Kapitel 10

Er hatte Birmingham die Situation erklärt. Ich gab dem Fluglotsen Nancys geplante Route durch sowie ihre Fluggeschwindigkeit und ihre voraussichtliche Ankunftszeit in Lichfield, und nach einigen Augenblicken war er wieder da und sagte, auf seinem Schirm seien mindestens zehn Flugzeuge, die in Frage kämen, aber er habe keine Möglichkeit, herauszufinden, welches ihres sei.»Ich werde mich mit der R.A.F. Wymeswold beraten… vielleicht haben die nicht so viel zu tun wie wir. Die können sich besser auf die Sache konzentrieren.«

«Sagen Sie ihnen, daß sie gegen fünf drei ihren Kurs auf eins zwei fünf ändern wird.«

«Roger«, sagte er.»Warten Sie.«

Dann war er wieder da.»R.A.F. Wymeswold will nach ihr Ausschau halten.«

«Großartig«, sagte ich.

Nach einigen Sekunden sagte er mit ungläubiger Stimme:»Wir haben hier einen Bericht, wonach Colin Ross an Bord des funklosen Flugzeugs ist. Können Sie bestätigen?«

«Positiv«, sagte ich.»Die Pilotin ist seine Schwester.«

«Gütiger Gott«, sagte er.»Dann sollten wir sie in der Tat finden.«

Ich konnte sie dazu bewegen, mich direkt durch die Kontrollzone zu lotsen statt darum herum; von dort aus

flog ich Richtung Northwich und nahm dann Kurs auf das Funkfeuer Lichfield. Wir waren nach meiner Berechnung gut dreißig Minuten später gestartet als sie, und trotz unserer Abkürzung und größeren Geschwindigkeit würde es kaum möglich sein, sie vor Cambridge einzuholen. Ich sah ungefähr zum zwanzigsten Mal auf meine Uhr. Siebzehn Uhr fünfzig. Um siebzehn Uhr dreiundfünfzig würde sie über Lichfield ihren Kurs ändern… Nur daß sie nicht wissen würde, daß sie über Lichfield war. Wenn sie die Kursänderung wie geplant vornahm, dann nur aus blindem Vertrauen.

Birmingham Radar rief mich wieder.»Cambridge meldet stete Verschlechterung des Wetters. Die Wolkenuntergrenze liegt jetzt bei achthundert Fuß.«

«Roger«, sagte ich tonlos.

Nach weiteren fünf Minuten — siebzehn Uhr dreiundfünfzig verstrich, ohne daß etwas geschehen wäre — sagte er:»Wymeswold meldet ein Flugzeug auf dem Schirm, das seinen Kurs von eins sechs null auf eins zwei fünf geändert hat, aber es befindet sich fünf Meilen nordöstlich von Lichfield. Das Flugzeug ist bisher nicht identifiziert. Sie werden es weiter beobachten.«

«Roger«, sagte ich.

Möglich, daß sie nach Nordosten abkam, dachte ich, weil der Wind aus Südwest jetzt stärker war als auf dem Hinflug, und das hatte ich im Flugplan nicht genügend berücksichtigt. Ich ging auf Sendung und informierte den Radarmann.

«Ich werd’s weitergeben«, meinte er.

Wir flogen weiter. Ich warf einen Blick auf meine Passagiere. Sie sahen in unterschiedlichem Ausmaß gelangweilt, nachdenklich und müde aus. Wahrscheinlich merkte es keiner von ihnen, wenn wir unseren direkten Kurs verließen und nach Nancy suchten — aber sie würden ganz bestimmt etwas merken, wenn wir sie fanden.

«Wymeswold meldet, das Flugzeug, das sie beobachten, habe seinen Kurs auf null eins null geändert.«

«O nein«, sagte ich.

«Warten Sie.«

Zu einfach, dachte ich verzweifelt. Es war zu einfach gewesen. Das Flugzeug, das zur richtigen Zeit etwa am richtigen Ort den richtigen Kurs eingeschlagen hatte, war also doch nicht das richtige Flugzeug gewesen. Ich atmete dreimal tief durch. Zwang mich zu dem Gedanken, daß sie, wo immer sie auch sein mochte, sich im Augenblick nicht in unmittelbarer Gefahr befand. Sie konnte noch mehr als anderthalb Stunden oben bleiben.

Ich hatte über eine Stunde, um sie zu finden. In etwa dreitausend Quadratmeilen Himmel, die so gleichförmig waren wie die Wüste. Ein Kinderspiel.

