Kapitel 14

Nach Honeys Planung hatte ich ein Ehepaar White-knight mit seinen beiden jungen Töchtern nach Lydd zu fliegen, wo die Töchter zusammen mit Freunden mit der Auto-Flug-Fähre zum Urlaub in Frankreich nach Le Toquet fliegen würden. Nachdem sie ihre Töchter verabschiedet hatten, wollten die Whiteknights zurück nach Warwick gebracht werden, um dort ihr Pferd im ersten Rennen starten zu sehen. Da es in Warwick an der Rennbahn kein Flugfeld gab, hieß das, in Coventry zu landen und von dort aus ein Taxi zu nehmen.

Gehorsam pickte ich die Familie in Buckingham auf und nahm mit der Six Kurs auf Kent. Die beiden Töchter, ungefähr vierzehn und sechzehn, waren weltverdrossene, unerfreuliche Geschöpfe und blickten auf alles um sie herum mit tiefverwurzelter Verachtung herab. Ihre Mutter behandelte mich kühl und herablassend; sie war die unangefochtene Herrscherin der Familie. Der barsche, von seinen Frauen weitgehend ignorierte Mr. Whiteknight, ein unterdrückter Familienversorger, bildete wohl gewohnheitsmäßig die Nachhut.

In Lydd schleppte ich, ohne ein Wort des Dankes dafür zu hören, die Koffer der Töchter ins Terminal, ging dann wieder zurück zur Maschine, um dort das Ende der Abschiedszeremonie abzuwarten. Mr. Whiteknight hatte zuvorkommenderweise seine Sporting Life auf seinem Sitz liegengelassen. Ich nahm sie mir und schaute hinein. Ein

Bild vom Ambrose-Unfall. Wie üblich zerfetztes Metall am Straßenrand, das traurige Ergebnis von Ungeduld.

Ich blätterte weiter, weil ich wissen wollte, wie viele Rennen Colin in Warwick reiten würde. Er war für fünf eingetragen, und in den meisten davon ritt er den Favoriten.

Neben dem Rennprogramm für Warwick stand in fetten, schwarzen Buchstaben eine Anzeige.

«COLIN ROSS IST BEI UNS VERSICHERT. UND SIE?«Darunter ging es in kleinerer Schrift weiter: »Sie haben vielleicht nicht das Glück, zweimal um Haaresbreite davonzukommen. Lassen Sie es nicht darauf ankommen. Schneiden Sie das Anmeldeformular aus und schicken Sie es zusammen mit fünf Pfund an den Versicherungsverein für Rennbesucher, Avon Street, Warwick. Ihr Versicherungsschutz beginnt in dem Augenblick, da Ihr Brief auf der Post ist.«

Ich ließ die Zeitung sinken, blickte ins Leere und pfiff durch die Zähne.

Major Tyderman hatte Annie Villars erzählt, er habe zusammen mit einem Partner eine Sache eingefädelt, die sie reich machen würde. Sie hatte geglaubt, er meinte die Vollmacht über Rudiments, aber das war es natürlich nicht gewesen. Die Geschichte mit Rudiments hatte sich einfach daraus ergeben, daß Tyderman einer kleinen Schwindelei nebenbei nicht widerstehen konnte, auch wenn er zugleich in einer viel größeren Schüssel rührte.

Tyderman hatte Annie dazu überredet, ihn dem Herzog vorzustellen, so daß er seinerseits Carthy-Todd beim Herzog einführen konnte. Goldenberg war nur Nebensache, wurde nur benötigt, um Wetten zu plazieren. Auf Carthy-Todd kam es an, er war der Kopf, der alles ausheckte, der Anstifter. Und alle anderen, Tyderman, der Herzog, Colin, Annie, ich selbst — wir waren nur Figuren auf seinem Schachbrett, die er umherschob, bis das Spiel gewonnen war.

Alles einstreichen und sich dann aus dem Staub machen, das mußte der Plan sein, den er verfolgte. Er hatte nicht gewartet, daß das Versicherungsgeschäft langsam und auf normalem Wege anwuchs; er hatte ein Flugzeug gesprengt und sich die Prominenz von Colin Ross zunutze gemacht. Er würde jedenfalls nur bleiben, solange die Regulierungen noch keinen höheren Umfang einnahmen, und falls die Unfallopfer von Newmarket tatsächlich versichert waren, dann verschwand er sicherlich in den nächsten Tagen. Er würde gerade lang genug bleiben, um den vom Unfall ausgelösten Anstieg der Prämienzahlungen mitzunehmen, und dann nichts wie weg. Das Geld auf eine Schweizer Bank und eine einfache Fahrkarte zum nächsten ergiebigen Jagdgrund.

Ich wußte nicht, wie ich ihn aufhalten sollte. Beweise würde es erst geben, wenn er den Betrug tatsächlich begangen hatte. Ich hatte nichts in der Hand, um meine Vermutung zu erhärten. Niemand würde nur aufgrund einer Vermutung drastische Maßnahmen ergreifen. Ich konnte vielleicht beim Handelsministerium anrufen… Aber das Verhältnis zwischen dem Handelsministerium und mir war zur Zeit doch ein wenig gespannt. Der große Mann würde vielleicht zuhören. Er hatte ja sogar wissen wollen, was ich über die Dinge dachte. Vielleicht gab es einen heißen Draht zwischen der Abteilung für Flugverkehr und der für Versicherungen. Vielleicht aber auch nicht.

