Zweiunddreißig

Im Anflug auf Cerberus/Hades

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Diesmal fand er sich schneller zurecht, obwohl die Umgebung fremdartiger war als alles, was er je erlebt hatte.

»Im Anflug auf Brückenkopf Cerberus«, meldete der Anzug mit einer Selbstverständlichkeit, als sei das ein Ziel wie jedes andere. Schriftzeichen liefen über das Sichtfenster des Helms, aber seine Augen konnten sich nicht darauf einstellen. Er befahl dem Anzug, die Bilder direkt an sein Gehirn zu übertragen. Jetzt sah er besser. Die vielfach gewundenen geologischen Konturen der Planetenoberfläche — sie war jetzt so riesig, dass sie die Hälfte des Himmels ausfüllte — waren lila abgesetzt. In der Falschfarbendarstellung erinnerte die Welt mit ihren vielen Falten noch mehr an ein Gehirn als zuvor. Bis auf den mattroten Schimmer, den Hades und das viel weiter entfernte Delta Pavonis abstrahlten, gab es kaum natürliches Licht. Aber der Anzug glich das aus, indem er infrarote Photonen in den sichtbaren Bereich verschob.

Jetzt erschien über dem Horizont ein Objekt, das auf dem Sichtschirm grün blinkte.

»Der Brückenkopf«, sagte Sylveste, vor allem, um eine menschliche Stimme zu hören. »Da ist er.«

Jetzt sah er auch, wie klein er war — ein winziger Splitter in einer gewaltigen Götterstatue. Cerberus hatte einen Durchmesser von zweitausend Kilometern; der Brückenkopf war nur vier Kilometer lang und steckte zum überwiegenden Teil in der Kruste. Andererseits war gerade dieses Missverhältnis zwischen Waffe und Welt ein schlagender Beweis für Ilia Volyovas überragende Fähigkeiten.

Die Waffe mochte klein sein, aber sie war ein Dorn in Cerberus’ Fleisch, das war selbst von hier oben zu erkennen. Im Umkreis des Brückenkopfes wirkte die Kruste wie entzündet, sie stand unter einem Druck, der die eingebauten Toleranzen überstieg, und hatte über mehrere Kilometer ihr natürliches Aussehen verloren. Vermutlich war sie hier in ihren ursprünglichen Zustand zurückgefallen: ein Sechseckgitter, das an den Rändern wieder in Fels überging.

In wenigen Minuten würde Sylveste den Schlund — das offene Ende des Kegels — erreichen. Obwohl er von flüssiger Luft umgeben war, zerrte die Schwerkraft bereits an seinen Eingeweiden. Noch war sie schwach, ein Viertel des Erdstandards — trotzdem wäre ein Sturz aus dieser Höhe mit oder ohne Schutzanzug vermutlich tödlich.

Jetzt tauchte endlich ein zweiter Körper auf. Sylveste vergrößerte den Bildausschnitt. Ein Anzug wie sein eigener zeichnete sich hell vor dem dunklen Hintergrund ab. Er befand sich etwas vor ihm und strebte auf der gleichen Bahn der kreisrunden Öffnung am hinteren Ende des Brückenkopfes zu. Wie zwei Fische im Meer, dachte Sylveste. Gleich würde der Brückenkopf sie einsaugen und wie durch einen riesigen Trichter in Cerberus’ Magen befördern.

Jetzt gibt es kein Zurück mehr, dachte er.


Die drei Frauen rannten einen Korridor hinunter, der völlig bedeckt war von toten Ratten und verrußten, steifen Panzern, die vermutlich einmal Ratten gewesen waren, ohne dass man sie sich genauer hätte ansehen wollen. Für alle drei war nur noch ein großes Gewehr vorhanden, aber damit konnten sie jeden Servomaten erledigen, den das Schiff womöglich auf sie hetzte. Die kleinen Pistolen erfüllten eventuell denselben Zweck, aber man musste damit umgehen können und brauchte außerdem ein Quäntchen Glück. Gelegentlich bewegte sich der Boden unter ihren Füßen. Das zerrte an den Nerven.

»Was ist das?«, fragte Khouri. Sie hinkte jetzt. Die Explosion in der Krankenstation hatte ihre Spuren hinterlassen. »Was hat das zu bedeuten?«

»Sonnendieb experimentiert«, sagte Volyova. Sie war so außer Atem, dass sie alle zwei Worte eine Pause machte. Ihre Seite brannte wie Feuer, als wollten alle Verletzungen, die seit Resurgam verheilt waren, wieder aufreißen. »Bisher hat er die weniger kritischen Systeme wie die Roboter und die Ratten gegen uns eingesetzt. Aber wenn er den Antrieb erst richtig kennt — wenn er ihn so bedienen kann, dass die Toleranzen nicht überschritten werden —, braucht er nur den Schub ein paar Sekunden lang hochzufahren, um uns zu zermalmen.« Keuchend rannte sie ein paar Schritte weiter. »So habe ich Nagorny getötet. Aber Sonnendieb kontrolliert zwar das Schiff, aber er kennt es nicht gut genug. Also spielt er im Moment ganz vorsichtig mit dem Antrieb, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Wenn er das erst geschafft hat…«

