AUF DER MAKALOA-MATTE

Im Gegensatz zu den Frauen der meisten südländischen Rassen altern die Hawaiianerinnen langsam und bewahren ihre Schönheit. Ein sachkundiger Beobachter würde die Frau, die unter dem Hau-Baum saß, überall auf der Welt auf etwa fünfzig geschätzt haben. Nur auf Hawaii gelten auch ohne Schminke und Angst vor Altersspuren andere Gesetze. Die Kinder und Enkel sowie Roscoe Scandwell, der seit vierzig Jahren ihr Ehemann war, wußten natürlich, daß sie vierundsechzig war und am zweiundzwanzigsten Juni dieses Jahres fünfundsechzig werden würde. Doch man sah es ihr nicht an, auch wenn sie zum Lesen ihrer Zeitschrift eine Brille aufsetzte und sie wieder abnahm, sobald sie ihren Blick zu dem halben Dutzend Kinder, die auf dem Rasen spielten, hinüberwandern lassen wollte.

Es war ein prächtiger Ort - prächtig wie der uralte HauBaum, der so groß wie ein Haus war und unter dessen schattigem Blätterdach es sich auch so angenehm wie in einem Haus sitzen ließ, prächtig wie der Rasen, dessen grünsamtene Fläche, die einen Schätzwert von sechshundert Dollar pro Frontmeter hatte, sich landeinwärts bis zu einem ebenso ansehnlichen, prächtigen und stattlichen Bungalow erstreckte. Zum Strande zu sah man durch einen Saum von dreißig Meter hohen Kokospalmen den Ozean schimmern, jenseits des Riffs in einem tiefen Blau, das zum Horizont hin ins Indigo wechselte, in der Lagune aber die ganze zarte Farbskala von Jade über Smaragd bis zum Turmalin widerspiegelte.

Und dies war nur eines von dem halben Dutzend Häusern, das Martha Scandwell gehörte. Ihr nur wenige Meilen von Honolulu entfernt am Nuuanu Drive gelegenes Stadthaus war ein Palast. Eine Unzahl von Gästen hatte die Behaglichkeit und die fröhliche Atmosphäre ihres Berghauses auf dem Tantalus, ihres Vulkanhauses, ihres Mauka- (an der Bergseite gelegenen) Hauses und ihres Mauki- (zum Meer hin gelegenen) Hauses auf der großen Insel Hawaii kennengelernt. Doch dieses Haus in Waikiki stand den anderen an Schönheit, an Stattlichkeit und an Kosten für die Instandhaltung in nichts nach. Zwei japanische Gartenarbeiter schnitten den Hibiskus zurück, ein dritter hantierte fachmännisch an der Cereushecke, die schon bald ihre geheimnisvolle nächtliche Blütenpracht entfalten sollte. Ein japanischer Hausdiener in makellosen weißen Hosen trug den Tee auf, gefolgt von einem japanischen Dienstmädchen, das so hübsch und so leicht und rastlos wie ein Schmetterling in der typischen Kleidung seiner Heimat der Herrin aufwartete. Ein zweites japanisches Mädchen mit einer stattlichen Anzahl von Frottiertüchern auf dem Arm überquerte rechterhand den Rasen und ging auf die Badehäuser zu, vor denen gerade die ersten Kinder in Badeanzügen erschienen. Dahinter, unter den Palmen am Strand, kümmerten sich zwei chinesische Kindermädchen in der hübschen heimatlichen Tracht aus weißen Yeeshons und geradegeschnittenen Hosen, mit schwarzen, am Rücken herunterbaumelnden Zöpfen um die beiden Säuglinge in ihren Kinderwagen.

Und sie alle - Diener, Kindermädchen und Enkelkinder -gehörten zu Martha Scandwell. Auch ihre Hautfarbe fand sich bei ihren Enkelkindern wieder - diese unverkennbare Tönung, die nur die Sonne Hawaiis zustande bringt. Zu einem Achtel und einem Sechzehntel waren sie Hawaiianer, das hieß, daß sieben Achtel und fünfzehn Sechzehntel weißes Blut unter dieser Haut floß und es doch nicht fertigbrachte, den winzigen Rest von Polynesiens dunklem Goldschimmer ganz zu tilgen. Aber auch hier hätte nur ein geübter Beobachter erkennen können, daß diese vergnügt umhertollenden Kinder sich irgendwie von reinblütigen Weißen unterschieden. Roscoe Scandwell, der Großvater, war ganz weiß, Martha war es zu drei Vierteln, ihre vielen Söhne und Töchter zu sieben Achteln. Die Enkel waren bereits zu fünfzehn Sechzehntel weiß oder, in den Fällen, in denen ihre Sieben-Achtel-Väter und -Mütter wiederum Sieben-Achtel-Weiße geheiratet hatten, waren sie zu vierzehn Sechzehntel oder sieben Achteln weiß. In beiden Fällen war die Ahnenreihe makellos, Roscoe stammte in gerader Linie von den Puritanern Neuenglands, Martha in ebenso direkter Linie von den königlichen Herrscherfamilien Hawaiis ab, deren Genealogien schon mehr als tausend Jahre vor Einführung der Schrift in Meles besungen worden waren.

In der Ferne hielt ein Auto an und ließ eine Frau aussteigen, deren Alter man auf höchstens sechzig geschätzt hätte, und die so leichtfüßig wie eine jugendliche Vierzigerin über den Rasen schritt, in Wahrheit aber achtundsechzig Jahre alt war. Martha erhob sich, um sie auf die herzliche hawaiische Art mit Umarmungen, Küssen auf den Mund, mit beredtem Gesicht und nicht minder beredtem Körper voll aufrichtiger Freude und echtem Gefühlsüberschwang zu begrüßen. Und »Schwester Bella« und »Schwester Martha« ging es hin und her, dazwischen unzusammenhängende Fragen nach dem gegenseitigen Wohlergehen, nach diesen und jenen Onkeln, Brüdern und Tanten, bis sie, kaum daß sich die erste Wiedersehensfreude gelegt hatte, mit vor Zärtlichkeit feuchten Augen dasaßen und sich über ihre Teetassen hinweg anblickten. Offenbar hatten sie sich jahrelang nicht gesehen und in die Arme geschlossen. Tatsächlich lag ihre letzte Begegnung erst zwei Monate zurück. Und die eine war vierundsechzig, die andere achtundsechzig Jahre alt. Aber dieses vollkommene Einvernehmen kam daher, daß in beiden zu einem Viertel das sonnenwarme, liebeswarme Herz von Hawaii schlug.

Die Kinder umdrängten Tante Bella wie eine steigende Flut und wurden ausgiebig umarmt und abgeküßt, ehe sie mit ihren Kindermädchen wieder zum Badestrand gingen.

»Ich habe mir gedacht, ich sollte wieder einmal für ein paar Tage an den Strand fahren, nachdem die Passatwinde aufgehört haben«, erklärte Martha.

»Du bist doch schon seit zwei Wochen hier«, lächelte Bella ihre jüngere Schwester liebevoll an. »Bruder Edward hat es mir erzählt. Ich traf ihn auf dem Dampfer, und er bestand darauf, daß ich mitkomme, um Louise und Dorothy und sein erstes Enkelkind in Augenschein zu nehmen. Er ist seinetwegen ganz aus dem Häuschen.«

»Du meine Güte!« rief Martha. »Zwei Wochen! Ich hätte nicht gedacht, daß es schon so lange her ist.«

»Wo ist Annie? - und Margaret?« fragte Bella.

Martha zuckte die fleischigen Schultern zum Zeichen umfassender Nachsicht und Zuneigung für ihre Töchter, diese umtriebigen Rabenmütter, die ihre Kinder den Nachmittag über der Obhut der Großmutter anvertraut hatten.

»Margaret ist bei einer Versammlung des Naturkreises - sie wollen die ganze Kalakaua-Avenue entlang auf beiden Seiten Bäume und Hibiskusbüsche pflanzen«, sagte sie. »Und Annie fährt ihre achtzig Dollar teuren Reifen ab, um fünfundsiebzig Dollar für das britische Rote Kreuz zusammenzubekommen -heute ist nämlich ihr Sammeltag, weißt du.«

»Roscoe muß sehr stolz sein«, sagte Bella und bemerkte das helle und triumphierende Aufleuchten in den Augen ihrer Schwester. »Ich erhielt in San Francisco die Nachricht von der ersten Gewinnausschüttung bei Ho-o-la-a. Erinnerst du dich, als die Aktien noch bei fünfundsiebzig Cents standen und ich tausend Dollar für die Kinder der armen Abbie zeichnete und sagte, daß ich verkaufen würde, wenn sie auf zehn Dollar gestiegen seien?«

»Und alle lachten dich und jeden anderen aus, der Aktien zeichnete«, nickte Martha. »Aber Roscoe wußte schon, was er tat. Heute stehen sie auf vierundzwanzig.«

»Ich habe meine vom Dampfer aus über Funk verkauft - bei runden zwanzig«, fuhr Bella fort. »Und jetzt ist Abbie dabei, wie wild Kleider zu nähen. Sie fährt mit Mary und Tootsie nach Paris.«

»Und Carl?« erkundigte sich Martha.