«Wymeswold meldet, das fragliche Flugzeug sei anscheinend in East Midlands gelandet, sie hätten aber noch eine andere Maschine, die in Frage käme, zehn Meilen östlich von Lichfield im Augenblick auf Kurs eins zwei null. Eine Höheninformation liegt nicht vor.«

«Roger«, sagte ich noch einmal. Keine Höheninformation hieß, daß das Pünktchen auf ihrem Schirm in jeder Höhe, bis zu dreißigtausend Fuß oder mehr fliegen konnte und nicht unbedingt auf viertausendfünfhundert Fuß sein mußte.

«Warten Sie.«

Ich wartete. Kaute im Geiste an den Fingernägeln. Warf einen Seitenblick auf Ambrose und machte mich ohne Eile daran, unsere eigene Höhe zu kontrollieren, ebenso Geschwindigkeit und Kurs. Lichfield lag direkt vor uns, noch elf Minuten bis dorthin. Noch vierzig Minuten bis Cam-bridge. Zu viel. Ich mußte schneller fliegen. Schob den Gashebel ein Stückchen weiter vor. Bis zum Anschlag. Vollgas. Mehr ging nicht.

«Fragliche Maschine hält jetzt eins null fünf. Wird auf diesem Kurs gegen zwei null etwa dreißig Meilen nördlich von Cambridge sein.«

«Roger. «Ich sah auf meine Uhr. Stellte eine kurze Berechnung an. Drückte auf Knopf» Senden«.»Das ist das falsche Flugzeug. Es fliegt zu schnell. Mit neunzig Knoten kann sie den Bereich Cambridge nicht vor drei fünf oder vier null erreichen.«

«Verstanden. «Ein kurzes Schweigen.»Gehen Sie jetzt auf R.A.F. Cottesmore, Radar Nord, eins vier zwei Punkt zwei neun. Ich übergebe Sie dorthin.«

Ich dankte ihm. Stellte die neue Frequenz ein. Cottesmore sagte, man sei im Bilde und halte Ausschau. Man habe in südlicher Richtung sieben unidentifizierte Flugzeuge auf dem Schirm, die von Westen nach Osten flogen, allesamt in unbekannter Höhe.

Sieben. Und in jedem davon konnte sie sein. Vielleicht hatte sie völlig die Nerven verloren und war umgekehrt, um nach Manchester zurückzufliegen. Ich spürte ein Kribbeln auf meiner Kopfhaut. Sie hatte doch bestimmt genug Verstand, um nicht ohne Funk direkt in eine Kontrollzone hineinzufliegen. Und außerdem glaubte sie ja immer noch, daß es in Cambridge klar war…

Ich überflog das Funkfeuer Lichfield. Nahm Kurs Richtung Cambridge. Setzte Cottesmore Radar davon in Kenntnis. Sie hatten mich noch nicht auf ihrem Schirm, sagten sie — ich war immer noch zu weit weg.

Stur flog ich über die Wattewüste weiter Richtung Cambridge. Der Sonnenschein heizte die Kabine auf, und sämtliche Passagiere außer Ambrose schliefen ein.

«Ein nicht identifiziertes Flugzeug ist in Leicester gelandet«, sagte Cottesmore Radar.»Ein anderes scheint Richtung Peterborough zu fliegen.«

«Bleiben noch fünf?«fragte ich.

«Sechs… Weiter westlich ist noch eins aufgetaucht.«

«Das könnte ich sein.«

«Fliegen Sie zur Identifizierung eine Linkskurve von dreißig Grad.«

Ich flog die Kurve und ging auf den neuen Kurs.

«Identifiziert«, sagte er.»Gehen Sie auf alten Kurs zurück.«

Ich ging wieder zurück und unterdrückte die nackte Angst, die mit jeder Minute größer wurde. Sie mußten sie finden, dachte ich. Sie mußten.

Cottesmore sagte:»Ein Flugzeug, das dicht südlich von uns vorbeigeflogen ist, hat vor fünf Minuten Kurs nach Norden genommen.«

Nicht sie.

«Dasselbe Flugzeug hat jetzt einen vollen Kreis beschrieben und ist wieder auf den alten Kurs von eins eins null gegangen.«

Es könnte sein. Wenn sie vielleicht eine dünnere Stelle in der Wolkendecke erspäht hatte. Sie war zurückgeflogen, um festzustellen, ob sie den Boden sehen und gefahrlos heruntergehen konnte. Hatte erkannt, daß das nicht möglich war, und wieder den Kurs eingeschlagen, von dem sie glaubte, daß er sie nach Cambridge führte.

«Das könnte sie sein«, sagte ich. Oder jemand anders mit denselben Schwierigkeiten. Oder einfach jemand, der Kurven übte. Oder sonstwas.

