Kapitel 6

Der Polyplane-Pilot stand daneben und sah zu. Ich war mit sechs Schritten bei ihm.

«Um Gottes willen«, sagte ich,»wir müssen ihm helfen.«

Er warf mir einen kalten, unbewegten Blick zu.»Ich habe morgen meine flugmedizinische Untersuchung. Machen Sie’s selbst.«

Nach drei weiteren Schritten erwischte ich die hoch erhobene Faust des einen Mannes, der gerade abermals auf den zusammensackenden Kenny einschlagen wollte. Ich bog seinen Arm brutal zurück und trat ihm heftig in die linke Kniekehle. Er fiel auf den Rücken mit einem Schrei, in dem sich Zorn, Überraschung und Schmerz mischten und dem sofort das Echo seines Kollegen folgte, der die Spitze meines Schuhs mit einiger Wucht auf seinem verlängerten Rücken zu spüren bekam.

Sie waren — im Gegensatz zu mir — Berufsschläger, und Kenny hatte nicht mehr genug Kraft, um aufzustehen, geschweige denn sich zu wehren. Also mußte ich den einen oder anderen Schlag einstecken. Aber sie hatten wohl nicht mit ernsthaftem Widerstand gerechnet, und es muß ihnen von Anfang an klar gewesen sein, daß ich nicht nach ihren Regeln spielte.

Ihre großen Fäuste waren drohend geballt, und an den Schuhspitzen hatten sie diese harten, runden Stahlkappen, hinter denen sich Feiglinge gern verstecken. Ich trat ihnen

kräftig gegen die Kniescheiben, stach ihnen mit den Fingern in die Augen und schlug meine Handkanten gegen ihre Kehlen.

Ich hatte noch vor ihnen die Nase voll. Dennoch übertraf ich sie an Entschlossenheit, da ich nicht die geringste Lust verspürte, zu Boden zu gehen und ihren Stiefeln Gelegenheit zu geben, mir die Nieren zu Brei zu treten. Schließlich waren sie das Ganze leid und humpelten recht unvermittelt davon, so als wären sie plötzlich zurückgepfiffen worden. Sie nahmen ein paar beschädigte Knieknorpel, schmerzende Kehlköpfe und ein schlimm zerkratztes Auge mit; ihrerseits ließen sie einen dröhnenden Schädel und eine Anzahl lädierter Rippen zurück.

Ich lehnte mich gegen das Flugzeug, kam langsam wieder zu Atem und schaute auf Kenny herunter, der im Gras saß. Sein Gesicht war ziemlich blutverschmiert. Es kam aus seiner Nase, und er hatte versucht, es mit dem Handrücken abzuwischen. Nach ein paar Sekunden bückte ich mich und half ihm auf. Er kam ohne die schreckliche Mattigkeit eines Schwerverletzten auf die Beine, und mit seiner Stimme war alles in Ordnung.

«Danke, Sportsfreund. «Er blinzelte mir zu.»Diese Schweine sagten, sie würden mich so bearbeiten, daß meine Tage im Sattel der Vergangenheit angehörten… Gott… fühle ich mich elend… sagen Sie, haben Sie zufällig Whisky da? Ahh… Jesus…«Er krümmte sich und erbrach sich lautstark auf den Rasen.

Als er sich wieder aufrichtete, zog er ein großes Taschentuch aus seiner Tasche, wischte sich den Mund ab und betrachtete dann voller Entsetzen die roten Flecken darauf.

«Ich blute.«

«Das ist Ihre Nase, sonst nichts.«»Oh…«Er hustete schwach.»Also, Sportsfreund, vielen Dank. Ich schätze, danke zu sagen ist nicht genug…«Sein Blick konzentrierte sich plötzlich auf den PolyplanePiloten, der immer noch unbeteiligt ein wenig abseits stand.»Dieser Bastard hat keinen Finger gekrümmt. Die hätten mich zum Krüppel geschlagen, und er hätte daneben gestanden… Ich habe geschrien.«

«Er hat morgen seine flugmedizinische Untersuchung«, sagte ich.

