DER HEIDE

Ich begegnete ihm zum erstenmal in einem Orkan, und obwohl wir diesen Orkan auf demselben Schoner durchgestanden hatten, bekam ich ihn erst zu Gesicht, als das Schiff unter unseren Füßen in Stücke gegangen war. Zweifellos hatte ich ihn vorher unter der Kanakenmannschaft an Bord gesehen, doch seine Existenz nicht zur Kenntnis genommen, da die Petite Jeanne ziemlich vollgestopft war. Neben ihren acht oder zehn eingeborenen Matrosen, dem weißen Kapitän, dem ebenfalls weißen Steuermann und Frachtaufseher und den sechs Kajütrei senden war sie mit etwa fünfundachtzig Deckpassagieren von Rangiroa ausgelaufen - Eingeborenen aus Paumotu und Tahiti, Männern, Frauen und Kindern, die allesamt mit Kisten und Kästen ausgestattet waren, um von den Schlafmatten, Decken und Kleiderbündeln erst gar nicht zu reden.

Die Zeit der Perlenfischerei auf den Paumotu-Inseln war vorüber, und alle Saisonarbeiter kehrten nach Tahiti zurück. Wir sechs Kajütpassagiere waren Perlenaufkäufer. Zwei von uns waren Amerikaner, einer war Ah Choon (der weiseste Chinese, der mir je begegnet ist), einer war Deutscher, einer ein polnischer Jude, und ich machte das halbe Dutzend voll.

Es war eine erfolgreiche Saison gewesen. Keiner von uns hatte Grund zu klagen, die fünfundachtzig Deckpassagiere eingerechnet. Alle hatten gut verdient, und alle freuten sich auf eine Verschnaufpause und eine vergnügliche Zeit in Papeete.

Natürlich war die Petite Jeanne überladen. Sie hatte nur siebzig Tonnen und hätte von Rechts wegen nicht einmal ein Zehntel dieser Menschenmenge mit an Bord nehmen dürfen.

Unter Deck war sie bis zum Rande mit Perlmutt und Kopra vollgepfropft. Selbst das Warenlager hatte herhalten müssen. Es war ein Wunder, daß die Matrosen überhaupt die Segel bedienen konnten. Auf den Decks war kein Vorwärtskommen. So hangelten sie sich einfach an der Reling entlang.

In der Nacht stiegen sie über die Schläfer, die, mein Wort darauf, in zwei Schichten übereinander lagen. Ach, und dann waren da auch noch Schweine und Hühner an Deck und Säcke mit Yamswurzeln; und jedes freie Fleckchen war mit Girlanden aus Trinkkokosnüssen und Bananenbüscheln behängt. Zwischen den Fock- und den Großmastwanten hatte man auf beiden Seiten Geitaue gespannt, gerade so hoch, daß die Baumfock noch übergehen konnte, und auch von jedem dieser Taue baumelten mindestens fünfzig Bananenstauden.

Die Überfahrt versprach alles andere als gemütlich zu werden, selbst wenn wir es in den zwei bis drei Tagen schaffen sollten, die bei frischem Südostpassat erforderlich waren. Doch der wehte nicht. Nach den ersten fünf Stunden erstarb der Wind wie mit einem Dutzend keuchender Atemzüge. Die ganze Nacht lang und auch noch den darauffolgenden Tag dauerte die Windstille an - eine dieser gleißenden, glasklaren Flauten, bei denen einem allein schon der Gedanke, die Augen zu öffnen, um in sie hineinzusehen, Kopfschmerzen verursacht.

Am zweiten Tag starb ein Mann - er stammte von den Osterinseln und war in dieser Saison einer der besten Taucher in der Lagune gewesen. Er starb an Pocken, wie sich herausstellte, obwohl mir das unerklärlich ist, weil noch kein einziger Fall an Land aufgetreten war, als wir Rangiroa verließen. Aber es stimmte - es waren die Pocken -, ein Mann war tot, und drei andere hatte es bereits erwischt.

Und uns waren die Hände gebunden. Weder konnten wir die Kranken von den anderen isolieren, noch konnten wir sie pflegen. Wir reisten zusammengepfercht wie die Ölsardinen. Es blieb uns nichts anderes übrig, als dahinzusiechen und zu sterben - das heißt, nach der Nacht, die auf den ersten Todesfall folgte, blieb uns nichts anderes übrig. In dieser Nacht verschwanden der Steuermann, der Frachtaufseher, der polnische Jude und vier eingeborene Taucher mit dem großen Walboot. Man hörte nie wieder etwas von ihnen. Am nächsten Morgen ließ der Kapitän prompt die übrigen Boote anbohren -und da saßen wir nun fest.

An diesem Tag gab es zwei Todesfälle; am folgenden Tag drei; dann erhöhte sich die Zahl auf acht. Es war seltsam zu beobachten, wie wir damit fertig zu werden versuchten. Die Eingeborenen zum Beispiel verfielen in einen Zustand sprachloser, lähmender Angst. Der Kapitän - er hieß Oudouse, ein Franzose - wurde sehr unruhig und redselig. Er bekam sogar nervöse Zuckungen. Er war ein großer, massiger Mann, der mindestens neunzig Kilo wog, und in kürzester Zeit entwickelte er eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem bebenden Berg von Fett.

Der Deutsche, die beiden Amerikaner und ich kauften den gesamten Whisky vorrat an Bord auf und sprachen kontinuierlich dem Alkohol zu. Die Theorie war grandios -wenn wir uns so aufgeheizt hielten, würde jeder Erreger, der mit uns in Berührung kam, sofort zu Asche verglühen. Und es funktionierte, obwohl ich zugeben muß, daß auch Kapitän Oudouse und Ah Choon von der Krankheit verschont blieben. Der Franzose trank überhaupt nicht, während sich Ah Choon auf ein Gläschen pro Tag beschränkte.

Es war eine nette Zeit. Die Sonne, die in die nördliche Deklination eintrat, stand direkt über uns. Es herrschte Windstille, abgesehen von häufigen Sturmböen, deren Dauer von fünf Minuten bis zu einer halben Stunde variierte und die uns zum Abschied mit Wolkenbrüchen überschütteten. Nach jeder Bö kam dann die schreckliche Sonne wieder hervor und ließ Dampfschwaden von den durchtränkten Decks aufsteigen.

Dieser Dampf war nicht angenehm. Es war der Dunst des Todes, beladen mit Millionen und Abermillionen von Krankheitskeimen. Jedesmal, wenn wir ihn von den Toten und Sterbenden aufsteigen sahen, gossen wir uns noch einen Schluck ein - und meistens genehmigten wir uns zwei oder drei besonders kräftig gemischte Gläser. Wir machten es uns auch zur Regel, uns immer noch ein paar Extragläser zu gönnen, wenn sie die Toten über Bord warfen und den Haien, die uns umschwärmten, überließen.

So hielten wir es eine Woche lang; dann ging uns der Whisky aus. Das war auch gut, denn sonst wäre ich jetzt nicht mehr am Leben. Um das, was nun folgte, zu überstehen, mußte man schon nüchtern sein, wie mir jeder zugeben wird, wenn ich ergänzend hinzufüge, daß nur zwei es tatsächlich geschafft haben. Der andere war der Heide - so nannte jedenfalls Kapitän Oudouse ihn in dem Augenblick, als ich diese Person zum erstenmal bewußt wahrnahm. Aber darauf komme ich später zurück.