»Oh, er wird in Yale seinen Abschluß machen - «

»Was er ohnehin durchgezogen hätte, und das weißt du auch«, wies Martha sie zurecht und verfiel dabei auf reizende Weise in den Jargon des zwanzigsten Jahrhunderts.

Bella gestand schuldbewußt ein, daß sie für den Sohn ihrer Schulfreundin das Studium hatte bezahlen wollen, und fügte zufrieden hinzu:

»Und trotzdem war es besser, die Ho-o-la-a dafür aufkommen zu lassen. Eigentlich ist es ja Roscoe, der es bezahlt, denn auf seinen Rat hin habe ich das Geld dort angelegt.« Sie ließ den Blick langsam umherschweifen; ihre Augen nahmen dabei nicht nur die Schönheit, die Behaglichkeit und Ruhe all der Dinge wahr, auf die sie sich richteten, sondern gleichzeitig auch die unermeßliche Schönheit, Behaglichkeit und Ruhe alles dessen, was diese Dinge, die in solchen Oasen über das ganze Archipel verstreut waren, verkörperten. Sie seufzte zufrieden und meinte: »Alle unsere Ehemänner haben uns durch das, was wir mit in die Ehe gebracht haben, zu Wohlstand verholfen.«

»Und zu Glück.«, stimmte Martha ihr bei, brach dann aber mit verdächtiger Plötzlichkeit ab.

»Und zu Glück, uns allen, mit Ausnahme von Schwester Bella«, führte Bella - ganz ohne Vorwurf - den Gedanken für sie zu Ende.

»Diese Heirat war wirklich ein Mißgriff«, murmelte Martha voll zärtlichen Mitgefühls. »Du warst noch so jung. Onkel Robert hätte dich nie zu dieser Ehe drängen sollen.«

»Ich war erst neunzehn«, nickte Bella. »Aber es war nicht George Castners Schuld. Und sieh nur, was er, noch aus seinem Grab heraus, für mich getan hat. Onkel Robert war klug. Er wußte, daß George Weitblick, Energie und Beständigkeit besaß. Er sah schon damals, und das war vor fünfzig Jahren, den Wert der Wasserrechte von Nahala, denen damals niemand Bedeutung beimaß. Sie dachten, er arbeite darauf hin, Weideland zu kaufen, während er dabei die Zukunft, die im Wasser lag, im Auge hatte - und wie erfolgreich er damit war, weißt du ja. Manchmal schäme ich mich fast, wenn ich an mein Einkommen denke. Nein, was man auch immer anführen mag, es lag nicht an George, daß unsere Ehe unglücklich war. Ich weiß, daß ich glücklich mit ihm hätte leben können, bis auf den heutigen Tag, wenn er am Leben geblieben wäre.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, es war weder seine Schuld noch die eines anderen. Nicht einmal meine. Wenn überhaupt jemanden eine Schuld trifft«, das wehmütige Lächeln nahm ihrer Anklage die Spitze, »dann Onkel John.«

»Onkel John!« rief Martha erstaunt aus. »Wenn es schon einer von den beiden sein soll, dann hätte ich gesagt, Onkel Robert. Aber Onkel John!«

Bella lächelte mit nachsichtiger Gewißheit.

»Aber es war doch Onkel Robert, der dich mit George Castner verheiratet hat«, warf ihre Schwester ein.

»Das ist schon wahr«, nickte Bella bestätigend. »Aber es ging nicht um einen Ehemann, sondern um ein Pferd. Ich wollte mir von Onkel John ein Pferd leihen, und Onkel John sagte ja. So ist alles gekommen.«

Eine rätselhafte Stille sank plötzlich herab, und während die Stimmen der Kinder und die sanften Ermahnungen der asiatischen Dienstmädchen vom Strand näherkamen, bebte Martha innerlich vor Erregung, als sie einen unerwarteten Wagemut in sich aufsteigen fühlte. Sie winkte die Kinder fort.

»Lauft weiter, meine kleinen Lieblinge, lauft weiter. Großmama und Tante Bella möchten sich unterhalten.«

Und während der süße, helle Klang der Kinderstimmen langsam über dem Rasen verebbte, betrachtete Martha mit der Scharfsicht des Herzens die Spuren der Trauer, die das geheime Leid ein halbes Jahrhundert lang in das Gesicht ihrer Schwester eingegraben hatte. Seit fast fünfzig Jahren kannte sie diese Linien. Sie überwand all die rührende Sanftmut der Hawaiianerin in sich, um das Schweigen eines halben Jahrhunderts zu brechen.

»Bella«, sagte sie. »Wir wußten nie etwas. Du hast ja nicht darüber gesprochen. Aber wir haben uns oft Gedanken gemacht, ach, so oft - «

»Und habt nie gefragt«, murmelte Bella dankbar.

»Aber jetzt endlich frage ich dich. Unser Lebensabend ist angebrochen. Hör sie dir an! Manchmal erschrecke ich fast bei dem Gedanken, daß es Enkelkinder sind, meine Enkel - ich, die erst gestern noch, so scheint es, das ungebundenste, freieste und sorgloseste Mädchen war, das je auf einem Pferd gesessen hat, in den hohen Brandungswellen schwamm, bei Ebbe Opihis sammelte oder ein Dutzend Verehrer auslachte. Und jetzt, wo unser Tag sich neigt, laß uns alles vergessen, außer daß ich deine liebe Schwester bin, so wie du die meine bist.«

Beide hatten feuchte Augen. Bella zitterte offensichtlich vor der Aussprache.

»Wir dachten, es läge an George Castner«, fuhr Martha fort, »und wir glaubten, die Einzelheiten zu erraten. Er war kühl. Und du warst eine warmherzige Hawaiianerin. Er muß grausam gewesen sein. Bruder Walcott behauptete stets, er müsse dich geschlagen haben - «

»Nein! Nein!« unterbrach Bella sie. »George Castner war nie brutal, nie roh. Oft hätte ich es mir fast gewünscht. Aber er hat mich nie angerührt, nie die Hand gegen mich erhoben.

Niemals - ach, kannst du das glauben? - bitte, Schwester, glaub’ es mir - nie ist ein heftiges, ein böses Wort zwischen uns gefallen. Aber sein Haus, unser Haus in Nahala war grau. Grau war seine einzige Farbe, und kühl und frostig blieb es, während ich von all den Farben der Sonne, der Erde, des Blutes und meiner Herkunft durchdrungen war. Es war sehr kalt in Nahala, grau und kalt, mit diesem kalten, grauen Menschen, meinem Ehemann. - Du weißt, daß er grau war, Martha. Grau wie diese Porträts von Emerson, die immer in der Schule hingen. Seine Haut war grau. Die Sonne und das Wetter und all die Stunden, die er im Sattel verbrachte, konnten sie nicht bräunen. Und innen war er ebenso grau wie außen.

Und ich war erst neunzehn, als Onkel Robert die Heirat beschloß. Was verstand ich schon davon? Onkel Robert sprach mit mir. Er zeigte mir, wie der Reichtum und der Landbesitz auf Hawaii bereits in die Hände der Haoles, der Weißen, überzugehen begann.

Die hawaiischen Häuptlinge ließen es zu, daß ihnen ihr Eigentum entglitt. Die Besitzungen der hawaiischen Prinzessinnen hingegen, die Haoles geheiratet hatten, vermehrten sich unter der Verwaltung ihrer weißen Ehemänner aufs wunderbarste. Er verwies auf unseren Großvater Robert Wilton, der die armseligen im Inselinneren gelegenen Mauka-Ländereien unserer Großmutter übernommen, dazugekauft und schließlich um diesen Besitz herum die Kilohana-Ranch aufgebaut hatte - «

»Selbst damals schon kam sie gleich an zweiter Stelle hinter der Parker-Ranch«, unterbrach Martha sie stolz.

»Und dann sagte er mir, wenn unser Vater vor seinem Tode so vorausschauend wie Großvater gewesen wäre, dann wäre die Hälfte von dem damaligen Parker-Besitz zu Kilohana gekommen, und Kilohana hätte dadurch an erster Stelle gestanden. Und er sagte, daß Rindfleisch niemals mehr, bis in alle Ewigkeit, billiger sein würde. Und er sagte auch, daß die Zukunft Hawaiis im Zucker läge. Das war vor fünfzig Jahren, und es hat sich mehr als bewahrheitet. Und er sagte, daß der junge Haole George Castner es in seiner vorausschauenden Art weit bringen würde und daß wir viele Mädchen wären in der Familie, daß die Ländereien von Kilohana dem Gesetz nach auf die Söhne übergehen müßten und daß meine Zukunft, wenn ich George heiratete, aufs beste gesichert wäre.

Ich war erst neunzehn. Gerade zurück von der Königlichen Schule - das war, bevor unsere Mädchen zur Ausbildung in die Staaten geschickt wurden. Du warst eine der ersten, Schwester Martha, die ihre Erziehung auf dem Festland erhielten. Und was wußte ich schon von Liebe und Geliebten oder gar von Ehe? Alle Frauen heirateten. Das war ihre Bestimmung im Leben. Mutter und Großmutter und alle, die vor ihnen waren, hatten geheiratet. Es war meine Aufgabe im Leben, George Castner zu heiraten. So sprach Onkel Robert in seiner Weisheit, und ich wußte, daß er sehr weise war. Und ich ging, um mit meinem Ehemann in dem grauen Haus auf Nahala zu leben.