»Können wir nicht irgendwo hingehen«, fragte Pascale, »wo wir in Sicherheit sind? Wo uns die Ratten und die Maschinen nichts anhaben können?«

»Schon, aber vor der Beschleunigung sind wir nirgends sicher. Sie kann uns überall zermalmen.«

»Das heißt, wir müssen das Schiff verlassen. Das wolltest du doch sagen.«

Sie blieb stehen, sah sich den Korridor genau an und stellte fest, dass er nicht zu denen gehörte, die das Schiff abhören konnte. »Passt auf«, sagte sie. »Macht euch keine Illusionen. Wenn wir das Schiff verlassen, bezweifle ich sehr, dass wir eine Möglichkeit finden, wieder zurückzukehren. Andererseits sind wir verpflichtet, Sylveste aufzuhalten, wenn wir nur die geringste Chance dafür sehen. Auch wenn es uns selbst das Leben kosten sollte.«

»Wie willst du Dan erreichen?«, fragte Pascale. Offenbar verstand sie unter Aufhalten immer noch, Sylveste irgendwie einzufangen und ihn zu überzeugen, seine Pläne nicht weiter zu verfolgen. Volyova beschloss, ihr diese Illusion noch eine Weile zu lassen, obwohl sie eigentlich etwas ganz anderes im Sinn hatte.

»Ich glaube, dein Mann hat einen von unseren Anzügen genommen«, sagte sie. »Mein Armband sagt, dass von den Shuttles keines fehlt. Außerdem hätte er damit nicht fliegen können.«

»Oder höchstens mit Sonnendiebs Hilfe«, wandte Khouri ein. »Hört mal, können wir nicht weitergehen? Ich weiß, wir haben kein bestimmtes Ziel, aber mir ist nicht wohl dabei, wenn wir zu lange nur herumstehen.«

»Er hätte auf jeden Fall einen Anzug genommen«, sagte Pascale. »Das hätte auf seiner Linie gelegen. Aber er wäre nicht allein damit losgezogen.«

»Hältst du es für möglich, dass er Hilfe von Sonnendieb angenommen hätte?«

Sie schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Er hat nicht einmal an Sonnendieb geglaubt. Wenn er nur den Verdacht gehabt hätte, dass er zu irgendetwas gedrängt — gezwungen — werden sollte; nein, das hätte er niemals akzeptiert.«

»Vielleicht hatte er gar keine andere Wahl«, sagte Khouri. »Aber wie auch immer; nehmen wir an, er wäre mit einem Anzug unterwegs. Gäbe es dann eine Möglichkeit, ihn einzuholen?«

»Nicht, bevor er Cerberus erreicht.« Die Möglichkeit brauchten sie gar nicht in Betracht zu ziehen. Volyova wusste, wie schnell man im Weltall eine Million Kilometer zurücklegen konnte, wenn man sich einer konstanten Beschleunigung von zehn Ge aussetzte. »Für uns sind die Anzüge zu riskant, jedenfalls so, wie dein Mann sie benützt. Wir müssen mit einem der Shuttles hinunterfliegen. Sie sind sehr viel langsamer, aber die Gefahr, dass Sonnendieb die Steuermatrix infiltriert hat, ist dafür geringer.«

»Warum das?«

»Klaustrophobie. Die Shuttles sind in der Entwicklung etwa dreihundert Jahre hinter den Anzügen zurück.«

»Und was nützt uns das?«

»Glaube mir, wenn man mit ansteckenden fremden Geistesparasiten zu tun hat, kann man gar nicht primitiv genug sein.« Dann brachte sie, fast als wäre das eine anerkannte Form verbaler Zeichensetzung, ihren Nadler in Anschlag und erledigte eine Ratte, die sich in den Korridor verirrt hatte.


»An diesen Raum erinnere ich mich«, sagte Pascale. »Du hast uns hierher gebracht, als…«

Khouri befahl der Tür mit der kaum sichtbaren Spinne, sich zu öffnen.

»Hinein mit dir«, sagte sie. »Mach es dir bequem. Und fang schon mal zu beten an, damit mir wieder einfällt, wie Ilia dieses Ding gesteuert hat.«

»Wo treffen wir uns mit ihr?«

»Draußen«, sagte Khouri. »Hoffe ich jedenfalls.«

Sie war schon dabei, die Tür des Spinnenraums zu schließen. Ihr Blick ruhte auf den Messing- und Bronzeschaltern. Sie hoffte auf einen Erinnerungsfunken.

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