Mit einem Seufzer faltete ich Mr. Whiteknights Zeitung wieder zusammen und sah mir noch einmal den Unfall auf der Titelseite an. Dann blieb mein Blick auf einer kleinen Artikelüberschrift links unten neben dem Unfallbericht hängen.

Sie lautete» Tyderman«. Ich las die trockene, knappe Mitteilung darunter, und eine erst vage, dann alarmierende Besorgnis stieg in mir auf.

Ein Unbekannter, bei dem es sich wahrscheinlich um Major Rupert Tyderman handelt, wurde gestern zwischen Swindon und Bristol an der Bahnlinie von London nach South Wales tot aufgefunden. Zunächst hieß es, sein Tod sei auf den Sturz aus dem Zug zurückzuführen, aber später wurde als Todesursache eine Stichwunde festgestellt. Die Polizei, die Major Tyderman hatte vernehmen wollen, ist noch mit den Nachforschungen beschäftigt.

Als die Eltern Whiteknight über den Rasen auf die Maschine zukamen, wußte ich bereits, was zu tun war. Sie waren wenig erfreut, als ich ihnen entgegenkam und sagte, ich wolle ein Telefongespräch führen. Dazu sei keine Zeit mehr, meinten sie.

«Eine Rückfrage wegen des Wetters«, log ich. Sie blickten hinauf zum weißlichen Himmel der jetzt schon ziemlich lang anhaltenden Hitzewelle und warfen mir zu Recht böse Blicke zu. Ich ließ sie einfach stehen.

Der höfliche Diener des Herzogs war am Apparat.

«Nein, Mr. Shore, es tut mir sehr leid, aber Seine Gnaden sind vor einer halben Stunde in Richtung Warwick abgefahren.«

«Mit dem kleinen Matthew?«

«Ja, Sir.«

«Wissen Sie, ob er vorhat, das Büro des Versicherungsvereins aufzusuchen, bevor er zur Rennbahn geht?«

«Ich glaube wohl, Sir. Ja.«

In immer größerer Sorge legte ich auf. Rupert Tyder-mans Tod machte aus dem Ganzen ein Spiel in einer anderen Klasse. Vorher, bei den Anschlägen auf die Flugzeuge, hatten keine Menschenleben auf dem Spiel gestanden; es war zwar eiskalte Berechnung am Werk gewesen, aber eindeutig die Absicht, nicht zu töten. Wenn Carthy-Todd jetzt jedoch beschlossen hatte, reinen Tisch zu machen. Wenn Tydermans Schnitzer mit Nancys Flugzeug, der zu seiner Entlarvung geführt hatte, zugleich seinen Tod zur Folge gehabt hatte… Wenn Carthy-Todd verhindert hatte, daß Tyderman gegen ihn aussagen konnte… Dann würde er, könnte er möglicherweise auch den einfältigen, ehrlichen, redseligen Herzog umbringen.

Er würde es nicht tun, dachte ich kalt. Er konnte es nicht tun.

Ich glaubte es mir selber nicht.

Die Whiteknights hatten keinen Grund, sich über die Geschwindigkeit zu beklagen, mit der ich sie nach Coventry flog, aber sie stimmten nur widerwillig zu, als ich sie bat, mich im Taxi zu den Rennen mitzunehmen. Ich trennte mich am Haupteingang von ihnen und ging zu Fuß ein Stück zurück, stadtwärts, auf der Suche nach dem Büro des Versicherungsfonds. Wie der Herzog gesagt hatte, lag es nicht weit von der Rennbahn entfernt: weniger als vierhundert Meter.

Es befand sich in der ersten Etage eines kleinen, mäßig gepflegten Stadthauses ohne Vorgarten. Das Erdgeschoß schien unbewohnt zu sein, aber die Haustür stand offen, und ein Schild im Hausflur verkündete:»Versicherungsfonds für Rennbesucher, 1. Stock«.

Ich ging hinauf. Auf dem ersten Treppenabsatz gab es eine Toilette, ein Vorzimmer und eine Tür mit einem Zylinderschloß von Yale und einem Klopfer in Form eines Pferdekopfes. Ich betätigte den Türklopfer einige Male; dann wurde die Tür jäh geöffnet.»Hallo«, sagte der kleine Matthew und hielt die Tür weit auf.»Mein Onkel meinte gerade, Sie würden uns noch verpassen. Wir gehen jetzt zu den Rennen.«

«Kommen Sie herein zu uns, mein lieber Junge«, erklang die Stimme des Herzogs in dem Raum.

Ich trat in das Büro ein. Auf den ersten Blick wirkte es elegant; pflaumenblauer Teppichboden, aber von minderer Qualität, zwei Sessel von wuchtiger Optik, aber mit billigen Schaumstoffpolstern, zwei schulterhohe Aktenschränke aus Metall und ein moderner Resopalschreibtisch. Der Eindruck eines soliden, nüchternen, wohleingeführten Geschäftes ergab sich ausschließlich aus den guten Proportionen des mit Erkerfenster versehenen Raumes, dem Stuckwerk an der Decke aus dem 19. Jahrhundert, den Holzschnitzereien, dem Marmorsims des schönen Kamins und einigen dunklen, goldgerahmten Ölbildern an den Wänden. Das Büro war geschickt ausgesucht, es sollte überzeugen, den Eindruck von Sicherheit vermitteln, gefallen. Und da die Kunden einer Versicherungsgesellschaft so gut wie nie die Büroräume der Gesellschaft aufsuchen, konnte dieses Büro nur dem einen Zweck dienen, den Herzog selbst zu überzeugen, zu beruhigen und ihm zu gefallen.

