Kapitel 9

Am nächsten Tag ließ sich Colin von Nancy nach Haydock fliegen, in der viersitzigen, abgespeckten 140-PS-Cherokee, die Nancy sich sonst für Unterrichtsund Übungsflüge von ihrem Flugklub lieh. Sie starteten in Cambridge, kurz bevor ich selbst mit der vollbeladenen Ersatz-Six losflog. Wir hatten vorher zusammen ihren Flugplan durchgesehen, und ich hatte sie, so gut ich konnte, auf die vielen technischen Einzelheiten und Vorschriften vorbereitet, mit denen sie es im Komplex der Kontrollzone Manchester zu tun haben würde. Die Wettervorhersage versprach klaren Himmel bis zum Abend; es gab die Radarüberwachung, die ihr helfen würde, falls sie sich verflog, und ich würde sie fast den ganzen Flug lang über Funk hören können, sobald ich ebenfalls in der Luft war.

Colin grinste mich an.»Harley wäre entsetzt, wenn er wüßte, wie sehr Sie sich ins Zeug legen, um ihr zu helfen. >Sollen die sich doch ruhig zu Tode ängstigenc, würde er sagen. >Dann fliegt er das nächste Mal wieder mit uns und vergißt diesen ganzen Do-it-yourself-Quatsch.<«

«Ja«, sagte ich.»Aber Harley liegt auch Ihre Sicherheit am Herzen, vergessen Sie das nicht.«

«Hat er Ihnen aufgetragen, uns zu helfen?«

«Nein, nicht direkt.«

«Hätte mich auch gewundert.«

Harley hatte ungehalten festgestellt:»Ich möchte nicht, daß das zur Gewohnheit wird. Versuchen Sie, Colin Ross einzureden, daß seine Schwester nicht genug Erfahrung hat.«

Colin brauchte da nichts eingeredet zu werden: Er wußte es. Und wollte Nancy einen Gefallen tun. Sie trat den Flug mit leuchtenden Augen an, wie ein Kind, mit dem man einen schönen Ausflug macht.

Den Derrydown-Flieger hatte diesmal ein Trainer — Jarvis Kitch — gemietet, der nicht ganz auf dem laufenden war und separat verabredet hatte, sowohl Annie Villars als auch Kenny Bayst mitzunehmen, ohne daß die beiden voneinander wußten. Die Atmosphäre war giftgeschwängert, als die Passagiere an Bord kamen — daran änderte auch nichts, daß die Streithähne in der Minderheit waren, denn neben Kitch war noch der große, lautstarke Besitzer des von ihm betreuten Pferdes sowie der Jockey, der das Pferd reiten sollte, mit von der Partie.

Jarvis Kitch, der die Cherokee gemietet hatte und möglicherweise hätte vermitteln können, zog sich in den Schmollwinkel zurück.

«Woher sollte ich denn wissen«, beklagte er sich gekränkt und verärgert bei mir,»daß die beiden sich bis aufs Blut hassen?«

«Das konnten Sie nicht wissen«, tröstete ich ihn.

«Sie haben mich angerufen und gefragt, ob noch ein Platz frei wäre. Annie gestern, Bayst vorgestern. Ich habe natürlich ja gesagt. Woher sollte ich es auch wissen?«

«Das konnten Sie nicht.«

Der lautstarke Besitzer, der offensichtlich die Zeche zahlte, fragte gereizt, welche Rolle das schon spiele, zum Teufel, sie würden halt ihren Anteil der Kosten tragen und damit basta. Sein Akzent verriet seine nordenglische Her-kunft; er neigte dazu, andere Leute herumzukommandieren — der Typ, der glaubt, mit den Diensten eines Menschen auch dessen Seele zu kaufen. Kitch gab sehr schnell Ruhe, und der kleine Jockey in seinem Schlepptau wirkte von Anfang an eingeschüchtert und blieb schweigsam. Dann forderte der Besitzer, dessen Name, wie ich später dem Rennprogramm entnahm, Ambrose lautete, mich schließlich auf, voranzumachen, da er mich nicht engagiert habe, damit ich den ganzen Tag in Cambridge herumstand.

