Der eingeborene Rudergänger wirbelte das Steuerrad herum, die Malahini drehte gegen den Wind und richtete sich auf. Die Vorsegel wurden schlaff, Reffbändsel prasselten, die Baumtaljen schwenkten über, dann krängte das Schiff und ging mit gefüllten Segeln auf den anderen Bug. Obwohl es noch früh am Morgen war und eine ordentliche Brise wehte, waren die fünf Weißen, die über das Achterdeck schlenderten, nur leicht bekleidet. David Grief und sein Gast, der Engländer Gregory Mulhall, steckten noch im Pyjama, chinesische Pantoffeln an den bloßen Füßen. Der Kapitän und der Maat trugen dünne Unterhemden und ungestärkte weiße Leinenhosen, während der Frachtaufseher, der sich nicht zum Anziehen entschließen konnte, sein Hemd immer noch in den Händen hielt. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er schien, nach Erfrischung lechzend, seinen nackten Oberkörper dem Wind entgegenzustemmen, der jedoch keine Kühlung brachte.
»Ganz schön schwül für eine solche Brise«, klagte er.
»Und was hat sie hier im Westen zu suchen! Das möchte ich gerne wissen«, stimmte Grief in das allgemeine Lamento ein.
»Der Wind wird nicht anhalten, und er weht auch noch nicht lange«, meinte Hermann, der holländische Steuermann. »Er hat sich schon die ganze Nacht herumgetrieben - fünf Minuten hier, fünf Minuten dort, dann wieder eine Stunde irgendwo anders.«
»Da braut sich was zusammen, da braut sich was zusammen«, prophezeite Kapitän Warfield, spreizte dabei seinen buschigen Bart mit allen zehn Fingern auseinander und hielt, auf der vergeblichen Suche nach Kühlung, das Gestrüpp auf seinem Kinn in den Wind.
»Das Wetter spielt schon seit vierzehn Tagen verrückt. Und seit drei Wochen haben wir keinen anständigen Passat mehr gehabt. Alles ist durcheinander. Das Barometer ist gestern abend bei Sonnenuntergang ständig rauf- und runtergependelt, jetzt tanzt es auch wieder, aber die Wetterpropheten meinen ja, das hätte nichts zu bedeuten. Trotzdem gefällt’s mir nicht, dieses Auf und Ab. Geht mir irgendwie auf die Nerven, wissen Sie. War genauso, als wir die Lancaster verloren. Ich war damals erst Kadett, aber ich kann mich noch gut daran erinnern. Ein nagelneuer Viermaster, Stahlschiff, auf der Jungfernfahrt. Brach dem Kapitän das Herz. Vierzig Jahre lang war er bei der Gesellschaft gewesen. Ist richtig dahingewelkt, und im Jahr darauf war er tot.«
Trotz des Windes und der frühen Stunde war die Hitze zum Ersticken. Der Wind versprach Kühlung, brachte sie jedoch nicht. Er hätte ebensogut aus der Sahara kommen können, wäre er nicht mit dieser extremen Feuchtigkeit gesättigt gewesen. Es gab nicht die geringste Spur von Nebel oder Dunst, und doch schien über allem ein feiner Schleier zu liegen. Einzelne Wolken waren nicht zu sehen, aber der Himmel war so unklar und trübe, daß die Sonne nicht durchdringen konnte.
»Klar zum Wenden!« befahl Kapitän Warfield mit bedächtiger, scharfer Stimme.
Die braunen, nur mit einem Lendenschurz bekleideten eingeborenen Matrosen begaben sich, lustlos zwar, aber behende an die Vorschoten und Baumtaljen.
»Hart Backbord!«
Nicht gerade sanft ließ der Rudergänger die Spaken einen Vollkreis beschreiben, und die Malahini schoß herrlich in den Wind und drehte.
»Donnerwetter! Sie ist eine Hexe!« rief Mulhall bewundernd. »Ich wußte gar nicht, daß ihr Südseefahrer Jachten segelt.«
»Ursprünglich ging sie in Gloucester auf Fischfang«, erklärte Grief, »und die Gloucester-Boote sind von Bauart, Takelage und Beseglung her alles Jachten.«
»Aber Sie nehmen doch geradewegs Kurs auf die Durchfahrt
- warum schaffen Sie’s nicht hineinzukommen?« kritisierte der Engländer.
»Versuchen Sie es, Kapitän Warfield«, schlug Grief vor. »Zeigen Sie ihm, was es heißt, bei starker Ebbe in eine Lagune zu segeln.«
»Hart am Wind und Kurs halten!« befahl der Kapitän.
»Hart am Wind und Kurs halten«, wiederholte der Kanake und drehte das Rad eine halbe Spake zurück.
Die Malahini fuhr geradewegs in die schmale Fahrrinne ein, die die Laguneneinfahrt eines großen Atolls bildete, das die Form eines langgezogenen Ovals besaß. Das Atoll sah aus, als wären drei dieser Koralleninseln während ihrer Entstehung zusammengestoßen und völlig miteinander verschmolzen. Kokospalmen wuchsen in einzelnen Gruppen auf dem Sandring; an vielen Stellen jedoch war der Strand so flach, daß sich keine Palmen halten konnten, und durch diese Lücken sah man die geschützte Lagune schimmern, deren spiegelglatte Oberfläche sich nur manchmal leicht kräuselte. Die Wassermassen dieser ungewöhnlich geformten, sich über viele Hektar ausdehnenden Fläche fluteten bei Ebbe alle durch diesen einzigen Kanal hinaus. So eng war er und so groß die Wassermenge, daß diese Rinne eher einem reißenden Fluß als dem Gezeiteneinlaß eines Atolls glich. Das Wasser kochte und brodelte und ergoß sich mit wirbelnder, die weißen Wellenzacken krönender Gischt ins offene Meer. Immer wieder ließ der Anprall dieser Brecher und der Tidenstrom die Malahini aus dem Kurs laufen und drängte sie mit eiserner Gewalt an den Rand der Fahrrinne. Als sie bereits halbwegs in der Einfahrt war, zwang die gefährliche Nähe der Korallenriffe sie zum Wenden. Auf dem anderen Bug wurde sie nun, der Strömung ihre Breitseite bietend, schnell wieder auf die See hinausgetrieben.
»Jetzt ist die Zeit für Ihren neuen, teuren Motor gekommen«, spottete Grief gutmütig.
Jeder wußte, daß dieser Motor Kapitän Warfields wunder Punkt war. Er hatte so lange darum gebeten und gebettelt, bis Grief schließlich seine Einwilligung gegeben hatte.
»Er wird sich schon noch bezahlt machen«, entgegnete der Kapitän. »Warten Sie’s nur ab. Er ist besser als eine Versicherung, und Sie wissen ja, daß keine Versicherungsagentur das Risiko in den Paumotus tragen will.«
Grief zeigte auf einen kleinen Kutter, der achteraus auf dem gleichen Kurs lavierte. »Ich möchte ein Fünf-Francs-Stück wetten, daß uns die kleine Nuhiva überholt.«
»Ganz bestimmt«, pflichtete ihm Kapitän Warfield bei. »Sie hat für ihre Größe einen viel zu starken Motor. Im Vergleich mit ihr sind wir das reinste Linienschiff, und wir haben nur vierzig Pferdestärken. Sie hat zehn Pferdestärken und ist doch nur eine kleine Nußschale. Sie könnte zwar leicht über den Höllenschaum gleiten, aber gegen diese Strömung, die jetzt zehn Knoten macht, kommt sie auch nicht an.«
Und mit zehn Knoten Geschwindigkeit wurde die Malahini, heftig schlingernd und stampfend, mit der Ebbe wieder auf das Meer hinausgetrieben.
»In einer halben Stunde läßt die Strömung nach - dann können wir einfahren«, sagte Kapitän Warfield mit einer Gereiztheit in der Stimme, die durch seine nächsten Worte erklärt wurde. »Er hat kein Recht, die Insel Parlay zu nennen. Sie ist auf den Admiralitätskarten und auch auf den französischen Seekarten als Hikihoho eingezeichnet. Bougainville entdeckte sie und ließ ihr den Namen, den sie bei den Eingeborenen hatte.«
»Was bedeutet schon ein Name?« fragte der Frachtaufseher, der die Arme endlich in die Ärmel seines Unterhemdes gesteckt hatte und während seiner Bemerkung so verharrte. »Da liegt sie, genau vor unserer Nase, und der alte Parlay ist dort mit seinen Perlen.«
»Wer hat die Perlen gesehen?« wollte Hermann wissen und blickte von einem zum anderen.
»Ist doch allgemein bekannt«, lautete die Antwort des Frachtaufsehers, und er wandte sich an den Rudergänger: »Tai-Hotauri, was weißt du von den Perlen des alten Parlay?«
Geschmeichelt und verlegen zugleich ließ der Kanake eine Spake nach.