Du erinnerst dich doch daran. Keine Bäume, nur endloses Weideland, dahinter die hohen Berge, darunter nur Meer und Wind! Der Wind von Waimea und der Wind von Nahala - uns erreichten beide, und der Wind von Kona. Doch sie hätten mich ebensowenig gestört, wie sie uns auf Kilohana störten oder den Bewohnern von Mana etwas ausmachten, wäre Nahala selbst nicht so grau gewesen und wäre mein Mann George nicht so grau gewesen. Wir waren allein. Er verwaltete Nahala für die Glenns, die nach Schottland zurückgekehrt waren. Er verdiente achtzehnhundert jährlich, dazu Fleisch, Reitpferde, Anspruch auf Arbeitskräfte und das Ranchhaus - «

»Das war ein hohes Gehalt in jenen Tagen«, sagte Martha.

»Und für George Castner und das, was er leistete, war es sehr wenig«, verteidigte Bella ihn. »Ich lebte drei Jahre lang mit ihm zusammen. Es gab keinen Morgen, wo er nach halb fünf noch im Bett war. Er opferte sich für seinen Arbeitgeber auf. Ehrlich bis auf den letzten Pfennig in seinen Abrechnungen, widmete er ihm seine ganze Zeit und Energie. Vielleicht hat das auch dazu beigetragen, daß unser Leben so grau war. Aber hör zu, Martha. Von seinen achtzehnhundert legte er jedes Jahr sechzehnhundert auf die Seite. Überleg’ dir! Wir beide lebten von zweihundert im Jahr. Glücklicherweise trank er nicht und rauchte nicht. Von diesem Geld haben wir uns auch gekleidet. Ich nähte mir meine Kleider selbst. Du kannst dir vorstellen, wie sie aussahen. Außer dem Feuerholz, das die Cowboys hackten, machte ich die ganze Hausarbeit. Ich kochte und buk und schrubbte - «

»Du, die du seit deiner Geburt nur von Dienern umgeben warst!« sagte Martha mitleidig. »Auf Kilohana war immer ein ganzes Regiment davon!«

»Ach, aber das Schlimmste war diese armselige, nackte, bedrückende Knausrigkeit!« rief Bella aus. »Wie sehr mußte ich ein Pfund Kaffee strecken! Ein Besen mußte völlig abgenützt sein, bevor ein neuer angeschafft wurde! Und dieses Rindfleisch! Luftgetrocknetes und gepökeltes Rindfleisch, morgens, mittags und abends! Und Haferbrei! Seither habe ich nie mehr Haferbrei oder ähnliches gegessen.«

Sie stand plötzlich auf, entfernte sich einige Schritte und starrte einen Moment lang mit leerem Blick auf das farbenprächtige Riff, um ihre Fassung wiederzugewinnen. Dann kehrte sie zu ihrem Sitzplatz zurück, aufrecht und den edlen Kopf erhoben, in der wundervollen, sicheren und anmutigen Haltung, die der Hawaiianerin auch die Vermischung mit anderen Rassen nicht zu rauben vermag. Sehr haole wirkte Bella Castner, hellhäutig und zartgliedrig. Und doch, als sie jetzt - hocherhobenen Hauptes, die länglichen braunen Augen mit den ebenmäßigen Lidern von königlichen Brauenbogen überwölbt und mit den sanftgeschwungenen Linien ihres kleinen Mundes, der noch heute, mit achtundsechzig Jahren von der Süße seiner Küsse kündete - angeschritten kam, verkörperte sie in allem das Abbild einer Königin des alten Hawaii, das trotz des vielen Haole-Blutes durchbrach. Sie war größer als ihre Schwester Martha und, womöglich, sogar noch stattlicher.

»Wir waren für unser karges Essen berüchtigt, weißt du!« Bella lachte auf. »Es waren viele Meilen von Nahala bis zur nächsten Behausung. Reisende, die sich verspätet hatten oder vom Sturm überrascht wurden, übernachteten gelegentlich bei uns. Und du weißt, welche Verschwendung damals auf den großen Ranches getrieben wurde und noch immer wird. Wir wurden zur Zielscheibe des Gespöttes! >Was kümmert uns das!< pflegte George zu sagen. >Sie leben heute und jetzt. In zwanzig Jahren sind wir an der Reihe, Bella. Sie werden immer noch da sein, wo sie jetzt sind, und sie werden uns aus der Hand fressen. Wir werden sie durchfüttern müssen, weil sie es dann selbst nicht mehr können, und wir werden sie gut ernähren; denn wir werden reich sein, Bella, so reich, daß ich Angst habe, es dir zu verraten. Aber ich weiß, was ich weiß, und du mußt mir vertrauen.<

George hatte recht. Zwanzig Jahre später hatte ich ein Einkommen von tausend Dollar monatlich, wenn er es auch nicht mehr erleben durfte. Du meine Güte! Ich weiß gar nicht, wie hoch es heute ist. Aber ich war erst neunzehn, und ich sagte immer zu George: Jetzt! Jetzt! Wir leben jetzt. In zwanzig Jahren sind wir vielleicht gar nicht mehr da. Und ich möchte einen neuen Besen. Und es gibt einen drittklassigen Kaffee, der nur zwei Cent das Pfund mehr kostet als dieses furchtbare Zeug, das wir jetzt trinken. Warum kann ich nicht jetzt Eier in Butter braten? Ich hätte so gern ein neues Tischtuch. Unsere Bettwäsche! Ich schäme mich, einen Gast zwischen diesen Laken übernachten zu lassen, wenn auch, weiß Gott, selten genug einer zu kommen wagt.<

>Hab nur Geduld<, pflegte er zu antworten. >Bald, in wenigen Jahren nur, werden diejenigen, die es jetzt verschmähen, an unserem Tisch zu sitzen oder in unseren Betten zu schlafen, stolz auf eine Einladung sein - soweit sie nicht gestorben sind. Erinnerst du dich, wie es Stevens letztes Jahr ergangen ist - er führte ein leichtes und freies Leben, war jedermanns Freund, nur sein eigener nicht. Die Leute auf Kohala mußten für sein Begräbnis aufkommen, denn er hinterließ nichts als Schulden. Achte einmal auf die anderen, die dasselbe Leben führen. Da ist dein Bruder Hal. Wenn er so weitermacht, lebt er keine fünf Jahre mehr, und seinen Onkeln bricht er schon jetzt das Herz. Oder Prinz Lilolilo. Stürmt an mir vorbei mit einem halben Hundert berittener, gutgebauter, lärmender Kanaken in seinem Gefolge, die besser daran täten, tüchtig zu arbeiten und an ihre Zukunft zu denken, denn er wird nie König von Hawaii werden. Er wird es nicht erleben.<

George hatte recht. Bruder Hal starb. Prinz Lilolilo ebenfalls. Aber ganz recht hatte George doch nicht. Er, der nie trank und rauchte, der keine Energie für eine Umarmung verschwendete, seine Lippen nur zu den flüchtigsten Küssen benutzte, der ausnahmslos vor dem ersten Hahnenschrei auf war und schlief, ehe die Petroleumlampe auch nur ein Zehntel heruntergebrannt war, und der nie ans Sterben gedacht hatte, war noch früher tot als Bruder Hal und Prinz Lilolilo.

>Hab Geduld, Bella<, pflegte Onkel Robert zu mir zu sagen. >George Castner ist der kommende Mann. Ich habe gut für dich gewählt. Deine Mühsal jetzt ist nur der beschwerliche, steinige Weg ins gelobte Land. Nicht immer werden die Hawaiianer in Hawaii herrschen. Ebenso wie sie ihren Reichtum aus der Hand gleiten lassen, so wird ihnen auch die Herrschaft entgleiten. Politische Macht und Landbesitz gehören immer zusammen. Es wird große Veränderungen geben, Revolutionen, von denen keiner weiß, wieviele und welcher Art sie sein werden, nur daß am Ende die Haolen das Land und die Macht besitzen werden. Und dann kann es durchaus sein, daß du die erste Frau Hawaiis sein wirst, denn sicher wird George Castner über Hawaii regieren. So steht es geschrieben. So ist es stets, wo der Haole mit den nachgiebigeren Rassen zusammenstößt. Ich, dein Onkel Robert, halb Hawaiianer und halb Haole, ich weiß, wovon ich spreche. Hab Geduld, Bella, hab Geduld!<

>Liebe Bella<, pflegte Onkel John zu sagen, und ich wußte, daß sein Herz mit mir fühlte. Gott sei Dank ermahnte er mich nie zur Geduld. Er wußte Bescheid. Er war sehr weise. Er war warm, menschlich und deshalb klüger als Onkel Robert und George Castner, die nur die Sache und nicht den Geist gelten ließen, die lieber Aufstellungen in den Hauptbüchern machten, als Brust an Brust Herzschläge zählten, denen das Addieren von Zahlenreihen wichtiger war, als an Umarmungen und an Liebkosungen mit Blicken, Worten, Berührungen zu denken. >Liebe Bella<, pflegte Onkel John zu sagen. Er wußte Bescheid. Du hast ja immer gehört, daß er der Geliebte der Prinzessin Naomi war. Er war ein treuer Liebhaber. Er liebte nur dieses eine Mal. Nach ihrem Tode sagten sie, er sei exzentrisch. Er war es. Er war ihr Geliebter, einmal und für immer. Erinnerst du dich an das Tabuzimmer in Kilohana, das wir erst nach seinem Tode betraten und dabei herausfanden, daß es sein Reliquienschrein für sie war. >Liebe Bella<, war alles, was er je zu mir sagte, aber ich wußte, daß er im Bilde war.