Der Herzog machte mich mit dem Mann bekannt, der hinter dem Schreibtisch gesessen hatte und sich nun erhob.

«Charles Carthy-Todd… Matthew Shore.«

Ich schüttelte dem Mann die Hand. Er hatte mich vorher schon gesehen und ich ihn. Keiner von uns ließ das auch nur ansatzweise erkennen. Ich hoffte, er hatte nicht bei mir das gleiche winzige Nachlassen der Anspannung bemerkt, das mir an ihm auffiel. Die Spannung, unter der ich stand, hatte sich keinen Deut vermindert.

Er stellte genau das dar, was der Herzog angekündigt hatte: einen Mann von sicherem Auftreten mit wohlklingender Stimme, jeder Zoll ein Gentleman mit guter Erziehung. Und all das mußte er auch darstellen, um den Herzog einzufangen. Die silbergerahmten Fotografien, die der Herzog erwähnt hatte, dienten dem gleichen Zweck.

Er hatte dunkles Haar mit ersten Spuren von Grau, einen dichten, kleinen Schnurrbart, rötlichbraune, leicht glänzende Haut und eine schwere schwarze Hornbrille als Sehhilfe für seine graublauen Augen.

Der Herzog saß behaglich in einem Sessel am Erkerfenster, sein majestätisches Haupt war vom Tageslicht dahinter mit einem Lichtkranz umgeben. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen, die Haltung der Hände war entspannt, er rauchte eine Zigarre. Aus seiner ganzen Stimmung, die angenehmes Wohlgefühl vermittelte, war leicht der Stolz zu erkennen, mit dem ihn dieser schöne Wohltätigkeitsfonds erfüllte. Ich wünschte ihm von Herzen, daß ihm kein böses Erwachen bevorstand.

Charles Carthy-Todd setzte sich wieder und bot dem kleinen Matthew aus einer halbleeren, runden, rotgoldenen Dose ein Stück schokoladenüberzogene Orangenschale an

— dabei war er durch meine Ankunft unterbrochen worden. Matthew nahm eins, bedankte sich, aß es und beobachtete Carthy-Todd mit besorgter Zurückhaltung. Genau wie der Herzog vertraute ich dem Instinkt des kleinen Matthew. Und allzu offensichtlich war dessen Signal inzwischen auf Gelb, wenn nicht auf Rot umgesprungen. Ich hoffte um unser aller willen, daß ihm seine gute Erziehung half, nichts davon verlauten zu lassen.

«Geben Sie Matthew ein Antragsformular, Charles«, sagte der Herzog zufrieden.»Deswegen ist er gekommen, wissen Sie, um der Versicherung beizutreten.«

Carthy-Todd erhob sich gehorsam, ging hinüber zu den Aktenschränken, öffnete eine der oberen Schubladen und entnahm ihr zwei verschiedene Blätter Papier. Das eine war, wie sich herausstellte, das Antragsformular und das andere eine reich verzierte Versicherungsurkunde. Ich füllte den höchst einfach gehaltenen Antrag aus, während Carthy-Todd meinen Namen und eine Versicherungsnummer auf die Urkunde schrieb; dann gab ich ihm einen Fünfer — das bedeutete: nur noch Cornflakes bis zum nächsten Zahltag —, und das Geschäft war abgeschlossen.

«Sie müssen jetzt gut auf sich achtgeben, Matt«, scherzte der Herzog, und ich lächelte und sagte, ja, das wolle ich.

Der Herzog sah auf seine Uhr.»Gütiger Gott!«Er erhob sich.»Also los jetzt, alle miteinander. Zeit, daß wir zur Rennbahn gehen. Und keine Ausreden mehr, Charles, ich bestehe darauf, daß Sie mit mir essen. «An mich gewandt erklärte er:»Charles geht nur sehr selten zu den Rennen. Er gibt nicht viel darum, verstehen Sie? Aber da die Bahn hier direkt nebenan ist.«

Carthy-Todds Abneigung gegen Besuche auf der Rennbahn fand ich vollkommen verständlich. Er wollte ungesehen bleiben, anonym, unerkennbar, so wie er es die ganze Zeit gewesen war. Charles würde sich in der Tat die Veranstaltungen, an denen er teilnahm, sehr sorgfältig aussuchen. Er würde niemals, stellte ich mir vor, auftauchen, ohne sich vorher beim Herzog vergewissert zu haben, daß er auch kam.

Wir gingen zurück zur Rennbahn, der Herzog und Carthy-Todd voraus, der kleine Matthew und ich hinterher. Der kleine Matthew ließ den Abstand etwas größer werden und sagte dann leise zu mir:»Also, Matt, ist Ihnen an Mr. Carthy-Todd etwas aufgefallen?«

Ich beobachtete seinen Gesichtsausdruck. Halb besorgt, halb verwirrt. Er suchte Rückhalt.

«Was ist dir denn aufgefallen?«»Ich habe noch nie zuvor jemanden mit solchen Augen gesehen.«

Kinder sind unglaublich aufmerksam. Matthew hatte sofort bemerkt, worauf ich mit Vorbedacht geachtet hatte.