»Mein Bruder tauchen für Parlay drei, vier Monate, und er machen viel Worte über Perlen. Hikihoho sehr gute Platz für Perlen.«
»Und kein Perlenaufkäufer hat ihn je dazu bringen können, sich auch nur von einer Perle zu trennen«, warf der Kapitän ein.
»Und es heißt, daß er einen ganzen Hut voll für Armande hatte, als er nach Tahiti segelte«, setzte der Frachtaufseher die Erzählung fort. »Das war vor fünfzehn Jahren, und seitdem hat er immer noch mehr dazugesammelt - hat auch die Muschelschalen aufbewahrt. Jeder hat sie gesehen - Hunderte von Tonnen sind es. Man sagt, die Lagune sei jetzt leergefischt. Mag sein, daß er deshalb die Versteigerung angesetzt hat.«
»Wenn er tatsächlich verkauft, wird es das größte Perlenjahr, das es je in den Paumotus gegeben hat«, meinte Grief.
»Sagen Sie mal!« brach es aus Mulhall heraus, der ebenso wie die anderen unter der feuchten Hitze litt. »Was hat das eigentlich alles zu bedeuten? Wer ist dieser alte Strandräuber überhaupt? Was sind das für Perlen? Was soll diese Geheimniskrämerei!«
»Hikihoho gehört dem alten Parlay«, erwiderte der Frachtaufseher. »Er besitzt ein Vermögen an Perlen, die er seit vielen Jahren gehortet hat. Vor einigen Wochen hat er bekanntgemacht, daß er sie morgen an die Aufkäufer versteigern würde. Sehen Sie dort in der Lagune die Schonermasten aufragen?«
»Acht, soviel ich sehe«, sagte Hermann.
»Was haben die wohl alle in so einem winzigen Atoll zu suchen?« fuhr der Frachtaufseher fort. »Hier ist im Jahr nicht einmal eine Ladung Kopra zu holen. Sie sind wegen der Auktion gekommen. Und darum sind wir hier. Und darum stampft auch die kleine Nuhiva da achtern herum, obwohl es über meinen Horizont geht, was die kaufen könnte. Narii Herring - ein Halbblut, sein Vater war ein englischer Jude - ist ihr Besitzer und Kapitän, aber seine einzigen Aktiva sind seine Frechheit, seine Schulden und seine Whiskyrechnungen. Auf diesem Gebiet ist er ein Genie. Er schuldet so viel, daß es in Papeete keinen einzigen Kaufmann gibt, der nicht an seinem Wohlergehen interessiert wäre. Sie geben sich große Mühe, ihm einen Verdienst zu verschaffen. Sie müssen es tun, und Narii profitiert nicht schlecht davon. Ich zum Beispiel schulde keinem Menschen etwas. Und was ist die Folge? Wenn ich plötzlich am Strand umfiele, würde man mich liegen lassen, bis ich sterbe. Niemand würde etwas verlieren. Narii Herring jedoch? - Was würden diese Leute nicht alles für ihn tun, wenn er umfiele? Das Beste wäre nicht gut genug für ihn. Sie haben schon zuviel Geld in ihn hineingesteckt, als daß sie ihn einfach liegen lassen könnten. Sie würden ihn bei sich aufnehmen und ihn mit eigenen Händen wie einen Bruder pflegen. Lassen Sie es sich gesagt sein, ehrlich seine Rechnungen zu bezahlen, rentiert sich nicht.«
»Was hat dieser Bursche Narii denn mit der Sache zu tun?« fragte der Engländer kurz angebunden. Und zu Grief gewandt, meinte er: »Was soll dieser ganze Unsinn mit den Perlen? Erzählen Sie die Geschichte doch von Anfang an.«
»Ihr müßt mir aber dabei helfen«, ließ Grief die anderen wissen, als er begann. »Der alte Parlay ist ein Sonderling. Nach dem, was ich von ihm mitbekommen habe, ist er nicht ganz richtig im Kopf. Aber wie dem auch sei, hier ist die Geschichte: Parlay ist ein waschechter Franzose. Er erzählte mir einmal, daß er aus Paris komme. Sein Akzent bestätigt das. Er kam vor langer Zeit in diese Gegend, fing an zu handeln und sonst noch alles Mögliche. So kam er nach Hikihoho. Damals war mit dem Handel noch etwas zu holen. Auf der Insel lebten etwa hundert armselige Paumotuaner. Er heiratete ihre Königin nach dem Eingeborenenritual. Als sie starb, gehörte alles ihm. Dann brachen die Masern aus, und es blieb nur etwa ein Dutzend Inselbewohner übrig. Er sorgte für sie, gab ihnen Arbeit und war ihr König. Nun hatte die Königin vor ihrem Tode einem Mädchen das Leben geschenkt. Das war Armande. Als sie drei Jahre alt war, brachte ihr Vater sie zu den Nonnen nach Papeete. Mit sieben oder acht Jahren schickte er sie nach Frankreich. Sie verstehen nun langsam die Situation. Das beste und vornehmste Kloster Frankreichs war gerade gut genug für die Tochter eines paumotuanischen Inselkönigs und Kapitalisten; und Sie wissen selbst, daß im guten, alten Frankreich die Hautfarbe keine Rolle spielt. Sie wurde wie eine Prinzessin erzogen, und sie betrachtete sich auch als solche. Außerdem hielt sie sich für eine Weiße und ahnte nichts von irgendwelchen Rassenschranken.
Jetzt kommt die Tragödie. Der Alte war immer etwas wunderlich und launenhaft gewesen, und er hatte so lange den Despoten auf Hikihoho gespielt, daß er selbst daran glaubte, daß das mit dem König seine Richtigkeit hätte - und natürlich auch mit der Prinzessin. Als Armande achtzehn war, ließ er sie kommen. Er hatte, wie man bei uns so sagt, Geld wie Heu. Er hatte sich das große Haus auf Hikihoho und einen piekfeinen Bungalow in Papeete gebaut. Sie sollte mit dem Postdampfer aus Neuseeland eintreffen, er segelte mit seinem Schoner nach Papeete, um sie dort abzuholen. Und er hätte die Sache vielleicht noch eingerenkt, trotz der dummen Puten und Schafsköpfe in Papeete, wenn der Orkan nicht gekommen wäre. Das war doch in dem Jahr, als Manu-Huhi überflutet wurde und dabei elfhundert Menschen ertranken?«
Die anderen nickten, und Kapitän Warfield sagte: »Ich fuhr bei diesem Sturm auf der Magpie, und wir alle, die Matrosen, der Koch und die Magpie strandeten eine Viertelmeile landeinwärts zwischen Kokospalmen, obwohl die Taiohae-Bucht als orkansicherer Hafen galt.«
»Also schön«, fuhr Grief fort, »der alte Parlay geriet in denselben Sturm, und er kam mit seinem Hut voll Perlen drei Wochen zu spät in Papeete an. Er hatte seinen Schoner aufwinden und über achthundert Meter Schlittenbalken legen lassen müssen, bevor er ihn wieder zurück ins Wasser schaffen konnte.
Und inzwischen war Armande in Papeete angekommen. Kein Mensch kümmerte sich um sie. Doch sie machte nach französischer Sitte ihre Antrittsbesuche beim Gouverneur und beim Hafenarzt. Sie empfingen sie zwar, aber von ihren Ehefrauen, diesen Puten, war keine für sie zu sprechen oder erwiderte ihren Besuch. Sie gehörte nicht ihrer Gesellschaftsschicht an, gehörte zu keiner Schicht, obwohl sie nie etwas davon geahnt hatte, und auf diese elegante Art brachten sie es ihr bei. Dann war da ein fröhlicher junger Leutnant auf dem französischen Kreuzer. Er verlor zwar sein Herz an sie, nicht aber seinen Kopf. Sie können sich vorstellen, was das für ein Schock für diese kultivierte, schöne, junge Frau gewesen sein muß, die wie eine Aristokratin aufgewachsen war und die beste Erziehung genossen hatte, die das alte Frankreich für Geld zu bieten hatte. Wie es ausging, können Sie sich vielleicht denken.« Er zuckte die Achseln. »In dem Bungalow war ein japanischer Diener. Er hat es gesehen. Sagte, daß sie dabei den Mut eines echten Samurai bewiesen hätte. Sie nahm ein Stilett - nein, kein Stoß, keine heftige Bewegung, kein wilder Vernichtungsdrang -, nahm das Stilett, setzte sich die Spitze mit Bedacht auf die Brust und trieb das Messer langsam und stetig mit beiden Händen ins Herz.
Dann kam der alte Parlay mit seinen Perlen. Man sagt, eine einzige davon sei allein schon sechzigtausend Francs wert gewesen. Peter Gee hat sie gesehen und erzählte mir, daß er auch soviel dafür geboten hätte. Der alte Mann war eine Zeitlang völlig von Sinnen. Sie steckten ihn zwei Tage lang im Kolonialklub in eine Zwangsjacke.«
»Der Onkel seiner Frau, ein alter Paumotuaner, schnitt die Jacke auf und befreite ihn«, bestätigte der Frachtaufseher.