«Das besagte Flugzeug nimmt jetzt Kurs direkt nach Süden… dreht leicht nach Westen… jetzt wieder zurück auf Südost… und wieder auf eins eins null.«

«Hält vielleicht nach dünnen Stellen in der Wolkendecke Ausschau«, sagte ich.

«Könnte sein. Warten Sie. «Eine Pause. Dann wieder seine Stimme, fern und bedächtig.»Wolkenuntergrenze in diesem Bereich bei sechshundert Fuß. Acht Oktas Bedek-kung. Keine Wolkenaufbrüche.«

O Nancy.

«Ich werde nach diesem Flugzeug suchen«, sagte ich.»Können Sie mir den Kurs geben, der mich zu seiner Position bringt?«

«Mache ich«, sagte er.»Gehen Sie nach links auf null neun fünf. Sie befinden sich zweiunddreißig Meilen westlich der Maschine. Ich schätze Ihre Geschwindigkeit über Grund auf hundertfünfzig Knoten. Das fragliche Flugzeug fliegt mit ungefähr fünfundneunzig Knoten.«

In den zwölf Minuten, die ich brauchen würde, um die augenblickliche Position des anderen Flugzeugs zu erreichen, würde dieses zwanzig weitere Meilen zurückgelegt haben. Es einzuholen würde fünfundzwanzig bis dreißig Minuten dauern.

«Das fragliche Flugzeug kreist wieder… jetzt zurück auf Kurs eins eins null.«

Je mehr es kreiste, um so früher würde ich es einholen. Aber wenn es doch nicht Nancy war… Ich verbannte den Gedanken energisch aus meinem Kopf. Wenn es nicht Nancy war, würden wir sie nie mehr finden.

Ambrose berührte meinen Arm, und ich hatte mich so sehr auf andere Dinge konzentriert, daß ich zusammenzuckte.

«Wir sind vom Kurs abgekommen«, stellte er unduldsam fest. Er tippte auf den Kompaß.»Wir fliegen genau nach Osten. Sollten uns besser nicht verfliegen.«

«Wir stehen unter Radarkontrolle«, sagte ich sachlich.

«Oh…«Er war unsicher.»Verstehe.«

Ich würde es ihm sagen müssen, dachte ich. Konnte es nicht länger hinausschieben. Ich erklärte die Situation, so knapp ich konnte, ohne Major Tyderman eigens zu erwähnen. Ich mußte schreien, um mich bei dem Gedröhn des Motors verständlich zu machen.

Er konnte es nicht fassen.»Meinen Sie, wir jagen quer über den Himmel, um nach Colin Ross zu suchen?«

«Radargeführt«, ergänzte ich.

«Und wer«, fragte er aggressiv,»wird das bezahlen? Ich jedenfalls nicht. Und es war absolut verantwortungslos von Ihnen, den Kurs zu ändern, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen.«

Cottesmore meldete:»Das Flugzeug ist jetzt über Stamford und kreist wieder.«

«Roger«, sagte ich. Und um Himmels willen, Nancy, dachte ich, versuch nicht ausgerechnet da durch die Wolken zu gehen. An dieser Stelle lagen einige Hügel um einen Funkturm, der bis in fünfhundert Fuß Höhe emporragte.

«Gehen Sie auf eins null null, um zu dem Flugzeug aufzuschließen.«

«Eins null null.«

«Das Flugzeug ist auf seinen vorherigen Kurs zurückgekehrt.«

Ich atmete erleichtert durch.

«Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?«fragte Ambrose wütend.

«Es ist unsere Pflicht, einem Flugzeug, das in Not geraten ist, zu helfen«, sagte ich.

«Nicht auf meine Kosten, auf keinen Fall.«

«Man wird Ihnen«, erwiderte ich geduldig,»nur den normalen Betrag für den Flug in Rechnung stellen.«

«Darum geht es nicht. Sie hätten mich um Erlaubnis fragen müssen. Ich bin ernsthaft ungehalten. Ich werde mich bei Harley beschweren. Wir hätten von unserem Kurs nicht abweichen dürfen. Jemand anders hätte Colin Ross zu Hilfe kommen können. Warum sollten wir deswegen Ungelegenheiten in Kauf nehmen?«

«Er wird sich sicher freuen, wenn er das erfährt«, sagte ich höflich.»Und zweifellos wird er für alle Kosten aufkommen, die für seine Rettung anfallen.«

Sprachlos und von Zorn überwältigt, starrte er mich an.

Annie Villars tippte mir auf die Schulter.

«Habe ich recht gehört — Colin Ross hat sich verflogen? Hier oben, meinen Sie? Über den Wolken?«

Ich schaute nach hinten. Sie waren jetzt alle wach und wirkten besorgt.

