Lloyd Alexander Taran und das Zauberschwein

1. Der Hilfsschweinehirt

Taran hätte lieber ein Schwert geschmiedet; doch Coll, der mit der praktischen Seite seiner Erziehung betraut war, bestand auf Hufeisen. Den ganzen Morgen lang nichts wie Hufeisen! Tarans Arm schmerzte, sein Gesicht war von Ruß geschwärzt. Schließlich ließ er den Hammer sinken und wandte sich an Coll, der ihn spöttisch musterte.

„Warum?“ rief Taran. „Warum ausgerechnet Hufeisen? Wo wir doch keine Pferde haben in Caer Dallben!“

Coll war ein kräftiger, etwas rundlicher Mann, sein mächtiger Kahlkopf glänzte wie eine Speckschwarte. „Ein Glück für die Pferde“, war alles, was er nach einem flüchtigen Blick auf Tarans Arbeit sagte.

„Mit einem Schwert käme ich besser hin“, entgegnete der Junge. „Glaub mir, das könnte ich!“ Ehe Coll imstande war, etwas zu antworten, ergriff er die Zange, warf ein rotglühendes Stück Eisen auf den Amboß und begann wild draufloszuhämmern.

„Warte, warte!“ schrie Coll. „So geht das nicht!“ Ohne auf ihn zu hören – er hätte ihn bei dem Lärm ohnehin nicht verstanden -, hämmerte Taran weiter, so schnell er konnte. Funken sprühten nach allen Seiten. Je länger er hämmerte, desto ärger verrenkte und krümmte sich das Metall. Schließlich sprang es ihm aus der Zange und fiel zu Boden. Bestürzt starrte Taran es an. Dann faßte er das verbogene Eisenstück mit der Zange und hob es auf.

„Nicht gerade ein Heldenschwert“, meinte Coll.

„Es ist hin“, mußte ihm Taran verdrossen beipflichten.

„Weil du es falsch machst“, sagte Coll. „So mußt du die Zange halten! Wenn du zuschlägst, muß alle Kraft aus der Schulter kommen. Das Handgelenk muß ganz locker sein. Wenn du’s richtig machst, hört es sich an wie Musik. – Übrigens ist das kein Metall, um Waffen daraus zu schmieden.“

Coll beförderte die krumme, mißgestaltete Klinge zurück in den Schmelzofen.

„Ich wünschte, ich hätte mein eigenes Schwert – und du würdest mich lehren, damit umzugehen!“ seufzte Taran.

„Ach was!“ rief Coll. „Wozu soll das gut sein? Es gibt keine Schlachten zu schlagen in Caer Dallben.“

„Es gibt ja auch keine Pferde hier“, wandte Taran ein. „Und dennoch schmieden wir Hufeisen.“

„Mach weiter!“ sagte Coll ungerührt. „Übung muß sein!“

Aber Taran ließ nicht locker. „Komm, lehr mich den Schwertkampf!“ bat er den Alten. „Oder verstehst du dich etwa nicht darauf?“

Colls Gesicht glühte auf, ein Lächeln huschte um seine Mundwinkel. „Gewiß doch“, sagte er ruhig. „Zu meiner Zeit habe ich ein- oder zweimal ein Schwert in der Hand gehalten.“

„Dann aber los!“ drängte Taran. Er packte ein Schüreisen, schwang es durch die Luft, tanzte auf dem festgestampften Lehmboden vor und zurück. „Sieh nur!“ schrie er, „das meiste kann ich schon!“

„Halt ein!“ rief Coll lachend. „Du mit deinem Hüpfen und Springen! Wenn du so auf mich losgehst, hacke ich dich in Stücke wie nichts. – Da schau her! Zumindest solltest du wissen, daß es eine richtige und eine falsche Art gibt, mit dem Schwert umzugehen.“

Er schnappte sich einen anderen Schürhaken. „Los jetzt!“ befahl er dem Jungen. „Steh deinen Mann!“

Taran hob den Schürhaken. Während Coll ihm seine Anweisungen zurief, begannen sie mit großem Getöse zu fechten. Im ersten Augenblick glaubte Taran allen Ernstes, Coll überlegen zu sein; aber der alte Mann wich seinen Hieben mit erstaunlicher Gewandtheit aus. Gleich darauf war es Taran, der sich verzweifelt seiner Haut wehren mußte. Doch plötzlich brach Coll den Kampf ab. Auch Taran erstarrte, den Schürhaken in die Luft gereckt. Im Türrahmen war eine hohe, ein wenig vornübergebeugte Gestalt erschienen: Dallben.