»Und dann fing der alte Parlay an, abzurechnen«, fuhr Grief fort. »Jagte dem Taugenichts von Leutnant drei Kugeln in den Leib.«
»Der daraufhin drei Monate im Schiffslazarett lag«, fügte Kapitän Warfield hinzu.
»Dem Gouverneur schüttete er ein Glas Wein ins Gesicht, duellierte sich mit dem Hafenarzt, verprügelte seine eingeborenen Diener, schlug im Krankenhaus alles kurz und klein, brach einem Krankenpfleger zwei Rippen und das Schlüsselbein und machte sich davon. Er ging, in jeder Hand ein Gewehr, hinunter zu seinem Schoner, ohne sich um den Polizeichef und all die Gendarmen zu kümmern, die ihn verhaften wollten, und segelte zurück nach Hikihoho. Und es heißt, er habe die Insel später nie mehr verlassen.«
Der Frachtaufseher nickte. »Das war vor fünfzehn Jahren, und er hat sich seither nicht mehr vom Fleck gerührt.«
»Und hat noch mehr Perlen gehortet«, sagte der Kapitän.
»Er ist ein verfluchter alter Narr. Bei dem Gedanken an ihn überläuft es mich eiskalt. Er ist ein richtiger Hexenmeister.«
»Was heißt das?« wollte Mulhall wissen.
»Kontrolliert das Wetter - wenigstens glauben das die Eingeborenen. Fragen Sie Tai-Hotauri. Heh, Tai-Hotauri! Was du glauben machen alte Parlay mit Wetter?«
»Er sein großer Wetterteufel«, lautete die Antwort des Kanaken. »Ich wissen. Er wollen großen Sturm, er machen großen Sturm. Er wollen keinen Wind, kein Wind kommen.«
»Ein richtiger alter Zauberer«, meinte Mulhall.
»Bringen nix Glück diese Perlen«, stieß Tai-Hotauri hervor und wiegte bedenklich den Kopf. »Er sagen, er verkaufen. Viel Schoner kommen. Dann er machen große Orkan, alle kaputt, ihr sehen. Alle Eingeborenen so sagen.«
»Es ist jetzt die Zeit der Wirbelstürme«, lachte Kapitän Warfield verdrießlich. »Die haben gar nicht so unrecht. Es braut sich was zusammen, und mir wäre wohler, wenn die Malahini ein paar tausend Kilometer entfernt wäre.«
»Er ist ein bißchen übergeschnappt«, schloß Grief. »Ich habe versucht herauszubekommen, was er denkt. Es ist - sagen wir
- etwas konfus. Achtzehn Jahre lang hatte sich bei ihm alles um Armande gedreht. Die Hälfte der Zeit glaubt er, daß sie noch am Leben, noch in Frankreich ist. Das ist einer der Gründe, weshalb er immer noch auf den Perlen sitzt. Und die Weißen haßt er auf ewig. Er vergißt nie, daß sie sie umgebracht haben, wenn er auch die meiste Zeit nicht wahrhaben will, daß sie tot ist. Hallo! Wo ist denn euer Wind geblieben?«
Die Segel flatterten über ihnen, und Kapitän Warfield stöhnte verärgert auf. So unerträglich die Hitze vorher schon gewesen war, jetzt, da der Wind aufgehört hatte, war sie einfach nicht mehr auszuhalten. Auf allen Gesichtern lief der Schweiß nur so herunter, und unwillkürlich fing einer nach dem anderen an, tief Atem zu holen, um mehr Luft zu bekommen.
»Da brist es wieder auf! - Um acht Grad anholen! Baumtaljen herüber! Beeilt euch!«
Die Kanaken folgten eilig den Anweisungen des Kapitäns, und fünf Minuten lang hielt sich der Schoner direkt in der Fahrrinne und kam sogar gegen die Strömung an. Und wieder flaute der Wind ab, blies dann aus der alten Richtung, so daß Segel und Taljen umgelegt werden mußten.
»Da kommt die Nuhiva«, sagte Grief. »Sie hat den Motor angeworfen. Seht, wie sie über das Wasser hüpft.«
»Alles bereit?« fragte der Kapitän den Maschinisten, einen Halbblutportugiesen, dessen Oberkörper aus der Luke direkt vor der Kabine auftauchte, und der sich den Schweiß mit einer Handvoll schmieriger Putzwolle vom Gesicht wischte.
»Klar«, antwortete er.
»Dann setzen Sie ihn in Gang.«
Der Maschinist verschwand in seinem Kabuff, und gleich darauf hustete und spuckte der Auspufftopf über der Bordwand. Aber der Schoner konnte seinen Vorsprung vor dem kleinen Kutter nicht halten, der, um einiges schneller, bald längsseits kam und die Führung übernahm. An Deck waren nur Eingeborene, und der Mann am Ruder winkte ihnen einen spöttischen Gruß und ein Lebewohl zu.
»Das ist Narii Herring«, sagte Grief zu Mulhall. »Der große Kerl am Steuer - der frechste und gewissenloseste Schurke in den Paumotus.«
Fünf Minuten später lenkte ein Freudenschrei ihrer eigenen Kanaken die Aufmerksamkeit erneut auf die Nuhiva. Deren Motor hatte eine Panne, und sie zogen an ihr vorbei. Die Matrosen der Malahini kletterten in die Takelage und machten beim Überholen höhnische Bemerkungen; der kleine Kutter krängte im Wind, warf eine breite Bugwelle auf und wurde durch die Strömung zurückgetrieben.
»Guter Motor, den wir da haben«, lobte Grief, als sich die Lagune vor ihnen auftat und sie Kurs auf den gegenüberliegenden Ankerplatz nahmen.
Kapitän Warfield war sichtlich erfreut, obwohl er nur brummte: »Er wird sich schon bezahlt machen, keine Bange.«
Die Malahini fuhr mitten in die kleine Flotte hinein, bis sie schließlich einen Ankerplatz fand.
»Dort ist Isaacs auf der Dolly«, bemerkte Grief und winkte grüßend. »Und Peter Gee auf der Roberta. Nichts könnte ihn von einer Perlenauktion wie dieser abhalten. Und da ist Francini auf der Cactus. Sie sind alle hier, alle Händler. Der alte Parlay wird sicher einen guten Preis erzielen.«
»Sie haben den Motor noch nicht wieder in Gang gebracht«, brummte Kapitän Warfield fröhlich.
Er blickte über die Lagune zur Nuhiva, deren Segel sich hinter den Kokospalmen abzeichneten.
Parlays Haus war ein großer, zweistöckiger Bau aus kalifornischem Holz mit einem Dach aus verzinktem Eisenblech. So unverhältnismäßig groß wirkte es im Vergleich zu dem schmalen Atollring, daß es sich wie eine monströse Wucherung von dem Sandstreifen abhob und alles überragte. Sobald die Malahini vor Anker lag, gingen alle an Land, um ihren Höflichkeitsbesuch abzustatten. Andere Kapitäne und Aufkäufer befanden sich bereits in dem großen Raum und nahmen die Perlen in Augenschein, die am nächsten Tag versteigert werden sollten. Paumotuanische Diener, Eingeborene von Hikihoho und Verwandte des Eigentümers gingen umher und reichten Whiskey und Absinth. Und mitten durch die neugierige Menge wanderte Parlay selbst, kichernd und spöttelnd, der verdorrte Überrest eines einst großen und starken Mannes. Seine Augen waren tief eingesunken und fiebrig, die Wangen eingefallen und hohl. Das Haar schien ihm büschelweise ausgefallen zu sein, und auch sein Schnurr- und Kinnbart wiesen hier und da kahle Stellen auf.
»Himmel!« murmelte Mulhall leise. »Ein langbeiniger Napoleon der Dritte, aber völlig vertrocknet, ausgebrannt, rissig. Und räudig! Kein Wunder, daß er den Kopf schief hält. Er muß ein Gegengewicht schaffen.«
»Wir kriegen Sturm«, sagte der Alte anstelle einer Begrüßung zu Grief. »Ihnen muß ja viel an Perlen liegen, daß Sie an einem solchen Tag hierher kommen.«
»Sie sind es wert, daß man dafür zur Hölle fährt«, lachte Grief gutgelaunt und ließ seine Blicke über den Tisch schweifen, der mit den Ausstellungsstücken übersät war.