«Ich würde es ihm gegenüber nicht erwähnen. Er hört es vielleicht nicht gern.«

«Wahrscheinlich nicht. «Er stockte.»Ich mag ihn nicht übermäßig.«

«Kann ich verstehen.«

«Und Sie?«

«Auch nicht«, sagte ich.

Er nickte befriedigt.»Alles andere hätte mich auch gewundert. Ich weiß nicht, warum Onkel so begeistert von ihm ist. Onkel«, fügte er nüchtern hinzu,»hat nicht viel Menschenkenntnis. Er glaubt, alle Menschen seien so nett wie er. Aber das sind sie nicht.«

«Wie lange dauert es noch, bis du bei ihm als Geschäftsführer anfangen kannst?«

Er lachte.»Ich weiß alles über Treuhänder. Ich habe welche. Kann das nicht bekommen und darf dies nicht tun, so geht es den ganzen Tag, sagt Mutter.«

«Hat dein Onkel Vermögensverwalter?«

«Nein. Mutter schimpft immer, daß mein Onkel nicht in der Lage sei, die ganze Knete zu verwalten, und daß er eines Tages alles mit einer riesigen Fehlinvestition in den Sand setzen wird. Ich habe meinen Onkel danach gefragt, aber er hat nur gelacht. Er meinte, daß er Börsenmakler habe, die sich um alles kümmern, daß er immer reicher werde und wenn er Geld für irgend etwas brauche, müsse er das nur dem Börsenmakler sagen, der dann ein paar Aktien verkaufe und ihm den Erlös zuschicke. Alles sehr einfach. Mutter macht viel Lärm um nichts. Wegen Geld wird Onkel kaum in Schwierigkeiten kommen, weil er weiß, daß er nichts davon versteht. Sie wissen, was ich meine.«

«Es wäre besser, wenn er Mr. Carthy-Todd nicht zuviel gäbe.«

Er warf mir einen kurzen, verständnisinnigen Blick zu.

«Genau das war auch mein Gefühl. Meinen Sie, es könnte etwas nützen, wenn ich mal versuchte, meinen Onkel etwas von ihm abzubringen?«

«Könnte jedenfalls nichts schaden.«

«Ich kann’s ja mal versuchen«, sagte er.»Aber er ist wahnsinnig angetan von ihm. «Er dachte scharf nach und fing dann an zu grinsen.»Aber ich muß sagen«, sagte er,»er hat verdammt gute Orangenschalenschokolädchen.«

Annie Villars hatte die Sache mit Kenny Bayst ziemlich aufgewühlt.»Ich habe ihn heute morgen kurz besucht. Er hat beide Beine gebrochen, und sein Gesicht ist von Glassplittern zerschnitten. Meint, er kann erst in der nächsten Saison wieder reiten. Glücklicherweise ist er beim Verein der Rennbahnbesucher versichert. Hat ihnen einen Zehner geschickt, erzählte er mir, und hofft, daß er wenigstens zweitausend Pfund bekommt. Wunderbare Sache, diese Versicherung.«

«Sind Sie auch beigetreten?«

«Auf jeden Fall. Nach der Bombe. Wußte damals natürlich nicht, daß es Rupert war. Aber immerhin, so etwas erledigt man besser sofort, statt es auf die lange Bank zu schieben.«

«Waren Kitch und die Pferdepfleger ebenfalls versichert, wissen Sie das zufällig?«

Sie nickte.»Sie waren alle bei Kitch beschäftigt. Er hatte all seinen Leuten empfohlen, diese Versicherung abzuschließen. Sogar angeboten, ihnen die Prämien vorzuschießen und nach und nach vom Lohn einzubehalten. Das ist jetzt in Newmarket Thema Nummer eins; Glück im Unglück, finden alle. Alle Pferdepfleger in der Stadt, die noch keine Versicherung haben, werden in den nächsten Tagen ihren Fünfer schicken.«

Ich zögerte.»Haben Sie die Notiz über Rupert Tyderman in der Sporting Life gesehen?«

Ihr Gesichtsausdruck wurde traurig: Zum ersten Mal, seit ich sie kannte, nahm ihr Mund eine sanfte Rundung an, die nicht aufgesetzt war.

«Der arme Rupert. Was für ein Ende, ermordet zu werden.«

«Daran besteht also kein Zweifel mehr?«

Sie schüttelte den Kopf.»Als ich den Artikel sah, habe ich sofort die Lokalzeitung in Kemble angerufen — da, wo sie ihn gefunden haben. Er lag, sagten sie mir, am Fuß des Bahndammes in der Nähe einer Straßenbrücke über die Eisenbahn. Man glaubt, daß er vielleicht in einem Auto nachts dorthin gebracht worden ist, also gar nicht aus dem Zug stürzte. «Sie schüttelte nachdenklich den Kopf.»Er hatte eine Stichwunde unter dem linken Schulterblatt, und er war schon seit Stunden tot, als man ihn fand.«

Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, bis es mir endlich gelang, den Herzog ohne Carthy-Todd im Schlepptau zu erwischen.

