Hawaii ist die Heimat schanghaiter Männer und Frauen und der Nachkommen dieser Männer und Frauen. Sie hatten nie die Absicht gehabt, ihr Leben dort zu verbringen. Seit es die ersten Weißen hierher verschlug, ist nur sehr selten jemand für immer geblieben, der von vornherein mit dem festen Plan kam, sich auf Hawaii niederzulassen. Aus irgendeinem Grund verliebt man sich einfach in die Inseln, so wie man sich plötzlich in eine Frau verliebt. Ebensowenig, wie man sich vornehmen kann, eine bestimmte Frau zu lieben, kann man sich vornehmen, Hawaii zu lieben. Man sieht jemanden und mag ihn oder mag ihn nicht. Bei Hawaii scheint es immer Liebe auf den ersten Blick zu sein. Jene Menschen, für die diese Inseln geschaffen wurden, oder vielmehr, die für diese Inseln geschaffen wurden, sind vom ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft an vollkommen hingerissen. Sie schließen sie in ihr Herz und werden von ihnen ins Herz geschlossen.
Ich erinnere mich an einen guten Freund, der den Entschluß faßte, nach Hawaii zu kommen und sich hier für immer niederzulassen. Er packte seine Frau und seine ganze Habe einschließlich des Gartenschlauches, Rechens und der Hacke zusammen, sagte »leb wohl, du stolzes Kalifornien« und machte sich auf den Weg. Nun war er ein Dichter, sein Blick und seine Seele waren für Schönheit empfänglich, und es war zu erwarten, daß er sein Herz an Hawaii verlieren würde, so wie es vor ihm Mark Twain, Stevenson und Stoddard verloren hatten. So kam er denn an mit Frau, Gartenschlauch, Rechen und Hacke. Allein der Himmel weiß, welche Vorstellungen er gehabt haben muß. Tatsache ist, daß er keinerlei Schönheit, nichts Reizvolles und Wunderbares entdeckte. Sein Aufenthalt auf Hawaii, so kurz er auch ausfiel, war für ihn ein entsetzlicher Alptraum. Im Handumdrehen hatte ihn Kalifornien wieder. Bis heute spricht er mit wehleidiger Verbitterung über seine Erlebnisse, wenn er auch nie erwähnt, was aus seinem Gartenschlauch, dem Rechen und der Hacke geworden ist. Der Boden hatte sich ihm gegenüber bestimmt nicht von der knauserigen Seite gezeigt!
Anders war es bei Mark Twain, der noch lange nach seinem Besuch über Hawaii schrieb: »Kein fremdes Land auf der ganzen Welt hat einen so tiefen, starken Reiz auf mich ausgeübt wie dieses; kein anderes Land konnte mich, ob ich nun schlief oder wachte, ein halbes Leben lang so ganz und gar in den Bann schlagen. Andere Dinge entfallen mir, aber Hawaii haftet in der Erinnerung; andere Dinge ändern sich, aber dieses Land bleibt, wie es war. Für mich wehen seine balsamischen Lüfte immerfort, funkeln seine sommerlichen Gewässer im Sonnenlicht; das rhythmische Schlagen seiner Brandung klingt noch in meinen Ohren; ich sehe seine üppig bewachsenen Klippen vor mir, seine herabstürzenden Wasserfälle, die Federbüsche der Palmen, die sich träge am Ufer wiegen, seine fernen Gipfel, die wie Inseln aus dem Wolkenmeer ragen; ich kann den Geist seiner einsamen Waldungen spüren, kann das Plätschern der Bäche hören; in meiner Nase habe ich noch den Duft der Blumen, die schon vor zwanzig Jahren verwelkt sind.«
Über den ersten Oberrichter unter den Kamehamehas kann man lesen, daß er sich eigentlich auf dem Weg um das Kap Hoorn nach Oregon befand, als er sich dazu verleiten ließ, auf Hawaii zu bleiben. Wahrhaftig, Hawaii ist eine wunderschöne Frau, die um vieles überzeugender und verführerischer ist als ihre Schwestern, die Sirenen des Meeres.