Der Herr auf Caer Dallben war dreihundertneunundsiebzig Jahre alt. Ein mächtiger Bart bedeckte den größten Teil seines Gesichtes, was ihm den Anschein gab, als blicke er ständig über eine graue Wolke hinweg. Während Taran und Coll auf dem kleinen Gehöft das Pflügen, Säen, Jäten, Ernten und die gesamte übrige Bauernarbeit besorgten, widmete Dallben sich ausschließlich der Versenkung in die Geheimen Wissenschaften – einer Beschäftigung, die so anstrengend war, daß er sie nur auszuüben vermochte, indem er sich dabei auf den Rücken legte und die Augen schloß. Nach dem Frühstück pflegte er anderthalb Stunden lang allein seinen Betrachtungen zu obliegen, und später am Tage ein zweitesmal. Das Gepolter in der Schmiede hatte ihn jäh aus seiner morgendlichen Versunkenheit gerissen, man sah es an dem hastig übergeworfenen Obergewand.

„Hört sofort mit dem Unfug auf!“ gebot er; und an Coll gewandt, fügte er stirnrunzelnd hinzu: „Ich kann mich nur über dich wundern. Hast du nichts Wichtigeres zu tun?“

„Es war nicht Coll“, unterbrach ihn Taran. „Ich war es, der damit angefangen hat.“

„Das hätte ich nicht erwartet“, meinte Dallben. „Dann ist es vielleicht am besten, du kommst mit mir.“

Taran folgte dem uralten Mann aus der Schmiede. Sie überquerten den Hühnerhof und betraten das weiße, strohgedeckte Wohnhaus. In Dallbens Stube gab es eine Menge alter, halbverschimmelter Bücher. Sie häuften sich auf den durchhängenden Wandborden, sie lagen verstreut auf dem Fußboden umher, zwischen eisernen Kochtöpfen, reichverzierten Ledergürteln und anderem Krimskrams.

Taran nahm auf einer hölzernen Bank Platz – wie immer, wenn Dallben sich dazu herbeiließ, ihn zu belehren oder zu tadeln.

„Ich verstehe dich völlig“, sagte der Meister, nachdem er sich hinter dem Tisch niedergelassen hatte. „Im Gebrauch der Waffen ist eine gewisse Übung vonnöten. Aber weisere Köpfe als du werden darüber befinden, wann du den Schwertkampf erlernen sollst.“

„Tut mir leid“, meinte Taran kleinlaut. „Das konnte ich ja nicht wissen.“

„Ich bin dir deswegen nicht böse“, sagte Dallben. „Ich bin nur ein wenig traurig. Rasch eilt die Zeit dahin. Stets ereignen sich die Dinge früher, als man’s erwartet. Und doch“, murmelte er mehr zu sich selbst, „der Vorfall beunruhigt mich. Möglich, daß er mit dem Gehörnten König zu tun hat…“

„Mit dem Gehörnten König?“ fragte Taran.

„Von ihm laß uns später reden“, sagte Dallben. Er schob einen schweren, in Leder gebundenen Folianten über den Tisch: das „Buch der Drei“, wie er es nannte. Daraus pflegte er dem Jungen gelegentlich vorzulesen, und Taran war davon überzeugt, daß alles darin verzeichnet stand, was zu wissen man sich nur wünschen konnte.

„Wie ich dir früher schon dargelegt habe“, fuhr Dallben fort, „ist unser Prydain ein Land, das aus zahlreichen kleineren Königreichen besteht. Deshalb gibt es da viele Könige – und natürlich auch viele Heerführer, die den Befehl über ihre Krieger haben.“

„O ja“, sagte Taran eifrig. „Über sie alle herrscht Hochkönig Math, Sohn des Mathonwy aus dem Hause Don. Sein Feldherr, Fürst Gwydion, ist der mächtigste Held in Prydain. Ihr habt mir von ihm erzählt, und ich weiß…“

Dallben unterbrach ihn und sprach: „Es gibt andere Dinge, von denen du nichts weißt. Zur Zeit gilt mein Augenmerk mehr dem Reich des Todes. Annuvin ist es, was mich beschäftigt.“

Taran erschauderte, als er den Namen hörte. Selbst Dallben hatte ihn nur wispernd auszusprechen gewagt.