«Ich habe meine Brieftasche im Büro des VersicherungsVereins liegenlassen«, sagte ich.»Muß sie wohl auf dem Schreibtisch vergessen haben, als ich meinen Beitrag bezahlt habe. Könnten Sie mir vielleicht einen Schlüssel zum Büro geben, falls Sie einen haben, so daß ich sie mir eben zurückholen kann?«»Mein lieber Junge, selbstverständlich. «Er zog einen kleinen Schlüsselbund aus der Tasche und machte einen nagelneuen Yale-Schlüssel davon los.»Bitte schön. Dieser hier ist es.«

«Sehr freundlich, Sir. Ich bin gleich zurück. «Ich setzte mich in Bewegung, drehte mich dann noch einmal herum, grinste, ein kleiner Scherz.

«Was geschieht eigentlich, wenn Sie selbst bei einem Autounfall ums Leben kommen? Was geschieht dann mit der Versicherung?«

Er lächelte mir beruhigend zu, als wolle er mir onkelhaft auf die Schulter klopfen.»Ist alles geregelt, mein lieber Junge. Habe eigens ein paar Papiere dafür unterschrieben. Der Fundus der Versicherung würde durch besondere Vorkehrungen aus meinem Nachlaß sichergestellt.«

«Hat Charles sich darum gekümmert?«

«Natürlich. Selbstverständlich. Er versteht sich auf diese Dinge, wissen Sie.«

Ich hatte den Haupteingang noch nicht erreicht, da hörte ich hinter mir eine Stimme rufen:»Matt.«

Ich blieb stehen und drehte mich um. Es war Colin, der hinter mir herlief, in der Hand immer noch den Sattel des Verlierers, den er im ersten Rennen geritten hatte.

«Habe nur eine Sekunde Zeit«, sagte er.»Muß mich umziehen fürs nächste Rennen. Sie wollen doch nicht schon gehen, oder? Haben Sie Nancy getroffen?«

«Nein. Ich habe sie noch nicht gesehen. Ich dachte… vielleicht…«

Er schüttelte den Kopf.»Sie ist hier. Dort oben auf dem Balkon, mit Midge.«

Ich folgte seinen Blicken und sah sie, weit weg, hoch über mir, wie sie die Köpfe zusammensteckten, zwei Hälften eines Ganzen.

«Wissen Sie, welche von beiden Nancy ist?«fragte Colin.

Ich sagte ohne Zögern:»Die linke.«

«Die meisten Leute können sie nicht unterscheiden.«

Er sah meinen Gesichtsausdruck und sagte aufgebracht:»Wenn Sie so für sie empfinden, warum zum Teufel sagen Sie es ihr nicht? Sie glaubt jetzt, sie hätte sich alles nur eingebildet… Sie versucht, es nicht zu zeigen, aber sie ist sehr unglücklich.«

«Sie würde von einem Taschengeld leben müssen.«

«Aber was zum Kuckuck macht das schon? Sie können zu uns ziehen. Wir wollen Sie alle bei uns haben. Midge will Sie da haben — und zwar jetzt und nicht irgendwann in der Zukunft, wenn Sie glauben, daß Sie es sich leisten können. Jetzt ist unsere Zeit, dieser Sommer. Vielleicht bleibt uns danach nicht mehr viel. «Er warf sich den Sattel über den Arm und warf einen Blick zurück zum Waageraum.»Ich muß jetzt gehen. Wir müssen uns später unterhalten. Ich bin gerade nur hinter Ihnen hergelaufen, weil es so aussah, als wollten Sie schon gehen.«

«Ich bin rasch wieder zurück. «Ich entschloß mich, ihn ein Stück weit zum Waageraum zu begleiten.»Colin… ich sollte es vielleicht jemandem erzählen… man kann nie wissen. «Er blickte mich fragend an, und ich erklärte ihm in knappen Worten, wieso der Versicherungsverein Betrug war, wie er, Colin, und die Bombe dazu gedient hatten, das Geschäft anzuheizen, und welche Betrügereien Carthy-Todd im Sinn hatte.

Er blieb wie angewurzelt stehen.»Großer Gott«, sagte er.»Die Versicherung war so eine prächtige Idee. Was für eine verdammte Schande.«

Samstag nachmittag. Das Handelsministerium war nach Hause gegangen, zu Frau und Kindern, zum Rasenmähen. Ich legte den Telefonhörer auf und dachte kurz daran, die Polizei zu informieren.

Die Polizei war da, auf der Rennbahn, auf einen Einsatz wohl vorbereitet. Aber auch willens? Wohl kaum. Sie war da, um den Verkehr zu regeln; ein noch nicht begangenes Verbrechen würde sie keinen Zentimeter von der Stelle bewegen.

Beide Behörden würden irgendwann, wenn sie mir glaubten, bei Carthy-Todd vorsprechen. Nach vorheriger Anmeldung wahrscheinlich, vor allem das Handelsministerium.

Aber es würde keinen Carthy-Todd mehr geben, um sie zu empfangen. Keine Geschäftsbücher. Keine Versicherung. Und vielleicht auch keinen Herzog mehr…

Hatte ich mir nicht immer gesagt, bring dich nicht in Schwierigkeiten?

Hatte noch nie darauf gehört.

Noch nicht einmal eine Uhr tickte in Carthy-Todds Büro. Völlige Stille. Und es war nur Einbildung von mir, diese Stille für unheilverkündend und bedrückend zu halten. Carthy-Todd war mit Sicherheit bei den Rennen, und so sollte mir eigentlich mindestens eine gute Stunde bleiben: Das sagte mir mein Kopf. Meine Nerven allerdings dachten anders darüber.

