Den größten Teil der Woche flog ich, wohin man mich schickte, dachte über ferngesteuerte Bomben nach und verbrachte meine Abende allein im Wohnwagen.
Honey kam nicht wieder, aber als ich am Tag nach ihrem Besuch aus Rotterdam zurückkehrte, fand ich eine große Tüte mit Lebensmitteln auf dem Tisch vor: Eier, Butter, Brot, Tomaten, Zucker, Käse, Milchpulver, Suppenkonserven. Außerdem ein Sechserpack Bier und eine Notiz von Honey:»Zahlen Sie’s mir nächste Woche zurück.«
Kein schlechter Kerl, Honey Harley. Also gewöhnte ich mir das Essen wieder an. Die Macht der Gewohnheit.
Dienstag brachte ich Colin und vier andere Passagiere zu den Rennen in Wolverhampton; Mittwoch flog ich, nachdem das Handelsministerium sich verabschiedet hatte, einen Politiker nach Cardiff zur Streikversammlung einer Gewerkschaft; und am Donnerstag beförderte ich den Rennpferdtrainer zu verschiedenen Plätzen in Yorkshire und Northumberland, wo er sich einige Pferde ansah, die er vielleicht kaufen wollte.
Donnerstagabend machte ich mir ein Käse- und Tomatensandwich und eine Tasse Kaffee und aß es mit Blick auf die Pin-up-Girls, die sich an den Rändern schon ein wenig bogen. Nachdem ich mit dem Sandwich fertig war, löste ich die Klebestreifen und nahm sämtliche vollbusigen Damen ab. Die hervorstehenden Brustwarzen mit ihren schweren Ringen sahen mich vorwurfsvoll an wie
die Augen eines Spaniels. Mit einem Lächeln klappte ich sie schicklich zusammen und versenkte sie im Mülleimer. Aber ohne sie sah der Wohnwagen immer noch genauso schäbig aus wie zuvor.
Freitagmorgen, als ich in Harleys Büro die Flugprotokolle ausfüllte, rief Colin bei ihm an und bat darum, daß ich über Nacht in Cambridge blieb, damit ich Samstag früh gleich an Ort und Stelle war.
Harley stimmte zu.»Ich werde Ihnen Matts Hotelzimmer auf die Rechnung setzen.«
«Gut«, sagte Colin.»Aber er kann, wenn er will, wieder bei mir übernachten.«
Harley richtete es mir aus. Ob ich wollte? Ich wollte.
Harley legte den Hörer auf.»Versucht, Geld zu sparen«, sagte er abschätzig,»indem er Sie zu sich einlädt. «Dann hellte sich seine Miene auf:»Aber ich werde ihm die Gebühren für den Stellplatz im Hangar berechnen.«
Ich flog die Cherokee rüber nach Cambridge und sorgte dafür, daß sie für die Nacht ein Dach über dem Kopf bekam. Als Colin auftauchte, hatte er vier weitere Jockeys bei sich — drei, die ich nicht kannte, und Kenny Bayst. Kenny erkundigte sich nach meinem Befinden. Mein Befinden war bestens, und wie stand es mit seinem? Er sei so gut wie neu, hätte seit Newbury im Sattel gesessen, sagte er.
Sie hatten unter sich den Flugplan für den Tag ausgearbeitet. Allesamt nach Brighton, Colin nach White Waltham für das Rennen in Windsor, Flugzeug retour nach Brighton, die anderen auflesen und wieder zurück nach White Waltham, um Colin abzuholen, und dann zurück nach Cambridge.
«Geht das so?«fragte Colin.
«Klar. Wie Sie wollen.«
Er lachte.»Was für ein Theater wir früher immer hatten, wenn wir mal um etwas gebeten haben…«
«Verstehe nicht, warum«, sagte ich.
«Larry war eine faule Socke.«
Sie hievten sich an Bord, und wir flogen östlich um die Kontrollzone London herum und über Gatwick zum Shore-ham Airport bei Brighton. Als wir landeten, sah Colin auf seine Armbanduhr, und Kenny nickte und meinte:»Ja, er ist immer schneller als Larry. Das habe ich auch gemerkt.«
«Harley wird ihn rausschmeißen«, sagte Colin trocken, während er seinen Sicherheitsgurt aufschnappen ließ.
«Wird er nicht, oder?«Aus Kennys Stimme klang eine schwache Besorgnis. Schnellere Flüge bedeuteten bescheidenere Rechnungen.
«Kommt darauf an, wie viele Kunden er Polyplane wegschnappt, weil er so schnell ist. «Colin grinste mich an.»Hab ich recht?«
«Könnte sein«, sagte ich.
Lachend zogen sie zu dem wartenden Taxi hinüber. Ein paar Stunden später kam Colin in Reithose und Rennfarben im Laufschritt angerannt, und ich sauste mit ihm rüber nach White Waltham. In Brighton hatte er, wie es schien, gewonnen. Ein knapper Sieg. Er war immer noch außer Atem. Sobald unsere Maschine stand, kam ein schneller Wagen direkt bis ans Flugzeug gefahren und schoß Sekunden später mit Colin in einer Staubwolke die Straße nach Windsor hinunter. Ich flog etwas gemächlicher zurück nach Shoreham und sammelte die anderen auf, die ihr Tagewerk vollbracht hatten. Es war ein heißer, sonniger Tag, blau und dunstig. Sie alle waren schweißgebadet.
