lufttaxibetrieb unterscheidet sich beträchtlich von der Arbeit im Linienverkehr, und es erschien mir weit schwieriger, irgendwelche Rennbahnen aufzuspüren, als mich mittels Radar nach Heathrow führen zu lassen. Ich hatte noch nie zuvor eine Rennbahn angeflogen und mich deshalb am Morgen bei meinem Vorgänger Larry, der ins Büro gekommen war, um seine Papiere abzuholen, danach erkundigt.

«Newbury ist ein Kinderspiel«, sagte er obenhin.»Du brauchst bloß die Nase auf die große Rollbahn zu halten, die die Yankees in Greenham Common gebaut haben. Die kannst du praktisch schon von Schottland aus sehen. Die Rennbahn liegt direkt nördlich davon, und die Landebahn verläuft parallel zu den weißen Rails der Zielgeraden. Du kannst sie nicht verpassen. Schöner langer Streifen. Kein Problem. Und Haydock liegt genau da, wo die M6 die East-Lancaster-Straße kreuzt. Kinderleicht.«

Dann setzte er sich in Richtung Türkei in Bewegung, blieb aber in der Tür noch einmal auf einem Fuß stehen, um mir einen letzten Rat mit auf den Weg zu geben.»Bevor du nach Bath fliegst, solltest du noch mal kurze Landungen üben. Und meide Yarmouth während einer Hitzewelle. So, jetzt bist du am Zug, Kumpel, Hals- und Beinbruch.«

Man konnte Greenham Common tatsächlich schon von weitem sehen, aber an einem klaren Tag wäre es ohnehin schwierig gewesen, sich zwischen White Waltham und Newbury zu verfliegen. Die Haupteisenbahnlinie nach Exeter verlief mehr oder weniger geradlinig vom einen Ort zum anderen. Meine Passagiere waren schon öfter nach Newbury geflogen, und der Major riet mir hilfreicherweise, nach Hochspannungsleitungen Ausschau zu halten, die die Anflugschneise kreuzten. Ich brachte eine respektable Landung auf dem frisch gemähten Rasen zustande, ließ das Flugzeug in Richtung Haupttribüne ausrollen und bremste erst kurz vor der Einzäunung.

Colin Ross war nicht da.

Ich stellte den Motor ab, und in die plötzliche Stille hinein bemerkte Annie Villars:»War ja klar, daß er sich verspäten würde. Er sagte, er würde für Bob Smith ein paar Trainingsritte machen, und Bob kriegt seine Pferde nie pünktlich aus dem Stall.«

Die anderen drei nickten vage, aber der Unmut zwischen ihnen war noch nicht verflogen, und nach etwa fünf Minuten lastenden Schweigens bat ich Goldenberg, mich aussteigen zu lassen, damit ich mir die Beine vertreten konnte. Er knurrte und brummte undeutlich vor sich hin, daß er auf den Flügel steigen müsse, um mich durchzulassen, und ich nahm an, daß ich gerade Derrydowns Regel Nummer eins gebrochen hatte: Verärgere niemals einen Kunden; du wirst ihn noch brauchen.

Sobald ich meine Passagiere allein gelassen hatte, nahmen sie ihre Unterhaltung wieder auf. Ich ging um das Flugzeug herum und lehnte mich vorn gegen die Tragfläche, schaute hinauf zu den vereinzelten Wolken am blaugrauen Himmel und dachte ohne nennenswertes Ergebnis über dies und das nach. Hinter mir schwollen die Stimmen meiner Fluggäste zornig an, und als sie die Tür öffneten, um ein wenig frische Luft ins Flugzeug zu lassen, trieb der Wind Bruchstücke ihrer Unterhaltung zu mir herüber.

«… einfach einen Dopingtest verlangen. «Annie Villars.

«… wenn Sie es nicht schaffen, mit mehr Geschick zu verlieren als beim letzten Mal… einen anderen suchen. «Goldenberg.

«… sehr schwierige Situation. «Major Tyderman.