Es war am Ende der Woche - die Whiskyvorräte waren aufgebraucht und die Perlenhändler nüchtern -, als mein Blick zufällig auf das Barometer fiel, das am Niedergang hing. Sein Normalstand im Paumotu-Archipel betrug 29,90, und Schwankungen zwischen 29,85 bis 30,0 oder sogar 30,05 waren durchaus üblich; doch selbst der betrunkenste Perlenhändler, der je seine Pockenbazillen mit schottischem Whisky verbrannt hatte, würde wieder nüchtern werden, wenn er es wie ich auf dem Tiefstand von 29,62 gesehen hätte.

Ich machte Kapitän Oudouse darauf aufmerksam, nur um von ihm zu erfahren, daß er den fallenden Luftdruck bereits seit mehreren Stunden beobachte. Da war nicht viel zu machen, doch das wenige erledigte er in Anbetracht der Umstände sehr gut. Er holte die Schönwettersegel ein, ließ Sturmbesegelung anschlagen, spannte Rettungsleinen und wartete auf das Unwetter. Fehler machte er erst, als es da war. Er drehte über Backbord bei, was südlich des Äquators richtig ist, wenn - und das ist der springende Punkt - wenn man sich nicht genau in der Bahn des Wirbelsturms befindet.

Wir befanden uns aber genau in seiner Bahn. Ich konnte das an der ständig zunehmenden Windstärke und an dem ebenso unaufhaltsam fallenden Barometer erkennen. Ich wollte, daß er wendete und vor raum-achterlichem Wind lief, solange das Barometer noch fiel, und dann beidrehte. Wir stritten, bis er hysterisch wurde, aber er wollte nicht nachgeben. Das Schlimmste war, daß ich die übrigen Perlenhändler nicht auf meine Seite bringen konnte. Wer war ich denn schon, daß ich mehr über die See und ihre Tücken wissen wollte als ein richtiger Kapitän? - so stellte sich das aus ihrer Sicht fraglos dar.

Mit dem Wind wurde natürlich auch der Seegang immer stärker, und ich werde niemals die drei ersten Brecher vergessen, die die Petite Jeanne überrollten. Sie war abgefallen, wie es Schiffe manchmal tun, nachdem sie beigedreht haben, und schon die erste See schlug hoch über ihr zusammen. Die Rettungsleinen halfen nur den Kräftigen und Gesunden, und selbst denen nützten sie nicht viel, als Frauen und Kinder, Bananen und Kokosnüsse, Schweine und Kisten, Kranke und Sterbende als kompakte, schreiende und stöhnende Masse mit fortgerissen wurden.

Die zweite See flutete die Decks der Petite Jeanne bis an die Reling, und als ihr Heck versank und der Bug sich gen Himmel reckte, schwappte die ganze elende Ladung beseelter und unbeseelter Gegenstände nach achtern. Es war ein menschlicher Sturzbach. Mit Kopf oder Füßen voraus, auf der Seite, sich immer wieder überschlagend, verrenkt, verkrümmt, sich windend und verknäuelt, so kamen sie dahergeschossen. Ab und zu gelang es jemandem, sich an einem Pfosten oder einem Tau festzuhalten, doch die Wucht der nachfolgenden Leiber riß ihn unwiderstehlich mit.

Einen Mann sah ich, der geradewegs Kurs auf den Steuerbordpolier nahm. Sein Schädel zerschellte daran wie eine Eierschale. Mir war klar, was passieren würde, und ich kletterte auf das Kajütendach und von dort in das Großsegel. Ah Choon und einer der Amerikaner versuchten, mir zu folgen, aber ich war ihnen eine Nasenlänge voraus. Der Amerikaner wurde nach achtern mitgerissen und verschwand hinter dem Heck wie ein Stückchen Spreu im Wind. Ah Choon bekam eine Speiche des Steuerrades zu fassen und duckte sich dahinter. Doch eine stämmige Wahine (Frau) aus Raratonga -sie muß mindestens zwei Zentner gewogen haben - wurde gegen ihn gedrückt und schlang einen Arm um seinen Hals. Er packte den eingeborenen Rudergänger mit der anderen Hand -und gerade in dem Moment holte der Schoner nach Steuerbord über.

Der Strom von Körpern und Seewasser, der sich durch den Backbordgang zwischen Kajüte und Reling wälzte, änderte jäh seine Fließrichtung und ergoß sich nach Steuerbord. Weg waren sie - Wahine, Ah Choon und der Rudergänger; und ich schwöre, Ah Choon grinste mich mit philosophischer Schicksalsergebenheit an, als er über die Reling gespült wurde und versank.

Die dritte Sturzsee - die größte von den dreien - richtete nicht so viel Schaden an. Als sie kam, waren fast alle in der Takelage. Auf Deck rollten vielleicht noch ein Dutzend keuchender, halbertrunkener und halbbetäubter armer Teufel umher oder versuchten sich kriechend in Sicherheit zu bringen. Sie gingen über Bord, ebenso wie die Trümmer der beiden übriggebliebenen Boote. Die anderen Perlenhändler und ich konnten noch etwa fünfzehn Frauen und Kinder in die Kajüte bringen und hinter ihnen die Luken schließen.

Letzten Endes half es jedoch den armen Wesen auch nicht viel.

Sturm? Nach allem, was ich erlebt hatte, hätte ich es nie für möglich gehalten, daß ein Sturm so wüten konnte. Man kann es einfach nicht beschreiben. Wie kann man einen Alptraum in Worte fassen? Mit dem Sturm war es ebenso. Er riß uns die Kleider vom Leib. Und ich meine das wörtlich, wenn ich sage, er riß sie uns vom Leib. Ich verlange ja nicht, daß man mir glaubt. Ich erzähle nur, was ich sah und was ich fühlte. Es gibt Zeiten, da ich es selbst nicht für möglich halte. Ich habe es durchgemacht, und das genügt. Man konnte sich diesem Sturm nicht entgegenstemmen, ohne mit dem Leben zu bezahlen. Er war ein Ungeheuer, und das Ungeheuerlichste an ihm war, daß er immer noch an Stärke zunahm.

Man muß sich ungezählte Millionen, ja Milliarden Tonnen von Sand vorstellen, sich vorstellen, daß sich dieser Sand mit einhundertfünfzig, einhundertsechzig, einhundertneunzig oder noch mehr Stundenkilometern vorwärtsbewegt. Man muß sich überdies auch noch ausmalen, daß diese Materie zwar unsichtbar und nicht zu greifen ist, jedoch die Wucht und Dichte von Sand besitzt. Wessen Einbildungskraft dabei nicht versagt, der bekommt vielleicht eine vage Ahnung davon, was für ein Sturm das war.

Sand ist möglicherweise nicht der richtige Vergleich. Eher war es wie Schlamm, unsichtbar, ungreifbar, aber schwer wie Schlamm. Nein, es war noch schlimmer. Man denke sich jedes einzelne Luftmolekül als einen ganzen Schlammwall für sich. Dann muß man versuchen, sich den ständigen Aufprall dieser Schlammassen vorzustellen. Nein, das übersteigt mein Ausdrucksvermögen. Die Sprache mag ausreichen, um die durchschnittlichen Lebensumstände zu schildern, aber sie kann unmöglich die Bedingungen beschreiben, die bei einem derartigen Sturm herrschen. Ich wäre besser bei meiner ursprünglichen Absicht geblieben und hätte erst gar keine Schilderung versucht.