Kenny hatte einen Sieger geritten und mir eine Flasche Whisky als Geschenk mitgebracht. Ich sagte, er brauche mir nichts zu schenken.
«Sehen Sie, Sportsfreund, wenn Sie nicht gewesen wären, würde ich überhaupt keine verdammten Gewinner mehr reiten. Also nehmen Sie’s.«
«Na schön«, sagte ich.»Danke.«
«Bedanken Sie sich bei sich selbst.«
Sie waren müde und mitteilsam. Ich landete in White Waltham, bevor Colin von Windsor zurückgekehrt war, und die anderen vier gähnten und schwatzten, öffneten sämtliche Türen und fächelten sich Luft zu.
«… ihm an der Steigung einen Pull gegeben.«
«Das war kein Pull. Das schlappe Mistvieh hatte keinen Biß mehr. Mußte ihn scharf rannehmen, um ihm wieder auf die Sprünge zu helfen.«
«Kann diesen Fossel einfach nicht leiden.«
«Warum reitest du dann für ihn?«
«Hab ich vielleicht eine Wahl? Schon mal was von einem Stallvertrag gehört…?«:
«… Welche Chancen hast du auf Candlestick?«
«Der käme, wenn ich jetzt starten würde, nicht mal unter die ersten drei.«
«Hey«, sagte Kenny Bayst, beugte sich vor und tippte mir auf die Schulter.»Da wäre etwas, das Sie vielleicht auch interessieren könnte, Sportsfreund. «Er zog ein Stück Papier aus seiner Hosentasche.»Wie wär’s damit?«
Ich nahm das Papier und sah es mir an. Es war ein Flugblatt, beste Druckqualität auf teurem, glänzendem Papier. Eine Einladung an alle Rennbahnbesucher, sich dem» Versicherungsverein für Rennbahnbesucher «anzuschließen.
«Ich bin kein Rennbahnbesucher«, sagte ich.
«Nein, lesen Sie weiter«, drängte er mich.»Ich hatte es heute morgen in der Post. Ich dachte, Sie würden sich vielleicht dafür interessieren, also habe ich es mitgebracht.«
Ich las bis zum Ende der Seite:»Bis zu tausend Pfund für schwere körperliche Verletzungen, fünftausend Pfund bei Unfalltod. Beitrag fünf Pfund. Verdoppeln Sie den Beitrag, und Sie verdoppeln die Versicherung. Die Versicherung, die sich jeder leisten kann. Pferdepfleger, investiert in Sicherheit — für Eure Frauen. Jockeys: Geld auch bei Startausfall wegen Unfall. Rennbahnbesucher, schützt Euch gegen Autounfälle auf dem Heimweg. Trainer, denkt an Bomben, wenn Ihr mit dem Flugzeug anreist.«
«Verdammt«, sagte ich.
Kenny lachte.»Ich dachte, es würde Ihnen gefallen.«
Lächelnd gab ich ihm das Flugblatt zurück.»Ja. Diese Schweinehunde.«
«Wäre aber vielleicht doch keine schlechte Idee.«
Colins Mietwagen fuhr vor und lud die gewohntermaßen verausgabte Streitmacht aus. Colin kletterte müde in seinen Sitz, klinkte seinen Sicherheitsgurt ein und sagte:»Wecken Sie mich in Cambridge.«
«Wie ist es gelaufen?«fragte Kenny.
«Habe diesen Mistkerl von Export um Haaresbreite nach Hause gebracht… Aber was Uptight betrifft«, sagte er gähnend,»den könnten sie genausogut zum Abdecker schicken. Mit dem gewinnt man keinen Blumentopf mehr, wahrhaftig.«
Wir weckten ihn in Cambridge. Um genau zu sein, mußten sie eigentlich alle geweckt werden. Sie räkelten sich, sprangen auf den Asphalt, mit offenen Kragen, gelockerten Krawatten, Jacketts überm Arm. Colin hatte kein Jackett, keine Krawatte — nur die gewohnten Jeans, das zerknitterte Sweatshirt, den Nimbus der Bedeutungslosigkeit, nur einer von vielen und nicht für viele der eine zu sein.
Nancy und Midge waren im Aston Martin hergekommen, um uns abzuholen.
«Wir haben ein Picknick mitgebracht«, sagte Nancy,»weil heute so ein herrlicher Abend ist. Wir wollen runter zum Fluß.«
Sie hatten außerdem auch zwei Badehosen von Colin mitgebracht, eine für ihn und eine für mich. Nancy schwamm mit uns raus, aber Midge sagte, ihr sei es zu kalt. Sie saß am Ufer, trug vier Armbanduhren an ihrem linken Handgelenk und streckte ihre langen, nackten Beine in die Sonne.
Es war kühl und still und friedlich im Fluß nach dem heißen, stickigen Tag. Der Lärm des Motorengedröhns in meinem Kopf verklang in der Stille. Ich beobachtete ein Teichhuhn, das durchs Schilf glitt und vorsichtig den Hals verdrehte, um mich mit einem glänzenden Auge zu fixieren und gleichzeitig argwöhnisch zu Colin und Nancy hinüberzuspähen, die ein Stück vor mir im Wasser trieben. Ich schickte ihm ein paar kleine Wellenberge mit meinem Arm, so daß es wie ein Korken darauf auf und ab hüpfte. Wie einfach es ein Teichhuhn doch hat, dachte ich. Aber die Wirklichkeit sah anders aus. Überall in der Natur gab es eine Hackordnung. Überall war irgend jemand der Dumme.