«Scheiß auf seine verdammte Untersuchung.«

«Diese Untersuchung ist alle sechs Monate fällig, sonst kriegt man Startverbot. Wenn man im Taxigeschäft lange mit einem Startverbot belegt ist, verliert man seinen Job entweder ganz oder zumindest die Hälfte seines Einkommens.«

«Hmm«, sagte er.»Und Ihre eigene Untersuchung, wann steht die auf dem Plan?«

«In gut zwei Monaten.«

Er lachte ein hohles Lachen, als sei ihm noch übel. Schluckte. Taumelte. Sah plötzlich sehr klein und verletzlich aus.

«Sie sollten rübergehen und mit dem Arzt reden«, meinte ich.

«Vielleicht… Aber ich habe am Montag den Ritt auf Volume Ten. großes Rennen. echte Chance auf einen besseren Job als bei Annie Villars, wenn ich meine Sache gut mache… will ich mir nicht entgehen lassen. «Er lächelte verzerrt.»Für Jockeys ist ein Startverbot auch nicht zum Totlachen, Sportsfreund.«

«Sie sind aber nicht in besonders guter Verfassung.«

«Ich komme schon wieder in Ordnung. Nichts gebrochen… außer vielleicht der Nase. Aber das macht nichts;

ist nicht das erste Mal. «Er hustete nochmals.»Heißes Bad. Ein paar Stunden Sauna. Bin am Montag wieder wie neu. Verdanke ich Ihnen.«

«Wie wär’s, wenn Sie mit der Polizei sprächen?«

«Ja. Tolle Idee. «Er klang sarkastisch.»Ich kann mir genau vorstellen, was die mich fragen werden. >Warum hat jemand versucht, Sie zum Krüppel zu schlagen, Mr. Bayst?< — >Tja, Wachtmeister, ich hatte versprochen, ihre Rennen zu manipulieren, wissen Sie, und dieser Mistkerl Goldenberg — bitte um Entschuldigung, meine Herren, Mr. Eric Goldenberg — schickt mir diese zwei schweren Jungs auf den Hals, um sich für all die Knete zu rächen, die er ausspucken mußte, weil ich gewonnen habe…< — >Und warum haben Sie versprochen, das Rennen zu manipulieren, Mr. Bayst?< — >Tja, Wachtmeister, ich hab so was früher auch schon mal gemacht, verstehen Sie, und mir auf diese Weise ein hübsches Sümmchen nebenbei verdient.. <«Er warf mir einen flackernden Blick zu und kam zu dem Schluß, daß er genug gesagt hatte.»Ich warte mal ab, wie die Sache morgen aussieht. Wenn ich in der Verfassung bin, am Montag zu reiten, dann vergesse ich einfach, was passiert ist.«

«Angenommen, sie versuchen es noch einmal?«

«Nein. «Er schüttelte vorsichtig den Kopf.»Die kommen nicht zweimal.«

Er hatte bisher am Rumpf des Flugzeugs gelehnt, richtete sich jetzt jedoch auf, begutachtete sein Spiegelbild im Fenster der Polyplane-Maschine, spuckte auf sein Taschentuch und wischte sich den größten Teil des Blutes vom Gesicht.

Die Nase hatte aufgehört zu bluten. Er betastete sie vorsichtig mit Daumen und Zeigefinger.

«Bewegt sich nichts. Knirscht auch nicht. Das war anders, als ich mir die Nase mal gebrochen hatte.«

Ohne das Blut sah er unter dem roten Haar blaß, aber nicht krank aus.»Ich komme jetzt wohl zurecht. Aber ich werde trotzdem ins Flugzeug steigen und mich hinsetzen, denke ich… Bin nämlich mit denen hierhergekommen…«

Ich half ihm hinein. Er ließ sich entkräftet auf seinen Platz sinken und sah mir nicht nach jemandem aus, der in sechsundvierzig Stunden fit genug sein würde, um ein Rennpferd zu reiten.