Annie Villars bemerkte verlegen, daß der Kapitän eines Flugzeugs eine ähnliche Stellung einnehme wie der Kapitän eines Schiffes.

«Unsinn«, sagte Ambrose.»In einem so armseligen, kleinen Ding ist der Mann lediglich ein Chauffeur. Bringt mich von einem Ort zum anderen, oder nicht? Wird gemietet, nicht?«Er nickte.»Chauffeur. «Seine Stimme ließ bei niemandem Zweifel offen, welchen Platz Chauffeure in seinem Weltbild einnahmen.

Ich seufzte, kletterte ins Flugzeug, schnallte mich an. Es fiel mir nicht schwer, ihn zu ignorieren, da ich durchaus nicht zum ersten Mal in meinem Leben auf diese Einstellung traf. Trotzdem nicht gerade einer meiner heitersten Flüge.

Die Cherokee Six flog fünfzig Knoten schneller als die 140, so daß ich Nancy irgendwo auf dem Weg überholte. Ich hörte, wie sie Funkkontakt mit dem Fluginformationsdienst der einzelnen Fluginformationsgebiete aufnahm, und sie konnte mich ebenfalls hören. Das gab mir auf seltsame Weise ein Gefühl der Verbundenheit. Und sie machte ihre Sache gut.

Ich landete einige Minuten vor ihr in Haydock und war meine Passagiere gerade rechtzeitig los, um ihr bei der

Landung zuzusehen. Es war eine kleine Schau, um das Publikum zu beeindrucken, als sie sanft wie eine Feder auf dem Gras aufsetzte. Ich mußte grinsen. Nicht schlecht für eine Neunzig-Stunden-Amateurin. Und es war nicht der einfachste Flug gewesen. Jetzt würde es kein Halten mehr für sie geben.

Sie ließ die Maschine an den Rails entlangrollen und parkte ein kleines Stück von mir entfernt, und ich schloß die Six ab und ging zu ihr hinüber, um ihr zu sagen, daß sie das Fahrgestell zerschmettern würde, wenn sie das nächste Mal ein Flugzeug so aufschlagen ließ.

Sie schnitt eine Grimasse, war aufgeregt und hochzufrieden.»Es war einfach super. Toll. Die Leute von Liverpool Radar waren schrecklich nett. Sie haben mir genau gesagt, auf welchen Kursen ich um die Kontrollzone fliegen sollte, und meinten, sie würden mich haarscharf über dem Rennplatz herunterlotsen, und genau so haben sie es gemacht.«

Colin war stolz auf sie und zog sie liebevoll auf.»Na schön, wir sind hier, aber wir sind noch nicht wieder zu Hause.«

«Nach Hause fliegen ist immer einfacher«, sagte sie voller Zuversicht.»Und bei Cambridge gelten diese schwierigen Vorschriften für Kontrollzonen nicht.«

Wir gingen gemeinsam über die Bahn zum Führring, wo wir unter dem Geländer hindurchschlüpften. Nancy redete pausenlos, so aufgedreht, als hätte sie Benzedrin genommen. Colin sah mich grinsend an. Ich erwiderte sein Grinsen. Nichts ist so berauschend wie ein schöner Erfolg.

Vor dem Waageraum trennten wir uns von ihm und gingen weiter, um uns einen Kaffee zu besorgen.

«Wissen Sie, daß es erst vier Wochen her ist, seit wir das letzte Mal in Haydock waren?«fragte sie.»Seit der Bom-be. Nur vier Wochen. Ich habe das Gefühl, ich kenne Sie bereits ein halbes Leben lang.«

«Ich hoffe, das gleiche gilt auch für die nächste Hälfte.«

«Was haben Sie gesagt?«

«Nichts… Truthahn-Sandwiches?«fragte ich.