Nancy und Colin schwammen zurück. Freundliche Augen, lächelnde Gesichter. Laß dich auf nichts ein, dachte ich. Auf niemanden. Noch nicht.
Die Mädchen hatten kaltes Huhn und lange, knackige Chicoreeblätter mit einer würzigen Sauce zum Eintunken mitgebracht. Wir aßen, während die Sonne unterging, tranken eine Flasche kalten Chablis und saßen auf einer großen, blauen Decke am Fluß.
Als sie mit dem Essen fertig war, legte Midge sich auf der Decke zurück und beschirmte ihre Augen gegen die letzten Strahlen der tiefstehenden Sonne.
«Ich wünschte, das würde nie enden«, sagte sie beiläufig.»Der Sommer, meine ich. Die warmen Abende. Sie sind so selten bei uns.«
«Wir könnten nach Südfrankreich ziehen, wenn du möchtest«, sagte Nancy.
«Du spinnst. Wer würde sich dann um Colin kümmern?«
Sie lächelten, alle drei. Die unausgesprochenen Dinge stets präsent. Tragisch. Unwichtig.
Die träge Dämmerung überzog alle Farben mit Grautönen. Wir lagen faul am Ufer, entspannten uns, kauten an Grashalmen, sahen zu, wie die Insekten über die Wasseroberfläche flitzten, unterhielten uns ein wenig mit leisen, murmelnden Sommerabendstimmen.
«In Japan haben wir beide drei Kilo abgenommen, damals, als wir mit Colin dort waren.«
«Das lag mehr am Essen als an der Hitze.«
«Ich konnte mich für das Essen dort nie so recht erwärmen.«
«Warst du schon mal in Japan, Matt?«
«Ich bin früher öfter für die B.O.A.C. rübergeflogen.«
«Für die B.O.A.C.?«Colin war überrascht.»Warum um Himmels willen sind Sie da weggegangen?«
«Meiner Frau zuliebe. Ist jetzt aber lange her.«
«Das erklärt, wie Sie fliegen.«
«Ja, sicher.«
«Ich mag Amerika lieber«, sagte Midge.»Erinnerst du dich an Mr. Kroop aus Laurel? Der Mann, der dir deine Reitstiefel in nur einem einzigen Tag gemacht hat?«»Hmm.«
«Und wie wir immer wieder um dieses Einkaufszentrum herumgefahren sind und uns dauernd in den Einbahnstraßen verirrt haben.«
«War eine tolle Woche…«
«Ich wünschte, wir könnten noch mal hin…«
Es folgte ein langes Schweigen voller Bedauern. Nancy setzte sich ruckartig auf und schlug sich aufs Bein.
«Verdammte Mücken.«
Colin kratzte sich träge und nickte.»Zeit, nach Hause zu fahren.«
Wir quetschten uns wieder in den Aston Martin. Colin fuhr. Die Zwillinge saßen auf meinen Beinen, lehnten sich an meine Brust und schlangen aus Gründen des Gleichgewichts hinter meinem Hals ihre Arme ineinander. Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht. Sie lachten über meinen Gesichtsausdruck.
«Scheint wohl zuviel des Guten zu sein«, bemerkte Nancy.
Als wir zu Bett gingen, gaben sie mir beide mit den gleichen weichen Lippen einen Gute-Nacht-Kuß auf die Wange.
Das Frühstück war kurz, geschäftsmäßig und von pausenlosen Telefonanrufen begleitet. Annie Villars rief an, um sich zu erkundigen, ob in der Cherokee noch ein Platz frei sei.
«Für wen?«fragte Colin vorsichtig. Er schnitt uns eine Grimasse.»Die verflixte Fenella«, flüsterte er an der Sprechmuschel vorbei.»Nein, Annie, es tut mir schrecklich leid. Ich habe Nancy schon versprochen.«
«Ach, hast du?«sagte Nancy.»Nett, daß ich das auf diese Weise auch erfahre.«
Er legte auf.»Ich rette dich vor Chanter, und jetzt bist du dran.«
«Du bist mir ein schöner Retter, mein Ritter. Den ganzen Tag im Sattel oder im Waageraum. Sehr hilfreich.«
«Willst du mitkommen?«
«Nimm Midge mit«, sagte sie.»Sie ist dran.«
«Nein, geh du ruhig«, sagte Midge.»Ehrlich, ich würde mich nur langweilen. Vor allem, weil das heute wieder mal die reinste Hetze von Platz zu Platz ist. Ich gehe nächste Woche hier zum Rennen. Das reicht mir.«
«Kommst du auch wirklich zurecht?«
«Natürlich. Ich werde im Garten in der Sonne liegen und daran denken, wie ihr immer im Kreis herumjagt und euch abhetzt.«
Als sich herausstellte, daß trotz Nancys Anwesenheit immer noch zwei Plätze frei waren, warf Annie Villars Colin einen vorwurfsvollen Blick sorgsam unterdrückten Ärgers zu und sagte, daß es nützlich gewesen wäre, wenn sie Fenella hätten mitnehmen können, um die Kosten zu teilen. Was glaubte Colin denn, warum sonst hätte sie diesen Vorschlag wohl gemacht?