«Ja«, sagte ich kurz.»Ohne Funkanlage. Die Leute vom Radar meinen, sie hätten ihn vielleicht gefunden. Wir fliegen hin, um das zu überprüfen… und um zu helfen.«

«Wir tun alles, was möglich ist…«, sagte Annie.»Sie können selbstverständlich über uns verfügen.«

Ich lächelte ihr über die Schulter hinweg zu. Ambrose drehte sich zu ihr um und beschwerte sich. Sie brachte ihn gekonnt zum Schweigen.»Sie schlagen doch nicht etwa im Ernst vor, wir sollten nicht versuchen, ihnen zu helfen? Sie müssen den Verstand verloren haben. Es ist unsere eindeutige und absolute Pflicht, zu tun, was wir können.

Und ein Kapitän braucht nicht erst seine Passagiere zu fragen, bevor er einem Schiff in Not zu Hilfe kommt.«

Er sagte irgend etwas über seine Unkosten. Annie sagte schroff:»Wenn Sie zu geizig sind, um ein paar Pfund mehr als Ihren Anteil zu bezahlen, um damit möglicherweise Colin Ross das Leben zu retten, wird es mir ein Vergnügen sein, den Betrag zu übernehmen.«

«Bravo, Mädchen«, sagte Kenny Bayst laut. Das schien Annie Villars zu überraschen, aber nicht zu verstimmen. Ambrose fuhr auf seinem Sitz herum und richtete den Blick wieder nach vorn. Sein Gesicht hatte eine dunkle, purpurne Röte angenommen. Ich hoffte, der Grund dafür waren Scham und Verlegenheit und nicht etwa eine bevorstehende Thrombose.

«Das Flugzeug kreist wieder«, meldete Cottesmore.»Auf einer Position direkt südlich von Peterborough. Bleiben Sie auf Ihrem augenblicklichen Kurs… Ich reiche Sie jetzt nach Wytton weiter… Sie brauchen da nichts zu erklären… Man ist im Bilde.«

«Ich danke Ihnen sehr«, sagte ich.

«Viel Glück.«

Wytton, das nächste Glied in der Kette, die R.A.F.-Leit-zentrale nordöstlich von Cambridge, war knapp, kühl, effizient.

«Wolkenuntergrenze in Cambridge sechshundert Fuß, keine weitere Verschlechterung für die nächste halbe Stunde erwartet. Sicht drei Kilometer bei leichtem Regen. Wind zwei vier null, zehn Knoten.«

«Wetterbericht aufgenommen«, sagte ich automatisch. Ich warf einen Blick auf die Landkarte. Noch ein Funkturm, dieser siebenhundert Fuß hoch, südlich von Peterborough. Flieg weiter, Nancy, dachte ich, flieg weiter nach Osten. Versuch es nicht dort. Nicht dort…

Wytton sagte:»Flugzeug jetzt wieder auf eins eins null.«

Ich fuhr mir mit der Hand über den Nacken. Ich konnte den Schweiß spüren.

«Gehen Sie auf null neun fünf. Sie sind jetzt zehn Meilen westlich von dem Flugzeug.«

«Ich steige auf Flugfläche acht null. Um besser sehen zu können.«

«Freigabe auf acht null.«

Die Zeiger des Höhenmessers wanderten, bis sie auf achttausend Fuß zeigten. Die Decke aus weißem Vlies breitete sich dicht geschlossen in alle Richtungen aus, flaumig und schön anzusehen im Sonnenlicht. Ich hörte die Passagiere murmeln; sie begriffen vielleicht jetzt erst das Ausmaß von Nancys Notlage. Meile für Meile nur Leere, ohne die geringste Chance, herauszufinden, wo sie war.

«Das Flugzeug kreist wieder… Bleiben Sie auf null neun fünf. Sie sind jetzt sieben Meilen westlich von besagtem Flugzeug.«

Über meine Schulter hinweg sagte ich zu Annie Villars:»Wir werden sie jetzt bald sehen… Würden Sie bitte dieses Notizbuch nehmen«- ich reichte ihr den Spiralblock, den ich benutzte, um mir während des Flugs Aufzeichnungen zu machen —»und aus den Seiten ein paar Buchstaben ausschneiden — so groß wie möglich. Verstehen Sie, wir müssen dann die Buchstaben ans Fenster halten, damit Nancy und Colin lesen können, was sie tun sollen.«

Hoffentlich sind sie es wirklich, dachte ich kaltblütig. Hoffentlich sind es die beiden und nicht irgendwelche anderen armen Seelen, die sich verirrt haben. Denn jetzt mußten wir ihnen helfen. Wir konnten niemanden einfach seinem Schicksal überlassen und woanders nach den Leuten suchen, um die es uns ging.