Ich ertappte mich dabei, daß ich auf Zehenspitzen ging. Lächerlich. Ich hätte tatsächlich beinahe gelacht und setzte meine Füße fest auf den Teppich, der ohnehin jedes Geräusch verschluckte.

Auf dem Schreibtisch nichts Ungewöhnliches: ein Löscher ohne Löschpapier, eine Schale mit Kugelschreibern und Bleistiften, ein grünes Telefon, Fotografien von einer

Frau, drei Kindern und einem Hund in einem Silberrahmen, ein zugeklappter Kalender und die rotgoldene Büchse mit schokoladenüberzogenen Orangenschalen.

In den Schubladen fand ich Schreibpapier, Büroklammern, Briefmarken und einen kleinen Stapel mit der Broschüre» Versichern Sie sich gegen Bomben auf dem Heimweg«. Zwei von den vier Schubladen waren völlig leer.

Zwei Aktenschränke. Einer unverschlossen, einer verschlossen.

Die oberste der drei Schubladen des unverschlossenen Schrankes enthielt die Antragsformulare und Versicherungsurkunden sowie ein Paket mit Formularen für Schadensmeldungen; in der zweiten Schublade lagen die ausgefüllten Formulare der Versicherungsnehmer, abgelegt in Heftern von A bis Z; und die dritte, fast leere Schublade enthielt nur drei Hefter: einen mit der Aufschrift» Erledigte Schadensfälle«, einen mit» Schadensfälle in Bearbeitung «und schließlich einen mit der Aufschrift» Einnahmen«.

Unter» Erledigte Schadensfälle «waren zwei Zahlungen von je tausend Pfund verzeichnet, eine davon an Acey Jones und eine an einen Trainer aus Kent, der bei der Abendstallzeit einen Tritt ins Gesicht bekommen hatte. Und dreihundert Pfund waren einer Pferdepflegerin aus Newmarket wegen eines Handgelenkbruchs gezahlt worden, den sie sich bei der Morgenarbeit beim Sturz von einem Zweijährigen zugezogen hatte. Die sorgfältig ausgefüllten Schadensmeldungen, denen auch ärztliche Atteste beigefügt waren, trugen den Stempel» Ausgezahlt «mit einem Datum.

Unter» Schadensfälle in Bearbeitung «fand sich etwas mehr. Hier waren fünf Anforderungen für Schadensformulare abgeheftet, auf denen» Formular gesandt «vermerkt war, und zwei vollständig ausgefüllte, zurückgesandte

Formulare, mit denen eine Auszahlung beansprucht wurde wegen eines von einem hungrigen Hürdenpferd abgebissenen Fingers und eines Fußes, der sorgloserweise in die Bahn eines Pflugs geraten war. Aus dem Datum der Schreiben ging hervor, daß die Anspruchsteller erst einen Monat auf ihr Geld warteten. Kaum eine Versicherungsgesellschaft erfüllte Ansprüche schneller.

Der dünne Ordner» Einnahmen «war der interessanteste. Die Aufzeichnungen vermerkten für jeden Tag die Anzahl der Neuversicherten. Von sporadischen zwei und drei in den ersten Wochen nach Gründung des Vereins waren die Zahlen kometenhaft in die Höhe geschnellt.

Der erste große Anstieg war am Rande in einer kleinen, sauberen Handschrift mit dem Vermerk» A. C. Jones usw. «versehen. Und der zweite, geradezu astronomische Anstieg war kommentiert mit» Bombe!«, der dritte, etwas weniger steile dann mit dem Wort» Broschüre«. Zu Beginn des vierten, ebenfalls bemerkenswerten Anstiegs fand sich die Eintragung» Stromausfall«. Danach waren die Zahlen über einige Tage gemittelt ständig gestiegen. Zu dem Zeitpunkt hatte die Botschaft bereits alle erreicht, für die sie bestimmt war.

Die Gesamtzahl der Versicherten betrug jetzt nach zwei Monaten fünftausendvierhundertzweiundsiebzig. Und die Einnahmen beliefen sich, da einige Versicherungsnehmer die doppelte Prämie für doppelte Leistungen gezahlt hatten, auf achtundzwanzigtausendundvierzig Pfund.

Nach der nächsten Woge von Prämienzahlungen, die nach dem Unfall von Kitch und Ambrose (der sicherlich nicht Carthy-Todds Werk war, da für ihn ja nur Unfälle von Nichtversicherten Nutzen brachten) zu erwarten stand, würde genug in der Kasse sein, um alle Ansprüche zu befriedigen. Ich seufzte nachdenklich. Es war, wie Colin gesagt hatte, eine verdammte Schande. Der Herzog hatte die Versicherung völlig richtig eingeschätzt. Von einem ehrlichen Mann geführt, vielleicht mit einer geringfügigen Korrektur des Verhältnisses der Prämienhöhen zu den Höhen der Auszahlungen, wäre es wirklich eine gute Sache gewesen.

Verärgert knallte ich die obere Schublade zu und spürte sofort, wie das Adrenalin durch meine Adern schoß, als der Lärm in dem leeren Raum nachhallte.

Nichts rührte sich. Das Flattern meiner Nerven ließ nach und wich wieder einer verstärkten Anspannung.