Und ich war neunzehn und eine sonnenwarme Hawaiianerin, trotz der drei Viertel Haoleblut in mir, und ich kannte nichts außer der herrlichen Mädchenzeit auf Kilohana und meiner Schuljahre auf der Königlichen Schule in Honolulu, außer meinem grauen Ehemann mit seinen grauen Moralpredigten und seinen von Nüchternheit und Sparsamkeit bestimmten Gewohnheiten. Und dann diese beiden kinderlosen Onkel, der eine mit seiner kühlen, vorausplanenden Weitsicht, der andere mit seinem gebrochenen Herzen als ewig träumender Liebhaber einer toten Prinzessin.

Denk nur an dieses graue Haus! Und das mir, die ich das leichte, herrliche, vergnügte, stets mit Lachen erfüllte Leben auf Kilohana, bei den Parkers auf dem guten, alten Mana und auf Puuwaawaa gewohnt war! Du erinnerst dich. In jenen Tagen lebten wir wirklich in einer fürstlichen, großzügigen Umgebung. Würdest du, ja, könntest du es glauben, Martha? Die einzige Nähmaschine, die ich auf Nahala besaß, war noch eine von denen, die die ersten Missionare mitgebracht hatten -ein winziges, verrücktes Ding, das mit einer Handkurbel betätigt werden mußte!

Robert und John hatten meinem Mann bei der Heirat je fünftausend Dollar gegeben. Aber George bat darum, es geheimzuhalten. Nur wir vier wußten davon. Und während ich auf dieser verrückten Maschine meine billigen Holokus [weite lose Kleider] nähte, kaufte er Land mit diesem Geld - das obere Nahalaland, weißt du - immer nur ein Stückchen, jeder Kauf ein zäher Handel, bei dem ihm die bittere Armut im Gesicht geschrieben stand. Heute bringt mir der Nahalagraben allein vierzigtausend jährlich.

Aber war es das wert? Ich hungerte. Wenn er mich nur ein einziges Mal leidenschaftlich umarmt hätte! Wenn er seinen eigenen Geschäften oder der Treue zu seinem Arbeitgeber nur einmal fünf Minuten gestohlen und sie mir gewidmet hätte! Manchmal hätte ich schreien, ihm die ewige Schüssel mit heißem Haferbrei ins Gesicht schleudern oder die Nähmaschine auf den Boden werfen und darauf Hula tanzen können, nur um ihn aus seiner Reserve zu locken, ihn in Rage zu bringen, damit er sich wie ein Mensch, ein Scheusal, wie jeder andere Mann verhielte, statt wie ein grauer, eisiger Halbgott.«

Der traurige Ausdruck auf Bellas Gesicht verschwand, und sie lachte laut auf, als sie sich an eine komische Einzelheit erinnerte.

»Und wenn ich in so einer Stimmung war, pflegte er mich besorgt und prüfend anzusehen, fühlte mir besorgt den Puls, besah meine Zunge, flößte mir mit besorgter Miene Rizinusöl ein, steckte mich besorgt und beizeiten mit heißen Ofenplatten ins Bett und versicherte mir, daß ich mich am nächsten Morgen besser fühlen würde. Früh ins Bett! Für uns war es eine Ausschweifung, wenn wir bis neun Uhr aufblieben. Acht Uhr war unsere gewohnte Schlafenszeit. Das sparte Petroleum. Es gab kein Mittagessen auf Nahala - erinnerst du dich an die große Tafel in Kilohana, an der wir alle zu Mittag aßen? Doch mein Mann George und ich aßen Abendbrot. Und danach pflegte er am Tisch dicht vor der Lampe zu sitzen und eine Stunde lang in alten, geliehenen Zeitschriften zu lesen, während ich ihm gegenübersaß und seine Socken und Unterwäsche stopfte. Er trug immer so billiges, schäbiges Zeug. Und wenn er zu Bett ging, ging ich auch. Keine unnütze Petroleumverschwendung, wenn es nur einem zugute kommen würde. Und zu Bett ging er immer nach demselben Ritual. Er drehte seine Uhr auf, trug das Wetter des Tages in sein Tagebuch ein, zog sich die Schuhe aus, stets den rechten zuerst, dann den linken, und stellte sie in der gleichen Reihenfolge am Fußende seiner Bettseite auf den Boden.

Er war der sauberste Mann, den ich je gekannt habe. Nie trug er dasselbe Unterzeug zweimal. Ich machte die Wäsche. Er war so sauber, daß es weh tat. Zweimal täglich rasierte er sich. Er verbrauchte für seinen Körper mehr Wasser als jeder Eingeborene. Er leistete mehr als zwei Haoles. Und er sah, welche Zukunft das Wasser von Nahala hatte.«

»Und er machte dich reich, aber er machte dich nicht glücklich«, bemerkte Martha.

Bella seufzte und nickte.

»Was ist schon Reichtum letzten Endes, Schwester Martha? Meine neue Limousine kam auf demselben Dampfer an wie ich. Mein dritter Pierce-Arrow in zwei Jahren. Aber ach, was sind schon alle Nobelkarossen und aller Reichtum dieser Welt verglichen mit dem Geliebten! - dem einzigen Geliebten, dem Gefährten, den man heiratet, an dessen Seite man sich abrackert, mit dem man Freud und Leid teilt, mit ihm, dem einen wirklichen Mann, Geliebten, Ehegatten - «

Ihre Stimme verlor sich, und die Schwestern waren in nachdenkliches Schweigen versunken, als eine auf einen Stock gestützte alte Frau, gebeugt, gekrümmt und eingeschrumpft unter der Last eines hundertjährigen Lebens, über den Rasen auf sie zugehumpelt kam. Ihre eingefallenen Augen, kaum mehr als Gucklöcher, waren scharf wie die eines Mungos. Zu Bellas Füßen sank sie zuerst nieder, murmelte und sang mit ihrem zahnlosen Mund in reinem Hawaiisch ein Mele über Bella und Bellas Vorfahren und fügte aus dem Stegreif einen Willkommensgruß anläßlich ihrer Rückkehr aus Kalifornien hinzu. Und während sie ihr Mele sang, praktizierten die geschickten Finger der Alten Lomi und massierten die seidenbestrumpften Beine Bellas vom Knöchel bis zur Wade, hinauf zum Knie und zum Schenkel.

Bellas und auch Marthas Augen schimmerten feucht, während die alte Dienerin Lomi und Mele bei Martha wiederholte, sie sich mit ihr in ihrer Muttersprache unterhielten und die uralten Fragen nach ihrer Gesundheit, ihrem Alter und ihren Ur-Ur-Urenkeln stellten. Schließlich hatte die Alte schon Lomi bei ihnen praktiziert, als sie noch kleine Kinder in dem großen Haus in Kilohana gewesen waren, so wie es ihre Vorfahren bei Bellas und Marthas Vorfahren seit unzähligen Generationen getan hatten. Als der kurze Pflichtbesuch beendet war, erhob sich Martha und begleitete sie zurück zum Bungalow, drückte ihr Geld in die Hand und befahl den stolzen, schönen japanischen Hausmädchen, der gebrechlichen Ureinwohnerin mit dem aus den Wurzeln der Wasserlilie bereiteten Poi, mit Iamaka - rohem Fisch - , mit zerstoßener Kukuinuß und mit Limu, dem für Zahnlose leicht zu kauenden, leichtverdaulichen und schmackhaften Seetang, aufzuwarten. Es waren die alten feudalen Bande, die Treue des Untertanen zu seinem Herrn, die Fürsorge des Herrschers für seine Untertanen. Und Martha, zu drei Vierteln eine Haole mit angelsächsischem Blut aus Neuengland, war, wenn es um die Bewahrung und Einhaltung der so gut wie ausgestorbenen alten Sitten und Bräuche ging, eine Vollbluthawaiianerin.

Als sie über den Rasen zu dem Hau-Baum zurückkehrte, sahen Bellas Augen die Echtheit ihres Wesens und ihres Blutes, und sie umarmte sie voller Liebe. Ein wenig kleiner als Bella war Martha, aber nur eine Winzigkeit, auch weniger königlich in ihrer Haltung, jedoch schön und wohlproportioniert; die Jahre hatten ihre Schönheit nur reifen lassen, nicht zerstört, und ihre polynesische Herrscherfigur kam eindrucksvoll und prächtig unter den ansprechenden Linien eines leicht taillierten, weitschwingenden schwarzen Seidenholokus zur Geltung, der verschwenderischer mit schwarzer Spitze besetzt war als jedes Pariser Modellkleid.