Nur so viel will ich sagen: Die See, die sich zuerst aufgebäumt hatte, wurde durch diesen Wind niedergewalzt. Mehr noch - es schien, als sei der ganze Ozean in den Schlund des Orkans gesogen und durch den Teil des Raumes hochgerissen worden, den zuvor die Luft eingenommen hatte.

Unsere Segel waren natürlich längst verschwunden. Doch Kapitän Oudouse hatte etwas auf der Petite Jeanne, das ich vorher nie auf einem Südseeschoner gesehen habe - einen Treibanker. Er bestand aus einem spitz zulaufenden Segeltuchbeutel, dessen Öffnung durch einen großen Eisenreifen aufgehalten wurde. Der Treibanker war aufgehängt etwa wie ein Papierdrache, so daß er im Wasser schwebte wie ein Drache in der Luft - nur mit einem Unterschied. Der Seeanker blieb knapp unter der Wasseroberfläche in senkrechter Stellung. Ein langes Tau verband ihn mit dem Schoner. Infolgedessen drehte die Petite Jeanne ihren Bug immer in den Wind und gegen die anrollende See.

Die Situation wäre eigentlich recht günstig gewesen, hätten wir uns nicht mitten in der Bahn des Sturmes aufgehalten. Zwar riß der Wind unsere Segel aus den Zeisingen, hievte die Marsstengen heraus und verknäulte das laufende Gut, doch würden wir noch heil davongekommen sein, wenn wir uns nicht genau vor dem herannahenden Sturmzentrum befunden hätten. Dadurch saßen wir in der Klemme. Ich war durch den ständigen Winddruck am Ende meiner Kräfte, fühlte mich wie betäubt und gelähmt und war wohl drauf und dran, aufzugeben und mit dem Leben abzuschließen, als uns das Sturmzentrum traf. Der Schlag, den wir erhielten, bestand in absoluter Windstille. Kein Lufthauch war zu spüren. Die Wirkung auf uns war gräßlich.

Man darf nicht vergessen, daß wir stundenlang unter furchtbarer Muskelanspannung gestanden hatten, um dem schrecklichen Andruck zu widerstehen. Und dann war dieser Druck plötzlich nicht mehr da. Ich weiß, daß ich das Gefühl hatte, mich unaufhaltsam aufzublähen und fast schon zu zerplatzen. Jedes einzelne Atom meines Körpers schien jedes andere Atom abzustoßen und nahe daran zu sein, sich im Weltraum zu verlieren. Doch dieser Zustand dauerte nur einen Augenblick. Dann kam der Untergang.

Nun, da der Winddruck gewichen war, bäumte sich die See auf. Sie sprang, schnellte, schoß geradewegs auf die Wolken zu. Dieser unvorstellbare Sturm, das darf man nicht vergessen, toste aus allen Himmelsrichtungen auf das Ruhezentrum zu. Die Folge war, daß die Sturzseen auch aus allen Himmelsrichtungen aufschossen. Kein Wind hielt sie in Schach. Sie tauchten plötzlich auf wie Korken, die sich vom Boden eines Wassereimers gelöst haben. Sie besaßen keinerlei System, keine Stabilität. Es waren hohle, kochende Sturzseen. Sie waren mindestens fünfundzwanzig Meter hoch. Es waren überhaupt keine Wellen. Sie glichen keiner Welle, die je ein Mensch gesehen hat.

Es waren Spritzer, monströse Spritzer - mehr nicht. Fünfundzwanzig Meter hohe Spritzer. Fünfundzwanzig! Sie waren höher als fünfundzwanzig. Sie reichten über unsere Masttopps. Es waren Fontänen, Explosionen. Sie benahmen sich wie Betrunkene. Sie entstanden, irgendwie und überall. Sie rempelten sich gegenseitig an; stießen aneinander. Sie stürmten aufeinander los und brachen übereinander zusammen und zerstoben wie tausend Wasserfälle auf einmal. Kein Mensch hätte sich je einen Ozean auch nur träumen lassen, der aussah wie dieses Orkanzentrum. Es war ein dreimal verfluchtes, heilloses Chaos. Es war Anarchie. Es war ein Hexenkessel tobenden Seewassers.

Die Petite Jeanne? Ich habe keine Ahnung. Der Heide erzählte mir später, er hätte es auch nicht richtig mitbekommen. Sie wurde buchstäblich auseinandergerissen, aufgeschlitzt, zu Brei zerstoßen, zu Kleinholz zermalmt, völlig vernichtet. Als ich wieder zu mir kam, war ich im Wasser, und obwohl ich mehr als halb ertrunken war, machte ich automatisch Schwimmbewegungen. Wie ich dorthin gekommen war, konnte ich nicht sagen. Ich entsann mich, daß ich noch sah, wie die Petite Jeanne zerlegte, aber in diesem Augenblick muß mir der Orkan auch mein eigenes Bewußtsein ausgeblasen haben. Doch da war ich nun, und es blieb mir nichts anderes übrig, als das Beste daraus zu machen, und dieses Beste schien nicht gerade vielversprechend. Der Sturm hatte wieder eingesetzt, der Seegang war viel geringer und regelmäßiger geworden, und ich wußte, daß das Zentrum über mich hinweggezogen war. Zum Glück waren keine Haie in der Nähe. Der Orkan hatte die gefräßige Bande zerstreut, die das Todesschiff umschwärmt und sich an den Leichen gütlich getan hatte.

Es waren gegen Mittag, als die Petite Jeanne in Stücke ging, und es mußte zwei Stunden später gewesen sein, als ich auf einen Lukendeckel stieß. Um diese Zeit regnete es in Strömen, und es war reiner Zufall, der mich und den Lukendeckel aneinander geraten ließ. Ein kurzes Stück Leine hing vom Griff herab, und ich wußte, daß ich zumindest für einen Tag gerettet war, falls die Haie nicht zurückkehrten. Drei Stunden, vielleicht auch etwas mehr, hielt ich mich an dem Deckel fest und konzentrierte mich mit geschlossenen Augen ganz auf die Aufgabe, genug Luft einzuatmen, um am Leben zu bleiben, ohne gleichzeitig soviel Wasser zu schlucken, daß ich ertrank. Dann schien es mir, als hörte ich Stimmen. Der Regen hatte aufgehört, und Wind und Wellen beruhigten sich auf wunderbare Weise. Keine sechs Meter von mir entfernt, sah ich Kapitän Oudouse und den Heiden mit einem anderen Lukendeckel. Sie kämpften um seinen Besitz - zumindest der Franzose tat es.

»Pai’en noir!« hörte ich ihn schreien und sah zur gleichen Zeit, wie er nach dem Kanaken trat.

Nun hatte Kapitän Oudouse alle seine Kleider außer seinem Schuhwerk, derben Stiefeln, verloren. Es war ein roher Tritt, denn er traf den Heiden am Mund und an der Kinnspitze und betäubte ihn halb. Ich wartete darauf, daß er zurückzahlen würde, doch er begnügte sich damit, drei Meter entfernt und folglich außer Reichweite hilflos umherzuschwimmen. Sobald ihn eine Welle näher heranwarf, trat der Franzose, der sich mit beiden Händen festhielt, nach ihm. Und bei jedem Tritt schimpfte er den Eingeborenen einen schwarzen Heiden.