„Du mußt wissen“, fuhr er schnell fort, „daß Annuvin nicht nur ein Land des Todes ist, sondern zugleich eine Schatzkammer, die außer Gold und Edelsteinen viele andere wertvolle Dinge enthält – Dinge, die der Menschheit zu großem Vorteil gereichen könnten. Vor langer Zeit haben Sterbliche diese Schätze besessen. Mit List und Tücke aber hat König Arawn, der Herr von Annuvin, sie Stück um Stück zu seinem eigenen bösen Nutzen an sich gebracht. Einige dieser Schätze hat man ihm später wieder abgerungen, obgleich sie tief in Annuvin versteckt lagen, wo König Arawn sie eifersüchtig bewachen ließ.“

„Nur gut, daß Prydain nicht auch in Arawns Gewalt ist!“ sagte Taran.

„Dafür sollten wir dankbar sein“, meinte Dallben. „Arawn hätte längst auch in unserem Lande die Herrschaft an sich gerissen, wenn nicht die Söhne des Hauses Don aus dem Geschlecht des Sonnenkönigs Belin uns beschützten. Vor langer Zeit kamen sie aus dem Sommerland nach Prydain gezogen, und sie fanden die Gegend hier reich und angenehm, obwohl die Menschen bei uns auch nicht besser waren als anderswo. Hoch droben, im Norden des Landes, haben sie eine starke Festung errichtet. Sie liegt in den Adlerbergen bei Caer Dathyl. Von dort aus haben sie dazu beigetragen, wenigstens einen Teil der Schätze zurückzugewinnen, die Arawn den Menschen gestohlen hat. Und von dort aus behüten sie unser Land vor ihm.“

„Dem Schicksal sei Dank, das sie nach Prydain geführt hat!“ rief Taran aus.

„Ja und nein“, sagte Dallben mit schiefem Lächeln. „Unsere Leute verlassen sich allzusehr auf die Stärke des Hauses Don, besonders in letzter Zeit. Hochkönig Math und Fürst Gwydion, beide Abkömmlinge jenes ruhmreichen Geschlechtes, sorgen dafür, daß wir in Prydain ein friedliches Leben führen, soweit das unter Menschen überhaupt möglich ist; aber es ist mir zu Ohren gekommen, daß sich im Süden ein neuer mächtiger Kriegsherr erhoben habe – so mächtig wie Gwydion, wenn nicht, wie manche behaupten, noch mächtiger. Er ist leider ein Mann des Bösen und spielt mit dem Tod, wie andere Leute mit ihren Hunden spielen.“

„Wer ist es?“ fragte Taran.

Dallben schüttelte das Haupt. „Kein Mensch kennt seinen wahren Namen, noch hat jemals ein Sterblicher sein Gesicht erblickt. Er trägt eine Maske mit einem Hirschgeweih, deshalb nennt man ihn den Gehörnten König. Seine Absichten sind mir unbekannt, doch befürchte ich, daß er auf Seiten Arawns steht. – Was ich dir nun zu sagen habe, dient deiner eigenen Sicherheit“, fügte er hinzu. „Ich sah heute früh wieder, daß dein Kopf voller Unsinn steckt, daß du von Heldentaten und Waffenruhm träumst. Was immer du dir darunter vorstellen magst – ich rate dir, es sofort zu vergessen! Draußen zieht eine unbekannte Gefahr herauf; und da ich eine gewisse Verantwortung dafür übernommen habe, daß du die Schwelle des Mannesalters tunlichst mit heiler Haut erreichst, darfst du Caer Dallben unter gar keinen Umständen verlassen! Nicht einmal über den Obstgarten darfst du hinaus, geschweige denn in den Wald – jedenfalls jetzt noch nicht.“

„Jetzt noch nicht!“ seufzte Taran. „Ich fürchte, so wird es immer heißen. Soll ich denn mein ganzes Leben zwischen Grünzeug und Hufeisen vertrödeln?“

„Es gibt Schlimmeres“, sagte Dallben. „Du schwärmst von Heldentaten und Waffenruhm; doch glaubst du, es sei damit getan, daß man ein Schwert schwingt und sich auf feurigen Rossen tummelt?“

„So wie Fürst Gwydion!“ rief der Junge dazwischen. „Ihm möchte ich’s gleichtun!“

„Das mußt du dir aus dem Kopf schlagen“, sagte Dallben.