«Hmm, köstlich. «Sie sah mich ein wenig unsicher an.»Wie meinten Sie das vorhin?«

«War nur so dahergeredet.«

«Oh.«

Sie biß in das weiche, dicke Sandwich. Sie hatte gesunde, gerade Zähne. Ich war gerade ein Idiot, dachte ich. Ein Idiot, mich auf etwas einzulassen, ein Idiot, sie liebzugewinnen. Ich hatte nichts als einen Haufen Scherben zu bieten, und ihr lag die ganze Welt zu Füßen, ihr, der Schwester von Colin Ross. Wenn ich ein Eisberg war, wie Honey meinte, sollte ich besser einer bleiben. Wenn das Eis schmolz, würde alles aus den Fugen geraten.

«Sie sind plötzlich so schweigsam geworden«, sagte sie und sah mich dabei fragend an.

«Bin ich nicht.«

«O doch. Passiert Ihnen öfter. Sie wirken entspannt und zufrieden, und plötzlich schnappt irgendwo in Ihrem Innern etwas ein, und Sie verschwinden in die Stratosphäre. Dorthin, wo es sehr kalt ist. «Sie schauderte.»Eiskalt.«

Ich trank meinen Kaffee und ließ die Stratosphäre ihre Wirkung tun. Die gefährlich angeschmolzenen Ränder wurden wieder fest.

«Kommt Chanter heute auch?«fragte ich.

«Das weiß Gott allein. «Sie zuckte die Achseln.»Wäre Ihnen das denn lieber?«

«Nein. «Es klang leidenschaftlicher als beabsichtigt.

«Immerhin etwas«, sagte sie sehr leise.

Ich ging nicht darauf ein. Sie konnte es unmöglich so meinen, wie es sich anhörte. Wir aßen die Sandwiches auf und gingen hinaus, um Colin reiten zu sehen, und danach

— wir lehnten gerade an den Rails des Führrings — tauchte Chanter aus dem Nichts auf und erstickte Nancy unter Haaren, Fransen und wirbelndem Stoff; er machte seine Sache so gründlich, als wolle er mit einer Decke ein Feuer auslöschen.

Sie schob ihn weg.»Um Himmels willen…«

Ihn beeindruckte das nicht im geringsten.»Ach, Nancy. Na, komm schon. Die Sache mit dir und mir, die könnte super laufen, wenn du nur ein bißchen lockerer wärst.«

«Du bist ein schlechter Trip für mich.«

«Du bist noch nie auf irgendeinem richtigen Trip gewesen, Süße, das ist dein Problem.«

«Und habe nicht die Absicht, etwas daran zu ändern«, sagte sie entschlossen.

«Ein bißchen LSD, und du stößt zum Kern der Dinge vor.«

«Zu den Komponenten«, widersprach ich.»Wie Sie bereits festgestellt haben. Sie sehen die Dinge doch als Fragmente.«

«Häh?«

Chanter sah mich an.»Nancy, hast du diesen Schleicher immer noch im Schlepptau? Das kann nicht dein Ernst sein.«

«Er sieht die Dinge als Ganzes«, sagte sie.»Ohne Krük-ken.«

«LSD ist keine Krücke, es ist ein Tor«, rief er theatralisch.

«Dann mach es zu«, sagte sie.»Ich will nämlich nicht da durch.«

Chanter starrte mich finster an. Statt des grünen Chenilletischtuchs trug er ein höchst sonderbares, unförmiges Gewand, das aus unregelmäßigen Stoff-, Pelz-, Leder- und Metallstücken nicht zusammengenäht, sondern zusammengeklammert war.

«Das ist dein Werk, Mann! Du bist ein Verhängnis.«

«Es ist nicht sein Werk«, sagte Nancy.»Die Drogenszene ödet mich an. Hat sie immer getan. An der Kunsthochschule fand ich es vielleicht mal toll, mich mit Hasch zu benebeln, aber das ist jetzt anders. Ich bin erwachsen geworden, Chanter. Ich hab dir schon mal gesagt, ich bin erwachsen geworden.«

«Er hat dir eine Gehirnwäsche verpaßt.«

Sie schüttelte den Kopf. Ich wußte, daß sie an Midge dachte. Wenn man etwas bewältigen mußte, das so groß war, dann wurde man schon erwachsen.

«Gibst du heute keinen Unterricht?«fragte sie.

Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich zunehmend.»Die Scheißer streiken.«

Sie lachte.»Meinst du die Studenten?«

«Ja. Sie wollen, daß der stellvertretende Rektor fliegt, weil er darüber Buch führt, wer von ihnen zu welchen Demos geht.«

«Auf wessen Seite stehen Sie?«fragte ich ironisch.

Er sah mich mit schmalen Augen an.»Du kotzt mich an, Mann, echt.«

Aber trotzdem blieb er den ganzen Nachmittag bei uns, brabbelte vor sich hin, schmollte und betatschte Nancy, wann immer er Gelegenheit dazu hatte. Nancy ertrug seine Gesellschaft, als sei sie ihr nicht gänzlich unangenehm.

Was mich betraf, ich hätte darauf verzichten können. Leicht.

Colin gewann zwei Rennen, zu denen auch das große Rennen des Tages zählte. Annie Villars’ Pferd ging als Zweiter ins Ziel, Kenny Bayst gewann ein Rennen durch einen Protest. Das Pferd des lautstarken Ambrose war im Finish schnell, wurde aber nur Vierter. Das verhieß für den Rückflug nicht gerade eitel Sonnenschein.

Mir machten ohnehin schon leise Vorahnungen wegen des Rückflugs zu schaffen. Die schwache Warmfront, die für den späten Abend vorhergesagt war, machte Anstalten, uns vor der Zeit zu erreichen. Von Südwesten her zogen die Höhenwinde einen Wolkenstreifen über den Himmel wie ein Laken über ein Bett.

Als die Sonne verschwand, blickte Nancy auf.

«Oje, wo kommen denn plötzlich all die Wolken her?«

«Das ist die Warmfront.«

«Verdammt… Glauben Sie, sie kommt bis nach Cambridge?«

«Ich kann es für Sie rausfinden, wenn Sie wollen.«

Ich telefonierte mit Cambridge und bat um die aktuellen Wettermeldungen und die Vorhersage. Nancy stand neben mir in der Telefonzelle, und Chanter schäumte draußen argwöhnisch vor sich hin. Ich mußte Cambridge bitten, die Auskunft zu wiederholen. Nancy roch schwach nach einem frischen Blumenduft.»Sagten Sie zweitausend Fuß?«Ja, erwiderte Cambridge mit übertriebener Geduld, wir haben es Ihnen schon zweimal gesagt.

Ich legte den Hörer auf.»Sie erwarten die Front da unten erst in drei oder vier Stunden, und die Wolkenuntergrenze soll selbst dann noch bei zweitausend Fuß liegen, so daß wir eigentlich zurechtkommen sollten.«»Außerdem«, sagte sie,»habe ich den Landeanflug in Cambridge Dutzende Male geübt. Selbst wenn es sich bis zu unserer Rückkehr bewölkt hätte, bin ich sicher, daß ich es im Ernstfall schaffen würde.«

«Haben Sie es auch schon ohne Fluglehrer gemacht?«

Sie nickte.»Mehrmals. Natürlich an klaren Tagen.«

Ich grübelte.»Rein rechtlich dürften Sie eigentlich in Wolken noch keine Passagiere befördern.«

«Machen Sie nicht so ein ängstliches Gesicht. Es wird schon nicht nötig sein. Jetzt ist es doch noch klar in Cambridge, oder nicht? Und falls die Wolkenbasis bei zweitausend Fuß liegt, wenn ich dort ankomme, kann ich mich leicht darunter halten.«

«Ja, das denke ich auch.«

«Und ich muß schließlich zurück, oder?«sagte sie einleuchtenderweise.

«Hmm.«

Chanter riß die Tür der Telefonzelle auf.»Willst du das Ding vielleicht pachten, Mann?«erkundigte er sich. Dann umfaßte er Nancy, legte seinen Arm um sie, einen Millimeter südlich von ihren Brüsten, und zog sie aus der Telefonzelle heraus. Sie verschwand halb in den Wogen von Chanters Gewand und kam errötend wieder zum Vorschein.