»Für zwei Centimes würde ich rüberkommen und dich ertränken, du weißes Ungeheuer!« schrie ich.

Das einzige, was mich davon abhielt hinüberzuschwimmen, war meine Erschöpfung. Allein schon der Gedanke an die damit verbundene Anstrengung verursachte mir Übelkeit. So lud ich den Kanaken ein, meinen Lukendeckel mitzubenutzen. Sein Name sei Oto’o, sagte er mir; er erzählte mir auch, daß er von Bora Bora, der westlichsten der Gesellschaftsinseln, stamme. Wie ich später erfuhr, hatte er den Lukendeckel zuerst erwischt, war nach einiger Zeit auf Kapitän Oudouse gestoßen, hatte ihm angeboten, den Deckel mit ihm zu teilen und war zum Dank dafür von dem Neuankömmling heruntergestoßen worden.

Und so begegneten Oto’o und ich uns zum erstenmal. Er war kein Kämpfer. Er bestand nur aus Sanftmut und Milde, ein Wesen voller Liebe, obwohl er fast einsachtzig maß und mit Muskeln wie ein Gladiator ausgestattet war. Er war kein Kämpfer, aber er war auch kein Feigling. Er besaß das Herz eines Löwen - und in den folgenden Jahren sah ich ihn Gefahren auf sich nehmen, denen ich mich nicht im Traum ausgesetzt hätte. Ich meine damit, daß er, obwohl er kein Kämpfer war und es stets vermied, einen Streit heraufzubeschwören, dennoch niemals vor irgendwelchen Schwierigkeiten davonrannte. Und wenn Oto’o dann einmal in Aktion trat, hieß es »aufgepaßt«. Ich werde nie vergessen, wie er mit Bill King verfuhr. Es passierte auf Deutsch-Samoa. Bill King war zum Schwergewichtsmeister der amerikanischen Marine ausgerufen worden. Er war ein großer, roher Kerl, ein wahrer Gorilla, einer dieser aggressiven Schlägertypen, die ihre Fäuste zu gebrauchen wissen. Er brach den Streit vom Zaun, und er trat zweimal nach Oto’o und schlug ihn einmal, bevor Oto’o es für nötig hielt, zu kämpfen. Ich glaube, es dauerte keine vier Minuten, bis Bill King der unglückselige Besitzer von vier gebrochenen Rippen, einem gebrochenen Unterarm und einem ausgerenkten Schulterblatt war. Oto’o verstand nichts von der hohen Schule des Boxens. Er schlug einfach drauflos, und Bill King brauchte etwa drei Monate, um sich von den paar Schlägen zu erholen, die er an jenem Nachmittag am Strand von Apia einstecken mußte.

Doch ich greife dem Gang meiner Geschichte vor. Wir teilten uns den Lukendeckel. Abwechselnd lag einer flach auf dem Deckel und ruhte sich aus, während der andere sich, bis zum Hals im Wasser, nur mit den Händen festhielt. Zwei Tage und zwei Nächte trieben wir so, jeder turnusmäßig eine Weile auf dem Deckel, dann wieder im Wasser, auf dem Ozean dahin. Gegen Ende zu halluzinierte ich die meiste Zeit; und zuweilen hörte ich auch Oto’o in seiner Muttersprache stammeln und phantasieren. Unser ständiges Eintauchen bewahrte uns zwar vor dem Verdursten, dafür lieferte Meerwasser und Sonnenschein aber auch die schönste Kombination von Pökellake und Sonnenbrand, die sich denken läßt.

Am Ende rettete Oto’o mir das Leben, denn als ich zu mir kam, lag ich, durch ein paar Palmblätter vor der Sonne geschützt, sechs Meter vom Wasser entfernt am Strand. Kein anderer als Oto’o konnte mich dorthin geschleppt und die Blätter als Schattenspender aufgepflanzt haben. Er lag neben mir. Ich verlor erneut das Bewußtsein, und als ich wieder aufwachte, war kühle, sternklare Nacht, und Oto’o hielt mir eine Kokosnuß zum Trinken an die Lippen.

Wir waren die einzigen Überlebenden der Petite Jeanne. Kapitän Oudouse mußte der Erschöpfung erlegen sein, denn einige Tage später trieb sein Lukendeckel ohne ihn an. Oto’o und ich lebten eine Woche lang bei den Eingeborenen des Atolls, bevor wir von einem französischen Kreuzer aufgenommen und nach Tahiti gebracht wurden. Unterdessen hatten wir jedoch die Zeremonie des Namenstausches vollzogen. In der Südsee bindet eine derartige Zeremonie zwei Männer fester aneinander als Blutsbrüderschaft. Die Anregung war von mir ausgegangen, und Oto’o war von meinem Vorschlag mehr als angetan.

»Das ist gut«, sagte er in der Sprache der Eingeborenen. »Denn wir sind zwei Tage lang Gefährten auf den Lippen des Todes gewesen.«

»Aber der Tod kam ins Stottern«, lächelte ich.

»Es war eine gute Tat, die du getan hast, Herr«, antwortete er, »und der Tod war nicht niederträchtig genug, um sich zu Wort zu melden.«

»Warum nennst du mich >Herr

»Ja, Herr«, entgegnete er mit leuchtenden, vor Freude glänzenden Augen.

»Da sagst du’s schon wieder!« rief ich entrüstet.

»Was spielt es für eine Rolle, was mein Mund redet?« wandte er ein. »Es sind ja nur meine Lippen. Aber denken werde ich immer Oto’o. So oft ich an mich denke, werde ich an dich denken. So oft mich Menschen beim Namen nennen, werde ich an dich denken. Und hinter dem Himmel und hinter den Sternen wirst du für immer und ewig Oto’o für mich sein. Ist es so recht, Herr?«

Ich verbarg mein Lächeln und erwiderte, das es so recht sei.

In Papeete trennten wir uns. Ich blieb an Land, um mich zu erholen, und er fuhr mit einem Kutter nach Bora Bora, seiner Heimatinsel. Sechs Wochen später war er wieder da. Das überraschte mich, denn er hatte mir von seiner Frau erzählt und gesagt, daß er zu ihr zurückkehren und die weiten Reisen aufgeben wolle.

»Wohin gehst du, Herr?« fragte er nach unseren ersten Begrüßungsworten.

Ich zuckte die Achseln. Das war eine schwierige Frage.

»Um die ganze Welt«, lautete meine Antwort - »um die ganze Welt, über alle Meere und auf alle Inseln, die es im Meer gibt.«

»Ich will mit dir gehen«, sagte er einfach. »Meine Frau ist tot.«

Ich hatte nie einen Bruder; aber nach dem, was ich von den Brüdern anderer Leute gesehen habe, bezweifle ich, daß jemals ein Mensch einen Bruder besaß, der ihm das war, was Oto’o mir bedeutete. Er war Bruder und Vater und Mutter zugleich. Und eines weiß ich - Oto’os wegen wurde ich zu einem rechtschaffenen und besseren Menschen. Ich gab nicht viel auf die Meinung anderer Leute, aber in Oto’os Augen mußte ich anständig bleiben. Seinetwegen behielt ich eine weiße Weste. Er machte mich zu seinem Ideal, das er, wie ich fürchte, hauptsächlich nach dem Bilde seiner eigenen Liebe und Verehrung schuf; und es gab Zeiten, als ich nah am Abgrund der Hölle stand und mich hineingestürzt hätte, würde mich nicht der Gedanke an Oto’o davon abgehalten haben. Sein Stolz auf mich ging auf mich über, bis es schließlich eine der Hauptregeln meines persönlichen Ehrenkodexes wurde, nichts zu tun, was seine Achtung schmälern könnte.