Und als die beiden Schwestern jetzt ihr Gespräch fortsetzten, würde ein Beobachter die auffallende Ähnlichkeit der reinen, geradlinigen Profile, der breiten Wangenknochen, der hohen, ausladenden Stirnen, der eisengrauen Haarfülle, der süßen Lippen ihrer von jahrzehntelangem, selbstbewußtem Stolz kündenden Münder und der anmutigen, schmalen Brauenbogen über ebenso anmutigen, langgeschnittenen Augen bemerkt haben. Ihre vom Alter kaum veränderten oder gezeichneten Hände waren wunderschön mit ihren schlanken, schmal zulaufenden Fingern, die von alten Hawaiianerinnen gleich der, die jetzt Poi, Iamaka und Limu im Hause aß, schon von klein auf liebevoll massiert und geformt wurden.

»So ging es ein Jahr lang«, fuhr Bella fort, »und allmählich, weißt du, begann ich mich dreinzuschicken. Ich fühlte mich immer mehr zu meinem Mann George hingezogen. So sind Frauen nun einmal. Ich jedenfalls war so eine Frau. Denn er war ein guter Mensch. Er war gerecht. Er besaß all die echten, alten puritanischen Tugenden. Ich begann mich zu ihm hingezogen zu fühlen, ihn zu mögen, ja fast möchte ich sagen, ihn zu lieben. Und hätte Onkel John mir nicht dieses Pferd geliehen, so würde ich ihn, das weiß ich, wirklich geliebt und mit ihm ein glückliches Leben geführt haben. Natürlich wäre es ein eher stilles Glück gewesen.

Ich wußte schließlich nichts über die Männer, kannte nichts anderes, nichts Besseres. Es kam so weit, daß ich mich freute, wenn ich ihm in der kurzen Zeit zwischen Abendessen und Schlafengehen über den Tisch hinweg beim Lesen zusehen durfte, wenn ich den Hufschlag seines Pferdes hörte, das er abends nach endlosen Ritten über die Ranch heimwärts lenkte.

Und sein spärliches Lob war echtes Lob, das mich vor Glück erbeben ließ - ja, Schwester Martha, ich wußte, was es hieß, unter seinem knappen, gerechten Lob zu erröten, wenn ich etwas gut oder richtig gemacht hatte.

Und alles wäre bis ans Ende unseres gemeinsamen Lebens gutgegangen, hätte er nicht mit dem Dampfer nach Honolulu fahren müssen. Es war eine Geschäftsreise. Er wollte zwei Wochen oder länger fortbleiben. Zuerst waren für die Glenns einige Dinge wegen der Ranch zu erledigen, danach wollte er für sich selbst noch mehr Land im oberen Nahala-Gebiet kaufen. Weißt du, er kaufte Parzellen des unerschlossenen Hügellands, das, abgesehen von dem Wasser und der Lage direkt an der Wasserscheide, wertlos war, für den lächerlichen Preis von fünfzehn Cent den Morgen. Und da meinte er, daß mir eine Abwechslung gut täte. Ich wollte mit ihm nach Honolulu fahren. Doch mit Rücksicht auf die Ausgaben beschloß er, daß ich nach Kilohana gehen sollte. Nicht nur, weil der Besuch in meinem alten Zuhause ihn nichts kostete, er sparte auch das Geld für das bißchen Essen, das ich auf Nahala verbraucht hätte, wäre ich allein dort zurückgeblieben. Dafür konnte er noch mehr Nahalagrund kaufen. Und in Kilohana willigte Onkel John ein und lieh mir das Pferd.

Ach, in diesen ersten paar Tagen meiner Heimkehr fühlte ich mich wie im Himmel. Es war anfangs schwer zu glauben, daß es soviel zu essen auf der Welt gab. Die ungeheure Verschwendung in der Küche erschreckte mich. So gut war ich von meinem Ehemann George erzogen worden, daß ich überall Verschwendung sah. Warum aßen draußen in den Gesindestuben die alten Verwandten und andere Kostgänger der Diener besser, als George und ich je gegessen hatten? Du erinnerst dich, wie es bei uns auf Kilohana war, ebenso wie bei den Parkers, wo zu jeder Mahlzeit ein Ochse geschlachtet wurde und Läufer aus den Teichen von Waipio und Kiholo frische Fische brachten, von allem immer nur das Beste und Seltenste.

Und Liebe, die Liebe, die in unserer Familie herrschte! Du weißt, wie Onkel John war. Und Bruder Walcott war da und Bruder Edward und alle jüngeren Schwestern außer dir und Sally - ihr wart auf der Schule. Und Tante Elizabeth und Tante Janet mit ihrem Mann und all den Kindern waren zu Besuch. Es gab nichts als Umarmungen und Zärtlichkeiten, und alles das hatte ich zwölf lange Monate entbehrt. Mich dürstete danach. Ich war wie eine Schiffbrüchige, die aus dem offenen Boot auf den Sand sinkt und gierig aus den frischen, sprudelnden Quellen am Fuß der Palmen schlürft.

Und da kam sie von Kawaihae, wo die königliche Jacht angelegt hatte, heraufgeritten, die ganze prächtige Kavalkade, immer zu zweien, blumenbekränzt, dreißig junge, glückliche und fröhliche Menschen auf Pferden der Parker-Ranch, dazu hundert Cowboys und noch ebensoviele eigene Gefolgsleute -ein königlicher Zug. Es war natürlich Prinzessin Lihue mit ihrem Gefolge, von der wir alle wußten, daß sie fieberglühend an der schrecklichen Schwindsucht dahinsiechte. Aber bei ihr waren ihre Neffen, Prinz Lilolilo, dem man bereits überall als dem künftigen König zujubelte, und seine Brüder, Prinz Kahekili und Prinz Kamalau. Und mit der Prinzessin kam Ella Higginsworth, die durch ihre Abstammung von den Häuptlingen Kauais begründetere Ansprüche auf den Thron hätte geltend machen können als die regierende Familie selbst, und Dora Niles und Emily Lowcroft und - ach, warum sie alle aufzählen! Ella Higginsworth und ich waren Zimmergenossinnen auf der Königlichen Schule gewesen. Und für eine Stunde machten sie Rast - es gab kein Luau, denn das Luau wartete auf sie bei den Parkers - aber Bier und stärkere Getränke für die Männer und Limonade, Orangen und erfrischende Wassermelonen für die Frauen.

Und sie umarmten mich, Ella Higginsworth und die Prinzessin, die sich noch an mich erinnerte, und all die anderen Mädchen und Frauen, und Ella sprach mit der Prinzessin, und die Prinzessin lud mich selbst ein, sie auf ihrer Reise zu begleiten. Ich sollte in Mana zu ihnen stoßen, von wo sie zwei Tage später aufbrechen wollten. Und ich war außer mir, wie von Sinnen - ich, die ich eine Gefangenschaft von zwölf Monaten im grauen Nahala hinter mir hatte. Und ich war erst neunzehn, sollte noch in dieser Woche zwanzig werden.

Ach, ich hatte keine Ahnung, was passieren würde. Ich war so mit den Frauen beschäftigt, daß ich Lilolilo nur von fern sah, da er, hochgewachsen, alle anderen Männer überragte. Doch ich hatte noch nie an einer königlichen Rundreise teilgenommen. Zwar hatte ich sie früher schon einmal gesehen, als sie zu Gast auf Kilohana und Mana waren, aber damals war ich noch zu jung gewesen, um zum Mitkommen eingeladen zu werden. Und danach ging ich zur Schule und heiratete dann. Ich wußte, daß es zwei paradiesische Wochen werden würden

- wenig genug für weitere zwölf Monate in Nahala.

Und ich bat Onkel John, mir ein Pferd zu leihen, was natürlich drei bedeutete - eines für den Cowboy, der mich begleitete, und ein Packpferd. Damals gab es keine Straßen. Auch keine Automobile. Und das Pferd, das Onkel John mir gab! Es war Hilo. Du wirst dich nicht an ihn erinnern. Du warst damals auf der Schule, und bevor du ein Jahr später nach Hause kamst, hatte er sich oben am Mauna Kea beim Einfangen von wilden Rindern das Rückgrat und seinem Reiter das Genick gebrochen. Du hast sicher davon gehört - von diesem jungen amerikanischen Marineoffizier.«

»Leutnant Bowsfield«, nickte Martha.

