5. Das zerbrochene Schwert

Vor Entsetzen kläffend, rannte Gurgi davon. Seite an Seite mit Taran erwartete Gwydion den Angriff. Mit einer blitzschnellen Bewegung zog er das Netz von Gras aus der Rocktasche. Die welken Halme begannen sogleich zu wachsen und sich zu strecken. Sie leuchteten gleißend auf, Taran mußte geblendet wegblicken. Gwydion stieß einen Schrei aus und warf dem vordersten Angreifer das blitzende Netz entgegen. Aufheulend ließ der Reiter das Schwert fallen und griff in die Luft. Er taumelte aus dem Sattel, während das Netz ihn einhüllte wie eine riesige flammende Spinnwebe. Gwydion zerrte Taran zu einem nahen Eschenbaum, dort zog er das Jagdmesser aus dem Gürtel und drückte es ihm in die Hand. „Die einzige Waffe, die ich entbehren kann“, rief er. „Kämpfe damit, so gut du vermagst!“ Den Rücken zum Baum gewandt, stellte sich Gwydion den fünf noch verbliebenen Angreifern. Er schwang sein breites Schwert über dem Kopf, daß die Klinge sang. Die Feinde stürmten heran. Ein Pferd bäumte sich auf, Taran sah für einen Augenblick nichts wie Hufe vor seinem Gesicht. Einer der Reiter versetzte ihm einen Hieb auf den Kopf, schwenkte ab, griff von neuem an. Blindlings stieß Taran mit Gwydions Messer zu. Aufschreiend griff sich der Reiter ans Bein und suchte das Weite.

Von Gurgi war nichts mehr zu sehen. Dafür kam etwas Weißes über das Feld herangebraust: Melyngar stürzte sich in den Kampf! Die goldene Mähne gesträubt, warf er sich zornig wiehernd dem Feind entgegen und drängte sich, beißend und mit den Hufen um sich schlagend, zwischen die fremden Gäule. Einer der Krieger versuchte sein Pferd zu wenden. Das Tier knickte auf der Hinterhand ein. Melyngar richtete sich zu voller Höhe auf, schlug den Reiter mit den Vorderhufen aus dem Sattel und trampelte ihn zu Tode. Den anderen Kriegern gelang es mit Müh und Not, an dem tobenden Schimmel vorbeizukommen. Bei der Esche empfing sie Fürst Gwydion mit dem Schwert. Seine Beine schienen im Erdboden verwurzelt zu sein, in seinen Augen flackerte grünes Feuer. „Nur Mut!“ rief er Taran zu. Das Schwert pfiff und sang. Einer der Reiter stieß einen Schrei aus und stürzte. Die beiden anderen wichen ein Stück zurück, unschlüssig, was sie tun sollten.

Da dröhnte mit einemmal neuer Hufschlag heran. Zwei weitere Reiter kamen über die Wiese geprescht. Scharf zügelten sie die Pferde, dann sprangen sie aus dem Sattel und stürmten auf Gwydion zu. Ihre Gesichter waren fahl, ihre Augen glichen Steinen. Breite Bronzebänder umschlossen ihre Hüften, und von diesen seltsamen Gürteln hingen lange schwarze Peitschen herab. Die Brustplatten ihrer Rüstungen waren mit Bronzeknöpfen beschlagen. Dem Jungen fiel auf, daß sie weder Helm noch Schild trugen. Ihre Gesichtszüge waren erstarrt in der eisigen Maske des Todes.