«Ich muß mich verzählt haben«, sagte Colin fröhlich.»Jetzt ist es zu spät, um sie noch herzuholen.«
Wir flogen ohne Zwischenfall nach Bath, und Nancy saß auf dem rechten Platz neben mir, um als Copilotin zu fungieren. Es war offensichtlich, daß sie den Flug ungeheuer genoß, und mich störte ihre Anwesenheit nicht im geringsten. Ich verstand, was Larry gemeint hatte, als er mir den Rat gab, kurze Landungen zu üben, denn die Landebahn in Bath war unglaublich kurz, aber wir kamen gut runter und parkten neben der gegnerischen Cessna.
Colin sagte:»Schließen Sie das Flugzeug ab und kommen Sie mit zum Rennen. Sie können schließlich nicht ewig Wache stehen.«
Der Polyplane-Pilot war nirgends zu sehen. Ich hoffte das Beste, schloß ab und ging mit den anderen nach nebenan auf die Rennbahn.
Der erste Mensch, den wir sahen, war Acey Jones, der auf seinen Krücken daherschwankte, während die Sonne seinen bleichen Kopf noch heller aussehen ließ als je zuvor.
«Ach ja, Colin«, sagte Nancy.»Soll ich der Unfallversicherung einen Fünfer schicken? Du weißt doch — das Flugblatt, das gestern gekommen ist? Dieser Mann erinnert mich… Er hat von der Versicherung tausend Pfund für einen gebrochenen Knöchel bekommen. Ich hörte, wie er in Haydock davon erzählte.«
«Wenn du willst«, stimmte er zu.»Ein Fünfer wird die Bank schon nicht sprengen. Und schaden kann es ja nichts.«
«Bobby Wessex steht dahinter«, bemerkte Annie dazu.
«Ja. «Nancy nickte.»Das stand auch auf dem Flugblatt.«
«Haben Sie die Sache mit den Bomben gelesen?«fragte ich.
Annie und Nancy lachten beide.»Endlich mal ein Versicherungsmann mit Humor.«
Annie eilte zum Waageraum hinüber, um sich ihren Starter im ersten Rennen anzusehen, und Colin folgte ihr, um sich umzuziehen.
«Limonade?«schlug ich Nancy vor.
«Literweise. Puuh, ist das heiß.«
Wir tranken unsere Limonade an einem schattigen Plätzchen draußen auf dem Rasen. Zehn Meter von uns entfernt stritt sich laut und deutlich hörbar Eric Goldenberg mit Kenny Bayst.
«… Sie glauben doch wohl nicht, Sportsfreund, daß Sie Ihre Gorillas auf mich ansetzen und hinterher erwarten können, daß ich Ihnen einen Gefallen tue, denn wenn Sie das glauben, haben Sie sich gewaltig geschnitten.«
«Was für Gorillas?«fragte Goldenberg nicht sehr überzeugend.
«Ach, hören Sie doch auf damit. Die sollten mich zum Krüppel schlagen. In Redcar.«
«Müssen die Buchmacher gewesen sein, die Sie aufs Kreuz gelegt haben, während Sie so eifrig Ihr falsches Spiel mit uns getrieben haben.«
«Ich habe nie ein falsches Spiel mit Ihnen getrieben.«
«Erzählen Sie mir doch nichts«, sagte Goldenberg drohend.»Sie wissen verdammt gut, was Sie getan haben. Sie verlogener kleiner Bastard.«
«Wenn Sie das glauben, warum soll ich dann in drei Teufels Namen noch mal ein Ding mit Ihnen drehen?«
«Vorbei ist vorbei.«
«Vorbei ist verdammt noch mal gar nichts. «Kenny spuckte Goldenberg vor die Füße und verschwand in Richtung Waageraum. Goldenberg blickte ihm mit schmal gewordenen Augen und einem bösartigen Zug um den Mund nach. Als ich ihn das nächste Mal sah, hielt er ein gut gefülltes Glas in der Hand und bemühte sich nach Kräften, seinen Leibesumfang weiter zu vergrößern, während er sich leise und erhitzt mit einem unangenehmen, bleichgesichtigen Kerl unterhielt, der offenbar sein ganzes Hirn im Bizeps hatte. Es war keiner von den beiden, die Kenny in Redcar verprügelt hatten. Ich fragte mich, ob Goldenberg die Absicht hatte, sich Verstärkung zu holen.
«Was halten Sie von Kenny Bayst?«fragte ich Nancy.
«Der große, kleine Herr >Ich-komme-aus-Australien<«, sagte sie.»Aber er hat sich schon etwas gebessert. Als er hierherkam, erwartete er, daß man ihm überall den roten Teppich ausrollte, da er zu Hause als Lehrling riesengroßen Erfolg gehabt hatte.«
«Würde er auf Befehl verlieren?«
«Ich denke schon.«
«Würde er auf Befehl verlieren, das Geld dafür nehmen, auf seinen Sieg setzen und versuchen zu gewinnen?«
Sie grinste.»Sie lernen schnell.«
Wir sahen zu, wie Colin das erste Rennen gewann. Annie Villars’ Pferd ging als drittletztes ins Ziel. Sie stand mit düsterem Blick neben dem schwer atmenden Tier, während Kennys Nachfolger sich nach Kräften bemühte, sein Versagen wegzuerklären.
«Annie hätte Kenny Bayst behalten sollen«, sagte Nancy.