„Aber warum?“ Taran sprang von der Bank hoch. „Warum denn?“

„Warum?“ unterbrach ihn der Alte. „Zuweilen lernen wir mehr, indem wir nach einer Antwort auf unsere Fragen suchen und sie nicht finden, als durch die Antwort selbst. Wenn du mit etwas Verstand heranwächst, woran du mich manchmal zweifeln machst, wirst du in dieser Sache zu deinen eigenen Schlüssen kommen.“

Taran ließ sich auf die Bank zurückfallen und sagte nichts mehr dazu. Dallben begann wieder nachzusinnen. Sein Kinn sank immer tiefer auf die Brust herab, der Bart wallte ihm um die Ohren wie eine Nebelbank. Schließlich fing er friedlich zu schnarchen an. Der Duft von blühenden Apfelbäumen strich zum offenen Fenster herein. Die Felder waren frisch umgepflügt, in der Ferne erspähte Taran den grünen Saum des Waldes.

Das „Buch der Drei“ lag zugeklappt auf dem Tisch. Dem Jungen war es nie erlaubt worden, selbst darin zu lesen. Neugier ergriff ihn. Während der alte Meister vor sich hin schnarchte, erhob sich Taran und schlich durch das schimmernde Gitter der Sonnenstrahlen auf den Tisch zu. Seine Hände berührten den Einband des Buches. Im nächsten Augenblick zuckte er zurück und stöhnte vor Schmerz laut auf. Seine Finger brannten, als habe er in ein Wespennest gegriffen. Er taumelte gegen die Bank und fiel zu Boden. Leise wimmernd steckte er die Finger in den Mund.

Dallben blinzelte ihn an und gähnte: „Geh zu Coll und laß dir ein Mittel zum Einreiben geben, sonst bekommst du Blasen!“

Schamerfüllt und mit schmerzenden Fingern eilte Taran aus dem Haus. Er fand Coll in der Nähe des Gemüsegartens.

„Bist du etwa am „Buch der Drei„ gewesen?“ meinte Coll. „Na, nun weißt du Bescheid! Viel sehen, viel üben, viel leiden: das sind nun mal die drei Grundlagen allen Lernens.“ Er führte Taran zum Stall, wo er die Arzneien für das Vieh verwahrte, und rieb ihm die Finger mit einer Salbe ein.

„Was nützt mir die ganze Lernerei, wenn man mir alle wichtigen Dinge verheimlicht“, stöhnte Taran. „Ich glaube, es ist mir vom Schicksal auferlegt, immer bloß im dunkeln herumzutappen und nie etwas wirklich Aufregendes zu erleben. Ob es mir je vergönnt sein wird, Großes zu leisten? Wer bin ich denn eigentlich? Ich bin nichts und niemand!“

„O doch“, widersprach ihm Coll. „Du bist Taran von Caer Dallben, und meinetwegen sollst du von nun an sogar einen Titel führen. Hiermit ernenne ich dich zum Hilfsschweinehirten! In dieser Eigenschaft hast du die ganz besondere Ehre, mir bei der Versorgung unserer guten Hen Wen zu helfen. Achte darauf, daß ihr Trog immer voll ist! Hole Wasser für sie am Brunnen und schrubbe sie jeden zweiten Tag tüchtig ab!“

„Das muß ich ja ohnehin tun“, maulte Taran.

„Um so besser“, erwiderte Coll, „das erleichtert die Sache bloß. Einen besseren Titel habe ich nicht zur Hand. Es ist immerhin keine Kleinigkeit, daß du mithelfen darfst, ein Zauberschwein zu versorgen. Du weißt ja, Hen Wen ist das einzige Schwein dieser Art in ganz Prydain und deshalb besonders wertvoll.“

„Wertvoll für Dallben“, nörgelte Taran. „Mir hingegen erzählt Hen Wen nie etwas von der Zukunft!“

„Wie käme sie denn dazu?“ antwortete Coll. „Bei ihr muß man sich eben darauf verstehen, sie in der richtigen Art zu befragen. Hoppla, was war das?“ Er beschattete die Augen mit der Hand. Eine dunkle, summende Wolke strich vom Obstgarten herüber, wuchs rasch an und fegte so dicht an seinem Schädel vorbei, daß er sich ducken mußte.