»Andere haben sich ihretwegen schon genau diese Höllenfahrt eingehandelt«, kicherte der alte Parlay. »Sehen Sie diese hier!« Er wies auf ein Perle, vollkommen und etwa so groß wie eine kleine Walnuß, die ganz für sich auf einem Stück Sämischleder lag. »In Tahiti hat man mir sechzigtausend Francs dafür geboten. Morgen werden sie mir genausoviel und noch mehr dafür bieten, wenn sie bis dahin nicht weggeweht sind. Ja, diese Perle hat mein Vetter, mein angeheirateter Vetter, gefunden. Er war nämlich ein Eingeborener. Ein Dieb war er auch. Er versteckte sie, obwohl sie mir gehörte. Sein Vetter, der auch mein Vetter war - wir sind hier alle miteinander verwandt - brachte ihn wegen der Perle um und floh in einem Kutter nach Noo-Nau. Ich verfolgte ihn, aber der Häuptling von Noo-Nau hatte ihn schon getötet, bevor ich hinkam. Ach ja, da auf dem Tisch sind viele Tote vertreten.
Trinken Sie ein Gläschen, Kapitän. Ihr Gesicht kenne ich nicht. Sind Sie neu hier auf den Inseln?«
»Es ist Kapitän Robinson von der Roberta«, stellte Grief vor.
Inzwischen hatten sich Mulhall und Peter Gee per Handschlag begrüßt.
»Ich hätte mir nie im Leben träumen lassen, daß es so viele Perlen auf der Welt gibt«, sagte Mulhall.
»So viele habe ich auch noch nie auf einem Haufen gesehen«, gab Peter Gee zu.
»Was könnten sie wohl wert sein?«
»Fünfzig- oder sechzigtausend Pfund - das heißt für uns Händler. In Paris.« Er zuckte die Schultern und zog die Brauen hoch, weil der Erlös dort jede Vorstellung überstieg. Mulhall wischte sich den Schweiß aus den Augen. Alle waren völlig durchgeschwitzt und japsten nach Luft. Die Getränke wurden ohne Eis serviert, und so kippte man den Whiskey und Absinth lauwarm hinunter.
»Ja, ja«, kicherte Parlay. »Viele Tote liegen hier auf dem Tisch. Ich kenne jede einzelne Perle. Sehen Sie diese drei! Passen farblich genau zusammen, nicht wahr? Ein Taucher von den Osterinseln holte sie für mich in einer Woche herauf. In der nächsten Woche holte ihn der Hai; riß ihm den Arm ab, und eine Blutvergiftung besorgte den Rest. Und diese große barocke dort - nichts Besonderes -, wenn ich morgen zwanzig Francs dafür bekomme, kann ich von Glück reden; sie kam aus zweiundzwanzig Faden Tiefe. Der Mann stammte von Raratonga. Er brach alle Tauchrekorde. Er holte sie aus zweiundzwanzig Faden Tiefe herauf. Ich habe ihn gesehen. Und dabei platzte ihm die Lunge, oder er bekam die Taucherkrankheit, denn zwei Stunden später war er tot. Als er starb, war sein Schreien meilenweit zu hören. Er war der stärkste Eingeborene, den ich je gesehen habe. Ein halbes Dutzend von meinen Tauchern ist so zugrunde gegangen. Und es werden noch mehr sterben, noch viel mehr.«
»Ach, hören Sie auf zu unken, Parlay«, schimpfte einer der Kapitäne. »Es wird schon keinen Sturm geben.«
»Wenn ich ein kräftiger Mann wäre, würde ich machen, daß ich so schnell wie möglich von hier fortkäme«, erwiderte der Alte mit seiner hohen Greisenstimme. »Wenn ich ein kräftiger Mann wäre, dem der Wein noch schmeckt. Aber ihr doch nicht! Ihr werdet alle bleiben. Wenn ich dächte, daß ihr auslaufen würdet, riete ich euch nicht dazu. Man kann einen Bussard nicht vom Aas wegscheuchen. Trinkt noch einen Schluck, ihr mutigen Seeleute! Ja, ja, was wagt ein Mann nicht alles für ein paar kleine Austerntropfen! Dort liegen sie, die Prachtexemplare! Morgen, um Punkt zehn, beginnt die Auktion! Der alte Parlay hält Ausverkauf, und die Bussarde versammeln sich - der alte Parlay, der zu seiner Zeit ein stärkerer Mann war als jeder hier, wird noch die meisten von euch sterben sehen.«
»Ist er nicht ein gräßliches altes Scheusal!« flüsterte der Frachtaufseher der Malahini Peter Gee zu.
»Und wenn es nun tatsächlich Sturm gibt?« meinte der Kapitän der Dolly. »Hikihoho ist noch nie überschwemmt worden.«
»Um so mehr Grund zu befürchten, daß es beim nächsten Mal geschieht«, erwiderte Kapitän Warfield. »Ich würde da nicht so sicher sein.«
»Wer unkt jetzt?« wies Grief ihn zurecht.
»Ich möchte nur höchst ungern diesen neuen Motor verlieren, bevor er sich bezahlt gemacht hat«, entgegnete Kapitän Warfield düster.
Parlay hüpfte mit erstaunlicher Gewandtheit quer durch den überfüllten Raum zu dem Barometer an der Wand.
»Seht nur, meine wackeren Seeleute!« frohlockte er.
Der am nächsten Stehende las das Wetterglas ab. Die ernüchternde Wirkung stand ihm im Gesicht geschrieben.
»Es ist um zehn Strich gefallen«, war alles, was er sagte, aber in den Mienen spiegelte sich Angst, und es sah so aus, als wolle jeder sofort zur Tür eilen.
»Hören Sie!« befahl Parlay.
In der Stille schien die Brandung ungewöhnlich laut zu tosen. Es klang wie mächtiger, polternder Donner.
»Die See fängt an hochzugehen«, sagte jemand, und alle drängten sich an die Fenster.
Durch die Lücken zwischen den Kokospalmen blickten sie aufs Meer. Eine nach der anderen rollten riesige, glatte Wogen auf den Korallenstrand. Einige Minuten starrten sie auf das seltsame Schauspiel, das sich ihnen bot, und sprachen mit gedämpfter Stimme; und in diesen wenigen Minuten erkannten alle deutlich, daß die Wellenberge immer höher wurden. Dieses Anschwellen der See bei völliger Windstille war unheimlich, und die Anwesenden sprachen unwillkürlich leiser. Der alte Parlay brachte sie mit seinem plötzlich einsetzenden Gekicher völlig aus der Fassung.
»Jetzt ist es noch Zeit auszulaufen, meine Herrschaften. Sie können die Schiffe noch mit den Walbooten aus der Lagune schleppen.«
»Ist schon gut, Alter«, sagte Darling, der Steuermann von der Cactus, ein kräftiger Bursche von fünfundzwanzig Jahren. »Das Sturmzentrum liegt im Süden und zieht an uns vorbei. Wir werden nicht mal ‘nen Hauch davon abbekommen.«
Ein Aufatmen ging durch den Raum. Man nahm die Unterhaltung wieder auf, und die Stimmen wurden lauter. Ein paar von den Händlern gingen sogar an den Tisch zurück, um die Prüfung der Perlen fortzusetzen.
Parlays schrilles Gekicher steigerte sich.
»Recht so«, ermunterte er sie. »Und selbst wenn die Welt unterginge, würdet ihr noch weitermachen.«
»Morgen werden die Perlen jedenfalls ihren Besitzer wechseln«, versicherte ihm Isaacs.
»Dann werdet ihr den Kauf schon in der Hölle tätigen müssen.«
Das ungläubige Gelächter brachte den alten Mann auf. Wütend wandte er sich an Darling.
»Seit wann wissen Kinder wie Sie über Stürme Bescheid? Und wer hat die Zugstraße der Orkane in den Paumotus jemals bestimmt? In welchen Büchern ist das zu finden? Ich bin schon in den Paumotus gesegelt, ehe der Älteste von euch überhaupt geboren war. Ich kenne mich aus. Im Osten bewegen sich die Orkane in einem so weiten Bogen, daß er fast eine gerade Linie bildet. Hier, nach Westen zu, biegen sie scharf ab. Erinnern Sie sich an Ihre Seekarte. Wie kam es, daß der Wirbelsturm im Jahre ‘91 Auri und Hiolau überschwemmte? Die Bahnänderung, mein guter Junge, die Bahnänderung! In einer Stunde oder spätestens in zwei, drei Stunden haben wir den Wind. Hören Sie!«
Ein gewaltiges, polterndes Krachen erschütterte das Korallenfundament des Atolls. Das Haus erzitterte. Die eingeborenen Diener drängten sich, die Whiskey- und Absinthflaschen in den Händen, zusammen, als suchten sie Schutz, und starrten angstvoll durch die Fenster auf die mächtige Brandung, die weit den Strand herauf bis zur Ecke eines Kopraschuppens vorgedrungen war.
Parlay sah nach dem Barometer, kicherte und warf einen tückischen Seitenblick auf seine Gäste. Kapitän Warfield kam herüber und trat zu ihm.
»29,75.«
»Es ist noch einmal um fünf Strich heruntergegangen. Bei Gott, der alte Teufel hat recht. Der Orkan wird gleich losbrechen, und für mich gibt es nur eins, ich will an Bord.«
»Es wird dunkel.« Isaacs flüsterte beinahe.