«Um Himmels willen, Chanter, wir sind auf dem Rennplatz.«

«Dann ziehen wir doch in meine Bude.«

«Nein, vielen Dank.«

«Weiber«, sagte er angewidert.»Verdammte Weiber. Wissen einfach nicht, was gut für sie ist.«

«Könnte als konservativ-reaktionäres Statement durchgehen, wie?«fragte ich niemand bestimmtes.

«Ganz ruhig, Mann. Ganz ruhig.«

Nancy strich sich ihre Sachen glatt und sagte:»Ihr könnt alle beide Ruhe geben. Ich gehe jetzt zurück zum Flugzeug und bereite mich auf den Rückflug vor, und du wirst nicht mitkommen, Chanter. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du mich von oben bis unten begrapschst.«

Er blieb nur äußerst widerwillig zurück und beschwerte sich bitter, als sie mich mitnahm.

«Er ist unmöglich«, sagte sie, als wir über die Bahn gingen. Aber sie lächelte.

Ich breitete die Landkarte auf der Tragfläche aus und ging, wie sie es wünschte, ihren Flugplan Schritt für Schritt mit ihr durch. Sie wollte so zurückfliegen, wie wir gekommen waren, über das Funkfeuer bei Lichfield: nicht der direkte Weg, aber der mit den geringsten Schwierigkeiten für die Navigation. Wie sie bemerkt hatte, war der Flug Richtung Heimat immer einfacher. Ich berechnete ihre Flugzeiten zwischen den Orientierungspunkten und trug sie in ihren Flugplan ein.

«Sie sind fünfmal so schnell wie ich. «Sie seufzte.

«Ich habe etwas mehr Übung.«

Ich faltete die Karte zusammen und klammerte den vervollständigten Plan daran.»Wir sehen uns dann in Cambridge«, sagte ich.»Mit ein bißchen Glück.«

«Biest.«

«Nancy.«

«Ja?«

Ich wußte nicht genau, was ich sagen wollte. Sie wartete. Nach einer Weile sagte ich mit ernster Miene:»Passen Sie auf sich auf.«

Sie lächelte ein wenig kläglich.»Das mach ich, bestimmt.«

Colin kam über die Bahn geschlurft.»Mein Gott, bin ich müde«, sagte er.»Wie geht’s meiner Pilotin?«

«Sie ist bereit, willens und, wenn heute Ihr Glückstag ist, fähig.«

Ich machte die Außenchecks für Nancy, während sie an Bord kletterten. Keine Bomben. Hatte auch keine erwartet. Sie ließ den Motor an, nachdem ich ihr» alles klar «signalisiert hatte, und während sie davonrollten, winkten die beiden mir zu. Nancy drehte sich am anderen Ende des Flugfeldes in den Wind, nahm zügig Fahrt auf und hob ab, in einen hellgrauen Himmel hinein. Die Wolken waren jetzt eine Spur niedriger als zuvor. Kein Grund zur Sorge. Nicht, wenn es in Cambridge klar war. Ich schlenderte zu der Six von Derrydown hinüber. Annie Villars und Kenny Bayst waren bereits da und schauten geflissentlich aneinander vorbei. Ich schloß die Türen auf, und Annie stieg ohne ein Wort ein. Kenny warf ihr einen mürrischen Blick zu und blieb, wo er war. Ich gratulierte ihm zu seinem Sieg. War ganz nützlich, sagte er.

Kurz darauf trudelten auch Ambroses Trainer und Jok-key mit nachdenklichen Mienen ein, und schließlich kam Ambrose selbst mit hochroten Wangen und gewaltiger Bierfahne. Sobald er das Flugzeug erreicht hatte, beugte er sich zu mir herüber und ließ mich voll daran teilhaben.

«Hab meinen Hut in der Garderobe vergessen«, sagte er.»Springen Sie rüber und holen Sie ihn mir.«

Kenny und die beiden anderen hatten es plötzlich schrecklich eilig mit dem Einsteigen und taten so, als hätten sie nichts gehört. Wenn ich nicht» Holen Sie ihn selbst «antworten und Harley damit um einen Kunden bringen wollte, blieb mir keine große Wahl. Ich trottete zurück über die Bahn, durch den Führring, in die Herrentoilette der Mitglieder und nahm den Hut von dem Haken, an dem er gehangen hatte. Das Hutband war so schmierig, daß er wirklich Nerven haben mußte, andere Leute das Ding aus der Nähe sehen zu lassen.