Natürlich begriff ich seine Gefühle für mich nicht sofort. Er kritisierte nie, tadelte nie, aber langsam wurde mir klar, auf welchem Piedestal ich in seinen Augen stand, und langsam wuchs meine Einsicht, wie sehr ich ihn verletzen würde, wenn ich nicht mein Bestes gab.

Siebzehn Jahre lang waren wir zusammen; siebzehn Jahre lang war er an meiner Seite, wachte über meinen Schlaf, kurierte mein Fieber und meine Wunden, ja, empfing selbst Wunden im Kampf für mich. Er heuerte auf denselben Schiffen an wie ich, und zusammen überquerten wir den Pazifik von Hawaii bis zur Hafeneinfahrt von Sydney und von der Torres-Meerenge bis zu den Galapagos-Inseln. Als Sklavenhändler fuhren wir von den Neuen Hebriden und den Line-Inseln westwärts direkt durch das Louisiade-Archipel bis Neubritannien, Neu-Irland und Neuhannover. Dreimal erlitten wir Schiffbruch - bei den Gilbot-Inseln, den Santa-Cruz- und den Fidschi-Inseln. Und wir handelten, wo immer ein Dollar zu verdienen war, mit Perlen und Perlmutt, Kopra, Trepang, Karrettschildpatt und bargen gestrandete Wracks.

Es begann in Papeete, unmittelbar nach seiner Ankündigung, daß er mit mir über das ganze Meer und zu allen darin liegenden Inseln ziehen würde. In jenen Tagen gab es in Papeete einen Club, in dem sich Perlenaufkäufer, Händler und Kapitäne sowie allerlei Gesindel trafen, das in der Südsee auf Abenteuersuche war. Es wurde hoch gespielt und viel gezecht, und ich fürchte sehr, daß ich oft länger blieb, als mir gut tat oder als es sich schickte. Ganz gleich, zu welcher Uhrzeit auch immer ich den Club verließ - Oto’o wartete auf mich, um mich sicher nach Hause zu geleiten.

Anfangs lächelte ich darüber, danach schalt ich ihn aus. Schließlich sagte ich ihm geradeheraus, daß ich keine Amme brauche. Daraufhin sah ich ihn nicht mehr, wenn ich den Club verließ. Etwa eine Woche später kam ich ganz durch Zufall dahinter, daß er mich, versteckt im Schatten der Mangobäume auf der anderen Straßenseite, immer noch nach Hause begleitete. Was sollte ich tun? Ich weiß, was ich tat.

Unmerklich fing ich an, nicht mehr so lange zu bleiben. In regnerischen und stürmischen Nächten drängte sich mir mitten im ärgsten Trubel und Amüsement der Gedanke an Oto’o auf, der seine öde Wache unter tropfenden Mangobäumen hielt. Wirklich, er machte einen besseren Menschen aus mir. Dabei war er keineswegs puritanisch. Und er wußte nichts von den üblichen christlichen Moralvorstellungen. Alle Leute auf Bora Bora waren Christen, doch er war ein Heide, der einzige Ungläubige auf der Insel, ein derber Materialist, der nicht an ein Leben nach dem Tode glaubte. Er glaubte nur an Anständigkeit und Ehrlichkeit. Engstirnige Niedertracht war seiner Auffassung nach ein beinahe ebenso schlimmes Verbrechen wie mutwilliger Totschlag, und ich denke sogar, daß er vor einem Mörder mehr Achtung hatte als vor einem Mann, der üble kleine Betrügereien beging.

Was meine eigene Person betraf, so war er gegen alles, was mir schadete. Glücksspiel war in Ordnung. Er war selbst ein leidenschaftlicher Spieler. Aber langes Aufbleiben, erklärte er mir, sei schlecht für die Gesundheit. Er hatte gesehen, wie Männer, die nicht auf sich achtgaben, am Fieber starben. Er war kein Abstinenzler und sagte niemals nein zu einem tüchtigen Schluck, wenn es naß und klamm wurde bei der Bootsarbeit. Andererseits war er für Mäßigkeit beim Trinken. Er hatte viele Männer gesehen, die ihr Leben oder ihre Ehre durch Gin oder schottischen Whisky verloren hatten.

Oto’o lag mein Wohlergehen stets am Herzen. Er dachte für mich voraus, prüfte meine Pläne und interessierte sich mehr dafür, als ich es selbst tat. Anfangs war mir dieses Interesse an meinen Angelegenheiten noch nicht bewußt, und er mußte meine Absichten erraten, wie zum Beispiel in Papeete. Damals hatte ich vor, mich mit einem Landsmann bei einem Guanogeschäft zusammenzutun. Ich wußte nicht, daß er ein Spitzbube war. Auch kein anderer Weißer in Papeete wußte es. Ebensowenig Oto’o, aber als er sah, wie eng unsere Freundschaft wurde, fand er es für mich heraus, und zwar ohne daß ich ihn darum gebeten hätte. In Tahiti treiben sich am Strand eingeborene Seeleute herum, die auf allen Weltmeeren gefahren sind, und Oto’o, der bloß Verdacht geschöpft hatte, mischte sich unter sie, bis er genügend Beweise gesammelt hatte, die seine bösen Ahnungen bestätigten. Oh, er hatte einiges auf dem Kerbholz, dieser Randolph Waters. Ich konnte es gar nicht glauben, als Oto’o mir zum erstenmal davon erzählte; doch als ich mir Waters vorknöpfte, gab er ohne einen Mucks klein bei und verschwand mit dem ersten Dampfer nach Auckland.

Offen gesagt, nahm ich es Oto’o anfangs übel, daß er seine Nase in meine Angelegenheiten steckte. Aber ich wußte, daß er vollkommen selbstlos war, und bald schon mußte ich seine Klugheit und Umsicht dankbar anerkennen. Er hatte immer nur meinen Vorteil im Auge und war dabei sowohl scharfsichtig als auch weitblickend. Allmählich wurde er mein Berater, bis er schließlich von meinen Geschäften mehr verstand als ich.

Auch meine Belange lagen ihm schließlich mehr am Herzen als mir selbst. Ich besaß die großartige Unbekümmertheit der Jugend, ich zog ein romantisches Erlebnis den Dollars und ein Abenteuer einem bequemen Quartier für die Nacht vor. Deshalb war es gut, daß ich jemanden hatte, der auf mich aufpaßte. Ich weiß, daß ich ohne Oto’o heute nicht hier wäre.