Ein kurzer, scharfer Fluch von Kenny und Annie Villars’ ärgerlicher Kommentar.»Bayst!«

«… zahle Ihnen nicht mehr als beim letzten Mal. «Der Major, mit großem Nachdruck.

Undeutlicher Protest von Kenny und eine absolut unmißverständliche Feststellung von Goldenberg:»Scheiß was auf Ihre Lizenz.«

Kenny, mein Junge, dachte ich bei mir, wenn du nicht aufpaßt, endest du wie ich — Lizenz gerettet, aber alles andere den Bach runtergegangen.

Ein Ford-Lieferwagen kam die Straße entlanggerollt, vorbei an der Haupttribüne, fuhr durch das Tor in der Einzäunung und rumpelte über den Rasen auf das Flugzeug zu. Er blieb etwa sechs oder sieben Meter davon entfernt stehen, und zwei Männer stiegen aus. Der größere, der den Wagen gefahren hatte, ging nach hinten und lud einen braunen Handkoffer aus Segeltuch und Leder aus. Der kleinere kam über den Rasen auf mich zu. Ich löste mich von der Tragfläche und richtete mich auf. Er blieb ein paar Schritte entfernt stehen, um auf den größeren Mann zu warten. Seine Kleidung bestand aus verblichenen Jeans und einem weißlichen Baumwoll-Sweatshirt mit marineblauer Schrift. An den schmalen Füßen schwarze Segeltuchschuhe. Er hatte unscheinbares, bräunliches Haar, das ihm über eine außergewöhnlich breite Stirn fiel, eine kurze, gerade Nase und ein zartes Kinn mit einer femininen Note. Sein Knochenbau war durch und durch feingliedrig, und beim Anblick seiner Taille wären die Mädchen des viktorianischen Zeitalters vor Neid erblaßt. Und doch hatte er etwas eindeutig Männliches an sich — und mehr als das, er strahlte Reife aus. Er sah mich mit dem dezenten, stillen Lächeln in den Augen an, das die auszeichnet, die wissen, was im Leben wirklich zählt. Seine Seele war alt. Er war sechsundzwanzig.

«Guten Morgen«, sagte ich.

Er hielt mir die Hand hin, und ich schüttelte sie. Sein Händedruck war kühl, fest und kurz.

«Nicht Larry?«erkundigte er sich.

«Er hat gekündigt. Mein Name ist Matt Shore.«

«Schön«, sagte er unverbindlich. Sich selbst stellte er nicht vor. Er wußte, daß das unnötig war. Ich fragte mich, wie man sich in dieser Position wohl fühlen mochte. Colin Ross jedenfalls hatte sie nicht verändert. Er trug seine Prominenz nicht eigens zur Schau, wie es besonders erfolgreiche Menschen häufig tun, und nach der extremen Bescheidenheit seiner Kleidung zu urteilen vermutete ich, daß er diese Aura des» Ich bin der berühmte…«ganz bewußt vermeiden wollte.»Wir sind spät dran, fürchte ich«, sagte er.»Sie werden wohl etwas auf die Tube drücken müssen.«

«Ich tu mein Bestes.«

Nun trat auch der größere Mann mit dem Handkoffer hinzu, und ich verstaute das Gepäck in dem Fach zwischen der Motorzelle und dem vorderen Druckschott der Kabine. Als das Gepäckfach wieder fest geschlossen war, hatte Colin Ross bereits seinen Platz eingenommen und sich angeschnallt. Goldenberg stieg unter lautem Stöhnen wieder aus, so daß ich auf meinen Platz an der linken Seite zurückklettern konnte. Der größere Mann, bei dem es sich offensichtlich um den saumseligen Trainer Bob Smith handelte, sagte den Passagieren» Hallo «und» Auf Wiedersehen «und sah zu, wie ich den Motor anließ und den Flieger ans andere Ende der Bahn rollen ließ, um ihn für den Start in den Wind zu drehen.