«Hey«, sagte er,»ich habe mich überhaupt nicht erkundigt… Sind Sie eigentlich selbst okay?«

«Ja… Ich werde Ihren Piloten jetzt dazu bewegen, Ihnen einen Whisky zu besorgen.«

Seine Reaktion zeigte, wie unsicher er sich noch immer fühlte.»Das wäre nur… recht und billig. Aber er wird nicht gehen.«

«Er geht«, sagte ich.

Er ging. Die britische Fliegerei ist eine kleine Welt. Jeder kennt jemanden, der jemand anderen kennt. Gewisse Neuigkeiten sprechen sich langsam, aber sicher herum und folgen einem schließlich überall hin. Er kapierte. Und war einverstanden, den Whisky aus eigener Tasche zu bezahlen.

Als er mit einer Viertelliterflasche und einem finsteren Stirnrunzeln zurückkam, war das letzte Rennen vorbei, und unsere Passagiere tauchten nach und nach in kleinen Grüppchen auf. Kenny wirkte nicht mehr ganz so zittrig, und als die beiden anderen Jockeys eintrafen und ihn mit lauten Ausrufen und Trost umsorgten, ging ich zurück zu meiner Cherokee.

Annie Villars wartete bereits auf mich, ohne irgendwelche Freude über ihren Sieg mit Rudiments erkennen zu lassen.

«Ich dachte, Sie wollten beim Flugzeug bleiben«, bemerkte sie. Eis knirschte in ihrer Stimme.

«Hab es nicht aus den Augen gelassen.«

Sie schnaubte. Ich überprüfte auf die Schnelle das Innere der Maschine zweimal, nur um ganz sicher zu gehen, aber niemand hatte seit meiner letzten Durchsuchung etwas an Bord verstaut. Den Außencheck machte ich langsamer und gründlicher. Auch nichts.

Langsam zeigten die Prügel, die ich bezogen hatte, Wirkung. Das dröhnende Geräusch in meinem Kopf wurde von einem heftigen Kopfschmerz abgelöst. Diverse durchgewalkte Stellen an meinen Oberarmen begannen sich zu versteifen. Mein Solarplexus und die angrenzenden Bereiche vermittelten mir eine Ahnung davon, wie Henry Coopers Gegner sich am Morgen danach gefühlt haben mußte.

«Wußten Sie«, sagte ich beiläufig zu Annie Villars,»daß zwei Männer gerade versucht haben, Kenny Bayst zusammenzuschlagen?«

Falls sie Mitleid empfand, hielt sie diese Regung bemerkenswert gut unter Kontrolle.»Ist er schwer verletzt?«

«Eine unbequeme Nacht, und die Sache müßte ausgestanden sein.«

«Na dann… Ich wage zu behaupten, er hat es verdient.«

«Wofür?«

Sie sah mich direkt an.»Sie sind nicht taub.«

Ich zuckte die Achseln.»Kenny glaubt, er hat es Mr. Goldenberg zu verdanken.«

Sie hatte nichts davon gewußt. Wußte nicht, ob Goldenberg dafür verantwortlich war oder nicht. Ich sah, wie sie zögerte, die Information erst verarbeiten mußte.

Schließlich sagte sie ausweichend:»Kenny konnte noch nie den Mund halten«, und einen Augenblick später, fast unhörbar:»Schwachsinnig, so etwas zu machen. Schwachkopf.«

Major Tyderman, der Herzog von Wessex und Fenella Nervensäge kamen gemeinsam an, und der Herzog plauderte immer noch glücklich über seinen Sieger.