Der verschlossene Schrank war nur gegen zufällige Blicke geschützt. Ich kippte ihn gegen die Wand und tastete die Unterseite ab; tatsächlich handelte es sich um den Typ, der nur durch eine einzige durchgehende Stange an der Rückseite verschlossen wird. Ich drückte die Stange von unten hoch, und alle Schubladen waren entriegelt.

Ich nahm sie mir nacheinander vor, schnell — der Lärm, den ich gemacht hatte, schien mich zu weiterer Eile anzuspornen. Selbst wenn ich Zeit genug hatte, wollte ich nur eins, wieder raus, fort aus diesem Büro.

In der oberen Schublade lagen weitere Hefter. In der mittleren stand ein großer, grauer, metallischer Kasten. Die untere Schublade enthielt zwei Pappschachteln und zwei kleine, rechteckige Blechdosen.

Ich holte tief Luft und arbeitete mich von oben nach unten durch. Die Hefter enthielten die Gründungsurkunden des Versicherungsvereins und die Papiere, die der Herzog so vertrauensselig unterzeichnet hatte. Das juristische Fachvokabular verschleierte auf wunderbare Weise, worauf Carthy-Todd eigentlich hinausgewollt hatte. Ich mußte alles zweimal lesen, mich sehr an die Kandare nehmen und zur Konzentration zwingen, bevor ich die beiden Verträge verstand, die der Herzog mit ihm geschlossen hatte.

Mit dem ersten übertrug der Herzog, wie er mir erzählt hatte, einhunderttausend Pfund aus seinem Besitz in eine Stiftung, die das Grundvermögen der Versicherung für den Fall seines Todes garantierte. Der zweite Vertrag schien auf den ersten Blick mit dem ersten identisch zu sein, war es aber durchaus nicht. Er bestimmte im wesentlichen, daß weitere einhunderttausend Pfund aus dem Nachlaß des Herzogs in die Stiftung eingezahlt werden sollten, falls der Herzog im ersten Jahr nach Gründung der Versicherung sterben sollte.

In beiden Fällen war Carthy-Todd als alleiniger Treuhänder der Stiftung eingesetzt.

In beiden Fällen hatte er völlig freie Hand, das Geld zu investieren oder zu verwenden, wie er es für das beste hielt.

Zweihunderttausend Pfund. Ich blickte ins Leere. Zweihunderttausend Pfund, wenn der Herzog starb. Ein Motiv, bei dem es auf einen Mord mehr oder weniger nicht mehr ankam. Um beispielsweise jemanden zum Schweigen zu bringen.

Die achtundzwanzigtausend Pfund Versicherungseinnahmen waren nur der Anfang. Der Köder. Der Jackpot war der Tod des Herzogs.

Seine Erben würden zahlen müssen. Der kleine Matthew, um genau zu sein. Die Dokumente schienen unanfechtbar, die Unterschriften waren beglaubigt und gestempelt, und es stand außer Frage, daß Carthy-Todd sich nicht erst die Mühe mit ihnen gemacht hätte, wenn sie nicht absolut wasserdicht gewesen wären.

Er würde nicht mehr viel Zeit vergeuden, dachte ich. Nicht jetzt, da bald die Ansprüche wegen des Ambrose-Unfalls geltend gemacht würden. Wenn der Herzog tot war, würden die zweihunderttausend Pfund fast augenblicklich ausgezahlt werden, denn diese Zahlungsverpflichtung würde genau wie eine Schuld aus seinem Nachlaß vorrangig bedient werden. Noch bevor das Testament eröffnet und bestätigt wurde. Wenn Carthy-Todd die Regulierung der Schadensfälle eine Weile verzögern konnte, dann würde er sowohl mit dem Geld des Herzogs als auch mit den gesamten Einnahmen der Versicherungsgesellschaft verschwinden können.

Ich legte den Hefter wieder zurück in die Schublade. Schob sie zu. Sanft. Mein Herz hämmerte.

Die zweite Schublade. Ein großer Metallkasten. Ließ sich öffnen, ohne daß man ihn aus dem Schrank nehmen mußte. Ich öffnete ihn. Viel Platz darin, aber nur spärlicher Inhalt. Etwas Baumwolle, Hautcreme, Klebstoff, ein halb verbrauchter Schminkstift. Ich machte den Kasten zu und schloß die Schublade. Das war zu erwarten gewesen.

Die untere Schublade. Kniete mich hin. Zwei kleine Blechdosen, eine fühlte sich leer an, die andere — voll und schwer — war rundum mit Klebeband umwickelt. Sah erst in die beiden Pappkartons und spürte, wie mir die Luft wegblieb wie nach einem schweren Tritt.

Die Pappschachteln enthielten die Zutaten für eine ferngesteuerte Bombe. Magnetspulen, Sender, Zünddraht, eine Batterie und ein kleiner Behälter mit Schwarzpulver in der ersten Schachtel. Plastiksprengstoff, eingepackt in Alufolie, in der anderen.

Ich hockte auf dem Boden und beäugte die kleine, schwere Blechdose. Was hatte der große Mann vom Handelsministerium gesagt? Je fester man eine Bombe packt, um so heftiger explodiert sie.

Beschloß, die kleine Blechdose nicht zu öffnen. Merkte, daß mir der kalte Schweiß auf der Stirn stand.