»Himmel! Es ist wie auf der Bühne«, sagte Mulhall zu Grief und sah auf seine Uhr. »Zehn Uhr morgens, und es dämmert. Die Lichter gehen aus, die Tragödie kann beginnen. Wo bleibt die getragene Musik!«
Als Antwort darauf wurden Atoll und Haus von einem zweiten polternden Krachen erschüttert. Panikartig stürzte die ganze Gesellschaft zur Tür. In dem schwachen Licht wirkten die schweißgebadeten Gesichter gespenstisch. Isaacs rang in der erstickenden Hitze keuchend nach Luft.
»Warum so eilig?« verspottete Parlay seine fliehenden Gäste und lachte in sich hinein. »Trinken Sie doch noch ein letztes Glas, meine wackeren Herrschaften.« Keiner achtete auf ihn. Als sie auf dem mit Muscheln eingefaßten Weg zum Strand hinuntereilten, steckte er den Kopf zur Tür heraus und rief ihnen nach: »Vergessen Sie nicht, meine Herren, morgen um zehn verkauft der alte Parlay seine Perlen!«
Am Strand spielte sich eine merkwürdige Szene ab. Ein Walboot nach dem anderen wurde eiligst bemannt und stieß vom Ufer ab. Es war noch dunkler geworden. Die drückende Windstille hielt an, und unter ihren Füßen bebte der Sand bei jedem Ansturm der Wellen gegen den Außenring. Narii Herring schlenderte gemächlich den Sandstrand entlang. Er grinste über die offensichtliche Hast der Kapitäne und Perlenaufkäufer. Bei ihm befanden sich drei seiner Kanaken und auch Tai-Hotauri.
»Ins Boot und an die Riemen«, befahl Kapitän Warfield dem letzteren.
Tai-Hotauri kam ganz munter herübergelaufen, während Narii Herring und seine drei Kanaken stehenblieben und aus etwa zwölf Metern Entfernung zuschauten.
»Ich nicht mehr arbeiten für Sie, Kapitän«, sagte Tai Hotauri frech und mit lauter Stimme. Aber sein Gesichtsausdruck strafte seine Worte Lügen, denn er zwinkerte mit den Augen.
»Sie mich feuern«, flüsterte er heiser mit einem zweiten bedeutungsvollen Augenzwinkern.
Kapitän Warfield verstand den Wink und ging auf das Spiel ein. Er erhob seine Faust und donnerte:
»Ins Boot mit dir, oder du bekommst eine Abreibung, daß dir Hören und Sehen vergeht!«
Der Eingeborene wich trotzig zurück, und Grief trat zwischen die beiden, um seinen Kapitän zu beschwichtigen.
»Ich werden arbeiten auf der Nuhiva«, sagte Tai-Hotauri und ging wieder zu den anderen zurück.
»Mach daß du herkommst!« rief der Kapitän drohend.
»Er ist ein freier Mann, Skipper«, mischte sich Narii Herring ein. »Er ist früher mit mir gefahren, und jetzt fährt er wieder mit mir, das ist alles.«
»Kommen Sie, wir müssen an Bord«, drängte Grief. »Sehen Sie nur, wie finster es wird.«
Kapitän Warfield gab nach, aber als das Boot ablegte, erhob er sich von den Achtersitzen und drohte mit der Faust in Richtung Strand.
»Ich rechne noch mit Ihnen ab, Narii«, rief er. »Sie sind der einzige Schiffer hier, der anderen seine Leute wegstiehlt.« Er setzte sich und fragte leise: »Was hat Tai-Hotauri nur vor? Irgend etwas führt er im Schilde, aber was?«
Als das Boot längsseits ging, empfing sie Hermanns ängstliches Gesicht über der Reling der Malahini.
»Der Boden des Barometers fällt schon heraus«, verkündete er. »Es wird gleich losgehen. Ich habe den Steuerbordanker klargemacht.«
»Machen Sie den großen auch klar«, ordnete Kapitän Warfield an und übernahm das Kommando. »Und hier, ihr da, hievt dieses Boot an Deck und zurrt es kieloben fest!«
Auf allen Schonern wurde fieberhaft gearbeitet. Lautes Kettengerassel erklang, als der Anker lose gegeben wurde, und bald manövrierte das eine Schiff, bald das andere, fierte und ließ einen zweiten Anker fallen. Wer wie die Malahini einen dritten Anker besaß, machte auch diesen klar, um ihn herunterzulassen, sobald man wußte, aus welcher Richtung der Wind kommen würde.
Das Tosen der mächtigen Brandung nahm ständig zu, obwohl kein Windhauch die spiegelglatte Oberfläche der Lagune kräuselte. Dort, wo das große Haus Parlays auf dem Sand saß, sah man kein Lebenszeichen. Boot, Kopraschuppen und die Hütten, in denen die Muschelschalen gelagert wurden, lagen verlassen da.
»Ich würde am liebsten die Anker lichten und machen, daß wir hier wegkommen«, sagte Grief. »Wenn wir auf dem offenen Meer wären, würde ich es bestimmt tun. Aber durch diese Atollketten im Norden und Osten sitzen wir in der Falle. Hier haben wir eher eine Chance. Was meinen Sie, Kapitän Warfield?«
»Ich stimme Ihnen zu, obwohl bei einem Sturm eine Lagune auch kein Mühlteich ist. Ich bin gespannt, von wo er zuerst losbricht. He! Da macht sich einer von Parlays Kopraschuppen selbständig.«
Sie konnten sehen, wie der grasgedeckte Schuppen sich hob und dann zusammenstürzte, während eine schäumende Gischtmasse über den Sandhügel hinweg in die Lagune fegte.
»Quer übergegangen!« rief Mulhall. »Für den Anfang nicht schlecht. Da geht’s weiter!«
Die Überreste der Hütte wurden hochgehoben und auf den Sandwall geschleudert. Eine dritte Welle zerschlug sie ganz, und die Trümmer wurden den Hügel hinunter in die Lagune gewaschen.
»Wenn es losginge, würde mir kühler«, brummte Hermann. »Ich kann nicht mehr atmen. Es ist so verdammt heiß. Wie im Backofen.«
Mit seinem schweren Fahrtenmesser hieb er eine Kokosnuß auf und leerte sie in einem Zug. Die anderen folgten seinem Beispiel, hielten nur einmal kurz inne, um zu sehen, wie einer von Parlays Muschel schuppen zusammenbrach. Das Barometer zeigte jetzt 29,50.
»Wir müssen dem Mittelpunkt des Tiefdruckgebietes ziemlich nah sein«, bemerkte Grief fröhlich. »Ich bin noch nie im Zentrum eines Wirbelsturms gewesen. Auch für Sie wird das eine ganz neue Erfahrung sein, Mulhall. Nach der Geschwindigkeit zu urteilen, mit der das Barometer fällt, wird es ein gewaltiger Orkan werden.«
Kapitän Warfield stöhnte, und alle Augen richteten sich auf ihn. Er schaute durch das Glas die Lagune hinunter nach Südost.
»Da kommt er«, sagte er ruhig.
Sie brauchten kein Fernglas, um es zu erkennen. Die Oberfläche der Lagune schien mit einer merkwürdig gekörnten Haut überzogen zu werden. Mit der gleichen Geschwindigkeit wurden gegenüber, auf dem Atoll, die Kokospalmen weit heruntergebogen, und Blätter wirbelten durch die Luft.
Die Sturmfront zeichnete sich auf der Lagune als ein durchgehender, scharf abgegrenzter Streifen dunklen, aufgepeitschten Wassers ab. Davor kamen, wie Vorgeplänkel, blitzartige, scharfe Böen. Dahinter folgte eine etwa vierhundert Meter breite Zone, die nach glasiger Windstille aussah. Dann wieder ein dunkler Streifen und anschließend eine einzige weißschäumende, siedende Masse.
»Was bedeutet diese ruhige Zone?« fragte Mulhall.
»Windstille«, antwortete Kapitän Warfield.
»Aber sie bewegt sich ja ebenso schnell wie der Wind«, wandte der andere ein.
»Das muß sie, oder sie würde eingeholt und wäre dann keine Windstille mehr. Das ist eine Doppelfront. Ich sah einmal eine gewaltige Sturmbö wie diese vor Savaii. Eine richtige Doppelfront. Rums! traf es uns, dann flaute es wieder völlig ab und schlug mit voller Wucht erneut zu. Geben Sie acht und halten Sie sich fest! Jetzt ist sie da. Sehen Sie sich die Roberta an!«
Die Roberta, die mit schlaffen Ketten dem Wind am nächsten lag, wurde breitseitig getroffen und wie ein Strohhalm fortgerissen. Dann brachten ihre Ankerketten sie mit einem erstaunlichen Ruck zum Stehen und zwangen den Bug in den Wind. Ein Schoner nach dem anderen, darunter auch die Malahini wurde nun von dem ersten Windstoß getroffen und dann von den sich straffenden Ketten gehalten. Mulhall und mehrere Kanaken auf der Malahini warf der scharfe Ruck von den Beinen.