Annie Villars durchstöberte ihre Handtasche und brachte eine kleine Schere zum Vorschein.

«Welche Buchstaben?«fragte sie knapp.»Sie nennen sie, ich schreibe sie auf und schneide sie dann aus.«

«Gut… FOLGEBASI. Das reicht für den Anfang.«

Ich drehte mich um und sah, wie sie mit dem Ausschneiden begann. Ihre Buchstaben hatten volle Seitengröße und waren so fett wie nur möglich. Zufrieden schaute ich wieder nach vorn, suchte die sonnige Ödnis ab, suchte nach einer kleinen, schwarzen Zigarre, die vor mir herflog.

«Gehen Sie auf eins null fünf«, sagte Wytton.»Sie haben das Flugzeug jetzt auf ein Uhr fünf Meilen voraus.«

Ich schaute an der Nase des Flugzeugs vorbei nach unten. Ambrose sah in verdrossenem Schweigen ebenfalls, wenn auch widerwillig, aus dem Fenster.

«Da«, sagte Kenny Bayst.»Da drüben, da unten. «Ich schaute in die Richtung, in die er zeigte. Und da war es, rechts von uns, und setzte gerade zu einem neuen, weitausholenden Kreis über einem dunkleren Flecken in den Wolken an, der ein Loch sein könnte, aber keins war.

«Kontakt«, sagte ich zu Wytton.»Schließe jetzt auf.«

«Ihre Absichten?«fragte er emotionslos.

«Sie zum Wash lotsen, überm Meer heruntergehen, dann dem Fluß und schließlich der Eisenbahn von King’s Lynn nach Cambridge folgen.«

«Roger. Wir werden Marham Bescheid geben. Die werden Ihnen überm Meer Radarüberwachung geben.«

Ich drückte die Nase runter, erhöhte die Geschwindigkeit und überholte das andere Flugzeug wie ein Jaguar E, der an einem Fahrrad vorbeisaust. Je näher wir kamen, um so größer wurde meine Hoffnung. Es war ein Tiefdecker… eine Cherokee… weiß und rot… und schließlich die

Zulassungsnummer… und jemand, der uns vom Fenster aus verzweifelt mit einer Karte zuwinkte.

Die Erleichterung war überwältigend.

«Sie sind es«, sagte Annie, und ich konnte nur nicken und schlucken.

Ich nahm das Gas zurück und drosselte die Geschwindigkeit der Six auf Nancys Fluggeschwindigkeit. Dann flog ich eine Kurve, die mich an ihre linke Seite brachte, ungefähr fünfzig Meter von ihr entfernt. Sie war nie zuvor in Formation geflogen, nie. Näher als fünfzig Meter konnte ich mich nicht gefahrlos an sie heranwagen, und selbst fünfzig Meter bedeuteten ein gewisses Risiko. Ich hielt die Hand am Gas und meine Augen auf sie geheftet, und ein zusätzliches Paar Augen, von dem ich gar nicht wußte, daß ich es hatte, konzentrierte sich auf den Kurs.

Zu Annie Villars sagte ich:»Halten Sie die Buchstaben für >Folge< hoch. Langsam. Einen nach dem anderen.«

«Gut. «Sie hielt die Buchstaben flach an die Fensterscheibe neben ihr. Wir konnten Colins Kopf hinter dem von Nancy entdecken. Als Annie das Wort beendet hatte, sahen wir ihn winken, und danach schwenkte Nancy ihre Landkarte, die man besser sehen konnte, vor ihrem Fenster.

«Wytton«, meldete ich.»Es ist das richtige Flugzeug. Sie folgen uns zum Wash. Können Sie mir den Kurs nach King’s Lynn geben?«

«Mit Vergnügen«, sagte er.»Gehen Sie auf null vier null und rufen Sie Marham auf dieser Frequenz.«

«Vielen Dank«, sagte ich mit ehrlicher Überzeugung.

«Gern geschehen.«

Gute Männer, dachte ich. Sehr gute Männer, die da mit Kopfhörern in ihren verdunkelten Räumen saßen und ihre kleinen, dunklen, runden Bildschirme anstarrten und die Vielzahl gelb orangefarbener Punkte beobachteten, die langsam wie Kaulquappen darüber schwammen. Sie hatten großartige Arbeit geleistet bei der Suche nach den Ross-Geschwistern. Großartige Arbeit.

«Können Sie die Zahl 4 ausschneiden?«fragte ich Annie.

«Aber gewiß. «Die Schere begann zu schnipseln.