Der junge Seemann Archibald Scott Cleghorn hatte keineswegs die Absicht, sein Schiff zu verlassen; doch er sah Prinzessin Likelike, Prinzessin Likelike sah ihn, und er blieb und wurde der Vater von Prinzessin Kaiulani und nahm über viele Jahre hinweg eine ehrenvolle Position ein. Er war nicht der erste junge Mann, der abmusterte, und auch nicht der letzte. Einer, bei dem dieses Ereignis noch nicht so lange zurückliegt und den ich gut kenne, kam vor einigen Jahren bei einer Segelregatta mit einer Jacht vom Festland hier an. So kurz war sein Urlaub, der ihm als Kassierer von seiner Bank bewilligt worden war, daß er plante, mit einem Schnelldampfer zurückzufahren. Er ist noch immer hier. Und es sieht so aus, als würden seine Kinder und Kindeskinder auch noch hier sein.
Ein anderer ehemaliger Bankkassierer ist Louis von Tempsky, der Sohn des letzten britischen Offiziers, der im Maori-Krieg fiel. Seine Bank in Neuseeland beurlaubte ihn für ein Jahr. Was er unbedingt sehen wollte, war Kalifornien. Er fuhr los. Sein Schiff machte einen Zwischenstop in Hawaii. Es war die gleiche alte Geschichte. Das Schiff fuhr ohne ihn weiter. Seine Bank in Neuseeland sah ihn nie wieder, und es vergingen viele Jahre, ehe er Kalifornien in Augenschein nahm. Aber es reizte ihn nicht. Und heute, umringt von seinen Söhnen und Töchtern, blickt er von dem hügeligen Weideland der Haleakala-Ranch auf eine halbe Welt und auf ganz Maui herab.
Dann waren da die Gays und die Robinsons. In den guten alten Tagen, als die Familien noch groß und patriarchalisch waren, hatten sich diese schottischen Pioniere, die überall auf der Welt Neuland erschlossen, in Neuseeland angesiedelt. Nach einiger Zeit beschlossen sie, nach Britisch-Kolumbien auszuwandern. Zu ihrem Besitz zählte auch ein voll ausgerüstetes Schiff, das von einem der Söhne geführt wurde. Wie mein Dichterfreund aus Kalifornien schafften sie ihre ganze Habe an Bord. Doch anstelle des Gartenschlauchs, Rechens und der Hacke nahmen sie ihre Pflüge, Eggen und alle anderen landwirtschaftlichen Geräte mit. Auch ihre Pferde, Rinder und Schafe nahmen sie mit. Sobald sie in BritischKolumbien ankamen, würden sie unverzüglich in der Lage sein, sich anzusiedeln, das Ackerland zu bestellen, und brauchten sich keine Ernte entgehen lassen. Doch das Schiff legte, wie es in jenen Tagen der Segelschiffahrt üblich war, in Hawaii an, um Wasser, Obst und Gemüse an Bord zu nehmen. Die Gays und die Robinsons sind noch immer hier, oder vielmehr ihre hochangesehenen Kinder und jüngeren Enkel und Urenkel; denn Hawaii schloß sie wie die Prinzessin Likelike in die Arme, und es war Liebe auf den ersten Blick. Sie erwarben Land auf Kauai und Niihau, und die zweihundertfünfzig Hektar, die letztere Insel mißt, sind bis heute noch vollständig in ihrem Besitz.
Ich frage mich, ob selbst die Missionare, die ein Jahrhundert zuvor mit ihren Windjammern Kap Hoorn umsegelten, im entferntesten daran dachten, den Rest ihrer Tage auf Hawaii zu verbringen. Das ist auf der ganzen Welt nicht ihre Art. Sie sind zwar immer mit dem Entschluß an abgelegene Orte gereist, ihr Leben dem Ruhm Gottes und der Bekehrung der Heiden zu weihen, hatten aber stets die feste Absicht, nach Erfüllung ihrer Pflicht ihre letzten Jahre in der Heimat zu verbringen. Doch Hawaii kann Missionare ebenso leicht verführen wie Matrosenjungen und Bankkassierer, und diese spezielle Gruppe von Missionaren war von den Reizen dieser Insel so hingerissen, daß sie auch im Alter nicht nach Hause zurückkehrten. Ihre Gebeine ruhen hier, in dem Land, in das sie kamen, um es schließlich mehr als ihr eigenes zu lieben. Und sie sowie ihre Söhne und Töchter spielten und spielen eine große Rolle bei der Entwicklung Hawaiis.