»Aber Hilo! Ich war die erste Frau, die je auf seinem Rücken gesessen hatte. Er war ein dreijähriger, fast vierjähriger Hengst und gerade erst zugeritten. So schwarz und glänzend war sein Fell, daß er im Licht wie in schimmerndes Silber gehüllt schien. Er war das größte Reitpferd auf der Ranch, ein Nachkomme von Sparklingdew, der dem König gehörte, mit einer erstklassigen Stute als Mutter, und man hatte ihn erst vor ein paar Wochen eingefangen. Nie habe ich ein so schönes Pferd gesehen. Er hatte den gewölbten Brustkorb und den runden, wohlproportionierten Körper des idealen Bergponys, Kopf und Hals waren die eines Rassepferdes, schlank und doch voll, mit wunderschönen, aufmerksam gespitzten Ohren, weder zu klein, um tückisch, noch zu groß, um wie die eines störrischen Maulesels zu wirken. Und auch seine Beine und Füße waren wunderschön, tadellos, sicher und fest, mit elastischen Fesseln, die ihn unter dem Sattel zu einem Wunder an Leichtigkeit machten.«

»Ich entsinne mich, wie Prinz Lilolilo zu Onkel John sagte, daß du die beste Reiterin auf ganz Hawaii seist«, unterbrach Martha sie. »Das war zwei Jahre später, als ich von der Schule zurück war und du noch in Nahala lebtest.«

»Lilolilo hat das gesagt!« rief Bella. Ihre länglichen braunen Augen leuchteten auf, und es schien fast, als erröte sie, als sie an ihren Geliebten zurückdachte, der nun schon fast ein halbes Jahrhundert tot und zu Staub zerfallen war. Mit der angeborenen edlen Bescheidenheit der Hawaiianerin überspielte sie die unfreiwillige Offenbarung mit weiteren Lobeshymnen auf Hilo.

»Ach, wenn er mit mir die mit hohem Gras bewachsenen Hänge hinauf- und hinabjagte, nahm er die Hindernisse wie im Traum, denn er sprang mit jedem Satz wie ein Reh, wie ein Hase oder ein Foxterrier über das Gras hinweg - du kennst das. Und er machte Kapriolen, tänzelte und schäumte über vor Lebenslust! Er war ein Pferd für einen General, einen Napoleon, einen Kitchener. Und seine Augen blickten nie bösartig, nur schalkhaft und, ach, so intelligent, als würde er sich über einen Witz freuen und lachen oder als wolle er selbst einen machen. Und ich bat Onkel John, mir Hilo zu geben. Und Onkel John sah mich an, und ich sah ihn an - und obwohl er es nicht aussprach, spürte ich, daß er im stillen >liebe Bella< sagte, und ich wußte, daß er irgendwo in mir sein Traumbild der Prinzessin Naomi wiederentdeckte. Und Onkel John sagte ja. Und so nahm alles seinen Lauf.

Aber er bestand darauf, daß ich erst einen Versuch mit Hilo machte - und zwar allein, ohne Zuschauer. Er war schwer zu bändigen, herrlich schwer. Aber er war nicht bösartig, nicht heimtückisch. Immer wieder ging er mir durch, aber ich ließ es ihn nicht merken. Ich hatte keine Angst, und dadurch hatte ich immer ein Gespür für ihn, so daß er nicht auf die Idee kam, er sei mir auch nur einen Sprung voraus.

Ich habe mich oft gefragt, ob Onkel John sich wohl träumen ließ, was geschehen würde. Ich selbst, soviel weiß ich, hatte keinerlei Ahnung, als ich nach Mana hinüberritt, um mich der Prinzessin anzuschließen. Noch nie waren dort solche Feste gefeiert worden. Du kennst die großartige Gastfreundschaft der alten Parkers. Die Jagd auf Wildschweine und wilde Rinder, das Zureiten und das Brennen der Pferde. Die Unterkünfte der Dienerschaft quollen über. Parker Cowboys waren aus allen Richtungen herbeigeströmt. Und alle Mädchen von Waimea aufwärts waren gekommen, und die Mädchen von Waipio, Honokaa und Paauilo - ich sehe sie jetzt noch vor mir, wie sie in langen Reihen auf den Steinmauern der Koppel sitzen und Leis (Blumengirlanden) für ihre Cowboy-Liebsten winden. Und die Nächte, diese dufterfüllten Nächte, das Singen der Meles, das Tanzen der Hulas und der große Mana-Park, wo die Liebenden paarweise unter den Bäumen umherschlenderten.

Und der Prinz.« Bella hielt inne, und für eine endlose Minute wurden ihre tief in die Unterlippe gepreßten, kleinen, feinen, immer noch makellosen Zähne sichtbar, während sie mit sich rang und ihre Fassung wiedergewann und dabei den Blick geistesabwesend über den fernen blauen Horizont schweifen ließ. Als sie sich beruhigt hatte, kehrten ihre Augen wieder zu der Schwester zurück.

»Er war ein Prinz, Martha. Du hast ihn ja früher in Kilohana gesehen. als du aus dem Seminar heimkamst. Er war eine Augenweide für jede Frau, ja und auch für jeden Mann. Fünfundzwanzig war er, im besten Mannesalter, groß und königlich an Körper und Geist. So hoch es auch herging, so unbekümmert und ausgelassen die Vergnügungen auch waren, er schien nie zu vergessen, daß er von königlichem Geblüt war und daß alle seine Vorfahren große Häuptlinge gewesen waren bis zurück zu jenem ersten, von dem sie in den Genealogien sangen und der mit seinen Doppelkanus bis nach Tahiti und Raiatea und wieder zurück gefahren war. Er war gütig, sanft, liebenswürdig, kameradschaftlich, voller Wohlwollen - und streng und hart, wenn ihm eine allzu große Kränkung widerfuhr. Ich kann es schwer ausdrücken, was ich damit meine. Er war ein Mann, ein ganzer Mann, und er war ganz Prinz, mit einem Schuß jungenhafter Fröhlichkeit, und die Härte, die er besaß, würde ihn, wenn er auf den Thron gelangt wäre, zu einem guten und starken König von Hawaii gemacht haben.

Ich sehe ihn noch vor mir, so wie ich ihn an jenem ersten Tage sah und seine Hand berührte und mit ihm sprach. wenige Worte nur und scheu, ganz und gar nicht wie eine Frau, die schon ein Jahr lang mit einem grauen Haole im grauen Nahala verheiratet war. Ein halbes Jahrhundert liegt diese Begegnung nun zurück - du erinnerst dich, wie unsere jungen Männer sich damals kleideten: weiße Schuhe und Hosen, weiße Seidenhemden und um die Taille diese herrlich bunten spanischen Schärpen - und ein halbes Jahrhundert lang hat dieses Bild in meinem Herzen nichts an Glanz und Farbe verloren. Er stand inmitten einer Gruppe auf dem Rasen, und Ella Higginsworth wollte mich gerade vorstellen. Prinzessin Lihue hatte ihr irgendeine Neckerei zugerufen, so daß sie stehenblieb, um darauf zu antworten, und ich einen Schritt vor ihr haltmachte.

Sein Blick fiel zufällig auf mich, wie ich, verwirrt und verlegen, allein dastand. Ach, wie ich ihn vor mir sehe! - den Kopf leicht zurückgeworfen, mit dieser vornehmen, heiteren, gebieterischen und völlig unbekümmerten Gelassenheit, die so typisch für ihn war. Unsere Augen begegneten sich. Sein Kopf neigte sich nach vorn oder wandte sich mir zu. Ich weiß nicht, was geschah. Befahl er? Gehorchte ich? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich gut anzuschauen war, bekränzt mit duftendem Maile in dem wundervollen Holoku der Prinzessin Naomi, den mir Onkel John aus seinem Taburaum geliehen hatte; und ich weiß, daß ich ganz allein über den Rasen von Mana auf ihn zuschritt und daß er sich von seiner Gruppe entfernte, um mir auf halbem Wege entgegenzukommen. Wir gingen, ohne Begleitung, über das Gras aufeinander zu, als ob wir durch unser Leben aufeinander zuschritten.

War ich sehr schön, Schwester Martha, als ich jung war? Ich weiß es nicht. Aber in diesem Augenblick, als er in all seiner Schönheit und seiner wahrhaft königlichen Männlichkeit zu mir herüberkam und mein Herz gefangennahm, fühlte ich mich plötzlich schön - wie soll ich es ausdrücken? - als ob seine eigene Vollkommenheit auf mich ausstrahlte und mich verzauberte.

Es fiel kein Wort. Aber, ach, ich weiß, daß ich in unmißverständlicher Antwort auf den Fanfarenklang der lautlosen Botschaft meinen Kopf hob und daß ich die Hingabe, die in meinem Gesicht und in meinen Augen, ja in meinem ganzen heftig atmenden Körper zu lesen war, nicht unterdrückt haben würde, selbst wenn ich diesen einen Augenblick mit meinem Leben hätte bezahlen müssen.

War ich schön, sehr schön, Martha, als ich neunzehn war, kurz vor meinem zwanzigsten Geburtstag?«

Und Martha, die Vierundsechzigjährige, sah die achtundsechzigjährige Bella und nickte aufrichtig, denn alles, was sie in diesem Augenblick sah, sprach dafür: Bellas Hals, der immer noch voll und gutgeformt und länger war, als es sonst bei Hawaiianerinnen der Fall ist, einer Säule gleich, auf der ihr königliches Haupt mit dem von hohen Wangenknochen geprägten, stolzen Antlitz ruhte, Bellas hochgestecktes, dichtes Haar, das sich, schimmernd vom Silber der Jahre, immer noch lockte und einen starken Kontrast zu ihren feingezeichneten schwarzen Brauen und den tiefbraunen Augen bildete. Beeindruckt von dem Bild, das sich ihr bot, ließ Martha, ihre Scheu überwindend, ihren Blick über den prachtvollen Busen und die vollen, edlen Linien der Gestalt Bellas bis zu den seidenbestrumpften, in hochhackigen Schuhen steckenden, kleinen, wohlgeformten Füßen mit dem tadellos gewölbten, fast spanischen Spann gleiten.