«Wenn Sie die haben, würden Sie dann bitte die 0 hochhalten, dann die 4 und dann wieder die 0?«

«Mit Vergnügen.«

Sie hielt die Zahlen hoch. Nancy schwenkte die Landkarte. Wir flogen Richtung Nordosten auf das Meer zu, wobei Nancy sich rechts hinter uns hielt und ich immer wieder über die Schulter sah, um die Entfernung zwischen uns in etwa gleich zu halten. Ich schätzte, daß wir bei ihrer Geschwindigkeit dreißig Minuten bis zum Meer brauchten, fünf bis zehn, um unter die Wolkenbasis zu gehen, und zwanzig oder etwas darüber, um unterhalb der Wolkendecke nach Cambridge zurückzufliegen. Sie würde dann nicht mehr viel Kraftstoff haben, aber das Risiko, daß sie ihren Sprit aufbrauchte, war geringer als die Gefahr, gegen einen Hügel, einen Baum oder ein Gebäude zu fliegen, wenn wir über Land zurückkehrten. Unter diesen Umständen war Sinkflug über dem Meer das bestmögliche Verfahren.

«Wir werden noch ein paar Buchstaben mehr brauchen«, sagte ich zu Annie.

«Welche?«

«Hmm… U H N, C R D K, W und T und eine 1.«

«Gut.«

Aus den Augenwinkeln konnte ich Annie Villars schnipseln und Kenny Bayst, der hinter ihr saß, die Buchstaben sortieren sehen, die sie bereits gemacht hatte, damit sie diejenigen, die gerade benötigt wurden, schneller finden konnte. Dahinten — stellte ich mit einem kleinen, innerlichen Lächeln fest — herrschte derzeit Waffenstillstand.

Marham Radar meldete:»Sie haben noch vier Meilen bis zur Küste.«

«Hoffen wir, daß gerade Flut ist«, sagte ich spaßeshalber.

«Positiv«, erwiderte er trocken.»Hochwasser achtzehn Uhr vierzig British Standard Time.«

«Und. ähm. die Wolkenbasis?«

«Warten Sie. «Dort unten in seinem dunklen Raum konnte er den Himmel nicht sehen. Er mußte die Turmbewohner oben fragen.

«Wolkenbasis zwischen sechs- und siebenhundert Fuß über Meereshöhe, über dem ganzen Gebiet vom Wash bis Cambridge. Sicht zwei Kilometer bei Nieselregen.«

«Wie nett«, sagte ich ironisch.

«Ja.«

«Könnte ich die örtlichen Luftdruckwerte bekommen?«

«Neun neun acht Millibar.«

«Neun neun acht«, wiederholte ich und nahm die Hand gerade lange genug vom Gashebel, um den Einstellzeiger des Höhenmessers auf diesen Wert zu drehen. Zu Annie Villars sagte ich:»Können Sie auch eine 8 und eine 9 machen?«

«Ich denke schon.«

«Sie queren jetzt die Küstenlinie«, sagte Marham.

«Gut… Miss Villars, würden Sie bitte die Buchstaben SEE hochhalten?«

Sie nickte und tat es. Nancy schwenkte die Landkarte.

«Jetzt bitte SET und anschließend 9 9 8 und dann M B.«»SET«, wiederholte sie und hielt dann die Buchstaben ans Fenster.»9… 9… 8. «Sie hielt inne.»Wir haben kein M.«

«Das W auf den Kopf gestellt«, sagte Kenny Bayst.

«Ach ja. M… B. Was heißt MB?«

«Millibar«, sagte ich.

Nancy schwenkte die Landkarte, aber ich sagte zu Annie:»Halten Sie 998 noch mal hoch; es ist sehr wichtig.«

Sie hielt die Zahlen hoch. Wir konnten Nancys Kopfnik-ken sehen, während sie energisch zurückwinkte.

«Warum ist das so wichtig?«fragte Annie.

«Wenn sie den Höhenmesser nicht auf den richtigen Luftdruck einstellen, sagt er ihnen nicht, wie hoch über dem Meer sie sich gerade befinden.«

«Oh.«

«Würden Sie jetzt bitte WOLKENBASIS hochhalten und dann 600, dann FUSS.«

«Gut… Wolkenbasis… 600… Fuß.«

Es entstand eine deutliche Pause, bevor Nancy winkte, und diesmal war das Winken eindeutig halbherzig. Es mußte sie zu Tode erschreckt haben, zu erfahren, daß die Wolken so tief waren: Wahrscheinlich dankte sie gerade ihrem Schutzengel, daß sie nicht versucht hatte, durch die Wolkendecke nach unten zu gehen. Äußerst erschreckende Information, diese sechshundert Fuß.