«Wo steckt Colin?«fragte Fenella.»Ist er etwa noch nicht hier? Das ist ja wirklich zum Auswachsen. Ich habe im Waageraum nach ihm gefragt, und dieser Mann… Was sagte er doch gleich, wer er sei? Sein Diener?… O ja, natürlich… Sein Diener sagte, er sei bereits zum Flugzeug gegangen. «Sie zog einen Schmollmund und schob die Unterlippe vor. Aus ihren Augen sprach Champagner und aus ihrer Stimme Gereiztheit. Die Goldarmbänder klirrten. Das schwere Parfüm schien im Laufe des Nachmittags nicht verflogen zu sein. Vermutlich war Colin ihr sauber aus dem Weg gegangen. Der Major hatte ebenfalls an der Feier teilgenommen. Er sah um die Augen herum ein wenig verschwommen aus und viel weniger hölzern als sonst. Die Hand, die an dem drahtigen Schnurrbart zupfte, wirkte beinahe sanft. Die militärische Haltung war immer noch deutlich erkennbar, hatte aber nichts Aggressives mehr; sie schien plötzlich nur noch das Gehabe eines Mannes zu sein, der auf Argwohn statt auf Verstand setzt, um sich den Anschein von Gewitztheit zu geben.

Der Herzog fragte den Major, ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn sie auf dem Heimweg die Plätze tauschten, so daß er, der Herzog, vorn sitzen könne.»Ich schaue so gern auf die Meßinstrumente«, erklärte er.

Der Major, randvoll mit herzoglichem Champagner, stimmte gnädig zu. Er und Fenella kletterten an Bord, und ich wartete mit dem Herzog draußen.

«Stimmt etwas nicht, mein lieber Junge?«fragte er.

«Alles bestens, Sir.«

Er musterte mich gründlich.»So sehen Sie mir aber gar nicht aus.«

Ich legte meine Finger an die Stirn und spürte den Schweiß.»Es ist heiß heute«, sagte ich.

Schließlich kam auch Colin an. Er schwitzte ebenfalls — sein zerknittertes, offenes Hemd hatte dunkle Flecke unter den Armen. Er hatte fünf Rennen bestritten. Wirkte ausgelaugt und erschöpft.

«Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«fragte er ohne Umschweife.

«Ich wußte es doch«, sagte der Herzog.

«Ja, vielen Dank.«

Colin sah zu der Stelle hinüber, an der die Polyplane noch immer auf ihre letzten Passagiere wartete.

«Hat es Kenny schlimm erwischt?«

«Es geht. Ein bißchen durchgeschüttelt. Er wollte nicht, daß irgend jemand davon erfährt.«

«Einer der Jockeys, die mit ihm hergeflogen sind, kam zu uns rüber und hat uns davon erzählt. Kenny sagte, Sie hätten ihn vor einem Schicksal, schlimmer als der Tod, bewahrt. Oder etwas in der Art.«

«Was?«fragte der Herzog.

Colin erklärte es ihm. Sie sahen mich ängstlich an.

«Ich bin fit genug, um zu fliegen, falls es das ist, was Ihnen Sorgen macht.«

Colin zog eine Grimasse.»Ja, Mensch, genau das ist es. «Er grinste, holte tief Luft und tauchte im hinteren Teil unter, im Bereich von Fenellas Fangarmen. Der Herzog zwängte sich neben mich auf den Vordersitz, und los ging’s. Über dem Humber bei Ottringham lag dichte Bewölkung, die sich auch bis Cambridge nicht verlor. Da er nur noch bis zum Propeller sehen konnte, fragte mich der

Herzog, welche Garantie es gäbe, daß wir nicht mit einem anderen Flugzeug zusammenstießen.

Es gab keine Garantie. Nur eine Wahrscheinlichkeit.

«Der Himmel ist weit«, sagte ich.»Und es gibt strenge Regeln für das Fliegen in Wolken. Zusammenstöße kommen so gut wie nie vor.«

Seine Hände entspannten sich sichtbar. Er nahm eine bequemere Haltung ein.»Woher wissen Sie, wo wir uns befinden?«fragte er.