Der Flug nach Norden verlief ohne Vorkommnisse: Ich machte es mir einfach, flog unterhalb der Luftstraße Gelb 1, navigierte nach den Funkfeuern in Daventry, Lichfield und Oldham. Manchester Control leitete uns nördlich um seine Kontrollzone herum, so daß ich die Rennbahn von Haydock mit südlichem Kurs anfliegen mußte, und da lag sie auch, genau wie Larry gesagt hatte, ganz in der Nähe der Kreuzung der beiden großen Schnellstraßen. Wir gingen auf dem Grasstreifen in der Mitte der Bahn runter, und ich rollte weiter und parkte nach Anweisung des Majors in der Nähe der Rails der Rennbahn, keine hundert Meter von den Tribünen entfernt.

Die Passagiere stiegen mitsamt ihren Habseligkeiten aus, und Colin Ross blickte auf seine Uhr. Die Spur eines Lächelns spielte um seine Mundwinkel und war sofort wieder verschwunden. Er ersparte sich den Kommentar und fragte mich:»Wollen Sie sich die Rennen ansehen?«

Ich schüttelte den Kopf.»Ich werde wohl hierbleiben.«

«Ich spreche mit dem Ordner am Führring, daß er Sie hineinläßt, falls Sie Ihre Meinung doch noch ändern.«

«Danke«, sagte ich überrascht.»Vielen Dank.«

Er nickte kurz und ging davon, ohne auf die anderen zu warten, duckte sich unter den weiß gestrichenen Rails hindurch und trottete über das Geläuf.

«Pilotenvergünstigung«, sagte Kenny, während er seinen Regenmantel von mir entgegennahm und dann den Arm ausstreckte, damit ich ihm den Sattel darüberlegen konnte.»Das sollten Sie ausnutzen.«

«Mal sehen«, sagte ich, hatte aber nicht die Absicht. Pferderennen hieß für mich Derby und sonst nichts. Außerdem war ich von Natur aus Nichtspieler.

Annie Villars sagte mit ihrer trügerisch sanften Stimme:»Sie wissen doch, daß wir nach den Rennen alle nach Newmarket fliegen und nicht zurück nach Newbury?«

«Ja«, beruhigte ich sie.»Das hat man mir gesagt.«

«Gut.«

«Falls wir nicht ins Gefängnis kommen«, setzte Kenny kaum hörbar hinzu. Goldenberg sah mich scharf an, um festzustellen, ob ich diese letzte Bemerkung gehört hatte, aber ich ließ mir nichts anmerken. Was immer sie im Schilde führten, es war mir egal wie sonstwas.

Major Tyderman zupfte an seinem Schnurrbart, die Hand steif vor Nervosität, und sagte:»Letztes Rennen um halb fünf. Danach brauche ich einen Drink. Fertig zum Abflug, sagen wir, um Viertel nach fünf. Paßt Ihnen das?«

«Absolut, Major. «Ich nickte.

«Schön«, sagte er.»Gut. «Sein Blick wanderte taxierend und argwöhnisch über die Gesichter seiner Reisegefährten. Bei Kenny Bayst wurden seine Augen schmal vor Zorn, öffneten sich wieder, ruhten dann kurz und skeptisch auf Goldenberg, entspannten sich auf Annie Villars und blickten zu guter Letzt kalt dem entschwindenden Rücken von Colin Ross nach. Welche Gedanken sich hinter seinem Mienenspiel verbargen, war nicht zu erraten, und als er schließlich wieder zu mir herüberschaute, sah er durch mich hindurch; er war vollauf beschäftigt mit dem, was ihm im Kopf herumging.

«Viertel nach fünf«, wiederholte er geistesabwesend.

«Gut.«

Kenny sagte zu mir:»Verschwenden Sie Ihr Geld nicht aufs Fünfzehn-Uhr-dreißig-Rennen, Sportsfreund«, worauf Goldenberg die Faust hob; sein Gesicht lief vor Zorn dunkelrot an, und es sah so aus, als wollte er auf Kenny losgehen.