In den Annalen der Missionare ist eine solch einmütige und bereitwillige Annahme eines neuen Landes einmalig. Und noch ein anderes, ebenso einmaliges Vorkommnis in der Geschichte der Missionare muß am Rande erwähnt werden. Nie sind Missionare, zumindest die allerersten, ausgezogen, um ein heidnisches Land seinen Götzen zu entreißen, und fanden es bei ihrer Ankunft bereits befreit vor, und zwar aus eigener Kraft befreit, während sie noch unterwegs waren. Im Jahr 1819 stöhnte ganz Hawaii unter der strengen Herrschaft der alten Götter, deren Sprachrohre die Priester und deren Botschaften die angsteinflößenden, grausamen und ungerechten Tabus waren. 1819 kamen die ersten Missionare in Boston zusammen und machten sich auf die lange Schiffsreise um das Kap Hoorn. 1819 stürzten die Hawaiianer aus eigenem Entschluß, ohne Beratung oder Beeinflussung von außen ihre Götter und schafften die Tabus ab. Im Jahre 1820 fand die lange Fahrt der Missionare ein Ende, und sie landeten auf Hawaii, wo sie ein Land und ein Volk ohne Götter und ohne Religion vorfanden, das bereitwillig der Unterweisung harrte.
Doch um auf das zurückzukommen, was ich eingangs erwähnte: Hawaii ist die Heimat schanghaiter Männer und Frauen, die nicht durch einen Knüppelhieb über den Kopf oder eine mit einem Betäubungsmittel vermischte Flasche Whisky, sondern durch Liebe zum Bleiben veranlaßt worden sind. Hawaii und die Hawaiianer sind ein liebevolles und liebenswertes Land und Volk. An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen - und in welchem anderen Land als diesem ist die gebräuchlichste Grußformel nicht »Guten Tag« oder »Wie geht’s«, sondern »Liebe«? Dieser Gruß lautet Aloha - Liebe, ich liebe dich, alles Liebe für dich. Guten Tag - was ist an einer derartigen unpersönlichen Bemerkung über das Wetter schon dran? Wie geht es - das ist eine zwar persönliche, doch eher beiläufige Frage. Aber Aloha! Das ist die positive Versicherung der eigenen herzlichen Zuneigung. Alle meine Liebe für dich! Ich liebe dich! Aloha!
Dann versuchen Sie sich einmal ein Land vorzustellen, das so lieblich und liebevoll ist wie ein solches Volk. Hawaii vereint all das in sich. Nicht vollkommen tropisch, sondern eher subtropisch, im Auslaufgebiet des Nordostpassats (der unter den Winden die Stellung einnimmt, die der Wein unter den Getränken besitzt) gelegen, mit einer Landschaft, die von palmenbestandenen Korallenstränden bis zu schneebedeckten, viertausend Meter hohen Gipfeln aufsteigt; nie waren so viele unterschiedliche Klimazonen auf einem einzigen Fleckchen Erde zu finden. Die Einwohner halten noch wie zu alten Zeiten, ja heute noch mehr, an dem Brauch fest, ein Stadthaus, ein Haus am Meer und ein Berghaus zu besitzen. Alle drei Häuser sind mit dem Automobil vielleicht nur eine halbe Stunde voneinander entfernt, und doch entsprechen sie in ihren klimatischen und landschaftlichen Unterschieden einem Haus an der Fifth Avenue oder dem Riverside Drive, einem Lager im Adirondack-Gebirge und einem Winterdomizil in Florida. Dazu kommt noch ein zwölfmonatiger Jahreszeitenzyklus, der in jeden einzelnen Tag hineingepackt ist.
Ich will versuchen, das zu verdeutlichen. Der New Yorker muß für die Adirondacks bis zum Sommer, für den Strand von Florida bis zum Winter warten. Doch auf Hawaii, sagen wir auf der Insel Oahu, kann ein Einwohner von Honolulu täglich entscheiden, in welchem Klima und in welcher Jahreszeit er den Tag verbringen will. Er hat die freie Auswahl. Ja, und mehr noch: Er kann in seinen Adirondacks aufwachen, in seiner Stadt zu Mittag essen, die Einkäufe erledigen und in den Club gehen, den Nachmittag an seinem Palm Beach zubringen und dort zu Abend speisen und dann zum Schlafen in die beißende Kälte seines Adirondack-Lagers zurückkehren.