Ich will nur ein Beispiel von vielen anführen. Ich besaß einige Erfahrung im Anwerben von Arbeitskräften, bevor ich als Perlenaufkäufer auf die Paumotu-Inseln ging. Oto’o und ich waren auf Samoa gestrandet - wir saßen buchstäblich auf dem Trockenen - als ich die Chance bekam, als Sklavenwerber an Bord einer Brigg zu gehen. Oto’o heuerte als Matrose an, und für das nächste halbe Dutzend Jahre trieben wir uns auf ebensovielen Schiffen in den wildesten Gegenden Melanesiens herum. Oto’o sorgte dafür, daß er stets in meinem Boot ruderte. Beim Anwerben von Arbeitern wurde der Werber gewöhnlich am Strand abgesetzt. Das Begleitboot zu meinem Schutz lag immer unter Riemen in etwa hundert Metern Entfernung vor der Küste, während das Boot des Werbers, ebenfalls unter Riemen, direkt vor dem Strand im Wasser trieb. Wenn ich mit meiner Tauschware landete und mein Steuerruder hochstellte, verließ Oto’o seinen Platz am Ruder und kam nach achtern, wo unter einem Stück Segeltuch eine schußbereite Winchesterbüchse lag. Auch die Bootsbesatzung war bewaffnet, die Snider-Gewehre steckten unter dem Dollbord hinter Segeltuchlappen. Während ich auf die wollköpfigen Kannibalen einredete und sie davon zu überzeugen versuchte, mit mir zu kommen, um sich auf den Plantagen von Queensland zu verdingen, hielt Oto’o Wache. Und oft genug warnte mich seine leise Stimme vor verdächtigen Bewegungen und drohendem Verrat. Manchmal war ein schneller Schuß aus seiner Büchse, der einen Neger umwarf, die erste Warnung, die ich erhielt. Und wenn ich zum Boot rannte, war seine Hand stets ausgestreckt, um mir beim Sprung an Bord zu helfen. Einmal, es war mit der Santa Anna, war das Boot gerade aufgelaufen, als der Ärger losging. Das Begleitboot kam uns in höchster Eile zu Hilfe, aber die Scharen von Wilden hätten uns fraglos vorher erledigt. Da sprang Oto’o mit einem Satz an Land, griff mit beiden Händen in die Tauschwaren und streute Tabak, Glasperlen, Tomahawks, Messer und Kattunstoffe nach allen Seiten aus.

Das war zuviel für die Wollköpfe. Während sie sich noch um die Schätze balgten, schoben wir das Boot in tieferes Wasser, kletterten an Bord und waren auch schon zehn Meter entfernt. Und vier Stunden später hatte ich am selben Strand dreißig Arbeiter geworben.

Ein Fall, an den ich mich besonders gut erinnere, ereignete sich auf Malaita, der wildesten Insel des östlichen Salomon-Archipels. Die Eingeborenen waren auffallend freundlich gewesen; und wie konnten wir auch wissen, daß das ganze Dorf bereits seit über zwei Jahren sammelte, um den Kopf eines weißen Mannes zu kaufen? Diese Kerle sind alle Kopfjäger, und der Kopf eines Weißen ist bei ihnen besonders begehrt. Der Bursche, der den Kopf erbeutete, würde die ganze Kollekte erhalten. Wie ich bereits sagte, sie machten einen sehr freundlichen Eindruck auf mich, und an diesem Tag war ich unten am Strand, fast hundert Meter vom Boot entfernt. Oto’o hatte mich gewarnt, und wie immer, wenn ich nicht auf ihn hörte, geriet ich in Schwierigkeiten.

Ehe ich wußte, wie mir geschah, schwirrte eine Wolke von Speeren aus dem Mangrovensumpf auf mich zu. Mindestens ein Dutzend blieb in mir stecken. Ich begann zu laufen, stolperte jedoch über einen Speer, der aus meiner Wade ragte, und fiel hin. Die Wollköpfe rannten um die Wette, jeder mit einem langstieligen, breitschneidigen Tomahawk bewaffnet, um mir damit den Kopf abzuhacken. Sie waren so gierig nach der Trophäe, daß sie sich gegenseitig ins Gehege kamen. In der Verwirrung entging ich mehreren Axthieben, indem ich mich im Sande nach rechts und nach links wälzte.

Und dann kam Oto’o - der Wehrhafte. Irgendwie war ihm eine schwere Schlachtkeule in die Hände gekommen, und das war im Nahkampf eine viel wirksamere Waffe als ein Gewehr. Er war mitten unter ihnen im dichtesten Gewühl, so daß sie ihre Speere gegen ihn nicht einsetzen konnten, und auch ihre Tomahawks schienen mehr als nutzlos zu sein. Er kämpfte für mich, und er wütete wie ein wahrer Berserker unter ihnen. Es war erstaunlich, wie er die Keule einzusetzen wußte. Ihre Schädel wurden zerquetscht wie überreife Orangen. Erst als er sie zurückgetrieben hatte, mich aufhob und zu laufen anfing, erhielt er seine ersten Blessuren. Er erreichte das Boot mit vier Speerwunden, griff nach seiner Winchester und traf mit jedem Schuß einen Mann. Dann ruderten wir zum Schoner zurück und ließen uns verarzten.

Siebzehn Jahre lang waren wir zusammen. Er machte mich zu dem, was ich heute bin. Ich wäre heute ein Frachtaufseher, ein Werber oder nur noch ein Name auf einem Grabstein, wenn es ihn nicht gegeben hätte.

»Du gibst dein Geld aus, und dann gehst du hin und verdienst wieder etwas«, sagte er eines Tages. »Jetzt ist es leicht, Geld zu verdienen. Doch wenn du in die Jahre kommst und bist dein Geld los, wirst du nicht mehr imstande sein, neues zu verdienen. Ich weiß Bescheid, Herr. Ich habe die weißen Männer beobachtet. An den Stränden gibt es viele Alte, die einmal jung waren und ebenso leicht Geld verdienen konnten. Jetzt sind sie alt, besitzen nichts und warten darauf, daß junge Männer wie du an Land kommen und ihnen ein paar Gläschen spendieren.

Der Schwarze arbeitet als Sklave auf den Plantagen. Er bekommt zwanzig Dollar im Jahr. Er schuftet dafür. Der Aufseher schuftet nicht. Er sitzt auf einem Pferd und sieht zu, wie sich die Schwarzen abrackern. Er bekommt zwölfhundert Dollar im Jahr. Ich bin ein Matrose auf dem Schoner. Ich verdiene fünfzehn Dollar im Monat, und das nur, weil ich ein guter Matrose bin. Ich arbeite schwer. Der Kapitän hat ein doppeltes Sonnensegel und trinkt Bier aus großen Flaschen. Ich habe ihn nie ein Tau einholen oder ein Ruder bedienen sehen. Er bekommt einhundertfünfzig Dollar im Monat. Ich bin ein Matrose. Er ist ein Schiffsführer. Herr, ich glaube, es wäre gut, wenn du lerntest, wie man ein Schiff steuert.«

Oto’o spornte mich an. Er segelte mit mir als zweiter Maat auf meinem ersten Schoner, und er war sehr viel stolzer auf mein Kommando als ich selbst. Später hieß es dann:

»Der Kapitän wird gut bezahlt, Herr, aber das Schiff ist ihm anvertraut, und er hat immer die ganze Verantwortung zu tragen. Der Eigentümer ist derjenige, der besser verdient - der Eigentümer, der an Land sitzt, viele Dienstboten hat und mit seinem Geld Geschäfte macht.«

»Das stimmt, aber ein Schoner kostet fünftausend Dollar -und selbst dafür bekommt man nur einen alten Kahn«, wandte ich ein. »Ich wäre ein Greis, bis ich fünftausend Dollar zusammen hätte.«

»Es gibt schnellere Wege für einen Weißen, um zu Geld zu kommen«, fuhr er fort und zeigte landwärts auf den von Kokospalmen gesäumten Strand.