Drehte mich um, ging auf die Tür zu. Spürte einen heftigen, fordernden Griff um meinen Arm.

Ich fuhr herum. Die Hände, die meinen Arm wie Stahlklauen umklammerten, gehörten Major Tyderman.

«Major«, rief ich überrascht. Ich hatte ihn den ganzen Nachmittag über nicht gesehen.

«Shore!«Seine Überraschung, mich zu sehen, übertraf meine bei weitem. Er war mehr als nur überrascht. Entsetzt. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht.

«Shore… Was tun Sie hier? Sind Sie zurückgekommen?«

Verwirrt sagte ich:»Ich bin hergekommen, um Mr. Ambroses Hut zu holen.«

«Aber — Sie sind doch abgeflogen — Sie sind mit Colin und Nancy Ross gestartet.«

Ich schüttelte den Kopf.»Nein, bin ich nicht. Nancy fliegt selbst.«

«Aber — Sie sind doch mit ihnen gekommen. «Er klang verzweifelt.

«Nein. Ich habe die Six mit fünf Passagieren hierhergeflogen. «Ich begriff das gewaltige Ausmaß seines Schocks. Es traf mich wie eine Flutwelle. Mittlerweile klammerte er sich mehr haltsuchend als aufmerksamkeitheischend an meinen Arm.

«Major«, sagte ich, und der schreckliche, erschreckende Verdacht ließ meine Stimme zittern,»Sie haben doch wohl keine Bombe in das Flugzeug gelegt? O Gott — nicht wieder — eine Bombe?«

«Ich… ich…«Seine Stimme erstickte.

«Major. «Ich löste meinen Arm aus seinem Griff und packte ihn bei den Schultern. Ambroses Hut fiel mir hin und rollte unbemerkt über den schmutzigen Boden.»Major. «Ich schüttelte ihn heftig. »Nicht wieder eine Bombe?«

«Nein… aber…«

«Aber was?«

«Ich dachte, Sie würden die beiden fliegen — ich dachte, Sie wären bei ihnen — Sie würden damit fertig…«

«Major. «Ich schüttelte ihn nochmals, packte seine Arme, als wollte ich sie in zwei Stücke reißen.»Was haben Sie mit dem Flugzeug gemacht?«

«Ich habe Sie… mit den beiden gesehen, als Sie ankamen. Und Sie sind auch mit ihnen zurückgegangen. und haben die Landkarte studiert… und die Checks gemacht… Ich war sicher… daß Sie fliegen würden… und Sie… Sie… wären damit fertig geworden — aber Nancy Ross… O mein Gott.«

Ich ließ einen seiner Arme los und schlug ihm heftig ins Gesicht.

«Was haben Sie mit dem Flugzeug gemacht?«

«Sie können… nichts tun.«

«Ich hole sie zurück. Sorge dafür, daß sie sofort landet.«

Er schüttelte den Kopf.»Das können… Sie nicht… Sie hat gleich keinen Funk mehr… Ich habe. «Er schluckte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, wo ich ihn geschlagen hatte.»Ich habe… ein Pflaster… mit Salpetersäure. auf die Leitung. zum Hauptschalter. geklebt.«

Ich ließ seinen anderen Arm los, starrte ihn nur noch an, während eine Eiseskälte mich durchdrang. Dann griff ich blindlings nach Ambroses Hut und rannte hinaus. Rannte.

Rannte über den Führring, über die Bahn, hinüber zum Flugzeug. Ich nahm mir nicht die Zeit, aus dem Major herauszuprügeln, warum er es getan hatte. Darüber dachte ich überhaupt nicht nach. Ich dachte nur an Nancy Ross, die jetzt bei ihrer begrenzten Erfahrung auch noch mit einem Totalausfall der Bordelektrik fertig werden mußte.