„Die Bienen!“, schrie Taran. „Die Bienen schwärmen!“

„So früh schon?“ rief Coll verwundert. „Da muß was los sein!“

Die Wolke stieg zur Sonne empor und entschwand ihren Blicken. Einen Augenblick später hörte Taran drüben auf dem Hühnerhof lautes Gackern und Krähen. Er sah die fünf Hennen und den Hahn mit den Flügeln schlagen und sich schwerfällig in die Lüfte erheben. Taran und Coll rannten sofort hinüber, aber sie kamen zu spät. Den Hahn an der Spitze, flatterten die Hühner davon und verschwanden hinter dem nächsten Hügel. Im Kuhstall brüllten die beiden Ochsen und rollten entsetzt die Augen.

Ärgerlich steckte Dallben den Kopf zum Fenster heraus. „Es ist völlig unmöglich, hier ernsthaft nachzudenken!“ sagte er mit strengem Blick auf Taran. „Ich habe dich heute schon einmal zurechtweisen müssen!“

„Irgendwas hat die Tiere erschreckt“, entgegnete der Junge. „Zuerst sind die Bienen weggeflogen und dann die Hühner.“

Dallbens Gesicht wurde ernst. „Das bedeutet nichts Gutes“, sagte er zu Coll. „Wir müssen sofort Hen Wen um Rat befragen! Wo haben wir denn die Runenstäbe? Schnell, hilf sie mir suchen, ohne die Stäbe geht es nicht!“

Coll eilte zum Wohnhaus. „Gib acht auf Hen Wen!“ befahl er Taran, „laß sie nicht aus den Augen!“ Dann verschwand er im Haus, um nach Hen Wens Runenstäben zu suchen, den langen, mit geheimnisvollen Zeichen bedeckten Ruten aus Eschenholz. Taran bekam Herzklopfen vor Aufregung. Dallben, das wußte er, pflegte Hen Wen nur in Fragen von höchster Wichtigkeit zu bemühen. Seit er auf dem Hof des alten Zauberers lebte, war das noch nie geschehen. Er eilte zum Schweinegarten.

Hen Wen schlief gewöhnlich bis in die Mittagsstunden im Stall. Dann trottete sie in eine schattige Ecke ihres Geheges und ließ sich dort für den Rest des Tages gemütlich nieder. Meist führte sie unter ständigem Grunzen und Schnaufen endlose Selbstgespräche, und wann immer sie Taran erblickte, hob sie ihm ihren breiten Rüssel entgegen, um sich das Kinn kraulen zu lassen. Heute indessen schenkte ihm das weiße Schwein keinerlei Beachtung. Keuchend und pfeifend wühlte es in der hin tersten Ecke des Schweinegartens die Erde auf. Wollte Hen Wen etwa ausreißen?

Taran begann auf sie einzuschimpfen, aber sie ließ sich bei ihrer Wühlerei nicht stören. Erst als der Junge sich über den Zaun schwang, hielt das Orakelschwein einen Augenblick inne und schaute auf. Dann machte es kehrt, rannte in die entgegengesetzte Ecke des Geheges und begann dort aufs neue ein Loch zu graben. Taran war ein kräftiger Junge und hatte lange Beine. Doch zu seinem Erstaunen stellte es sich heraus, daß Hen Wen schneller war als er. Kaum hatte er sie beim zweiten Loch erreicht, da sauste sie auf ihren kurzen Beinchen zum ersten zurück.

Wie verrückt scharrte Taran die Erde wieder ins Loch. Aber Hen Wen grub schneller als ein Dachs, die Hinterfüße fest aufgestützt, wühlte sie mit den Vorderpfoten in höchster Eile drauflos. Taran sah ein, daß es zwecklos war, sie daran zu hindern.

Er kletterte abermals über den Zaun und lief zu der Stelle, wo Hen Wen aller Voraussicht nach auftauchen mußte. Sein Plan war es, sie zu packen und festzuhalten, bis Dallben und Coll zur Stelle waren. Aber auch diesmal unterschätzte er Hen Wens Flinkheit und Stärke. In einer Wolke von Kieselsteinen und Erdbrocken brach das Schwein unter dem Zaun hervor und schleuderte Taran in die Luft. Er überschlug sich ein paarmal und fiel zu Boden. Hen Wen sauste über die Felder davon, in den Wald hinein.

Der Junge folgte ihr kurz entschlossen nach. Dunkel und drohend wuchs der Wald vor ihm auf. Taran holte tief Atem und stürzte sich hinter Hen Wen ins Dickicht.

Загрузка...