«Funk«, sagte ich.»Radiowellen von Sendern auf dem Boden. Solange die Nadel auf dieser Anzeige genau nach unten zeigt, fliegen wir direkt auf Ottringham zu, wo das Signal herkommt.«

«Faszinierend«, sagte er.

Die Ersatz-Cherokee verfügte nicht über die gleichen technischen Feinheiten wie das explodierte Flugzeug. Es fehlte die Vorrichtung, die die Steuerung mit dem Bordpeiler koppelte und das Flugzeug automatisch Richtung Funkfeuer lotste. Nach den kleinen Aufmerksamkeiten, die Kenny Baysts Angreifer mir erwiesen hatten, fehlte das Ding mir sehr.

«Woher wissen wir, wann wir Cambridge erreichen?«fragte der Herzog.

«Die Nadel auf dieser Anzeige da unten zeigt dann nicht mehr gerade nach oben, sondern gerade nach unten. Das heißt, daß wir das Funkfeuer in Cambridge überflogen haben.«

«Wunderbar, was die Leute sich so ausdenken«, sagte der Herzog.

Die Nadeln waren ein voller Erfolg. Wir durchstießen die Wolkendecke über Cambridge und landeten unter einem bedeckten, übellaunigen Nachmittagshimmel auf dem regennassen Asphalt. Ich rollte so dicht wie möglich an die Flughafengebäude heran, stellte den Motor aus und nahm meinen Kopfhörer ab, der sich eine Tonne schwerer anfühlte als sonst.

«Ich bin froh, daß ich mir das nicht habe entgehen lassen«, sagte der Herzog.»Bin früher immer mit dem Wagen hingefahren, müssen Sie wissen. «Er löste seinen Sicherheitsgurt.»Annie hat mich überredet, es mal mit dem Flugzeug zu versuchen. Nur einmal, meinte sie. Aber ich werde mit Vergnügen wieder mit Ihnen fliegen, mein lieber Junge.«

«Das freut mich, Sir.«

Er sah mich durchdringend und freundlich an.»Sie gehen sicher gleich ins Bett, wenn Sie nach Hause kommen, Matthew. Sehen Sie zu, daß Ihre Frau Sie schön warm einpackt, hm?«

«Ja«, sagte ich.

«Gut, gut. «Er nickte mit dem edlen Haupt und hievte sich schwerfällig durch die Tür und auf die Tragfläche.»Auf meinen Neffen haben Sie schwer Eindruck gemacht, mein lieber Junge. Und ich respektiere Matts Meinung. Er riecht auf eine Meile, ob jemand was taugt oder nicht.«

«Er ist ein netter Junge«, sagte ich.

Der Herzog lächelte glücklich.»Er ist mein Erbe.«

Er stieg von der Tragfläche hinunter und ging um die Maschine herum, um Annie Villars in ihren Mantel zu helfen. Zweifellos war das eigentlich meine Aufgabe. Ich aber saß immer noch angeschnallt auf meinem Sitz und fühlte mich zu angeschlagen, um auch nur einen Finger zu rühren. Ich verspürte nicht die geringste Neigung, jetzt wieder zu starten, zum letzten Hüpfer nach Buckingham wieder in die Wolken aufzusteigen, diesmal ohne einen günstig gelegenen Sender, der mir am anderen Ende be-quem mein Ziel zeigte. Ich würde um den Luton-Komplex herumfliegen müssen. Konnte mich von da aus wahrscheinlich nach Hause leiten lassen, vom Vierundzwanzig-Stunden-Radar in Bedford.

Mir taten sämtliche Knochen weh. Ich dachte an den Wohnwagen. Kalter, kleiner Hafen.

Die Passagiere sammelten ihre Siebensachen ein, schlossen die Kabinentür, winkten und entfernten sich in Richtung Flughafengebäude. Ich warf einen Blick auf die Karte, entschied mich für einen Kurs, stellte den Zeitplan für den Rückflug auf und notierte mir, woran ich erkennen würde, daß ich Buckingham erreicht hatte, falls das Radar außer Betrieb sein sollte. Danach saß ich einfach nur da, starrte auf den Flugplan und redete mir zu, endlich voranzumachen. Danach legte ich meinen Kopf in die Hände und schloß die Augen.