«So«, sagte ich zu Annie,»halten Sie jetzt folgende Nachricht hoch: >Folgen Fluß und Bahn eins neun null nach Cambridges«:

«Folgen… Fluß… und… Bahn… eins… neun… null… nach… Cambridge. «Langsam hielt sie einen Buchstaben nach dem anderen in die Höhe. Nancy winkte.

«Und noch einmal. 40, dann S, dann M.«

«Vierzig Seemeilen«, sagte sie triumphierend. Sie hielt Ziffern und Buchstaben hoch, und Nancy winkte.

«Jetzt halten Sie noch einmal >folgen< hoch.«

«Mache ich.«

Ich beriet mich mit Marham, flog Nancy noch ein kleines Stück weiter aufs Meer hinaus voraus und dann eine Kehre, bis wir auf Kurs eins neun null, etwas westlich von Süd, in Linie mit der Eisenbahn und dem Fluß von King’s Lynn nach Cambridge waren.

«Halten Sie jetzt die Buchstaben SINKEN hoch«, sagte ich.

Sie tat es, ohne ein Wort zu verlieren. Nancy winkte zaghaft. Ich richtete die Nase der Six hinunter auf die Wolken zu und beschleunigte auf hundertvierzig Knoten, so daß keine Gefahr bestand, daß sie mit uns kollidierte. Die weiße, vliesartige Schicht kam uns entgegen, umschlang uns mit sonnenerleuchteten, federleichten Wölkchen, schloß sich mühelos um uns herum, wurde dichter, dunkler, ein anthrazitfarbener Nebel, der gegen die Fenster drängte. Der Höhenmesser sauste rückwärts, die Zeiger gingen auf dreitausend Fuß herunter, auf zweitausend Fuß, tausend Fuß, weiter auf achthundert Fuß, siebenhundert… und da, da endlich wurde der Nebel ein wenig heller und verwandelte sich in einen dunstigen Nieselregen, und unter uns, ziemlich dicht unter uns, tauchten rastlose, regengepeitschte, dunkelgrüngraue Wellen auf.

Von den Passagieren kam kein Ton. Ich drehte mich zu ihnen um. Sie alle blickten mehr oder weniger ehrfürchtig hinunter aufs Meer. Ich fragte mich, ob auch nur einer von ihnen wußte, daß ich gerade zwei Gesetze gebrochen hatte und zweifellos wieder einmal vom Handelsministerium hören würde. Ich fragte mich, ob ich jemals, jemals lernen würde, mich aus Schwierigkeiten herauszuhalten.

Wir flogen bei King’s Lynn über die Küstenlinie und dann den Fluß hinauf nach Ely und Cambridge, wobei wir uns direkt unterhalb der nebelverhangenen Wolkenbasis auf einer Höhe von siebenhundert Fuß hielten. Die Sicht nach vorn war schlecht, und ich hielt es für töricht, zurückzufliegen und auf Nancy zu warten, denn es bestand die Gefahr, daß wir zusammenstießen, bevor wir einander sahen. Ich beendete die Reise so schnell wie möglich, und wir landeten auf dem feuchten Asphalt und rollten auf die Flughafengebäude zu. Als ich den Motor abstellte, stiegen wir alle wie von einem einzigen Gedanken getrieben aus und blickten nach oben; sogar Ambrose.

Der Nieselregen war jetzt nur noch ganz schwach, wie feiner Nebel. Wir standen schweigend am Flugzeug, wurden naß, warteten angespannt auf das Geräusch eines Motors, hielten Ausschau nach dem Schatten am Himmel. Die Sekunden tickten dahin. Annie Villars sah mich ängstlich an. Ich schüttelte den Kopf und wußte selbst nicht genau, was ich damit meinte.

Sie konnte nicht zu tief gegangen sein… auf dem Meer aufgeschlagen sein, in den Wolken die Orientierung verloren haben… sich unterhalb der Wolkendecke verflogen haben… immer noch in Gefahr sein.

So wie der Regen leise herabrieselte, sank auch mein Mut.

Aber sie hatte keinen Fehler gemacht.

Das Motorengeräusch war zuerst ein leises Sirren, wurde zu einem Summen und nahm schließlich einen eindeutigen Rhythmus an. Das rotweiße Flugzeug tauchte plötzlich rechts von uns am Himmel auf, und Nancy umkreiste ohne Schwierigkeiten den äußeren Rand des Feldes und kam gemächlich auf die Landebahn herunter.

«Oh…«, sagte Annie Villars und wischte sich zwei überraschende Tränen der Erleichterung aus den Augen.