Noch einmal blitzte Gwydions Schwert auf. „Flieh!“ rief er Taran zu. „Das sind Kesselkrieger, man kann sie nicht töten! Schwing dich auf Melyngar und versuche, hier wegzukommen!“

Taran stemmte sich fester gegen den Eschenstamm, das Jagdmesser kampfbereit. Einen Augenblick später fielen die Kesselkrieger über sie her. Der Junge wurde von Furcht erfaßt wie von schwarzen Flügeln. Was ihn am meisten erschreckte, waren weder die leichenblassen Gesichter seiner Gegner noch ihre toten Augen: es war die gespenstische Lautlosigkeit, mit der sie sich bewegten. Stumm schwangen sie die Schwerter. Metall klirrte auf Metall. Unbarmherzig schlugen sie zu, immer wieder und wieder. Gwydions Klinge fuhr einem von ihnen durch die Brustwehr und bohrte sich tief in sein Herz. Der bleiche Krieger gab keinen Laut von sich; kein Blutstropfen floß aus der Wunde, als Gwydion die Waffe herauszog. Der Kesselkrieger schüttelte sich nur einmal, ohne dabei eine Miene zu verziehen, und schon drang er von neuem auf Gwydion ein. Gwydion wehrte sich wie ein in die Enge getriebener Wolf, mit gefletschten Zähnen und funkelnden Augen. Taran stürzte sich mit dem Messer auf einen der stummen Krieger. Ein Schwertstreich traf ihn am Arm, das Jagdmesser flog im hohen Bogen ins Farnkraut.

Gwydion blutete an der Stirn und am Jochbein. Einmal gab er sich eine Blöße. Einer der beiden Kesselkrieger versetzte ihm einen Hieb vor die Brust. Gwydion drehte sich weg und stieß ihm das Schwert in die Seite. Die fahlen Krieger bedrängten ihn nur um so heftiger. Plötzlich ließ Gwydion ermattet den Arm sinken und begann zu taumeln. Mit einem Aufschrei brach er in die Knie. Mit letzter Kraft versuchte er, noch einmal das Schwert zu schwingen. Die Kesselkrieger warfen die Waffen weg. Dann ergriffen sie Gwydion, rangen ihn zu Boden und fesselten ihn.

Nun stürzten sich die zwei übriggebliebenen Reiter auf Taran. Der eine packte ihn an der Kehle, der andere band ihm die Hände auf dem Rücken fest. Er wurde zu Melyngar gezerrt und ihm wie eine Jagdbeute aufgeladen, Seite an Seite mit Gwydion. „Schlimm verwundet?“ flüsterte der ihm zu.

„Nein“, sagte Taran. „Und Ihr?“

„Ich habe schon Schlimmeres überlebt“, meinte Gwydion, und mit bitterer Stimme fügte er hinzu: „Warum bist du nicht geflohen, wie ich es dir befohlen hatte? Wenn ich gegen die Kesselkrieger auch machtlos bin, den Rückzug hätte ich dir auf jeden Fall decken können. – Nun, immerhin hast du tapfer gefochten, Taran von Caer Dallben!“

Taran mußte an das flammende Netz von Gras denken, das Gwydion vor seinen Augen geknüpft hatte, bevor sie über den Avren gegangen waren. „Ihr seid kein gewöhnlicher Heerführer!“ raunte er ihm ins Ohr. „Auch Ihr seid ein Zauberer!“ Gwydion schüttelte traurig den Kopf. „Ich verstehe nur wenig von den geheimen Künsten“, sagte er. „Dallben hat es mich gelehrt. Wie du siehst, hat es nicht einmal dazu ausgereicht, einen tapferen Freund vor dem Zugriff Arawns zu schützen.“

Einer der Kesselkrieger trieb sein Pferd an die Seite Melyngars, löste die Peitsche vom Gürtel und ließ sie erbarmungslos auf die Gefangenen niedersausen.