Lächerliche Zeitverschwendung, dachte ich. Der Flughafen Cambridge berechnete jede Minute seiner Öffnungszeit nach siebzehn Uhr, und die Passagiere würden bereits für mehrere Stunden zahlen müssen. Jeder Augenblick, den ich vertrödelte, kostete ihr Geld.

Jemand klopfte ans Seitenfenster. Ich hob den Kopf schneller, als mir guttat. Sehr unklug. Colin Ross stand draußen und sah mich leicht belustigt an. Ich drehte den Feststeller und klappte das Fenster auf.

«Sagten Sie nicht, Sie seien fit genug, um zu fliegen?«erkundigte er sich.

«Das war vor zwei Stunden.«

«Ah ja. Kleiner Unterschied. «Er lächelte schwach.»Ich habe gerade überlegt, ob ich Sie wohl, falls Ihnen nicht nach Weiterfliegen zumute ist, für die Nacht zu mir nach Hause einladen darf? Dann könnten Sie morgen heimfliegen. Wer weiß. Vielleicht haben wir morgen schöneres Wetter.«

Er hatte ziemlich viel Flugerfahrung und kannte die Schwierigkeiten. Trotzdem erstaunlich, daß er sich die Mühe gemacht hatte, zurückzukommen.

«Vielleicht«, stimmte ich ihm zu.»Aber ich könnte auch hier in Cambridge bleiben.«

«Steigen Sie aus und mieten Sie einen Stellplatz im Hangar«, sagte er ruhig.

«Ich muß das mit Derrydown abklären.«

«Dann klären Sie’s.«

Allzu langsam kletterte ich aus dem Flugzeug. Gemeinsam gingen wir hinüber in das Gebäude.

«Rufen Sie auch Ihre Frau an«, sagte er.

«Habe keine.«

«Oh. «Er sah mich mit abwägender Neugier an.

«Nein«, sagte ich.»Das nicht. Zwölf Jahre verheiratet, drei geschieden.«

Vor Belustigung bildeten sich um seine Augen kleine Falten.»Besser als bei mir«, sagte er.»Zwei Jahre verheiratet, vier geschieden.«

Harley ging beim ersten Klingeln dran.

«Wo sind Sie? Cambridge?… Nein, kommen Sie sofort zurück. Wenn Sie in Cambridge bleiben, müssen wir die Gebühr für den Hangar bezahlen. «Ich hatte ihm nicht von der Schlägerei erzählt, nicht von dem Zustand, in dem ich mich befand.

«Ich bezahle sie«, sagte ich.»Sie können sie mir vom Lohn abziehen. Colin Ross hat mich gebeten, bei ihm zu übernachten. «Das würde die Sache besiegeln. Harley wußte, wie wichtig es war, sich mit den Kunden gutzustellen, und Colin Ross war sein bester Kunde.

«Oh… das ist etwas anderes. In Ordnung. Kommen Sie morgen früh zurück.«

Ich ging zur Flugkontrolle und sorgte dafür, daß das Flugzeug über Nacht untergestellt wurde — der letzte Job für das überstundengeplagte Personal vorm wohlverdienten Feierabend. Danach sank ich in Ross’ Aston Martin und schaltete restlos ab.

Er wohnte in einem ganz gewöhnlich wirkenden Backsteinbungalow am Rande von Newmarket. Innen war das Haus farbenfroh und warm, hatte ein großes Wohnzimmer mit tiefen, bequemen, samtbezogenen Sesseln.

«Setzen Sie sich«, sagte er.

Ich setzte mich. Legte den Kopf zurück. Schloß die Augen.

«Whisky oder Brandy?«fragte er.

«Was Sie wollen.«

Ich hörte, wie er einschenkte. Klang wie ein ganzes Wasserglas.