Sie konnte es natürlich schaffen. Der Motor würde nicht ausfallen. Mehrere Instrumente würden weiter funktionieren. Der Höhenmesser, der Fluggeschwindigkeitsmesser, der Kompaß — keines dieser wesentlichen Instrumente würde betroffen sein. Sie arbeiteten magnetisch, mit Luftdruck oder mit motorgetriebenen Kreiseln, nicht mit Elektrizität. Aber sämtliche Anzeigen für den Motor würden auf Null stehen, die Benzinuhr leere Tanks anzeigen. Nancy würde nicht wissen, wieviel Treibstoff sie noch hatte. Aber sie mußte wissen, daß sie genug hatte, um mindestens zwei Stunden zu fliegen.

Das schlimmste war der Funk. Sie würde weder Verbindung mit dem Boden aufnehmen, noch die Signale der Funkfeuer empfangen können. Nun ja. Dutzende von Piloten flogen ohne Funk, ohne überhaupt Funkgeräte an Bord zu haben. Wenn sie Angst hatte, sich zu verfliegen, konnte sie ja auf dem erstbesten Flugplatz landen.

Vielleicht war es ja auch noch nicht passiert, dachte ich. Ihr Funkgerät arbeitete vielleicht noch. Die Salpetersäure hatte sich vielleicht noch nicht durch das Hauptkabel hindurchgefressen.

Hier am Boden war ich zu tief unten, als daß Manchester Control mich hätte hören können, aber wenn ich schnell genug in die Luft kam, konnte ich den Lotsen dort die Situation erklären, sie dazu bringen, Nancy zu informieren und sie anzuweisen, so bald wie möglich auf einem Flugplatz zu landen. Das Kabel zu reparieren war keine große Sache, sobald sie nur sicher gelandet war.

Ich gab Ambrose seinen Hut. Er war immer noch draußen auf dem Rasen und wartete darauf, daß ich auf meinen Platz auf der linken Seite kletterte. Ich schob mich in die Maschine, ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren, und er stieg hinter mir ein. Als er sich anschnallte, hatte ich bereits den Motor angelassen, meinen Kopfhörer aufgesetzt und das Funkgerät zum Warmwerden eingeschaltet.

«Weshalb so eilig?«fragte Ambrose, als wir nur geringfügig unter Startgeschwindigkeit ans andere Ende der Bahn rollten.

«Ich muß einen Funkspruch an Colin Ross absetzen, der schon oben ist und uns vorausfliegt.«

«Oh. «Er nickte gewichtig. Er wußte, daß die Geschwister Ross zusammen mit uns angekommen waren, wußte, daß Nancy flog.»Na gut.«

Mir ging kurz der Gedanke durch den Kopf, daß ihm, falls er glaubte, ich dürfe mich nicht einmal beeilen, ohne vorher seine Erlaubnis einzuholen, eine mittelschwere Überraschung bevorstand. Ich würde ihn jedenfalls nicht zurück nach Cambridge bringen, bevor ich sicher sein konnte, daß Nancy und Colin außer Gefahr waren.

Da es nur einen Kopfhörer an Bord gab, konnte Ambrose hereinkommende Funksprüche nicht mithören, und da ich das Mikrofon dicht an den Lippen hatte, glaubte ich auch nicht, daß er im Motorenlärm irgend etwas von dem hörte, was ich sendete. Ich hatte die Absicht, ihm so lange wie möglich keinen Grund für Einwände zu geben.

In zweihundert Fuß Höhe erreichte ich schließlich einen Fluglotsen in Liverpool. Erklärte ihm, daß Nancys Funkgerät möglicherweise nicht mehr funktionierte, fragte ihn, ob er mit ihr gesprochen habe.

Ja, hatte er. Er hatte ihr die Radarfreigabe zum Verlassen der Kontrollzone gegeben und sie nach Preston Information weitergereicht. Da ich selbst auf meiner Frequenz bleiben mußte, bis ich aus der Kontrollzone heraus war, bat ich ihn, festzustellen, ob Preston immer noch Kontakt mit ihr hatte.

«Warten Sie«, sagte er.