Und dann hörte der Wind plötzlich auf. Der rasch dahinziehende Flautestreifen hatte sie erreicht. Grief zündete ein Streichholz an, und ohne zu flackern brannte die ungeschützte Flamme in der reglosen Luft. Es herrschte düsteres Zwielicht. Die schon seit Stunden immer tiefer herabsinkende Wolkendecke schien nun fast das Meer zu berühren.
Die Roberta zerrte an ihren Ketten, als die zweite Sturmspitze sie erreichte. So erging es rasch hintereinander Schoner um Schoner. Die See schäumte weiß auf, und aus der kochenden Gischt spritzten kleine Wellen hoch. Das Deck der Malahini bebte unter den Füßen der Männer. Die straffgespannten Falltaue trommelten gegen die Masten, und die ganze Takelage klimperte, wie von mächtiger Hand gerührt, eine wilde Melodie. Es war unmöglich, mit dem Gesicht gegen den Wind zu atmen. Mulhall, der nun mit den anderen hinter der schützenden Kajüte kauerte, machte diese Erfahrung, und dabei wurden seine Lungen im Nu mit soviel Luft gefüllt, daß er sie nicht wieder ausatmen konnte und fast daran erstickte, bevor er es fertigbrachte, den Kopf wegzudrehen.
»Es ist unglaublich«, keuchte er, aber keiner hörte ihn.
Hermann und mehrere Eingeborene krochen auf Händen und Füßen nach vorn, um den dritten Anker auszubringen.
Grief stieß Kapitän Warfield an und zeigte auf die Roberta. Das Schiff trieb auf sie zu. Warfield legte seinen Mund an Griefs Ohr und brüllte:
»Wir treiben auch!«
Grief sprang ans Steuerrad und wirbelte es herum, so daß die Malahini nach Backbord abdrehte. Der dritte Anker faßte Grund, und die Roberta trieb, das Heck voraus, in etwa zehn Metern Entfernung an ihnen vorbei. Sie winkten Peter Gee und Kapitän Robinson zu, der sich mit mehreren Matrosen am Bug zu schaffen machte.
»Er schlägt die Schäkel heraus!« rief Grief. »Wird versuchen, die Durchfahrt zu passieren. Er hat keine Wahl. Die Anker schlieren.«
»Wir halten uns im Augenblick«, kam die Antwort. »Da läuft die Cactus auf die Misi zu! Die beiden sind erledigt!«
Die Misi hatte sich bis jetzt gehalten, aber der zusätzliche Druck der Cactus war zuviel, und die beiden ineinander verhakten Schiffe drifteten fort über die kochende Gischt. Man konnte beobachten, wie ihre Besatzungen Taue kappten und sich abmühten, voneinander loszukommen. Die Roberta, die ihre Anker gekappt und vorn ein Stück Persenning gesetzt hatte, hielt jetzt auf die Durchfahrt am nordwestlichen Ende der Lagune zu. Sie sahen, wie sie es schaffte und das offene Meer gewann. Die Misi und die Cactus jedoch, die nicht voneinander freikommen konnten, liefen eine halbe Meile vor der Durchfahrt auf dem Atoll auf.
Der Wind wurde nur noch stärker. Seiner Wucht zu widerstehen, erforderte die ganze Kraft, und ein paar Minuten auf Deck gegen ihn anzukriechen, beraubte einen aller Reserven. Hermann rackerte sich mit seinen Kanaken unermüdlich ab, um alles festzuzurren und zu sichern und die Segel mit noch mehr Zeisingen zusammenzubinden. Der Wind zerrte an ihren dünnen Unterhemden und riß sie ihnen vom Leib. Sie bewegten sich langsam, als wären ihre Körper tonnenschwer, und sie griffen immer mit einer Hand nach einem Halt, bevor sie mit der anderen losließen. Lose Tauenden standen waagrecht in der Luft, und wenn ein Takling aufging, wurde das lose Ende zerfetzt und weggeblasen.
Mulhall stieß einen nach dem andern an und zeigte auf das Ufer. Die Grashütten waren verschwunden und Parlays Haus wankte wie ein Betrunkener. Da der Wind der Länge nach über das Atoll wehte, wurde das Haus durch die vielen Palmenreihen geschützt. Doch die Sturzseen, die vom Meer her über die Insel hinweggingen, unterhöhlten und zertrümmerten es allmählich. Schief, wie es nun schon am Sandhügel hing, war sein Ende abzusehen. Hier und da hatten sich Menschen oben in den Kokospalmen festgebunden. Die Bäume schwankten und peitschten nicht hin und her. Vom Wind stark nach unten gebogen, verharrten sie in dieser Stellung und bebten fürchterlich. Unter ihnen brandete der weiße Schaum der Brecher über den Sand.
Eine große Sturzsee jagte durch die ganze Lagune.
Die sechzehn Kilometer bis zur Windseite des Atolls boten ihr genug Platz, um sich aufzubauen, und alle Schoner stampften und bäumten sich wild auf. Die Malahini tauchte bereits mit Bug und Vorderdeck unter die größeren Wellen, und zeitweise war ihr Mitteldeck bis zur Reling mit Wasser gefüllt.
»Jetzt wird es Zeit für Ihren Motor!« brüllte Grief; und Kapitän Warfield kroch zum Maschinisten hinüber und schrie ihm eindeutige Anweisungen zu.
Sobald der Motor mit voller Kraft arbeitete, verhielt sich die Malahini besser. Zwar übernahm sie immer noch Seen über den Bug, doch zerrte sie nicht mehr so heftig an ihren Ankern. Andererseits gelang es ihr nicht, die Ankerketten zu lockern. Alles, was die vierzig Pferdestärken vermochten, war, den Druck zu verringern.
Noch immer nahm der Wind zu. Die kleine Nuhiva, die auf der Höhe der Malahini, aber näher zum Strand hin lag, hatte es schwerer, weil ihr Kapitän noch an Land und der Motor noch nicht repariert war. Sie wurde so oft und so tief unter den Seen begraben, daß die Beobachter sich jedesmal fragten, ob sie sich von selbst wieder aufrichten würde. Um drei Uhr nachmittags wurde sie, ehe sie von der ersten Sturzsee freikommen konnte, von einer zweiten überrollt und kam nicht wieder hoch.
Mulhall blickte Grief an.
»Ihre Luken sind eingebrochen«, brüllte Grief zurück.
Kapitän Warfield deutete auf die Winifred, einen kleinen Schoner, der auf der anderen Seite auf- und niedertauchte und schrie Grief etwas ins Ohr. Seine Stimme war nur bruchstückhaft zu hören, da der heulende Wind immer wieder einzelne Wortfetzen mit sich fortriß.
»Morscher, kleiner Kahn. Die Anker halten. Aber daß sie noch nicht auseinanderbricht. Alt wie die Arche Noah.«
Eine Stunde später machte Hermann sie wieder auf die Winifred aufmerksam. Vorschiffsbeting, Fockmast und der größte Teil ihres Bugs waren verschwunden, weggerissen vom Gezerre der Ankerketten. Sie drehte quer zum Wind, schlingerte und stampfte in dem Wellental, sackte mit dem Bug ab und wurde in dieser Lage leewärts fortgespült.
Fünf Schiffe waren jetzt noch übriggeblieben, und von ihnen besaß die Malahini als einziges einen Motor. Aus Furcht, daß sie das Schicksal der Nuhiva oder der Winifred ereilen könnte, folgten zwei dem Beispiel der Roberta, schlugen die Ankerschäkel heraus und hielten auf die Durchfahrt zu. Die Dolly erreichte sie als erste, aber ihre Persenning wurde weggerissen, und sie endete auf dem Riff an der Leeseite des Atolls neben der Misi und der Cactus.
Die Moana ließ sich davon nicht abschrecken, kappte ebenfalls ihre Anker und erlitt das gleiche Schicksal.
»Guter Motor, was?« brüllte Kapitän Warfield seinem Schiffsherrn zu.
Grief drückte ihm die Hand. »Er macht sich bezahlt!« schrie er zurück. »Der Wind dreht nach Süden, dann wird es leichter für uns werden!«
Langsam und stetig, aber mit zunehmender Geschwindigkeit drehte der Wind nach Süd und Südwest, bis die drei übriggebliebenen Schoner mit dem Bug direkt auf den Strand zeigten. Die Ruine von Parlays Haus wurde hochgehoben, in Richtung Lagune geschleudert und flog auf sie zu. An der Malahini vorbei stürzte sie auf die Papara, die eine Viertelmeile weiter achteraus lag. Nach einer Viertelstunde schwerer Arbeit auf dem Vorderdeck hatte die Mannschaft ihr Schiff von dem Haus befreit, doch mit ihm waren auch Fockmast und Bugspriet der Papara dahin.
