Als Kwakin den herankommenden Jungen bemerkte, blieb er stehen. Sein breites Gesicht verriet weder Staunen noch Schrecken.
„Ich begrüße dich, Kommissar“, sagte er leise. Er hielt den Kopf schief. „Wohin so eilig?“ fragte er.
„Dir entgegen“, antwortete Timur. „Ich begrüße dich, Ataman“, rief er, auf Kwakins Ton eingehend.
„Hocherfreut über den Gast. Nur fehlt die Bewirtung. Höchstens so etwas!“ und Kwakin holte aus seiner Jacke einen Apfel vor und hielt ihn Timur hin.
„Von eben diesen“, erklärte Kwakin, „von der Sorte ‚Goldsaft’. Nur schade, sie sind noch nicht reif.“
„Hast du sie gestohlen?“ fragte Timur gleichmütig und biß in die Frucht. „Zu sauer“, bemerkte er und warf den angebissenen Apfel weg. „Höre mal, hast du eigentlich dieses Zeichen an dem Hause Nummer vierunddreißig nicht gesehen?“ Und Timur wies auf den Stern an seinem Turnhemd.
„Natürlich habe ich es gesehen“, antwortete Kwakin und horchte auf. „Mir entgeht nichts, weder am Tage noch in der Nacht, mein Lieber.“
„Solltest du also in Zukunft am Tage oder in der Nacht ein solches Zeichen erblicken, dann rate ich dir, trolle dich, als hätte dich einer mit kochendem Wasser übergossen“, erklärte Timur mit drohender Stimme.
„Ach, Kommissar! Wie hitzig du bist!“ sagte Kwakin, die Worte dehnend. „Doch nun genug geschwätzt!“
„Ach, Ataman, wie störrisch du bist“, antwortete Timur, ohne die Stimme zu erheben. „Nun merke dir und sage es auch deinen Spießgesellen: Heute ist es das letzte Mal, daß ich mit dir s p r e c h e .“ – Ein zufälliger Beobachter hätte nicht vermuten können, daß sich hier zwei erbitterte Feinde gegenüberstanden. Das ganze erweckte den Anschein eines freundschaftlichen Gesprächs. Daher erkundigte sich Olga, die einen Krug in der Hand hielt, auch völlig harmlos bei der Milchfrau, wer eigentlich der große Junge sei, der sich mit dem Straßenbengel Kwakin unterhalte. „Weiß ich nicht“, gab die Milchfrau bissig zurück. „Wahrscheinlich ebenso ein Straßenbengel und Strolch. Der treibt sich doch ständig in der Nähe eures Hauses herum. Gib auf dein Schwesterchen acht, meine Liebe, daß sie dir die nicht verbleuen.“
Eine unerklärliche Sorge ergriff Olga. Sie warf den beiden Jungen einen mißtrauischen Blick zu, dann stellte sie den Krug beiseite, verschloß die Gartentür und ging über die Straße. Sie wollte nach Shenja Ausschau halten, die sich schon seit zwei Stunden nicht mehr hatte blicken lassen.
Ungeduldig erwarteten die auf dem Dachboden hockenden Kinder Timurs Rückkehr. Als er endlich kam, mußte er ihnen haargenau erzählen, was sich zugetragen hatte. Dann wurde lange und erregt beraten, und schließlich einigten sich die Jungen, Kwakins Bande am nächsten Tage feierlich ein Ultimatum zu überreichen.
Nachdem das erledigt war, löste Timur die Versammlung auf, und die Jungen krochen, einer hinter dem anderen, möglichst lautlos aus dem Dachfenster und die Leiter hinab. Dann schlichen sie behutsam auf allerlei Umwegen nach Hause; vielfach mußte über Zäune geklettert werden. Nur Timur und Shenja blieben zurück.
„Nun?“ fragte Timur und trat dichter an Shenja heran. „Ist dir jetzt alles klar?“
„So ziemlich“, antwortete Shenja, „aber ganz noch nicht. Du mußt mir noch verschiedenes erklären.“
„Das will ich gerne tun, aber erst wollen wir hinunterklettern; komm mit mir nach Hause, Shenja.
Deine Schwester habe ich eben weggehen sehen. Sie ist bestimmt noch nicht zurück.“
Einträchtig kletterten sie die Leiter hinab, die Timur dann vorsorglich umwarf und gegen die Mauer legte.
Es war schon dunkel geworden. Aber Shenja folgte ihm vertrauensvoll.
Bei dem Häuschen, in dem die alte Milchfrau wohnte, blieb Timur stehen; er sicherte nach allen Seiten. Kein Mensch war in der Nähe. Nun holte er eine Tube mit Ölfarbe aus der Tasche und trat dicht an das Tor heran, auf dem ein roter Stern aufgemalt war.