Wir befanden uns damals auf den Salomon-Inseln und sammelten an der Ostküste von Guadalcanar eine Ladung Elfenbeinnüsse ein.

»Zwischen dieser Flußmündung und der nächsten sind es zwei Meilen«, sagte er. »Die Ebene reicht weit bis ins Landesinnere. Jetzt ist das alles nichts wert. Nächstes Jahr -wer weiß? - oder das Jahr darauf wird man viel Geld dafür zahlen. Der Ankerplatz ist gut. Große Dampfer können dicht unter Land anlegen. Du kannst das Gebiet auf vier Meilen Breite von dem alten Häuptling für zehntausend Streifen Tabak, zehn Flaschen Gin und ein Snider-Gewehr kaufen, was dich vielleicht hundert Dollar kostet. Dann läßt du die Sache von der Kolonialverwaltung absegnen; und nächstes Jahr oder das Jahr darauf verkaufst du und wirst Schiffseigentümer.«

Ich befolgte seinen Rat, und alles traf so ein, wie er es vorausgesagt hatte, wenn es auch nicht zwei, sondern drei Jahre dauerte. Und dann kam das Geschäft mit dem Weideland auf Guadalcanar - achthundert Hektar, gepachtet von der Regierung auf neunundneunzig Jahre und für eine lächerliche Summe. Ich besaß den Pachtvertrag genau neunzig Tage lang, bevor ich ihn für ein halbes Vermögen an ein Unternehmen weiterverkaufte. Immer war es Oto’o, der vorausschauend die günstige Gelegenheit erkannte. Er war es auch, der mich auf die Idee brachte, die Doncaster zu bergen - die ich auf der Auktion für hundert Pfund ersteigerte und die mir nach Abzug aller Unkosten einen Nettogewinn von dreitausend Pfund einbrachte. Er wies mich auch auf die Savaii-Plantage und das Geschäft mit dem Kakao auf Upolu hin.

Wir fuhren nicht mehr so oft zur See wie in den alten Tagen. Ich hatte es nicht mehr nötig. Ich heiratete, und mein Lebensstil wurde aufwendiger. Doch Oto’o blieb derselbe alte Oto’o, ging im Haus umher oder wanderte durch das Kontor, die Holzpfeife im Mund, ein Unterhemd für einen Schilling auf dem Leib und eine Lawa-Lawa für vier Schilling um die Lenden. Ich konnte ihn nicht dazu bringen, Geld für sich auszugeben. Und er akzeptierte keinen anderen Lohn als Liebe, und Gott ist mein Zeuge, daß er sie in reichem Maße von uns empfing. Die Kinder beteten ihn an; und wenn er zu verzärteln gewesen wäre, so hätte meine Frau ihn sicher völlig verdorben.

Die Kinder! Eigentlich war er es, der ihnen den Weg ins Leben zeigte. Es fing damit an, daß er ihnen das Laufen beibrachte. Er wachte bei ihnen, wenn sie krank waren. Eines nach dem anderen nahm er sie, kaum daß sie krabbeln konnten, mit zur Lagune hinunter und machte sie zu Amphibien. Er lehrte sie vieles, von dem ich keine Ahnung hatte, über die Lebensweise der Fische und die verschiedenen Möglichkeiten, sie zu fangen. Im Busch war es ebenso. Tom verstand mit sieben mehr von der Jagd, als ich mir je hätte träumen lassen. Mit sechs ging Mary über den Sliding Rock, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken - und ich habe gestandene Mannsbilder gesehen, die vor diesem Bravourstück zurückschreckten. Und Frank konnte, kaum daß er sechs geworden war, aus fünf Meter Tiefe Schillinge vom Meeresgrund heraufholen.

»Meine Leute auf Bora Bora mögen keine Heiden - sie sind alle Christen, und ich mag keine Bora-Bora-Christen«, sagte er eines Tages, als ich ihn dazu bringen wollte, etwas von dem Geld auszugeben, das ihm rechtmäßig gehörte, und ihn in dieser Absicht dazu zu überreden versuchte, seiner Heimatinsel auf einem unserer Schoner einen Besuch abzustatten. Es sollte eine besondere Reise werden, von der ich gehofft hatte, daß sie jeden Rekord brechen würde, zumindest was die Höhe der Ausgaben anging.

Ich sage, in einem unserer Schoner, obwohl sie nach dem Buchstaben des Gesetzes damals mir gehörten. Ich hatte alle Mühe mit ihm, bis er in eine Partnerschaft einwilligte.

»Wir sind Partner gewesen seit dem Tag, als die Petite Jeanne unterging«, sagte er schließlich, »aber wenn dein Herz daran hängt, dann wollen wir auch vor dem Gesetz Partner werden. Ich arbeite nicht und verbrauche doch viel Geld. Ich trinke, esse und rauche eine Menge - das kostet viel, ich weiß. Ich spiele umsonst Billard, weil ich an deinem Tisch spiele; aber das Geld rinnt einem doch durch die Finger. Das Fischen auf dem Riff ist ein Vergnügen, das sich nur ein reicher Mann leisten kann. Unglaublich, wie teuer Haken und Angelschnüre sind. Ja, es geht kein Weg daran vorbei, daß wir ganz gesetzmäßig Partner werden. Ich brauche das Geld einfach. Ich werde es mir von dem Hauptkassierer im Kontor geben lassen.«

Also wurde der Vertrag aufgesetzt und beurkundet. Ein Jahr darauf sah ich mich gezwungen, Klage zu führen.

»Charley«, sagte ich, »du bist ein hinterhältiger alter Schwindler, ein elender Geizhals, eine erbärmliche Landkrabbe. Sieh’ mal, dein Gewinnanteil betrug Tausende von Dollars in diesem Jahr. Der Hauptbuchhalter hat mir diese Unterlagen gegeben. Daraus geht hervor, daß du in diesem Jahr nur siebenundachtzig Dollar und 20 Cent in Anspruch genommen hast.«

»Steht mir noch etwas zu?« fragte er irritiert.

»Ich sage dir doch, Tausende und Abertausende«, entgegnete ich.

Seine Miene hellte sich auf, als sei er ungeheuer erleichtert.

»Das ist gut«, sagte er. »Sieh zu, daß der Kassierer ordentlich darüber Buch führt. Wenn ich es brauche, dann will ich es auch haben, und es darf kein Cent fehlen.«

»Falls etwas fehlt«, fügte er nach einer Pause grimmig hinzu, »dann muß es dem Kassierer vom Gehalt abgezogen werden.«

Und die ganze Zeit über lag, wie ich später erfuhr, sein von Carruthers aufgesetztes Testament, das mich zum alleinigen Erben machte, im Safe des amerikanischen Konsuls.

Doch wie jede Verbindung zwischen zwei Menschen einmal abbricht, so fand auch diese ihr Ende. Es geschah in den Salomonen, wo wir in unserer wildbewegten Jugend die tollsten Dinge angestellt hatten und wo wir uns wieder einmal aufhielten - in der Hauptsache, um Ferien zu machen, nebenbei, um nach unseren Besitzungen auf Florida Island zu sehen und die Möglichkeiten für die Perlenfischerei im Mboli-Sund zu prüfen. Wir lagen vor Sawo, das wir angelaufen hatten, um ein paar Sammlerstücke zu erstehen.