Näher zur Küste, Backbord voraus, lag die Tahaa, schlank und schnittig wie eine Jacht, aber hoffnungslos übertakelt. Ihre Anker hielten noch, da jedoch nichts darauf hindeutete, daß der Sturm nachlassen würde, machte sich ihr Kapitän daran, den Windwiderstand zu verkleinern, indem er ihre Masten kappte.
»Wirklich gut, dieser Motor«, beglückwünschte Grief seinen Schiffsführer. »Der wird uns noch die Masten retten.«
Kapitän Warfield schüttelte zweifelnd den Kopf.
Mit dem Umschlagen des Windes war die See in der Lagune etwas ruhiger geworden, dafür begannen sie jetzt den starken Wellengang des offenen Meeres zu spüren, das den Atollring überflutete. Von den Bäumen waren nicht mehr viele übriggeblieben. Einige waren ganz unten abgeknickt, andere völlig entwurzelt. Sie beobachteten, wie ein Baum, an dem sich drei Menschen festklammerten, in der Mitte durchbrach und von dem Sturm in die Lagune gewirbelt wurde. Zwei von ihnen lösten sich vom Stamm und schwammen zur Tahaa. Wenig später und kurz vor Anbruch der Dunkelheit sahen sie einen der beiden vom Achterdeck dieses Schoners über Bord springen und mit kräftigen Zügen durch die weißen, aufspritzenden Wellen auf die Malahini zuhalten.
»Es ist Tai-Hotauri«, meinte Grief. »Jetzt werden wir Neuigkeiten erfahren.«
Der Kanake zog sich am Stag hoch, kletterte über den Bug und kroch nach achtern. Man wartete, bis er wieder zu Atem gekommen war, und dann begann er im Schutz der Kajüte in abgehackten Sätzen und zum großen Teil mit Händen und Füßen seine Geschichte zu erzählen.
»Narii. verdammter Räuber. Er wollen stehlen. Perlen. Wollen töten Parlay. Ein Mann töten Parlay. Niemand wissen, welcher Mann. Drei Kanaken, Narii, ich. Und fünf Bohnen. Hut. Narii sagen, eine Bohne schwarz. Keiner wissen. Töten Parlay. Narii verdammter Lügner. Alle Bohnen schwarz. Fünf schwarz. Kopraschuppen dunkel. Jeder Mann kriegen schwarze Bohne. Großer Wind kommen. Ausgeschlossen. Alle klettern auf Baum. Nix Glück, diese Perlen, ich sagen euch vorher. Nix Glück.«
»Wo ist Parlay?« rief Grief.
»Auf Baum. Drei von seinen Kanaken selbe Baum. Narii und ein Kanake andere Baum. Mein Baum fliegen zur Hölle, dann ich kommen an Bord.«
»Wo sind die Perlen?«
»Auf Baum bei Parlay. Vielleicht Narii kriegen Perlen doch.«
Einem nach dem anderen schrie Grief Tai-Hotauris Geschichte ins Ohr. Kapitän Warfield war besonders aufgebracht, und sie konnten sehen, wie er mit den Zähnen knirschte.
Hermann stieg nach unten und kam mit einem Ankerlicht zurück, doch sobald er es über die Höhe der Kajütenwand hob, blies der Sturm es aus. Mehr Glück hatte er mit der Kompaßhauslampe, die aber erst nach vielen gemeinsamen Versuchen in Gang zu bringen war.
»Hübsch windige Nacht!« schrie Grief in Mulhalls Ohr. »Und es weht immer stärker.«
»Wie stark?«
»An die hundertfünfzig Stundenkilometer. zweihundert, dreihundert. ich weiß es nicht. Stärker als ich es je erlebt habe.«
Die Lagune wurde immer bewegter durch die Sturzseen, die über dem Atoll zusammenschlugen. Hunderte von Kilometern weit war der Ozean durch den Orkan zurückgestaut worden, bei weitem mehr, als es gewöhnlich durch die Ebbe geschieht. Als dann die Flut wieder einsetzte, wurden die Wellen merklich höher. Mond und Wind taten sich zusammen, um den ganzen Südpazifik über dem Atoll Hikihoho aufzutürmen.
Kapitän Warfield kehrte von einem seiner regelmäßigen Abstecher in den Maschinenraum mit der Nachricht zurück, daß der Maschinist ohnmächtig geworden sei.
»Wir müssen den Motor aber in Gang halten!« schloß er hilflos.
»In Ordnung«, sagte Grief. »Bringen Sie ihn an Deck. Ich werden ihn ablösen.«
Die Luke zum Maschinenraum war wasserdicht verschalkt, so daß man nur durch einen engen Gang von der Kajüte aus hineingelangen konnte. Die Hitze und der Benzindunst waren zum Ersticken. Grief verschaffte sich rasch einen Überblick über den Motor und die Einrichtung des winzigen Verschlages, dann blies er die Öllampe aus. Von nun an arbeitete er im Dunkeln, abgesehen von dem Glimmen seiner ewigen Zigarren, die er sich immer wieder in der Kajüte anzündete. So ausgeglichen er auch war, begann er doch bald deutliche Anzeichen der Anstrengung zu zeigen, die es kostete, mit einem mechanischen Monster eingepfercht zu sein, das sich in der lärmenden Finsternis abmühte, stöhnte und spuckte. Nackt bis zum Gürtel, mit Fett und Öl bedeckt, wund gestoßen und zerschrammt, da er von dem stampfenden und rollenden Schiff umhergeworfen wurde, halb betäubt von dem Gemisch aus Benzindampf und Luft, das er einatmen mußte, arbeitete er Stunde um Stunde, indem er jeden Teil des Motors abwechselnd streichelte, segnete, hätschelte und verfluchte. Die Zündung fing an zu stottern; die Kühlwasserzufuhr ließ zu wünschen übrig. Aber das Schlimmste waren die überhitzten Zylinder. Bei einer Lagebesprechung in der Kajüte flehte und bettelte der Maschinist, ein Halbblut, den Motor für eine halbe Stunde auszustellen, damit er abkühlen und die Wasserzufuhr gewartet werden könnte. Kapitän Warfield war dagegen. Das Halbblut schwor, daß der Motor sonst sowieso kaputtgehen und aussetzen würde, und zwar für immer. Grief, ölverschmiert und arg mitgenommen, schrie sie beide mit funkelnden Augen an, schimpfte und erteilte Befehle. Mulhall, der Frachtaufseher und Hermann wurden dazu eingeteilt, in der Kajüte das Benzin doppelt und dreifach zu filtern. In den Boden des Maschinenraums wurde ein Loch geschlagen, und ein Kanake schöpfte Bilgewasser über die Zylinder, während Grief alle beweglichen Motorteile immer wieder mit Öl begoß.
»Wußte gar nicht, daß Sie sich so gut mit Benzin auskennen«, meinte Kapitän Warfield bewundernd, als Grief in die Kajüte kam, um etwas weniger verpestete Luft zu schnappen.
»Ich bade in Benzin«, stieß er grimmig zwischen den Zähnen hervor. »Ich ernähre mich davon.«
Wozu er sonst noch Benzin verwenden könnte, erfuhr man nie, denn in diesem Augenblick wurden alle Männer in der Kajüte sowie das Benzin, das gerade den Filter passierte, nach vorne gegen das Schott geschleudert, da die Malahini plötzlich tief eintauchte. Einige Minuten waren die Männer unfähig, sich aufzurichten, rollten hin und her und purzelten von einer Wand an die andere. Der Schoner, von drei gewaltigen Seen getroffen, ächzte, stöhnte und zitterte und benahm sich wegen des Gewichts der Wassermassen auf den Decks, als sei er fast vollgelaufen. Grief kroch zum Motor, während Kapitän Warfield durch den Niedergang nach oben kletterte, sobald sich Gelegenheit dazu bot.
Erst nach einer halben Stunde kam er zurück.
»Das Boot ist weg!« berichtete er. »Die Kombüse ist weg! Außer dem Deck und den Luken ist nichts mehr da! Und wenn wir den Motor nicht gehabt hätten, wären wir auch weg! Machen Sie ihre Sache bloß weiter so gut!«
Um Mitternacht waren die Benzindämpfe soweit aus Lunge und Kopf des Maschinisten gewichen, daß er Grief ablösen konnte, der an Deck ging, um nun seinerseits Kopf und Lungen freizubekommen. Er gesellte sich zu den anderen, die hinter der Kajüte kauerten und sich daran sowohl mit den Händen festhielten als auch mit Tauen festgezurrt hatten, um sich doppelt zu sichern. Es herrschte ein wirres Gedränge, denn es war der einzige Zufluchtsort für die Kanaken. Einige von ihnen waren zwar der Einladung des Kapitäns in die Kajüte gefolgt, doch von den Dämpfen wieder vertrieben worden. Die Malahini wurde immer wieder unter Wasser gedrückt und überflutet, und was sie einatmeten, war ein Gemisch aus Luft, Gischt und Wasser.