Ich schloß die unterste Schublade mit einer Vorsicht, die mir selbst verrückt vorkam angesichts der Unbekümmertheit, mit der ich den ganzen Schrank gekippt hatte, um ihn zu öffnen. Außerdem würde die Bombe nicht explodieren, bevor sie nicht das richtige Signal empfing… und dort, wo sie sich jetzt befand, in dem Schrank mit den wertvollen Dokumenten direkt darüber, war damit ohnehin kaum zu rechnen.

Ich wischte mir mit der Hand übers Gesicht. Stand auf. Schluckte.

Ich hatte alles gefunden, was ich hatte finden wollen, und mehr als das. Alles bis auf eins. Ich blickte mich in dem Büroraum um, suchte nach einem Versteck für etwas Großes.

Hinter Carthy-Todds Schreibtisch war eine Tür, die, wie ich vermutete, nach nebenan ins Büro der Sekretärin führte. Ich versuchte die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen.

Ich ging aus Carthy-Todds Büro zurück ins Vorzimmer und von dort durch die unverschlossene Tür ins Sekretariat. Keine Spur von einer Tür zu Carthy-Todds Büro darin zu entdecken, nur glatte Wand. Es mußte also ein Schrank sein, der sich mit einer Tür zu seinem Büro hin öffnete.

Ich ging zurück zu der Schranktür in Carthy-Todds Büro und überlegte. Wenn ich sie aufbrach, würde er es merken. Wenn ich es nicht tat, konnte ich nur vermuten, was sich dahinter verbarg. Der Beweis für einen bereits begangenen Betrug — damit konnte ich das Handelsministerium auf Trab bringen. Ein Beweis, der den Herzog dazu bringen würde, die Verträge zu kündigen oder sie zumindest so abzuändern, daß sie nicht länger sein Todesurteil waren.

Carthy-Todd hatte mit nichts Bösem gerechnet. Der Schlüssel für den Schrank lag auf seinem Schreibtisch in der Schale mit den Federhaltern und Bleistiften. Ein einziger Schlüssel — ich probierte ihn, und er paßte.

Öffnete die Schranktür. Sie quietschte in ihren Angeln, aber ich war von meiner Entdeckung zu sehr in Anspruch genommen, um das zu bemerken.

Da war er also. Mr. Acey Jones. Die Krücken lehnten an der Wand. Der weiße Gipsverband lag auf dem Boden.

Ich nahm den Gips und besah ihn mir. Er war von oben bis unten auf der Innenseite des Beines säuberlich aufgeschnitten. Man konnte den Fuß hineinstecken wie in einen Stiefel; dann schauten die nackten Zehen vorne heraus, und man hatte den Metallklotz, der das Gehen erleichtern sollte, genau unter dem Spann. Der Gips war entlang der Öffnung von oben bis unten mit kleinen Verbandklammern versehen. Man brauchte bloß den Fuß in den Gips zu stecken, ihn mit den Klämmerchen zu schließen, und Bingo, schon hatte man ein gebrochenes Bein.

Acey Jones, der für die Versicherung die Trommel gerührt hatte.

Acey Jones, Carthy-Todd. Hochstapler waren die besten Schauspieler der Welt.

Ich hörte ihn nicht kommen.

Ich legte den Gips zurück in den Schrank, richtete mich auf und wollte gerade die Schranktür schließen, als ich ihn aus den Augenwinkeln heraus ins Büro kommen sah. Ich hatte die Bürotür nicht hinter mir geschlossen, als ich aus dem Nebenzimmer zurückgekommen war. Ich hatte mich selbst um jede Reaktionszeit gebracht. Sein Gesicht wurde starr vor Zorn, als er sah, was ich entdeckt hatte.

«Ein neugieriger Pilot«, sagte er.»Als der Herzog mir erzählte, er habe Ihnen den Schlüssel gegeben…«Er hielt inne, vor Wut unfähig weiterzusprechen. Seine Stimme war jetzt anders, weder das Rugby von Carthy-Todd noch das Australisch von Acey Jones. Einfach normales, akzentfreies Englisch. Ich fragte mich kurz, wo er wohl herkam, wer er wohl wirklich war — tausend verschiedene Menschen, tausend Namen für tausend verschiedene Verbrechen.

Die blaß blaugrauen Augen, die mich durch die schwere, schwarzgefaßte Brille unverwandt anstarrten, kochten förmlich. Die nicht so recht dazu passenden weißen Augenlider, die Matthew aufgefallen waren, verliehen ihm nun eine wilde, fanatische Ruchlosigkeit. Die Entscheidung, zu der er sich durchrang, würde nicht zu meinem Besten ausfallen.

Er steckte die Hand in die Hosentasche und zog sie schnell wieder heraus. Ein scharfes Klicken. Ich starrte auf das Messer, das er da aufgeklappt hatte, und dachte mit einem Schreckensschauder an Rupert Tyderman, der tot an einem Bahndamm gelandet war.

Er machte einen Schritt zur Seite und stieß mit dem Fuß die Tür zu. Ich drehte mich zum Kaminsims um, um irgend etwas in die Hand zu bekommen, was dort stand — eine Fotografie, eine Zigarettendose, irgend etwas, das ich als Waffe oder Schild benutzen konnte.

Ich kam aber nicht mehr dazu, irgend etwas in die Hand zu nehmen, denn er ging nicht mit dem Messer auf mich los.

Er warf es.

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