«Er wollte weg.«
«Und Colin will nicht hin. «Sie nickte.»Annie stellt sich in dieser Saison ein bißchen dumm an.«
Vor dem dritten Rennen gingen wir zurück zum Flugzeug. Der Polyplane-Pilot stand daneben und spähte durch die Fenster hinein. Es war nicht der unbeteiligte Zuschauer aus Redcar, sondern sein Kollege aus Haydock.
«Guten Tag«, sagte Nancy.
«Guten Tag, Miss Ross. «Er war auf jene Weise höflich, die unverschämter ist als Grobheit. Nicht gerade die beste Methode, dachte ich, Colin als Kunden von Derrydown abzuwerben. Er ging davon, zurück zu seiner Cessna, und ich kontrollierte die Cherokee Zentimeter um Zentimeter auf irgendwelche Mängel. Soweit ich sehen konnte, gab es keine. Nancy und ich kletterten an Bord, und ich ließ den Motor an, um ihn für den Start vorzuwärmen.
Colin und Annie kamen im Eilschritt angelaufen, stiegen ein, und wir brausten quer über Südengland hinweg nach
Shoreham. Colin und Annie sprangen in ein wartendes Taxi und verschwanden. Nancy blieb bei mir und der Cherokee, und wir saßen im warmen Gras, sahen den kleinen Flugzeugen bei ihren Starts und Landungen zu und unterhielten uns zwanglos über das Fliegen, das Pferderennen und das Leben im allgemeinen.
Gegen Ende des Nachmittags fragte sie:»Werden Sie den Rest Ihres Lebens als Taxipilot verbringen?«
«Ich weiß nicht. Ich plane nicht mehr so weit im voraus.«
«Ich auch nicht«, sagte sie.
«Nein.«
«Wir sind sehr glücklich gewesen in diesen letzten wenigen Wochen, seit es Midge so viel besser geht. Ich wünschte, es würde so bleiben.«
«Sie werden sich daran erinnern.«
«Das ist nicht dasselbe.«
«Nur das, was noch bevorsteht, macht diese Zeit zu etwas Besonderem«, sagte ich.
Es entstand eine lange Pause, während sie darüber nachdachte. Schließlich fragte sie ungläubig:»Wollen Sie damit sagen, daß wir jetzt nur deshalb so glücklich sind, weil Midge sterben wird?«
«Etwas in der Art.«
Sie drehte sich um, sah mich an.»Erzählen Sie mir etwas anderes. Ich brauche etwas anderes.«
«Trost?«
«Wenn Sie so wollen.«
Ich sagte:»Sie alle drei haben während der letzten beiden Jahre die klassische Entwicklung durchgemacht. Alle zusammen, nicht nur Midge allein. Schock, Ungläubigkeit,
Zorn und am Ende Hinnahme. «Ich hielt einen Augenblick inne.»Sie sind durch den dunklen Tunnel gegangen. Jetzt sind Sie wieder draußen am anderen Ende, im Sonnenlicht. Sie haben den größten Teil Ihrer Trauer bereits hinter sich. Sie sind eine ungewöhnlich starke Familie. Sie werden sich an diesen Sommer erinnern, weil er der Erinnerung wert sein wird.«
«Matt.«
In ihren Augen standen Tränen. Ich sah zu, wie die Libellen, diese funkelnden, kleinen Flugmaschinen, in plötzlichen Wendungen davonschossen. Sie konnten mich heilen, die Ross-Geschwister, dachte ich. Ihre Kraft konnte mich heilen. Solange ich ihnen damit nichts wegnahm. Solange ich mir dessen ganz sicher sein konnte.
«Wie war Colins Frau?«fragte ich nach einer Weile.
«Oh…«Sie stieß ein Lachen aus, das zur Hälfte ein Schniefen war.»Hatte etwas zu viel von einer Fenella. Damals war Colin noch viel jünger. Er wußte nicht, wie man in Deckung geht. Sie war dreiunddreißig und herrisch und reich, und er war zwanzig und wahnsinnig beeindruckt von ihr. Um ehrlich zu sein, hielten Midge und ich sie auch für absolut fabelhaft. Wir waren damals siebzehn und noch grün hinter den Ohren. Sie dachte, es müßte wunderbar sein, mit einem Genie verheiratet zu sein, nichts als Huldigungen und Champagner und Glamour. Es gefiel ihr gar nicht, als sich rausstellte, daß das Ganze größtenteils aus harter Arbeit und Hunger und Erschöpfung bestand. Und so hat sie ihn wegen eines jungen Schauspielers verlassen, der gerade irrsinnig gute Kritiken für seinen ersten Film bekommen hatte, und Colin brauchte Monate, bis aus dem Wrack, das sie aus ihm gemacht hatte, wieder er selbst geworden ist.«
«Armer Colin. «Oder glücklicher Colin. Starker Colin. Monate. Ich habe Jahre gebraucht.
«Ja. «Sie grinste.»Er ist drüber weg. Er hat im Moment ein Vögelchen in London. Immer, wenn er denkt, Midge und ich würden nichts merken, flitzt er zu ihr hinüber.«
«Ich muß mir auch so ein Vögelchen anschaffen«, sagte ich obenhin.»Demnächst.«
«Sie haben keins?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich sah sie an. Gerade Augenbrauen, ehrliche Augen, sensibler Mund. Sie erwiderte meinen Blick. Ich wollte sie küssen. Ich glaubte nicht, daß sie es mir übelnehmen würde.