„Schweigen wir lieber“, wisperte Gwydion. „Das Reden bringt uns nur Schläge ein. Sollten wir uns nicht wiedersehen – leb wohl!“


Der Trupp ritt lange Zeit, ohne anzuhalten. Als sie den seichten Ystrad durchwateten, drängten sich die Kesselkrieger von beiden Seiten dicht an die Gefangenen heran und nahmen sie in die Mitte. Taran versuchte noch einmal, mit Gwydion zu sprechen. Ein Peitschenhieb schnitt ihm das Wort ab. Die Kehle des Jungen war ausgetrocknet, ihm schwindelte. Er konnte nicht feststellen, wie lang sie unterwegs waren, denn von Zeit zu Zeit fiel er in Fieberträume. Die Sonne stand noch am Himmel, als sie den Fuß eines steinigen Hügels erreichten, auf dessen Kuppe sich eine graue, mit Türmen und drohenden Zinnen bewehrte Festung erhob. Melyngars Hufe klapperten eine Zeitlang auf einem gepflasterten Weg bergan, dann tat sich ein Burghof vor ihnen auf. Rohe Hände zerrten Taran von Melyngars Rücken und trieben ihn einen gewölbten Gang entlang. Wenige Schritte vor ihm wankte Gwydion in einer Gruppe von Wächtern dahin. Taran versuchte ihn einzuholen; aber der Hieb eines Kesselkriegers zwang ihn auf die Knie. Einer der Wächter zog ihn wieder hoch und stieß ihn weiter.

Schließlich wurden die Gefangenen in einen geräumigen Saal geführt. Von den Wänden, die mit blutroten Teppichen verhängt waren, flackerten Fackeln. In der großen, fensterlosen Halle war es kühl und feucht. An der Stirnseite des Raumes stand ein aus schwarzem Holz geschnitzter Thron, darauf saß eine Frau. Ihr langes Haar schimmerte silbern im Fackelschein, ihr Antlitz war jung und betörend schön. Weiß hob sich ihre Haut von der Purpurfarbe ihres Gewandes ab. Hals und Nacken waren von Perlenketten umschlungen; mit Edelsteinen besetzte Armbänder blitzten um ihre Handgelenke; in den schweren Goldringen, die sie an den Fingern trug, spiegelte sich das Flackern der Fackeln wider. Ihr zu Füßen lag Gwydions Schwert.

Die Schöne erhob sich rasch. „Schande über mein Haus!“ rief sie ihren Kriegern zu. „Warum hat man die Wunden dieser beiden Männer nicht versorgt, wie es sich gehört? Dafür werdet ihr euch zu verantworten haben!“ Sie zeigte auf Taran. „Der Ärmste vermag sich ja kaum auf den Füßen zu halten. Rasch doch, bringt Speise und Trank herbei und Arzneien für ihre Wunden!“ Wiederum wandte sie sich an Taran. „Armer Kleiner“, sagte sie mitleidig lächelnd und berührte seinen verletzten Arm mit einer ihrer zarten, blassen Hände. Taran spürte, wie sein ganzer Körper von einer tröstlichen Wärme durchflutet wurde. Ein wohltuendes Gefühl der Ruhe überkam ihn – einer Ruhe, die ihn an längst vergangene Zeiten erinnerte: an das warme Bett seiner Kinderzeit und an schläfrige Sommernachmittage in Caer Dallben. Aus weiter Ferne hörte er eine weibliche Stimme fragen: „Wie kommst du hierher?“

„Wir haben den Avren-Fluß überschritten“, sagte Taran bereitwillig, „und mit einemmal…“

„Schweig!“ unterbrach ihn Gwydion. „Weißt du nicht, daß Achren vor dir steht? Sie lockt dich in eine Falle!“

Tarans Atem ging schwer. Er konnte nicht glauben, daß Gwydion recht haben sollte. Soviel Schönheit – und nichts wie Bosheit und Tücke dahinter? Immerhin schien es geboten, den Mund zu halten.

„Nun?“ wandte die Frau sich erstaunt an Gwydion. „Was Ihr da sagtet, klang nicht gerade freundlich. Für diesmal will ich es Eurer Verwundung zugute halten, doch warne ich Euch! Wer seid Ihr, was sucht Ihr hier?“

In Gwydions Augen blitzte es auf. „Ihr kennt mich so gut, Achren, wie ich Euch!“ hielt er ihr entgegen.