»Man ist nur einmal jung!« lachte Bella. »Lilolilo war ein Prinz. Ich sollte jeden seiner Züge und die Stimmungen, die er ausdrücken konnte, kennenlernen. später, in unseren verzauberten Tagen und Nächten an den singenden Wassern nahe der sachte rauschenden Brandung oder auf steilen Bergpfaden. Ich kannte seine schönen, mutigen Augen mit den geraden schwarzen Brauen, seine Nase, die er sicher von Kamehameha hatte, und die letzte, feinste Schwingung seines Mundes. Es gibt keinen schöneren Mund als den hawaiischen, Martha.

Und sein Körper! Er war ein König unter den Athleten, von seinem wilden, widerspenstigen Haar bis zu den Knöcheln aus gehärtetem Stahl. Erst neulich hörte ich, wie man von einem Enkel der Wilders als dem >Prinzen von Harvard< sprach. Du lieber Gott! Wie hätten sie dann erst meinen Lilolilo genannt im Vergleich zu diesem jungen Wilder und dem ganzen Harvard-Team!«

Bella schwieg und holte tief Atem, während sie ihre feinen, kleinen Hände in dem stattlichen, in Seide gehüllten Schoß faltete. Doch eine helle Röte überzog ihr Gesicht, und ihre Augen wurden warm, als sie ihre Tage mit dem Prinzen noch einmal durchlebte.

»Nun - du hast es wohl erraten?« sagte Bella mit herausforderndem Achselzucken und sah ihrer Schwester gerade in die Augen. »Wir verließen das fröhliche Mana und setzten die kurzweilige Reise fort - auf den Lavawegen hinunter nach Kiholo, um zu schwimmen, zu fischen, Feste zu feiern und im warmen Sand unter Palmen zu schlafen, und hinauf nach Puuwaawaa, um dort wieder auf Wildschweinjagd zu gehen, Rinder mit dem Lasso einzufangen und Wildschafe vom oberen Weideland zu erlegen; und weiter durch Kona, bald mauka (bergan), bald hinunter zu dem Königspalast in Kailua, und zum Schwimmen nach Keauhou und an die Kealakekua-Bucht und nach Napoopoo und Honaunau. Und überall strömten die Menschen herbei, in den Händen Blumen, Früchte, Fische und Schweinefleisch als Geschenk, in den Herzen Liebe und Gesang, ihre Häupter neigten sich ehrerbietig vor den königlichen Herrschaften, und von ihren Lippen ertönten Ausrufe des Erstaunens oder Meles über alte, unvergeßliche Zeiten.

Was willst du, Schwester Martha? Du weißt, wie wir Hawaiianer sind. Du weißt, wie wir vor einem halben Jahrhundert waren. Lilolilo war wundervoll. Ich war leichtsinnig. Lilolilo war ein Mann, der jede Frau leichtsinnig machen konnte. Ich war doppelt leichtsinnig, denn ich hatte das kalte, graue Nahala vor Augen. Ich wußte Bescheid. Es gab keinen Zweifel, keine Hoffnung. An eine Scheidung war in jenen Tagen nicht einmal im Traum zu denken. Die Frau George Castners konnte nie Königin von Hawaii werden, selbst wenn die von Onkel Robert prophezeiten Revolutionen nicht stattfänden und Lilolilo König würde. Aber ich dachte nie an den Thron. Was ich wünschte, war, Königin in Lilolilos Herzen, seine Frau und Gefährtin zu sein. Ich machte mir nichts vor. Man konnte nicht das Unmögliche möglich machen, und ich gab mich keinen unerfüllbaren Träumen hin.

Es war eine Atmosphäre der Liebe. Und was für ein Liebhaber Lilolilo war! Stets bekränzte er mich mit Leis, ließ mir von seinen Läufern aus den weit entfernten Rosengärten Manas - du erinnerst dich an sie - Leis bringen; fünfzig Meilen über Lava und unwegsames Weideland hatten sie hinter sich und lagen doch taufrisch wie in dem Augenblick, als sie gepflückt wurden, in ihren Schmuckkästchen aus Bananenrinde. Ellenlang waren sie, diese Schnüre aus winzigen rosa Knospen, aufgereihten neapolitanischen Korallenperlen gleich. Und bei den Luaus (Festen), den ewigen, fortwährenden Luaus mußte ich auf Lilolilos Makaloa-Matte, der prinzlichen Matte sitzen, die nur ihm zustand und für jeden geringeren Sterblichen tabu war, es sei denn, er selbst gestand ihm diese Auszeichnung zu. Und ich mußte meine Finger in seine eigene Pa Wai Holoi (Fingerschale) tauchen, in der duftende Blütenblätter im warmen Wasser schwammen. Ja, und unbekümmert darum, daß alle die mir von ihm gewährte Gunst sahen, mußte ich mir meine Prisen von rotem Salz, Limu, Kukuinuß und Chilipfeffer aus seiner Pa-Paakai nehmen und aus seiner Ipu Kai (Fischschüssel) aus Kouholz essen, aus der schon der große Kamehameha selbst bei so mancher Reise gespeist hatte. Und ebenso war es mit den besonderen Delikatessen, die nur für Lilolilo und die Prinzessin bestimmt waren - Nein, Ake, Palu und Alaala. Und seine Kahili wurden über mir geschwungen, und seine Diener waren meine Diener, und er war mein; und von meinem blumenbekränzten Haar bis zu meinen glücklichen Füßen war ich eine Frau, die geliebt wurde.«

Wieder gruben sich Bellas kleine Zähne in ihre Unterlippe, als sie geistesabwesend über das Meer blickte und sich und ihre Erinnerungen wieder in die Gewalt bekam.

»So ging es immer weiter, durch ganz Kona und durch ganz Kau, von Hoopuloa und Kapua nach Honuapo und Punaluu, die Dauer eines ganzen Lebens hineingepreßt in zwei kurze Wochen. Eine Blume blüht nur einmal. Dies war meine Blütezeit - Lilolilo an meiner Seite, ich selbst auf meinem wunderbaren Hilo, eine Königin, nicht die Hawaiis, aber Lilolilos und der Liebe Königin. Er sagte, ich sei wie eine bunte, wunderschöne Seifenblase auf dem schwarzen Rücken des Leviathan, ein zarter Tautropfen auf dem rauchenden Kamm einer Lavawoge, ein auf einer Gewitterwolke reitender Regenbogen.«

Bella hielt für einen Moment inne.

»Ich will dir nun nichts mehr von dem erzählen, was er mir sagte«, erklärte sie ernst, »außer, daß in all seinen Worten das Feuer der Liebe und der Geist der Schönheit waren und daß er Hulas für mich komponierte und sie mir vor allen anderen vorsang, nichts mehr von Nächten unter dem Sternenhimmel, als wir bei den Festen auf unseren Matten lagen, und ich auf Lilolilos Makaloa-Matte.

Und weiter ging es nach Kilauea - so nah war der Traum schon seinem Ende; und natürlich warfen wir Leis aus Maileranken, Fische und den feucht in Ti-Blätter gewickelten harten Poi als Opfergaben an Pele, die Feuergöttin, in den Abgrund, dort, wo sich die Lava ins Meer ergießt. Und wir zogen weiter, hinunter durch das alte Puna, und feierten Feste, tanzten und sangen in Kohoualea und Kamaili und Opihikao und schwammen in den klaren Süßwasserteichen von Kalapana. Und schließlich erreichten wir das am Meer gelegene Hilo.

Das war das Ende. Wir hatten nie darüber gesprochen, und doch wußten wir genau, daß es so war. Die Jacht wartete. Wir hatten uns um Tage verspätet. Es kam die Nachricht aus Honolulu, daß der König mehr denn je dem Pupule (Wahnsinn) verfallen sei, daß sich ein Komplott katholischer und protestantischer Missionare zusammenbraue und Schwierigkeiten mit Frankreich drohten. Mit Gelächter, Blumen und Gesang, so wie sie zwei Wochen zuvor in Kawaihae gelandet waren, legten sie von Hilo ab. Es war ein fröhlicher Aufbruch, voller Späße und Ausgelassenheit mit tausend letzten Botschaften, Ermahnungen und Neckereien. Der Anker wurde zu einem Abschiedslied von Lilolilos Sängern auf dem Achterdeck gelichtet, während wir in den großen Kanus und Walfangbooten zusahen, wie die erste Brise die Segel des Schiffes füllte und die Entfernung allmählich größer wurde.