«Nein«, sagte ich geistesabwesend.»Kein Vögelchen.«
Nimm ihnen nichts weg. Nimm Midge nichts weg.
«Ich werde noch etwas warten«, sagte ich.
Mehrere Tage, mehrere Flüge später telefonierte ich mit dem Handelsministerium. Schüchtern. Fand mich närrisch, weil ich versuchte, dessen Job zu machen, weil ich glaubte, mir könnte etwas eingefallen sein, worauf man dort nicht schon selbst gekommen war. Aber andererseits war ich bei dem Flug mit der Bombe dabeigewesen und das Handelsministerium nicht. Ich hatte Dinge gesehen, Dinge gehört, Dinge gespürt; es nicht.
Zum Teil um meiner selbst willen, aber hauptsächlich wegen Nancys Bemerkung, daß der Bombenleger immer noch frei herumlaufe und seine Motive ihn immer noch umtrieben, hatte ich mich schließlich von dem Gedanken verabschiedet, das Ganze ginge mich nichts an und jemand anders sollte den Knoten entwirren; ich hatte mich zu der Auffassung durchgerungen, daß es vielleicht doch nicht schlecht wäre, wenn mir etwas einfiele.
Zu welchem Zweck ich eine Menge Denkzeit darauf verwendet hatte, mir den Weg durch wahre Labyrinthe von Spekulationen zu bahnen, bis ich am Ende eine ganze Reihe von Gründen fand, die gegen den einen oder anderen als Täter sprachen.
Da war zum Beispiel Larry. Nun, was war mit Larry? Larry hätte jederzeit bis zwei Stunden vor meinem Start nach White Waltham leichtes Spiel gehabt, die Bombe an Bord zu bringen. Aber wie stark seine Motive, Colin zu töten oder Derrydown zu ruinieren, auch gewesen sein mochten — und bisher war bis auf ein paar kleine Betrügereien nichts dergleichen ans Licht gekommen: Wenn es stimmte, daß es eine ferngesteuerte Bombe und keine Zeitbombe war, konnte er den Mechanismus nicht ausgelöst haben, denn als die Bombe explodierte, war er bereits in der Türkei. Für Larry wäre eine Zeitbombe die einzige einfache und praktische Lösung gewesen.
Und dann Susan… So lächerlich ich es auch fand, ich ließ mir das, was der Mann vom Handelsministerium gesagt hatte, noch einmal durch den Kopf gehen. Sie traf sich gelegentlich mit einem Fachmann für Sprengungen, na, meinen Segen hatte sie. Je eher sie wieder heiratete, um so besser für mich. Das Schlimme war nur, daß die Aversionstherapie unserer letzten destruktiven sechs Ehemonate bei ihr genausogut angeschlagen hatte wie bei mir.
Ich konnte mir nicht vorstellen, daß irgendein Manager, der halbwegs bei Verstand war, den Exmann einer flüchtigen Freundin wegen einer Versicherung von ungefähr sechstausend Pfund um die Ecke bringen würde, vor allem, da die Summe, die sie schließlich kassieren würde, mit jedem Jahr, das ich noch lebte, stieg. Vor drei Jahren hatte ich meine Beitragszahlungen eingestellt, aber die Höhe des Auszahlungsbetrages stieg trotzdem automatisch weiter.
Ich wußte, daß sie eines kaltblütigen Mordes an unschuldigen Menschen nicht fähig war, und ich vertraute ihren kaufmännischen Instinkten. Je länger ich lebte, um so mehr würde sie in jeder Hinsicht profitieren. So einfach war das.
Honey Harley. hatte gesagt, sie würde» alles «tun, um Derrydown vor dem Konkurs zu bewahren, und durch die Explosion der Cherokee hatte sich die finanzielle Situation dort entspannt. Was man auf Mietkaufbasis erwarb, konnte man nicht ohne weiteres verkaufen, und wenn Derrydown die Raten für die Cherokee nicht mehr hätte aufbringen können, wäre das Flugzeug an den Vermieter/Verkäufer zurückgefallen, der es dann zu einem Preis verkauft haben würde, der gerade seine eigenen Unkosten deckte und für Derrydown nichts mehr abwerfen würde. Die Versicherungssumme dagegen war ein warmer Regen: Reichte für die restlichen Raten und brachte darüber hinaus etwas Geld in die Kasse.
Andererseits hätte Colin Ross’ Tod Derrydowns endgültigen Ruin bedeutet. Honey Harley hätte niemals irgendwelche Kunden getötet, und schon gar nicht Colin Ross. Dasselbe galt in allen Punkten für Harley selbst.
Dann vielleicht die Polyplane-Leute? Immer in der Nähe, immer feindselig, immer bestrebt, Derrydown auf Biegen und Brechen aus dem Geschäft zu drängen und Colin Ross zurückzugewinnen. Tja… Ziel Nummer eins hätten sie mit der Bombe erreicht, Ziel Nummer zwei dagegen völlig konterkariert. Nicht einmal der verrückteste Polyplane-Pilot würde meiner Meinung nach eine goldene Gans umbringen.
Kenny Bayst… Mit einer Mordswut auf Eric Goldenberg, Major Tyderman und Annie Villars. Aber wie ich bereits zu Colin sagte, woher hätte er so schnell eine Bombe nehmen sollen, und hätte er auch Colin und mich getötet? Es schien undenkbar, das eine wie das andere. Nicht bei Kenny Bayst.