„Man hat mir berichtet, Fürst Gwydion reise durch meine Lande“, sagte sie ungerührt. „Das ist alles.“

„Und Arawn? Er hat seine Krieger ausgesandt, um uns erschlagen zu lassen!“ rief Gwydion. „Sie stehen in Eurer Halle, und Ihr wollt von nichts gewußt haben?“

„Die Kesselkrieger hatten den Auftrag, Euch aufzuspüren und in mein Schloß zu bringen – nicht aber, Euch zu töten. Sonst stündet Ihr jetzt nicht hier“, entgegnete Achren. „Da ich Euch nun von Angesicht sehe, Fürst Gwydion, bin ich froh, daß Ihr noch am Leben seid. Es gibt mancherlei zwischen uns zu besprechen, was Euch von Nutzen sein kann.“

„Wenn Ihr mit mir verhandeln wollt, bindet mich los und gebt mir mein Schwert zurück!“ sagte Gwydion.

„Stellt Ihr mir etwa Bedingungen?“ fragte Achren mit sanfter Stimme. „Offenbar habt Ihr mich mißverstanden. Ich habe Euch etwas zu bieten, das wertvoller ist als die Freiheit und alle Waffen der Welt. Damit meine ich Euer Leben, Fürst Gwydion!“

„Was verlangt Ihr dafür?“

„Ich hatte an einen Tausch gedacht“, sagte Achren und deutete auf Taran. „Doch ich sehe, daß Euer Begleiter kein Mann von Rang ist. – Nun, es gibt andere Dinge, die wert sind, darum zu feilschen. Ihr kennt mich nicht ganz so gut, wie Ihr glaubt, Fürst. Es gibt keine andere Zukunft für Euch als durch mich. Darüber solltet Ihr Euch im klaren sein, und ich verpfände mein Wort dafür…“

„Euer Wort? Es stinkt nach Annuvin!“ rief Gwydion. „Spart Euch die Mühe, ich kenne Euch durch und durch!“

Achrens Gesicht wurde fahl. Mit beiden Fäusten schlug sie auf Gwydion ein. Sie zerkratzte ihm mit den Fingernägeln die Wangen. Dann riß sie sein Schwert aus der Scheide und ging damit auf ihn los. Gwydion blickte ihr starr in die Augen, er rührte sich nicht. Sie schickte sich an, ihm das Schwert durch den Hals zu stoßen – doch hielt sie im letzten Augenblick inne. „Nein!“ schrie sie. „Ich töte dich nicht! Du sollst Dinge erleben, die tausendmal schlimmer sind als der Tod. Und hast du zu meinen Worten auch wenig Zutrauen – dieses Versprechen halte ich!“

Achren holte aus und schleuderte Gwydions Schwert mit aller Kraft gegen einen Mauerpfeiler. Funken sprühten, die Klinge gab einen hellen, sirrenden Ton von sich und blieb unversehrt. Mit einem Wutschrei schmetterte Achren die Waffe zu Boden.

Auch diesmal gelang es ihr nicht, das Schwert zu zerbrechen. Da packte sie es mit beiden Händen. Ihr Gesicht lief rot an, ihre Lippen bebten und zitterten. Sie murmelte etwas Unverständliches. Plötzlich dröhnte ein Donnerschlag durch die Halle, ein Licht flammte auf, das Licht einer blutroten Sonne – und klirrend fielen die Stücke der geborstenen Waffe auf die Steinfliesen. „Auch dich werde ich zerbrechen, Gwydion!“ kreischte Achren. Sie winkte den Wächtern. Die Krieger schritten auf Taran und Gwydion zu und drängten sie aus der Halle. Draußen im Gang versuchte Taran sich loszureißen, an Gwydions Seite zu kommen. Einer der beiden Kesselkrieger hieb ihm den Peitschenstiel über den Kopf.

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