Ambrose meinte verdrossen:»Na gut, das wäre also in Ordnung. Ich hoffe, jetzt können wir endlich nach Hause«, und stampfte mit schweren Schritten auf das Flughafengebäude zu.

Nancy rollte aus und brachte ihre Cherokee ein kleines Stück weiter zum Stehen. Colin kam auf die Tragfläche heraus, grinste breit in unsere Richtung und winkte.

«Der Kerl hat einfach keine Nerven«, sagte Kenny.»Keinen einzigen verdammten Nerv in seinem ganzen Körper.«

Nancy kam hinter ihm her, sprang auf den Asphalt hinunter und taumelte ein wenig, als sie auf ihren wackligen Knien landete. Ich ging auf sie zu. Nancy kam mir langsam entgegen, dann schneller, und schließlich rannte sie mit wehendem Haar und weit geöffneten Armen. Ich packte sie um die Taille, wirbelte sie durch die Luft, und als ich sie wieder abstellte, schlang sie ihre Arme um meinen Hals und küßte mich.

«Matt…«, rief sie halb lachend, halb weinend; ihre Augen strahlten, ihre Wangen brannten, das plötzliche Nachlassen der Spannung ließ sie bis in die Fingerspitzen hinein zittern.

Colin erreichte uns und klopfte mir auf die Schulter.

«Danke, Kamerad.«

«Bedanken Sie sich bei der R.A.F. Die haben Sie auf ihrem Radar gefunden.«

«Aber woher wußten Sie…?«:

«Lange Geschichte«, sagte ich. Nancy klammerte sich immer noch an mich, als würde sie sofort umfallen, wenn sie losließ. Ich machte das beste daraus, indem ich sie noch einmal küßte, diesmal aus eigenem Antrieb.

Sie lachte zittrig und ließ ihre Arme sinken.»Als du plötzlich da warst — ich kann dir gar nicht sagen — es war so eine Erleichterung.«

Annie Villars kam nun ebenfalls herbei und berührte sie am Arm, und sie drehte sich mit derselben hektischen Übererregung zu ihr um.

«Oh… Annie.«

«Ja, mein Kind«, sagte sie ruhig.»Was Sie jetzt brauchen, ist ein kräftiger Brandy.«

«Ich müßte mich eigentlich um die Maschine kümmern…«Sie schaute vage in meine Richtung und dann wieder zu ihrer Cherokee hinüber.

«Colin und Matt werden sich um alles kümmern.«

«Na gut…«Sie ließ sich von Annie Villars abführen, die ihre Haltung wiedergefunden hatte und jetzt unzweifelhaft das Kommando übernahm, wie es einem guten General anstand. Kenny, der andere Jockey und der Trainer folgten den beiden gehorsam.

«So«, sagte Colin.»Woher um alles in der Welt haben Sie gewußt, daß wir Sie brauchen?«

«Ich zeig’s Ihnen«, sagte ich.»Kommen Sie mit und sehen Sie sich’s an. «Wir gingen zurück zu der kleinen Cherokee, und ich kletterte auf den Tragflügel und legte mich quer über die beiden Vordersitze auf den Rücken, um unter die Instrumententafel sehen zu können.

«Was um alles in der Welt…?«:

Das Ding war da. Ich zeigte es ihm. Sehr sauber, sehr klein. Ein kleines Kunststoffpäckchen, das frei an einem Gummiband hin und her schwang, welches seinerseits am Kabel zum Hauptschalter hing. Etwas näher am Schalter war ein Draht des zweiadrigen Kabels blank: Die beiden durchtrennten Kupferenden ragten säuberlich aus der schwarzen Isolierung hervor.

Ich ließ alles, wo es war, und kletterte vorsichtig wieder auf die Tragfläche hinaus.

«Was ist das? Was hat das zu bedeuten?«

«Die Stromversorgung wurde sabotiert.«

«Um Himmels willen… Warum denn?«

«Das weiß ich nicht. «Ich seufzte.»Ich weiß nur, wer es getan hat. Dieselbe Person, die vor einem Monat die Bombe gelegt hat. Major Rupert Tyderman.«

Er sah mich verständnislos an.»Das ergibt keinen Sinn.«

«Nicht viel. Nein.«

Ich erzählte ihm, wie der Major die Bombe gezündet hatte, während wir sicher auf dem Boden standen, und daß er heute geglaubt hatte, ich flöge Nancys Cherokee und könnte mit den Schwierigkeiten fertig werden.

«Aber das. das heißt.«

«Ja«, sagte ich.

«Er versucht es so hinzustellen, als versuche jemand, mich zu töten.«

Ich nickte.»Während er gleichzeitig wie ein Schießhund aufpaßt, daß Sie überleben.«

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