Wer dann?
Wer?
Da mir sonst niemand einfallen wollte, ging ich sämtliche Möglichkeiten noch einmal durch. Larry, Susan, die Harleys, Polyplane, Kenny Bayst. Sah sie mir von oben an, von unten und von der Seite. Erreichte nichts. Machte mir einen Kaffee, ging ins Bett, schlief ein.
Wachte um vier Uhr morgens auf. Der Mond schien mir mitten ins Gesicht, und eine Tatsache wurde mir wie mit einem Paukenschlag bewußt. Betrachte die Dinge von allen Seiten. Fang ganz unten an.
Ich fing ganz unten an. Dabei schälte sich die Antwort wie von selbst heraus. Sie drängte sich auf, starrte mich regelrecht an. Ich konnte es nicht glauben. Es war zu einfach, verdammt noch mal zu einfach.
Am Morgen führte ich ein längeres Telefongespräch mit einem halbvergessenen Vetter und bekam zwei Stunden später einen Rückruf. Und danach rief ich in Erwartung einer kategorischen Abfuhr das Handelsministerium an.
Der große, höfliche Mann war nicht da. Er würde mich, so sagte man mir, später zurückrufen.
Als er das tat, war Harley gerade mit einem Schüler oben in den Lüften, und Honey ging im Tower an den Apparat. Sie stellte das Gespräch in den Mannschaftsraum durch, wo ich meine Berichte schrieb.»Das Handelsministerium für Sie. Was haben Sie jetzt schon wieder angestellt?«
«Die alte Bombensache«, sagte ich beschwichtigend.
«Oh.«
Sie stellte den großen Mann zu mir durch, hörte aber weiter an ihrem Apparat mit.
«Honey«, sagte ich,»legen Sie auf.«
«Wie bitte?«sagte das Handelsministerium.
Honey kicherte, aber sie legte den Hörer auf. Ich hörte es klicken.
«Captain Shore?«sagte die Stimme mißbilligend.
«Ähm, ja.«
«Sie wollten mich sprechen?«
«Sie sagten… wenn mir zu der Bombe noch irgend etwas einfiele…«
«O ja. «Ein Hauch von Wärme.
«Ich habe nachgedacht«, sagte ich,»und zwar über den Sender, der benötigt wurde, um die Bombe zu zünden.«
«Ja?«
«Wie groß muß die Bombe ungefähr gewesen sein?«fragte ich.»Der ganze Kram, Plastiksprengstoff, Schießpulver, Drähte und Solenoide?«
«Ich denke, recht klein… Eine Bombe wie die könnte man wahrscheinlich in einer flachen Dose von zirka achtzehn Zentimeter Länge, zehn Zentimeter Breite und fünf Zentimeter Tiefe unterbringen. Möglicherweise sogar in einer noch kleineren. Je enger man diese Dinger packt, um so heftiger explodieren sie.«
«Und wie groß müßte der Sender gewesen sein, damit man vielleicht drei verschiedene Signale damit ausschik-ken könnte?«
«Heutzutage nicht mehr besonders groß. Wenn es darauf ankäme… wie ein Päckchen Spielkarten vielleicht. Aber in unserem Fall würde ich vermuten… größer. Die Signale mußten eine ziemlich große Entfernung überwinden. Und um die Reichweite eines Senders zu verdoppeln, muß man seine Ausgangsleistung vervierfachen, wie Sie zweifellos wissen.«
«Ja… Entschuldigen Sie, daß ich die Sache so umständlich angehe, aber ich wollte mir meiner Sache sicher sein.
Also: Ich weiß zwar nicht, warum, habe aber eine gewisse Vorstellung vom Wann und Wer.«
«Was sagen Sie da?«Seine Stimme klang erstickt.
«Ich sagte.«
«Jaja«, unterbrach er mich.»Das habe ich gehört. Wann… gut, also wann?«
«Die Bombe wurde in White Waltham an Bord gebracht. Wurde in Haydock aus dem Flugzeug genommen. Und in Haydock auch wieder zurückgebracht.«
«Wovon reden Sie?«
«Einer der Passagiere hat sie mitgebracht.«
«Welcher?«
«Ach übrigens«, sagte ich.»Wieviel würde eine solche Bombe kosten?«
«Oh. etwa achtzig Pfund oder so«, sagte er ungeduldig.»Wer?«
«Und muß man ein ausgefuchster Experte sein, um eine solche Bombe anzufertigen?«
«Man muß mit Sprengstoffen umgehen können und außerdem über praktische Kenntnisse der Funktechnik verfügen.«
«Das habe ich mir gedacht.«
«Sehen Sie mal«, sagte er,»sehen Sie, würden Sie bitte aufhören, Katz und Maus mit mir zu spielen. Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen Spaß macht, das Handelsministerium zu foppen… Ich sage nicht, daß ich Ihnen einen großen Vorwurf daraus mache, aber würden Sie mir jetzt bitte klipp und klar sagen, welcher der Passagiere eine Bombe bei sich hatte?«
«Major Tyderman«, sagte ich.