»Jetzt wird es noch einmal richtig rauh, Mulhall!« rief Grief seinem Gast zu, als sie zwischendurch auftauchten.
Mulhall, der keuchend nach Atem rang, konnte nur nicken. Die Speigatts reichten nicht aus, um die Wasserlast auf dem Deck des Schoners aufzunehmen. Durch das Schlingern des Schiffes lief das Wasser zwar auf einer Seite über die Reling ab, die Malahini übernahm beim Aufrichten aber wieder und rollte auf die andere Seite; und manchmal, wenn sie den Bug himmelwärts kehrte und eine Weile in dieser Stellung verharrte, stürzte das Wasser wie eine Lawine nach achtern.
Es lief die Gangways zum Hüttendeck hinunter, ergoß sich über das Kajütendach, überflutete dabei diejenigen, die sich dort festklammerten, hinterließ blaue Flecken und floß über die Heckreling ab.
Mulhall sah ihn zuerst und machte Grief aufmerksam. Es war Narii Herring, der im matten Lichtschein der Kompaßhauslampe kauerte und sich festhielt. Außer dem Gürtel, den er auf der bloßen Haut trug und in dem ein blankes Messer steckte, war er völlig nackt.
Kapitän Warfield band sich los und kroch über die anderen hinweg zu ihm hin. Im Schein der Lampe sah man, daß sein Gesicht vor Wut verzerrt war. Man konnte zwar erkennen, daß er etwas sagte, doch der Wind trug seine Worte fort. Er wollte seine Lippen nicht an Nariis Ohr legen. Statt dessen zeigte er auf die Reling. Narii Herring verstand. Seine weißen Zähne entblößten sich zu einem belustigten und höhnischen Grinsen, und er erhob sich, eine Prachtgestalt von einem Mann.
»Das ist Mord!« schrie Mulhall Grief zu.
»Er wollte den alten Parlay umbringen«, schrie Grief zurück.
In diesem Augenblick war das Hüttendeck frei von Wasser, und die Malahini hatte sich aufgerichtet. Narii versuchte, in stolzer Haltung zur Reling zu gehen, wurde aber vom Wind umgeworfen. Darauf kroch er fort und verschwand in der Dunkelheit, aber keiner zweifelte daran, daß er über Bord gegangen war. Die Malahini tauchte tief ein, und als sie sich wieder durch die Fluten emporkämpfte, die nach achtern abliefen, rief Grief Mulhall ins Ohr.
»Er wird nicht untergehen. Man nennt ihn den Fischmenschen von Tahiti! Er wird über die Lagune schwimmen und auf der anderen Seite des Atolls an Land gehen, falls es da noch ein Atoll gibt.«
Fünf Minuten später schwappte, nachdem sie wieder einmal untergetaucht waren, ein wirres Knäuel menschlicher Leiber vom Kajütendach. Sie packten zu und hielten die Neuankömmlinge fest, bis das Wasser abgelaufen war. Dann trugen sie sie nach unten, um festzustellen, wer sie waren. Der alte Parlay lag reglos und mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Bei den anderen beiden handelte es sich um seine eingeborenen Vettern. Alle drei waren nackt und blutig. Der Arm des einen Kanaken war gebrochen und hing nutzlos herunter. Der andere blutete aus einer scheußlichen Kopfwunde.
»Hat Narii das getan?« fragte Mulhall.
Grief schüttelte den Kopf. »Nein, das ist passiert, als sie auf das Deck geschmettert und über die Kajüte gespült wurden!«
Plötzlich trat eine Veränderung ein, die eine Art Schwindelgefühl hervorrief. Im ersten Augenblick verweigerte man sich der Einsicht, daß kein Wind mehr wehte. Wie durch einen Schwerthieb war der Sturm abrupt abgeschnitten worden. Der Schoner stampfte und rollte und zerrte mit einem krachenden Geräusch, das jetzt zum erstenmal zu hören war, an den Ankern. Zum erstenmal auch konnten sie das Plätschern des Wassers auf Deck hören. Der Maschinist stellte den Propeller ab und drosselte den Motor.
»Wir sind im Auge des Sturms«, sagte Grief. »Es wird gleich wieder losgehen, und dann kommt es genauso schlimm wie vorher.« Er sah auf das Barometer. »29,32«, las er ab.
So schnell konnte er seine Stimme, die stundenlang gegen den Wind angeschrien hatte, nicht umstellen, und er sprach so laut, daß die Ohren der anderen in der Stille schmerzten.
»Alle seine Rippen sind gebrochen«, sagte der Frachtaufseher, als er Parlays Seite abtastete. »Er atmet zwar noch, aber es geht mit ihm zu Ende.«
Der alte Parlay stöhnte, bewegte kraftlos einen Arm und öffnete die Augen. Sie leuchteten auf, als er die Umstehenden wiedererkannte.
»Meine wackeren Herrschaften«, flüsterte er mit versagender Stimme. »Vergessen Sie nicht. die Auktion. um zehn Uhr. in der Hölle.«
Seine Augen schlossen sich, die Kinnlade drohte herunterzufallen, doch es gelang ihm, die Gewalt über seinen sich auflösenden Körper noch ein letztes lautes, höhnisches Kichern lang aufrechtzuerhalten.
Über und unter ihnen brach jetzt die Hölle los. Das wohlbekannte Brüllen des Windes setzte wieder ein. Die breitseits getroffene Malahini holte extrem weit über, als sie den Bogen beschrieb, der ihr von den Ankern aufgezwungen wurde. Dann drehten sie das Schiff in den Wind, und es richtete sich auf. Der Propeller wurde eingekuppelt, und der Motor arbeitete weiter.
»Nordwest!« rief Kapitän Warfield Grief zu, als er an Deck kam. »Sprang auf Stärke acht wie der Blitz!«
»Jetzt wird Narii nie über die Lagune kommen!« meinte Grief.
»Dann wird er wieder auf unsere Seite zurückgeweht, so ein Pech!«
Nachdem sie das Orkanzentrum passiert hatten, begann das Barometer zu steigen. Entsprechend rasch ging auch der Wind zurück. Als er nur noch eine ziemlich steife Brise war, hob sich der Motor, löste sich mit einem letzten Aufbäumen seiner vierzig Pferdestärken von seiner Verankerung und kippte auf die Seite. Ein Wasserschwall aus der Bilge ergoß sich zischend über ihn, und Dampfwolken stiegen hoch. Der Maschinist jammerte über das Unglück, doch Grief warf einen zärtlichen Blick auf das Wrack und ging in die Kajüte, um sich mit Putzwolle das Öl von Brust und Armen zu wischen.
Die Sonne stand am Himmel, und es wehte das sanfteste Sommerlüftchen, als er wieder an Deck kam, nachdem er die Kopfwunde des einen Kanaken vernäht und den Arm des anderen eingerenkt hatte. Die Malahini lag dicht am Ufer. Vorn war Hermann mit der Mannschaft dabei, aufzuholen und die Ankerketten zu entwirren. Die Papara und die Tahaa waren verschwunden, und Kapitän Warfield suchte die gegenüberliegende Seite des Atolls mit seinem Glas ab.
»Nicht mal Kleinholz ist von ihnen übriggeblieben«, sagte er. »So geht’s, wenn man keinen Motor hat. Sie müssen abgetrieben sein, bevor der große Umschwung kam.«
An Land, dort wo Parlays Haus gestanden hatte, war keine Spur mehr davon zu sehen. Über eine Breite von dreihundert Metern hatte die Sturmflut weder Baum noch Stumpf stehengelassen. Etwas weiter entfernt fand sich hier und da eine vereinzelte Palme, und unzählige waren dicht über dem Boden abgebrochen. In der Krone eines stehengebliebenen Baums sollte sich nach Ansicht Tai-Hotauris etwas bewegen. Die Malahini hatte keine Boote mehr, und so schauten sie ihm zu, wie er an Land schwamm und auf die Palme kletterte.
Bei seiner Rückkehr halfen sie auch einem jungen eingeborenen Mädchen aus Parlays Haushalt über die Reling. Doch zuerst reichte sie ihnen einen ziemlich mitgenommenen Korb hinauf. Darin lag ein Wurf blinder Kätzchen - alle waren tot, bis auf eines, das schwach miaute und unbeholfen und unsicher auf den Beinen stand.
»He!« sagte Mulhall. »Wer ist denn das?«
Am Strand ging ein Mann entlang. Er bewegte sich gemächlich, als mache er einen Morgenspaziergang. Kapitän Warfield knirschte mit den Zähnen. Es war Narii Herring.
»Hallo Skipper!« rief Narii, als er auf gleicher Höhe mit ihnen war. »Kann ich an Bord kommen und frühstücken?«
Kapitän Warfields Gesicht und Hals begannen anzuschwellen und sich dunkelrot zu verfärben. Er versuchte zu sprechen, aber die Kehle war ihm wie zugeschnürt.
»Ich würde ihn am liebsten. ich würde ihn am liebsten.« war alles, was er herausbringen konnte.