Nach zwei langen Minuten war er wieder da.»Preston hatte Kontakt«, sagte er knapp.»Er brach mitten in einem Funkspruch von ihr ab. Jetzt kann Preston sie nicht mehr erreichen.«

Zum Teufel mit dem Major, dachte ich wütend. Dieses dumme, gefährliche Männchen.

Ich ließ meiner Stimme jedoch nichts anmerken.»Hatte man ihre Position?«

«Warten Sie. «Pause. Dann war er wieder da.»Sie war auf Kurs nach Lichfield, voraussichtliche Ankunftszeit Lichfield fünf drei, Sichtflug über Wolkenobergrenze, Flugfläche vier fünf.«

«Über Wolkenobergrenze?«wiederholte ich ängstlich.

«Positiv.«

Wir waren selbst noch im Steigflug. Bei zweitausend Fuß kamen wir in eine dünne Wolkendecke, die wir bei viertausend Fuß und hellem Sonnenschein unter uns ließen. Eine Wattedecke erstreckte sich unter uns in alle Richtungen und machte die Erde unsichtbar. Sie würde ebenfalls auf diese Höhe steigen müssen, da die Pennines östlich von Manchester fast dreitausend Fuß erreichten, die höheren Gipfel also bis in die Wolken hineinragten. Da zwischen Wolken und Bergen kein Platz mehr blieb, würde sie entweder umkehren oder weiter steigen müssen. Letzteres würde ihr nicht weiter gefährlich erscheinen. Mit Funkpeilung und einem guten Wetterbericht für Cambridge war es das einzig Vernünftige.

«Ihr Ziel ist Cambridge«, sagte ich.»Können Sie das Wetter dort abfragen?«

«Warten Sie. «Eine viel längere Pause. Dann meldete sich seine Stimme wieder, unbeteiligt, emotionslos.»Aktuelle Wetterlage Cambridge: Nach schnellem Wolkenaufzug von Südwest jetzt mit acht Oktas ganz bedeckt, Wolkenuntergrenze zwölfhundert Fuß, Wolkenobergrenze dreitausendfünfhundert.«

Ich bestätigte nicht sofort — mußte die erschreckenden Konsequenzen erst verdauen.

«Bestätigen Sie Wetterbericht erhalten«, sagte er knapp.

«Wetterbericht erhalten.«

«Nach den letzten Wettermeldungen liegt geschlossene Bewölkung über dem gesamten Gebiet südlich des Tees. «Er wußte genau, was er sagte. Die lakonische, von jeder Panik freie Stimme blieb betont ruhig. Nancy flog über der Wolkendecke ohne jede Möglichkeit, herauszufinden, wo sie war. Sie konnte den Boden nicht sehen und niemanden nach dem Kurs fragen. Irgendwann würde sie herunterkommen müssen, weil sie keinen Treibstoff mehr hatte. Weil die Benzinuhr ausgefallen war, wußte sie nicht genau, wie lange sie in der Luft bleiben konnte; es war aber lebenswichtig, daß sie durch die Wolkendecke nach unten ging, solange der Motor noch lief, damit sie, sobald sie unter den Wolken war, einen Platz zum Landen suchen konnte. Aber wenn sie zu früh herunterging oder an der falschen Stelle, konnte sie leicht gegen einen in die Wolken ragenden Berg fliegen. Das war selbst für einen überaus erfahrenen Piloten eine heikle Situation.

Ich erwiderte mit derselben einstudierten, künstlichen Gelassenheit:»Können die Radarstationen der R.A.F. sie aufspüren und feststellen, wohin sie fliegt? Ich kenne ihren Flugplan… Ich habe ihn für sie erstellt. Sie wird sich wahrscheinlich daran halten, da sie glaubt, in Cambridge sei es immer noch klar. Ich könnte ihr folgen… und sie suchen.«

«Warten Sie. «Wieder die Pause, um Rat einzuholen.»Wechseln Sie zu Birmingham Radar auf die Frequenz eins zwei drei drei.«

«Roger«, sagte ich.»Und danke.«

«Viel Glück«, sagte er.»Sie werden es brauchen.«

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