«Hier«, sagte er.

Ich öffnete die Augen und nahm das Glas dankbar entgegen. Brandy mit Wasser. Er tat mir ungemein gut.

Aus der Küche drang das Geklapper von Töpfen und der Duft nach Brathähnchen. Colins Nase zuckte.

«Das Abendessen ist bald fertig… Ich gehe in die Küche und teile den Köchinnen mit, daß wir einen Gast haben.«

Er verließ den Raum und kehrte postwendend mit den beiden Köchinnen zurück.

Ich erhob mich langsam. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich war völlig unvorbereitet.

Auf den ersten Blick sahen sie aus wie zwei Hälften eines Ganzen: Nancy und Midge. Dasselbe hochgesteckte, dunkle Haar mit schwarzen Samtschleifen. Dieselben dunklen Augen mit geraden Augenbrauen, dasselbe ungekünstelte Lächeln.

«Der Vogelmann höchstpersönlich«, sagte Nancy.»Colin, wie hast du es geschafft, ihn einzufangen?«

«Leichte Beute…«

«Das ist Midge«, sagte sie.»Midge… Matt.«

«Hallo«, sagte sie.»Sie sind der Bombenmann, nicht wahr?«

Wenn man genauer hinschaute, konnte man es sehen. Sie war schmaler als Nancy und viel blasser, und sie schien zerbrechlich zu sein, wo Nancy kräftig wirkte — aber ohne den Vergleich mit ihrer Schwester wäre ich nie auf die Idee gekommen, sie für krank zu halten.

«Meine erste und letzte Bombe, hoffe ich«, sagte ich.

Sie schauderte.»Das war ganz schön knapp. Verdammt knapp.«

Colin schenkte den beiden einen Dubonnet ein und nahm sich selbst einen Whisky.»Bomben, Schlägereien — wirklich eine nette Einführung in den Rennsport.«

«Zur Abwechslung mal etwas Lebhaftes nach der Schädlingsbekämpfung«, sagte ich.

«Ist das denn so stumpfsinnig?«erkundigte sich Midge überrascht.

«Stumpfsinnig und gefährlich. Man langweilt sich zu Tode, wenn man sechs Stunden am Tag über irgendeinem riesigen Feld seine Bahnen zieht. Und alles im Tiefflug, verstehen Sie, so daß man eigentlich hellwach bleiben muß, aber nach einer Weile fängt man trotzdem an zu gähnen. Eines Tages wird man vielleicht unvorsichtig, berührt bei einer Kurve mit dem Flügel den Boden, kann eine teure Maschine abschreiben und macht sich damit beim Boß natürlich extrem unbeliebt.«

Nancy lachte.»Ist Ihnen das passiert?«

«Nein… Einmal bin ich in der Luft eine Sekunde lang eingeschlafen und zwanzig Fuß vor einem Hochspannungsmast wieder aufgewacht. Habe ihn um Millimeter verfehlt. Und dann gekündigt, solange noch alles heil war.«

«Machen Sie sich nichts draus«, sagte Midge.»Das nächste Flugzeug, das Sie in die Finger bekamen, haben Sie jedenfalls um so vorbildlicher zerlegt.«

Sie lachten alle zusammen, eine Familie, Geborgenheit.

Colin erzählte ihnen von der Aufregung um Kenny Bayst, und sie übertrafen einander in Mitleidsbekundungen, so daß ich mir wie ein Hochstapler vorkam — Colin brachte sich regelmäßig bis an den Rand der Erschöpfung, Midge war unheilbar krank, und alles, was ich aufzuweisen hatte, waren ein paar lächerliche blaue Flecken.

Das Abendessen bestand aus dem gebratenen Hühnchen, grünem Salat und mächtigen Käseecken als Dessert. Wir aßen in der Küche, die Ellbogen auf den scharlachroten Tisch gestützt, und nagten die Hühnerknochen ab. Einen so rundum befriedigenden Abend hatte ich seit vielen langen, quälenden Jahren nicht mehr erlebt.