Annie Villars’ Stimme traf ihn wie eine Ohrfeige; der Stahl kam mit Macht unter dem Samt zum Vorschein, der Kommandoton war so unüberhörbar wie einschüchternd:»Beherrschen Sie sich, Sie Schwachkopf.«

Goldenbergs Mund klappte buchstäblich auf und offenbarte eine Reihe unappetitlicher, braungefleckter Zähne. Langsam ließ er die erhobene Faust sinken und sah dabei durch und durch töricht aus.

«Und was Sie betrifft«, wandte sie sich an Kenny,»ich habe Ihnen gesagt, Sie sollten den Mund halten, und das war Ihre letzte Chance.«

«Soll das ein Rausschmiß sein?«fragte er.

«Das entscheide ich, wenn der Nachmittag vorbei ist.«

Kenny schien die Aussicht, seinen Job zu verlieren, nicht weiter zu beängstigen, und mir wurde klar, daß er es auf seinen Rausschmiß angelegt hatte. Er war in eine Zwickmühle geraten, aus der er nicht wieder hinauskam, solange die anderen nicht lockerließen.

Jetzt war ich doch eine Spur neugierig, herauszufinden, was in dem Rennen um fünfzehn Uhr dreißig passieren würde. Ein Zeitvertreib für den Nachmittag.

Sie schlenderten zu den Tribünen hinüber, Kenny vorneweg, der Major und Goldenberg Seite an Seite und Annie Villars ein paar Schritte hinterdrein. Der Major blieb immer wieder stehen, schaute sich um und wartete auf sie, aber jedesmal, wenn sie ihn eingeholt hatte, drehte er sich um und marschierte wieder los, so daß das Ganze, wenn es denn ein Akt der Höflichkeit sein sollte, doch völlig überflüssig war. Der Mann erinnerte mich lebhaft an eine Tante, die auf genau dieselbe Art und Weise mit mir spazierenging, als ich noch ein Kind war. Ich erinnerte mich ganz deutlich daran, daß es mich jedesmal auf die Palme brachte.

Ich seufzte, schloß die Gepäckraumtüren und räumte das Flugzeug auf. Annie Villars hatte dünne, braune Zigarren geraucht. Goldenberg nahm Verdauungstabletten, die einzeln in quadratische Papierchen eingewickelt waren. Und der Major hatte seine Sporting Life als zerfleddertes Häufchen auf dem Boden der Kabine zurückgelassen.

Während ich noch mit dem Müll beschäftigt war, landeten zwei weitere Flugzeuge, eine viersitzige, hochgedeckte Cessna und eine sechssitzige, zweimotorige Aztec.

Ich sah mir ihre Landungen mit unkritischem Auge an, obwohl ich dem Piloten der Aztec für seinen Doppelhüpfer nicht gerade eine Goldmedaille verliehen hätte. Mehrere relativ kleine Männer stiegen aus und rannten wie ein Schwarm aufgeschreckter Stare in Richtung Führring über die Bahn. Ihnen folgten langsamer drei oder vier größere, mit Feldstechern und Taschen beladene Personen. In den Taschen transportierten sie, wie ich später herausfand, die Rennfarben der Jockeys. Schließlich sprang aus jedem der Flugzeuge der Mann, der es am wenigsten eilig zu haben schien und ähnlich gekleidet war wie ich selbst — dunkle Hose, weißes Hemd, ordentliche dunkle Krawatte.

Die beiden Männer schlenderten aufeinander zu und zündeten sich Zigaretten an. Da ich nicht ungesellig erscheinen wollte, ging ich nach einer Weile zu ihnen hinüber. Sie drehten sich um und sahen mir ohne auch nur eine Spur Freundlichkeit in ihren verschlossenen Mienen entgegen.»Hallo«, sagte ich zurückhaltend.»Schöner Tag heute.«

«Mag sein«, sagte der eine.

«Finden Sie wirklich?«sagte der andere.