In all dem Durcheinander und der Aufregung blickte Lilolilo, der an der Reling stand und vielen Abschiedsgrüße und Scherze zurufen mußte, geradewegs zu mir herunter. Auf dem Kopf trug er meinen Ilima-Lei, den ich für ihn gewunden und ihm aufgesetzt hatte. Und alle auf der Jacht begannen, ihren Liebsten in den Kanus ihre vielen Leis zuzuwerfen. Ich durfte nichts erwarten. Und doch war da eine winzige, sehnsüchtige Hoffnung, ohne daß mein Gesicht, das stolz und fröhlich wie das aller anderen war, etwas davon verriet. Aber Lilolilo tat, was er, wie ich von Anfang an gewußt hatte, tun mußte. Mir immer noch unverwandt und aufrichtig in die Augen blickend, nahm er meinen schönen Ilima-Lei vom Kopf und riß ihn mittendurch. Ich sah, wie seine Lippen das einzige Wort pau (vorbei) formten, es aber nicht aussprachen. Immer noch den Blick auf mich gerichtet, zerriß er die beiden Teile des Leis noch einmal und warf die Stücke nicht zu mir herüber, sondern ließ sie über die Reling ins Meer fallen. Pau. Es war vorbei.«

Lange verweilte Bellas abwesender Blick am Horizont der See. Martha wagte es nicht, mit Worten dem Mitgefühl, das ihre Augen feucht werden ließ, Ausdruck zu verleihen.

»Und ich ritt an diesem Tag auf dem alten, schlechten Pfad die Hamakua-Küste entlang«, fuhr Bella fort, und ihre Stimme klang zuerst seltsam rauh und trocken. »Dieser erste Tag war nicht so schlimm. Ich war wie betäubt. Ich war noch zu sehr erfüllt von all dem Wunderbaren, das ich vergessen mußte, um zu wissen, daß ich es vergessen mußte. Ich verbrachte die Nacht in Laupahoehoe. Weißt du, ich hatte eigentlich eine schlaflose Nacht erwartet. Statt dessen schlief ich, vom Reiten erschöpft und immer noch benommen, die ganze Nacht wie eine Tote.

Doch am nächsten Tag, bei stürmischem Wind und peitschenden Regengüssen! Wie es wehte und schüttete! Der Pfad war wirklich unpassierbar. Immer wieder rutschten unsere Pferde ab. Der Cowboy, den Onkel John mir mit den Pferden geliehen hatte, protestierte anfangs, doch dann trabte er, kopfschüttelnd zwar, aber schicksalsergeben, hinter mir her und murmelte dabei immer wieder vor sich hin, daß ich pupule sei. Das Packpferd ließen wir in Kukuihaele zurück. Mud Lane schwammen wir fast wie einen Schlammstrom hinauf. In Waimea mußte der Cowboy sein Pferd wechseln.

Aber Hilo hielt durch. Von Tagesanbruch bis Mitternacht war ich im Sattel, bis Onkel John mich in Kilohana vom Pferd hob und auf seinen Armen ins Haus trug, die Frauen aus ihren Betten holte, damit sie mich entkleideten und massierten, während er mir heißen Palmwein einflößte, der mir Schlaf und Vergessen schenken sollte. Ich weiß, daß ich erzählt und phantasiert haben muß. Onkel John hat sicher alles erraten.

Aber er hat zu keinem, selbst zu mir nicht, auch nur ein Sterbenswörtchen davon gesagt. Was er auch erraten haben mochte, er verschloß es in Naomis Tabuzimmer.

Ich habe noch verschwommene Erinnerungen an diesen Tag, an verzweifeltes, wütendes Hadern mit dem Schicksal - an mein aufgelöstes, vom Sturm und Regen gepeitschtes, wirres und triefnasses Haar, an endlose Tränen, die sich mit der Sintflut um mich herum mischten, an leidenschaftliche Ergüsse und Haßausbrüche gegen eine völlig verdrehte und ungerechte Welt, Erinnerungen daran, daß ich mit den Händen auf meinen Sattelknauf einschlug, daß ich meinen Kilohana-Cowboy schroff anfuhr, meinem armen, prachtvollen Hilo die Sporen in die Rippen stieß, mit einem inbrünstigen Gebet auf den Lippen, daß sie ihn so wild machen sollten, daß er sich aufbäumte, auf mich stürzte und meine Schönheit für immer zerstörte. Oder daß er mich vielleicht vom Pfad werfen könnte und ich am Fuß der Paus (Klippen) mein Leben aushauchen und hinter meinem Namen pau stehen möge, so endgültig wie das unausgesprochene? auf Lilolilos Lippen, als er meinen Ilima-Lei zerriß und ins Meer fallen ließ.

Mein Ehemann George war in Honolulu aufgehalten worden. Als er nach Nahala zurückkehrte, erwartete ich ihn dort schon. Und er umarmte mich feierlich, drückte mir einen flüchtigen Kuß auf die Lippen, besah sich besorgt meine Zunge, war unzufrieden mit meinem Aussehen und Gesundheitszustand und schickte mich mit heißen Ofenplatten und einer Dosis Rizinusöl ins Bett. Als würde ich in ein Uhrwerk geraten, zu einem jener Zähne oder Räder werden, die sich unvermeidlich und unbarmherzig drehen, so kehrte ich wieder in das graue Leben von Nahala zurück. Jeden Morgen um halb fünf war George aus dem Bett und um fünf Uhr bereits aus dem Haus und auf seinem Pferd. Es gab den ewigen Haferbrei, den scheußlichen billigen Kaffee und frisches Rindfleisch und Dörrfleisch und wieder frisches Rindfleisch und Dörrfleisch. Ich kochte und buk und schrubbte. Ich kurbelte an der verrückten Nähmaschine und schneiderte meine billigen Holokus. Abend für Abend, zwei Jahre lang, die mir wie endlose Jahrhunderte erschienen, saß ich ihm gegenüber am Tisch bis acht Uhr, stopfte seine billigen Socken und die schäbige Unterwäsche, während er die Jahre alten, geliehenen Zeitschriften las, die er aus Sparsamkeit nicht selbst abonnierte. Und dann war Schlafenszeit - es durfte kein Petroleum verschwendet werden -, und er drehte seine Uhr auf, trug das Wetter in sein Tagebuch ein, zog sich die Schuhe aus, den rechten zuerst, und stellte sie in der gleichen Reihenfolge nebeneinander an sein Bettende.

Doch von meiner Zuneigung zu Ehemann George, die sich langsam zu entwickeln schien, ehe Prinzessin Lihue mich zu der Reise eingeladen und Onkel John mir das Pferd geliehen hatte, war nichts mehr übriggeblieben. Du siehst, Schwester Martha, es wäre nichts geschehen, hätte Onkel John mir das Pferd nicht gegeben. Aber ich hatte die Liebe, hatte Lilolilo kennengelernt; und welche Chance hätte danach noch Ehemann George gehabt, aus lauter Achtung oder Zuneigung mein Herz zu gewinnen? Und zwei Jahre lang war ich auf Nahala eine Tote, die irgendwie ging und sprach, buk und schrubbte, Socken stopfte und Petroleum sparte. Die Ärzte sagten, das schäbige Unterzeug, in dem er wie immer in den winterlichen Regenstürmen oben in den Bergen nach den Wasseradern von Nahala forschte, hätte ihn das Leben gekostet.

Als er starb, war ich nicht traurig. Ich war schon so lange traurig gewesen. Aber froh war ich auch nicht. Meine Freude war in Hilo gestorben, als Lilolilo meinen Ilima-Lei ins Meer geworfen hatte, und nie mehr sollte ich vollkommenes Glück empfinden. Lilolilo starb keine vier Wochen nach Georges Tod. Nach unserem Abschied in Hilo hatte ich ihn nie wiedergesehen. Ach ja, Verehrer habe ich seither genug gehabt

- aber ich war wie Onkel John. Lieben konnte ich nur einmal. Onkel John hatte seinen Naomi-Raum in Kilohana. Mein Lilolilo-Raum war fünfzig Jahre lang in meinem Herzen. Du bist die erste, Schwester Martha, der ich zu diesem Raum Zutritt gewährt habe.«

Ein Wagen kam die Auffahrt entlang, und aus ihm stieg Marthas Ehemann und überquerte den Rasen. Aufrecht, schlank, grauhaarig, mit elegantem, militärischem Auftreten war Roscoe Scandwell einer der »Großen Fünf«, deren Interessengemeinschaft das Schicksal ganz Hawaiis bestimmte. Selbst ein reinblütiger, in Neuengland geborener Haole, küßte er zuerst Bella und schloß sie nach hawaiischer Art dabei herzlich in die Arme. Sein wacher Blick sagte ihm, daß die beiden Frauen sich etwas anvertraut hatten und daß trotz der offensichtlichen Gefühlsaufwallung dank der Weisheit ihres Alters wieder Ruhe und Gelassenheit eingekehrt waren.

»Elsie und die Kleinen sind unterwegs - ich habe gerade ein Funktelegramm vom Dampfer bekommen«, verkündete er, nachdem er seine Frau geküßt hatte. »Und sie werden einige Tage bei uns bleiben, bevor sie nach Maui Weiterreisen.«

»Ich wollte dir eigentlich das Rosenzimmer geben, Schwester Bella«, überlegte Martha Scandwell laut. »Aber es eignet sich besser für sie und die Kinder mit ihren Kindermädchen und allem, was dazugehört. Deshalb sollst du das Königin-Emma-Zimmer bekommen.«

»Das hatte ich auch schon beim letztenmal, es ist mir sowieso lieber«, sagte Bella.

Roscoe Scandwell, mit der hawaiischen Liebe und den liebevollen Umgangsformen vertraut, schritt aufrecht, schlank und würdevoll, je einen Arm um ihre üppigen Taillen gelegt, zwischen den beiden edlen Frauengestalten auf das Haus zu.

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