«Major. «Er holte hörbar Luft.»Wollen Sie damit sagen, daß die Bombe doch nicht in die Züge des Höhenruders geraten ist und auf diese Weise die Reibung verursacht hat, die Sie zur Landung bewog?… Daß Major Tyderman sie vielmehr den ganzen Nachmittag über unwissentlich mit sich herumgetragen hat? Oder was?«
«Nein«, sagte ich.»Und noch mal nein.«
«Um Gottes willen… Sie können die Sache wohl nicht vereinfachen, indem Sie mir genau sagen, wer Major Tyderman die Bombe untergeschoben hat? Wer vorhatte, ihn in die Luft zu sprengen?«
«Wenn Sie wollen.«
Er rang offensichtlich um Fassung. Ich lächelte die Wand des Mannschaftsraumes an.
«Also, wer?«
«Major Tyderman«, sagte ich,»selbst.«
Schweigen. Dann ein Protest.
«Sie meinen Selbstmord? Das ist unmöglich. Die Bombe ging hoch, als das Flugzeug am Boden war…«
«Genau«, sagte ich.
«Was?«
«Wenn eine Bombe in einem Flugzeug hochgeht, denkt jeder automatisch, daß die Maschine eigentlich in der Luft hätte explodieren und alle Menschen, die an Bord waren, töten sollen.«
«Ja, natürlich.«
«Angenommen, das eigentliche Opfer war das Flugzeug selbst und nicht die Menschen?«
«Aber warum?«
«Ich habe es Ihnen schon gesagt, ich weiß nicht, warum.«
«Na schön«, erwiderte er.»Na schön. «Er holte tief Luft.»Lassen Sie uns ganz von vorn beginnen. Sie sagen, daß Major Tyderman mit der Absicht, das Flugzeug aus unbekannten Gründen in die Luft zu sprengen, eine Bombe mit zu den Rennen genommen hat.«
«Ja.«
«Was bringt Sie auf diese Idee?«
«Wenn ich so zurückschaue. Er war den ganzen Tag über völlig angespannt und wollte sich auf keinen Fall von seinem Fernglasfutteral trennen, das groß genug war, um eine Bombe von der Größe, wie Sie sie beschrieben haben, darin unterzubringen.«
«Das ist als Indiz lächerlich«, protestierte er.
«Stimmt«, pflichtete ich ihm bei.»Außerdem war es der Major, der sich die Schlüssel von mir geborgt hat, um die Sporting Life, die er im Flugzeug liegengelassen hatte, zu holen. Er wollte mich nicht gehen lassen, obwohl ich es ihm angeboten habe. Er kam zurück und gab mir die Schlüssel. Natürlich hatte er nicht abgeschlossen. Er wollte ein wenig Verwirrung stiften. Als er bei der Maschine war, schraubte er die hintere Abdeckung des Gepäckraums ab und versteckte die Bombe dahinter, direkt an der Außenhülle. Mit einer Saugvorrichtung, nehme ich an, die sich, wie ich bereits vermutete, während des unruhigen Fluges löste.«
«Er konnte nicht vorhersehen, daß Sie in East Midlands landen würden.«
«Es spielte keine Rolle, wo wir landeten. Sobald alle aus dem Flugzeug waren, wollte er es in die Luft sprengen.«
«Das sind bloß Vermutungen.«
«Er hat es vor meinen Augen getan, in East Midlands. Ich habe bemerkt, daß er sich umsah — um sicherzugehen, daß niemand in der Nähe des Flugzeugs war. Dann spielte er mit seinem Fernglasfutteral herum — und hat die Signale gesendet. Es könnten sehr niedrige oder superhohe Frequenzen gewesen sein. Sie brauchten nicht weit zu reichen. Aber was wichtiger war, der Sender brauchte nur ganz schwach zu sein. und ganz klein.«
«Aber — nach allem, was wir wissen — unter anderem auch von Ihnen — war er nach der Explosion zutiefst schockiert.«
«Schockiert vom Anblick der Zerstörung, auf der er immerhin den ganzen Tag über gesessen hat. Dazu ein bißchen Schauspielerei.«
Er dachte eine gute Weile darüber nach. Dann sagte er:»Hätte denn nicht irgend jemand bemerkt, daß der Major sein Fernglas nicht benutzte, obwohl er es dabeihatte?«
«Er hätte behaupten können, daß er es gerade fallengelassen hat und es dabei zu Bruch gegangen ist… Und außerdem hat er für gewöhnlich neben seinem Fernglas noch eine Flasche in diesem Futteral… Viele Leute müssen, genau wie ich, gesehen haben, daß er einen Schluck daraus trank. Niemand würde das merkwürdig finden. Die Leute würden denken, daß er die Flasche mitgenommen, aber das Fernglas vergessen hat.«
Ich konnte direkt vor mir sehen, wie er den Kopf schüttelte.»Das ist eine durch und durch phantastische Theorie. Und nicht der allerkleinste Beweis. Reine Spekulation. «Er hielt inne.»Es tut mir leid, Mr. Shore, ich bin sicher, Sie haben ihr Bestes getan, aber…«
Ich registrierte, daß er mir meinen Captain aberkannt hatte. Ich lächelte schwach.
«Da wäre noch eine Kleinigkeit«, sagte ich vorsichtig.
«Ja?«Er war ein wenig, ein ganz klein wenig reserviert, als erwarte er noch weitere Phantastereien meinerseits.
«Ich habe einen Vetter bei der Armee, der ein paar alte Unterlagen für mich durchgesehen hat. Im Krieg war Major Tyderman bei den Pionieren, Chef einer Einheit, die fast den ganzen Krieg über in England geblieben ist.«»Ich sehe nicht.«
«Sie war zuständig«, sagte ich,»für die Blindgänger.«