Keiner bot mir eine Zigarette an; sie hatten nichts für mich übrig außer fischäugigen Blicken. Gegen so etwas war ich mittlerweile abgehärtet. Ich wandte mich halbwegs von ihnen ab, um auf den Seitenleitwerken ihrer Flugzeuge die Namen der Firmen zu lesen, für die sie flogen. Auf beiden derselbe Name.»Polyplane Services«.

Wie stinkig, dachte ich, diese Feindseligkeit. Ich hielt ihnen aber noch einen letzten Zweifel zugute und unternahm einen weiteren Versuch.

«Weiten Weg gehabt?«

Sie gaben keine Antwort. Statt dessen sahen sie mich an wie zwei Stockfische.

Ich lachte kurz auf, als hielte ich ihr Benehmen für bemitleidenswert, was ich auch tat, und drehte mich auf dem Absatz um, um mich wieder auf mein eigenes Territorium zurückzuziehen. Als ich ein paar Meter weit gegangen war, rief einer von ihnen hinter mir her:»Wo ist Larry Gedge?«Es hörte sich nicht so an, als wäre ihm Larry auch nur einen Deut sympathischer gewesen als ich.

Ich beschloß, mich taub zu stellen: Wenn sie es wirklich wissen wollten, konnten sie rüberkommen und ihre Frage noch einmal nett und höflich wiederholen. Sie waren jetzt an der Reihe, den Rasen zu überqueren.

Aber diese Mühe machten sie sich nicht. Es tat mir nicht besonders leid. Ich hatte schon vor langer Zeit begriffen, daß Piloten alles andere als eine große, glückliche, verschworene Gemeinschaft sind. Unter Piloten gab es die gleichen Gemeinheiten wie überall sonst.

Ich kletterte wieder auf meinen Platz in der Cherokee und legte mir die Karten und Flugpläne für die Rückreise zurecht. Ich hatte vier Stunden Zeit dafür und brauchte ganze zehn Minuten. Danach überlegte ich, ob ich zu den Tribünen hinübergehen und mir etwas zu essen besorgen sollte, und befand, daß ich keinen Hunger hatte. Danach gähnte ich. Aus Gewohnheit.

Mein Stimmungstief beherrschte mich jetzt schon so lange, daß es zu einem dauerhaften Gemütszustand geworden war. Die Erwartungen, die ein neuer Job mit sich brachte, mochten zwar die dunklen Wolken für eine Weile zurückdrängen, aber das Leben weigerte sich beharrlich, den schönen Hoffnungen gerecht zu werden. Das war mein sechster Job, seit ich mit strahlenden Augen gelernt hatte zu fliegen, mein vierter, seit das Strahlen für alle Zeit verschwunden war. Ich hatte gedacht, die Taxifliegerei könnte ganz interessant werden; langweiliger als die Schädlingsbekämpfung, meine letzte Beschäftigung, konnte es auf keinen Fall sein, und vielleicht würde ich ja auch wirklich noch Geschmack daran finden. Aber wenn ich geglaubt hatte, dabei von Auseinandersetzungen und Übellaunigkeiten verschont zu bleiben, dann hatte ich mir etwas vorgemacht. Denn schon wartete all das wieder auf mich, ganz wie gewohnt. Zänkische Passagiere, streitlustige Konkurrenz und von irgendwelcher Freude weit und breit keine Spur.

Ich registrierte einen leichten Schlag gegen den Rumpf, dann einen Ruck und hörte, wie sich jemand auf die Tragfläche schwang. Die nur angelehnte Tür wurde temperamentvoll aufgerissen und ausgefüllt von einem Mädchen, das in die Hocke gegangen war, Hüfte, Knie und Hals gebeugt, um in das Flugzeug hinein- und mich anzusehen.

Sie war schlank und dunkelhaarig und trug eine große, viereckige Sonnenbrille. Außerdem hatte sie ein blaues Leinenkleid an und lange, weiße Stiefel. Sie sah toll aus. Der Nachmittag gewann schlagartig an Format.

«Du lausiges, verdammtes Stinktier«, sagte sie.

Es war einfach nicht mein Tag.

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