Nun wimmelt Sawo von Haien. Der Brauch der Wollköpfe, ihre Toten im Meer zu bestatten, schreckte die Tiere nicht gerade davon ab, sich die umliegenden Gewässer zu ihrem Tummelplatz zu wählen. Das Schicksal wollte es, daß ich in einem winzigen, überladenen Eingeborenenkanu zurück zu unserem Schiff fuhr, als das Ding kenterte. Vier Wollköpfe und ich saßen darin, oder besser, hingen daran. Der Schoner war noch etwa hundert Meter entfernt. Ich wollte gerade ein Boot herbeirufen, als einer der Wollköpfe zu schreien begann. Er hielt sich am hinteren Ende des Kanus fest, als beide, er und dieser Teil des Rumpfes, mehrmals unter Wasser gezogen wurden. Dann lockerte er seinen Griff und verschwand. Ein Hai hatte ihn erwischt.

Die drei übrigen Schwarzen versuchten aus dem Wasser auf die Unterseite des Kanus zu klettern. Ich schrie und fluchte und schlug auf den ersten mit der Faust ein, aber es half nichts. Sie waren verrückt vor Angst. Das Kanu hätte kaum einen von ihnen getragen. Unter dem Gewicht von allen dreien richtete es sich hochkant auf und rollte auf die Seite, so daß sie ins Wasser zurückgeworfen wurden.

Ich ließ das Gefährt im Stich und begann, auf den Schoner zuzuschwimmen, in der Erwartung, schon vorher von dem Boot aufgenommen zu werden. Einer der Neger entschied sich mitzukommen, und wir schwammen schweigend nebeneinander her. Ab und zu tauchten wir unser Gesicht ins Wasser, um nach Haien Ausschau zu halten. Die Schreie des Mannes, der beim Kanu geblieben war, zeigten uns an, wer das nächste Opfer wurde. Ich spähte gerade aus, als ich einen großen Hai direkt unter mir aufsteigen sah. Er war volle fünf Meter lang. Ich sah alles ganz genau. Er packte den Wollkopf an der Taille und schwamm mit dem armen Teufel davon.

Kopf, Schultern und Arme ragten dabei noch eine ganze Zeit aus dem Wasser, und der Kerl schrie wie am Spieß. So wurde er vielleicht noch hundert Meter weit fortgeschleppt, bis er endgültig unter die Wasseroberfläche gezerrt wurde.

Ich schwamm verbissen weiter und hoffte, daß dies der letzte beutegierige Hai gewesen war. Doch da war noch einer. Ich weiß nicht, ob es einer der beiden war, die beim Kanu zugepackt hatten, oder einer, der bereits anderswo gut gespeist hatte. Jedenfalls hatte er es nicht so eilig wie die anderen. Ich konnte jetzt nicht so schnell schwimmen, denn ich war die meiste Zeit damit beschäftigt, ihn im Auge zu behalten. Ich beobachtete ihn, als er zum ersten Mal angriff. Zum Glück gelang es mir, ihn mit beiden Händen an der Nase zu packen, und obwohl mich die Wucht seines Stoßes fast unter Wasser drückte, konnte ich ihn mir doch vom Leib halten. Er drehte ab und begann, mich erneut zu umkreisen. Ein zweites Mal entwischte ich ihm durch das gleiche Manöver. Der dritte Ansturm ging auf beiden Seiten daneben. Er wich in dem Moment aus, als meine Hand auf seiner Nase hätte landen sollen, aber seine Sandpapierhaut (ich trug nur ein ärmelloses Unterhemd) schabte mir an einem Arm die Haut vom Ellenbogen bis zur Schulter ab. Inzwischen war ich völlig erschöpft und gab die Hoffnung auf. Die Entfernung zum Schoner betrug immer noch sechzig Meter. Mein Gesicht war unter Wasser, und ich beobachtete, wie er zu einem erneuten Versuch ansetzte, als ich plötzlich einen braunen Körper zwischen uns vorbeigleiten sah. Es war Oto’o.

»Schwimm zum Schoner, Herr!« sagte er. Und er sagte das so frohgemut, als sei die ganze Sache ein Kinderspiel. »Ich kenne mich aus mit Haien. Der Hai ist mein Bruder.«

Ich gehorchte und schwamm langsam weiter, während Oto’o mich umkreiste, so daß er sich immer zwischen mir und dem Hai befand, dabei seine Angriffe vereitelte und mir Mut zusprach.

»Das Davittakel ist abgelassen, und nun machen sie die Taljen klar«, erklärte er etwa eine Minute später und tauchte dann unter, um eine neue Attacke abzuwehren.

Als der Schoner noch zehn Meter entfernt war, war ich endgültig erledigt. Ich konnte mich kaum noch bewegen. Von Bord flogen uns Leinen zu, aber sie warfen immer zu kurz. Der Hai, der nun merkte, daß ihm nichts geschah, wurde zusehends dreister. Mehrere Male hätte er mich beinahe erwischt, doch Oto’o kam jedesmal gerade noch rechtzeitig dazwischen, bevor es zu spät war. Natürlich hätte sich Oto’o jederzeit in Sicherheit bringen können, aber er blieb bei mir.

»Leb wohl, Charley! Mit mir ist es aus!« konnte ich gerade noch hervorstoßen.

Ich wußte, daß das Ende gekommen war und daß ich im nächsten Augenblick die Hände hochwerfen und untergehen würde.

Doch Oto’o lachte mir ins Gesicht und sagte:

»Ich werde dir einen neuen Trick zeigen. Diesem Hai soll es noch übel werden.«

Er tauchte hinter mir ab, wo der Hai sich gerade anschickte, auf mich loszugehen.

»Etwas mehr nach links!« rief er mir dann zu. »Da schwimmt eine Leine auf dem Wasser. Nach links, Herr - nach links!«

Ich änderte die Richtung und schwamm blind drauflos. Ich war zu diesem Zeitpunkt nahezu bewußtlos. Als meine Hand sich um die Leine schloß, hörte ich einen Aufschrei von Bord. Ich drehte mich suchend um. Von Oto’o keine Spur. Im nächsten Moment kam er an die Oberfläche. Beide Hände waren an den Gelenken abgebissen, und aus den Stümpfen pumpte das Blut.

»Oto’o!« rief er sanft. Und ich konnte in seinem Blick die Liebe sehen, die auch in seiner Stimme mitschwang.

Damals, und nur damals, ganz am Ende all unserer gemeinsamen Jahre, nannte er mich bei diesem Namen.

»Leb wohl, Oto’o!« rief er.

Dann wurde er nach unten gezogen, und mich hievte man an Bord, wo ich in den Armen des Kapitäns das Bewußtsein verlor.

Und so starb Oto’o, dem ich mein Leben verdankte, der mich zum Mann gemacht hatte und der mir zum Schluß erneut das Leben rettete. Wir begegneten uns im Rachen eines Orkans und wurden im Rachen eines Hais voneinander getrennt. Dazwischen lagen siebzehn Jahre einer Kameradschaft, von der ich behaupten darf, daß sie zwei Männer, von denen der eine braun und der andere weiß war, so noch nie erfahren haben. Wenn Jehova auf seinem Himmelsthron über jeden Sperling wacht, der vom Dach fällt, dann wird Oto’o, der einzige Heide von Bora Bora, nicht der Geringste in seinem Reich sein.

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