Und was für Oahu gilt, gilt auch für die anderen großen Inseln dieser Gruppe. Klima und Jahreszeit können nach Belieben gewählt werden, mit zahllosen überraschenden Variationen als Dreingabe. Nehmen wir an, jemand ist leidend und sucht ein für einen Kranken zuträgliches Klima. Eine Nachtfahrt auf einem Dampfer von Honolulu aus wird ihn zu der leewärts gelegenen Küste der Hauptinsel bringen. Dort, zwischen den Kaffeebäumen auf den Hängen von Kona, etwa dreihundertfünfzig Meter über Kailua und der sich kräuselnden See, wird er das perfekte Klima für einen Schonungsbedürftigen finden. Es ist das Land der morgendlichen Windstille, des nachmittäglichen Regenschauers und der abendlichen Ruhe. Nie gehen rauhe Lüfte. Ein- oder zweimal im Jahr bläst vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden lang eine steife Brise von Süden, Kona-Wind genannt. Sonst gibt es keinerlei Turbulenzen, zumindest keine Luftbewegungen, die kräftig genug wären, um diesen Namen zu verdienen. Es sind nicht einmal leichte Brisen. Es ist ein Fächeln, das am Tag und in der Nacht seine Richtung ändert. Unter der Sonne erwärmt sich das Land und saugt die milde Seeluft an. Nachts strahlt das Land die Hitze schneller ab, die See bleibt wärmer und holt sich die schwach mit Blumenduft getränkte Bergluft zurück.
So ist das Klima von Kona, wo niemand im Traum daran denkt, auf ein Thermometer zu schauen, wo jeden Nachmittag ein erfrischender Frühlingsregen fällt und wo man weder Frost noch Hitzschlag kennt. All das wird durch die hochaufgetürmten Bergstöcke des Mauna Kea und Mauna Loa ermöglicht. Auf ihrer anderen Seite, den windwärts gelegenen Hängen der Hauptinsel entlang der Hamakua-Küste, bläst der Passat oft genug mit einer Stärke von fünfundsechzig Kilometern in der Stunde. Sollte ein »Wasserfrosch« aus Oregon Heimweh nach dem gewohnt feuchten heimischen Wetter bekommen, wird er triefende Linderung an den windwärts gelegenen Küsten Hawaiis und Mauis finden, angefangen von Hilo im Süden mit einer durchschnittlichen jährlichen Regenmenge von dreihundertachtzig Zentimetern bis hin zum Nahiku-Distrikt im Norden hinter Hana, wo eine Niederschlagsmenge von zehneinhalb Metern innerhalb eines einzigen Jahres belegt ist. Auch beim Regen hat man die Wahl zwischen fünfhundert, fünfzig, dreizehn und zweieinhalb Zentimetern. Ja, und außerdem kann es vierundsechzig Kilometer von Nahiku entfernt, an den leewärts gelegenen Hängen des House of the Sun, der der größte erloschene Vulkan der Erde ist, vorkommen, daß es innerhalb von einem Dutzend Jahren nicht ein einziges Mal regnet. Das Vieh verbringt sein Dasein, ohne je eine Pfütze zu sehen, und Pferde scheuen bei fließendem Wasser oder versuchen, es mit den Zähnen zu zermahlen.
All diese Beispiele wären beliebig zu vermehren, und die Behauptung, daß nirgends sonst so viele Klimazonen an einem Ort vereint sind, ließe sich noch mit der Feststellung ergänzen, daß man nirgendwo so viele Landschaftsformen auf einem Fleck findet. Die Vielfalt ist unendlich groß, von den Lavaküsten des südlichen Puna bis hin zu den mit Booten übersäten Sandstränden Kauais. Auf jeder Insel können halsbrecherische Kletterpartien zuhauf unternommen werden. Man kann jenseits der Baumgrenze auf den schneebedeckten Gipfeln des Mauna Kea oder des Mauna Loa vor Kälte zittern, umkommen vor Hitze unter den Banyan-Bäumen im verschlafenen, alten Lahaina, im klaren Ozeanwasser schwimmen, das an zehntausend Stränden wie Champagner perlt, oder Nacht für Nacht in Decken eingehüllt auf den Bergwiesen der großen Weidegebiete verbringen, um jeden Morgen vom Gesang der Lerchen und dem frischen, lebhaften Frühlingslüftchen geweckt zu werden. Aber nie und nimmer wird man, wohin man sich auch wendet, auf unserem Hawaii einen Hurrikan, einen Tornado, einen Schneesturm, Nebel oder fünfunddreißig Grad im Schatten erleben. Derart unangenehme Wetterlagen sind meteorologisch unmöglich, versichern uns die Experten. Als Hawaii als das Paradies des Stillen Ozeans bezeichnet wurde, hat man ihm nicht den Namen gegeben, der ihm tatsächlich gebührt. Zum Stillen Ozean sollte man noch die restlichen sieben Meere samt den darinliegenden Inseln hinzufügen. »Neapel sehen und sterben« - hier muß es heißen: Hawaii sehen und leben.