«Woran denken Sie?«wollte Nancy wissen.»Genau jetzt, meine ich?«

«Ich schärfe mir gerade ein, von jetzt an regelmäßig in Cambridge flugunfähig zu werden.«

«Ach nein«, sagte Midge.»Machen Sie’s nicht so kompliziert. Kommen Sie einfach vorbei, wenn Ihnen der Sinn danach steht. «Sie sah ihre Schwester und ihren Bruder fragend an, und die beiden nickten.»Kommen Sie einfach her«, wiederholte sie.»Wann immer es sich ergibt.«

Die alte innere Warnung ließ sich vernehmen: auf nichts einlassen, nichts fühlen, kein Risiko eingehen.

Auf nichts einlassen.

Ich sagte:»Nichts lieber als das «und wußte nicht, ob ich es ernst meinte oder nicht.

Die beiden Mädchen räumten die Teller in eine Spülmaschine und machten Kaffee. Nancy goß sorgfältig etwas Sahne in ihre Tasse.

«Glauben Sie, die Bombe war wirklich für Colin bestimmt?«fragte sie plötzlich.

Ich zuckte die Achseln.»Ich weiß nicht. Sie hätte genausogut Major Tyderman gelten können oder Annie Villars, Goldenberg oder sogar Kenny Bayst, denn sie muß schon an Bord gewesen sein, bevor er beschloß, nicht mit uns zurückzufliegen. Vielleicht war sie aber auch dazu bestimmt, die Firma aus dem Geschäft zu bringen — also für Derrydown selbst, wenn Sie verstehen, was ich meine, denn im Falle von Colins Tod wäre Derrydown wahrscheinlich pleite gegangen.«

«Ich kann mir nicht vorstellen, warum irgend jemand den Wunsch haben könnte, Colin zu töten«, sagte Midge.»Na gut, manche Leute sind eifersüchtig auf ihn, aber Eifersucht ist eine Sache, fünf Menschen zu töten eine andere.«

«Und alle scheinen die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen«, brach es plötzlich aus Nancy raus.»Da läuft dieser verdammte Bombenleger frei herum, und niemand weiß, was er als nächstes tun wird. Und niemand scheint zu versuchen, das herauszufinden, um den Burschen dann hinter Schloß und Riegel zu bringen.«

«Ich wüßte nicht, wie man ihn aufspüren könnte«, sagte Colin.»Außerdem glaube ich nicht, daß er es noch einmal riskiert.«

«Oh, du — du und deine Vogel-Strauß-Taktik«, sagte sie bitter.»Geht es dir denn nicht in den Schädel, daß niemand einfach so ein Flugzeug in die Luft sprengt? Wer immer es getan hat, muß ein ungeheuer starkes Motiv gehabt haben, wie irrsinnig es auch immer gewesen sein mag, und da die ganze Sache schiefgegangen ist, muß dieses Motiv immer noch existieren und jemanden umtreiben. Und was soll wohl aus Midge und mir werden, wenn du beim nächsten Mal mit in die Luft fliegst?«

Ich sah den mitleidigen Blick, den Midge ihrer Schwester zuwarf, und begriff das Ausmaß von Nancys Angst. Eines Tages würde sie mit Sicherheit ihre Schwester verlieren. Der Gedanke, auch ihren Bruder zu verlieren, war ihr einfach unerträglich.

«Es wird nicht passieren«, sagte er ruhig.

Sie sahen ihn an und dann mich. Es entstand eine lange, eine sehr lange Pause. Dann nahm Midge den» Wunschknochen«, das Gabelbein des Hühnchens, und hielt ihn mir hin, damit ich daran zog. Als er entzweiging, hatte sie das längere Stück in der Hand.

«Ich wünsche mir«, sagte sie mit ernster Miene,»daß Colin aufhört, sich im Badezimmer die Zehnägel zu schneiden.«

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